Jungen inzwischen im Abseits

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Soziale Ungleichheiten und Bildungschancen
Prof. Dr. Rainer Geißler
Jungen inzwischen im Abseits?
Ein neuer Blick auf
geschlechtstypische Probleme im
Bildungssystem
Ein Referat von Regina von Essen
8. Mai 2008
Übersicht
1. Vom Bildungsdefizit zum Bildungsvorsprung
1.1. Vergleich von Ost- und Westdeutschland
1.2. Vergleich nach Bildungsabschlüssen
1.3. Vergleich nach sozialer Herkunft
2. Ursachen
2.1. Bessere Schulabschlüsse der Mädchen
2.2. geschlechtsspezifische Sozialisationsprozesse – „abweichende
Jungen“
2.2.1. Erziehungsprobleme bei Jungen
2.2.2. „institutionelle Diskriminierung“
2.2.3. Jungs sind anders – Mädchen auch
3. Die Grenzen der Aufholjagd
4. Literatur
5. Diskussion
Vergleich von Ost- und Westdeutschland
Anteil der Mädchen unter den Abiturienten
(allgemeine Hochschulreife) 1964-2002 in %
70
60
50
54
59
59 59
53
54 55
53
48
46
40
37
30
49
49
50
39
West
20
Ost
10
0
1965
1970
1975
1980
1985
DDR - Abiturklassen (12. Klassen) EOS
1995 - 2002 ohne Berlin
1990
1995
2000 2002
Vergleich von Ost- und Westdeutschland
Frauenanteil unter Studierenden an Universitäten
1960-2003 in %
60
48
50
49
53
50
49
49
48
35
40
28
31
50
44
38
30
52
38
40
41
31
20
25
26
West
Ost
10
0
1960 1965 1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2003
Vergleich nach Bildungsabschlüssen
Jungenanteile unter den Schulabschlüssen
2002 in %
51
52
alle A bschlüsse
64
61
o hne
Hauptschulabschluss
58
Hauptschulabschluss
53
Realschulabschluss
49
46
Fachho chschulreife
47
48
43
43
allgemeine
Ho chschulreife
Ausländer
Deutsche
Vergleich nach sozialer Herkunft
Anteil der Jungen und Mädchen an
gymnasialen Oberstufen nach sozialer
Herkunft 2002 in Prozent
B ildungsstarkes
Elternhaus
Mädchen
Eltern mit mittlerem
B ildungsniveau
Jungen
B ilddungsschwaches
Elternhaus
0
20
40
60
80
Ursachen
Bessere Schulleistungen
der Mädchen
Geschlechtsspezifische
Sozialisationsprozesse
Erziehungsprobleme
bei Jungen
Institutionelle
Diskriminierung
Bessere Schulabschlüsse der Mädchen
 Geschlechtstypische Leistungsunterschiede
• Fächer
• Schulform
• Alter
 Insgesamt bessere Leistungen der Mädchen, auch schon in den 1960ern
 früher: traditionelle Rollenvorstellungen
• Bildung für Mädchen nicht so wichtig
 Entwicklung: Wandel der traditionellen Rollenklischees
• gute Schulnoten  angemessener Bildungsabschluss
 Soziale Gleichstellung der Frau in der schulischen und universitären Ausbildung
Geschlechtsspezifische Sozialisationsprozesse
Beobachtungen:
Mädchen:
• Fleiß
• Gute Arbeitshaltung
Jungen:
• doppelt so häufige Zurückstellung bei der Einschulung
• doppelt so häufig von AD(H)S betroffen
• doppelt so häufig in Erziehungsberatungsstellen
• drei Viertel der Patienten in sozialpädiatrischen Zentren
• polizeilicher Tatverdächtigenanteil: 70-80%
• 97,5% der Inhaftierten in Jugendhaftanstalten
Auswirkungen von Erziehungsproblemen
bei Jungen
• häufigeres Schwänzen
• Typ „frecher, fauler Schüler“
• häufiges Ärgern von Mitschüler(inne)n
• Rempeleien auf dem Schulhof
• Disziplinlosigkeiten und Unterrichtsstörungen
 Lehrer benutzen Noten als Disziplinierungsmaßnahme
 sogar schlechtere Noten bei gleichen Testleistungen
 häufigeres Sitzen bleiben
Institutionelle Diskriminierung
„Die Erziehung zur Bildung des Menschen
soll nicht nur dem weiblichen Geschlecht übertragen werden,
sondern das mehr von außen lehrende männliche Geschlecht
gehört nach dem Gesetz des Gegensatzes
nicht minder dazu,
und seine Mitwirkung zu Bildung
muss nicht nur in den Knaben-,
sondern schon in den Kinderjahren
beginnen.“
Friedrich Fröbel (1782-1852)
Institutionelle Diskriminierung
Frauen stellen:
•98% der Erzieher in Kindergärten
• 85% der Grundschullehrer
• ca. 50% der Gymnasiallehrer (Tendenz steigend)
• Feminisierung der Erzieher- und Lehrerberufe
• feministische Subkultur in Schulen
• weiblich geprägtes Schulbiotop
Institutionelle Diskriminierung
Studie von Diefenbach und Kein:
Vergleich von
• Überrepräsentation von Jungen ohne Hauptschulabschluss (1999/2000)
• Unterrepräsentation von Jungen mit Hochschulreife (1999/2000)
mit
• Anteil männlicher Grundschullehrer (1995/96)
in den einzelnen Bundesländern.
Ergebnis:
Neue Bundesländer:
• besonders wenige männliche Grundschullehrer (jeweils weniger als 15%)
• besonders hoher Anteil an Jungen ohne Hauptschulabschluss
• besonders niedriger Anteil an Jungen mit Abitur
Institutionelle Diskriminierung
• Fehlen männlicher Bezugspersonen auch zu Hause durch
• Trennung bzw. Scheidung der Eltern
• Berufstätigkeit des Vater
• Modell der „Hausfrauenmutter“
• wenig Ganztagsangebote zur Kinderbetreuung
• Halbtagsschulen
• Verzicht der Mutter auf den Beruf zugunsten der Kinderbetreuung
• Vater hält sich weitgehend aus der Kinderbetreuung heraus
 Weder in der Schule noch zu Hause männliche Identifikationsfiguren für Jungen
Jungs sind anders – Mädchen auch
Moderne Gehirnforschung
„weibliches Gehirn“:
„männliches Gehirn“:
• verbale Strategien
• körperliche Strategien
• verhandeln und überreden
• Kompetenz:
• Kompetenz:
Beziehungen und Bindungen
knüpfen
• Empathie
• Puppen- und Rollenspiele
 sozial
Systeme
analysieren
und erforschen
Regeln verstehen
und kontrollieren
• Spielen mit technischen
Dingen
Maschinen
 Autos,
analytisch
Jungs sind anders – Mädchen auch
Mädchen:
Jungen:
 kommunikative,
sprachliche Fähigkeiten
 visuelle, räumliche
Fähigkeiten
 horizontale Regeln
• Gleichbehandlung
 vertikale Regeln
• Rangordnung
 „Gender“ im Kindergartenalter schon ausgeprägt
 Missverständnisse zwischen den Kindern (andere Sprache)
 falsch verstandene geschlechtsneutrale Behandlung durch Erzieher und Lehrer
 weiblich orientierte Normen in der Schule:
• Argumentationsbereitschaft
• nett und kommunikativ
• Höflichkeit
Grenzen der Aufholjagd
Abb. 5: Anteil der Mädchen in der
Berufsausbildung in %
1960er
Ostdeutschland
Westdeutschland
2003
32
34
36
38
40
42
44
46
Grenzen der Aufholjagd
Abb. 6: Lohnniveau einer Frau in Bezug zum
Einkommen eines Mannes 1997 in %
abgeschlossenes
Universitätsstudium
Ostdeutschland
Westdeutschland
abhängig
Beschäftigte
0
20
40
60
80
100
Grenzen der Aufholjagd
Akademiker:
Berufsunterbrechungen der Frauen
•danach niedrigeres Qualifikations- und Einkommensniveau
•zwischenzeitlicher beruflicher Aufstieg der Männer
 Unterschiedliches Interesse
•Männer: technische, mathematische, naturwissenschaftliche Fächer
•Frauen: musische, sprachliche Fächer
 weniger Stellen und geringeres Gehalt
Lehrstellen:
 unterschiedliche Interessen
•Mädchen: wenige, schlechter bezahlte Ausbildungsberufe
•Jungen: breiteres Berufsspektrum, v. a. technischer Bereich
Literatur
Geißler, R. 2005: Die Metamorphose der Arbeitertochter zum Migrantensohn. In: R. A. Berger/H. Kahlert (Hrsg.):
Institutionalisierte Ungleichheiten. Stabilität und Wandel von Bildungschancen. Weinheim/München, 71-100 [insb.
80-88]. Online unter: http://www.fb1.unisiegen.de/soziologie/mitarbeiter/geissler/rainer_geissler__die_metamorphose_der_katholischen_arbeitertochter_zum_migrantensohn.doc
Rabe-Kleberg, U. 2005: Feminisierung der Erziehung von Kindern. In: Sachverständigenkommission Zwölfter
Kinder- und Jugendbericht (Hrsg.): Entwicklungspotenziale institutioneller Angebote im Elementarbereich.
München, 135-171.
Dannenböck, K./H.-P. Meidinger 2003: Geraten Jungen in unserem Bildungssystem immer mehr ins Abseits? In:
DPhV. Das Magazin für Gymnasium und Gesellschaft 3, 8-14.
Diefenbach, H./M. Klein 2002: „Bringing Back Boys In.“ Soziale Ungleichheit zwischen den Geschlechtern im
Bildungssystem zuungunsten von Jungen am Beispiel der Sekundarschulabschlüsse. In: ZfPäd 48, 938-958.
Cornelißen, W. 2004: Bildung und Geschlechterordnung in Deutschland. Einige Anmerkungen zur Debatte um
die Benachteiligung von Jungen in der Schule. Online unter: http://sinus-transfer.unibayreuth.de/fileadmin/MaterialienBT/Cornelissen_Geschlechterordnung.pdf. [Stand: 1.5.08]
Diskussion
Sollten Jungen in Schulen zukünftig speziell gefördert werden?
Oder sollten Mädchen eine noch stärkere Förderung erfahren?
Schließlich ist die Chancengleichheit in der Arbeitswelt nicht erreicht!
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