Affekt und Kognition Vorlesung Winter, 2012/13 Thomas Kessler 1 Überblick • Affekt, Emotion und Kognition • Einfluss von Kognition auf Emotion: Appraisal-Theorien der Emotion • Einfluss von Affekt auf Kognition: Stimmungskongruentes Gedächtnis Stimmung als Information Verarbeitungsstrategien 2 Leitfragen • Wodurch unterscheiden sich Affekt und Emotionen? • Stören Emotionen/Affekt den Ablauf kognitiver Prozesse? • Wie beeinflusst Affekt die kognitive Verarbeitung? 3 Emotionen • Beispiele: • Stolz 4 Emotionen • Beispiele: • Depression, Trauer 5 Emotionen • Beispiele: • Wut, Amok 6 Begriffe • Affekt: Bewertung als positiv und negativ, wird als Gefühl erlebt, konzeptuelle Repräsentation (Urteil als positiv oder negativ). • Emotion: Reaktion eines Individuums auf bedeutsame Ereignisse, bestehend aus mehreren Komponenten wie physiologische Erregung, motorischer Ausdruck, subjektives Gefühl, Handlungstendenzen • Stimmung: positiver oder negativer Erlebnishintergrund ohne konkrete auslösende Situation 7 Geschichte von Affekt und Emotion • Affekt und Motivation: Affekt wurde mit grundlegenden Motivationen („Schmerzvermeidung“, „Futteraufsuchen“) gleichgesetzt. • Behaviorismus: Die Motivationen wurden extern definiert, etwa als „9 Tage ohne Futter“, „Stromschock von X Volt“. • Kognitive Wende: Affekt und Emotion waren Quellen der Störung und Irrationalität • Erst mit den Diskussionen um Zajonc (1980) wurden Affekte und Emotionen verstärkt in den Fokus der Psychologie genommen. 8 Emotionen • Funktion von Emotionen • Welche motivationalen Konsequenzen haben sie? Zusammenhang von Emotion und Motivation. • Wie entstehen grundlegende Emotionen wie Ärger, Trauer oder Furcht? 9 Funktion von Emotionen • Schuld – Wiedergutmachung, … • Ärger, Wut – Angriff, Bestrafung, … • Trauer – Rückzug, realistische Neuorientierung • Eifersucht – Kontrolle des Partners, … 10 Emotion und Motivation • Aufsuchende und vermeidende Motivation • Ereignisse, die das Verfolgen von Aufsuchens- oder Vermeidensziele beeinflussen, lösen Emotionen aus. • Solche Ereignisse werden bewertet mittels so genannter Appraisal-Dimensionen. Diese kombinieren Merkmale des Ereignisses mit Merkmalen der Person. 11 Emotion und Motivation II Grundannahmen • Emotionen geben die Bedeutung eines Ereignisses für eine Person an. • Personen sind permanent mit einer „Bedeutungsanalyse“ ihrer Umwelt beschäftigt. • Emotionssystem ist hoch differenziert und organisiert (evaluation, feelings, facial and physiological expression, action readiness) 12 Strukturelle Modelle der Emotion • Welche Bewertungsdimensionen sind für Emotionen relevant? Welche Kombinationen von Bewertungsdimensionen sind für welche Emotionen spezifisch? • Untersuchungen von Emotionsberichten, vorgestellten und erinnerten Emotionen, hypothetischen Vignetten, gegenwärtigen Erfahrungen 13 Strukturelle Modelle der Emotion Welche Dimensionen? • Motivationaler Zustand (aufsuchen und vermeidend; Fokus auf Belohnung vs. Bestrafung) • Situation: Befördert / behindert das Erreichen der Ziele (Belohnung / Bestrafung sind an- oder abwesend) • Sicheres/unsicheres Ereignis: Eingetretene vs. zukünftige Ereignisse, kontrollierbare vs. unkontrollierbare Ereignisse • Macht / Legitimität: Effektivität, Verdienst, Anspruch • Verantwortlichkeit: Selbst, andere, oder die Umstände 14 Strukturelle Modelle der Emotion Kausal Ergebnis positiv aufsuchen Umstände sicher sicher un/sicher Hoffnung Freude Erleichterung Hoffnung Freude un/sicher un/sicher vermeiden Angst Bedauern Schwach Abneigung Frustration stark Erleichterung Mögen (Liking) un/sicher selbst aufsuchen Selbst ist ... Überraschung unsicher andere vermeiden unbekannt unsicher negativ Disliking Ärger Stolz Scham, Schuld Bedauern schwach stark schwach stark Nach Rosemann, 198415 Prozessmodelle der Emotion • Informationsverarbeitung und die Entstehung von Emotionen • Kognitiven Bewertungen („appraisals“) sind „direct, immediate, and intuitive“ (Arnold, 1960). Sie entstehen schnell, ohne großen Verarbeitungsaufwand, und manchmal ohne dass die Aufmerksamkeit darauf gerichtet ist. • Sequenz von Bewertungen versus dynamische rekursive Entwicklung 16 Prozessmodelle der Emotion II Smith & Kirby, 2000 • Intuition („associative“) und Denken („reasoning“) • Intuition: 1. Gedächtnisinhalte (Gerüche, visuelle Wahrnehmungen, Konzepte, Bewertungen) sind assoziativ verbunden 2. Durch „spreading activation“ werden die Inhalte schnell und automatisch aktiviert 3. Die Bewertung und Aktivation kann außerhalb der bewussten Wahrnehmung liegen. 4. Diese Prozesse laufen andauernd ab und erlauben deshalb eine kontinuierliche Bewertung der Umwelt. • Denken 1. Läuft langsam, kontrolliert und flexibel ab 2. Kann Emotionen dadurch beeinflussen, dass auf neue Aspekte der Situation fokussiert wird und damit die Intuitionen verändert werden. 17 Einfluss von Affekt auf Kognition • Stimmung und Gedächtnis • Stimmung als Information • Stimmung und Verarbeitungsstrategien 18 Psychoanalytische Vorstellungen • Abwehrmechanismen: Je mehr man versucht Affekte zu unterdrücken, desto stärker drängen sie ins Bewusstsein. • Projektion: Ängstliche im Vergleich zu nichtängstlichen Personen schätzen andere Personen als ängstlicher ein. 19 Behavioristische Vorstellungen • Assoziation von Affekt mit neutralen Reizen • Beispiel: Kleine Albert und Angstkonditionierung • Hinreichend dafür ist zeitliche und räumliche Nähe eines Affekts oder einer Emotion und ein neutrales Objekt 20 Stimmung und Gedächtnis • Die gegenwärtige Verfügbarkeit von Gedächtnisinhalten hat einen starken Einfluss auf soziale Urteile • Stimmungen machen Gedächtnisinhalte, die der Stimmung entsprechen, verfügbarer (Bower, 1981) • Damit haben Stimmungskongruente Inhalte einen größeren Einfluss auf Urteile. 21 Stimmung und Gedächtnis - Präzisierung • Was heißt „Gedächtnisinhalte, die der Stimmung entsprechen“? • State-dependency hypothesis: Gedächtnisinhalte sind in der Stimmung leichter abrufbar in der sie gespeichert wurden („Inhalte, die in positiver Stimmung gelernt wurden, können in positiver Stimmung leichter abgerufen werden“). • Mood-congruent recall hypothesis: Gedächtnisinhalte sind in der Stimmung leichter abrufbar die ihrer Valenz entsprechen („positive Inhalte sind in positiver Stimmung leichter abrufbar“) 22 Stimmung und Gedächtnis - Ergebnisse • Während Ergebnisse für die State-dependency hypothesis inkonsistent sind, konnte die Moodcongruent recall hypothesis gut belegt werden. Number retrieved • Kindergartenstudie (Bower, 1981) 25 • Anzahl erinnerter Ereignisse als Funktion der gegenwärtigen Stimmung 20 15 happy sad 10 5 0 unpleasant pleasant 23 Stimmung als Information • Ereignisse oder Objekte werden dadurch bewertet, dass man sich fragt, „Wie ist mein Gefühl demgegenüber?“. • Missattribution und Selbstattribution • Meta-inferentielles Wissen („was bedeutet ein bestimmtes Gefühl gegenüber einem Objekt?“) • Urteilsheuristiken 24 Stimmung als Information Life satisfaction • Bei Urteilen wird die eigene Stimmung als Information herangezogen (Schwarz & Clore, 1983) 8 7 6 5 4 No attribution Weather attribution FIG. 6.1 Mean life satisfaction scores for respondents interviewed on rainy or sunny days when weather is or is not made salient as a source of their mood states (Schwarz and Clore, 1983). 25 Stimmung als Information Life satisfaction • Stimmung beeinflusst Urteil, nur wenn sie nicht als irrelevant eingestuft wird. 8 happy 7 6 5 Sad 4 No attribution Room attribution FIG. 6.2 Mean life satisfaction scores after a sound-proof room has or has not been made salient as a possible cause of feelings of tension for happy and sad subjects (Schwarz and Clore, 1983). 26 Stimmung als Information - Kritik - • Ist es eine bewusste oder automatische Schlussfolgerung von erlebtem Affekt auf die Qualität eines Ereignisses oder Objekts? • Wie werden weitere Informationen einer Situation mit dem Affekt in Verbindung gebracht? • Ein und derselbe Affekt kann in unterschiedlichen Situationen unterschiedliches bedeuten. 27 Stimmung und Verarbeitungsstrategien • Stimmung beeinflusst nicht nur, welche Gedächtnisinhalte zugänglicher sind oder dient nicht nur als Information, sondern ... • ... verändert auch die Art und Weise wie nachgedacht wird. 28 Stimmung und Verarbeitungsstrategien • Individuen in positiver Stimmung treffen Entscheidungen schneller, verwenden weniger Information, vermeiden anstrengendes und systematisches Denken und sind überzeugter von ihren Entscheidungen. • Negative Stimmung löst dagegen eher eine systematische, anstrengende und umfassende Verarbeitungsstrategie aus. 29 Stimmung und Verarbeitungsstrategien • • Bodenhausen, Kramer und Süsser (1994) Positive vs. negative Stimmung & Stereotyp (ja/nein) • Bewertung eines angeblichen Normverstoß Bewertung "schuldig" 7,5 7 6,5 stereotyp ja stereotyp nein 6 5,5 5 happy neutral 30 Stimmung und Verarbeitungsstrategien - integrative Ansätze • Affect infusion model (Forgas, 1995) • Affekt beeinflusst Urteile insbesondere dann, wenn offene und konstruktive Verarbeitungsstrategien gewählt werden. • 2 Dimensionen bestimmen, welche Verarbeitungsstrategie wahrscheinlich gewählt wird. Kognitive Aufwand (partielle vs. Vollständige Informationssuche Offenheit vs. Gerichtetheit der Informationssuche 31 Stimmung und Verarbeitungsstrategien • Affect infusion model (Forgas, 1995) Verarbeitungsaufwand (partielle vs. vollständige Informationssuche) Offenheit des Ergebnisses Gering hoch Gering Direct access Motivated processing Hoch Heuristic processing Substantive processing 32 Zusammenfassung • Emotionen sind die subjektiven Bewertungen von Ereignissen, die eigene Ziele (Antriebe) betreffen. • Affekt beeinflusst die Art der kognitiven Verarbeitung, die Inhalte die erinnert werden, und dient selbst als Information. 33