Methoden: Standards, Theorien, und Strategien Vorlesung Winter, 2012/13 Thomas Kessler Überblick • Wissenschaftliche Sozialpsychologie? • Theorien • Untersuchungsstrategien (Umfrage, Quasi-Experiment, Experiment) • Hypothesen und ihre statistische Prüfung • Ethische Richtlinien Leitfragen • Warum brauchen wir eine wissenschaftliche Sozialpsychologie? • Wozu sind Theorien notwendig? • Wie können wir Theorien prüfen? Wozu wissenschaftliche Sozialpsychologie? Warum wissenschaftliche Sozialpsychologie? • „ ... die kleinen unscheinbaren, vorsichtigen Wahrheiten, welche mit strenger Methode gefunden wurden, höher zu schätzen als jene weiten schwebenden umschleiernden Allgemeinheiten, nach denen das Bedürfnis religiöser und künstlerischer Zeitalter greift.“ (Nietzsche, Menschliches, Allzumenschliches) Wie kann man Wissen gewinnen? Methode Vorteil Nachteil Autorität Einfach, schnell Nicht selbst geprüft, verzerrt Erfahrung (common sense) Selbst entdeckt Common sense kann falsch sein Beharrlichkeit Stabile Überzeugungen Rigidität selbstkorrigierend Langsam, approximierte Wahrheit Wissenschaft Charles Sanders Peirce Unsere Standards • Validität: – Die Untersuchung überprüft das, was sie vorgibt zu untersuchen. • Reliabilität: – Das Ergebnis einer Studie ist replizierbar Unsere Standards • Kumulativ: – Forschung baut auf früherer Forschung auf • Öffentlich: – Die Ergebnisse werden veröffentlicht, sind öffentlich zugänglich • Einfach: – Einfacher Theorien werden komplizierteren vorgezogen Theorien Konstrukte und ihre Messung Interne / externe Validität und verschiedene Forschungsstrategien Warum Theorien? Was hätten wir ohne Theorien? • • • Bienen töten pro Jahr mehr Menschen als Giftschlangen. Bienenköniginnen legen bis zu 3000 Eiern pro Tag. Wenn es kalt wird, versammeln Bienen sich in ihrem Stock und beginnen gemeinsam zu zittern, wodurch der Stock aufgeheitzt wird. • Um ein Pfund Honig zu produzieren, müssen Bienen rund zwei Millionen Blüten anfliegen. • Nach allen Erkenntnissen der Aeronautik ist die Hummel flugunfähig. • Fliegen starten rückwärts. • Der Moskito hat 47 Zähne. • Grillen hören mit den Knien. • Der Schmetterling hat 12000 Augen. • Das Blut der Heuschrecke ist weiß, nicht rot. • Maifliegen leben nur wenige Stunden. • Die Seidenspringerraupe hat 11 Gehirne. Aus: Handbuch des nutzlosen Wissens, H. Haefs, 1998 Warum Theorien? • „Nichts ist praktischer als eine gute Theorie“ Kurt Lewin • „Ich behaupte, man kann keine Angewandte Psychologie betreiben ohne Rückgriff auf Theorie, egal woher diese Theorie kommt.“ (Dieter Frey) • Theorien systematisieren Wissen, zeigen Zusammenhänge auf, und generalisieren auf neue Situationen. • Aus Theorien sind Handlungsanweisungen ableitbar Theorien • Verstehen und Erklären: Auf allgemeine Prinzipien zurückführen! Sonnenfinsternis Planetenbahn Schattenwurf X schlägt Y Frustration – Aggression X ist verlegen Introversion – Schüchternheit Theorien Theorie: • „Eine Gruppe abstrakter Begriffe (d.h., Konstrukte) und Aussagen darüber, wie diese Konstrukte miteinander zusammenhängen.“ (Manstead, 2007) • Konstrukt = abstrakter theoretischer Begriff • Konstrukt ≠ konkrete Beobachtung • Zusammenhang: Beispielsweise, A verursacht B (z.B. Frustration verursacht Aggression) Theorien • Operationalisierung Herzrasen Schwindel Gesichtsausdruck Angst Selbstauskunft Theorien • Bedingungen für Konstrukt (unabhängige Variable) Hund Fliegen Prüfung Angst Bestrafung Theorien • Konsequenzen der Angst (abhängige Variablen) Angst Flucht Vermeidung Zerstörung der Angstquelle Körperliche Beschwerden Theorien • Aussagen über Konstrukte: – Konstruktvalidität • (Kausale) Zusammenhänge – Interne Validität • Gültigkeit in einem definierten Bereich – Externe Validität Konstrukte • Konstruktvalidität: – Übereinstimmung der gemessenen und manipulierten Variablen mit den Konstrukten der Theorie. • Gefährdung der Konstruktvalidität: – Z.B. soziale Erwünschtheit • Gewährleistung der Konstruktvalidität – Multiple Maße Erfassung von Konstrukten • Selbstbeurteilungsmaße Fragebogen (verschiedene Skalen) Interview (offen, halbstandardisiert, standardisiert) • Psychologische Tests (Erinnerungsleistung, Reaktionszeiten, implizite Maße) • Beobachtungsmaße Teilnehmend heimlich (Gütekriterium: Übereinstimmung mehrer Beurteiler) Erfassung von Konstrukten • Likert-Skala: Auswahl von Items aus einem Itempool durch Vortests. Item-Gesamt Korrelationen bestimmen die Qualität der Skala. Die einzelnen Items werden auf Skalen wie etwa „1=stimme gar nicht zu“ bis „5=stimme voll zu“. • Thurstone: Etwas aufwändiger als Likert, gewährleistet aber gleiche Abstände der einzelnen Werte. • Semantisches Differential: Objekte werden auf mehreren bipolaren Dimensionen bewertet, z.B. mächtig-ohnmächtig, aktiv-passiv, positiv-negativ Theorien • (Kausale) Zusammenhänge – Interne Validität – Bedrohungen der internen Validität • Gültigkeit in einem definierten Bereich – Externe Validität Theorien • (Kausale) Zusammenhänge – Unabhängige Variable (UV) beeinflusst abhängige Variable (AV) – Interne Validität (Cook & Campbell, 1979) • Beispiel: Beobachtung t1 Behandlung Beobachtung t2 Theorien • Bedrohungen der internen Validität – – – – – Zeit- und Alterseffekte Praxis-Effekte Test-Effekte Selektionseffekte Regression zur Mitte • Wie können diese Probleme behoben werden? Theorien • Kontrollgruppendesign Beobachtung t1 Beobachtung t1 Behandlung Beobachtung t2 Beobachtung t2 Theorien • Kontrollgruppendesign Behandlung Beobachtung Kontrolle Beobachtung Theorien • Gültigkeit in einem definierten Bereich – Externe Validität • Bedrohungen der externen Validität – Reaktivität der Versuchspersonen – Künstlichkeit der Untersuchungssituation Die Rolle von Theorien • Generalisierung und Vorhersage Allgemeine Theorie: Negativer Affekt verstärkt Aggression Stützt die Theorie Spezifische Beobachtung: Frustration verstärkt Aggression Theorie erlaubt die Vorhersage Generalisierung: Hitze verstärkt Aggression Theorien • Theorien – Erklärungsgrundlage – Enthalten Konstrukte und Relationen • Operationalisierung: Beobachtung • Variablen: – Potentielle Ursache: Unabhängige Variable – Potentielle Wirkung: Abhängige Variable • Hypothese – Abgeleitete neue Vorhersage • Nutzen: Nicht Befunde oder Effekte, sondern Theorien erlauben Generalisierung und Vorhersage Test von Theorien • Induktive Strategien der Bestätigung von Theorien • Falsifikation von Theorien Test von Theorien • Induktive Strategien: – Sammlung von Daten, die die Theorie bestätigen. – Je mehr bestätigende Evidenz vorliegt, desto besser ist unsere Theorie • Probleme: – Bestätigungstendenz – Paradox der Induktion Test von Theorien • Wie können wir die Probleme induktiver Strategien beheben? • Falsifikation (Popper, 1935). – Theorien können nicht durch bestätigende Evidenz „bewiesen“ werden, aber durch Falsifikation widerlegt werden. – D.h., Theorien müssen falsifizierbar sein – Studien müssen die Theorien herausfordern, versuchen zu falsifizieren. Forschungsstrategien • Umfrageforschung • Feldstudien • Experimentelle Forschung Echte Experimente Quasi-Experimente Umfrageforschung • Ziel: Möglichst genaue Bestimmung der Ausprägung einer oder mehrerer interessierender Variablen in einer bestimmten Population (z.B. die Einstellung der Bevölkerung einer Stadt zur neuen Müllverbrennungsanlage) • Zufallstichproben vs. repräsentative Stichproben Umfrageforschung • Extrem Beispiel: • Wir befinden uns im Jahre 1934. Es stehen folgende Kandidaten zur Wahl: Roosevelt und Landon. Literary Digest macht eine Telefonumfrage mit mehr als 2 Millionen Personen. Diese ergibt, dass der Republikaner Landon mit einem gewaltigen Erdrutschsieg gewinnen wird. • Wer wurde Präsident? • Was ist bei der Befragung schief gelaufen? Feldstudien • Ziel: Möglichst genaue Bestimmung der Zusammenhänge zwischen mehreren interessierenden Variablen sowie, falls möglich, Aufklärung von Wirkungsrichtungen • Querschnitt- und Längsschnittstudien Experimente • Ziel: Aufklärung der kausalen Wirkung einer oder mehrerer unabhängiger Variablen, die im Experiment manipuliert werden, auf eine oder mehrere abhängige Variablen • Experiment: Zufällige Zuweisung der Probanden zu den experimentellen Bedingungen (evtl. mit vorheriger Parallelisierung bzgl. bestimmter Merkmale) • Quasi-Experiment: Zuweisung der Probanden zu den experimentellen Bedingungen ist vorgegeben (evtl. ist Parallelisierung bzgl. bestimmter Merkmale möglich) Experimente Bedingungen der Kausalanalyse: • Geplante Variation: Systematische Manipulation der vermuteten Ursache • Isolierende Variation: nur die vermutete Ursache wird manipuliert • Randomisierung: Die Versuchspersonen werden zufällig den Bedingungen zugewiesen Kausalanalyse Elemente sozialpsychologischer Experimente I • Experimentelles Setting: die relevanten kontextuellen Merkmale der Untersuchung • Instruktion und Coverstory: Einweisung der Probanden in den (vermeintlichen oder tatsächlichen) Hintergrund der Untersuchung und ihre Aufgaben Konföderierter • Konföderierter: Verbündeter des Versuchsleiters, der als vermeintliche weitere Versuchsperson am Experiment teilnimmt („Strohmann“). Elemente sozialpsychologischer Experimente II • Unabhängige Variable: Variable, deren kausale Wirkung auf die abhängige(n) Variable(n) im Experiment untersucht werden soll und deren Ausprägung daher variiert bzw. manipuliert wird. Unabhängige Faktoren des Experiments (Design). • Abhängige Variable: Variable, die gemäß den dem Experiment zugrunde liegenden Hypothesen von der/den unabhängigen Variable(n) beeinflusst wird und die daher im Experiment gemessen wird Elemente sozialpsychologischer Experimente III • Manipulationskontrolle (MC): Prüfung der Wirksamkeit der Manipulation meist durch subjektiven Bericht der Vpn • Moderatorvariable: Verändert den Einfluss der UV auf die AV • Mediatorvariable: Vermittelt den Einfluss der UV auf die AV Elemente sozialpsychologischer Experimente IV • Verdachtskontrolle: Haben die Versuchspersonen den eigentlichen Zweck des Experiments erkannt? • Aufklärung: Aufklärung der Versuchspersonen über den Zweck des Experiments Elemente sozialpsychologischer Experimente IV • Hypothesen: Erwartungen, die aus Theorien abgeleitet sind. Meist in der Form „wenn X, dann Y“. • Zusammenhanghypothesen – • z.B. Mit zunehmender Hitze wird auch mehr Aggression zu beobachten sein Unterschiedshypothesen – Aggression bei Hitze > Aggression bei Kälte Test von Hypothesen Überprüfung von Unterschiedshypothesen Gleicher Unterschied zwischen den Mittelwerten aber Mittelwert (zentrale Tendenz) Streuung (z.B. Standardabweichung Unterschiedliche Streuung der Werte um den Mittelwert Statistische Prüfung trägt beiden Rechnung, z.B. t-test berechnet den Mittelwertsunterschied relativ zur Streuung Test von Hypothesen Überprüfung von Zusammenhangshypothesen Test von Hypothesen Mediation und Moderation Unabhängige Variable (UV) z.B. stereotype Stimulusperson Mediator z.B. aktiviertes Stereotyp/Wissen Abhängige Variable z.B. Bewertung eines Verhaltens Moderator z.B. kognitive Ressourcen Test von Hypothesen Mediation Determinante Effekt Prozess Test von Hypothesen Moderation Bed.1 Determinante Bed.2 Randbedingung Effekt Versuchspläne • Die experimentellen Versuchspläne geben an, welche unabhängigen Variablen in ihrem Einfluss auf die abhängigen Variablen untersucht werden. • Beispiel: 2 2 Design UV2a UV1a UV1b UV2b Effekte • Haupteffekte: Ein Haupteffekt einer unabhängigen Variable liegt vor, wenn diese Variable die abhängige Variable unabhängig von weiteren unabhängigen Variablen beeinflusst. • Interaktionseffekte: Eine Interaktion liegt vor, wenn die Wirkung einer unabhängigen Variable in den verschiedenen Stufen einer anderen unabhängigen Variable nicht konstant ist. Interaktionseffekte • Ordinale Interaktionen • Disordinale Interaktionen Ethik in der Forschung Ethische Probleme sozialpsychologischer Forschung (Tedeschi et al. 1985) PROBLEM LÖSUNG Täuschung von Teilnehmern Nach Studien sind Teilnehmer ausführlich aufzuklären. Schmerz oder Angst Untersuchungsteilnehmer müssen über Risiken und Gefahren von Untersuchungen informiert werden bevor sie sich für die Teilnahme entscheiden. Verwirrung Teilnehmern steht jeder Zeit offen, eine Studie abzubrechen. Zwang zur Teilnahme Teilnahme an psychologischen Experimenten ist grundsätzlich freiwillig. Eingriffe in die Privatsphäre Öffentliches Verhalten darf untersucht werden, wenn die Teilnehmer dabei anonym behandelt werden und sie nicht Bedingungen ausgesetzt werden, die ihnen sonst erspart geblieben werden. Zusammenfassung • Wissenschaft als die beste Methode der Gewinnung von Wissen (wahre Überz.) • Theorien beziehen sich auf Konstrukte, deren Zusammenhänge und ihren Gültigkeitsbereich. • Sie muss sicherstellen: Konstruktvalidität, interne Validität, und externe Validität. • Forschungsstrategien (Umfrageforschung, Feldforschung, Experiment) • Psychologie mit „menschlichem Antlitz“ muss ethischen Richtlinien folgen Literatur • Jonas, K., Stroebe, W., & Hewstone, M. (2007). Sozialpsychologie. Eine Einführung (5.Auflage). Springer. • Smith, E. R. & Mackie, D. M. (2008). Social psychology (3rd editon). Psychology Press.