Theoretische Physik IV: Statistische Physik

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Skript zur Vorlesung
Theoretische Physik IV:
Statistische Physik
von Volker Meden
gehalten im Wintersemester 2009/2010
an der RWTH Aachen
20. April 2010
2
Inhaltsverzeichnis
1 Eine kurze Einführung
5
2 Grundüberlegungen
2.1 Eigenschaften makroskopischer Systeme . . . . . .
2.2 Grundbegriffe der mathematischen Statistik . . .
2.3 Die mikrokanonische Zustandssumme . . . . . . .
2.4 Die Zustandssumme des idealen Gases . . . . . .
2.5 Nebenbedingungen, Gleichgewicht, Irreversibilität
2.6 Der erste Hauptsatz der Thermodynamik . . . . .
2.7 Vollständige Differentiale . . . . . . . . . . . . . .
2.8 Quasistatische Prozesse . . . . . . . . . . . . . . .
2.9 Temperatur und Entropie . . . . . . . . . . . . .
2.10 Kleine Wärmemengen . . . . . . . . . . . . . . .
2.11 Die kanonische Verteilung . . . . . . . . . . . . .
2.12 Nochmal: Das klassischen idealen Gases . . . . . .
2.13 Gleichgewicht, Entropie und Kräfte . . . . . . . .
2.14 Der zweite und der dritte Hauptsatz . . . . . . .
2.15 Messung makroskopischer Parameter . . . . . . .
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3 Thermodynamik
3.1 Differentiale . . . . . . . . . . . . .
3.2 Zustandsgleichungen . . . . . . . .
3.3 Thermodynamik des idealen Gases
3.4 Potentiale und Maxwell-Relationen
3.5 Zustandsänderungen . . . . . . . .
3.6 Wärmekraftmaschinen . . . . . . .
3.7 Variierende Teilchenzahl . . . . . .
3.8 Mischungen, Lösungen, Reaktionen
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4 Klassische statistische Mechanik
117
4.1 Mikroskopische Dynamik und Phasenraum . . . . . . . . . . . . . 117
4.2 Ensembles der klassischen Mechanik . . . . . . . . . . . . . . . . . 126
3
4
5 Quantenstatistik
5.1 Dichtematrix und von Neumann-Gleichung
5.2 Die Ensembles der Quantenstatistik . . . .
5.3 Fermi-Dirac und Bose-Einstein Verteilung
5.4 Klassischer Limes und Virialentwicklung .
5.5 Die Bose-Einstein Kondensation . . . . . .
5.6 Das entartete Fermigas . . . . . . . . . . .
5.7 Photonen und Phononen . . . . . . . . . .
INHALTSVERZEICHNIS
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Kapitel 1
Eine kurze Einführung
In der statistischen Physik versucht man (traditionell) die physikalischen Eigenschaften von makroskopischen Systemen, also z.B. einem Behälter mit einem Liter
Gas bei “normalem” Druck, einem Stück Eisen der Größe 1cm3 oder eine Polymerlösung in einem Reagenzglas zu beschreiben. Da sie hinreichend groß sind,
sind solche Systeme direkter Bestandteil unserer Sinneswelt. Wie wir heutzutage
wissen, bestehen die makroskopischen Körper jedoch aus mikroskopischen Bausteinen. Da es von der untersuchten Fragestellung abhängen mag, welche mikroskopischen Teilchen man als die Elementaren betrachten sollte (z.B. Elektronen
und Atomkerne, Atome oder Moleküle), werden wir die in der statistischen Physik
untersuchten Systeme zunächst verallgemeinernd als solche mit vielen mikroskopischen Freiheitsgraden bezeichnen.
Im Laufe ihres bisherigen Studiums haben sie gelernt, daß die Bewegung auf
der atomaren (mikroskopischen) Skala durch die Gesetze der Quantenmechanik
beschrieben wird. Unter gewissen einschränkenden Bedingungen kann manchmal auch die klassische Mechanik angewandt werden.1 In beiden Teilgebieten der
theoretischen Physik haben sie die physikalischen Eigenschaften von Systemen
mit nur wenigen Freiheitsgraden erfolgreich untersucht.2 Mit diesem Vorwissen
liegt es nahe, die physikalischen Eigenschaften von Systemen mit vielen Freiheitsgraden durch Anwenden der Quantenmechanik oder der klassischen Mechanik auf
das Vielteilchenproblem zu berechnen. Betrachten wir dazu ein Beispiel. Uns interessiere die Änderung des Drucks (Kraft pro Fläche) eines Gases auf einen
Kolben, wenn wir das Volumen beliebig langsam von V1 nach V2 ändern. Es wird
sofort ein grundsätzliches Problem klar. Um eine einzige Meßgröße zu berechnen
muß man bei diesem Vorgehen einen extrem großen Satz von Bewegungsglei1
In einem Gas z.B. dann, wenn die mittlere de Broglie Wellenlänge sehr viel kleiner ist, als
der mittlere Abstand der Konstituenten.
2
Es sei daran erinnert, daß in der klassichen Mechanik auch ausgedehnte Körper (z.B. Planeten) meist als Punktteilchen idealisiert werden, welche nur drei Freiheitsgrade der Bewegung
haben. Bei der Diskussion des makroskopischen starren Körpers wird auch dieser aufgrund
seiner Starrheit als ein System mit wenigen Freiheistgraden behandelt.
5
6
KAPITEL 1. EINE KURZE EINFÜHRUNG
chungen lösen und einen großen Satz von Anfangsbedingungen kennen.3 Kurzes Innehalten macht klar, daß eine alternative Herangehensweise wünschenswert
wäre und ihnen in Form der Thermodynamik auch bereits begegnet ist (siehe die
Experimentalphysik I Vorlesung). Die Thermodynamik liefert (einfache) Zusammenhänge zwischen Meßgrößen, jedoch keine mikroskopische Erklärung für die
relevanten Konzepte, wie z.B. das der Temperatur.
Im obigen Beispiel des Gasdrucks, in dem wir ausgehend von den Anfangsbedingungen des Vielteilchensystems die Bewegungsgleichungen lösen, wäre der
Druck auch nach erreichen von V2 eine Funktion der Zeit mit kleinen Fluktuationen auf sehr kurzen Zeitskalen. Fluktuationen dieser Art sind unserer Sinneswahrnehmung in sehr vielen für uns relevanten Situationen nicht zugänglich4 und
oft auch in Messungen nicht nachweisbar (nachdem V2 erreicht wurde zeigt unser
Meßgerät innerhalb der Meßzeit einen zeitlich konstanten Druck an). Wir sind
daher gar nicht an einer mikroskopisch detaillierten Beschreibung interessiert,
da wir die mikroskopischen Details der mehr als 1023 (=1 Mol) Teilchen weder kontrollieren noch messen können.5 Anders gesagt, liefert die mikroskopische
Rechnung zu viel Information und wir sind vielmehr an Mittelwerten (wie den
obigen Druck) interessiert. Dabei stellt sich sofort die Frage, ob wir Mittelwerte
über verschiedene nahezu identische Systeme oder über die Zeit bilden sollten.
Wir werden im Laufe der Vorlesung auf diesen wichtigen Punkt zurückkommen.
Die Aufgabe besteht also darin eine statistische Beschreibung zu finden, mit deren
Hilfe man viele Phänomene und Experimente beschreiben kann.
Die Stärke der statistischen Vorgehensweise besteht darin, Verfahren anzugeben, mit deren Hilfe man Zusammenhänge zwischen Kontrollparametern (dem
Volumen) und Mittelwerten (dem Druck) direkt bestimmen kann, nach der Devise: Erst mitteln und dann rechnen – nicht umgekehrt. Ziel der neuen Theorie,
der statistischen Mechanik, ist es, die Parameter zu identifizieren, die für eine
makroskopische Beschreibung am brauchbarsten sind, um die wesentlichen Eigenschaften und Gesetzmäßigkeiten von Vielteilchensystemen aufzuzeigen und
die es uns erlauben quantitative Vorhersagen zu machen. So liefert sie die mikroskopische Begründung für die Thermodynamik, die isoliert betrachtet, eine
phänomenologische Theorie darstellt. Wenn sie sich an die Vorlesung zur Experimentalphysik I zurück erinnern, so sollte ihnen klar sein, daß die Thermodynamik
Zusammenhänge zwischen makroskopischen Eigenschaften (Druck, Temperatur,
usw.) von Systemen mit vielen Freiheitsgraden liefert, ohne dabei eine mikro3
Im quantenmechanischen Fall ist es mit Hilfe von Computern möglich die Dynamik von
Systemen mit einigen hundert Freiheistgraden (auf sehr kurzen Zeitskalen) zu berechnen und
im klassischen Fall sogar für Systeme im Bereich von 104 Teilchen. Ein makroskopischer Köper
besteht jedoch aus sehr viel mehr Teilchen, nämlich meist mehr als 1023 (=1 Mol).
4
Ein Gegenbeispiel ist die Brownsche Bewegung, die in Form der Zitterbewegung von Pflanzensamen auf einer Flüssigkeitsoberfläche unter einem “einfachen” Mikroskop “sichtbar” wird.
5
In einem Experiment werden wir typischerweise nicht in der Lage sein, die Bewegung aller
Freiheitsgrade zu verfolgen.
7
skopische Begründung für diese zu geben. Die theoretische Thermodynamik ist
ebenfalls Bestandteil dieser Vorlesung. Obwohl die Grundgesetze der Dynamik
(klassisch oder quantenmechanisch) bekannt sind, stellt die Entwicklung von Begriffen und Methoden, mit denen das obige Ziel erreicht werden kann eine große
intellektuelle Herausforderung dar. Wenn man sich daran erinnert, wie aufwendig
und kompliziert bereits die (oft nur näherungsweise) Beschreibung von Systemen
mit wenigen Freiheitsgraden ist, könnte man befürchten, daß das Ziel ein quantitatives Verständis von Vielteilchensystemen zu erlangen eventuell überhaupt
nicht erreicht werden kann. Es ist hier gerade die große Zahl der Freiheitsgrade,
die es erlaubt, statistische Methoden besonders wirkungsvoll zu verwenden. Nach
dem “Gesetz der großen Zahlen” (siehe später und Vorlesungen zur Wahrscheinlichkeitstheorie und Statistik) werden die relativen Schwankungen mit Zunahme
der Zahl der Teilchen immer kleiner. Damit ergeben sich praktisch wieder Gesetzmäßigkeiten von deterministischem Typ.
Die typische Situation bei makroskopischen Systemen ist dadurch gegeben,
daß man ihren “mikroskopischen Zustand” im einzelnen nicht kennt. Diesem
trägt man Rechnung, indem man Wahrscheinlichkeitsverteilungen für die Größen
einführt, die einen Zustand festlegen. Obwohl man nur am Verhalten eines makroskopischen Systems interessiert ist, betrachtet man es in der statistischen Beschreibung so implizit als Bestandteil einer Vielzahl identischer Systeme. Gemeinsam bilden diese ein Ensemble welches durch eine Häufigkeits-(Wahrscheinlichkeits-)verteilung charakterisiert ist. Die Gesamtheit (Das Ensemble) wird durch
eine makroskopische Präparationsvorschrift festgelegt. So sollen z.B. alle Systeme
eine Energie, einen Druck und eine Teilchenzahl innerhalb einer gewissen Standardabweichung von bestimmten Sollwerten haben. Der Makrozustand ist durch
diese Vorschrift festgelegt. Im Rahmen der klassischen Mechanik (wenn anwendbar) wird dagegen ein Mikrozustand durch die Angabe aller Orte und Impulse
der 1023 Teilchen (und der Hamiltonfunktion) festgelegt und im Rahmen der
Quantenmechanik durch die Angabe der Vielteilchenwellenfunktion im Hilbertraum (und des Hamiltonoperators). Wie diese Diskussion andeutet, werden wir
also Mittelwerte über Systeme und nicht die Zeit bilden (siehe oben). Die Frage, inwieweit man ein einzelnes mechanisches System zu verschiedenen Zeiten als
Realisierung der verschiedenen Systeme eines statistischen Ensembles und damit
die entsprechenden Zeitmittelwerte als Mittelwerte einer Gesamtheit betrachten
kann, ist Gegenstand der sogenannten Ergodentheorie.
Ein weiteres kollektives Phänomen, welches sich bereits im Alltag beobachten
läßt, macht die Notwendigkeit einer neuen Herangehensweise6 offensichtlich. Den
mikroskopischen Bewegungsgesetzen ist keineswegs anzusehen, daß Wasser bei
Erhöhung des Drucks oder Erniedrigung der Temperatur fest wird. Die statisti6
“Neu” verglichen mit der “brute force” Lösung der mehr als 1023 Bewegungsgleichungen
(seien sie quantenmechanisch oder klassisch) unter Berücksichtigung einer entsprechenden Zahl
von Anfangsbedingungen.
8
KAPITEL 1. EINE KURZE EINFÜHRUNG
sche Beschreibung des Phänomens der Phasenübergänge wird wichtige Beiträge
zum Verständnis dieser beitragen.
Man unterscheidet in der statistischen Mechanik und auch der Thermodynamik zwischen der Beschreibung von Gleichgewichtssituationen und des Nichtgleichgewichts – Begriffe, die wir hier noch nicht genau definieren wollen, sondern
davon ausgehen, daß sie ein intuitives Verständnis von ihnen haben. Zur ersten
Problemklasse gehören einfache thermodynamische Zusammenhänge von Gasen
aber auch Aussagen zu magnetischen Eigenschaften von Festkörpern. Ebenfalls
in diese Klasse fällt die Betrachtung von Phasenübergängen (z.B. fest-flüssiggasförmig aber auch magnetisch-nichtmagnetisch). In der Nichtgleichgewichtsphysik kann man einerseits zwischen Störungen des Gleichgewichts mit kleinen
Amplituden – die man in der sogenannten linearen Antworttheorie untersucht
– und der “echten” Nichtgleichgewichtssituation unterscheiden und andrerseits
zwischen Systemen, die sich einem Gleichgewichtszustand annähern (Relaxation
abgeschlossener Systeme), und solchen, die durch eine äußere Störung getrieben werden. Sowohl Fragen der Gleichgewichts- (z.B. sogenannte Quantenphasenübergänge oder der Glasübergang) wie auch der Nichtgleichgewichtsphysik
sind Gegenstand der aktuellen Forschung in der Vielteilchenphysik.
Wie die obigen Überlegungen andeuten, werden wir in dieser Vorlesung mit
der statistischen Mechanik beginnen und die Thermodynamik aus ihr herleiten.
In der Literatur werden sie ebenfalls die alternative Herangehensweise finden, in
der die Thermodynamik als eigene phänomenologische Theorie ihrer statistischen
Begründung voran gestellt wird. Konzeptionell bietet es sich meist an (siehe unten), bei der Beschreibung der Konstituenten des makroskopischen Systems die
Quantenmechanik zu verwenden.7 Wenn es uns angebracht erscheint, werden wir
den klassischen Limes diskutieren oder gleich mit einer klassischen Beschreibung
starten.
7
Das gilt, obwohl wir im ersten Beispiel im nächsten Kapitel gleich eine Ausnahme betrachten wollen.
Kapitel 2
Grundüberlegungen
2.1
Eigenschaften makroskopischer Systeme
Wir betrachten als einfaches Beispiel eines makroskopischen Systems ein Gas
aus N ≫ 1 gleichartigen Atomen oder Molekülen welches sich in einem Gefäß
mit Volumen V befinde. Das System sei idealisierend als isoliert betrachtet, das
heißt, es stehe mit keinem weiteren System in Kontakt. Weiterhin nehmen wir
an, daß das System für längere Zeit sich selbst überlassen, also nicht gestört,
wurde. Diese beiden Annahmen zusammenfassend bezeichnet man das System
als abgeschlossen. Wir nehmen an, daß das Gas hinreichend verdünnt ist, d.h. die
Anzahl der Teilchen pro Volumeneinheit wird als klein angenommen. Damit ist die
mittlere Entfernung zwischen den Teilchen groß1 und es kommt selten zu Stößen
zwischen den Teilchen und mit der Wand. Wir sind dabei davon ausgegangen, daß
die Wechselwirkung zwischen den Teilchen und mit der Wand kurzreichweitig ist,
so daß das Konzept “Stoß” sinnvoll ist. Die potentielle Energie der N Teilchen
ist daher sehr viel kleiner als ihre kinetische Energie und man bezeichnet das Gas
als ideal.
Um Komplikationen der Quantenmechanik, wie z.B. die aus der Ununterscheidbarkeit folgenden (siehe die Theorie III Vorlesung), zu vermeiden, nehmen
wir weiterhin an, daß das Gas so verdünnt ist, daß die mittlere de Broglie Wellenlänge λ = h/|~p| der Teilchen sehr viel kleiner als der mittlere Teilchenabstand
ist. In diesem Fall ist eine klassische Beschreibung der Teilchen näherungsweise
zulässig.
Beobachten wir das Gas über ein Zeitintervall, so wird uns die Bewegung des
Gases als recht “durcheinander” erscheinen, obwohl die Bewegung jedes einzelnen
Teilchens im mikroskopischen sehr simple ist. Jedes Teilchen bewegt sich geradlinig mit konstanter Geschwindigkeit bis auf die Zeiten in denen die “seltenen”
Stöße auftreten.
1
Ich gehe davon aus, daß sie auch ohne genauer Definition eine Vorstellung davon haben,
was die mittlere Entfernung ist.
9
10
KAPITEL 2. GRUNDÜBERLEGUNGEN
Gedanklich teilen wir das Volumen V nun in zwei gleich große Teile (den linken
und den rechten Teil), die beide eine identische Form haben. Die Teilchenzahlen
in den jeweiligen Teilen bezeichnen wir mit N ′ und N ′′ , wobei N = N ′ + N ′′ . Für
sehr große N “erwarten” wir, daß für gewöhnlich N ′ ≈ N ′′ gilt. Sicherlich gilt
diese Aussage nur näherungsweise (daher das ≈-Zeichen), da sich die Moleküle ja
bewegen und vom einen in den anderen Teil des Behälters übergehen können. Die
Zahl N ′ (und damit auch N ′′ = N − N ′ ) wird also fluktuieren, aber “für gewöhnlich” werden diese Fluktuationen um N/2 “klein” (gegenüber N) sein. Um die in
Anführungsstrichen stehenden Begriffe genauer zu fassen wollen wir uns die Frage
nach den Wahrscheinlichkeiten des Auftretens gewisser Konfigurationen stellen.
Ein Teilchen kann in unserer Überlegung in zwei Konfigurationen vorkommen.
Es kann im linken oder rechten Volumen sein. Da beide Hälften identisch sind,
ist die Wahrscheinlichkeit für jede der beiden Konfigurationen 1/2. Dabei ist die
Wahrscheinlichkeit als die relative Häufigkeit von “Teilchen links” bzw. “Teilchen
rechts” im idealisierten Limes einer unendlichen Zahl von Beobachtungen definiert. Genauer replizieren wir unser System (also hier konkret ein Gasteilchen im
Behälter mit Volumen V ) sehr häufig – betrachten es also als Teil eines Ensembles
– und schauen zu einer gegebenen Zeit t nach, in wievielen der Replikas das Teilchen im linken Volumen ist. Die relative Häufigkeit dieser Beobachtung wird im
Limes eines großen Ensembles gegen 1/2 gehen. Es wird aus dieser Grundüberlegung sofort klar, daß die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten einer spezifischen
Konfiguration im Fall von N Teilchen durch
P =
1
2N
gegeben ist. Wir gehen dabei davon aus, daß die identischen Teilchen unterscheidbar sind (also z.B. numeriert oder dadurch unterscheidbar, daß wir alle
Teilchenbahnen verfolgen). Betrachten wir zunächst die Grenzfälle (a) N ′ = N
und (b) N ′ = N/2, so kann man sich sehr schnell klar machen, daß es nur eine
Konfiguration mit (a) aber, für große N, sehr viele Konfigurationen mit (b) gibt.
Die Wahrscheinlichkeit für (a) ist somit
PN ′ =N =
1
2N
während die für (b) durch
PN ′ =N/2 =
C(N ′ = N/2)
≫ PN ′ =N
2N
gegeben ist, da C(N ′ = N/2) ≫ C(N ′ = N) = 1 gilt. So ergibt sich bereits für
N = 4, C(2) = 6 aber C(4) = 1 und damit P2 = 3/8 aber P4 = 1/16. Wir würden
die Verteilung mit N ′ ≈ N/2 als ungeordnet bezeichnen und die mit N ′ = N als
“geordnet”. Wir können schließen, daß die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten
2.1. EIGENSCHAFTEN MAKROSKOPISCHER SYSTEME
11
von gleichförmigen, ungeordneten Verteilungen sehr viel größer ist als die von
“geordneten” oder noch konsequenter formuliert: Ist die Gesamtzahl der Teilchen
N sehr groß, so kommen Verteilungsschwankungen die zu einer verhältnismäßig
uneinheitlichen Teilchenverteilung führen so gut wie nie vor. Mit ∆N = N ′ −N/2
weisen nur Werte von N ′ mit |∆N|/N ≪ 1 eine signifikante Häufigkeit auf.
Wir könnten nun auf die Idee kommen, statt eines Ensembles vieler identischer
Systeme zu fester Zeit, ein System über eine längere Zeit zu beobachten. Die Zahl
N ′ in der linken Hälfte des Systems wäre dann eine Funktion der Zeit, die um
den Mittelwert N/2 schwankt.
Unser klassisches Gas wird eindeutig beschrieben, wenn wir zu jedem Zeitpunkt “alles” über seinen Mikrozustand wissen, also Informationen über alle
Teilchenkoordinaten und -geschwindigkeiten haben. Mikroskopisch betrachtet ist
die Bewegung komplex. Sind wir dagegen nur am Makrozustand interessiert wird
sich die Situation generisch als einfacher herausstellen. Um das zu begreifen, sollten wir zunächst festlegen, was wir unter dem Makrozustand verstehen möchten.
Auf den ersten Blick mag die genaue Definition davon abhängen, welche Fragen
über das System wir beantworten möchten. Ein Beispiel dafür wodurch ein Makrozustand festgelegt wird, könnte die Teilchenzahl N ′ in der linken Hälfte des
Volumens sein.2 Betrachten wir N ′ (t) vom Zeitpunkt t1 an über das Intervall ∆t
und von t2 an aus ebenfalls über das Intervall ∆t (wobei t2 > t1 + ∆t gelten soll),
so sehen die beiden Funktionen qualitativ ähnlich aus. Die Teilchenzahl N ′ wird
um N/2 herum schwanken, mit typischen Abweichungen von N/2 die in beiden
Fällen identisch sind. Jegliche Abweichung von diesem Verhalten, also z.B. große
Fluktuationen, sind für große N so unwahrscheinlich, daß sie praktisch ausgeschlossen ist. Man sagt dann, daß der Makrozustand des Gases zeitlich konstant
ist und sich das System im Gleichgewicht befindet.
Wir wollen nun die Situation betrachten, daß das Volumen durch eine reale
Trennwand zunächst in zwei gleich große Teile getrennt wird und sich alle Teilchen in der linken Hälfte befinden, also gilt N ′ = N. Wird die Trennwand zur
Zeit t = 0 entfernt, so befindet sich das Gas sicherlich nicht im gerade diskutierten Gleichgewichtszustand. Im Laufe der Zeit wird sich das Gas auf das ganze
Volumen ausbreiten und entwickelt sich vom “geordneten” in den “ungeordneten” Zustand mit N ′ ≈ N/2, wobei diese Tendenz von kleinen Fluktuationen
überlagert sein wird. Das System relaxiert in seinen Gleichgewichtszustand. Diese Feststellung sagt jedoch nichts über die Zeitskala aus, über die die Relaxation
stattfindet. In der Natur können solche Zeitskalen über Größenordnungen variieren. Die Aussage über das Streben in einen Gleichgewichtszustand besagt, daß
sich ein isoliertes System, das sich zeitlich ändert dies immer in eine ganz bestimmte Richtung tun wird. Würde man einen Film der zeitlichen Entwicklung
2
Eine etwas feinere makrsokopische Beschreibung könnten wir dadurch erlangen, daß wir
das Volumen nicht nur in zwei gleich große, sondern M gleich große unterteilen und bestimmen
wieviele Teilchen sich jeweils in den Teilvolumina befinden. Dabei sollte V /M noch so groß sein,
daß sich im “Normalfall” viele Teilchen darin befinden.
12
KAPITEL 2. GRUNDÜBERLEGUNGEN
nach entfernen der Trennwand drehen, so könnte man beim Abspielen des Films
feststellen, ob er vorwärts oder rückwärts abläuft. Würde man einen analogen
Film nach erreichen des Gleichgewichts drehen, so ist es nicht möglich zu entscheiden ob dieser vorwärts oder rückwärts abläuft. Diese Überlegungen führen
auf das Konzept der Irreversibilität. Ein Prozeß wird als irreversibel bezeichnet,
wenn seine zeitliche Umkehr (praktisch) nie vorkommt. Nach den obigen Überlegungen sollte klar sein, daß man dem idealisierten Konzept der Irreversibilität
immer näher kommt, je größer die Zahl der Teilchen N im System ist. Im Alltag
haben wir es ständig mit Systemen zu tun, die sich nicht im Gleichgewicht befinden. Damit wird klar, warum die Zeit für uns eine eindeutige Richtung zu haben
scheint. Nur dadurch können wir zwischen Vergangeheit und Zukunft unterscheiden. Die mikroskopischen Bewegungsgesetze zeichnen dagegen keine Richtung der
Zeit aus. Eine solche ergibt sich nur, wenn wir es mit einem isolierten makroskopischen System zu tun haben von dem wir wissen, daß es sich zu einer Zeit t0 in
einem besonders “geordneten” Zustand befunden hat.
Wir wollen uns nun die Frage stellen, wie die im abgeschlossenen Gassystem
konstante Gesamtenergie E auf die Freiheitsgrade verteilt ist. Da wir ein ideales
Gas voraussetzen, ist die potentielle Energie gegenüber der kinetischen Energie
vernachlässigbar. Jedes einzelne Teilchen hat die durch seine Geschwindigkeit
P
gegebene kinetische Energie ǫi = m~vi2 /2, mit i = 1, 2, . . . , N und E = N
i=1 ǫi .
Die Frage ist nun, wie E über die ǫi verteilt ist. Analog zu den Überlegungen
oben sollte klar sein, daß es (bei festem E) sehr viel mehr Konfigurationen gibt,
in denen viele Teilchen eine Energie ǫi ≈ E/N haben als solche, in denen ein paar
Teilchen eine sehr hohe Energie tragen und die Restlichen in Ruhe sind. Aufgrund
von Stößen, würde sich dieser Nichtgleichgewichtszustand auch nicht lange halten.
Grob gesprochen (“in nullter Näherung”) wird die kinetische Energie also so
über die Teilchen verteilt sein, daß in der Verteilung der Einteilchenenergien ein
scharfes Maximum in der Nähe von E/N auftritt.
Wie wir uns jetzt klar machen wollen, kann man die Dämpfung eines schwingenden Pendels in einem Gas als Effekt des Strebens des Gesamtsystems in einen
ungeordneten Zustand (viele Konfigurationen) verstehen. Wir betrachten dazu
einen abgeschlossenen Behälter in dem sich ein ideales Gas (gleiche Teilchen) befindet und ein Pendel schwingt. Reibungseffekte die sich durch die Aufhängung
ergeben wollen wir vernachlässigen. Die Pendelschwingung wird nun dadurch
gedämpft, daß das Pendel mit den Gasmolekülen stößt. Die große Energie des
Pendels (große Masse verglichen mit der Molekülmasse) wird sukzessive auf die
Moleküle übertragen. Wenn das Pendel (auf makroskopischer Skala) zur Ruhe gekommen ist, ist ein weniger geordneter Zustand erreicht und das Gesamtsystem
ist im Gleichgewicht.
Zwei makroskopische Systeme können miteinander in Wechselwirkung stehen
(sind also jeweils nicht isoliert) und Energie austauschen. Dabei unterscheidet
man zwischen zwei Fällen. Im ersten, wird beim Energieaustausch makroskopisch erkennbare Arbeit verrichtet. Dies ist z.B. dann der Fall, wenn sich eine
2.1. EIGENSCHAFTEN MAKROSKOPISCHER SYSTEME
13
zur Zeit t = 0 gelockerte, verschiebbare Trennwand zwischen zwei idealen Gasen
bewegt. Ein Energieaustausch kann aber auch so stattfinden, daß keine makroskopisch erkennbare Arbeit verrichtet wird. Man bezeichnet diese Wechselwirkung
als thermisch. Die Energie wird dabei nur im atomaren Bereich übertragen. Die
übertragene Energie bezeichnet man als Wärme – im Gegensatz zur obigen Arbeit. Für zwei ideale Gase ist diese Situation z.B. dann realisiert, wenn sie durch
eine makroskopisch unbewegliche Trennwand getrennt sind. Die Gasmoleküle auf
der einen Seite stoßen dann mit den Molekülen der Trennwand und diese mit den
Gassmolekülen auf der anderen Seite. Auf diese Art wird Energie auf atomarer
Ebene ausgetauscht.
Wir wollen nun zwei beliebige Systeme A und A′ betrachten, die in termischem
Kontakt sind. Dabei könnte es sich um zwei Gasvolumina handeln, aber z.B. auch
um ein Metallwürfel A in einem mit Wasser gefüllten Gefäß A′ . Das Gesamtsystem
sei abgeschlossen. Damit ist die Summe der Energien in den Teilsystemen E +
E ′ konstant (erhalten). Wir stellen nun die Frage, wie die Gesamtenergie auf
die Teilsysteme aufgeteilt ist. Nehmen wir an, daß sich das Gesamtsystem im
Gleichgewicht befindet, so ist die Energieverteilung so festgelegt, daß sich für das
Gesamtsystem eine größt mögliche Zahl von mikroskopischen Zuständen ergibt
in der diese Energieverteilung realisiert ist. Betrachten wir zunächst den Fall,
daß beide Teilsysteme Gase aus gleichen Molekülen sind. In diesem Fall ist aus
unseren obigen Überlegungen klar, daß der “zufälligste” Zustand derjenige ist, in
dem jedes Teilchen die gleiche (mittlere) Energie hat. Es gilt somit ungefähr
ǫ=
E
E′
= ′ = ǫ′ ,
N
N
wobei N und N ′ die Zahl der Moleküle in A und A′ sind. Angenommen, daß A
und A′ anfangs getrennt voneinander im Gleichgewicht sind. Die Anfangsenergien
Ea und Ea′ werden dann im Allgemeinen so sein, daß ǫa 6= ǫ′a gilt. Das Zusammengesetzte und in thermischem Kontakt stehende System ist daher nicht im
Gleichgewicht. Die beiden Systeme werden nachdem sie in thermischen Kontak
gebracht wurden also Energie in Form von Wärme austauschen, bis ǫe = ǫ′e . Dabei
gilt natürlich Ea + Ea′ = Ee + Ee′ und daher
∆E + ∆E ′ = 0 ,
wobei ∆E = Ee − Ea und analog für ∆E ′ . Mit der Bezeichnung Q = ∆E bzw.
Q′ = ∆E ′ für die bei der Wechselwirkung von A bzw. A′ absorbierten Wärme
folgt Q + Q′ = 0. Dabei kann die absorbierte Wärme auch negativ sein. Falls
nicht Q = Q′ = 0 gilt, die Systeme also bereits vor dem Herstellen des thermischen Kontakts im Gleichgewicht waren, muß entweder Q > 0 und Q′ < 0 oder
umgekehrt gelten. Das System (A oder A′ ) welches nach dem Herstellen des Kontakts und erreichen des Gleichgewichts eine positive absorbierte Wärme hat, wird
als das (vorher) kältere bezeichnet – das andere ist dann das (vorher) wärmere.
14
KAPITEL 2. GRUNDÜBERLEGUNGEN
Es ist zu betonen, daß dieses die erste Stelle ist, an der wir Bezug zum Konzept einer relativen Temperatur machen. Dieses verwenden wir nun, wenn wir zur
allgemeineren Situation übergehen, daß die beiden Teilsysteme aus unterschiedlichen Atomen bestehen und sich beide womöglich in unterschiedlichen Phasen
(z.B. das oben zitierte Beispiel fest/flüssig) befinden. Wir können davon ausgehen, daß sich unsere obigen Überlegungen qualitativ weiter anwenden lassen. Es
sollte also für jedes der Teilsysteme einen Parameter T , die Temperatur, geben
der proportional zur mittleren Energie eines Atoms/Moleküls dieses Teilsystems
ist. Für den Gleichgewichtszustand, der der “zufälligsten” Energieverteilung entspricht soll dann die Bedingung T = T ′ gelten. An dieser Stelle kann das so
eingeführte Konzept einer absoluten Temperatur nicht genauer definiert werden,
ohne, daß wir genau festlegen, was wir unter dem Grad der Zufälligkeit verstehen wollen. Dies werden wir später nachholen. Eine Temperatur (nicht absolute
Temperatur) läßt sich nach obigen Überlegungen jedoch dadurch festlegen, daß
wir sie auf ein bestimmtes Thermometer beziehen. Unter diesem versteht man
ein beliebiges “kleines” aber makroskopisches System, bei dem sich ein makroskopischer Parameter ändert, wenn es Wärme absorbiert. Diesen bezeichnet man
als den thermometrischen Parameter θ. Dabei sollte das Thermometer “klein”
sein, damit das System A mit dem es bei der Temperaturmessung in Kontakt gebracht wird, möglichst wenig gestört wird, d.h. die ausgetauschte Wärmemenge
gegenüber der Gesamtenergie von A vernachlässigbar ist. Auch das Konzept der
Temperatur in Bezug auf ein spezifisches Thermometer ist bereits sehr hilfreich,
da wir z.B. lernen können, daß zwei Systeme A und A′ mit θA = θA′ wenn wir sie
in thermischen Kontakt bringen keine Wärme austauschen werden.
Wir haben hier häufig das ideale Gas als ein typisches Beispielsystem betrachtet um einige wesentliche Konzepte der statitsischen Mechanik einzuführen. Ein
wesentlicher Teil der Vorlesung wird darin bestehen die vorgestellten Ideen systematisch auszuarbeiten. Ein weiteres einfaches Beispielsystem welches gerne zur
Illustration herangezogen wird, ist das System von N idealen Spins. Physikalisch
spielt es zur Erklärung des Phänomens des Magnetismus eine wichtige Rolle. Wir
betrachten eine Ansammlung von N identischen Teilchen (z.B. einen Typ von
Atomen oder Ionen eines Festkörpers), bei dem jedes Teilchen (im einfachsten
Fall) einen Spin-1/2 trägt und damit ein magnetisches Moment ±µ0 (siehe Vorlesung Theorie III). Zur Vereinfachung nehmen wir an, daß die Teilchen sich nicht
bewegen können (Festkörper), so daß der Spin den einzigen Freiheitsgrad darstellt. Das Spinsystem wird als ideal bezeichnet, wenn die Spins praktisch nicht
wechselwirken, was der Fall ist, wenn der mittlere räumliche Abstand der Spins
so groß ist, daß das aus den magnetischen Momenten der anderen Spins resultierende Magnetfeld an der Position jedes Spins praktisch vernachlässigbar ist.
Die Restwechselwirkung führt dazu, daß sich die Richtung der Spins mitunter
ändert (entspricht dem “seltenen” Stoß im idealen Gas). Identifiziert man nun
“linke Hälfte” mit “Spin rauf” und “rechte Hälfte” mit “Spin runter”, so kann
man Überlegungen völlig analog zum idealen Gas anstellen.
2.2. GRUNDBEGRIFFE DER MATHEMATISCHEN STATISTIK
15
Dieses Kapitel abschließend sollte angemerkt werden, daß das hier diskutierte
Verhalten von makroskopischen Systemen wie z.B. die Annäherung an einen zeitlich konstanten Gleichgewichtszustand, mit Alltagsbeobachtungen im Einklang
steht, daß es aber durchaus Ausnahmen davon geben kann. So gibt es z.B. spezielle Typen von Systemen, die bei spezieller Wahl der Systemparameter und bei spezieller Wahl von Anfangszuständen nicht in ein zeitunabhängiges Gleichgewicht
relaxieren. Die Untersuchung der Relaxation wechselwirkender Vielteilchensysteme ist Gegenstand aktueller experimenteller und theoretischer Forschung.
2.2
Grundbegriffe der mathematischen Statistik
Aus den obigen physikalischen Überlegungen sollte klar geworden sein, daß wir
uns mit den grundlegenden mathematischen Konzepten der Wahrscheinlichkeitstheorie vertraut machen müssen um die statistische Physik entwickeln zu können.
Im Folgenden bietet es sich an, als konkretes Beispiel den Wurf eines Würfels
im Hinterkopf zu haben. Den Begriff der Wahrscheinlichkeit pi für ein bestimmtes
Ereignis i definieren wir als das Verhältnis der Zahl des Auftretens Ni von i und
der Gesamtzahl der Versuche N im Limes großer N, also
Ni
.
N →∞ N
pi = lim
In der Praxis muß N oft nur “hinreichend” große sein. Aus der Definition folgt
sofort, daß
X
pi = 1
i
gilt, wobei die Summe über alle möglichen Ausgänge eines Versuchs geht. Man
kann die Wahrscheinlichkeiten pi nun auf zwei Arten bestimmen. Eine Möglichkeit
wäre es den Versuch an einem System immer wieder auszuführen (Zeitmittel),
eine andere an einem Ensemble N identischer Systeme gleichzeitig den Versuch
auszuführen (Ensemblemittel). Sind i und j zwei sich ausschließende Ereignisse,
so gilt für die Wahrscheinlichkeit pi oder j , daß i oder j eintritt
pi oder j = pi + pj .
Die Wahrscheinlichkeit pi,j , daß bei zwei Systemen das erste im Zustand i und
das zweite im Zustand j ist, ist durch
pi,j = pi pj
gegeben. Der Mittelwert (Erwartungswert) für eine beliebige Systemgröße x die
in i den Wert xi annimmt ist bei vorgegebenen pi durch
X
hxi =
pi xi
i
16
KAPITEL 2. GRUNDÜBERLEGUNGEN
definiert, wobei die Summe über alle möglichen Ereignisse geht. Diese Definition
läßt sich sofort auf eine Funktion f von x übertragen
X
hf (x)i =
pi f (xi ) .
i
Die Schwankung ∆x von x ist durch
1/2
∆x = (x − hxi)2
definiert. Wie man leicht nachrechnet gilt äquivalent
1/2
.
∆x = x2 − hxi2
Anhand des eindimensionalen sogenannten random walk wollen wir nun fortgeschrittenere Konzepte der Wahrscheinlichkeitstheorie diskutieren. Wir wollen
zunächst das mathematische Problem beschreiben und dann ein Beispiel für das
Auftreten des random walk in der statistischen Physik diskutieren. In einem eindimensionalen random walk werden N Schritte auf einer Geraden (der x-Achse)
ausgeführt. Der random walk startet bei x = 0. Ein Schritt besteht aus einem
Sprung um δx = ±1. Der Sprung um +1 erfolgt mit Wahrscheinlichkeit p der um
−1 mit q. Es gilt p + q = 1. Die einzelnen Schritte sind unabhängig voneinander.
Zusammen geben die Zahl der positiven n+ und negativen Schritte n− die Gesamtzahl, also n+ + n− = N. Wir wollen nun die folgenden Größen bestimmen:
(i) Die Wahrscheinlichkeit PN (m) nach N Schritten bei x = m = n+ − n− anzukommen, was der Wahrscheinlichkeit WN (n) entspricht, daß n = n+ = m + n−
positive Schritte ausgeführt wurden. (ii) Die Mittelwerte hmi und hni. (iii) Die
Schwankungen ∆m und ∆n. (iv) Die kontniuierliche Verteilung die sich im Limes
großer N ergibt.
Als physikalisches Beispiel betrachten wir ein eindimensionales Gitter bei
dem auf jedem Gitterpunkt ein Spin-1/2 mit Betrag des magnetischen Moments
µ0 sitzt. Wie wir später genauer verstehen werden nimmt die z-Komponente
~ = B~ez die Werte ~/2 mit Wahrdes Spins in einem äußeren Magnetfeld B
scheinlichkeit p = c exp (−µ0 B/[kB T ]) und −~/2 mit Wahrscheinlichkeit q =
c exp (µ0 B/[kB T ]) an. Dabei bezeichnet T die absolute Temperatur und kB ≈
8.617 · 10−5 eV/K ist die sogenannte Boltzmannkonstante. Die Normierungskonstante c ist so zu bestimmen, daß p + q = 1. In diesem Beispiel gibt PN (m) die
Wahrscheinlichkeit an, daß bei N Spins die Anzahl der zu B parallelen magnetischen Momente um m größer ist als die Zahl der antiparalellen (und damit ein
Gesamtmoment mµ0 vorliegt). Ein weiteres physikalisches Beispiel in dem der
random walk in zwei Dimensionen eine Rolle spielt ist die Brownsche Bewegung.
Wir kehren nun zur abstrakten Sichtweise zurück und stellen die Frage nach
der Wahrscheinlichkeit für eine bestimmte Abfolge von Schritten, z.B. den Fall
(+1, −1, −1, +1, +1). Diese ergibt sich zu
pqqpp = p3 q 2 .
17
2.2. GRUNDBEGRIFFE DER MATHEMATISCHEN STATISTIK
Es gibt natürlich weitere Wege, die bei N = 5 zu m = 1 bzw. n+ = n = 3 führen.
Da sich diese Wege gegenseitig ausschließen, sind die Wahrscheinlichkeiten für
diese zu addieren, wenn man P5 (1) bestimmen möchte. Da alle Wahrscheinlichkeiten gleich sind (es müssen immer 3 Vorwärtsschritte und 2 Rückwärtsschritte
auftreten), müssen wir nur noch die Zahl der möglichen Abfolgen bestimmen. Es
gibt 5! Möglichkeiten 5 Dinge aneinander zu reihen. Sind dabei 3 Dinge identisch,
so unterscheinden sich die 3! Permutationen dieser Dinge nicht. Damit folgt für
unser Beispiel, daß es 5!/(3!2!) = 10 verschiedene Wege mit m = 1 gibt. Die
Wahrscheinlichkeit nach 5 Schritten zu m = 1 zu gelangen ist somit
5! 3 2
P5 (1) = W5 (3) =
pq =
3!2!
5 3 2
pq
3
mit dem Binomialkoeffizienten 53 . Die obigen Überlegungen lasse sich sofort
verallgemeinern und wir erhalten
N n N −n
p q
,
PN (m) = WN (n) =
n
n=
N +m
.
2
(2.1)
Man bezeichnet diese Wahrscheinlichkeitsverteilung als die Binomialverteilung.
Sie ist in den folgenden Abbildungen für p = q = 1/2 (links) und p = 1/4,
q = 3/4 (rechts) dargestellt.
0.1
W50(n)
W50(n)
0.1
0.05
0
0
10
20
n
30
40
50
0.05
0
0
10
20
n
30
40
50
In Gl. (2.1) kann n die Werte 0, 1, . . . , N annehmen. Damit gilt
N
X
N X
N n N −n
p q
= (p + q)N = 1 ,
WN (n) =
n
n=0
n=0
also die Normierungsbedingung.
Wir wollen nun den Mittelwert hni und die Schwankung ∆n berechnen. Es
18
KAPITEL 2. GRUNDÜBERLEGUNGEN
gilt
N
X
N n N −n
p q
hn+ i = hni =
n
n
n=0
N X
∂ n N −n N
p
=
p q
n
∂p
q+p=1
n=0
∂
= pN(p + q)N −1 q+p=1
(p + q)N = p
∂p
q+p=1
= Np .
Es gilt dabei zu beachten, daß man erst nach Ausführen der Ableitung q + p =
1 setzen darf. Völlig analog gilt hn− i = Nq, woraus hmi = hn+ i − hn− i =
N(p − q) folgt. Für die späteren Überlegungen ist es wichtig festzustellen, daß
die Mittelwerte mit N anwachsen. Die Schwankung können wir auf ähnliche Art
bestimmen. Wir berechnen zunächst
N
X
2
2 N
pn q N −n
n
n
=
n
n=0
∂ ∂
∂
N
N −1 = p
=p
p (p + q) pN(p + q)
∂p ∂p
∂p
q+p=1
2
q+p=1
2
= Np + N(N − 1)p = Npq + hni .
Hieraus folgt
∆n =
2 1/2 p
n − hni2
= Npq .
Im Gegensatz zum Mittelwert, wächst die Schwankung nur mit
relative Breite der Verteilung WN (n) folgt damit
r
q 1 N→∞
∆n
√
−→ 0
=
hni
p N
√
N an. Für die
Die relative Breite wird also mit wachsendem N immer kleiner und tendiert gegen
Null. Betrachtet man somit statt der Variablen n = n+ (bzw. m) die Größe
n/N (bzw. m/N) für die hn/Ni = p (bzw. hm/Ni = p − q) gilt, so wird die
Verteilung dieser im Limes N → √
∞ scharf um den Mittelwert lokalisiert, genauer
ihre Schwankungen gehen wie 1/ N gegen Null. Diese Beobachtung wird später
eine zentrale Rolle in unseren Überlegungen spielen. Grob formuliert bedeutet
dieses Ergebnis, daß die Schwankungen bei wachsendem N eine immer weniger
wichtige Rolle spielen.
In einem nächsten Schritt werden wir die Bedeutung der Gaußschen Verteilung kennenlernen. Wir wollen die Binomialverteilung Gl. (2.1) für kleine Abweichungen vom Mittelwert n − hni entwickeln. Da WN (n) Faktoren wie pn und n!
2.2. GRUNDBEGRIFFE DER MATHEMATISCHEN STATISTIK
19
enthält, die sehr stark von n abhängen (also stark variieren, wenn man n variiert)
ist es besser diese Funktion nicht direkt zu entwickeln (dies würde zu schlechter
Konvergenz führen), sondern ln WN (n) zu betrachten.3 Es gilt
ln WN (n) = ln N! − ln n! − ln (N − n)! + n ln p + (N − n) ln q .
Für die Taylorentwicklung benötigen wir die Ableitungem dieses Ausdrucks nach
n an der Stelle hni.4 Die Ableitung von ln n! nähern wir durch den Differenzenquotienten an, was eine gute Näherung für n ≫ 1 darstellt
d ln n!
ln (n + 1)! − ln n!
≈
= ln (n + 1) ≈ ln n .
dn
1
Gilt hni = Np ≫ 1 und N − hni = Nq ≫ 1, d.h. zusammengefaßt Npq ≫
1, so können wir diese Näherung zur Bestimmung der Ableitung von ln n! und
ln (N − n)! bei der Berechnung der Taylorkoeffizienten verwenden. Dies führt auf
d ln WN (n) = [− ln n + ln (N − n) + ln p − ln q]n=hni = 0 .
dn
n=hni
Für Npq ≫ 1 hat die Verteilung somit ein Maximum5 am Mittelwert. Für die
zweite Ableitung gilt
1
1
1
1
d2 ln WN (n) = − −
=−
=−
<0.
2
dn
n N − n n=hni
Npq
(∆n)2
n=hni
Wir erhalten somit für n in der Nähe von hni
und damit
(n − hni)2
3
ln WN (n) = ln WN (hni) −
+
O
[n
−
hni]
2(∆n)2
(n − hni)2
WN (n) ≈ WN (hni) exp −
,
2(∆n)2
Gehen wir nun zu einer kontinuierlichen Variablen n über, so sollten sie die
genäherte Verteilung als eine Gaußverteilung mit Mittelwert hni und Standardabweichung (Schwankung) ∆n erkennen.
3
Machen sie sich die Frage der Konvergenz der Funktion bzw. des Logarithmus der Funktion
anhand des Beispiels f (n) = pn , mit einer Konstanten p klar!
4
Die Variable n ist natürlich zunächst nur für n ∈ N0 definiert. Man kann WN (n) aber auf
reelle n erweitern, in dem man den Zusammenhang Γ(n + 1) = n! verwendet (siehe Übung).
5
Es ist anschaulich klar, daß es sich um ein Maximum handeln muß. Formal wird das durch
die zweite Ableitung bestätigt.
20
KAPITEL 2. GRUNDÜBERLEGUNGEN
Für eine große Zahl von Schritten N ergibt sich die Variable n in unserem
Beispiel des eindimensionalen random walk als Summe einer großen Zahl von Zufallsvariablen. Es ist eine generelle Beobachtung (siehe die Literatur über Wahrscheinlichkeitstheorie), daß solche Summen unabhängiger Variablen für große
N gegen eine Gaußverteilung (Normalverteilung) konvergieren (zentraler Grenzwertsatz). Man zeigt das am einfachsten mit Hilfe der sogenannten erzeugenden
Funktion einer Wahrscheinlichkeitsverteilung, was nichts anderes als die FourierTransformierte der Verteilung ist.
Für kontinuierliche Wahrscheinlichkeitsverteilungen P (x) ≥ 0 mit x ∈ I gilt
Z
1 =
P (x) dx ,
I
Z
hxi =
x P (x) dx ,
I
1/2
∆x = (x − hxi)2
.
2.3
Die mikrokanonische Zustandssumme
Nach diesem Ausflug in die Mathematik wollen wir nun den Begriff des Mikrozustands eines (Vielteilchen-) Systems genauer definieren. Der Mikrozustand muß
eine vollständige mikroskopische Beschreibung des Systems liefern.
Für eine Beschreibung von abgeschlossenen Systemen (keine Zeitabhängkeit
des Hamitonoperators Ĥ) im Rahmen der Quantenmechanik wählen wir als Mikrozustände die Eigenzustände des (Vielteilchen-) Hamiltonoperators Ĥ mit Eigenwerten Er . Es gilt also Ĥ |ri = Er |ri. Es sollte klar sein, daß die Vielteilcheneigenzustände für ein System mit f Freiheitsgraden in dem die Wechselwirkung
der Konstitutenen vernachlässigt wird, von f Quantenzahlen nj abhängt. Beispiele dafür sind das ideale Gas und das oben erwähnte ideale Spinsystem die sie
in den Übungen genauer diskutieren werden. Durch die Angabe von
r = (n1 , n2 , . . . , nf )
wird damit der Mikrozustand eindeutig festgelegt. Wir können davon ausgehen,
daß die Quantenzahlen diskret sind. Im Beispiel des idealen Gases aus Atomen
ergibt sich dieses dadurch, daß wir das abgeschlossenen System zunächst in ein
endliches Volumen einschließen. Für die späteren Überlegungen ist es wichtig
festzuhalten, daß es bei fest vorgegebener Energie eine endliche Anzahl von Mikrozuständen gibt.
In der klassischen Mechanik wird der Mikrozustand eines abgeschlossenen
Systems durch die Angabe der verallgemeinerten Koordinaten (q1 , q2 , . . . , qf ) und
verallgemeinerten Impulsen (p1 , p2 , . . . , pf ) zu einer beliebigen Zeit, d.h.
r̃ = (q1 , q2 , . . . , qf ; p1 , p2 , . . . , pf )
2.3. DIE MIKROKANONISCHE ZUSTANDSSUMME
21
also einem Punkt im 2f -dimensionalen Phasenraum festglegt. Für das klassische
ideale Gas mit N Konsitutenten gilt z.B. r̃ = (~r1 , . . . , ~rN ; ~p1 , . . . , ~pN ). Im Gegensatz zum quantenmechanischen Fall stehen auf der rechten Seite der Definition
von r̃ im klassischen Fall kontinuierliche Größen. Für eine statistische Beschreibung müssen wir die Mikrozustände jedoch abzählen können.6 Dies kann auch im
klassischen Fall gelingen, wenn wir uns, zunächst für f = 1, an die Unschärferelation ∆p ∆q ≥ ~/2 erinnern und daran, daß die klassische Mechanik ein Grenzfall
der Quantenmechanik ist. Ein quantenmechanischer (Einteilchen-) Zustand steht
im Einklang mit der Unschärferelation und nimmt daher im Phasenraum eine
“Fläche” von der Gößenordnung ~ ein. Aufgrund der Quantenmechanik ist es
also nicht möglich den Zustand im Phasenraum genauer als auf eine “Fläche”
der Größenordnung ~ festzulegen. Daher teilen wir den Phasenraum bei f Freiheitsgraden in Zellen von der Größenordnung ~f ein. Diese Zellen lassen sich nun
nummerieren. Die zunächst kontinuierlichen Zustände werden damit abzählbar.
Wie wir später sehen werden, spielt (im Rahmen der klassischen statistischen
Mechanik) der genaue Vorfaktor bei der Wahl des Phasenraumvolumens keine
Rolle. Betrachtet man typische einfache Quantensysteme wie den harmonischen
Oszillator oder das Teilchen im (unendlich hohen) Potentialtopf, so gibt es pro
“Phasenraumfläche” 2π~ gerade einen Quantenzustand. Wir wählen daher für die
Zellengröße (2π~)f . Nach diesem durch die Quantenmechanik motivierten “coarse
graining” des Phasenraums wird der Mikrozustand eines Systems r in der klassischen Mechanik somit durch die Angabe der Zelle des Phasenraums festgelegt, in
der die verallgemeinerten Koordinaten und Impulse des Systems liegen. Die Zahl
der zugänglichen Zellen läßt sich zählen. Bereits vor der Entwicklung der Quantenmechanik wurde in der klassischen statistischen Mechanik die Einteilung des
Phasenraums in Zellen verwendet. Dem lag die Vorstellung zu Grunde, daß die
Zahl der Zustände proportional zum betrachteten Phasenraumvolumen ist. Die
Größe der Phasenraumzelle blieb dabei offen, was jedoch kein Problem darstellt,
da die wesentlichen Ergebnisse, wie oben bereits erwähnt, von dieser unabhängig
sind.
Wie bereits oben wiederholt diskutiert, wird es für ein Vielteilchensystem mit
mehr als 1023 Freiheitsgraden im Allgemeinen nicht möglich sein, den Mikrozustand anzugeben. Für unsere statistischen Betrachtungen ist dieses aber auch
nicht erforderlich. Es ist dagegen zentral festzustellen, welche Mikrozustände in
unserem Ensemble (replizierte Systeme) überhaupt auftreten und mit welchem
statistischen Gewicht. In diesem Fall beschreiben wir den Makrozustand des Systems durch die Angabe der Wahrscheinlichkeiten Pr für das Auftreten des Mikrozustands r. Die Wahrscheinlichkeit ist dabei zu verstehen als die relative Häufigkeit des Auftretens im Ensemble im Limes eines unendlich großen Ensembles.
Damit wird ein Makrozustand durch das statistische Ensemble repräsentiert.
6
Wie wir später sehen werden, müssen wir z.B. die Frage beantworten können, wieviele
Zustände es bei vorgegebener Energie gibt.
22
KAPITEL 2. GRUNDÜBERLEGUNGEN
Wir betrachten nun ein abgeschlossenes System. Nach dem obigen Überlegungen befindet sich dieses im Gleichgewicht und makroskopische Observable (z.B.
der Druck) nehmen zeitunabhängige Werte an. Wir stellen ein der statistischen
Beschreibung zugrunde liegende Postulat auf.
Postulat: Ein abgeschlossenes System im Gleichgewicht ist mit gleicher Wahrscheinlichkeit in jedem seiner zugänglichen Mikrozustände.
Solange keiner der Mikrozustände ausgezeichnet ist, ist dieses eine plausible Annahme. Die sich aus dieser “Hypothese” ableitbaren, empirisch überprüfbaren
Aussagen stellen eine Verifikation des Postulats dar.
Zur Illustration betrachten wir ein System aus vier “idealen” Spins in einem
äußeren Magnetfeld der Stärke B in z-Richtung. Die Energie ist dann durch
Er = −2µ0 B
4
X
sz,ν ,
ν=1
mit dem Bohrschen Magneton µ0 , gegeben, wobei sz,ν die Werte ±1/2 annehmen
kann. Im betrachteten Gleichgewichtszustand sei E = −2µ0 B. Damit kann das
System in eime der vier mögliche Mikrozustände
r = (↑, ↑, ↑, ↓) , (↑, ↑, ↓, ↑) , (↑, ↓, ↑, ↑) , (↓, ↑, ↑, ↑)
sein. Gemäß dem oben formulierten Postulat gilt, daß Pr = 1/4 für die vier obigen
Mikrozustände und Pr = 0 für alle anderen.
Wir wollen das Postulat als nächstes in eine allgemeine mathematische Form
bringen. In der jetzigen Form kann es durch
const. alle zugänglichen Zustände
Pr =
0
alle anderen Zustände
ausgedrückt werden. Wir müssen nun noch spezifizieren, was wir mit “zugänglich” meinen.7 Ein Hamiltonoperator bzw. eine Hamiltonfunktion hängt neben
den Koorrdinaten und Impulsen oft von zusätzlichen äußeren Parametern a =
(a1 , a2 , . . . , an ) ab. Im Fall des Gases sind dies z.B. die Teilchenzahl und das
Volumen. Welche äußeren Parameter zu berücksichtigen sind hängt von der betrachteten Situation ab. Im Allgemeinen wird auch der Mikrozustand von den
äußeren Parametern abhängen. Wir wollen zunächst nur Fälle studieren, in denen a zeitlich konstant ist. Die Zugänglichkeit eines Mikrozustandes hängt eng
mit der Frage von Erhaltungsgrößen eines mechanischen oder quantenmechanischen Systems zusammen. Die möglichen Mikrozustände müssen mit den Erhaltungsgrößen kompatibel sein. Von besonderer Bedeutung im Fall abgeschlossener Systeme ist die Energie E. Für alle zugänglichen Mikrozustände muß daher
7
Im obigen Beispiel des Spinsystems war dieses durch die Angabe der Energie festgelegt.
2.3. DIE MIKROKANONISCHE ZUSTANDSSUMME
23
Er = E gelten, wobei die Energie eines Mikrozustands von den äußeren Parametern abhängen wird, also Er = Er (a) gilt. Im quantenmechanischen Fall ist
Er (a) der Energieeigenwert. Für klassische Mikrozustände folgt Er (a) aus der Hamiltonfunktion Er (a) = H(q, p; a) mit r = (q, p).8 Da die äußeren Bedingungen
(z.B. die Gefäßform) die zu weiteren möglichen Erhaltungsgrößen (z.B. Impuls
und Drehipuls) gehörenden Symmetrien brechen, spielen diese generisch keine
Rolle. Damit sind im Sinne des obigen Postulats die Mikrozustände zugänglich,
für die Er (a) gleich der erhaltenen Energie ist.
Die Größe
X
Ω(E, a) =
1
(2.2)
r:E≤Er (a)≤E+δE
bezeichnen wir als die mikrokanonische Zustandssumme. Dabei geht die Summe
über die verschiedenen (zugänglichen) Mikrozustände r. Sie gibt die Zahl der
Mikrozustände an, deren Energie im Intervall [E, E + δE] liegt. Wir nähern uns
damit dem in Kapitel 2.1 formulierten Ziel an, ein quantitatives Maß für die Zahl
möglicher (zugänglicher) Mikrozustände zu entwickeln. Makroskopisch betrachtet
soll δE klein sein, d.h. es gilt δE/E ≪ 1. Mikroskopisch betrachtet soll δE
dagegen hinreichend groß sein, also z.B. sehr viel größer als die Energie eines
Konstituenten des Vielteilchensystems. Damit enthält das Summationsintervall
viele zugängliche Mikrozustände.
Die Zustandsumme ist sowohl für quantenmechanische als auch klassischen
Mikrozustände definiert. Im klassischen Fall wird jede zugängliche Phasenraumzelle im obigen Sinne (“coarse graining”) als ein Zustand gezählt. Damit bekommt
das obige Postulat die mathematische Form
1
E ≤ Er (a) ≤ E + δE
Ω(E,a)
Pr = Pr (E, a) =
,
(2.3)
0
sonst
wobei die Zustände mit Energie im Intervall [E, E+δE] zugänglich sind. Das statistische Ensemble besteht somit aus einer großen Zahl M von Systemen, von denen
Mr = MPr im Mikrozustand r sind. Man bezeichnet das betrachtete Ensemble
als das mikrokanonische Ensemble. Physikalisch ist dieses dadurch definiert, daß
das System isoliert und die Energie vorgegeben ist. Später werden wir weitere
Ensembles kennen lernen, z.B. eines, bei dem man davon ausgeht, daß nicht die
Energie, sondern durch Wechselwirkung mit einem Wärmebad die Temperatur
vorgegeben ist.
Gemäß der obigen Überlegung ist der Makrozustand eines Systems durch die
Angabe der Pr festgelegt. Im mikrokanonischen Ensemble gilt Pr = Pr (E, a) =
Pr (E, a1 , . . . , an ). Der Makrozustand ist daher durch die Größen (E, a1 , . . . , an )
definiert. Alle makroskopischen Größen, die im Gleichgewichtszustand festgelegt
8
Die Größen q bzw. p stehen für alle qi und pi .
24
KAPITEL 2. GRUNDÜBERLEGUNGEN
sind nennen wir Zustandsgrößen. Dazu gehören also offensichtlich (E, a1 , . . . , an )
aber zusätzlich alle Größen, die Funktionen dieser sind fi (E, a1 , . . . , an ). Anstelle
von (E, a1 , . . . , an ) kann der Makrozustand auch durch n+1 andere geeignete Zustandsgrößen (f1 , . . . , fn+1 ) festgelegt werden. Wie sie Bereits aus dem Thermodynamikteil der Experimentalphysik wissen sollten, kann man z.B. den Zustand
eine idealen klassischen Gases durch E, das Volumen V und N oder die Temperatur T , den Druck P und N festlegen. Die zur Charakterisierung ausgewählten
Zustandsgrößen nennt man Zustandsvariable. Durch den Übergang vom Mikrozum Makrozustand haben wir die Zahl der Variablen drastisch reduziert.
Einfachheitshalber wollen wir für die folgende Überlegung ein quantenmechanisches System betrachten. In Gl. (2.2) wählen wir die Energie E so, daß keiner
der diskreten Energieeigenwerte Er des Systems dieser genau entspricht. Damit
geht Ω(E, a) für δE → 0 gegen Null. In einer Taylorentwicklung von Ω(E, a) um
δE = 0 herum gilt
Ω(E, a) = ρ(E, a) δE + O([δE]2 ) ,
(2.4)
wobei ρ(E, a) nicht von δE abhängt. Definieren wir Φ(E, a) als die Zahl der
Mikrozustände deren Energie kleiner gleich E ist, so können wir schreiben
Ω(E, a) = Φ(E + δE, a) − Φ(E, a) ≈
dΦ(E, a)
δE = ρ(E, a) δE .
dE
Aufgrund dieser Relation bezeichnte man ρ(E, a) als Zustandsdichte.
Bevor wir uns Gedanken über die Energieabhängigkeit von Ω(E, a) und Φ(E, a)
für ein allgemeines System machen, wollen wir zunächst exemplarisch die mikrokanonische Zustandssumme des idealen (einatomigen) Gases berechnen.
2.4
Die Zustandssumme des idealen Gases
Zur Berechnung der mikrokanonischen Zustandssumme eines quantenmechanischen Systems müssen wir zunächst den Hamiltonoperator Ĥ aufstellen. Wir
gehen davon aus, daß sich das Gas von N identischen Teilchen der Masse m in
einem Behälter mit Volumen V befindet. Damit hängt Ĥ von den äußeren Parametern N und V ab. Wir betrachten die Situation eines einatomigen Gases,
so daß wir in diesem die Vibrations- und Rotationsfreiheitsgrade, wie sie für ein
Gas aus Molekülen wichtig sein könnten, nicht berücksichtigen müssen. Im Sinne
der Definition des Begriffs “ideal” vernachlässigen wir die Wechselwirkung der
Atome untereinander und mit der Wand des Gefäßes. Weiterhin werden wir die
inneren elektronischen Freiheitsgrade des Atoms nicht berücksichtigen. Typische
elektronische Anregungen eines Atoms sind von der Größenordnung Elektronenvolt. Ein Elektronenvolt entspricht einer Temperatur von 104 K, so daß innere
Anregungen des Atoms bei Raumtemperatur in guter Näherung vernachlässigt
2.4. DIE ZUSTANDSSUMME DES IDEALEN GASES
25
werden können.9 Der Hamiltonoperator des N-Teilchensystems ist dann durch
Ĥ(V, N) =
N
X
ν=1
"
#
2
N
X
~pˆν
ˆ
+ V (~xν ) =
ĥν (V )
2m
ν=1
gegeben, wobei ~xˆν den Orts- und p~ˆν den Ortsoperator des ν-ten Teilchens bezeichnet. Die Einteilchenoperatoren (also auch ĥν ) sind als Operatoren auf dem
Tensorproduktraum zu verstehen (siehe die Vorlesung Theoretische Physik III).
Gemäß unserer Annahmen ist das Potential V (~x) null im Inneren des Volumens
und unendlich außerhalb. Wir betrachten daher das Problem des “Teilchens im
unendlich hohen Potentialtopf”. Wie sie in einer Übunsgaufgabe gezeigt haben,
ist der Mikrozustand durch die Angabe von 3N Quantenzahlen r = (n1 , . . . , n3N ),
mit nk = 1, 2, . . . gegeben. Er hat die Energie
3N
N
X
X
π 2 ~2 2
~pν2
=
n ,
Er (N, V ) =
2 k
2m
2mL
ν=1
k=1
wobei wir uns auf einen kubischen Potentialtopf mit Volumen V = L3 beschränkt
haben.
Wir wollen nun zunächst die Zahl der verschiedenen Zustände
Φ(E, V, N) =
X
1
r:Er (V,N )≤E
mit Energie kleiner gleich E bestimmen. Die Summe über r übersetzt sich in eine
Mehrfachsumme über n1 = 1, 2, . . ., n2 = 1, 2, . . ., . . ., n3N = 1, 2, . . . (natürlich
unter der Nebenbedingung Er ≤ E). Dabei müssen wir jedoch berücksichtigen,
daß die Teilchen ununterscheidbar sind und wir so einen Faktor N! zu viele Mikroszustände zählen. Wir müssen also durch N! teilen.
Wir wollen diese Summe im klassischen Limes ausführen, in dem die typischen
Impulse der Teilchen viel größer als der quantenmechanische Minimalwert ~/L
sind. Die Ununterscheidbarkeit der Teilchen führt dazu, daß sich die Bedingung
an den klassischen Limes verschärft (siehe später); der typische Impuls muß sehr
viel Größer als N 1/3 ~/L sein. Für gewöhnliche Gase ist auch diese Bedingung
9
In dieser Argumentation bin ich davon ausgegangen, daß ihnen die Kelvin-Skala der absoluten Temperatur aus der Experimentalphysik I bekannt ist.
26
KAPITEL 2. GRUNDÜBERLEGUNGEN
(bei Raumtemperatur) erfüllt.10 Damit gilt
X
Φ(E, V, N) =
1
r:Er (V,N )≤E
∞
X
∞
X
1
=
1
...
N! n =1 n =1
{z 3N }
|1
Er ≤E
Z ∞
Z ∞
1 1
dn1 . . .
dn3N 1
≈
N! 23N −∞
−∞
|
{z
}
N
V
1
=
N! (2π~)3N
Z
Er ≤E
∞
Z
dp1 . . .
−∞
|
{z
∞
−∞
P3N
2
k=1 pk ≤2mE
1
1
=
N! (2π~)3N
Z
Z
∞
dp1 . . .
−∞
|
{z
P3N
∞
dp3N 1
}
dp3N
−∞
}
Z
L
. . . dx1 . . .
0
Z
L
dx3N 1 .
0
2
k=1 pk ≤2mE
Bis auf den Faktor 1/N! ist der Ausdruck in der letzten Zeile derjenige, den wir
gemäß unseren obigen Überlegungen zum Zählen von Mikrozuständen in der klassischen statistischen Mechanik hingeschrieben hätten – Integral über der Phasenraum mit den Einschränkungen Er ≤ E und 0 ≤ xk ≤ L (aufgrund des Behälters)
unter der Berücksichtigung des Zellenvolumens (“coarse graining”) (2π~)3N . Der
Faktor 1/N! kommt hinzu, da wir oben die Ununterscheidbarkeit nicht berücksichtigt haben. Wie nicht anders zu erwarten liefert also die Betrachtung des
klassischen Limes ausgehend vom quantenmechanischen Ausdruck dasselbe Resultat, wie die direkte Rechnung für das klassische ideale Gas.
Die Integration in der vorletzten Zeile des obigen Ausdrucks für Φ(E, V, N)
entspricht√der Bestimmung des Volumens einer 3N-dimensionalen Kugel mit Radius R = 2mE. Dieses Volumen ist proportional zu R3N , so daß wir
Φ(E, V, N) =
c̃(N)
1
V N E 3N/2 ,
N! (2π~)3N
mit dem E- und V -unabhängigen Vorfaktor c̃(N) erhalten. Um diesen zu bestimmen, müssen wir das Volumen VK der 3N-dimensionalen Kugel mit Radius R
genauer auswerten
π 3N/2 3N
1
VK =
R ≈√
(3N/2)!
3πN
10
2πe
3
3N/2 R2
N
3N/2
,
Lange bevor die Bedingung verletzt ist, kondensiert ein Gas aus den meisten Atomsorten.
27
2.4. DIE ZUSTANDSSUMME DES IDEALEN GASES
wobei wir die Stirlingsche Formel verwendet haben (siehe Übung). Erneute Verwendung dieser für den Faktor 1/N! liefert
cN
Φ(E, V, N) = √
3πN
V
N
N E
N
3N/2
,
mit einer (dimensionsbehafteten) Konstanten c (die die Masse m, die Eulersche
Zahl e und numerische Faktoren enthält).
Mit ρ(E, V, N) = dΦ(E, V, N)/dE folgt für die mikrokanonische Zustandssumme
N 3N/2−1
3 cN
V
E
Ω(E, V, N) = √
δE .
2 3πN N
N
Wir betrachten nun
3N
E
V
+
ln
ln Ω(E, V, N) = N ln c + N ln
N
2
N
3
δE
+ ln √
+ ln
E/N
12πN
3N
E
V
+
.
ln
≈ N ln c + N ln
N
2
N
Die zweite Zeile folgt dabei im Limes sehr großer N. Diese Überlegung zeigt, daß
ln Ω(E, V, N) ≈ ln Φ(E, V, N)
⇒
Ω(E, V, N) ≈ Φ(E, V, N) .
In Worten sagt dieses Ergebnis, daß die Gesamtheit aller Zustände mit Energie
kleiner gleich E in einer dünnen Schale der Dicke δE unterhalb der Oberfläche (die
durch E definiert wird) liegt, wenn der 3N-dimensionale Zustandsraum im Limes
großer N betrachtet wird.11 Dieses Ergebnis zeigt auch, daß die Abhängigkeit
von Ω(E, V, N) von δE (ist linear; siehe Gl. (2.4)) verglichen mit der von E
extrem schwach ist. Für die mikrokanonische Zustandssumme des idealen Gases
gilt damit (im Limes großer N)
V
3N
E
ln Ω(E, V, N) = N ln c + N ln
+
.
ln
N
2
N
Wir wollen diese Überlegungen über die Zahl der zugänglichen Zustände
nun verallgemeinern und abschätzen, wie Ω(E) und Φ(E) von der Energie E
abhängen. Wir nehmen an, daß jeder der f Freiheitsgrade durch eine Quantenzahl beschrieben wird. Jeder Quantenzahl ist eine Teilenergie ǫ der Gesamtenergie
11
Anders gesagt: Wenn N sehr groß ist, liegt der wesentliche Beitrag zum Volumen einer
N -dimensionalen Kugel mit Radius R in einer dünnen Schale unter der Oberfläche.
28
KAPITEL 2. GRUNDÜBERLEGUNGEN
E zugeordnet. Mit φ(ǫ) bezeichnen wir die Gesamtzahl der möglichen Werte der
“Einfreiheitsgrad”-Quantenzahl, wenn der Energiewert kleiner gleich ǫ ist. Dieser
Wert wird eins, wenn die Energie den kleinst möglichen Wert ǫ0 erreicht. Mit
wachsendem ǫ wird φ im Allgemeinen zunehmen. Sollte das System nur eine endliche Zahl von Zuständen haben (z.B. Spinsystem), dann saturiert φ bei großen
Energien. Bleiben wir hinreichend weit weg von der größtmöglichen Energie (sollte diese existieren), so gilt näherungsweise
φ(ǫ) ∼ (ǫ − ǫ0 )α ,
mit einer Zahl α von der Größenordnung eins. Als Beispiel sei das oben diskutierte
ideale Gas genannt, bei dem α = 1/2 gilt, was man sofort sieht, wenn man das
oben bestimmte Φ auf den Fall mit einem Freiheitsgrad einschränkt. Für eine
grobe Abschätzung der Zustände des Systems mit f Freiheitsgraden können wir
E − E0 ≈ f (ǫ − ǫ)
setzen und erhalten
Φ(E) ≈ [φ(ǫ)]f .
Damit folgt
Ω(E) =
dΦ(E)
δE
dE
dφ(ǫ)
δE
dE
dφ(ǫ)
= [φ(ǫ)]f −1
δE .
dǫ
≈ f [φ(ǫ)]f −1
Nimmt nun E zu, so nimmt auch die mittlere Energie pro Freiheitsgrad ǫ zu,
wenn auch langsam. Da wir aber [φ(ǫ)]f −1 ≈ [φ(ǫ)]f mit einer sehr großen Zahl
f bilden, nehmen Ω(E) und Φ(E) extrem rasch mit E zu. Damit gilt für jedes
gewöhnliche System
Φ(E) ≈ Ω(E) ∼ (E − E0 )f
wenn wir hinreichend weit von einer womöglich existierenden Maximalenergie
weg bleiben. Wie im Beispiel des idealen Gases ist die Abhängigkeit von Ω(E)
von E sehr viel stärker, als die von δE (linear).
2.5
Nebenbedingungen, Gleichgewicht, Irreversibilität
Nachdem wir nun ein quantitative Maß für die Zahl von Zuständen, die unter einem Satz von Nebenbedingungen (E, a) realisierbar sind eingeführt haben,
2.6. DER ERSTE HAUPTSATZ DER THERMODYNAMIK
29
können wir unsere Überlegungen aus Kapitel 2.1 zur Relaxation ins Gleichgewicht
und zur Irreversibilität quantifizieren. Ist das abgeschlossene System im Gleichgewicht, so ist die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten jedes der Ω(E, a) realisierbaren Mikrozustände im Ensemble gleich groß. Ist im Gegenzug die Wahrscheinlichkeit nicht gleich groß, so ist die statistische Situation nicht zeitunabhängig.
das System wird sich zeitlich entwickeln, bis alle realisierbaren Zustände gleichwahrscheinlich sind.
Betrachten wir ein abgeschlossens System, welches sich unter den makroskopischen Nebenbedingungen (E, a1 , . . . , an ) im Gleichgewicht befindet, z.B. ein
ideales Gas im Volumen Va . Heben wir nun eine der Nebenbedingungen a auf,
vergrößern wir also z.B. das Volumen von Va zu Ve durch herausziehen einer
Trennwand, so wird die Zahl der dann realisierbaren Zustände Ωe im Allgemeinen
sehr viel größer sein als Ωa .12 Unmittelbar nach dem Ändern der Nebenbedingung
herrscht im Ensemble offensichtlich keine Gleichverteiling der Wahrscheinlichkeit
über die jetzt möglichen Ωe Mikrozustände. Das System wird sich zeitlich entwickeln bis alle Ωe Zustände mit gleicher Wahrscheinlichkeit vorliegen und somit
ein neues Gleichgewicht erreicht ist. Wurde der Gleichgewichtszustand erreicht,
so unterscheidet sich die Endverteilung deutlich von der Anfangsverteilung.
Der anfängliche Zustand des Ensembles kann nicht einfach wieder dadurch
hergestellt werden, in dem wir die Nebenbedingung wieder einführen (also z.B. die
Trennwand wieder einführen) und dabei das Gesamtsystem isoliert lassen (kein
Austauch von Energie mit einem weiteren System). Man nennt solch einen Prozeß
mit Ωe > Ωa daher irreversibel. Anstatt, wie in Kapitel 2.1, die Irreversibilität
anhand der zeitlichen Entwicklung eines Systems zu charakterisieren, haben wir
dieses jetzt im Rahmen unserer Ensemble-Beschreibung getan.
Wir können nun ebenfalls die sehr qualitative Diskussion des Strebens eines
Systems von einem “geordneten” (“weniger zufälligen”) in einen “ungeordneten”
(“zufälligeren”) Zustand aus Kapitel 2.1 quantifizieren. Als statistisches Maß für
die Zufälligkeit können wir die Zahl der Mikrozustände heranziehen. Der Prozeß,
in dem ein isoliertes System nach Aufheben einer Nebenbedingung ein neues
Gleichgewicht erreicht, resultiert aus Ωe > Ωa .
2.6
Der erste Hauptsatz der Thermodynamik
In diesem Anschnitt wollen wir die in Kapitel 2.1 ebenfalls recht qualitativ diskutierte Wechselwirkung zwischen makroskopischen Systemen genauer untersuchen.
Wir betrachten also wieder zwei Systeme A und A′ die zusammengenommen ein
abgeschlossenes System, mit erhaltener Energie, bilden. Im Rahmen der statistischen Beschreibung replizieren wir das Gesamtsystem und betrachten sehr viele
Systempaare. Nicht in jedem Systempaar des Ensembles wir die Gesamtenergie
Eg vor der Wechselwirkung auf gleiche Weise auf A und A′ aufgeteilt sein. Analog
12
Die Energie soll beim Aufheben der Nebenbedingung konstant gleich E bleiben.
30
KAPITEL 2. GRUNDÜBERLEGUNGEN
wird die Wechselwirkung zwischen A und A′ für gewöhnlich nicht in jedem Systempaar des Ensembles den exakt gleichen Energietransport (sei es Arbeit oder
Wärme) zwischen A und A′ bewirken. Wir können jedoch die Wahrscheinlichkeit
für den Transport eines bestimmten Energiebetrags und damit den Mittelwert
bestimmen.
Wir betrachten die Mittelwerte der Energien hEa i, hEa′ i, hEe i und hEe′ i der
Teilsysteme bevor (“a”) sie in Kontakt gebracht wurden und nachdem (“e”) der
Kontakt hergestellt wurde und sich ein neuer Gleichgewichtszustand eingestellt
hat. Für diese gilt
hEa i + hEa′ i = hEe i + hEe′ i = Eg .
Entsprechend gilt
∆ hEi + ∆ hE ′ i = 0 ,
wobei ∆ hEi = hEe i − hEa i und analog für A′ .
Bei einer thermischen Wechselwirkung werden nun alle äußeren makroskopischen Parameter konstant gehalten, d.h. die (quantenmechanischen) Energieniveaus der Teilsysteme ändern sich nicht. Für die von A absorbierte Wärmemenge
Q gilt dann Q = ∆ hEi und analog für A′ . Aufgrund der Energieerhaltung gilt
Q = −Q′ . Die Energie wird nicht deshalb zwischen den Teilsystemen transferiert,
weil sich die Energien der möglichen Quantenzustände geändert hätte (diese bleiben gleich, da die makroskopischen Parameter gleich bleiben), sondern weil nach
dem Energieaustausch eine größere Zahl von erreichbaren Zuständen für das Gesamtsystem existiert.
Zwei Teilsysteme sind adiabatisch voneinandet getrennt, wenn sie untereinander keine Energie austauschen können, solange ihre äußeren Parameter konstant gehalten werden. Sind zwei Teilsysteme gegeneinander Wäremisoliert, so
können sie weiterhin in Wechselwirkung stehen und Energie austauschen, falls
sich äußere Parameter im Laufe dieses Prozesses ändern. Einen Prozeß, bei dem
sich äußere Parameter ändern und keine Wärme ausgetauscht wird, nennt man
adiabatischen Prozeß, die zugehörige Wechselwirkung der Teilsysteme nennt man
adiabatische Wechselwirkung. Die Zunahme der mittleren Energie eines adiabatisch isolierten Systems ist die an dem System verrichtete makroskopische Arbeit
W . Es gilt W = −W ′ . Da sich im Laufe des adiabatischen Prozesses einige der
äußeren Parameter ändern, ändern sich für gewöhnlich auch einige der Energieniveaus der Teilsysteme. Die mittlere Energie ändert sich dann dadurch, daß sowohl
die Energieniveaus sich ändern, als auch die Wahscheinlichkeit sich ändert, daß
ein System sich in einem solchen Zustand befindet (Übergänge zwischen Mikrozuständen während der Wechselwirkung).
Normalerweise wir die Wechselwirkung zwischen zwei Teilsysteme eines abgeschlossenen Gesamtsystems weder ein adiabatischer Prozeß sein, noch werden die
2.7. VOLLSTÄNDIGE DIFFERENTIALE
31
äußeren Parameter konstant bleiben. Die gesamte mittlere Energieänderung des
Teilsystems A kann dann als
∆ hEi = W + Q
(2.5)
geschrieben werden. Diese Aufteilung ist dann sinnvoll, wenn die beiden Teilbeträge experimentell getrennt gemessen werden können. Man nennt diesen Zusammenhang den ersten Hauptsatz der Thermodynamik. Wir haben ihn hier im
Rahmen unserer auf der Mikroskopik beruhenden statistischen Herangehensweise
hergeleitet.
Ein Wechselwirkungsprozeß ist besonders einfach darzustellen, wenn er infinitesimal ist. Dabei wird das Teilsytem von einem Anfangs- in einen Endmakrozustand gebracht, die sich beide nur infinitesimal unterscheiden. Für die infinitesimale Zuwachs der mittleren Energie schreiben wir d hEi. Für die am Teilsystem
verrichtete infinitesimale Arbeit führen wir das Symbol d¯W ein. Es ist wichtig
festzuhalten, daß sich d hEi und d¯W konzeptionell unterscheiden und deshalb
eine andere Bezeichnung tragen (“d” versus “d¯”). Die infinitesimale Arbeit kann
(i) nicht als Differenz zweier Arbeitsbeträge verstanden werden. (ii) Damit im
Zusammenhang steht, daß die Arbeit keine Zustandsgröße ist. (iii) Bei der infinitesimalen Arbeit handelt es sich nicht um ein vollständiges Differential (siehe
weiter unten). Diese drei Eigenschaften der Arbeit bzw. der infinitesimale Arbeit stehen im Gegsatz zu denen der mittleren Energie bzw. der infinitesimalen
Änderung der selben. Analog zur infinitesimalen Arbeit verhält es sich mit der
absorbierten infinitesimalen Wärme, die wir daher konsistent mit d¯Q bezeichnen.
Die infinitesimale Version des ersten Hauptsatz lautet daher
d hEi = d¯W + d¯Q .
(2.6)
Im folgenden Kapitel werden wir uns weitere Gedanken zum Unterschied von “d”
und “d¯” machen.
2.7
Vollständige Differentiale
Sei F = F (x, y) eine Funktion von zwei Variablen. Geht man von (x, y) zu (x +
dx, y + dy), so ändert sich der Wert von F um
dF = F (x + dx, y + dy) − F (x, y) =
∂F (x, y)
∂F (x, y)
dx +
dy .
∂x
∂y
Die partiellen Ableitungen sind dabei im Allgemeinen weiterhin Funktionen von
x und y. Die infinitesimale Größe dF ist dann ein vollständiges Differential. Das
Linienintegral über dF hängt nur vom Anfangs- und Endpunkt ab, nicht jedoch
von den Details des Weges. Es sollte klar sein, daß nicht jede infinitesimale Größe
ein vollständiges Differential ist. Betrachten wir z.B.
d¯G = G1 (x, y)dx + G2 (x, y)dy .
(2.7)
32
KAPITEL 2. GRUNDÜBERLEGUNGEN
Im Allgemeinen wird es nun nicht so sein, daß es einen Funktion G(x, y) gibt für
den G(x+ dx, y + dy) −G(x, y) mit der rechten Seite von Gl. (2.7) übereinstimmt.
Ebenfalls wird das Integral von Gl. (2.7) über einen Weg in der (x, y)-Ebene im
Allgemeinen von den Details des Weges abhängen (und nicht nur vom Anfangsund Endpunkt). Im Abschnitt zur Thermodynamik werden wir nocheinmal genauer auf die mathematischen Eiegnschaften eines vollständigen Differentials eingehen.
Wir haben bereits das Konzept der Zustandsgrößen eingeführt. Es handelt
sich dabei um die makroskopischen Größen, die im Gleichgewichtszustand festgelegt sind. Bei der Diskussion der mikrokanonischen Zustandssumme haben wir
den Satz von Zustandsgrößen E, V und N genannt, mit deren Hilfe man den Makrozustand eindeutig festlegt (dann Zustandsvariablen). Andere Zustandsgrößen,
wie z.B. der Druck sind dann aus E, V und N berechenbar.13 In allgemeineren
Betrachtungen (Ensembles) wird nicht die Energie, sondern der Ensemblemittelwert hEi eine Zustandsgröße sein.
Damit ist klar, daß eine Größe wie dp, als infinitesimale Differenz zweier wohldefinierter Größen, ein vollständiges Differential ist. Gleiches gilt für die mittlere
Energie hEi. Die übertragene mittlere Energie ist eine Funktion der betrachteten Makrozustände, hängt also nur vom Anfangs- und Endzustand ab, nicht
jedoch davon, entlang welchen Weges der Wechselwirkungsprozeß abgelaufen ist.
Betrachtet man dagegen die beim Übergang vom Anfangs- zum Endzustand geleistete Arbeit, so ist diese im Allgemeinen keine Differenz zwischen zwei Größen,
die sich auf benachbarte Makrozustände beziehen. Es macht keinen Sinn einem
Makrozustand eine bestimmte Arbeit zuzuordnen. Die infinitesimale Arbeit ist
kein vollständiges Differential und die bei einem Wechselwirkungsprozeß geleistete Arbeit hängt vom Weg den der Prozeß genommen hat ab. Da die geleistete
Arbeit vom Weg abhängt, nicht jedoch die übertragene Energie, muß nach Gl.
(2.5) auch die übertragene Wärme vom Weg abhängen. Damit ist auch die infinitesimale übertragene Wärme kein vollständiges Differential. Erneut mach es
keinen Sinn einem Makrozustand eine bestimmte Wärme zuzuordnen.
2.8
Quasistatische Prozesse
Im letzten Abschnitt haben wir die Wechselwirkung zwischen zwei Systemen
untersucht. Wir wollen folgend eine spezielle Klasse solcher Wechselwirkungsprozesse beschreiben, die besonders einfach ist. Diese zeichnet sich dadurch aus
die Geschwindigkeit mit der die äußeren Parameter verändert werden, bzw. die
Wärmezufuhr stattfindet sehr klein ist. Um dieses “sehr klein” zu spezifizieren,
führen wir zwei Zeitskalen ein. Auf der einen Seite steht die Zeitskala τvar auf
der die äußeren Parameter variiert werden bzw. die Wärme zugeführt wird, auf
13
Im nächsten Abschnitt werden wir den Druck als Funktion der Energie und des Volumens
für das ideale Gas bestimmen, bei dem die Teilchenzahl fest ist.
33
2.8. QUASISTATISCHE PROZESSE
der anderen die systemabhängige Skala τrel die ein System benötigt, um nach einer Veränderung in einen neuen Gleichgewichtszustand zu relaxieren. Man nennt
einen Wechselwirkungsprozeß quasistatisch, wenn τvar ≫ τrel (der Prozeß verläuft
hinreichend (“unendlich”) langsam). Während der quasistatische Prozeß abläuft
stellt sich somit immer wieder ein Gleichgewichtszustand ein. Genauer durchläuft
das System eine Reihe von Gleichgewichtszuständen. Weiterhin sind die Änderungen der äußeren Parameter a so langsam, daß durch sie keine Übergänge
zwischen den quantenmechanischen Mikrozuständen auftreten. Damit folgt der
Mikrozustand r = r(a) von A einfach der Änderung von a. Wir soeben explizit
davon gebrauch gemacht, daß es sich bei r um einen Quantenzustand handelt,
da es nur bei diesen sinnvoll ist davon zu sprechen, daß keine Übergänge auftreten. Da jedoch die Quantenmechanik die klassische Mechanik umfaßt, kann diese
Einschränkung nicht von fundamentaler, sondern nur von praktischer Natur sein.
Wir werden später auf diesen Aspekt zurückkommen.
Wir wollen nun betrachten, wie sich die Energieeigenwerte Er = Er (a1 , . . . , an )
ändern (bei festem quantenmechanischen Mikrozustand r), wenn wir die äußeren
Parameter um infinitesimale Beträge aj → aj + daj ändern. Es gilt
dEr (a) =
n
X
∂Er
j=1
∂aj
daj .
Die Arbeit, die am System geleistet wird wenn es im Mikrozustand r verbleibt
ist durch
n
X
d¯Wr = dEr (a) = −
αj,r daj ,
j=1
mit der verallgemeinerten Kraft im Zustand r
αj,r = −
∂Er
,
∂aj
gegeben. Sollte aj eine Länge bezeichnen, so hat αj,r die Dimension der “gewöhnlichen” Kraft.
Wir betrachten nun wieder einen Makrozustand, der durch die Angabe der
Wahrscheinlichkeiten Pr gegeben ist, mit der sich das Teilsystem A im Mikrozustand r befindet. Wenn die Änderung der Parameter quasistatisch abläuft, haben
die verallgemeinerten Kräfte zu jeder Zeit wohldefinierte Mittelwerte hαj i. Diese
sind mit der Verteilung {Pr } zu berechnen, die zum aktuell vorliegenden Gleichgewicht gehört. Damit gilt für die makroskopische Arbeit d¯W , die sich durch
infinitesimale, quasistatische Änderung der äußeren Parameter ergibt wenn keine
Wärme ausgetauscht wir (adiabatischer Prozeß)
d¯W =
X
r
Pr dEr (a) = −
n
X
j=1
hαj i daj .
34
KAPITEL 2. GRUNDÜBERLEGUNGEN
Die makroskopische Arbeit W bei einer endlichen quasistatischen Änderung kann
durch Integration bestimmt werden.
Als erster Beispiel für eine verallgemeinerte Kraft betrachten N Spin-1/2 in
einem äußeren Magnetfeld in z-Richtung. Die Amplitude a1 = B dieses Magnetfelds soll nun quasistatisch variiert werden. Für die Energie eines Mikrozustand
gilt
Er = −2µ0 B
N
X
sz,ν .
ν=1
Die verallgemeinerte Kraft in einem Mikrozustand ist damit
α1,r
N
X
∂Er
= 2µ0
sz,ν .
=−
∂B
ν=1
Nach der Erwartungswertbildung mit der Verteilung Pr folgt
hα1 i = 2µ0
N
X
ν=1
hsz,ν i .
Die rechte Seite ist das mittlere magnetische Moment aller Spins, das somit gleich
der verallgemeinerten Kraft für die quasistatische Änderung des B-Feldes ist.
Als weiteres Beispiel zum Begriff der verallgemeinerten Kraft betrachten wir
den Druck. Ein Gas (Teilsystem A) befinde sich in einem zylindrischen Gefäß
welches wärmeisoliert ist (adiabatischer Prozeß). Bei der Wechselwirkung mit A′
wird ein beweglicher Kolben ausgehend von der Position L quasistatisch verschoben. Das Gas übt eine Kraft F senkrecht auf die Kolbenfläche aus. Für die
Verschiebung um dL muß am System die Arbeit
d¯W = −F dL = −
F
F
AdL = − dV = −P dV
A
A
(2.8)
mit der infinitesimalen Volumenänderung dV = AdL und der Querschnittsfläche
A geleistet werden.14 Die verallgemeinerte Kraft entspricht damit dem Druck P .
Man sagt auch, daß der Druck P die zum Volumen V konjugierte Kraft ist. Wir
wollen den Druck nun mikroskopisch berechnen. Gemäß der obigen Überlegungen
ist der sich ändernde äußere Parameter durch V gegeben. Somit gilt
∂Er
P =−
.
∂V
Obwohl man dem Symbol P , welches wir für den Druck eingeführt haben, nicht
ansieht, daß es sich um einen Ensemble-Mittelwert handelt, wird dieses durch
14
Die Vorzeichenwahl ist konsistent mit der Idee, daß die am System geleistete Arbeit positiv
sit, wenn das Volumen abnimmt.
35
2.8. QUASISTATISCHE PROZESSE
den obigen Zusammenhang evident. Die Beziehung Gl. (2.8) gilt allgemein unabhängig von der Form des Gefäß und der Form der quasistatischen Volumenänderung. Da der Druck im Gleichgewicht überall gleich groß ist, ergibt jede infinitesimale Änderung der Oberfläche
P den gleichen Betrag P δv. Die Gesamtvolumenänderung ist durch dV =
δv gegeben, woraus die Formunabhängigkeit
folgt. Um die Arbeit zu berechnen, die sich bei einer endlichen quasistatischen
Volumenänderung ergibt, müssen wir das Integral
Z Ve
P (V )dV
W =−
Va
auswerten. Der Betrag der Arbeit entspricht somit der zwischen P (V ) und der
V -Achse (zwischen Ve und Va ) eingeschlossenen Fläche. Dieses ist in der folgenden
Skizze veranschaulicht (in dieser gilt W > 0).
P
0.2
0.1
0
2
Ve
3
V
Va
4
Wir wollen nun den Druck eines idealen Gases explizit berechnen. Wir betrachten das Gas in einem quaderförmigen Behälter mit den Seitenlängen Lj .
Als veränderlichen äußern Parameter wählen wir die Seitenlänge a1 = L1 . Der
Mikrozustand bei N Teilchen ist durch
r=(
,
n ,n ,n
, n7 , . . . , n3N )
n ,n ,n
| 4 {z5 }6
| 1 {z2 }3
erstes Teilchen zweites Teilchen
festgelegt. Die zugehörige Energie bei festem r ist
Er =
N
N X
3
X
X
~pν2
~2 π 2 2
n
.
=
2 3(ν−1)+j
2m
2mL
j
ν=1
ν=1 j=1
36
KAPITEL 2. GRUNDÜBERLEGUNGEN
Für die infinitesimale Arbeit, bei quasistatischer15 Änderung von L1 gilt nun
* N
+
2 X ~2 π 2 2
∂Er
d¯W =
dL1 = −
n
dL1 .
∂L1
L1 ν=1 2mL21 3(ν−1)+1
Im Gleichgewicht sind alle Impulsrichtungen für ein herausgegriffenes Teilchen
gleichwahrscheinlich. Damit ist die mittlere kinetische Energie der Bewegung für
alle drei Raumrichtungen gleich groß. Es gilt also
+
* N
+
* N
3
X
X ~2 π 2
X ~2 π 2
1
1
n2
=
n2
= hEi ,
2 3(ν−1)+1
2 3(ν−1)+j
2mL1
3 j=1 ν=1 2mLj
3
ν=1
mit der mittleren Energie hEi (im System A). Zusammengefaßt gilt also
2 hEi
2 hEi
dL1 = −
dV .
L1 3
3 V
Für eine endliche Volumenänderung sind für jeden Abschnitt des Prozesses die
aktuellen Werte von hEi und V einzusetzen und es muß über V integriert werden.
Für den Druck des idealen Gases erhalten wir damit durch Vergleich mit Gl. (2.8)
d¯W = −
2 hEi
.
(2.9)
3 V
Bisher haben wir nur adiabatische, quasistatische Prozesse betrachtet. Wird
in einem quasistatischen Prozeß auch Wärme übertragen, so muß dieses ebenfalls
hinreichend langsam geschehen, so daß man weiter davon ausgehen kann, daß das
System ständig in einem Gleichgewichtszustand ist. Wie für jeden infinitesimalen
Wechselwirkungsprozeß gilt dann
P =
d hEi = d¯W + d¯Q
Wegen
hEi =
gilt
d hEi =
X
X
Pr Er
r
(Pr dEr + Er dPr ) .
r
Wie wir oben schon verwendet haben, entfällt der zweite Term wenn keine Wärme
übertragen wird. Werden dagegen die äußeren Parameter konstant gehalten und
nur Wärme quasistatisch ausgetauscht, so gilt
X
d¯Q =
Er dPr .
r
15
Bei quasistatischer Änderung wird zu jeder Zeit ein Gleichgewichtszustand angenommen.
Damit sich dieser einstellen kann, müssen Wechselwirkunsgprozesse zwischen den Teilchen des
idealen Gases vorhanden sein, die normalerweise keine Rolle spielen und vernachlässigt werden.
2.9. TEMPERATUR UND ENTROPIE
2.9
37
Temperatur und Entropie
Wir wollen nun die thermische Wechselwirkung zwischen zwei Systemen A und
A′ noch genauer analysieren. Da dabei alle äußeren Parameter a (die von A, A′
und dem Gesamtsystem) konstant bleiben schreiben wir im folgenden nur die
Abhängigkeit von der Energie. Die folgende Diskussion wird es uns ermöglichen
den Begriff der Temperatur genau zu definieren. Die Energien der Teilsysteme
seien E und E ′ , wobei die Wechselwirkung so schwach sei, daß E + E ′ = Eg
konstant ist. Der Hamiltonoperator des Gesamtsystems Ĥg hat die Form
Ĥg = Ĥ + Ĥ ′ + ĤWW ,
wobei Ĥ bzw. Ĥ ′ nur von den Variablen von A bzw. A′ abhängt. Der Wechselwirkunsgteil ĤWW hängt dagegen von beiden Variablesätzen ab. Unsere obige Annahme, daß praktisch keine Energie in der Wechselwirkung steckt, besagt
dann, daß ĤHH zwar nichtverschwindend ist, aber gegenüber Ĥ und H ′ zu vernachlässigen ist. Diese Feinheit haben wir bei unseren bisherigen Überlegungen
zur Energieerhaltung bei thermischer Wechselwirkung ignoriert. Wir betrachten
nun wieder ein Ensemble von Systempaaren und nehmen an, daß A und A′ im
Gleichgewicht miteinander sind. Das System A kann nun verschiedene Energiewerte E annehmen, die jedoch mit unterschiedlicher Wahrscheinlichkeit auftreten.
Hat A die Energie E, so ist die von A′ durch E ′ = Eg − E gegeben. Die Zahl
der dem Gesamtsystem zugänglichen Zustände Ωg kann somit als Funktion der
Energie des Systems A aufgefaßt werden Ωg = Ωg (E). Genauer ist Ωg (E) die Zahl
der zugänglichen Zustände mit einer Energie des Teilsystems A in [E, E + δE].
Das grundlegende Postulat verlangt, daß das Gesamtsystem im Gleichgewicht mit
gleicher Wahrscheinlichkeit in einem der zugänglichen Zustände sein muß. Damit
ist die Wahrscheinlichkeit P (E), daß A eine Energie zwischen E und E + δE hat
proportional zu Ωg (E). Es gilt
P (E) =
Ωg (E)
,
Ωtot
wobei Ωtot die Gesamtzahl der dem Gesamtsystem zugänglichen Zustände ist.16
Wir können Ωtot dadurch bestimmen, daß wir Ωg (E) über alle möglichen E von
A aufsummieren. Wenn A die Energie E hat, dann ist das Teilsystem in einem
seiner Ω(E) zugänglichen Mikrozustände. Gleichzeitig ist dann A′ in einem seiner
Ω′ (Eg −E) zugänglichen Zuständen. Da jeder Zustand von A mit jedem möglichen
Zustand von A′ zu einem Zustand des Gesamtsystems kombiniert werden kann
gilt
Ωg (E) = Ω(E)Ω′ (Eg − E)
16
Diese hängt natürlich von der Gesamtenergie E + E ′ ab. Da die Abhängigkeit im folgenden
nicht wichtig sein wird, schreiben wir sie nicht mit.
38
KAPITEL 2. GRUNDÜBERLEGUNGEN
und damit
P (E) =
Ω(E)Ω′ (Eg − E)
.
Ωtot
(2.10)
Da die beiden Teilsysteme A und A′ jeweils sehr viele Freiheitsgrade enthalten,
sind Ω(E) und Ω′ (E ′ ) normalerweise sehr schnell wachsende Funktionen ihrer
Energievariable. Damit nimmt Ω(E) sehr schnell mit E zu, während Ω′ (Eg − E)
sehr schnell mit E abnimmt. Das Produkt der beiden Faktoren, d.h. die Wahrscheinlichkeit P (E), das A die Energie E annimmt, hat damit ein sehr scharfes
Maximum für einen speziellen Wert EM der Energie. Dies ist in der folgende
Skizze dargestellt. Die rote bzw. die blaue KurveR stellen Ω(E) bzw. Ω′ (Eg − E)
dar. Die grüne Kurve ist die aus eins normierte ( P (E)dE = 1) Wahrscheinlichkeitsverteilung P (E).
10
20
P(E)
10
10
0
-20
Eg
10
-40
0
0.5
1
1.5
2
E/EM
Wie wir aus unseren qualitativen Überlegungen vom Ende von Kapitel 2.4 wissen
′
gilt Ω ∼ E f und Ω′ ∼ (Eg − E)f und damit
ln P (E) = f ln E + f ′ ln (Eg − E) + const. .
Als Funktion von E zeigt dieser Ausdruck genau ein Maximum. Die Skizze macht
eindrücklich klar, daß P (E) auf der Skala von Eg bei hinreichend großer Zahl
von Freiheitsgraden (in der Skizze nur f = f ′ ∼ O(102 )) eine extrem scharfe
Verteilung ist (beachte die log-Skala der y-Achse). Wie sie in einer Übungsaufgabe
durch Taylorentwicklung zeigen werden, gilt für die relative Breite der Verteilung
39
2.9. TEMPERATUR UND ENTROPIE
P (E)
∆E
1
∼√
EM
f
falls O(f ) = O(f ′ ). Um die Lage des Maximums von P (E), oder äquivalent
ln P (E) genauer zu bestimmen betrachten wir die Bestimmungsgleichung
1 dP (E) d ln P (E) =
=0.
dE E=EM
P (E) dE E=EM
Nach Gl. (2.10) gilt
ln P (E) = − ln Ωtot + ln Ω(E) + ln Ω′ (E ′ ) ,
wobei E ′ = Eg − E. Die Bestimmungsgleichung für das Maximum wird so zu
d ln Ω(E) d ln Ω′ (E ′ ) =0.
−
′
dE E=EM
dE ′
E =Eg −EM =E ′
M
Mit der Abkürzung
β(E) =
d ln Ω(E)
dE
und analog für β ′ gilt am (scharfen) Maximum somit
′
β(EM ) = β ′(EM
).
Der Parameter β hat die Dimension einer reziproken Energie. Wir führen den
dimensionsbehafteten Parameter T = T (E) gemäß
kB T = β −1
ein, wobei kB die Boltzmannkonstante ist. Diese Definition legt die absolute Temperatur fest. Am Maximum von P (E) gilt
′
T (EM ) = T ′ (EM
).
Definieren wir weiter die Entropie S als
S(E) = kB ln Ω(E)
so folgt
T −1 =
dS
dE
40
KAPITEL 2. GRUNDÜBERLEGUNGEN
und die Bedingung für das Maximum der Wahrscheinlichkeit kann durch die
Forderung, daß S + S ′ maximal wird ersetzt werden. Die Gesamtentropie wird
maximal, wenn T = T ′ . Wir wollen nocheinmal daran erinnern, daß Ω verglichen
mit der E-Abhängigkeit nur sehr schwach von δE abhängt. Daher beeinflußt δE
die obigen Überlegungen nicht. Insbesondere ist der Parameter β per Definition
(Logarithmus und Ableitung!) unabhängig von δE.
In unserer in diesem Abschnitt verwendeten Notation haben wir die äußeren
Parameter nicht mitgeschrieben, da sie konstant gehalten wurden. An dieser Stelle
ist aber wichtig festzuhalten, daß die soeben eingeführte absolute Temperatur T
und die Entropie im Allgemeinen nicht nur Funktionen der Energie, sondern
zusätzlich der weiteren äußeren Parameter sind
T = T (E, a1 , . . . , an ) ;
S = S(E, a1 , . . . , an ) .
Die Bedingung
T = T′
oder äquivalent
S + S ′ maximal
ist die Gleichgewichtsbedingung in dem Fall, daß A und A′ Wärme austauschen
können. In einer thermodynamischen Sichtweise kann der Temperaturunterschied
als die treibende Kraft für den Wärmeaustausch angesehen werden. Mikroskopisch liegt diesem natürlich erneut das Streben nach einer Gleichverteilung über
alle Mikrozustände des Gesamtsystems zugrunde.
Wir wollen nun eine Liste wichtiger Eigenschaften der absoluten Temperatur
und der Entropie zusammenstellen.
1. Die Definitionen von T und S beziehen sich auf den Gleichgewichtszustand
eines Vielteilchensystems.
2. Die Temperatur und die Entropie sind makroskopische Größen, die meßbar
sind. Die Relation S = kB ln Ω stellt einen Zusammenhang zwischen der
Mikroskopik und der Makroskopik her.
3. Die Entropie ist additiv. Für zwei Teilsysteme gilt Ωg = ΩΩ′ und damit
Sg = kB ln Ωg = kB ln Ω + kB ln Ω′ = S + S ′ .
4. Stellt man für zwei anfangs getrennte Systeme A und A′ die jeweils im
Gleichgewicht sind und damit eine Temperatur Ta und Ta′ haben einen thermischen Kontakt her und gilt Ta 6= Ta′ , so tauschen sie Wärme aus und es
stellt sich ein gemeinsames Gleichgewicht mit Te = Te′ und maximaler Gesamtentropie S + S ′ ein.
41
2.9. TEMPERATUR UND ENTROPIE
5. Die Entropie ist ein Maß für die Zahl der zugänglichen Mikrozustände und
damit ein Maß für die Unordnung. Je mehr zugängliche Mikrozustände es
gibt, desto ungeordneter ist der Gleichgewichstzustand.
6. Die Temperatur ist (für “normale” Systeme) ein Maß für die Energie pro
Freiheitsgrad eines Systems. Um dies einzusehen verwenden wir unsere grobe Abschätzung Ω(E) = cE f . Mit T −1 = ∂S/∂E folgt17
kB T =
E
.
f
7. Für “normale” Systeme ist die absolute Temperatur eine positive Größe.
Gemäß Definition gilt T −1 = kB ∂ ln Ω/∂E. Da für “normale” Systeme die
Zahl der Zustände mit steigender Energie (stark) zunimmt, gilt T > 0.
8. Die absolute Temperatur ist für “normale” Systeme eine zunehmende Funktion seiner Energie. Nach 6. ist dieses bereits klar, wir können es aber auch
allgemeiner untersuchen. Nach der Skizze auf Seite 38 ist klar, daß ln Ω(E)
konkav ist. Damit gilt ∂β/∂E < 0 und damit
∂T
∂ 1
1 ∂β
=
=−
>0.
∂E
∂E kB β
kB β 2 ∂E
Damit ist klar, daß die Wärme nach Herstellen eines thermischen Kontakts
zwischen zwei Systemen immer vom ursprünglich wärmeren zum ursprünglich kälteren fließt.
9. Bei Energien E in der Nähe der Grundzustandsenergie E0 des Systems sind
diesem meist nur noch wenige Zustände zugänglich und die Entropie wird
klein. Im Limes E → E0 geht S gegen eine Konstante, die durch
lim S(E) = kB ln Ω(E0 )
E→E0
gegeben ist. Ist der Grundzustand nicht entartete, so gilt
lim S(E) = 0
E→E0
(keine Entartung) .
Für entartete Grundzustände, ist limE→E0 S(E) ein Maß für die Entartung.
Dieses Grenzwertverhalten der Entropie können wir auch mit Hilfe der Temperatur ausdrücken. Wegen ∂T /∂E > 0 nimmt T mit E → E0 ab. Da ln Ω
für bei E0 startende Energie im Allgemeinen sehr schnell anwächst gilt in
guter Näherung
∂ ln Ω(E)
=∞
E→E0
∂E
lim β = lim
E→E0
17
und damit T → 0.
Da S im Allgemeinen von E und den a abhängt, verwenden wir jetzt wieder die partielle
Ableitung.
42
KAPITEL 2. GRUNDÜBERLEGUNGEN
Wir haben gesehen, daß für den Gleichgewichtszustand des Gesamtsystems
bei Wärmeaustausch zwischen zwei Teilsystemen A und A′ die Gesamtentropie
S + S ′ einen maximalen Wert annimmt. Weiter unten werden wir zeigen, daß
die maximale Entropie unter allgemeinen Voraussetzungen das Gleichgewicht eines abgeschlossenen Systems bestimmt (siehe auch Kapitel 2.5). Bevor wir dazu
kommen, werden wir aber einige etwas anders geartete Überlegungen anstellen.
2.10
Kleine Wärmemengen
In diesem kurzen Abschnitt wollen wir den Transport kleiner Wärmemengen zwischen den Teilsystemen A und A′ untersuchen. Er wird uns auf eine in der Thermodynamik wichtige Relation führen und in ihm werden wir das zentrale Konzept eines Wärmereservoirs einführen. Ein System A im Gleichgewicht werde mit
einem anderen Gleichgewichtssystem A′ in Kontakt gebracht. Für die Wärmemenge die bis zum Erreichen des gemeinsamen Gleichgewichts von A absorbiert
wird gelte
|Q| ≪ hEi − E0 .
(2.11)
Die Wärmemenge ist somit klein verglichen mit der auf die Grundzustandsenergie
E0 bezogene mittleren Energie des Systems. Die Änderung der mittleren Energie
∆ hEi = Q ist damit klein verglichen mit hEi − E0 . Dies impliziert, daß sich die
Temperatur nur um einen vernachlässigbaren Betrag ändert, was man wie folgt
sieht. Es gilt
∆β =
∂β
f
β
Q,
Q≈−
Q≈−
2
∂E
(hEi − E0 )
hEi − E0
wobei wir die grobe Abschätzung zur Zahl der zugänglichen Zustände verwendet
haben. Die Ungleichung (2.11) liefert dann
∂β |∆β| = Q ≪ β .
∂E Aus T = (kB β)−1 folgt
∆β
∆T
=−
T
β
und damit
|∆T |
≪1.
T
(2.12)
Im Folgende werden wir Q als “klein” bezeichnen, wenn die Ungleichung (2.12)
gilt.
2.11. DIE KANONISCHE VERTEILUNG
43
Wenn A eine solche kleine Wärmemenge absorbiert hat, dann werden seine
Anfangs- bzw. Endenergie mit großer Wahrscheinlichkeit den mittleren Energien
hEi bzw. hEi + Q entsprechen. Nach Aufnahme der Wärme und erreichen eines neuen Gleichgewichts hat sich die Zahl der zugänglichen Zustände Ω von A
entsprechend geändert. Es gilt18
∂ ln Ω 1 ∂ 2 ln Ω ln Ω(hEi + Q) − ln Ω(hEi) =
Q+
Q2 + O(Q3 )
∂E E=hEi
2 ∂E 2 E=hEi
1 ∂β Q2 + O(Q3 ) .
= β(hEi)Q +
2 ∂E E=hEi
Den zweiten Term können wir nun ebenfalls vernachlässigen da |∂β/∂E Q| ≪ β
gilt und erhalten
∆[ln Ω(hEi)] = β(hEi)Q
bzw.
∆S =
Q
.
T
Für infinitesimal kleine Wärmemengen folgt
dS =
d¯Q
.
T
Dabei ist dS als infinitesimale Differenz der makroskopischen Entropie vor und
nach der Wechselwirkung ein vollständiges Differential. Die Temperatur macht
in diesem Sinne aus d¯Q ein vollständiges Differential. Mathematisch betrachtet
stellt sie damit den integrierenden Faktor von d¯Q dar. Wir werden folgend sehen,
daß diese Relation auch unter allgemeineren Bedingungen gültig ist (nicht nur für
kleinen Wärmeübertrag).
Ein System A wird mit Bezug auf eine Reihe andere Systeme als Wärmereservoir bezeichnet, wenn es so groß ist, daß sich seine Temperatur durch eine
thermische Wechselwirkung mit diesen anderen Systemen praktisch nicht ändert.
Die obige Beziehung ∆S = Q/T ist damit als Relation zwischen der Entropieänderung ∆S und der absorbierten Wärmemenge Q anwendbar.
2.11
Die kanonische Verteilung
Wir wollen nun die Situation genauer betrachten, daß ein System A im Kontakt
mit einem Wärmebad (Wärmereservoir) A′ steht. Dieses ist eine der generischen
18
Da die Verteilung der Energie P (E) für eine große Zahl von Freiheitsgraden extrem scharf
ist, können wir im Ω des Systems A, E durch hEi bzw. durch hEi + Q ersetzen.
44
KAPITEL 2. GRUNDÜBERLEGUNGEN
Situationen, mit denen wir in der Praxis zu tun haben. Für einen nicht wärmeisolierten Behälter mit Gas oder ein Stück Metall, dient das Labor als ein Wärmebad.
Wir wollen nun herleiten, wie groß unter Gleichgewichtsbedingungen die Wahrscheinlichkeit ist, daß sich A im Mikroszutand r mit Energie Er befindet. Dabei
enthält der Zustand r nur “Variable” von A. Wie wir sehen werden, muß das
System A nicht notwendigerweise makroskopisch sein (siehe Kapitel 2.12).
Aufgrund der Energieerhaltung im abgeschlossenen Gesamtsystem gilt wieder Eg = E + E ′ .19 Wenn A im festen Zustand r mit Energie Er ist, gilt somit
E ′ = Eg − Er . Ist A in diesem einen Mikrozustand r, so ist die Zahl der für das
Gesamtsystem A+A′ realisierbaren Zustände durch Ω′ (Eg −Er ) gegeben. In Analogie zu Gl. (2.10) folgt dann für die Wahrscheinlichkeit, daß A im Mikrozustand
r ist
Pr ∝ Ω′ (Eg − Er )
da der erste Faktor im Zähler in Gl. (2.10) gleich eins ist. Dieses Ergebnis ergibt
sich natürlich auch dadurch, daß wir unser fundamentales Postulat bemühen,
welches besagt, daß die Wahrscheinlichkeit für alle realisierbaren Zustände des
abgeschlossenen Gesamtsystems gleich groß ist.
Nach diesen allgemeinen Überlegungen wollen wir nun verwenden, daß A sehr
viel kleiner als das Reservoir A′ ist. Es gilt dann
Er ≪ Eg .
Wir können damit einen guten Näherung für Ω′ (Eg − Er ) herleiten, wenn wir
den langsam veränderlichen Logarithmus dieser Größe in einer Taylorreihe um
Eg entwickeln.
′
∂
ln
Ω
ln Ω′ (Eg − Er ) = ln Ω′ (Eg ) −
Er + . . .
∂E ′ E ′ =Eg
= ln Ω′ (Eg ) − β ′ Er + . . . ,
wobei wir über β ′ = 1/(kB T ′ ) die “konstante” (siehe die Diskussion in Kapitel
2.10) Temperatur T ′ des Wärmereservoirs eingeführt haben. Wir werden diese
Temperatur im Folgenden mit T statt T ′ , bzw. die “inverse Temperatur” mit β
statt β ′ , bezeichnen. Da Ω′ (Eg ) eine von r unabhängige Konstante ist, können
wir in guter Näherung (d.h. unter Vernachlässigung der durch die Punkte angedeuteten Terme höherer Ordnung)
Pr = ce−βEr
schreiben. Die Proportionalitätskonstante c können wir aus der Forderung bestimmen, daß
X
Pr = 1
r
19
Wir vernachlässigen somit wieder die Energie, die in der Wechselwirkung steckt.
2.12. NOCHMAL: DAS KLASSISCHEN IDEALEN GASES
45
gelten muß, wobei über alle Mikrozustände r von A summiert werden muß. Damit
folgt
1
Pr = e−βEr .
Z
mit
X
Z=
e−βEr .
r
Man bezeichnet den Exponentialfaktor exp (−βEr ) als den Boltzmannfaktor. Die
durch Pr gegebene Wahrscheinlichkeitsverteilung heißt die kanonische Verteilung
und ein Kollektiv von Systemen, welche sich alle in Kontakt mit einem Wärmereservoir befinden ist das kanonische Ensemble. Neben dem mikrokanonischen
Ensemble haben wir somit unser zweites statistisches Ensemble kennen gelernt.
Statt eines Ensembles abgeschlossener Systeme betrachtet man eines von Systemen, die Energie mit einem Wärmebad austauschen können und damit eine feste
Temperatur (aber eine leicht fluktuierende Energie) hat. Den Normierungsfaktor
Z = Z(T )
bezeichnet man als die kanonische Zustandssumme.
Mit der soeben eingeführten Wahrscheinlichkeitsverteilung kann man nun Erwartungswerte für physikalisch relevante Größen berechnen. Wir werden dies im
folgen Kapitel exemplarisch für das einatomige ideale Gas tun. In den Übungen
werden sie ein weitere Beispiele von physikalischem Interesse untersuchen.
2.12
Nochmal: Das klassischen idealen Gases
Wir betrachten erneut das einatomige ideale Gas in einem quaderförmigen Volumen V = L1 L2 L3 . Im Gegensatz zur Rechnung in Kapitel 2.4, in der wir das Gas
als abgeschlossenes System betrachtet haben, befinde sich dieses jetzt in thermischen Kontakt mit einem Wärmereservoir. Das Gas befinde sich bei der durch
das Reservoir vorgegebenen Temperatur im Gleichgewicht. Wir werden wieder am
klassischen Limes interessiert sein und nehmen an, daß die de Broglie Wellenlänge
eines Atoms sehr viel kleiner als der mittlere Abstand dieser ist (verdünntest Gas).
Wir können dann davon ausgehen, daß Teilchen unterscheidbar sind, da wir die
Bahn der Teilchen (im Prinzip) verfolgen können. Es bietet sich nun an, nicht das
Gas als ganzes als System A aufzufassen, sondern ein einzelnen Atom dieses. Für
dieses bildet nun das Restgas zusammen mit dem ursprünglichen Reservoir das
Wärmereservoir der Temperatur T . Die Wahrscheinlichkeit, daß ein Atom einen
seiner Einteilchenquantenzustände ρ mit Einteilchenenergie ǫρ aufweist, ist dann
durch die kanonische Verteilung
e−βǫρ
Pρ = P −βǫρ
ρe
46
KAPITEL 2. GRUNDÜBERLEGUNGEN
gegeben. Wie in Kapitel 2.4 ist die Energie nur durch die kinetische Energie der
Schwerpunktsbewegung des Atoms
π 2 ~2 n21
n23
n23
ǫρ =
+
+
2m
L21 L23 L23
wobei der Einteilchenzustand ρ durch die drei Quantenzahlen (n1 , n2 , n3 ), mit
ni ∈ N, charakterisiert ist.
Die mittlere Energie eines Atoms ist durch
P
−βǫρ
X
ρ ǫρ e
hǫi =
Pρ ǫρ = P −βǫρ
ρe
ρ
gegeben. Diese Größe können wir nun umschreiben. Mit
X
ρ
ǫρ e−βǫρ = −
∂ X −βǫρ
∂Z
e
=−
∂β ρ
∂β
folgt
hǫi = −
∂ ln Z
1 ∂Z
=−
.
Z ∂β
∂β
Wir können die mittleren kinetischen Energie eines Atoms des Gases also aus der
Zustandssumme Z berechnen.
Die Zustandssumme ist durch
∞ X
∞ X
∞
X
βπ 2 ~2 n21
n23
n23
Z=
exp −
= Z1 Z2 Z3
+
+
2m
L21 L22 L23
n =1 n =1 n =1
1
2
3
gegeben und zerfällt in das Produkt aus drei unabhängige Summen des Typs
∞
X
βπ 2 ~2 n2i
Zi =
exp −
.
2m L2i
n =1
i
Es ist nun recht einfach diese Summe auszuführen, wenn wir annehmen, daß T
so groß ist (β so klein ist), daß für den Vorfaktor vor dem n2i im Exponenten
βπ 2 ~2 1
≪1
2m L2i
gilt. Aufeinanderfolgende Summanden unterscheiden sich dann nur sehr wenig
und wir können sie Summe durch ein Integral ersetzen. Für hinreichend hohe
2.12. NOCHMAL: DAS KLASSISCHEN IDEALEN GASES
47
Temperaturen, d.h. im klassichen Limes in dem Quanteneffekte keine Rolle mehr
spielen gilt dann
Z ∞
βπ 2 ~2 n2i
Zi ≈
exp −
dn1
2m L2i
1
1/2
Z
Li ∞
2m
exp [−u2 ] du ,
=
β
π~ ui
mit
ui =
β
2m
1/2
π~
≪1.
Li
Aufgrund dieser Ungleichung können wir die untere Grenze des Integrals in der
zweiten Zeile der obigen Gleichung durch 0 ersetzen ohne einen großen Fehler zu
machen. Das Integral kann dann leicht ausgeführt werden und wir erhalten
√
π
Zi ≈
2
2m
β
1/2
m 1/2 L
Li
i
=
.
2
1/2
π~
2π~
β
Damit folgt für die kanonische Zustandssumme
Z=
m 3/2 V
,
2π~2
β 3/2
V = L1 L2 L3 .
(2.13)
Mit der Beziehung
p2i
π 2 ~2 2
=
n
2m
2mL2 i
können wir Z im klassischen Limes auch als Integral über den Einteilchenphasenraum in der Form
Z
Z ∝ e−βH(~x,~p) d3 x d3 p
mit der Einteilchenhamiltonfunktion H(~x, ~p) schreiben. Wir werden später aus
diesen Ausdruck zurückkommen.
Aus Gl. (2.13) folgt
3 m 3
ln Z = ln V − ln β + ln
2
2
2π~2
und für die mittlere Energie eines Atoms
hǫi = −
∂ ln Z
3 1
3
=
= kB T .
∂β
2β
2
(2.14)
48
KAPITEL 2. GRUNDÜBERLEGUNGEN
Für die mittlere Energie aller N identischen Atome des Gases gilt dann
3
hEi = NkB T .
2
(2.15)
Diese Relation zwischen Energie (dort nicht als Mittelwert, sondern “scharf”),
Teilchenzahl und Temperatur ist ihnen bereits im Rahmen der Behandlung des
idealen einatomigen Gases im mikrokanonischen Ensemble in einer Übungsaufgabe begegnet. Dabei war jedoch die Energie E fest (Gesamtenergie des abgeschlossenen Systems) und die Temperatur (bzw. β) eine abgeleitete Größe. Im
kanonischen Ensemble ist dagegen die Temperatur fest durch das Wärmebad gegeben und die Energie ein Mittelwert. In beiden Ensemblen kommt man somit für
große N (die wir hier betrachten) zu identischen Ergebnissen. Dies ist ein Beispiel
für die allgemeingültige Einsicht, daß man für die unterschiedlichen Ensembles
im Limes großer N zu gleichen Ergebnissen kommt. Wir werden dies weiter unter
genauer begründen.
Dies ist eine gute Stelle nocheinmal zur Berechnung der Zustandsdumme für
das ideale einatomige Gas im Rahmen des mikrokanonischen Ensembles (abgeschlossenes System) zurückzukehren (Kapitel 2.4). Wir haben gezeigt, daß
Φ(E, V, N) = f (N)V N E 3N/2 ,
mit einer E und V unabhängigen Funktion f (N). Die Form des Ergebnisses wäre
dieselbe, wenn wir den Faktor 1/N! und den Faktor 1/(2π~)3N nicht berücksichtigt hätten, wobei sich eine andere Funktion f (N) ergeben würde. Den ersten
Faktor haben wir “per Hand” hinzugefügt, um auch im klassischen Limes die
Ununterscheidbarkeit zu berücksichtigen, der zweite ergibt sich aus dem “coarse
graining” des Phasenraums – welches wir durch die Unschärferelation der Quantenmechanik motiviert haben. Wie bereits angedeutet, hat man dieses “coarse
graining” bereits vorgenommen, bevor die Quantenmechanik entwickelt war, wobei jedoch das Zellenvolumen unbestimmt blieb. Aus den obigen Überlegungen
wird sofort klar, daß dieses kein Problem darstellt, solange man nur an der E- und
V -Abhängigkeit von Φ interessiert ist. Völlig analog zu unseren Überlegungen aus
Kapitel 2.4 kann man auch mit unbestimmtem f (N) zeigen, daß
ln Φ ≈ ln Ω .
Aufgrund der Definition der Temperatur als Ableitung von ln Ω nach E wird
diese nicht durch den Faktor f (N) beeinflußt. Damit gilt unabhängig von f (N)
und damit Unabhängig von jeder Form von die N-Abhängigkeit betreffenden
quantenmechanischen Überlegungen, daß E = 3NkB T /2 (siehe Übungen). Auch
der (mittlere) Druck (siehe Kapitel 2.8) ist unabhängig von die N-Abhängigkeit betreffenden quantenmechanischen Überlegungen.20 Zusammenfassen kann
20
Damit ist auch die Zustandsgleichung P V = N kB T (siehe Übungen und weiter unten)
unabhängig von solchen Überlegungen.
2.12. NOCHMAL: DAS KLASSISCHEN IDEALEN GASES
49
man feststellen, daß wir die N-Abhängigkeit von Φ bzw. Ω für unsere bisherigen
Überlegungen nicht genauer hätten untersuchen müssen (siehe auch die Frage
zur Vernachlässigung von Termen aus der Vorlesung). Es ist daher auch nicht
verwunderlich, daß wir in diesem Kapitel, in dem wir in unserer Rechnung für Z
im klassischen Limes die Ununterscheidbarkeit nicht berücksichtigt haben (siehe
Annahmen vom Beginn dieses Kapitels), auf die gleichen Ergebnisse stoßen.
Es ist wichtig festzuhalten, daß die mittlere Energie Gl. (2.15) des einatomigen
idealen Gases nicht vom Volumen abhängt. Dies ist physikalisch einsichtig. Die
kinetische Energie eines Teilchens hängt nicht von der Entfernung der Teilchen
voneiander und damit bei festem T und N nicht vom Volumen V ab. Berücksichtigt man die potentielle Energie (löst man sich also von der Idealisierung des
idealen Gases), so gilt dies nicht mehr. Sie haben ein Beispiel dazu in Form des
van-der-Waals Gases in den Übungen kennengelernt.
Wir wollen nun ebenfalls den Druck des idealen Gases im kanonischen Ensemble berechen. Wie im mikrokanonischen Ensemble ist der Druck im kanonischen
Ensemble ein Mittelwert. Wir betrachten wieder einen quaderförmigen Behälter.
Mit fρ bezeichnen wir die Kraft, die ein einzelnes Atom im Einteilchenzustand
ρ in die x-Richtung auf die rechte Begrenzungswand (in der y-z-Ebene) ausübt.
Ändern wir nun L1 um dL1 so verrichtet das Atom an der Wand die Arbeit fρ dL1 ,
die gleich der Abnahme der Energie −dǫρ sein muß
fρ dL1 = −dǫρ ⇒ fρ = −
∂ǫρ
.
∂L1
Für die mittlere Kraft hf i die ein Atom auf die rechte Begrenzungswand ausübt
gilt dann
X
hf i =
Pρ fρ
ρ
= −
1
Z
1
=
β
=
1 X −βǫρ ∂ǫρ
e
Z ρ
∂L1
1 ∂Z
β ∂L1
∂ ln Z
,
∂L1
Mit der sogenannten freien Energie
F = −kB T ln Z
entspricht diese Relation
hf i = −
∂F
.
∂L1
50
KAPITEL 2. GRUNDÜBERLEGUNGEN
Wie sie später genauer verstehen werden, spielt die freie Energie im Rahmen des
kanonischen Ensembles in vielerlei Hinsicht dieselbe Rolle wie die Entropie im
Rahmen des mikrokanonischen.
Mit Gl. (2.14) für den Logarithmus der kanonischen Zustandssumme, können
wir die mittlere Kraft explizit berechnen
hf i =
1 ∂ ln Z
1 ∂ ln V
1
=
=
.
β ∂L1
β ∂L1
βL1
Der (mittlere) Druck P aller N Teilchen ist dann durch
P =
N
N hf i
= kB T
L2 L3
V
gegeben. Wir erhalten somit die Zustandsgleichung
P V = NkB T
des einatomigen idealen Gases, welche ihnen abgleitet im Rahmen des mikrokanonischen Ensembles bereits in einer Übungsaufgabe begegnet ist.
Aus der Zustandsgleichung lassen sich verschiedene wichtige Voraussagen gewinnen.
1. Wird eine bestimme Menge eines idealen Gases (d.h. N fest) auf konstanter
Temperatur gehalten (thermischer Kontakt zum Wärmereservoir), so gilt
P V = const.
d.h. der Druck ist dem Volumen umgekehrt proportional. Man nennt sie
auch Boylesches bzw. Boyle-Mariottsches Gesetz.21 Dies ist in der folgenden
Skizze dargestellt. Man nennt die Linien die Isothermen.
20
P
15
10
>
T
5
<
T
0
0
1
2
3
V
21
Die Beziehung wurde 1662 von Boyle experimentell entdeckt.
4
2.13. GLEICHGEWICHT, ENTROPIE UND KRÄFTE
51
2. Wir eine bestimmte Gasmenge auf konstantem Volumen gehalten, so ist
sein Druck seiner absoluten Temperatur proportional. Diese Relation kann
zur Messung der absoluten Temperatur verwendet werden.
3. Die Zustandsgleichung gilt völlig unabhängig vom Typ der betrachteten
Atome. Dieses ist experimentell auch nachgewiesen.
2.13
Gleichgewicht, Entropie und Kräfte
In Kapitel 2.9 habe wir gezeigt, daß der Gleichgewichtszustand eines zusammengesetzten Systems mit Wärmeaustausch, aber für feste äußere Parameter
a (keine Arbeit), dadurch festgelegt ist, daß die Entropie S + S ′ des Gesamtsystems ein Maximum annimmt. Man kann die Temperatur als die treibende
Kraft des Wärmeaustauschs vestehen. Wir werden nun zeigen, daß auch bei allgemeiner Wechselwirkung zwischen zwei Systemen das Gleichgewicht durch das
Maximum der Gesamtentropie festgelegt ist. Es wird klar werden, daß die verallgemeinerten Kräfte hαi i in Analogie zur Temperatur als treibende Kräfte eines
“ai -Austauschs” verstanden werden können.
Wie sie in einer Übungsaufgabe gezeigt haben, hat die Wahrscheinlichkeitsverteilung für die Energie des Subsystems A bei reinem Wärmeaustausch zwischen
A und A′ näherungsweise die Gauß-Form
Ω(E)Ω′ (Eg − E)
(E − EM )2
P (E) =
,
≈ P (EM ) exp −
Ωtot
2(∆E)2
√
wobei ∆E ∼ 1/ f. Der Gleichgewichtszustand ist durch das Maximum EM bestimmt. Die mikrokanonische Zustandssumme des Gesamtsystems hängt neben
(g)
(g)
der Energie von den äußeren Parametern des Gesamtsystems a(g) = (a1 , . . . , an )
ab. Da das Gesamtsystem abgeschlossen ist bleibt a(g) beim Wechselwirkungsprozeß konstant. Jeden der konstanten äußeren Parameter des Gesamtsystems
zerlegen wir analog zu Energie in ein ai und ein a′i für die Teilsysteme A und A′ .
Dabei können sich ai und a′i während des Wechselwirkungsprozesses ändern, wobei jedoch ai +a′i = a(g) konstant bleibt. Als Beispiel zur Veranschaulichung diene
das Volumen. Zur Vereinfachung wollen wir im Folgenden annehmen, daß es nur
einen äußeren Parameter ag gebe. Die Verallgemeinerung auf n solche sollte am
Ende unserer Diskussion evident sein. Das Ziel der folgenden Überlegungen ist
es, zu zeigen, daß im Gleichgewicht zwischen A und A′ , die Wahrscheinlichkeitsverteilung P (E, a) dafür, daß der äußere Parameter im Teilsystem A den Wert a
annimmt und die Energie von A den Wert E, ebenfalls von der obigen Gauß-Form
ist und die relative Schwankung in a-Richtung mit der Zahl der Freiheitsgrade
(Teilchen) gegen Null geht. Damit ist P (E, a) eine sehr scharfe Verteilung um
das Maximum (EM , aM ). Für das Beispiel des idealen Gases und dem Volumen
als äußeren Parameter ist dieses leicht einsichtig. Wie wir in Kapitel 2.4 gesehen
52
KAPITEL 2. GRUNDÜBERLEGUNGEN
haben, ist Ω(E, V ) auch als Funktion von V eine extrem schnell anwachsende
Funktion. Basierend auf unserem Grundpostulat der Gleichverteilung auf alle
zugänglichen Zustände und V + V ′ = Vg können wir dann völlig analog wie in
Kapitel 2.9 vorgehen, wobei E durch V zu ersetzen ist. Das Gleichgewicht ist
dann durch (EM , VM ) und damit durch das Maximum der Entropie des Gesamtsystems gegeben. Die Schwankungen um das Maximum verschwinden (in beide
Richtungen) wieder wie die inverse Wurzel des Zahl der Freiheitsgrade (Teilchen).
Wir wollen nun ein allgemeines System mit dem extensiven äußeren Parameter ag betrachten. Der äußere Parameter heißt extensiv, wenn er linear mit
der Teilchenzahl ansteigt. Im Gleichgewicht sind alle Ωg (E, a) Mikrozustände des
Gesamtsystems gleichwahrscheinlich. Wir parametrisieren Ωg durch den Wert des
Parameters a im Teilsystem A, was möglich ist, da ag = a + a′ und durch die
Energie E von A. Damit ist die Wahrscheinlichkeit, daß a einen bestimmte Wert
annimmt proportional zur Zahl der Mikrozustände zu genau diesem Wert
P (E, a) = cΩg (E, a) = c exp [Sg (E, a)/kB ] .
Wir haben dabei die von a und E unabhängige Konstante c eingeführt. Wir gehen
nun davon aus, daß Sg (E, a) ein absolutes Maximum (EM , aM ) hat22
∂Sg ∂Sg =0,
=0
(2.16)
∂E E=EM ,a=aM
∂a E=EM ,a=aM
und entwickeln ln P (E, a) um (E, a) = (EM , aM ) in einer Taylorreihe.23 Brechen
wir bei der quadratischen Ordnung in der Abweichung vom Maximum ab,24 so
gilt
1 1
(E − EM )2 1
(a − aM )2
P (E, a) ≈
exp −
exp −
,
2π ∆E
2(∆E)2 ∆a
2(∆a)2
mit
∆a =
s
−
kB
(∂ 2 S/∂a2 )
>0
E=EM ,a=aM
und ∆E wie bereits berechnet. Wir haben dabei die Normierung der Wahrscheinlichkeitsverteilung berücksichtigt. Da (EM , aM ) ein Maximum von Sg (E, a)
sein soll, gilt (∂ 2 S/∂a2 )a=aM < 0.25 Da a als extensiv angenommen wurde, gilt
22
Mit dem Beispiel des Volumens im idealen Gas im Hinterkopf ist dieses plausibel; siehe
auch die Überlegungen zur Energieabhängigkeit.
23
In strikter Analogie zur Untersuchung von P (E); siehe Übung.
24
Im Beispiel des idealen Gases und a = V wird aus der Produktform von Ω (siehe Kapitel
2.4) sofort klar, daß die in der Taylorentwicklung auftetenden Terme mit gemischten zweiten
Ableitungen am Maximum verschwinden. Wir gehen hier davon aus, daß dieses allgemein gilt.
25
In der Übungsaufgabe zum idealen Gas haben sie dieses explizit gesehen (siehe V -Abhängigkeit der Entropie dort).
53
2.13. GLEICHGEWICHT, ENTROPIE UND KRÄFTE
aM = O(N) und damit nach der Definition der Schwankung ∆a = O(N 1/2 ), da
S als additive Größe ebenfalls extensiv ist. Dies bedeutet, daß
∆a
1
∼√ .
aM
N
Damit liegen für große N fast alle Mikrozustände beim Maximum (EM , aM )
von (E, a).26 Es ist somit gezeigt, daß die Verteilung extrem scharf ist und das
Maximum der Gesamtentropie damit den Gleichgewichtszustand bestimmt. Dies
schließt den ersten wichtigen Schritt in diesem Kapitel ab.
Um das Problem der treibenden Kräften eines “ai -Austauschs” zu verstehen,
betrachten wir im Folgenden die Abhängigkeit der Entropie von den äußeren
Paramtern und bestimmen die partiellen Ableitungen ∂S/∂ai = kB ∂ ln Ω/∂ai .
Dies führt uns zu einer allgemeineren Definition der in Kapitel 2.8 eingeführten
verallgemeinerten Kräfte.
Die mikrokanonische Zustandssumme ist durch
X
Ω(E, a) =
1
r:E≤Er (a)≤E+δE
gegeben. Es gilt für jeden beliebigen der äußeren Parameter (den wir hier als a1
wählen
∂ ln Ω
ln Ω(E, a1 + δa1 , a2 , . . . , an ) − ln Ω(E, a1 , a2 , . . . , an )
= lim
.
δa1 →0
∂a1
δa1
Um diesen Ausdruck auszuwerten müssen wir die beiden Zustandssummen bestimmen. Wir betrachten also
X
Ω(E, a1 + δa1 , a2 , . . . , an ) =
1
r:E≤Er (a1 +δa1 ,...,an )≤E+δE
X
=
1
r:E≤Er (a1 ,...,an )+dEr ≤E+δE
=
X
1
r:E−hdEr i≤Er (a1 ,...,an )≤E−hdEr i+δE
= Ω(E − hdEr i , a1 , a2 , . . . , an ) .
Die Summe läuft über sehr viele Mikrozustände r (diejenigen mit Energie in
[E, E + δE]), die alle mit dem gleichen Gewicht beitragen. Dies entspricht der
Mittelwertbildung mit der Verteilung Gl. (2.3) und wir haben die Energieverschiebung
dEr =
26
∂Er
δa1
∂a1
Erneut in strikter Analogie zu den Überlegungen zur Verteilung der Energie.
54
KAPITEL 2. GRUNDÜBERLEGUNGEN
durch den Mittelwert
hdEr i =
∂Er
∂a1
δa1 = − hα1 i δa1
ersetzt. Wir haben dabei die in Kapitel 2.8 eingeführte verallgemeinerte Kraft in
die Gleichung eingeführt. Zusammengenommen gilt dann
∂ ln Ω
∂ ln Ω
=
hα1 i = β hα1 i .
∂a1
∂E
Für ein allgemeines ai ergibt sich
hαi i = kB T
∂ ln Ω(E, a)
∂S(E, a)
=T
.
∂ai
∂ai
Wir haben damit eine sehr fundamentale Relation zwischen den verallgemeinerten Kräften und der Ableitung der Entropie nach den äußeren Parametern hergeleitet. Wir hätten diese auch von Anfang an als die Definitionsgleichung für
die verallgemeinerten Kräfte nehmen können! Sie ist allgemeingültiger als die
Einführung dieser Kräfte in Kapitel 2.8 der ein quasistatischer Prozeß und der
Bezug zur Arbeit zugrunde lag.
Im Rahmen des mikrokanonischen Ensembles können wir damit aus der mikroskopischen Größe Ω(E, a) die makroskopischen Größen Entropie
S = kB ln Ω(E, a) ,
Temperatur
T −1 =
∂S(E, a)
∂E
und verallgemeinerte (konjugierte) Kräfte
hαi i = T
∂S(E, a)
∂ai
berechnen. Alle diese Größen sind Funktionen der den Makrozustand festlegenden
Parameter E und a.
Betrachten wir als konkretes Beispiel das ideale Gas (bei fester Teilchenzahl
N) und ai = V , so gilt (siehe auch Übungen)
S(E, V ) = kB ln Ω(E, V ) ,
∂S(E, V )
1
=
,
T (E, V )
∂E
P (E, V )
∂S(E, V )
=
.
T (E, V )
∂V
Wir werden nun die beiden wesentlichen Einsichten diese Kapitels zusammenführen. Wir betrachten dazu exemplarisch zwei Systeme A und A′ zwischen
denen Volumen und Wärme ausgetauscht werden kann (denken sie an das ideale
2.13. GLEICHGEWICHT, ENTROPIE UND KRÄFTE
55
Gas), wobei die Gesamtenergie Eg = E +E ′ und das Gesamtvolumen Vg = V +V ′
konstant bleiben. Nach unseren obigen Überlegungen wird die Gesamtentropie im
Gleichgewicht maximal sein. Mathematisch wird
Sg (E, V ) = S(E, V ) + S ′ (Eg − E, Vg − V )
maximal bei den Gleichgewichtswerten von E und V . Somit muß nach Gl. (2.16)
∂Sg (E, V )
=0
∂E
T = T′
⇒
und gleichzeitig auch
∂Sg (E, V )
∂S(E, V ) ∂S ′ (E ′ , V ′ )
=
−
=0,
∂V
∂V
∂V ′
also
∂S ′ (E ′ , V ′ )
∂S(E, V )
=
∂V
∂V ′
⇒
P
P′
= ′
T
T
gelten. Bei Wärme und Volumenaustausch ist somit das Gleichgewicht durch eine
gleiche Temperatur und einen gleichen Druck in beiden Untersystemen gegeben.
Dieses Kapitel abschließend wollen wir noch die Relation dS = d¯Q/T die
wir in Kapitel 2.10 für den Austausch kleiner Wärmemengen hergeleitet haben
verallgemeinern. Wir betrachten dazu einen infinitesimalen quasistatischen Prozeß in dem das System A durch Wechselwirkung mit A′ vom Gleichgewichtszustand (hEi , ha1 i , . . . , han i) in den Gleichgewichtszustand (hEi + d hEi , ha1 i +
d ha1 i , . . . , han i + d han i) gebracht wird (Austausch der Energie und der äußeren
Parameter). Die Zahl der zugänglichen Zustände ändert sich gemäß
n
X ∂ ln Ω
∂ ln Ω
d ln Ω =
d hai i
d hEi +
∂E
∂ai
i=1
!
n
X
= β d hEi +
hαi i d hai i ,
i=1
wobei wir die allgemeine Definition der äußeren Kräfte verwendet haben. Der
zweite Term in der Klammer ist nun das negative der quasistatischen makroskopischen Arbeit (siehe Kapitel 2.8). Damit gilt unter Verwendung des ersten
Hauptsatzes
T dS = d hEi − d¯W
⇒
dS =
d¯Q
.
T
Dies ist die angestrebte Verallgemeinerung der Relation aus Kapitel 2.10 die
mithin gültig bleibt, wenn die äußeren Parameter quasistatisch verändert werden.
56
KAPITEL 2. GRUNDÜBERLEGUNGEN
Läuft der Prozeß zusätzliche adiabatisch ab, d.h. gilt d¯Q = 0, so folgt
dS = 0 .
Also ändert sich S bzw. die Zahl der Mikrozustände Ω nicht (die Energie aber
schon!), wenn die äußeren Parameter quasistatisch um einen endlichen Bertrag
verändert werden. Der Prozeß ist reversibel, da Se = Sa (bzw. Ωe = Ωa ; siehe
Kapitel 2.5).
2.14
Der zweite und der dritte Hauptsatz
In diesem Kapitel wollen wir die obige Diskussion in Form des zweiten und dritten
Hauptsatzes im Hinblick auf die Thermodynamik zusammenfassen. Zur Erinnerung und der Vollständigkeit halber erwähnen wir zunächst den im Kapitel 2.6
hergeleiteten ersten Hauptsatz. Bei einem infinitesimalen Prozeß gilt
dE = d¯Q + d¯W .
Die Energieänderung dE = d hEi eines Systems27 wird in die aufgenommene
Wärme d¯Q und die am System geleistete Arbeit d¯W zerlegt. Praktisch unterscheidet man dadurch zwischen beiden, daß man im Experiment die beiden
Grenzfälle untersucht, in denen sich entweder die äußeren Parameter nicht ändern
(d¯W = 0) oder durch thermische Isolierung dem System keine Wärme zugefügt
wird (d¯Q = 0). Um den Unterschied zu nachfolgenden Überlegungen klar zu
machen soll betont werden, daß das betrachtete System nicht abgeschlossen ist.
Man führt manchmal auch einen nullten Hauptsatz ein. Er lautet: Sind zwei
Gleichgewichtssysteme mit einem dritten im thermischen Gleichgewicht, so sind
sie auch miteinander im thermischen Gleichgewicht. Diese Überlegung hat offensichtlich eine sehr enge Beziehung zum Begriff der Temperatur.
Wir wollen nun den zweiten Hauptsatz formulieren. Dazu betrachten wir
zunächst ein abgeschlossenes (Gesamt-)System. Basierend auf unserem fundamentalen Postulat haben wir gezeigt, daß der Gleichgewichtszustand durch das
Maximum der (Gesamt-)Entropie festgelegt ist. Damit gilt für die Änderung der
Entropie in einem abgeschlossenen (Gesamt-)System
∆S ≥ 0 .
(2.17)
Die Definition der Entropie setzt das Gleichgewicht voraus. Damit muß die Entropieänderung ausgehend von einem Gleichgewichtszustand und nach Erreichen eines neuen bestimmt werden (z.B. für zwei zunächst nicht in Kontakt stehende
Subsysteme, die jeweils im Gleichgewicht sind und dann in Kontakt gebracht
werden und ein neues Gleichgewicht erreichen).
27
Da ja P (E, a) im Gleichgewicht scharf um die Mittelwerte zentriert ist, werden wir nicht
zwischen E und dem Mittelwert hEi unterscheiden.
2.14. DER ZWEITE UND DER DRITTE HAUPTSATZ
57
Als nächstes betrachte wir ein offenes System, also das Subsystem A eines zusammengesetzten Systems. Die Entropie des Gleichgewichtszustands von A hängt
von E = hEi und a = hai ab.28 Es gilt
n
n
X ∂S
dE X hαi i
∂S
dE +
dai =
+
dai .
dS =
∂E
∂ai
T
T
i=1
i=1
Im letzten Kapitel hatten wir für einen quasistischen Prozeß aus dieser Relation
geschlossen, daß
dS =
d¯Qqs
.
T
(2.18)
Später werden wir betrachten wie sich die Situation ändert, wenn der Prozeß
nicht quasistatisch verläuft.
Die Gln. (2.17) und (2.18) können beide als der zweite Hauptsatz aufgefaßt
werden. Es gibt heutzutage keine einheitliche Formulierung dieses. Sie werden
womöglich schon von den traditionellen, thermodynamischen Formulierungen des
zweiten Haupsatzes gehört haben, die zum Teil Bezug zu sogenannten Wärmekraftmaschienen und perpetum mobiles machen. Wir werden diese im Abschnitt
über die Thermodynamik betrachten.
Wir wollen bereits hier kurz andeuten, wie man die Relation (2.18) in der
Thermodynamik verwenden kann, um die Entropieänderung ∆S bei einem Prozeß von einem Gleichgewichtszustand (a; mit Ta , Va , . . .)29 zu einem anderen (e;
Te , Ve , . . .) zu berechnen. Wir gehen dabei davon aus, daß der Makrozustand nur
durch die Temperatur charaketrisiert ist, was dann der Fall ist, wenn alle anderen Parameter (z.B. Druck und Volumen) konstant gehalten werden. Wir müssen
natürlich entlang eines quasistatischen Weges gehen da die zu verwendende Relation sonst ihre Gültigkeit verliert. Längs diese Weges durchläuft das System eine
Reihe von Gleichgewichtszuständen, so daß die Temperatur T (E, a) bei jedem
Zwischenschritt definiert ist. Es gilt dann
Z e
d¯Qqs
.
∆S =
T
a
In einem quasistatischen Prozeß wird die Temperatur durch die Zufuhr der Wärme
d¯Qqs von T auf T + dT erhöht. Als
C=
28
d¯Qqs
dT
Da ja P (E, a) im Gleichgewicht scharf um die Mittelwerte zentriert ist, werden wir nicht
zwischen den Werten der Parameter E und a und ihren Mittelwerten unterscheiden.
29
Der Kontext sollte klar machen, ob mit a die äußeren Parameter oder der Index für “Anfang” gemeint ist.
58
KAPITEL 2. GRUNDÜBERLEGUNGEN
definiert man die Wärmekapazität. Bezieht man diese Größe auf die Masse ergibt sich die spezifische Wärme c. Man unterscheidet die Wärmekapazität bzw.
die spezifische Wärme danach, welcher der makroskopischen äußeren Parameter
(Druck oder Volumen) bei der Wärmezufuhr konstant gehalten wird (cP und cV ).
Mehr dazu später. Nehmen wir nun an, daß die Wärmekapazität (zumindest für
das uns interessierende Intervall) nicht von der Temperatur abhängt. Dann gilt
Z e
Z e
Te
dT
d¯Qqs
=
= C ln
.
C
∆S =
T
T
Ta
a
a
Für die Wärmemenge gilt
∆Q = C(Te − Ta ) .
Sollte die Wärmemenge bei konstanten äußeren Parametern zugefügt werden, so
können wir diese Ergebnisse auch verwenden, wenn der Prozeß nicht quasistatisch
verläuft (siehe Kapitel 2.10).
Wir kommen nun zum dritten Hauptsatz der Thermodynamik. Er besagt,
daß die Entropie eines Gleichgewichtssystems die in Kapietl 2.9 diskutierte Eigenschaft
T →0
⇒
S → S0
mit einer vom Entartungsgrad abhängigen Konstante S0 hat.
Auch wenn wir die Hauptsätze aus unseren mikroskopischen Überlegungen extrahiert haben, machen sie selbst keinen Bezug zur Mikroskopik mehr. Man kann
sie daher auch ohne jeglichen mikroskopischen Bezug als Grundlage (genauer als
Postulate) einer phänomenologischen Theorie, der Thermodynamik, betrachten.
Der Bezug zur statistsichen Mechanik entsteht, wenn man die mikrokanonischen
Zustandssumme Ω bzw. die Entropie S = kB ln Ω für ein gegebenes System berechnet. Wir haben bereits gesehe, wie man aus dieser die Temperatur und die
verallgemeinerten (konjugierten) Kräfte berechnen kann.
2.15
Messung makroskopischer Parameter
Bevor wir uns im Abschnitt über die Thermodynamik von der mikroskopischen
Begründung der Hauptsätze vollkommen befreien können, müssen wir betrachten,
wie man die zentralen makroskopischen Größen “im Prinzip” messen kann.
Die an einem System geleistete Arbeit ist einfach zu bestimmen, da man die
äußere makroskopischen Parameter und die mittleren verallgemeinerten Kräfte
direkt messen kann (Bezug zur Mechanik). Betrachten wir als Beispiel die Situation in dem das Volumen eines Systems quasistatisch verändert wird und während
dieses Prozesses einen meßbaren (mittlere) Druck P (V ) hat. Wir gehen dann vom
2.15. MESSUNG MAKROSKOPISCHER PARAMETER
59
durch Va definierten Makrozustand in den durch Ve definierten über. Dann gilt
(wie bereits in Kapitel 2.8 angedeutet)
Z Ve
P (V )dV .
W =−
Va
Die Messung der Energieänderung ∆ hEi eines Systems können wir auf die geleistete Arbeit zurückführen, wenn wir ein thermisch isoliertes System betrachten.
Dann gilt ∆ hEi = W . Wir können also Energiedifferenzen ∆ hEi = hEe i − hEa i
messen. Nur solche sind von physikalischer Bedeutung, so daß die Energie nur
bis auf einen willkürlichen Nullpunkt festgelegt ist. Dieses sollte ihnen aus der
klassischen Mechanik bekannt sein (additive Konstante bei potentieller Energie).
Man bezeichnet die (mittlere) Energie hEi im Rahmen der Thermodynamik auch
gerne als innere Energie.
Die Wärme die beim Übergang von einem Makrozustand (Index a) zu einem
anderen (Index e) absorbiert wird ist nach dem ersten Hauptsatz durch
Q = hEe i − hEa i − W
gegeben. Da bereits klar ist, wie man ∆ hEi = hEe i − hEa i und W (“im Prinzip”)
messen kann, kann auch Q gemessen werden. Da wir zuvor immer darauf geachtet
haben, daß die Aufteilung in Arbeit und Wärme “sinnvoll” sein muß, sollten wir
kurz exemplarisch beschreiben, wie man mit Hilfe dieser Relation die Wärme
die einem System zugeführt wird messen kann. Wir nehmen an, daß wir die
Wärme Q messen wollen, die von einem System A absorbiert wird, wenn die
äußeren Parameter festgelegt sind. Wir bringen A in einen thermischen Kontakt
mit einem System A′ an dem Arbeit geleistet werden kann. Mit Hilfe der Arbeit
W die an A′ geleistet wird führen wir über den thermischen Kontakt dem System
A die Wärme Q zu. Da das zusammengesetzte System aus A und A′ mit keinem
anderen System Wärme austauscht gilt
W = ∆ hEi + ∆ hE ′ i .
Für das System A gilt (da an ihm keine Arbiet geleistet wird)
Q = ∆ hEi .
Insgesamt erhalten wir also
Q = W − ∆ hE ′ i .
Da wir nun bereits wissen, wie wir W und ∆ hE ′ i messen können, können wir Q
messen.
In Kapitel 2.1 haben wir diskutiert, wie man die Temperatur in Bezug auf ein
bestimmtes Thermometer bestimmen kann. Dabei wird jedoch nicht die Messung
60
KAPITEL 2. GRUNDÜBERLEGUNGEN
der absoluten Temperatur T festgelegt. Die absolute Temperatur liefert (i) einen
“Parameter” Temperatur, der unabhängig von der Natur des zur Messung benutzten Thermometers ist und ist (ii) einen “Parameter” der in die fundametalen
Gleichungen eingeht. Da wir ja auf die Thermodynamik abzielen, wollen hier hier
natürlich am liebsten zur Bestimmung von T nur Relationen wählen, die auf rein
makroskopischen Aussagen beruhen, also z.B. auf dS = d¯Q/T . Dies ist möglich
(auch wenn wir zuvor noch sagen müßten, wie wir die Entropie messen), jedoch
mit dem bisher hier dargestellten noch zu schwer verständlich. Wir wählen somit
eine “Meßmethode” die zu unseren mikroskopischen Überlegungen Bezug nimmt.
In den Übungen haben sie die Zustandsgleichung des idealen Gases P V = NkB T
im mikokanonischen Ensemble hergeleitet und in Kapitel 2.12 haben sie gesehen, daß diese auch im Rahmen des kanonischen Ensembles abgeleitet werden
kann. Man geht nun wie folgt vor. Wir nehmen ein “Gasthermometer” bei dem
das Volumen konstant gehalten wird. Damit ist der Druck der thermometrische
Parameter. Dieser ist nach der Zusandsgleichung der absoluten Temperatur proportional. Wird das Gasthermometer mit einem System A in Kontakt gebracht,
so stellt sich nach Erreichen des Gleichgewichts der Druck PA ein. Ein Druck PB
stellt sich ein, wenn das Thermometer mit dem System B in thermischen Kontakt
gebracht wird. Es gilt dann
PA
TA
=
PB
TB
mit den absoluten Temperaturen TA und TB der Systeme. Damit ist das Verhältnis zweier absoluter Temperaturen festgelegt. Wählt man nun das Systme B als
ein “Meßnormal” in einem festgelegten Standardmakrozustand, so mißt man mit
dem Gasthermometer das Verhältnis der absoluten Temperatur T irgendeines
Systems zur Temperatur TB des Meßnormals. Gemäß Konvention wählt man
(reines) Wasser als Meßnormal und als Standardmakrozustand, den Zustand des
Wassers, bei dem die feste, flüssige und gasförmige Phase miteinander im Gleichgewicht sind.30 Man nennt diesen Punkt den Tripelpunkt. Man legt dann fest, daß
am Tripelpunkt Ttrip = 273.16K (in der Kelvin-Skala) gelten soll. Diese Festlegung ist eindeutig, da es nur einen einzigen Wert von Druck und Temperatur gibt,
bei dem alle drei Phasen im Gleichgewicht koexistieren. Das Phasendiagramm ist
in der folgenden Abbildung skizziert.
30
Wir werden in dieser Vorlesung natürlich Phasen und die Übergänge von einer zu einer
anderen noch genauer diskutieren.
61
2.15. MESSUNG MAKROSKOPISCHER PARAMETER
P
flüssig
fest
gasf.
273.16 K
T
Die Wahl von Ttrip = 273.16K ist historisch motiviert (Übereinstimmung mit
älterer Skala). Ist nun die absolute Temperatur festgelegt, so läßt sich aus der
Zustandsgleichung die (Boltzmann-)Konstante festlegen (den Wert haben wir bereits weiter oben genannt).
Ein makroskopisches System sei nun durch eine absolute Temperatur und eine
weitere Zustandsgröße z (z.B. Volumen oder Druck) beschrieben. Wir führen dem
System bei Temperatur T die infinitesimale Wärmemenge d¯Q zu. Die resultierende Temperaturänderung dT hängt dann vom konkreten System und T sowie
z ab. Wir definieren die oben bereits eingeführte Wärmekapazität bei konstantem
z als31
d¯Q
Cz (T, z) =
.
dT z
Gemäß d¯Q = T dS können wir auch
Cz (T, z) = T
∂S
∂T
z
schreiben. In dem wir Cz durch die Zahl der Mole (siehe später) oder die Masse
teilen, können wir die spezifische Wärme cz einführen. Bei einem Gas oder einer
Flüssigkeit spielen CP (cP ) und CV (cV ) eine wichtige Rolle. Bei der Bestimmung
von CV bzw. cv gilt d¯Q = d hEi da keine Arbeit geleistet wird. Um cp zu bestimmen muß man dagegen zulassen, daß sich das Volumen ändert. Damit folgt
d¯Q = d hEi + P dV (P > 0 und dV > 0). Für ein festes d¯Q wird somit die innere Energie und auch die Temperatur im zweiten Fall um einen kleineren Betrag
31
Schon hier wollen wir festhalten, daß d¯Q 6= 0 nicht zwangsläufig dT 6= 0 bedingt. Bei
Phasenänderungen kann es dazu kommen, daß sich trotz Wärmezufuhr die Temperatur nicht
ändert (latente Wärme).
62
KAPITEL 2. GRUNDÜBERLEGUNGEN
zunehmen. Aufgrund dieser Überlegung erwartet man
c P > cV .
Werden alle äußeren Parameter konstant gehalten so gilt d¯W = 0, also d¯Q =
d hEi und damit
∂E
d¯Q
=
.
CV =
dT V
∂T V
In einem letzten Schritt müssen wir nun noch diskutieren, wie die Entropie
zu messen ist. Wir können die Entropie eines Makrozustands (Index e) bezogen
auf einen Bezugszustand (Index a) “messen”, in dem wir von a nach e mit einem
beliebigen quasistatischen Prozeß gehen und das Integral
Z e
d¯Q
Se − Sa =
T
a
berechnen (d¯Q und T sind “bereits” meßbar!). Im letzten Kapitel haben wir
dieses Integral ja bereits für den Fall exemplarisch ausgewertet, bei dem der Makrozustand nur durch die Temperatur festgelegt ist und die Wärmekapazität als
temperaturunabhängig angenommen wird. Wir kehren zu dieser Situation zurück
und betrachten als Beispiel den Fall, daß zwei Systeme A und A′ in thermischen
Kontakt gebracht werden. Vor dem Kontakt haben sie die Temperaturen T bzw.
T ′ und nachher (im Gleichgewicht) die Temperatur Te . Dann gilt nach unserer
obigen Überlegung
∆S = S(Te ) − S(T ) = mA cA ln
Te
T
und analog für A′ . Hier bezeichnet cA (bzw. cA′ ) die spezifische Wärme des Systems A (bzw. A′ ) bei konstanten äußeren Parametern. Für die gesamte Änderung
der Entropie gilt somit
∆S + ∆S ′ = mA cA ln
Te
Te
+ mA′ cA′ ln ′ .
T
T
Wir wollen nun explizit zeigen, daß ∆S + ∆S ′ als Gesamtentropieänderung eines
abgeschlossenen Systems nicht negativ ist (im Einklang mit dem zweiten Hauptsatz Gl. (2.17)). Wir verwenden dabei
ln x ≤ x − 1 ,
wobei Gleicheit für x = 1 gilt. Daraus folgt
ln x ≥ 1 − x−1 ,
2.15. MESSUNG MAKROSKOPISCHER PARAMETER
63
mit Gleichheit ebenfalls bei x = 1. Damit können wir abschätzen
T′
T
′
+ mA′ cA′ 1 −
∆S + ∆S ≥ mA cA 1 −
Te
Te
−1
= Te [mA cA (Te − T ) + mA′ cA′ (Te − T ′ )] .
Da aber nun wegen des ersten Hauptsatzes (siehe Kapitel 2.14)
Q + Q′ = mA cA (Te − T ) + mA′ cA′ (Te − T ′ ) = 0
folgt
∆S + ∆S ′ ≥ 0 .
Wir haben jetzt wieder die Situation, daß unsere Vorschrift nur die Messung
von Differenzen, hier Entropiedifferenzen ermöglicht. Für die Situationen, in denen es nur auf solchen ankommt, benötigen wir keine weiteren Überlegungen. Wie
wir jedoch bereits aus der Mikroskopik wiessen, ist die Entropie (im Gegensatz
z.B. zur Energie) eine eindeutige Größe. Wenn man den Bezug zu dieser zuläßt,
dann könnte man einfach die Entropie S0 im Limes T → 0 für einen Standardzustand berechnen oder man mißt relativ zu einem Bezugssystem dessen S0 (für
T → 0) man kennt.
64
KAPITEL 2. GRUNDÜBERLEGUNGEN
Kapitel 3
Thermodynamik
In den vorhergehenden Kapiteln haben wir uns von der mikroskopischen Betrachtung von Vielteilchensystemen unabhängig gemacht und die Hauptsätze der
Thermodynamik formuliert. Diese bilden die Grundlage der phänomenologischen
Betrachtung von makroskopischen Eigenschaften von Vielteilchensystemen im
Rahmen der Thermodynamik.
3.1
Differentiale
In der Thermodynamik betrachten wir homogene Gleichgewichtszustände. Die
Prozesse werden meist als quasistatisch angenommen, so daß bei allen Zwischenzuständen die Thermodynmik angewandt werden kann. Auf makroskopischer Skala gelingt die Charakterisierung mit Hilfe weniger Zustandsgrößen. Als solche
haben wir bereits die Teilchenzahl N, das Volumen V den Druck P , die Temperatur T , die Energie1 E und die Entropie S kennen gelernt. Weitere solche
~ und das externe Magnetfeld B
~ in
Zustandsgrößen sind die Magnetisierung M
magnetischen Systemen oder die elektrische Polarisation P~ und das externe elek~ in elektrisch geladenen Systemen. Wie auch bereits wissen sind
trische Feld E
nicht alle diese Größen unabhängig. Es ist nun eine der Aufgaben der Thermodynamik aufbauend auf den axiomatischen Hauptsätzen Beziehungen zwischen den
Zustandsgrößen herzustellen. Diese Beziehungen sind die Zustandsgleichungen,
z.B.
P = P (T, V, N) thermische Zustandsgleichung ,
E = E(T, V, N) kalorische Zustandsgleichung ,
~ = M(T,
~
~ paramagnetische Zustandsgleichung
M
V, B)
und der gewählte Satz von unabhängigen Zustandsgrößen bildet die Zustandsvariable. Wie wir bereits aus unseren Grundüberlegungen wissen, sind dieses z.B.
1
Wir unterscheiden hier nicht mehr zwischen E und hEi.
65
66
KAPITEL 3. THERMODYNAMIK
die makroskopischen Variable
(E, V, N) ,
(T, V, N) ,
(T, P, N) ,
(S, V, N) , . . . .
Welchen Satz man hier wählt ist eine Frage der Zweckmäßigkeit. Es ist wichtig
festzuhalten, daß man normalerweise für eine Zustandsgröße nur einen Buchstaben einführt auch wenn diese unterschiedliche Funktionen der verschiedenen
Sätze von Zustandsvariablen sein können. So schreiben wir einerseits S = S(E, V )
wenn (bei festem N) E und V als Zustandsvariable gewählt werden, aber auch
S = S(T, V ) wenn T und V die Zustandsvariablen sind. Beide Größen sind
natürlich unterschiedliche Funktionen ihrer zwei Variablen. Man muß also sehr
genau aufpassen, welches die aktuellen Variablen sind. Die Thermodynamik liefert auch Beziehungen zwischen den Zustandsgleichungen. Ein Beispiel ist
∂P
∂E
= −P + T
.
∂V T,N
∂T V,N
Die Indizes zeigen an, welche Zustandsvariablen konstant gehalten werden. Die
Thermodanymik liefert ebenfalls Zusammenhänge zwischen infinitesimalen Änderungen von Zustandsgrößen, z.B. für einen quasistatischen Prozeß (bei festem N)
dE = T dS − pdV .
Eine Zustandsgröße f kann extensiv oder intensiv sein. Diese Begriffe definieren
wir wie folgt. Wir betrachten zwei Subsysteme A und A′ . Die Zustandsgröße f
ist dan extensiv falls2
fg = f + f ′ .
Daraus ergibt sich, daß f proportional zur Teilchenzahl ist. Beispiele sind E und
S. Die Größe heißt intensiv falls
fg = f = f ′ .
Beispiele dafür sind der Gleichgewichtsdruck P und die Temperatur T . Werden
bei Prozessen Zustandsgrößen nicht geändert, so erhalten sie die Vorsilbe “iso”,
z.B. isotherm (T =const.), isobar (P =const.) und isochor (V =const.).
Wie diese Überlegungen andeuten, müssen wir genauer lernen mit Differentialen umzugehen. Wir betrachten eine vektorwertige Funktion f~ (mit n Kompo~ x). Wir ändern nun
nenten) eines Vektors ~x (ebenfalls mit n Komponenten): f(~
die Variable von ~x nach ~x + d~x und betrachten das Differential
~ x) · d~x =
f(~
2
n
X
fi (~x)dxi .
i=1
Notation wie in den vorhergehenden Kapiteln.
67
3.1. DIFFERENTIALE
Der Satz von Stokes lautet dann in n Dimensionen
I
Z X
∂f
∂f
j
i
−
dxi dxj .
f~(~x) · d~x =
σi,j
∂x
∂x
j
i
C
F
i,j
i>j
Dabei bezeichnet C eine geschlossene Fläche, Fi,j die Fläche, die von der Projektion von C auf die (xi , xj )-Ebene eingeschlossen wird und σi,j das von der
Orientierung mit der Fi,j durchlaufen wird abhängige Vorzeichen. Um diese Aussage zu “beweisen” zerlegen wir das Integral über den geschlossenen Weg C in
eine Summe von Integralen über kleine geschlossene Rechtecke. Damit müssen
wir den Satz von Stokes nur für ein Rechteck zeigen. Wegen der Drehinvarianz
(f~(~x) · d~x ist ein Skalar), reicht es, daß Rechteck in die (x1 , x2 )-Ebene zu legen.
Es gilt
I
R
f~(~x) · d~x =
Z
x1
−
=
x1 +dx1
Z
Z
x1 +dx1
x1
x1 +dx1
x1
+
Z
f1 (x′1 , x2
+
+
Z
x2 +dx2
x2
dx2 )dx′1
−
f2 (x1 + dx1 , x′2 )dx′2
Z
x2 +dx2
x2
f2 (x1 , x′2 )dx′2
[f1 (x′1 , x2 ) − f1 (x′1 , x2 + dx2 )] dx′1
x2 +dx2
x2
≈ −
f1 (x′1 , x2 )dx′1
[f2 (x1 + dx1 , x′2 ) − f2 (x1 , x′2 )] dx′2
∂f2
∂f1
dx1 dx2 +
dx1 dx2
∂x2
∂x1
wobei wir in der letzten Zeile Terme höherer Ordnung in den kleinen Größen dx1
und dx2 vernachlässigt haben. Es gilt also
I
∂f2
∂f1
~
f (~x) · d~x ≈
−
dx1 dx2
∂x1 ∂x2
R
und damit der Satz von Stokes.
Aus dem Satz von Stokes folgt, daß die folgenden Aussagen äquivalent sind:
1. Integrabilitäsbedingung
2.
H
C
∂fi
∂xj
=
∂fj
∂xi
für alle i, j.
~ x) · d~x = 0.
f(~
3. Es existiert eine Funktion F (~x) mit dF = F (~x + d~x) − F (~x) = f~(~x) · d~x.
Gelten diese Relationen, so nennt man das Differential vollständig, sonst nicht
vollständig. Wir wollen diese Äquivalenzen “beweisen”. Dabei ist wegen des Satz
68
KAPITEL 3. THERMODYNAMIK
von Stokes klar, daß 1. ⇒ 2.. Wir zeigen als nächstes 2. ⇒ 3.. Dazu definieren
wir
Z
f~(~x′ ) · d~x′
F (~x) = F (~x0 ) +
C~x0 →~x
wobei C~x0 →~x ein beliebiger Weg ist, der ~x0 mit ~x verbindet. Wegen 2. kommt es
auf den Weg selbst nicht an. Das Ergebnis des Integral ist immer dasselbe. Das
Verschwinden des geschlossenen Integrals bedeutet auch, daß F (~x) keine Sprünge
hat. Wählt man jetzt als C~x→~x+d~x eine Gerade, so gilt
F (~x + d~x) = F (~x) + f~(~x) · d~x
~ x) · d~x .
⇒ dF~ = f(~
Es fehlt nun noch, daß wir 3. ⇒ 1. zeigen. Es gilt
∂F
· d~x ,
f~(~x) · d~x = F (~x + d~x) − F (~x) =
∂~x
wobei wir in der letzten Gleichung eine Taylorentwicklung angewandt haben. Da
d~x beliebig ist, gilt f~ = ∂F/∂~x und damit
∂fi
∂2F
∂2F
∂fj
=
=
=
.
∂xj
∂xj ∂xi
∂xi ∂xj
∂xi
Damit ist die Äquivalenz der Aussagen “gezeigt”.
Um endliche Änderungen einer Zustandsgröße bei einem Prozeß zu berechnen
ist es wichtig zu wissen, wie man F (~x) aus dem Gradienten ∂F/∂~x berechnen
kann. Liegt ein vollständiges Differential vor, so gilt
Z
∂F
F (~x) = F (~x0 ) +
(~x) · d~x
x
C~x0 →~x ∂~
unabhängig vom gewählten Weg, der ~x0 mit ~x verbindet. Dabei ist F (~x0 ) eine
Integrationskonstante. Wir stellen somit fest, daß wir den Weg geeignet wählen
können. Als Beispiel betrachten wir n = 2 und wählen Geradenstücke entlang
der xi -Richtungen als Weg. Dann gilt
F (x1 , x2 ) =
(0)
(0)
F (x1 , x2 )
+
Z
x1
(0)
x1
(0)
∂F (x′1 , x2 ) ′
dx1 +
∂x′1
Z
x2
(0)
x2
∂F (x1 , x′2 ) ′
dx2 .
∂x′2
Folgend wollen wir wichtige Relationen zwischen partiellen Ableitungen diskutieren. Gegeben sei die Funktion zweier Veränderlicher z = z(x, y). Wir gehen
davon aus, daß man diese Beziehung eindeutig auflösen kann3 und erhalten so
3
Weitere Überlegungen dazu finden sie in der mathematischen Literatur oder im Skript zur
“Einführung in die Theoretische Physik”; siehe L2 P.
3.1. DIFFERENTIALE
x = x(y, z) sowie y = y(x, z). Es gilt dann
1
∂z
= ∂x ,
∂x y
∂z y
∂z
∂y
∂z
= −
.
∂x y
∂y x ∂x z
69
(3.1)
(3.2)
In der ersten Relation ist y konstant gehalten, so daß man sie als Beziehung
zwischen der Ableitung einer Funktion einer Veränderlichen und der Ableitung
der entsprechenden Umkehrfunktion verstehen kann. In diesem Kontext zeigt
man sie sehr leicht mit Hilfe der Kettenregel oder Konstruktiv.4 Wir können
hier aber durch die Bertrachtung von Differentialen auch anders vorgehen. Dazu
betrachten wir
∂z
∂z
dz =
dx +
dy .
∂x y
∂y x
“Multiplizieren” wir nun mit 1/dz und setzen dy = 0 so folgt
∂x
∂z
1=
∂x y ∂z y
und damit die erste Relation. Die zweite erhalten wir, in dem wir mit mit 1/dx
“multiplizieren” und dz = 0 setzen
∂z
∂z
∂y
0=
+
.
∂x y
∂y x ∂x z
Um zu zeigen, daß dieser “elegante Beweis” tatsächlich richtig ist, gehen wir
noch einmal “konventioneller” vor. Wir betrachten z = z(x(y, z), y) (implizite
Gleichung). Bilden wir die partielle Ableitung nach z bei konstantem y so gilt
nach Kettenregel (wie oben schon erwähnt)
∂z
∂x
1=
.
∂x y ∂z y
Bilden wir die partielle Ableitung nach y bei konstantem z so gilt nach Kettenregel
∂x
∂z
∂z
+
.
0=
∂x y ∂y z
∂y x
Mit Hilfe der ersten Beziehung folgt dann die zweite.
4
Siehe z.B. Skript zur “Einführung in die Theoretische Physik”; siehe L2 P.
70
KAPITEL 3. THERMODYNAMIK
Aus diesen Überlegungen zu den partiellen Ableitungen folgt, daß wenn (∂z/∂x)y
und (∂z/∂y)x bekannt sind, alle anderen partiellen Ableitungen berechenbar sind,
da
1
∂x
∂z
∂x
∂x
= ∂z ,
=−
∂z y
∂y z
∂z y ∂y x
∂x y
und analog mit x und y vertauscht.
Weitere wichtige Beziehungen zwischen partiellen Ableitungen ergeben sich
aus den folgenden Überlegungen. Es seien f (x, y) und z(x, y) gegeben. Wie oben
sei es möglich z “aufzulösen”: x = x(y, z), y = y(x, z). Damit können wir
f1 (y, z) = f (x(y, z), y) ,
f2 (x, z) = f (x, y(x, z))
betrachten. Der in der Thermodynamik üblichen Notation folgend (siehe die Bemerkung oben) bezeichnen wir jedoch sowohl f1 wie auch f2 folgend mit f ! Wenn
wir nun partielle Ableitungen bilden sieht man wieder an der auftretenden Variablen nach der abgeleitet wird und dem Index (konstantgehaltene Variable) um
welche Funktion (f , f1 oder f2 ) es sich handelt. Wir betrachten das vollständige
Funktional
∂f
∂f
df =
dx +
dy .
(3.3)
∂x y
∂y x
“Multiplizieren” wir nun mit 1/dx und setzen dz = 0 so folgt
∂f
∂f
∂f
∂y
=
+
.
∂x z
∂x y
∂y x ∂x z
(3.4)
“Sauberer” leitet man dieses Ergebnis mit Hilfe der Kettenregel her
∂f2
∂f
∂f
∂y
(x, z) =
(x, y(x, z)) +
(x, y(x, z)) (x, z) .
∂x
∂x
∂y
∂x
“Multiplizieren” wir Gl. (3.3) mit 1/dz und setzen danach dx = 0 so folgt
∂f
∂y
∂f
=
.
∂z x
∂y x ∂z x
Auch hier ergibt sich ein “sauberer” Beweis mit Hilfe der Kettenregel.5 Sind also die beiden in Gl. (3.3) auftretenden partiellen Ableitungen und y = y(x, z)
bekannt, so kann man die partiellen Ableitungen auf den linken Seiten die f2
involvieren, berechnen. Analoge Relationen, die auf der linken Seite dann f1 involvieren, genauer die partiellen Ableitungen (∂f /∂y)z und (∂f /∂z)y , kann man
5
Sollte ihnen das nicht sofort klar sein, rechnen sie es bitte nach!
71
3.1. DIFFERENTIALE
aus Gl. (3.3) herleiten, in dem man die Rollen von x und y vertauscht. Im Ergebnis
sind dann ebenfalls x und y vertauscht. Wir können also alle sechs möglichen partiellen Ableitungen von f aus nur zweien berechnen.6 Setzen wir jetzt (∂f /∂x)y
und (∂f /∂x)z als bekannt voraus, so können wir weitere partielle Ableitungen
wie folgt berechnen. Mit Gl. (3.4) folgt
∂f
∂f
∂f
∂y
−
=
∂x z
∂x y
∂y x ∂x z
" # ∂f
∂f
∂x
∂f
=
−
.
⇒
∂y x
∂x z
∂x y
∂y z
Durch die Kombination mit den obigen Ergebnissen lassen sich auf ähnliche Art
erneut alle sechs partiellen Ableitungen aus zweien berechnen. Wir sehen also,
daß nur zwei der partiellen Ableitungen bei gegebenem z = z(x, y) unabhängig
sind.
Wir wollen als nächstes in der Thermodynamik wichtige Homogenitätsrelationen beweisen. Wir betrachten dazu die Funktion f (~x, ~y ) mit x ∈ Rn und y ∈ Rm .
Die Funktion sei homogen 1. Grades in ~x, d.h. es gilt
f (λ~x, ~y ) = λf (~x, ~y ) .
Unter dieser Voraussetzung folgt
f (~x, ~y ) = ~x ·
∂f
(~x, ~y ) .
∂~x
(3.5)
Diese Beziehung folgt sofort wenn wir die Homogenitätsrelation nach λ differenzieren und anschließend λ = 1 setzen. Der Gradient F~ = ∂f /∂~x ist eine
vektorwertige Funktion. Es gilt
~x · dF~ = 0
was man wie folgt sieht
∂f
= ~x · F~
∂~x
df = ~x · dF~ + F~ · d~x = ~x · dF~ + df
~x · dF~ = 0 .
f = ~x ·
⇒
⇒
Für n = 1 folgt speziell, daß (bei x 6= 0)
f
∂f
=
∂x y~
x
6
Dabei geht natürlich zusätzlich die Information über z = z(x, y) ein.
72
KAPITEL 3. THERMODYNAMIK
unabhängig von x ist. Dies sieht man wie folgt
f =x
∂f
∂x
⇒
∂f
1
(x, ~y ) = f (x, ~y ) = f (x/x, ~y ) = f (1, ~y) .
∂x
x
Folgend werden wir noch das wichtige Konzept der Legendre-Transformation
einführen, welches ihnen bereits in der Vorlesung zur klassischen Mechanik begegnet sein sollte. Dazu sei f (x, y) gegeben. Wir definieren
∂f
∂f
, Y =
.
X=
∂x y
∂y x
Damit gilt
df = Xdx + Y dy ,
wobei (x, X) und (y, Y ) konjugierte Paare bilden, und
∂Y
∂X
=
∂y x
∂x y
was die Integrabilitätsbedingung ist. Wir definieren die Legendre-Transformation
∂f
g = f − xX = f − x
.
∂x y
Es gilt
dg = df − xdX − Xdx = −xdX + Y dy ,
so daß X und y die natürlichen Variablen von g sind: g = g(X, y). Für g gilt
∂g
∂g
−x =
, Y =
∂X y
∂y X
und (Integrabilitätsbedingung)
∂Y
∂x
=
.
−
∂y X
∂X y
Um X und y als Variable wählen zu können, muß man die Beziehung
X = X(x, y) =
∂f
(x, y)
∂x
nach x auflösen können: x = x(X, y). Gelingt das, so kann man
g(X, y) = f (x(X, y), y) − x(X, y)X ,
Y (X, y) =
∂f
(x(X, y), y)
∂y
3.2. ZUSTANDSGLEICHUNGEN
73
schreiben. Kann man X(x, y) nur lokal nach x auflösen (nicht global), so kann
die Legendre-Transformation nur lokal definiert werden.
Man kann nun auch noch einen Variablenwechsel von y zu Y vornehmen. Dazu
betrachten wir die zweite Legendre-Transformation
∂f
.
h = g − yY = g − y
∂y x
Analog zum ersten Schritt gilt (h = h(X, Y ))
dh = −xdX − ydY ,
∂h
∂h
−x =
, −y =
,
∂X Y
∂Y X
∂x
∂y
=
.
∂Y X
∂X Y
Man könnte natürlich auch nur eine Legendre-Transformation mit dem Variablenwechsel y → Y durchführen, aber bei x als Variabler bleiben
∂f
v = f − yY = f − y
∂y x
dv = Xdx − ydY ,
∂v
∂v
X =
, −y =
,
∂x Y
∂Y x
∂y
∂X
= −
.
∂Y x
∂x Y
Die Integrabilitätsbedingung für die vier verschiedenen Sätze von unabhängigen
Variablen führt auf vier Beziehungen zwischen partiellen Ableitungen.
3.2
Zustandsgleichungen
Die Beziehung
P = P (T, V )
nennt man die thermische Zustandsgleichung. Wir gehen dabei weiter davon aus,
daß die Teilchenzahl N fest ist. Im Allgemeinen ist P auch eine Funktion von
N. Wie wir bereits wissen gilt für das Beispiel des idealen Gases P = NkB T /V .
Ändert man die Variablen so gilt
∂P
∂P
dP =
dT +
dV .
∂T V
∂V T
74
KAPITEL 3. THERMODYNAMIK
Man definiert nun das Kompressionsmodul
∂P
K = −V
∂V T
und den Spannungskoeffizienten
1
β=
P
∂P
∂T
.
V
Sind K und β als Funktionen von V und T bekannt, kann daraus nach unseren
mathematischen Überlegungen des letzten Kapitels P (T, V ) duch Integration bis
auf eine Konstante bestimmt werden. Die Größen K und β hängen direkt mit
der isothermen Kompressibilität
1 ∂V
1
κ=−
=
V ∂P T
K
(klar wegen Gl. (3.1)) und dem Ausdehnungskoeffizienten
β
1 ∂V
=P
α=
V ∂T P
K
zusammen. Letzteres sieht man wie folgt
∂V
∂V
∂P
=−
=−
∂T P
∂P T ∂T V
1
∂P
∂V T
∂P
∂T
,
V
wobei wir Gln. (3.1) und (3.2) angewandt haben. Sind κ und α als Funktionen
von T und P bekannt so kann daraus durch Integration V (T, P ) bis auf eine
Konstante bestimmt werden.
Für das ideale Gas kann man sich die Zustandsgleichung auch ohne Bezug
zur Mikroskopik verschaffen, in dem man beachtet, daß das ideale Gas im Limes
N/V → 0 realisiert wird. Eine Taylorentwicklung gibt dann
P̃ (T, N/V ) = P̃ (T, 0) + f (T )
= 0 + f (T )
N
+ O([N/V ]2 )
V
N
+ O([N/V ]2 ) ,
V
wobei der erste Summand Null ist, da der Druck bei N/V = 0 verschwinden
muß. Damit folgt bereits P V = Nf (T ) was das experimentell gefundene Gesetz von Boyle-Mariott ist (siege oben). Experimentell stellt man weiter fest, daß
f (T ) für alle Gase bei hinreichend hohen Temperaturen identisch ist. Die ist das
Gesetz von Gay-Lussac. Mit der richtigen Wahl der Temperaturskala folgt dann
die uns bereits bekannte Zustandsgleichung P V = NkB T . Man schreibt diese
75
3.2. ZUSTANDSGLEICHUNGEN
oft auch in anderer Form. Dazu geben wir die Teilchenzahl N auf andere Art
an. Die Stoffmenge ν wird in der Chemie in der Einheit Mol angegeben, wobei 1
Mol der in 12 g des reinen Isotops Kohlenstoff-12 vorkommenden Zahl von Teilchen enspricht. Dies sind 6.022 . . . · 1023 Teilchen (Avogadro-Konstante). Durch
die Stoffmenge ausgedrückt gilt P V = νRT mit der universellen Gaskonstanten
R = 8.314 . . . J/(Mol K). Die Einsicht, daß die Molvolumina V /ν = RT /P für
alle idealen Gase gleich sind bezeichnet man auch als Gesetz von Avogadro. Die
Kompressibilität und den Ausdehnungskoeffizienten für das ideale Gas werden
sie in Übungsaufgaben bestimmen.
Wie wir bereits wissen haben die Isothermen P (V ) = kB T /(NV ) eines idealen Gases eine sehr einfache Form (siehe oben). Noch einfacher sind die Isobare
V (T ) = NkB T /P und die Isochoren P (T ) = NkB T /V die lineare Funktionen
sind.
Wir wollen nun eine Zustandsgleichung betrachten, die im Gegensatz zu der
des idealen Gases Aspekte der Wechselwirkung der Konstituenten berücksichtigt.
Ein typisches Zweiteilchen-Wechselwirkungspotential ist in der folgenden Skizze
dargestellt.
3
V(r)
2
1
0
-1
0
1
2
3
r
4
5
6
7
In ihm gibt es ein abstoßenden Potentialkern und einen anziehenden Schwanz,
der durch die wie 1/r 6 abfallenden van-der-Waals Wechselwirkungen erzeug wird.7
Den Effekt dieser Wechselwirkung versucht man im sogenannten van-der-Waals
Gas an zwei Stellen zu berücksichtigen. Die abstossende Komponente führt dazu,
daß andere Teilchen nicht in einen Bereich um ein Teilchen eindringen können.
Wenn V das Volumen des Behälters ist, in dem sich das Gas befindet, dann ist
das für ein Teilchen aufgrund dieses Effekts zur Verfügung stehende Volumen
7
Die van-der-Waals Wechselwirkung ist einen Diplowechselwirkung, die durch “Quantenfluktuationen” entstreht.
76
KAPITEL 3. THERMODYNAMIK
um das sogenannte Eigenvolumen b mal der Teilchenzahl N reduziert und damit
V /N → V /N − b. Es muß V /N > b gelten. Der anziehenden Komponenten
wird durch folgenden Überlegung Rechnung getragen. Ziehen sich die Teilchen
paarweise an, so kann es zu gebundenen Zuständen kommen. Dies führt dazu,
daß sich der Druck auf die Wänden reduziert. Die Abhängigkeit dieser Reduktion
von V und N können wir abschätzen. Die Reduktion ∆P des Druck auf die
Wände ist proportional zur Zahl der pro Zeiteinheit auf ein Oberflächenelement
auftreffenden Teilchen – die proportional zur Dichte N/V ist – und proportional
zur Änderung des Impulsübertrags durch die Anziehungskräfte – der ebenfalls
proportional zu N/V ist. Damit folgt ∆P = a/(V /N)2, mit einer Konstanten a.
Um den Druck im Sinne der Zustandsgleichung des idealen Gases zu erhalten,
müssen wir P → P + ∆P ersetzen.8 Daraus ergibt sich die (phänomenologische)
Zustandsgleichung
a
P+
[V /N]2
V
− b = kB T .
N
Diese Stuktur kann auch im Rahmen einer mikroskopischen Herangehensweise
begründet werden, was wir hier jedoch aus Zeitgründen nicht vertiefen wollen.
Mit dem Volumen pro Teilchen v = V /N lautet die Isothermengleichung
P (v) =
a
kB T
− 2 .
v−b v
(3.6)
Wir wollen untersuchen, ob diese Funktion für v > b Extremalstellen aufweist.
Nullsetzen der Ableitung liefert die Bedingung
(v/b − 1)2
kB T
=b
.
3
(v/b)
2a
Die linke Seite nimmt als maximalen Wert 4/27 an, so daß die Gleichung erfüllbar
ist, falls die Temperatur kleiner ist als die kritische Temperatur
4
kB Tc
=b
27
2a
⇒
Tc =
8 a
27 kB b
ist. Die Isothermen zeigen den folgend skizzierten Verlauf.
8
Der “echte” Druck des Systems ist durch Pkinet. − a/(V /N )2 gegeben. Durch die Zustandsgleichung wird Pkinet. festgelegt.
77
3.2. ZUSTANDSGLEICHUNGEN
P
T>Tc
T=Tc
Pc
2
3
1
T<Tc
v2(T)
v1(T)
v
Für hinreichend große T und v ist der Verlauf der Isothermen ähnlich zu dem des
idealen Gases. Bei T = Tc gibt es einen Sattelpunkt. Durch ihn wird ein vc und
ein Pc festgelegt. Es gilt
4
(vc /b − 1)2
=
3
(vc /b)
27
kB Tc
a
Pc =
− 2
vc − b vc
⇒
vc = 3b ,
⇒
Pc =
1 a
.
27 b2
Bereiche mit negativer Kompressibilität (∂V /∂P )T sind instabil (und müssen
eliminiert werden; siehe unten). Man kann versuchen, das Auftreten dieser Bereiche auf die implizite Annahme zurückzuführen, daß das System homogen ist.
Im folgenden werden wir zulassen, daß zwei verschiedene Phasen (gasförmig und
flüssig) in gewissen Bereichen des P − v-Diagramms koexistieren können. Eine
solche Sichtweise liefert die sogenannten Maxwell-Konstruktion. Für Koexsitenz
müssen die beiden Zustände gleiche P und T haben. In der Skizze sind das die
Punkte 1, 2 und 3. Als weiteres Prinzip verwenden wir, daß das Gesamtsystem
seine Energie minimiert. Gemäß dem ersten Haupsatz kann die Energieänderung
durch Integrieren von −P dV entlang eines Isothermen bestimmt werden
∆E = −
Z
P dV .
isoth.
Im interessierenden Bereich können wir diese Integration graphisch ausführen,
was in der folgenden Skizze gezeigt ist.
78
KAPITEL 3. THERMODYNAMIK
P
Pc
2
3
1
v
∆E
v
2
a
b
1
Den Punkt 2 interpretieren wir als den, wo das System homogen in der flüssigen
Phase ist, den Punkt 1 als den wo das System homogen in der Gasphase ist. Der
Punkt b in der unteren Kurve, der auf der gemeinsamen Tangente der Punkte 1
und 2 liegt, stellt einen Zustand dar, in dem Gas und Flüssigkeit koexistieren.
Die Energie ist in diesem Fall offensichtlich eine Linearkombiantion der Energie der flüssigen und der Gasphase (Lage auf Geraden!). Der Punkt b hat eine
niedrigere Energie, als der aus der Isotherme durch Integration folgende Punkt
a, so daß b und damit Phasenkoexistenz, den Gleichgewichtszustand beschreibt.
Zwischen den Punkten 1 und 2 tritt somit statt des Verlaufs der Isothermen
des van-der-Waals Gases Koexistenz auf und der Druck P bleibt konstant (entspricht der gestrichelten, horizontalen Linie). Es handelt sich hierbei um einen
Phasenübergang erster Ordnung. Man interpretiert das Ergebnis dann wie folgt.
Für T > Tc ist das van-der-Waals Gas für alle v in der Gasphase. Für T < Tc liegt
bei v > v1 (T ) die Gasphase vor und für v < v2 (T ) die flüssige Phase. Für T < Tc
und v2 (T ) < v < v1 (T ) gibt es eine Koexistenz zwischen der Gasphase und der
flüssigen Phase. In diesem Bereich muß P (V ) durch eine horizontale Linie ersetzt
werden. Die Punkte 1 und 2 werden dabei wie folgt bestimmt. Es muß an diesen
Punkten der gleiche Druck herschen, also
∂∆E ∂∆E −
=−
∂V V =V1
∂V V =V2
3.3. THERMODYNAMIK DES IDEALEN GASES
79
und es muß eine gemeinsame Tangente vorliegen
∂∆E ∆E1 − ∆E2
∂∆E =
=
.
V1 − V2
∂V V =V1
∂V V =V2
Kombiniert liefert dieses
oder
∂∆E = −(∆E1 − ∆E2 )
−(V1 − V2 )
∂V V =V2
Z
V1
V2
P dV = P (V2)(V1 − V2 ) .
Die beschriebene phänomenologische Herangehensweise an ein Gas mit Zweiteilchen-Wechselwirkung liefert somit unseren ersten Kontakt mit dem Konzept verschiedener Phasen und von Phasenübergängen. In den Übungen werden sie ein
ähnliches Verhalten für den Fall eines Spinsystems, d.h. für Magnetismus diskutieren.
3.3
Thermodynamik des idealen Gases
Im Rahmen der Thermodynamik können wir die Zustandsgleichung des idealen
Gases P V = νRT als phänomenologische Beziehung auffassen, in der experimentelle Ergebnisse zusammengefaßt sind. Basierend auf dieser Gleichung wollen wir
nun mit Methoden der Thermodynamik zeigen, daß die (innere) Energie des idealen Gases nicht vom Volumen abhängt. Mikroskopisch haben wir dieses bereits
in Form der Gl. (2.15) im Kapitel über die Behandlung des Gases im kanonischen Ensemble gesehen. Die innere Energie von ν Molen eines idealen Gases
kann allgemein als E = E(T, V ) geschrieben werden. Es gilt
∂E
∂E
dE =
dT +
dV
∂T V
∂V T
Nach dem ersten und zweiten Hauptsatz gilt für eine quasistatische Parameteränderung
T dS = d¯Q = dE + P dV .
Nutzen wir die Zustandsgleichung aus, so folgt
dS =
νR
1
dE +
dV ,
T
V
(3.7)
80
KAPITEL 3. THERMODYNAMIK
bzw. mit obigem Ausdruck für dE
νR
1 ∂E
1 ∂E
dT +
+
dV .
dS =
T ∂T V
T ∂V T
V
Da S = S(T, V ) ein vollständiges Differential ist, können wir folgern
1 ∂E
1 ∂E
νR
∂S
∂S
=
,
=
+
∂T V
T ∂T V
∂V T
T ∂V T
V
und wegen der Gleichheit der gemischten Ableitungen
1 ∂2E
1 ∂E 2
1 ∂E
+
=− 2
+0.
T ∂V ∂T
T
∂V T T ∂T ∂V
Da auch für E(T, V ) die gemischetn zweiten Ableitungen identisch sein müssen,
gilt
∂E
=0
∂V T
und E = E(T ) für das ideale Gas.
Experimentell wurde dieses Ergebnis von Joule wie folgt nachgewiesen. Ein
Behälter, der aus zwei durch ein Ventil getrennten Kammern besteht, ist in ein
Wasserbad getaucht (gleiche Temperatur des Gases und des Wassers). Zu Beginn
des Experiments befindet sich das Gas in der linken Kammer und die rechte is
evakuiert. Öffnet man das Ventil, so kann sich das Gas frei ausdehnen und die
beiden Kammern ausfüllen, wobei keine Arbeit geleistet wird. Nach dem ersten
Haupsatz gilt dann bei diesem Prozeß
Q = ∆E
mit der Änderung der inneren Energie des Gases. In dem Experiment stellt man
fest, daß sich die Temperatur des Wassers nicht ändert, so daß Q = 0 und damit
∆E = E(T, Ve ) − E(T, Va ) = 0 ,
also E = E(T ).
Wir wollen nun die spezifische Wäre des idealen Gases betrachten (siehe auch
Übungen). Nach dem ersten Hauptsatz gilt für einen Prozeß mit konstantem
Volumen (Berechnung von CV ) d¯Q = dE und somit für die “molare” spezifische
Wärme bei konstantem Volumen
1 d¯Q 1 ∂E
cV =
=
.
(3.8)
ν dT V =const. ν ∂T V
3.3. THERMODYNAMIK DES IDEALEN GASES
81
Da E von V unabhängig ist, gilt
dE =
∂E
∂T
dT ,
V
d.h. die Energieänderung hängt nur von der Temperaturänderung ab, selbst, wenn
sich das Volumen ebenfalls ändert. Mit Gl. (3.8) folgt
dE = νcV dT .
(3.9)
Für die “molare” spezifische Wärme bei konstantem Druck gilt. Mit Gl. (3.9)
folgt aus dem ersten Hauptsatz
d¯Q = νcV dT + pdV .
(3.10)
Da der Druck konstant gehalten wird, hängen eine Volumen- und eine Temperaturänderung über die Zustandsgleichung zusammen. Es gilt
P dV = νRdT
und damit
d¯Q = ν (cV + R) dT .
Nach Definition folgt dann
1 d¯Q = cV + R .
cP =
ν dT P =const.
Wie bereits in Kapitel 2.15 allgemein diskutiert folgt also cP > cV .
Verwendet man das uns aus den mikroskopischen Überlegungen bekannte Ergebnis G. (2.15) E = 3NkB T /2 = 3νRT /2, so folgt
1 ∂E
3
cV =
= R = 12.47 J/(K mol)
ν ∂T V
2
und
5
cP = cV + R = R
2
bzw. für die spezifischen Wärmen pro Teilchen
3
1 ∂E
= kB .
c̃V =
N ∂T V
2
Die experimentellen Werte von Helium und Argon für cV bei 15 Grad Celsius
und 1 bar ist 12.5 J/(K mol).
82
KAPITEL 3. THERMODYNAMIK
Bei einer isothermen Zustandsänderung, d.h. für ein System in Kontakt mit
einem Wärmebad, gilt P V =const.. Ist das Gas dagegen thermisch isoliert, findet
die Zustandsänderung also adiabatisch statt, so gibt es im adiabatischen Fall
einen anderen Zusammenhang zwischen P und V (siehe auch Übungen). Aus
dem ersten Hauptsatz folgt
νcV dT + P dV = 0 .
Verwendet man nun die Zustandsgleichung um dT auf kosten von dP zu eliminieren, so läßt sich durch Integration leicht zeigen (siehe auch Übungen), daß
P V γ = const. ,
wobei
γ=
cP
.
cV
Völlig analog kann man
V γ−1 T = const. ,
zeigen.
Wir wollen abschließend noch die Entropie des idealen Gases diskutieren. Gln.
(3.7), (3.10) und die Zustandsgleichung liefern für einen quasistatischen Prozeß
T dS = νcV dT +
νRT
dV
V
also
dS = νcV
dT
dV
+ νR
.
T
V
Durch Integration können wir so die Entropieänderung bei einem quasistatischen
Prozeß zwischen zwei Makrozuständen mit (T, V ) und (T0 , V0 ) berechnen. Für den
Fall dV = 0 (keine Arbeit) haben wir das bereits am Ende von Kapietl 2.15 getan,
wobei wir explizit die Temperaturunabhängigkeit von cV (wie sie im idealen Gas
gegeben ist) ausgenutzt haben. Wir wählen nun den Anfangszustand (T0 , V0 )
als Standsadzustand der eine Entropie νs0 haben soll. Ausgehend von diesem
können wir nun einen “geeigneten” quasistatischen Prozeß ausführen, um S(T, V )
zu bestimmen, da die Integration über das vollständige Differential dS von den
Details des Weges unabhängig ist (hängt nur vom Anfangs- und Endpunkt ab).
Wir wählen dann wie schon zuvor den Weg, der aus zwei Teilstücken parallel zu
den Koordinatenachsen besteht. Damit folgt
Z T
Z V
dV
dT
,
+R
S(T, V ) − νs0 = ν
cV
T
V0 V
T0
3.4. POTENTIALE UND MAXWELL-RELATIONEN
83
bzw. nach ausführen der Integrale
s(T, V ) =
S(T, V )
= cV ln T + R ln V + const. ,
ν
wobei wir alle Konstanten in einem Term zusammengefaßt haben und die “molare” Entropie s eingeführt haben.
3.4
Potentiale und Maxwell-Relationen
Wir betrachten ein homogenes System, für das das Volumen der einzige äußere
Parameter ist. Ausgangspunkt unser Überlegungen ist die Grundgleichung für
einen quasistatischen infinitesimalen Prozeß
T dS = d¯Q = dE + P dV .
(3.11)
Umformung ergibt
dE = T dS − P dV ,
wobei E als Funktion von S und V aufgefaßt wird. Aus der allgemeinen Beziehung
∂E
∂E
dS +
dV
dE =
∂S V
∂V S
können wir folgern, daß
∂E
=T ,
∂S V
∂E
∂V
S
= −P .
Die Integrabilitätsbedingung liefert dann
∂T
∂P
=−
.
∂V S
∂S V
Wie wollen nun zu unabhängigen Variablen S und P übergehen. Dazu ersetzen
wir in Gl. (3.11) P dV durch d(P V )−V dP (Legendre-Transformation). Dies liefert
dE = T dS − d(pV ) + V dP
oder
d(E + P V ) = T dS + V dP .
Wir definieren dann die Enthalpie
H = E + P V = H(S, P )
84
KAPITEL 3. THERMODYNAMIK
und erhalten das vollständige Differential
dH = T dS + V dP .
Mit der allgemeinen Beziehung
∂H
∂H
dS +
dP
dH =
∂S P
∂P S
folgt
∂H
∂S
=T ,
P
∂H
∂P
=V .
S
Die Integrabilitätsbedingung liefert
∂V
∂T
=
.
∂P S
∂S P
Während die innere Energie E die relevante Größe ist, wenn S und V als Variable
gewählt werden, so ist die Enthalpie H die entsprechende Größe für S und P als
Variable.
Die nächste Legendre-Transformation führen wir so aus, daß T und V die
Variable werden. Es gilt
dE = d(T S) − SdT − P dV
oder
dF = −SdT − P dV
mit der freien Energie9
F = E − T S = F (T, V ) .
Mit analogen Schritten wie zuvor folgt
∂F
∂F
= −S ,
= −P
∂T V
∂V T
und
9
∂S
∂V
=
T
∂P
∂T
.
(3.12)
V
Die freie Energie haben wir bereits bei der Diskussion der kanonischen Zustandssumme
eingeführt. Das es sich bei dem dort betrachteten F und dem F hier um das gleiche Objekt
handelt, werden wir später diskutieren.
3.4. POTENTIALE UND MAXWELL-RELATIONEN
85
Die letzte Variante erhält man durch “zweifache” Lengendretransformation
dE = d(T S) − SdT − d(P V ) + V dP
oder
dG = −SdT + V dP
mit der freien Enthalpie
G = E − T S + P V = G(T, P ) .
Es folgt
∂G
∂T
P
= −S ,
∂G
∂P
=V
T
und
∂S
−
∂P
=
T
∂V
∂T
.
(3.13)
P
Die sich aus den jeweiligen Integrabilitätsrelationen ergebenden Beziehungen
bezeichnet man als Maxwell-Relationen. Sie sind ein unmittelbare Folge daraus,
daß die Zustandsgrößen T , S, P und V nicht unabhängig voneinander sind, sondern über die Grundgleichung
dE = T dS − P dV
verknüpft sind. Aus der mikroskopischen Perspektive ist klar, daß Zusammenhänge
der obigen Art bestehen müssen, da sich die ganze Thermodynamik aus der Entropie S = kB ln Ω = S(E, V ) ergibt. Die Funktionen (ihrer jeweiligen Variablen)
E, H, F und G bezeichnet man als die thermodynamischen Potentiale. Jedes
der Potentiale enthält die vollständige thermodynamischen Information über das
betrachtete System.
Wir wollen kurz diskutieren, wie sich die Überlegungen verallgemeinern lassen,
wenn mehr als ein äußerer Parameter a = (a1 , a2 , . . . , an ) vorliegt. Den Diskussionen der Kapitel 2.8, 2.13 und 2.14 folgend ergibt sich für einen quasistatischen
Prozeß aus dem ersten Hauptsatz
dE = T dS −
n
X
αi ai ,
i=1
wobei wir darauf verzichten, die verallgemeinerten Kräfte αi in Erwartungswertsklammern zu setzen. In E könnte z.B. neben S und V noch ein Magnetfeld B als
86
KAPITEL 3. THERMODYNAMIK
äußerer Parameter und das magnetische Moment M als verallgemeinerte Kraft
auftreten (siehe Kapitel 2.8). Dann gilt
dE = T dS − P dV − MdB
und
∂E
∂S
=T ,
V,B
∂E
∂V
S,B
= −P ,
∂E
∂B
S,V
= −M .
Aus der Integrabilitätsbedingung ergeben sich dann sechs Maxwell-Relationen.
Durch Legendre-Transformation lassen sich analog die anderen thermodynamischen Potentiale bestimmen.
Dieses Kapitel abschließend wollen wir uns überlegen, daß die Potentiale
im Gleichgewicht Extremalbedingungen erfüllen, so wie wir das bereits von der
Entropie eines abgeschlossenen Systems S(E, V ) =max kennen (wenn wieder V
der einzige äußere Parameter ist).10 Wir betrachten zwei makroskopische Systeme
A und A′ die Wärme oder Wärme und Volumen austauschen können. Das System
A soll viel kleiner als A′ sein, so daß E ≪ Eg = E + E ′ und V ≪ Vg = V + V ′ .
Damit dient A′ als ein Wärmereservoir (T von A ist durch A′ festgelegt) oder ein
Wärme- und Druckreservoir (T und P von A sind durch A′ festgelegt). Für den
Fall, daß nur Wärmeausgetauscht wird gilt für die Entropie des Gesamtsystems
Sg (E) = S(E, V ) + S ′ (Eg − E, V ′ ) = max .
Wir führen nun eine Taylorentwicklung für kleine E/Eg aus
∂S ′ ′ ′
(E , V ) E
∂E ′
E
= S + S ′ (Eg , V ′ ) − ,
T
mit der Temperatur T des Wärmebads. Für die freie Energie F des Untersystems
A gilt
Sg ≈ S + S ′ (Eg , V ′ ) −
F = E − T S ≈ E − T Sg + T S ′ (Eg , V ′ ) − E = −T Sg + T S ′ (Eg , V ′ ) .
Da S ′ (Eg , V ′ ) für das Gesamtsystem eine Konstante ist (V ′ is nach Annahme
nicht veränderlich), so liefert die Bedingung Sg =max für das Gesamtsystem die
Bedingung F =min für das Untersystem A.
Analog geht man nun für den Fall vor, daß Wärme und Volumen ausgetauscht
werden können. In diesem Fall muß man eine zweidimensionale Taylorentwicklung
ausführen. Es gilt analog zu oben
Sg
10
∂S ′ ′ ′
∂S ′ ′ ′
≈ S + S (Eg , Vg ) −
(E , V ) E −
(E , V ) V
∂E ′
∂V ′
E PV
= S + S ′ (Eg , Vg ) − −
,
T
T
′
Wir verwenden also wieder Informationen aus unserem statistischen Zugang.
87
3.5. ZUSTANDSÄNDERUNGEN
mit der Temperatur T und dem Druck P des Wärme- und “Druck”-bads. Für
die freie Enthalpie G = E − T S + P V des Subsystems A folgt dann
G = E − T S + P V ≈ E + P V − T Sg + T S ′ (Eg , Vg ) − E − P V = −Sg + S ′ (Eg , Vg )
und damit aus Sg =max für das Gesamtsystem G =min für das Subsystem A.
3.5
Zustandsänderungen
In Analogie zum Kapitel 3.3, wo wir unter anderem die Zustandsänderung bei
Wärmezufuhr und Volumenänderung betrachtet haben, wollen wir dieses nun für
ein allgemeines homogenes System mit zwei Zustandsvariablen tun.
Bei quasistatischer Wärmezufuhr ist die Temperaturerhöhung durch
d¯Q ∂S
CP =
=
T
dT P =const.
∂T P
oder
∂S
d¯Q =T
CV =
dT V =const.
∂T V
bestimmt. Für das ideale Gas hatten wir in Kapitel 3.3 CP − CV = νR = NkB
gefunden. Jetzt werden wir CP − CV unter Annahme eine beliebigen Zustandsgleichung P = P (T, V ). Es gilt
∂S
∂S
dS =
dT +
dV
∂T V
∂V T
bzw. unter Ausnutzung der Maxwell-Relation Gl. (3.12) und der Definition von
CV
CV
∂P
dS =
dV .
(3.14)
dT +
T
∂T V
Zur Bestimmung von CP benötigen wir S als Funktion von T und P (weil
P =const.). Wir betrachten also V = V (T, P ) und
∂V
∂V
dV =
dT +
dP ,
∂T P
∂P T
so daß
CV
dT +
dS =
T
∂P
∂T
V
∂V
∂T
P
dT +
∂V
∂P
T
dP
.
88
KAPITEL 3. THERMODYNAMIK
Damit folgt für CP
CP = CV + T
∂P
∂T
V
∂V
∂T
.
P
Mit der isothermen Kompressibilität κ und dem Ausdehnungskoeffizienten aus
Kapitel 3.2 sowie der in Kapitel 3.1 hergeleiteten Beziehung
∂P
∂V
∂V
=−
/
= α/κ
(3.15)
∂T V
∂T P
∂P T
folgt
CP − CV =
V T α2
.
κ
(3.16)
Für Gase lassen sich CP , CV , κ und α gut messen. Für Festkörper und Flüssigkeiten ist die Bedingung P =const. leichter als V =const. zu realisieren. Daher
ist CP leichter zugänglich. In einer mikroskopischen Berechnung tritt (meist) V
als äußerer Parameter auf und damit ist CV leichter zu berechnen. Wie wir im
Zusammenhang mit dem van-der-Waals Gas diskutiert haben, muß für eine stabile Situation κ > 0 gelten. Für den Ausdehnungskoeffizienten kann jedoch α > 0
und α < 0 realisiert sein. Zum Beispiel gilt für Wasser im Bereich zwischen 0
und 4 Grad Celsius α < 0. Ein weiteres Beispiel ist ein Gummiband, welches
sich bei Erwärmung zusammenzieht. Wie schon zuvor beobachtet, gilt CP > CV .
Durch Einsetzen er Zustandsgleichung erhält man für das ideale Gas aus Gl.
(3.16) wieder die das Ergebnis CP − CV = νR aus Kapitel 3.3.
Als nächste Zustandsänderung betrachten wir die Expansion (bzw. Kompression). Dabei unterscheiden wir drei Fälle: (i) Die freie Expansion mit E =const..
(ii) die quasistatische, adiabatische Expansion mit S =const.. (iii) Die JouleThomson-Expansion mit H =const.. Die Zustände des homogenen Systems seien
durch zwei Variablen festgelegt, so daß die Angabe einer Zustandsgröße ausreicht,
um die Art der Expansion eindeutig festzulegen. Wir wollen die mit der Expansion verbundene Temperaturänderung berechnen, sind also an
∂T
∂T
∂T
,
,
∂V E
∂V S
∂P H
interessiert. In Joule-Thompson-Expansion wird die Temperaturänderung auf den
Druck bezogen (nicht auf das Volumen), da die Drücke vorgegeben sind. Die
gesuchten partiellen Ableitungen für (i) und (ii) können wir aus dem vollständigen
Differential der jeweiligen konstant gehaltenen Größe X = X(T, V )
y
∂T
=− .
dX = xdT + ydV ⇒
∂V X
x
89
3.5. ZUSTANDSÄNDERUNGEN
Bei (iii) müssen wir V durch P ersetzen.
Wir beginnen mit der freien Expansion. Wir betrachten einen durch eine
Trennwand in zwei Teile getrennten Behälter. Zu Beginn des Experiments ist
ein Teil mit Va und Ta mit Gas gefüllt, der andere ist evakuiert. Das System ist
themische isoliert, d.h. es gilt d¯Q = 0. Dann wird eine Drosselklappe geöffnet,
wobei keine Arbeit geleistet wird. Ohne Arbeitsleistung verteilt sich das Gas dann
in das Gesamtvolumen Ve . Damit ist auch d¯W = 0 und es gilt nach dem ersten
Hauptsatz dE = 0. Der Prozeß ist irreversibel (Ωe ≫ Ωa , bzw. Se > Sa ) und
nicht quasistatisch (läuft nicht über Gleichgewichtszustände ab). Nach Einstellen
des Gleichgewichts gilt E(Ta , Va ) = E(Te , Ve ) und wir wollen Te berechnen. Es
gilt (siehe Gl. (3.14))
CV
∂S
∂P
∂S
dT +
dV =
dV .
dT +
dS =
∂T V
∂V T
T
∂T V
Damit folgt
∂P
dE = T dS − P dV = CV dT + T
− P dV .
∂T V
Dem allgemeinen Rezept folgend ergibt sich damit
∂T
1
∂P
=
P −T
.
∂V E CV
∂T V
Mit den Zustandsgleichungen des idealen Gases bzw. des van-der-Waals Gas folgt
∂T
=0
∂V E
bzw.
∂T
∂V
E
aN 2
=−
.
CV V 2
Das Ergebnis für das ideale Gas ist uns schon in Form der Volumenunabhängigkeit
der Energie dieses begegnet. In einem realen Gas führt die freie Expansion zu einer
Abkühlung. Energetisch versteht man das wie folgt. In einem größeren Volumen
spüren die Teilchen (im Mittel) weniger von der Anziehung (siehe van-der-Waals
Gas) und daher nimmt die potentielle Energie zu. Wegen der Energieerhaltung
(dE = 0) muß die kinetische Energie abnehmen und damit auch die Temperatur.
Wir betrachten nun die quasistatische, adiabatische Expansion. Ein thermische isoliertes Gas (d¯Q = 0) werde durch langsames Herausziehen eiens Kolben
expandiert. Das Gas leistet dabei die Arbeit d¯W = −P dV . Der zweite Hauptsatz
liefert für diesen adiabatischen Prozeß
dS =
d¯Q
=0.
T
90
KAPITEL 3. THERMODYNAMIK
Also gilt S(Ta , Va ) = S(Te , Ve ). Dem allgemeinen Schema folgend betrachten wir
(siehe oben)
∂P
CV
dV = 0 .
dT +
dS =
T
∂T V
Es ergibt sich
∂T
∂V
S
T
=−
CV
∂P
∂T
V
=−
T α
,
CV κ
wobei wir im letzten Schritt Gl. (3.15) verwendet haben. Für das ideale Gas folgt
daraus
∂T
P
=−
∂V S
CV
Für Gase gilt α > 0 (zum Vorzeichen von α für allgemeine Systeme siehe oben),
so daß (∂T /∂V )S < 0 und sich das Gas bei einer quasistatischen, adiabatischen
Expansion immer abkühlt. Dies kann in einer Kältemaschiene zur Kühlung verwendet werden. Am Beginn des Prozesses hat das Gas die Umgebungstemperatur T1 . Es wird nun quasistatisch und adiabatisch komprimiert, wobei es sich
erwärmt. Durch den thermischen Kontakt mit der Umgebung kühlt das Gas sich
dann wieder auf T1 ab. Nun wird es quasistatisch und adiabatisch expandiert
und erreicht die Temperatur T2 < T1 . Läßt sich nun ein Wärmereservoir mit T2
finden, so kann man den Prozeß hin zu einer Temperatur T3 < T2 wiederholen.
Als letztes Expansionsexperiment betrachten wir den Joule-Thompson-Prozeß.
Dabei wird ein Gas mit Druck Pa durch einen porösen Stopfen gepresst. Hinter
dem Stopfen hat das Gas dann den niedrigeren Druck Pe . Der Druckunterschied
und die zugehörige Strömungsgeschwindigkeit hängt von der Struktur des Stopfens ab. Das System sie thermisch Isoliert, d.h. es gilt d¯Q = 0. Das Gesamtsystem
hat keine bestimmte Temperatur, ist also nicht in einem Gleichgewichtszustand.
Es liegt also kein quasistatischer Prozeß vor, so daß d¯Q nicht dS = 0 impliziert.
Für die beiden Teilsysteme links und rechts vom Stopfen liegen aber (näherunsgweise) Gleichgewichtszustände vor. Zum Durchpressen des Gases muß Arbeit
aufgewendet werden. Hat ein Mol des Gases vor dem Stopfen das Volumen Va ,
so muß die Arbeit Pa Va zum Weiterschieben dieser Gasmenge nötig. Hinter dem
Stopfen muß das Gas die Arbeit Pe Ve verrichten um ebenfalls ein Mol Gas weiterzuschieben. Die dem Gas zugeführte Gesamtarbeit ist daher
∆W = Pa Va − Pe Ve .
Aus dem ersten Hauptsatz folgt
∆E = Ee − Ea = ∆W = Pa Va − Pe Ve
3.6. WÄRMEKRAFTMASCHINEN
91
und damit
Ee + Pe Ve = Ea + Pa Va .
Also ist die Enthalpie H = E + P V bei diesem Prozeß konstant
H(Te , Pe ) = H(Ta , Pa ) .
Daraus können wir die Temperaturänderung bei gegebener Druckdifferenz berechnen. Es gilt
∂S
∂S
dT +
dP + V dP
dH = T dS + V dP = T
∂T P
∂P T
∂V
= CP dT − T
dP + V dP = CP dT + V (1 − T α)dP .
∂T P
Dabei haben wir die Maxwell-Relation Gl. (3.13) und die Definition des Ausdehnungskoeffizienten verwendet. Als Zwischenergebnis erhalten wir
∂S
∂H
=T
,
CP =
∂T P
∂T P
so daß CP auf einfache Weise mit H zusammenhängt. Diese Beziehung ist analog
zu CV = (∂E/∂T )V . Für die gesuchte Temperaturänderung erhalten wir mit
dH = 0
∂T
V
µJT =
=
(T α − 1) .
∂P H
CP
Man bezeichnet µJT als den Joule-Thompson-Koeffizienten. Wegen α = 1/T verschwindet dieser für das ideale Gas. Für reale Gase kann µJT positiv oder negativ
sein. Falls µJT > 0 kann ein Joule-Thompson-Prozeß mit dP < 0 zur Abkühlung
verwendet werden.
3.6
Wärmekraftmaschinen
Wir wollen in diesem Abschnitt kurz Maschinen diskutieren, in denen Wärme
in Arbeit umgewandelt wird. Von besonderer Bedeutung sind Maschinen, die
zyklisch arbeiten, d.h. das die Maschine nach einer bestimmten Zeitspanne wieder
in den selben Zustand zurückkehrt.
Die ideale Wärmekraftmaschine wäre eine, die in einem Zyklus einem (idealisiert unendlich großen) Wärmebad die Wärme q > 0 entnimmt, diese zu hundert
Prozent in Arbeit w = q umwandelt und keine weiteren Änderungen an der “Umwelt” vornimmt (oft als Joule-Thompson Maschine bezeichnet). Man bezeichnet
92
KAPITEL 3. THERMODYNAMIK
eine solche hypothetische Maschine als perpetuum mobile 2. Art. Wie wir diskutieren werden, ist diese selbst dann nicht realisierbar, wenn wir von Reibungsverlusten (und ähnlichem) absehen. Dabei ist solch ein Prozeß mit dem ersten
Hauptsatz verträglich, da nach einem Zyklus die Maschine M wieder im selben
Zustand ist, also ∆EM = 0 = q − w gilt. Mit dem ersten Hauptsatz würde eine
Maschine im Konflikt stehen, die aus dem “Nichts” Arbeit erzeugt. Solch eine
nennt man perpetuum mobile 1. Art. Wir wollen für die Maschine mit q = w
nun den zweiten Hauptsatz diskutieren. Dazu betrachten wir das abgeschlossene Gesamtsystem, welches aus der Maschine M, dem Wärmereservoir R und
einem Speicher S für die Arbeit besteht. In letzterem wird die Arbeit in potentielle Energie umgewandelt. Der Speicher könnte z.B. durch eine Feder oder eine
Masse, die im Schwerefeld gehoben wird, realisiert werden. Für die Entropie des
abgeschlossenem System gilt nach dem zweiten Hauptsatz
∆S = ∆SR + ∆SM + ∆SS ≥ 0 .
Der Speicher sei nun so konstruiert, daß er aus nur einem Freiheitsgrad besteht
(siehe die beiden Beispiele). Dann gilt SS = O(kB ) was gegenüber der Entropie SR = O (1024 kB ) des Wärmebads vollkommen zu vernachlässigen ist. Um
diese Einsicht auszunutzen, müssen wir uns klar machen, daß dieses Argument
auch für die Entropieänderung angewandt werden kann. Klar ist, daß die Entropieänderung des Speichers ∆SS klein ist (wenn nicht sogar Null). Für die Entropieänderung der Maschine gilt nach einem Zyklus ∆SM = 0. Gemäß dem zweiten
Hauptsatz ergibt sich nach einem Zyklus für das Wärmebad
∆SR = −
q
T
da d¯Q = −q. Da dem Wärmereservoir nur Wärme entzogen wird, gilt diese
Relation auch wenn der Prozeß nicht quasistatisch abläuft (siehe Kapitel 2.10).
Aufgrund der Konstruktion des “Arbeitsspeichers” können wir ∆SS gegenüber
|∆SR | vernachlässigen. Damit folgt
∆S = −
q
<0.
T
Dieses Ergebnis steht im Widerspruch zum zweiten Hauptsatz, so daß ein perpetuum mobile 2. Art nicht realisierbar ist.
Um dieses Ergebnis basierend auf unseren mikroskopischen Überlegungen “zu
verstehen”, betrachten wir einen konkreten Realisationsversuch. Dabei stehe ein
Gas in einem Behälter mit der Umgebung bei Temperatur T im thermischen
Kontakt. Dann wird das Gas thermisch isoliert. Wir warten bis sich durch Fluktuationen alle Teilchen in der linken Hälfte des Behälters befinden und führen
dann eine Trennwand ein (ohne Arbeit zu leisten). Das Gas wird dann adiabatisch
und quasistatisch auf sein Ursprungsvolumen expandiert und leistet die Arbeit
3.6. WÄRMEKRAFTMASCHINEN
93
w (siehe Kapitel 3.5). Dabei nimmt die Temperatur des Gases ab. Die Isolierung
wird entfernt und das Gas erwärmt sich durch den Kontakt mit der Umgebung
wieder auf Temperatur T . Der Prozeß kann nun zyklisch wiederholt werden. Das
Problem dieses Versuchs liegt in dem Schritt, in dem wir auf eine Schwankung
warten, bei der alle Teilchen in der linken Hälfte sind. Wie wir in den statistischen
Überlegungen der Anfangskapitel dieser Vorlesung gesehen haben, ist diese für
eine hinreichend große Zahl von Teilchen praktisch ausgeschlossen. Die Zeit bis so
eine Schwankung auftritt, würde das Alter des Universums bei weitem überschreiten. Ähnliche Überlegungen gelten, wenn wir auf eine weniger extreme Situation
warten, bei der ein kleines Ungleichgewicht der Teilchenzahl zwischen der linken
und der rechten Hälfte herrscht, bevor wir die Trennwand einführen. Für ein Gas
mit O (1024 ) Teilchen gilt ∆N/N ≈ 10−12 . Damit würde ein Teilchenungleichgewicht von 1% bedeuten, daß die Fluktuation 1010 Standardabweichungen beträgt.
Solche Fluktuationen kommen praktisch nicht vor. Aus den “natürlichen” Fluktuationen läßt sich mit “realen” Wänden keine Arbeit gewinnen. Wir sehen also,
daß das perpetuum mobile 2. Art im obigen Beispiel deshalb ausgeschlossen ist,
weil es spontan praktisch nicht zu “geordneteren” Zuständen kommt. Überlegungen dieser Art waren der Grund dafür, das Konzept Entropie einzuführen.
Es gibt viele Gedankenexperimente zur Konstruktion eines perpetuum mobile
2. Art, die natürlich wegen des zweiten Hauptsatzes alle zum Scheitern verurteilt
sind. Ein bekanntes Beispiel ist das Konzept des Mawellschen Dämons. Dieser
sitzt an einer Klappe zwischen zwei Gasvolumina. Er öffnet die Klappe, wenn
zufällig ein schnelles Teilchen von rechts bzw. ein langsames von links auf die
Klappe zufliegt. Sonst bleibt die Klappe geschlossen. Damit wird sich im Laufe
der Zeit die Temperatur links erhöhen und rechts erniedrigen. Die Temperaturdifferenz könnte dann zur Gewinnung von Arbeit eingesetzt werden. Man kann
nun ein Vielzahl von Überlegungen anstellen, die zeigen, daß es dem Dämon nicht
möglich ist, den zweiten Hauptsatz zum umgehen. Eine Klasse von Argumenten
beruht darauf, daß das öffnen und schließem der Klappe eine Arbeit wK kostet.
Diese sollte kleiner sein, als die Arbeit, die man durch den Übertritt eines Teilchens gewinnen kann. Die mittlere kinetische Energie eines Teilchens beträgt kB T ,
so daß wK ≪ kB T gelten sollte. Die Klappe muß also “sehr leicht zu öffnen und
schließen” sein. Auch die Klappe selbst hat, wenn sie im Gleichgewicht mit der
Umgebung ist, eine thermische Energie eK ≈ kB T (ein Freiheitsgrad). Die Klappe wird sich dann also unkontrolliert öffnen und schließen und der Dämon kann
seine Aufgabe nicht erfüllen. Andere Argumente beruhen darauf, daß der Dämon
die Geschwindigkeit von Teilchen messen müßte. Würde er das Meßergebnis danach löschen, so würde sich das was man als Informationsentropie bezeichnet
erhöhen. Wir werden später eventuell auf diesen Begriff zurückkommen. Wichtig
für die Argumentklasse ist, daß die Änderung der Gesamtentropie, die die Informationsentropie enthält, in jedem realisierbaren Experiment zunimmt. Unsere
kurze Diskussion kann natürlich keinen vollständigen Überblick über sämtliche
Versuche darstellen, zur Konstruktion eines perpetuum mobile 2. Art den zweiten
94
KAPITEL 3. THERMODYNAMIK
Hauptsatz zu umgehen.
Wie im Kapitel 2.14 erwähnt, wird die Unmöglichkeit eine periodisch arbeitenden Maschine zu konstruieren, die ausschließlich einem Wärmebad eine
Wärmemenge q entnimmt und in Arbeit w umwandelt als alternative Formulierung des zweiten Hauptsatzes verwendet. In dieser wird der Unterschied zwischen den Energieformen Wärme (“ungeordneten” Energie) und Arbeit (“geordnete” Energie) evident. Während die Umwandlung w → q vollständig möglich ist
(Auslenken eines Pendels aus Ruhelage als Arbeit, vollständige Umwandlung in
Wärme durch Reibung beim Pendeln) gilt das umgekehrt nicht.
Man kann “geordnete” Arbeit aus “ungeordneter” Wärme dadurch gewinnen, daß man das obige System, mit einem weiteren Hilfssystem koppelt und
so die obige Abnahme der Entropie durch die Zunahme dieser im Hilfssystem
kompensiert. Ein einfaches Hilfssystem ist ein Wärmebad mit einer Temperatur
T2 < T1 , wobei T1 die Temperatur des ursprünglichen Wärmebads bezeichnet.
Die Maschine entzieht Bad 1 die Wärmemenge q1 , wandelt einen Teil davon in
die Arbeit w um und gibt die Wärmemenge q2 an das Bad 2 ab. Die Hauptsätze
schränken dann den Wirkungsgrad (zur genauen Definition siehe unten) ein. Nach
dem ersten Hauptsatz gilt nach einem Zyklus
∆EM = q1 − q2 − w = 0
⇒ w = q1 − q2 .
Aus dem zweiten Hauptsaz ergibt sich
∆S = ∆SR1 + ∆SR2 + ∆SM + ∆SS ≥ 0 ,
mit der selben Notation wie oben, wobei es jetzt zwei Reservoire gibt. Analog zu
oben gilt nach einem Zyklus
∆SM = 0 ,
∆SS ≈ 0 ,
∆SR1 = −
q1
,
T1
∆SR2 =
q2
.
T2
Insgesamt ergibt sich
∆S =
q2
q1
−
≥0
T2 T1
⇒
q2
T2
≥
.
q1
T1
(3.17)
In einem Kraftwerk muß die Wärmemenge q1 , die dem Reservoir mit hoher Temperatur pro Zyklus entnommen wird, laufend ersetzt werden (z.B. durch Heizen).
als den Wirkungsgrad definiert man daher
η=
erzeugte Arbeit
w
q1 − q2
q2
=
=
=1−
.
aufgewndete Wärme
q1
q1
q1
Mit der Ungleichung (3.17) folgt
η ≤1−
T2
.
T1
95
3.6. WÄRMEKRAFTMASCHINEN
Der maximal (ideal) zu erreichende Wirkungsgrad ist daher durch den relativen
Temperaturunterschied
ηideal =
T1 − T2
T1
gegeben. Das Standardbeispiel für eine Maschine mit idealem Wirkungsgrad ist
der Carnotprozeß. Es sei x der äußere Parameter der Maschine, der mit der
Arbeit verknüpt ist. Zu Anfang des Kreisprozesses befindet sich die Maschine im
Zustand xa und die Temperatur T sei identisch zur Temperatur T2 des kälteren
Wärmebads. Die Maschine durchläuft nun quasistatisch die folgenden Schritte
1. a → b: Die Maschine wird thermisch isoliert. Der äußere Paremeter x wird
langsam von xa nach xb geändert bis T = T1 .
2. b → c: Zwischen der Maschine und dem Reservoir der Temperatur T1
wird thermischer Kontakt hergestellt. Der äußere Parameter wir weiter auf
xc verändert. Dabei nimmt die Maschine bei konstanter Temperatur die
Wärme q1 auf.
3. c → d: Die Maschine wird wieder thermisch isoliert. Der Parameter wird
bis auf xd verändert derart, daß T1 → T2 .
4. d → a: Der Prozeß wird dadurch geschlossen, daß die Maschine in thermischen Kontakt mit dem Reservoir der Temperatur T2 gebracht wird und
anschließend xd → xa vollzogen wird. Dabei verbleibt die Maschine bei T2
und gibt die Wärmemenge q2 ab.
Einfach läßt sich dieser Prozeß mit Hilfe eines Gases (nicht notwenidg ideal) in
einem Volumen V realisieren. Die quasistatischen Schritte sind dann:
1. a → b: Adiabatische Kompression wobei T von T2 nach T1 .
2. b → c: Isotherme Expansion unter Aufnahme von q1 bei T = T1 .
3. c → d: Adiabatische Expansion wobei T von T1 nach T2 .
4. d → a: Isotherme Kompression unter Abgabe von q2 bei T = T2 .
Der Kreisprozeß ist in der folgenden Skizze dargestellt.
96
KAPITEL 3. THERMODYNAMIK
P
b
c
a
d
V
Die Arbeit ist durch die eingeschlossene Fläche im P -V -Diagramm, also das Integral über P dV entlang der skizzierten Wege, gegeben.
Man kann nun den Prozeß einer Wärmekraftmaschine auch umkehren. Dabei
“pumpt” man unter Aufwendung der Arbeit w die Wärme q2 vom Reservoir mit
niedrigerer Temperatur T2 in die Maschine und die Wärme q1 von der Maschine zu dem Reservoir mit höherer Temperatur T1 . Man kann diese Maschine als
Kühlschrank oder auch Wärmepumpe betreiben. Da q1 , q2 und w positiv sein
sollen, ergibt sich nach einem Zyklus für den ersten Hauptsatz
∆EM = 0 = w + q2 − q1
⇒
w = q1 − q2 .
Der zweite Haupsatz liefert nach einem Zyklus
∆S =
q2
q1
−
≥0.
T1 T2
Bei der Wärmepumpe ist das Reservoir 1 das zu heizende Gebäude und das
Reservoir 2 die Umgebung (in der Praxis wohl der Erboden in einer bestimmten
Tiefe). Der Wirkungsgrad ist durch
η=
q1
.
w
Für die ideale Maschine gilt
ηideal =
T1
.
T1 − T2
Als Beispiel betrachten wir T1 = 293K und T2 = 273K. Damit ergibt sich ηideal ≈
15. Im Prinzip könnte man also mit Hilfe einer elektrischen Energie von 1kWh
97
3.7. VARIIERENDE TEILCHENZAHL
mit einer Wärmepumpe eine Wärmemenge von 15kWh ins Haus “pumpen”. Für
einen Kühlschrank folgt völlig analog
η=
3.7
q2
w
⇒
ηideal =
T2
.
T1 − T2
Variierende Teilchenzahl
Sowohl in unseren mikroskopischen, wie auch unseren thermodynamischen Überlegungen sind wir bisher davon ausgegangen, daß die Teilchenzahl N konstant ist,
d.h. dN = 0 gilt. Wir werden in diesem Abschnitt die zum äußeren Parameter N
konjugierte Kraft einführen, die man chemisches Potential nennt. Dabei werden
wir Teilweise Bezug zu unser mikroskopischen Diskussion bezug nehmen.
Wie wir in den Anfangskapiteln dieser Vorlesung gesehen haben, ist die Energie eines Mikrozustands r im Allgemeinen eine Funktion des Volumens – einer
Abhängigkeit, die wir schon intensiv diskutiert haben – und der Teilchenzahl N.
Wir wollen nun die Einschränkung dN = 0 aufgeben. Den allgemeinen Überlegungen für quasistatische Prozesse aus Kapitel 2.8 folgend gilt
d¯W = −P dV + µdN ,
wobei wir die verallgemeinerte Kraft
∂Er (V, N)
µ=
∂N
eingeführt. Man bezeichnet µ als das chemische Potential. Für die Änderung der
Energie bei einem quasistatischen Prozeß gilt somit
dE = d¯Q + d¯W = T dS − P dV + µdN .
(3.18)
Thermodynamisch gelesen bedeutet dies
∂E
∂S
µ=
= −T
,
∂N S,V
∂N E,V
wobei die zweite Gleichheit durch Auflösen von Gl. (3.18) nach dS folgt.
Liegen verschiedene Typen i von Teilchen mit Anzahl Ni vor, so definieren
wir ein chemisches Potential der Teilchensorte i gemäß
∂S
∂E
= −T
,
µi =
∂Ni S,V,{Nj }j6=i
∂Ni E,V,{Nj }j6=i
wobei S und E von allen Ni abhängen. Damit folgt analog zu oben
X
dE = d¯Q + d¯W = T dS − P dV +
µi dNi .
i
98
KAPITEL 3. THERMODYNAMIK
In Kapitel 3.4 haben wir die verschiedenen thermodynamischen Potentiale
durch Legendre-Transformationen eingeführt. Da wir in diesen N als Variable
beibehalten wollen, bleibt ihre Definition unverändert, also z.B. H = E + P V .
Die Differnetiale der Potentiale erhlaten dagegen aufgrund von Gl. (3.18) jeweils
einen Zusatzterm
dE
dF
dH
dG
=
=
=
=
T dS − P dV + µdN ,
−SdT − P dV + µdN ,
T dS + V dP + µdN ,
−SdT + V dP + µdN .
Jede dieser Gleichunge führt nun zu drei statt einer Maxwell-Relation, die wir
hier jedoch nicht auflisten wollen. Durch eine weitere Legendre-Transformation
können wir zu jedem der vier thermodynamischen Potentiale ein weiteres definieren. Das wichtigste dieser ist das sogenannte großkanonische Potential
J = E − T S − µN = F − µN = J(T, V, µ)
mit
dJ = −SdT − P dV − Ndµ .
Wie zur freien Energie F (kanonisches Ensemble; T , V und N als Variable;
Kontakt mit Wärmebad) gehört zum großkanonischen Potential ein bestimmtes Ensemble, welches man als großkanonisches Ensemble bezeichnet. Von der
mikroskopischen Seite werden wir dieses weiter unten kennen lernen. Durch den
Kontakt mit einem Wärme- und “Teilchen”-Reservoir, sind in ihm T , V und µ
die Variablen.
Liegen wieder verschiedene Teilchensorten vor, so muß man in allen obigen
Gleichungen bei Audrücken des Typs
µN →
X
µi Ni
i
die angegebene Ersetzung machen. Dabei kann vor dem µ oder N jeweils auch
ein “d” stehen. Das großkanonische Potential ist dann eine Funktion von T , V
und den µi .
Die Entropie ist eine extensive Größe. Im Fall verschiedener Teilchensorten
bedeutet das
S = S(E, V, {Ni }) = Ns(e, v, {xi }) ,
N=
X
i
Ni
99
3.7. VARIIERENDE TEILCHENZAHL
mit e = E/N, v = V /N und xi = Ni /N, wobei
dann (Homogenität!)
P
i
xi = 1. Mit Gl. (3.5) folgt
∂S
∂S X
∂S
+V
+
Ni
∂E
∂V
∂Ni
i
P X µi
1
Ni
= E +V −
T
T
T
i
S = E
bzw.
TS = E + PV −
X
Ni µi .
(3.19)
i
Zwischen dem chemischen Potential und der freien Enthalpie G = G(T, P, {Ni})
besteht ein einfacher Zusammenhang, den wir jetzt herleiten wollen. Für eine
Teilchensorte gilt mit der Definition von G und Gl. (3.19)
G = E − T S + P V = E − E − P V + µN + P V = µN
und
µ=
∂G
∂N
= g(T, P ) =
T,P
G
.
N
Die freie Enthalpie pro Teilchen g ist somit gleich dem chemischen Potential und
G(T, P, N) = E − T S + P V = Nµ(P, T ) .
(3.20)
Die freie Enthalpie ist extensiv. Für das großkanonische Potential J = E − T S −
µN folgt durch Einsetzen
J = −P V .
Für das vollständige Differential dG folgt so
dG = Ndµ + µdN = −SdT + V dP + µdN
und daher
dµ = −sdT + vdP ,
mit s = S/N und v = V /N. Diese Gleichung bezeichnet man als Gibbs-DuhemRelation. Die “natürlichen” Variablen von µ sind ihr folgend T und P : µ =
µ(T, P ). Bei mehreren Teilchensorten ergibt sich analog
X
G=
Ni µi .
i
100
KAPITEL 3. THERMODYNAMIK
Wie wir uns in Kapitel 3.4 überlegt haben, wird G im Gleichgewicht minimal. Mit
G = Nµ impliziert das, daß bei fester Teilchenzahl (eine Sorte) im Gleichgewicht
µ(T, P ) =min gilt.
Als Beispiel wollen wir das chemische Potential des einatomige, idealen Gases berechnen. Mit P V = NkB T , E = E(T, N) = Ne(T ) und der extensiven
Entropie S = S(T, V, N) (siehe Kapitel 3.3)
V
S(T, V, N) = Ns(T, V /N) = N cV ln T + kB ln + const.
(3.21)
N
folgt mit Gl. (3.20)
E
TS PV
V
µ=
−
+
= e(T ) − T cV ln T + kB ln + const. + kB T .
N
N
N
N
Als Funktion von P und T geschrieben und mit e(T ) = 3kB T /2 (siehe “Mikroskopik”) folgt so
3
P
µ
= − ln T + ln
+ const. .
kB T
2
kB T
Im Folgenden wollen wir die physikalischen Konsequenzen von Extremalbedingungen diskutieren wenn nur eine Teilchensorte vorliegt. Wir betrachten zunächst
ein System, welches aus zwei Teilsystemen A und A′ besteht, zwischen denen
Wärme, Volumen und Teilchen ausgetauscht werden können. Das Gesamtsystem
ist abgeschlossen, so daß die “Gesamtgrößen” Eg = E + E ′ , Vg = V + V ′ und
Ng = N + N ′ erhalten sind. Wir betrachten unsere grundlegende Extermalbedingung
Sg (E, V, N) = S(E, V, N) + S ′ (Eg − E, Vg − V, Ng − N) = max .
Damit muß die partielle Ableitung von Sg “in alle Richtungen”, d.h. bezüglich
E, V und N, verschwinden. Wie in Kapitel 2.13 führt uns das auf die Gleichgewichtsbedingungen
T = T′ ,
P = P′ ,
µ = µ′ ,
(3.22)
wobei die neue Gleichgewichtsbedingung aus
0=
∂S
∂S ′
µ
µ′
∂Sg
=
−
=
−
+
∂N
∂N
∂N ′
T
T′
folgt. Ein Beispiel für solche eine Situation ist ein System aus zwei Phasen eines
Stoffs, z.B. Wasser und Wasserdampf. Die Gleichgewichtsbedingung (3.22) ist nur
entlang einer bestimmten Kurve im T -P -Diagramm erfüllt. Man bezeichnet diese
Kurve als Dampfdruckkurve. Entlang ihr herrscht Phasengleichgewicht.
101
3.7. VARIIERENDE TEILCHENZAHL
Folgend werden wir eine Konsequenz des Teilchenaustauschs diskutieren – das
bereits oben angedeuteten Phasengleichgewicht. Abhängig von der Temperatur
T und dem Druck P können Stoffe in verschiedenen Phasen auftreten. Ein Standardbeispiel sind die feste (Eis), flüssige und gasförmige Phasen eines Systems
aus H2 O-Molekülen. In der festen Phase kommt es bei vielen Systemen vor, daß
es unterschiedliche Kristallstrukturen gibt, die jeweils eine eigene Phase bilden.
Ein weiteres Beispiel, welches uns bereits begegnet ist, sind die ferromagnetische
und paramagnetische Phasen eines Spinsystems. Für die folgenden Überlegungen
verwenden wir die Zustandsvariable T , P und N. Die Variablen T und P legen
das thermodynamische Potential pro Teilchen G(T, P, N)/N = µ(T, P ) fest. In
diesem Sinne legt die Angabe von T und P bis auf die Teilchenzahl den Zustand
bereits eindeutig fest. Wir betrachten nun ein inhomogenes System in dem zwei
verschiedene Phasen eines Stoffs auftreten. Zwischen diesen können Teilchen ausgetauscht werden (z.B. geht ein H2 O-Molekül von der Gasphase in die flüssige
Phase über). Nach den obigen Überlegungen sind beide Phasen A und A′ im
Gleichgewicht, wenn bei gegebenem T und P
µ(T, P ) = µ′ (T, P )
(3.23)
gilt. Da die Phasen unterschiedlich sind, gilt gleiches für die Funktionen (zweier
Veränderlicher) µ und µ′ . Die Gl. (3.23) definiert im Allgemeinen eine Kurve
im P -T -Diagramm. Für den Fall der flüssigen und gasförmigen Phase spricht
mann dann von der Dampfdruckkurve Pd (T ) bzw. (andersherum “gelesen”) von
der Siedetemperatur Ts (P ). Weg von den Übergangskurven gilt µ 6= µ′ und die
Substanz liegt in der Phase mit kleinerem chemischen Potential vor, da ja im
Gleichgewicht µ =min gilt. Ein P -T -Diagramm mit den Übergangslinien heißt
Phasendiagramm. Das Phasendiagramm von Wasser ist in der folgenden Skizze
nocheinmal (siehe Kapitel 2.15) dargestellt (wobei der Fokus jetzt auf anderen
Charakteristika liegt).
P
flüssig
kritischer Punkt
fest
Tripelp.
gasf.
T
102
KAPITEL 3. THERMODYNAMIK
Der Übergang über eine Linie hinweg ist ein Phasenübergang. Nach Gl. (3.23)
ist das chemische Potential beim Übertreten der Phasengrenzlinien stetig. Anderen Größen, wie z.B. die Entropie pro Teilchen können möglicherweise unstetig
sein. Wir werden auf diese Überlegungen innerhalb der statistischen Beschreibung
später zurückkommen. Neben dem diskteren Übergang z.B. an der Dampfdrucklinie, kann es auch zu einem kontinuierlichen Übergang zwischen zwei Phasen
kommen. An diesem gilt v = v ′ und s = s′ . Der Übergang zwischen der flüssigen
und der gasförmigen Phase endet in einem kritischen Punkt. Man kann daher
von der gasförmigen zu der flüssigen Phase auch auf einem Weg um den kritischen Punkt herum kommen, ohne die Dampfdruckkurve zu kreuzen. Das Ende
einer Koexistenzlinie im P -T -Diagramm in einem kritischen Punkt ist möglich,
wenn sich die beiden Phasen nur quantitativ unterscheiden, also z.B. durch eine
unterschiedliche Dichte (wie beim flüssig-gasförmig Übergang), nicht jedoch qualitativ (z.B. wenn unterschiedliche Symmetrien vorliegen; siehe den flüssig-fest
Übergang). Am Tripelpunkt, der uns bereits in Kapitel 2.15 begegnet ist liegt
Koexsitenz dreier Phasen (A, A′ und A′′ ) vor und es gilt
µ(T, P ) = µ′ (T, P ) = µ′′ (T, P ) .
Diese Überlegungen liefern jedoch keinen Einblick ob und warum es verschiedene
Phasen gibt, oder welche Struktur sie haben. Dazu werden wir uns später Gedanken machen. Wie wir bei der Diskussion des van-der-Waals Gases in Kapitel
3.2 gesehen haben, liefert nicht nur ein P -T -Diagramm Einsichten über Phasenübergänge, sondern auch ein P -v-Diagramm. Das zur obigen Skizze (Wasser)
gehörende ist folgend dargestellt. Die gestrichelten Linien sind die Isothermen.
P
fest
flüssig
.
/flüs
fest
gasf.
flüs./gasf.
fest/gasf.
v
Wir wollen nun aufbauend auf der Gleichgewichtsbedingung Gl. (3.23) weitere
Konsequenzen diskutieren. Wir betrachten die Dampfdruckkurve. Diese ist durch
µ(T, Pd (T )) = µ′ (T, Pd (T ))
103
3.8. MISCHUNGEN, LÖSUNGEN, REAKTIONEN
definiert. Wir differenzieren diese Bedingung nach der Temperatur. Es gilt
′
′
∂µ
∂µ
∂µ
dPd
dPd
∂µ
+
+
(T ) =
(T ) .
∂T P
∂P T dT
∂T P
∂P T dT
Wegen dµ = −sdT + vdP folgt
(v − v ′ )
dPd
(T ) = s − s′ .
dT
An jedem Punkt auf der Dampfdruckkurve Pd (T ) sind die Phasen für sich und
miteinander im Gleichgewicht. Der Prozß der Umwandlung von einer in die andere Phase kann daher quasistatisch und bei konstanter Temperatur ablaufen.
Damit gilt nach Kapitel 3.4 dH = T dS + V dP , woraus bei im vorliegenden Fall
konstantem Druck ∆s = ∆h/T mit h = H/N folgt. Dies impliziert
s − s′ =
h − h′
q
= .
T
T
Die eingeführte Größe q = h − h′ heißt Umwandlungsenthalpie oder auch lax
Umwandlungswärme oder latente Wärme. Da aber der Druck und nicht das Volumen konstant gehalten wird, handelt es sich streng genommen um eine Enthalpieänderung nicht um eine Wärme. Wenn man sich auf einen bestimmten Übergangstyp bezieht, dann spricht man z.B. auch von Verdampfungsenthalpie oder
Schmelzenthalpie. Die beiden letzten Gleichungen zusammengenommen liefern
die Clausius-Clapeyron-Gleichung
q
dPd
(T ) =
.
dT
T (v − v ′ )
Diese Relation stellt einen Zusammenhang zwischen der Steigung der Phasenumwandlungslinie und der zum Übergang gehörenden Entropie- und Volumenänderung dar.
3.8
Mischungen, Lösungen, Reaktionen
In diesem Kapitel untersuchen wir, was wir aus der Thermodynamik über Mischungen von verschiedenen Substanzen lernen können. Wir beginnen dabei mit
dem einfachen Beispiel einer Mischung aus zwei idealen Gasen in einem Behälter
mit Volumen V . Neben V sind noch T und N1 , N2 gegeben. Wir nehmen an,
daß keine Wechselwirkung zwischen den Gasen herrscht. Es gilt Pi V = Ni kB T ,
i = 1, 2, und damit nach addieren P V = NkB T . Der Druck setzt sich als Summe
zweier Partialdrücke P = P1 + P2 zusammen. Die Partialdrücke ergeben sich aus
Pi = xi P , mit xi = Ni /N. Da keine Wechselwirkung herrscht ist die Energie
additiv
E(T, N1 , N2 ) = E1 (T, N1 ) + E2 (T, N2 ) .
(3.24)
104
KAPITEL 3. THERMODYNAMIK
Als nächstes betrachten wir die Entropie. Da die beiden Teilchentypen nicht wechselwirken, ist es möglich sie ohne Aufwand von Arbeit zu trennen (z.B. über für
jeweils nur eine Teilchensorte durchlässige Wände), wobei das Volumen für jede
Teilchensorte gleich V bleibt. Vollführt man die Trennung dann noch adiabatisch, so gilt d¯Q = 0. Damit ergibt sich für das Gemisch der idealen Gase bei der
Trennung
∆E = 0 =
2
X
i=1
(i)
Ni cV (T ′ − T ) ,
(i)
wobei cV die auf die Teilchenzahl bezogene spezifische Wärme des Teilchentyps i
ist (beim idealen Gas natürlich für beide i gleich; eine Verallgemeinerung ist aber
möglich so lange keine Wechselwirkung zwischen den Teilchentypen herrscht) sowie T und T ′ die Temperatur der Gase vor und nach der Trennung sind. Wir
Fragen nun danach, ob sich die Temperatur oder die Partialdrücke bei der Trennung ändern. Aus ∆E = 0 folgt T = T ′ und wegen der Zustandsgleichung auch
P1 = P1′ sowie P2 = P2′ . Aus ∆Q = 0 folgt ebenfalls ∆S = 0 und damit
S(T, V, N1 , N2 ) = S1 (T, V, N1 ) + S2 (T, V, N2 ) ,
(3.25)
so daß die Entropie für “ideale” Gemische (keine Wechselwirkung zwischen Teilchen) additiv ist.
Wir gehen nun über zu T , P und {Ni } als Variable. Es gilt
E(T, P, N1 , N2 ) =
X
Ni ei (T ) ,
i
mit der Energie pro Teilchen (ideale Gase)
(i)
(i)
ei (T ) = e0 + cV T
welche unabhängig von P ist. Um die Entropie als Funktion von T , P , N1 und
N2 zu berechnen stellen wir eine Vorüberlegung an. Es gilt für das ideale Gas
einer Teilchensorte (siehe Gl. (3.21) und Zustandsgleichung)
V
N
kB T
s0 + cV ln T + kB ln
P
s̃0 + (cV + kB ) ln T − kB ln P
s̃0 + cP ln T − kB ln P
s(T, P ) ,
s = s0 + cV ln T + kB ln
=
=
=
=
105
3.8. MISCHUNGEN, LÖSUNGEN, REAKTIONEN
wobei wir cP − cV = kB verwendet haben. Für die Entropie eines Gemischs
verschiedener idealer Gase folgt (Additivität siehe oben; Pi = xi P )
X
S(T, P, N1, N2 ) =
Si (T, Pi , Ni )
i
=
X
i
=
X
i
=
X
i
=
X
i
=
X
i
Ni si (T, Pi )
(i)
(i)
Ni s̃0 + cP ln T − kB ln Pi
(i)
(i)
Ni s̃0 + cP ln T − kB ln xi − kB ln P
Ni si (T, P ) − kB
Ni si (T, P ) − kB
X
Ni ln xi
i
X
Ni ln
i
Ni
.
N
(3.26)
Wir wollen folgend die freie Enthalpie G = E − T S + P V untersuchen. Wie
bereits oben erwähnt gilt für das ideale Gas Pi V = Ni kB T und P V = NkB T .
Damit folgt
G(T, P, {Ni}) = E − T S + P V
X
X
=
[Ni ei (T ) − T Ni si (T, P ) + Ni kB T ] + kB T
Ni ln xi
i
=
X
i
Ni gi(T, P ) + kB T
i
mit
X
Ni ln xi ,
i
gi (T, P ) = ei (T ) − T si (T, P ) + kB T .
Für das chemische Potential ergibt sich
∂G
µi =
∂Ni T,P,{Nj }j6=i
= gi (T, P ) + kB T ln xi + kB T
X
Nj
j
(3.27)
∂
ln xj
∂Ni
1 ∂xj
xj ∂Ni
j
∂ X
xj
= gi (T, P ) + kB T ln xi + kB T N
∂Ni j
| {z }
= gi (T, P ) + kB T ln xi + kB T
X
Nj
=1
= gi (T, P ) + kB T ln xi
= µi (T, P, xi ) .
(3.28)
106
KAPITEL 3. THERMODYNAMIK
Es ergibt sich somit, daß für ideale Gase µi nur einen Funktion von xi (nicht der
{Nj }) und T , P ist. Mit der Beziehung für G folgt damit auch
X
G(T, P, {Ni}) =
Ni µi (T, P, xi ) ,
i
was wir im Kapitel 3.7 ja bereits allgemein gesehen haben. Wir können die obigen
Überlegungen für ideale Gase zweier Teilchensorten sofort auf n Sorten verallgemeinern, da wir die Sortentrennung suksessive ausführen können. Die obigen
Formeln gelten also, wenn die Summen bis n laufen auch allgemeiner.
Der zweite in Gl. (3.26) auftauchende Term hat eine physikalische Bedeutung,
die wir jetzt untersuchen wollen. Wir betrachten dazu einen (irreversiblen) Mischvorgang. In ihm sind die beiden idealen Gase zunächst in getrennten Volumina
V1 und V2 eingeschlossen. Die jeweiligen Teilchenzahlen sind N1 und N2 und der
Druck und die Temperatur seien in beiden Teilvolumina gleich und durch Ta ,
Pa gegeben (z.B. durch eine Wärmedurchlässige, verschiebbare Wand realisiert).
Die Wand wir dann ohne Arbeit zu leisten weggenommen und das System sei
thermisch isoliert. Nach dem ersten Hauptsatz gilt dann
∆E = 0
= E(Te , N1 , N2 ) − E1 (Ta , N1 ) − E2 (Ta , N2 )
= E1 (Te , N1 ) + E2 (Te , N2 ) − E1 (Ta , N1 ) − E2 (Ta , N2 ) ,
wobei wir in der zweiten Zeile Gl. (3.24) ausgenutzt haben. Damit ergibt sich
Te = Ta . Aus den Zustandsgleichungen Pa Vi = Ni kB Ta folgt V1 /V2 = N1 /N2
und durch Summation Pa (V1 + V2 ) = Pa V = (N1 + N2 )kB Ta = NkB Te , also
Pa V = NkB Te = Pe V was Pa = Pe impliziert. Nach diesen Vorarbeiten können
wir nun die Entropieänderung beim Mischen berechnen. Es gilt mit Gl. (3.25)
(Te = Ta = T )
∆S = S(T, V, N1 , N2 ) − S1 (T, V1 , N1 ) − S2 (T, V2 , N2 )
X
=
[Si (T, V, Ni ) − Si (T, Vi , Ni )]
i
=
X
i
=
X
i
[Si (T, Pi , Ni ) − Si (T, P, Ni)]
Ni [si (T, Pi ) − si (T, P )]
= −kB
= −kB
Da xi < 1 folgt
X
Ni ln
i
X
Pi
P
Ni ln xi .
i
∆S = −kB
X
i
Ni ln xi > 0 .
107
3.8. MISCHUNGEN, LÖSUNGEN, REAKTIONEN
Man nennt diese Größe die Mischungsentropie. Sie gilt natürlich nur für verschiedene Gasesorten. Bei gleichen Sorten gilt bei der Mischung unter obigen Bedingungen ∆S = 0 (siehe Übungsaufgabe zu diesem Gibbsschen Paradoxon). Bei
der Herleitung dieser Beziehung haben wir den Entmischungsvorgang benutzt,
der bei gleichen Sorten nicht funktionieren würde.
Wir wollen als nächstes Beispiel eines Systems mit verschiedenen Teilchensorten verdünnte Lösungen betrachten. Dabei seien n Stoffe in einem Lösungsmittel
gelöst, wobei die Konzentration der gelösten Stoffe klein sein soll, d.h. es gilt
Ni ≪ N0 , wobei N0 die Zahl der Lösungsmittelteilchen bezeichnet. Obwohl die
gelösten Stoffe im Allgemeinen sehr stark mit dem Lösungsmittel wechselwirken
werden wir sehen, daß die für das ideale Gas hergeleiteten Beziehungen
X
Ni ei (T, P ) ,
E(T, P, {Ni}) =
i
S(T, P, {Ni}) =
G(T, P, {Ni}) =
X
i
X
Ni si (T, P ) − kB
X
Ni gi (T, P ) + kB T
i
µi (T, P, xi ) = gi (T, P ) + kB T ln xi ,
Ni ln xi ,
i
X
Ni ln xi ,
i
(3.29)
mit
gi (T, P ) = ei (T, P ) − T si (T, P ) + P vi(T, P )
(3.30)
P
weiterhin gültig sind. Wie zuvor gilt xi = Ni /N mit N = i Ni . Die Summen
laufen von 0 bis n. Die auftreten Funktionen ei , si , gi und vi werden wir weiter unten definieren. Dieses Ergebnis liefert ein Begründung dafür, warum wir
uns so ausführlich mit der (für sich genommen wenig interessant erscheinenden)
Mischung zweier idealer Gase beschäftigt haben. Wichtig ist, daß ei hier im Allgemeinen eine Funktion von T und P sein wird (im Gegensatz zum idealen Gas)
und daß wir keine Beziehungen mehr verwenden dürfen in denen Partialdrücke
auftauchen (diese setzten
P das Verschwinden der Wechselwirkung voraus), wie
z.B. S(T, P, {Ni}) =
i Ni si (T, Pi ). Um die obige Relation für E herzuleiten
entwickeln wir diese Funktion bis zur ersten Ordnung in Ni /N0 , i = 1, 2, . . . , n.
Es gilt
E(T, P, {Ni }) = N0 E(T, P, 1, N1/N0 , . . . , Nn /N0 )
n
X
Ni ∂E
(T, P, 1, 0, . . . , 0) ,
N0
= N0 E(T, P, 1, 0, . . . , 0) +
|
{z
}
N0 ∂Ni
i=1
|
{z
}
=e0 (T,P )
=ei (T,P )
=
n
X
i=0
Ni ei (T, P ) .
108
KAPITEL 3. THERMODYNAMIK
Analog ergibt sich
V (T, P, {Ni }) = N0 V (T, P, 1, N1 /N0 , . . . , Nn /N0 )
n
X
Ni ∂V
= N0 V (T, P, 1, 0, . . . , 0) +
N0
(T, P, 1, 0, . . . , 0) ,
|
{z
}
N0 ∂Ni
i=1
{z
}
|
=v0 (T,P )
=vi (T,P )
=
n
X
Ni vi (T, P ) .
i=0
Aufgrund der Mischungsentropie läßt sich die Entropie nicht so einfach nach
Ni /N0 entwickeln. Wir betrachten zunächst den Fall Ni =const.. Dann gilt für
einen quasistatischen Prozeß
T dS = dE + P dV =
n
X
i=0
Ni [dei (T, P ) + P dvi(T, P )] .
|
{z
}
=T dsi (T,P )
Mit dieser Definition von dsi (T, P ) folgt
∂ei
∂vi
∂si
=
+P
,
T
∂T P
∂T P
∂T P
∂si
∂ei
∂vi
T
=
+P
,
∂P T
∂P T
∂P T
so daß si (T, P ) bis auf eine Integrationskonstante eindeutig festgelegt ist. Es folgt
somit für Ni =const.
dS = d
n
X
Ni si (T, P )
i=0
⇒
S(T, P, {Ni}) =
n
X
Ni si (T, P ) + S0 (N0 , N1 , . . . , Nn ) .
i=0
Die Konstante S0 (bezüglich T und P ) bestimmen wir für P → 0 und T →
∞ in dem sowohl das Lösungsmittel, wie die gelösten Stoffe durch ideale Gase
beschrieben werden können. Der Vergleich mit Gl. (3.26) liefert dann
S0 ({Ni }) = −kB
n
X
Ni ln xi .
i=0
Die Relation für G folgt aus denen für E und S durch Einsetzen in die Definitionsgleichung. Die Relation für das chemische Potential ergibt sich wie in Gl.
(3.28).
109
3.8. MISCHUNGEN, LÖSUNGEN, REAKTIONEN
Setzt man in den obigen Beziehungen N1 = N2 = . . . = Nn = 0 so folgt
E = N0 e0 (T, P ) ,
S = N0 s0 (T, P ) ,
G = N0 g0 (T, P )
und die Funktionen e0 , s0 sowie g0 beschreiben das reine Lösungsmittel. Die
Funktionen ei , si und gi für i = 1, 2, . . . , n können nicht entsprechend interpretiert
werden. Für P → 0 und T → ∞ gehen sie in die entsprechenden Größen für das
ideale Gas über (siehe oben). Nach der Definitionsgleichung von dsi folgt
T dsi = dei + P dvi
und es gelten die üblichen thermodynamischen Beziehungen für die Differentiale
für alle i. Mit dieser Relation und Gl. (3.30) folgt z.B.
dgi = −si dT + vi dP .
Wie üblich kann man auch Maxwell-Relationen herleiten.
In der Gleichung für das chemische Potential
µi (T, P, xi ) = gi (T, P ) + kB T ln xi ,
können wir für i = 0 noch nach den xi entwickeln. Es gilt
µ0 (T, P, x0 ) = g0 (T, P ) + kB T ln x0
= g0 (T, P ) + kB T ln 1 −
= g0 (T, P ) − kB T
n
X
n
X
i=1
xi
!
xi .
(3.31)
i=1
Für die zu den gelösten Teilchen gehörenden µi geht dieses natürlich nicht.
Wir wollen nun Anwendungen dieser Überlegungen betrachten. Starten werden wir mit dem Sättingungsgleichgewicht. Dazu betrachten wir den Fall einer
verdünnten Lösung mit einem gelösten Stoff, dessen Konzentration die Sättigung
erreicht hat, d.h. er liegt auch in fester Form vor. Wir wollen die Sättigungskonzentration
(s)
(s)
c1
N
= 1
V
(F )
berechnen. Neben N0 und N1 tritt jetzt auch N1 für die Zahl der Teilchen des
festen Stoffs auf. Die Temperatur und der Druck sind gegeben (durch Wärmeund “Druck”-bad) und die Teilchenzahl insgesamt ist konstant. Nach unseren
Überlegungen aus Kapitel 3.4 bietet es sich daher an, die freie Enthalpie G zu
betrachten. Diese wird im Gleichgewicht minimal. Es gilt
(F )
(F )
G(T, P, N0 , N1 , N1 ) = GL (T, P, N0 , N1 ) + GF (T, P, N1 )
(g)
= GL (T, P, N0 , N1 ) + GF (T, P, N1 − N1 )
110
KAPITEL 3. THERMODYNAMIK
(F )
(g)
und N1 + N1 = N1 =const. sowie N0 =const.. Ableiten nach N1 und Null
setzen (wegen Minimum) liefert
(s)
(s)
(F )
µ1 (T, P, x1 ) = µ1 (T, P ) ,
N1
(s)
x1 =
(s)
N0 + N1
.
Nach Gl. (3.29) gilt
(s)
(s)
µ1 (T, P, x1 ) = g1 (T, P ) + kB T ln x1
⇒
⇒
(s)
(F )
kB T ln x1 = µ1 (T, P ) − g1 (T, P )
#
"
(F )
µ
(T,
P
)
−
g
(T,
P
)
1
(s)
.
x1 = exp 1
kB T
Mit
(s)
(s) N
c1 = x1
V
,
(s)
N = N0 + N1
folgt für die Sättingungskonzentration
(s)
c1 (T, P )
#
(F )
µ1 (T, P ) − g1 (T, P )
,
= c exp
kB T
"
c=
N
.
V
(s)
Man bezeichnet c1 auch als die Löslichkeit.
Als nächstes berechnen wir die Lösungswärme. Dazu betrachten wir eine
verdünnte, nicht gesättigte Lösung, in der der gelöste Stoff auch fest vorliegt. Wir
wollen die Wärmezufuhr berechnen, wenn ∆N1 Teilchen gelöst werden. Der Druck
und die Temperatur sind durch die “Umwelt” festgelegt. Mit dH = T dS + V dP
(Teilchenzahl ist konstant) folgt für dP = 0, daß ∆H = Q. Daher betrachten wir
im vorliegenden Fall die Enthalpie. Es gilt (Taylor-Entwicklung)
Q = ∆H
(F )
= HL (T, P, N0, N1 + ∆N1 ) + HF (T, P, N1 − ∆N1 )
(F )
−H (T, P, N0 , N1 ) − HF (T, P, N1 )
 L
! 
∂HL
∂HF
 ∆N1 .
≈ 
−
(F )
∂N1 T,P,N0
∂N1
T,P
111
3.8. MISCHUNGEN, LÖSUNGEN, REAKTIONEN
Mit HL/F = GL/F + T SL/F folgt
∂GL
∂SL
∂HL
=
+T
∂N1 T,P,N0
∂N1 T,P,N0
∂N1 T,P,N0
∂µ1
= µ1 (T, P, x1 ) − T
∂T P,N0 ,N1
∂µ1
= µ1 (T, P, x1 ) − T
∂T P,x1
∂ µ1 (T, P, x1 )
2
= −T
∂T
T
P,x1
wobei wir die aus dG = −SdT + V dP + µdN folgende Maxwell-Relation
∂µ
∂S
=
−
∂N T,P
∂T P,N
ausgenutzt haben. Analog gilt
!
∂HF
(F )
∂N1
T,P
= −T 2
∂
∂T
(F )
µ1 (T, P )
T
!
.
P
Für die Wärme bedeutet dies
(F )
Q = −T 2
∂ µ1 (T, P, x1 ) − µ1 (T, P )
∂T
T
!
∆N1 .
P,x1
Aus Gl. (3.28) folgt
(F )
(F )
µ1 (T, P, x1 ) − µ1 (T, P ) = g1 (T, P ) − µ1 (T, P ) + kB T ln x1
(s)
= −kB T ln x1 (T, P ) + kB T ln x1
(s)
x1 (T, P )
x1
(s)
c (T, P )
,
= −kB T ln 1
c1
= −kB T ln
(s)
(s)
mit c1 = x1 N/V und c1 = x1 N/V . Eingesetzt in den Ausdruck für die Wärme
folgt
∂
(s)
2
ln c1 (T, P ) ∆N1 .
Q = kB T
∂T
Nimmt die Löslichkeit also mit zunehmender Temperatur zu, so wird beim Lösen
Wärme frei (Q > 0). Anderenfalls gilt Q < 0.
112
KAPITEL 3. THERMODYNAMIK
Als nächste Anwendung betrachten wir die Osmose. Dabei sind zwei verdünnte Lösungen (gleicher gelöster Stoff) unterschiedlicher Konzentrationen über eine
semipermeable Membran getrennt. Durch diese kann nur das Lösungsmittel treten. Die Lösung links ist durch T , PL , VL , N0L und N1L charakterisiert und analog
für rechts (L → R). Wir sind dabei davon ausgegangen, das die Membran wärmedurchlässig ist und damit TL = TR = T gilt. Man kann nun qualitativ leicht verstehen, daß im Gleichgewicht PL 6= PR da der Partialdruck des Lösungsmittels
auf beiden Seiten gleich sein wird (weil dieses ja durch die Membran treten kann),
nicht jedoch der Partialdruck des gelösten Stoffs. Im Gleichgewicht erwarten wir
daher
∆P = PL − PR 6= 0
eine Größe die man den osmotischen (Gleichgewichts-)Druck nennt. Das Gesamtsystem sei abgeschlossen, so daß die Entropie im Gleichgewicht maximal wird. Da
das Lösungsmittel ausgetauscht werden kann, bedeutet das nach unseren Überlegungen aus Kapitel 3.7, daß
µ0 (T, PL , xL0 ) = µ0 (T, PR , xR
0) .
Mit Gl. (3.31) folgt
g0 (T, PL ) − kB T xL1 = g0 (T, PR ) − kB T xR
1
bzw. unter der Annahme, daß xL1 − xR
1 und ∆P klein (Taylor-Entwicklung)
∂g0
∆P = kB T (xL1 − xR
1) ,
∂P T
wobei P = (PL +PR )/2. Der osmotische (Gleichgewichts-)Druck ergibt sich damit
zu
∆P =
kB T
(xL1 − xR
1) ,
v0 (T, P )
mit dem nur vom Lösungsmittel abhängenden Volumen
∂g0
.
v0 (T, P ) =
∂P T
Im Spezialfall, daß rechts das reine Lösungsmittel vorliegt, also für xR
1 = 0, folgt
∆P =
kB T L kB T N1L
x =
v0 1
v0 NL
mit NL = N0L + N1L . Da v0 NL ≈ (VL /N0L )N0L = VL ergibt sich die van’t Hoffsche
Gleichung für den osmotischen (Gleichgewichts-)Druck
∆P VL = N1L kB T .
3.8. MISCHUNGEN, LÖSUNGEN, REAKTIONEN
113
In dieser Situation entspricht ∆P dem Partialdruck des gelösten Stoffes auf der
linken Seite und wir reproduzieren die ideale Gasgleichung.
Als letztes Beispiel diskutieren wir das Massenwirkungsgesetz. Dazu betrachten wir eine Mischung von n Stoffen, die miteinander chemisch reagieren können.
Ein Beispiel ist die Reaktion (n = 3)
2H2 + O2 → 2H2 O .
Wir gehen davon aus, daß alle n Stoffe entweder als ideale Gase behandelbar sind,
oder als verdünnte Lösungen vorliegen, so daß
µi (T, P, xi) = gi (T, P ) + kB T ln xi
(3.32)
gilt. Wir wollen das Reaktionsgleichgewicht beschreiben. Wir gehen von der “typischen” Situation aus, daß T und P durch die “Umwelt” gegeben sind und keine
Teilchen mit der “Umwelt” ausgetauscht werden. Dann wird die freie Enthalpie
G im Gleichgewicht minimal, also
G(T, P, N0 , N1 ; . . . , Nn ) = min ,
wobei N0 die Zahl der Teilchen des Lösungsmittels angibt (N0 = 0 ist möglich).
Die Ni , i = 1, 2, . . . , n sind nicht unabhänging sondern durch die Reaktionsgleichung miteinander verknüpft. Mit νi bezeichnen wir die Zahl der Moleküle/Atome
der Sorte i, die bei der Reaktion erzeugt werden. Im obigen Beispiel gilt also
νH2 = −2, νO2 = −1 und νH2 O = 2. Die Zahl
∆λ =
∆Ni
νi
ist unabhängig von i und gibt die Zahl der Reaktionen an. Da G minimal wird
und dN0 = 0 gilt folgt
0 = ∆G
n X
∂G
∆Ni
=
∂N
i
T,P,{N
}
j
j6
=
i
i=1
=
n
X
µi (T, P, xi )νi ∆λ
i=1
für alle “infinitesimalen” ∆λ, also
n
X
i=1
µi νi = 0 .
114
KAPITEL 3. THERMODYNAMIK
Dies ist die Gleichgewichtsbedingung für die chemische Reaktion. Mit Gl. (3.32)
ergibt sich
0 =
=
n
X
i=1
n
X
νi gi (T, P ) + kB T
νi gi (T, P ) + kB T
i=1
n
X
i=1
n
X
νi ln xi
ln, (xνi i ) .
i=1
Daraus folgt das Massenwirkungsgesetzt für das Reaktionsgleichgewicht
"
#
Q
n
n
|νi |
Y
X
1
x
xνi i = Q Ende i |νi | = exp −
νi gi (T, P ) = K(T, P ) .
k
T
B
x
i
i=1
i=1
Anfang
Um dieses besser zu verstehen, gehen wir nun davon aus, daß alle beteiligten
Stoffe als ideale Gase beschreibbar sind. Dann gilt nach Gl. (3.27)
gi (T, P ) = ei (T ) − T si (T, P ) + kB T
(i)
(i)
(i)
(i)
= e0 + cV T − T s0 − T cP ln T + T kB ln P + kB T
(i)
(i)
(i)
(i)
= e0 + (cV + kB )T − T s0 − T cP ln T + T kB ln P
#
"
(i)
(i)
c
e
1 (i)
(i)
(c − s0 ) + 0 − P ln T + ln P .
= kB T
kB P
kB T
kB
Damit ergibt sich für die Funktion K
"
#
P
1 X
(i)
(i)
− i νi
K(T, P ) = exp −
νi (cP − s0 ) P
| {z }
kB i
P
{z
} abhängig
|
T,P
unabhängig
#
1 X (i) − Pi νi c(i)
P /kB
× exp −
νi e0 T
kB T i
|
{z
}
"
T
∆E/(kB T )
= const. e
abhängig
T ∆cP /kB P −∆N ,
mit
∆E =
X
(i)
νe0 ,
i
∆cP =
X
(i)
νi cP ,
i
∆N =
X
i
νi .
3.8. MISCHUNGEN, LÖSUNGEN, REAKTIONEN
115
Deise Größen sind jeweils die Änderung der Energie, spezifischen Wärme und
der Teilchenzahl bei einer Reaktion. Wir können die verschiedenen Terme interpretieren. Für ∆E < 0(> 0) ergibt sich eine Verschiebung zu den Endstoffen
(Anfangsstoffen). Die Reaktion versucht die Energie zu minimieren. Dieses ist
aber nicht der einzig bestimmende Faktor (siehe unten). Als Beispiel betrachten
wir die Reaktion H2 → 2 H. Die Dissoziationsenergie von H2 ist 4eV. Da 1meV
≈ kB 10K folgt ∆E/kB ≈ 4 · 104 K. Damit ergibt sich
e∆E/(kB T ) ≈ e40000K/T
und Wasserstoff wird erst bei ca. 40000K relevant dissoziieren. Der Faktor e∆E/(kB T )
dominiert in der Praxis die T -Abhängigkeit von K(T, P ). Er besagt, daß angeregte Zustände erst möglich sind, wenn ∆E ∼ kB T . Für ∆CP > 0(< 0) ergibt sich
eine Verschiebung zu den Endstoffen (Anfangsstoffen). Das Reaktionsgleichgewicht verschiebt sich bei Temperaturerhöhung auf die Seite der größeren Wärmekapazität, so daß die Temperaturerhöhung minimiert wird. Man nennt dieses das
Prinzip des kleinsten Zwangs. Für ∆N < 0(> 0) ergibt sich eine Verschiebung
zu den Endstoffen (Anfangsstoffen). Damit verschiebt sich das Reaktionsgleichgewicht bei Druckerhöhung auf die Seite mit der kleineren Teilchenzahl. Auch dieses
Ergebnis ist Teil des Prinzip des kleinsten Zwangs. Mit diesen Überlegungen, die
in der physikalischen Chemie von großer Relevanz sind, schließen wir das Kapitel
zur Thermodynamik ab und kehren zu einer mikroskopischen Beschreibung von
Vielteilchensystemen zurück.
116
KAPITEL 3. THERMODYNAMIK
Kapitel 4
Klassische statistische Mechanik
In diesem Kapitel wenden wir uns erneut der klassischen statistischen Mechanik
zu, wobei wir formaler als in Kapitel 2 vorgehen werden. Wir werden sehr häufig
den Bezug zu unseren Grundüberlegungen herstellen.
4.1
Mikroskopische Dynamik und Phasenraum
Wie in Kapitel 2 diskutiert, bilden die mikroskopische Hamiltonfunktion und die
zugehörigen Bewegungsgleichungen die Grundlage der Beschreibung unseres abgeschlossenen Vielteilchensystems. Letztere können für viele Freiheitsgrade nicht
exakt gelöst werden. Es ist nicht einmal möglich alle Anfangsbedingungen anzugeben. Die Bewegunsgleichungen besitzen jedoch allgemeine Eigenschaften, die
wichtig für die (formale) Theorie (die statistische Mechanik) sind, in unseren
bisherigen Überlegungen aber noch nicht das ihnen zustehende Gewicht bekommen haben. Wie in Kapitel 2 illustriert beschreiben wir unser Ensemble von
(replizierten) Systeme in der klassischen statistischen Mechanik anhand einer
Wahrscheinlichkeitsverteilung über dem Phasenraum (siehe Beispiel der Gleichverteilung über dem zugänglichen Teil des Phasenraums in der mikrokanonischen
Verteilung in Kapitel 2.3). Wir werden uns daher zunächst mit Eigenschaften des
Phasenraums und mit der Dynamik auf diesem beschäftigen. Im Verlauf dieser
Überlegungen werden wir auf die Frage der (erhofften!?) Gleichheit von Ensemblemittelwerten (Theorie) und Zeitmittelwerten (Experiment) stoßen, auf die wir
bereits in der Einführung (Kapitel 1) und in Kapitel 2 hingewiesen haben.
Wir betrachten ein klassisches System mit der Hamiltonfunktion H und der
Hamiltonschen Dynamik
∂H
~q˙ =
,
∂~p
∂H
p~˙ = −
.
∂~q
Die qi und pi sind (jeweils) f verallgemeinerte Koordinaten und Impulse. Das
Endziel unserer Überlegungen ist es Systeme im statistischen (thermodynami117
118
KAPITEL 4. KLASSISCHE STATISTISCHE MECHANIK
schen) Gleichgewicht (im bereits intensiv diskutierten Sinne) zu beschreiben. Daher darf die Hamiltonfunktion keine explizite Zeitabhängigkeit haben, da sich ein
solches sonst nicht einstellen kann. Die Hamiltonschen Bewegungsgleichungen
beschreiben Trajektorien im 2f -dimensionalen Phasenraum Γ, mit Elementen1
~z = ~z (t) gemäß
∂H ∂~
p
~z˙ =
= f (~z ) .
(4.1)
− ∂H
∂~
q
Diese Differentialgleichung erster Ordnung hat eine eindeutige Lösung, wenn man
den Anfangswert ~z0 = ~z(t0 ) vorgibt. Zu jedem ~z0 erhält man eine Bahnkurve
im Phasenraum Γ. Aufgrund der Eindeutigkeit, können sich Bahnkurven nicht
schneiden. Da wir abgeschlossene Systeme (ohne explizite Zeitabhängigkeit) betrachten ist die Energie durch die Hamiltonfunktion gegeben und entlang einer
Bahnkurve konstant, d.h. H(~z(t)) = E =const.. Das H konstant ist folgt direkt
aus der Bewegungsgleichung
d
∂H ˙ ∂H ˙ ∂H ∂H
∂H ∂H
H(~z(t)) =
· ~q +
· ~p =
·
−
·
=0.
dt
∂~q
∂~p
∂~q ∂~p
∂~p ∂~q
Mit der Energieerhaltung verlaufen die Phasenraumtrajektorien in einer (2f −1)dimensionalen Hyperfläche. Liegen weitere Erhaltungsgrößen vor (Impuls, Drehimpuls, . . .), so reduziert sich die Dimensionalität entsprechend.
Wir betrachten eine Teilmenge γ0 in Γ mit Volumen ω0 . Alle ~z ∈ γ0 seien
Anfangspunkte für Trajektorien. Gemäß der Bewegungsgleichung wird γ0 = γ(t0 )
auf ein γ(t), mit Volumen ω(t) abgebildet. Der Satz von Liouville besagt, daß
ω(t) = ω(t0 ) ,
das Phasenraumvolumen also invariant ist. Zum Beweis betrachten wir ein infinitesimales Phasenraumvolumen
dω(t0) = d2f z .
Mit Hilfe einer Variablentransformation von zi (t0 ) nach zi (t) können wir eine
Beziehung zwischen den Phasenraumvolumina zur Zeit t0 und t herstellen. Es
gilt
∂z(t) dω(t0) ,
dω(t) = det
∂z(t0 ) wobei der erste Faktor die Funktionaldeterminante der Variablentransformation
bezeichnet. Um die Invarianz des Phasenraumvolumens zu zeigen genügt es also
∂z(t)
=1
D(~z(t0 ); t, t0 ) = det
∂z(t0 ) 1
Im Vektor ~z sind erst die verallgemeinerten Orte und dann die verallgemeinerten Impulse
angeordnet.
4.1. MIKROSKOPISCHE DYNAMIK UND PHASENRAUM
119
zu beweisen. Gemäß der Definiton gilt
D(~z(t0 ); t0 , t0 ) = 1 ,
D(~z(t0 ); t, t0 ) = D(~z (t1 ); t, t1 )D(~z(t0 ); t1 , t0 ) .
Wir betrachten zunächst einen infinitesimalen Zeitschritt t − t0 = ǫ. Es gilt
~z (t) = ~z(t0 ) + ~z˙ (t0 ) ǫ + O(ǫ2 )
∂H
(~z (t0 ))
∂~
p
ǫ + O(ǫ2 ) .
= ~z(t0 ) +
(~
z
(t
))
− ∂H
0
∂~
q
Damit ergibt sich für die Matrix aus der die Funktionaldeterminante folgt
!
∂qi (t)
∂qi (t)
∂z(t)
∂qj (t0 )
∂pj (t0 )
=
∂pi (t)
∂pi (t)
∂z(t0 )
∂qj (t0 )
∂pj (t0 )
!
2H
1 + ∂p∂ i ∂q
(~
z
(t
))
ǫ
O(ǫ)
0
j
=
.
2H
(~
z
(t
))
ǫ
O(ǫ)
1 − ∂q∂i ∂p
0
j
Damit sind alle Nichtdiagonalelemente von der Größenordnung O(ǫ). Wenn wir
nur Terme bis zur Ordnung O(ǫ) berücksichtigen folgt für die Funktionaldeterminante
Y
f f Y
∂2H
∂2H
1+
D(~z (t0 ); t, t0 ) =
(~z (t0 )) ǫ
(~z (t0 )) ǫ + O ǫ2
1−
∂pi ∂qi
∂qi ∂pi
i=1
i=1
f X
∂2H
∂2H
(~z(t0 )) −
(~z (t0 )) ǫ + O ǫ2
= 1+
∂pi ∂qi
∂qi ∂pi
i=1
= 1 + O ǫ2 .
Für einen infinitesimalen Zeitschritt ist die Funktionaldeterminante somit gleich
1. Dies impliziert, daß
∂
=0
D(~z(t0 ); t, t0 )
∂t
t=t0
∂
⇒
=0
D(~z(t1 ); t, t1 )D(~z (t0 ); t1 , t0 )
∂t
t=t0
∂
⇒
=0.
D(~z(t1 ); t, t1 )
∂t
t=t0
Da diese Relationen für alle t0 gelten müssen, folgt
⇒
∂
D(~z (t0 ); t, t0 ) = 0
∂t
D(~z (t0 ); t, t0 ) = D(~z(t0 ); t0 , t0 ) = 1
120
KAPITEL 4. KLASSISCHE STATISTISCHE MECHANIK
was es zu beweisen galt.
Als nächstes wollen wir den Wiederkehrsatz von Poincaré diskutieren. Dazu
betrachten wir ein System, welches sich in einem endlichen Ortsvolumen befindet.
Dieses ist z.B. durch Wände oder periodische Randbedingungen zu realisieren.
Das System habe eine endliche Energie E. Unter diesen Annahmen hat der Phasenraum ein endliches Volumen. Dann gilt der Wiederkehrsatz von Poincaré, der
besagt, daß (fast) jede Trajektorie im Phasenraum nach einer gewissen (endlichen) Zeit ihrem Ausgangspunkt beliebig nahe kommt. Das “fast” bedeutet, daß
die Aussage nur für Anfangspunkte vom Maß Null nicht gilt. Mathematisch genauer gilt, daß es für jede offene Teilmenge des Phasenraums Trajektorien gibt,
die die Teilmenge unendlich oft schneiden. Zum “Beweis” betrachten wir eine beliebige kleine Umgebung γ0 mit Volumen ω0 um den Ausgangspunkt ~z0 = ~z(t0 ).
Durch den Phasenraumfluß Gl. (4.1) wird γ0 im Laufe der Zeit eine “Stromröhre”
bilden – die Vereinigung aller γt die sich gemäß der Zeitentwicklung ergeben. Zu
jeder Zeit t gilt nach dem Liouvilleschen Satz ωt = ω0 . Da sich Phasenraumtrajektorien nicht schneiden können, darf sich die Stromröhre nicht selbst schneiden.
Da das von der Stromröhre eingenommene Volumen konstant anwächst (Satz von
Liouville) verkleinert sich das der Stromröhre zugängliche Volumen im Laufe der
Zeit. Da das Gesamtvolumen des Phasenraum endlich ist, besteht ab einer gewissen endlichen Zeit nur die Möglichkeit, daß die Stromröhre in ihren Ausgangspunkt zurückkehrt, sich also schließt. Da wir nun ω0 beliebig klein wählen können
und ~z0 in γ0 vorkommt, folgt die Aussage. Es ist natürlich immer möglich, daß
ein System an seinen Ausgangspunkt zurückkehrt ohne, daß das ganze zugängliche Phasenraumvolumen überstrichen wurde. Die Erfahrung lehrt, daß dieses
bei Systemen die wir im Rahmen der statitischen Mechanik beschreiben wollen die Ausnahme ist. Systeme die die Phasenraum-Hyperfläche zur Energie E
ausschöpfen (d.h. die Trajektorien laufen für große Zeiten durch jedes beliebig
kleine Gebiet der Hyperfläche), nennt man ergodisch. Die Zeit (Wiederkehrzeit),
die ein System benötigt, um wieder in seinen Ausgangspunkt zurückzukehren,
kann für Systeme mit vielen Freiheitsgraden sehr groß werden. Läßt man daher
zuerst die Zahl der Teilchen N (und damit der Freiheitsgrade) gegen unendlich
gehen und dann die Zeiten große werden, so wird keine Wiederkehr auftreten.
Nur in diesem Sinn ist es möglich eine irreversible Dynamik aus reversiblen mikroskopischen Bewegungsgleichungen zu erhalten. Der Limes N → ∞ wird dabei
so ausgeführt, daß die Dichte gleich bleibt. Wir betrachten also N → ∞, V → ∞,
mit N/V =const.. Dies ist der thermodynamische Limes.
Nach diesen Vorüberlegungen wollen wir uns nun der Frage nähern, ob die
von uns bisher betrachteten Ensemblemittelwerte den in Experimenten meist
betrachteten Zeitmittelwerten entsprechen. Im Gegensatz zu unserem bisherigen
Vorgehen, wäre es von der experimentellen Seite kommend plausibel folgende statistische Sichtweise anzunehmen: Der Versuch ein Vielteilchensystem vollständig
mikroskopisch in der Zeit zu verfolgen muß aufgegeben werden. Daher betrachtet man Meßgrößen die über hinreichend lange (im Vergleich zu mikroskopischen
4.1. MIKROSKOPISCHE DYNAMIK UND PHASENRAUM
121
Änderungen, also z.B Stöße) Zeiten gemittelt sind
Z
1 t0 +τ
(t0 )
¯
fτ =
f (~z(t))dt
τ t0
wobei f = f (q1 , . . . qf , p1 , . . . pf ) eine Eigenschaft des Systems beschreibt (z.B.
die instantane Kraft pro Fläche). Wie in Kapitel 2 zerlegen wir den Phasenraum
nun wieder in kleine Zellen (“coarse graining”) die kleiner als die “Meßgenauigkeit” sein sollen (untere Grenze ist das durch die Quantenmechanik vorgegebene
Volumen (2π~)f ). Wir teilen das Zeitintervall [t0 , t0 + τ ] in kleine Intervalle der
Größe ∆t und markieren die Phasenraumpunkte für jeden Zeitschritt in Phasenraum ~z(t0 ), ~z(t1 ), . . . , ~z (t0 + τ ). Damit ergibt sich die relative Aufenthaltszeit des
Systems in Phasenraumzelle r zu
Nr
∆tr
=
,
τ
N
wobei Nr die Zahl der Punkte (entsprechend unser Diskretisierung) in Phasenraumzelle r bezeichnet und N die Gesamtzahl der Punkte. Diese Größe können
wir auch wie folgt schreiben
∆tr
= ρτ (~zr ) d2f zr ,
τ
mit der Phasenraumdichteverteilung ρτ (~z ) und dem Volumen der Phasenraumzelle r, d2f zr . Für den Zeitmttelwert gilt dann
f¯τ(t0 ) ≈
X
f (~zr )
r
∆tr X
=
f (~zr )ρτ (~zr )d2f zr
τ
r
und die Phasenraumdichte ist wegen
1=
X Nr
r
N
=
X
r
ρτ (~zr )dzr2f
→
Z
ρτ (~z )d2f z
normiert.
Statt eines Zeitmittels über die Phasenraumtrajektorie eines Systems betrachten wir nun ein Ensemble von identischen Systemen zu einem Zeitpunkt (z.B.
t0 ), in dem die Wahrscheinlichkeit ein System in der Zelle r des Phasenraums zu
finden durch ρτ (~zr )d2f zr gegeben ist. Gemäß Konstruktion des Ensembles bedeu(t )
tet dieses, daß f¯τ 0 auch durch den Ensemblemittelwert gegeben ist. Wir haben
aber durch diese Überlegungen noch nichts gewonnen, da sich das Ensemble ohne
Kenntniss der Trajektorie nicht angeben läßt. Auch die Anfangsbedingungen für
die Trajektorie sind nicht bekannt.
Wir haben nun die Erwartung, daß das System für große Zeiten einen von
den Anfangsbedigungen unabhängiggen Gleichgewichtszustand anstrebt. Diese
122
KAPITEL 4. KLASSISCHE STATISTISCHE MECHANIK
wird für die meisten Systeme (generische Systeme) von Interesse durch die Erfahrung bestätigt. Die Erwartung berücksichtigen wir durch die Annahme – die
Ergodenhypothese – daß
lim ρτ(t0 ) (~z) = ρ(~z )
τ →∞
existiert und unabhängig von t0 und der Anfangsbedingung ist. Das sich so ergebende ρ ist die Phasenraumdichte eines stationären Ensembles. Damit folgt
Z
1 t0 +τ
lim
f (~z(t)) dt
τ →∞ τ t
0
Z
=
f (~z)ρ(~z )d2f z .
hf i = f¯ =
Die Idee hinter dieser Überlegung ist, daß das System für große τ die überwiegende Zeit im Gleichgewicht verbringt und der frühe Beitrag zum Zetintegral daher
vernachlässigbar ist.
In einem nächsten Schritt untersuchen wir, wie das uns bereits gut bekannte mikrokanonische Ensemble ins Spiel kommt. Wir betrachten also wieder ein
Vielteilchensystem mit Hamiltonfunktion H welches eine Energie im Interval
[E, E + δE] haben soll. Die Bewegung sei durch keine weiteren Erhaltungsgrößen
eingeschränkt (der Impuls eines Gases in einem endlichen Volumen ist z.B. aufgrund von Stößen mit der Wand nicht erhalten). Genauer sind die Translationsund Rotationsinvarianz im allgemeinen durch Randbedingungen gebrochen, nicht
jedoch die Zeittranslationsinvarianz, da das Gleichgewicht nach Annahme unabhängig vom Anfangszustand bei t0 ist. Es gibt nun sehr viele Mikrozustände,
die zwischen den beiden Energieflächen im Phasenraum liegen. Das System ändert
seinen Mikrozustand (Phasenraumpunkt) durch Stöße, ohne, daß sich die Dichte ρ(~z ) ändert (im Gleichgewicht). Damit kommen wir erneut zu der plausiblen
Annahme, daß sich das System mit gleicher Wahrscheinlichkeit in jedem seiner
zugänglichen Mikrozustände befindet2
ρ(~z ) =
1
Ω(E)
0
für E < H(~z) < E + δE
,
sonst
wobei
Ω(E) =
Z
d2f z .
E<H(~
z )<E+δE
2
Im Gegensatz zu Kapitel 2.3, wo wir Zustände gezählt haben, ist die Verteilung hier kontinuierlich (über dem Phasenraum). Wenn man Erwartungswerte oder die Zustandssumme berechnet, macht dieses Verglichen mit Kapitel 2.3 und folgenden keinen Unterschied, da wir dort
immer zu Integralen übergegangen sind.
4.1. MIKROSKOPISCHE DYNAMIK UND PHASENRAUM
123
Für ein gegebenes System sollte diese mikrokanonische Verteilung beweisbar sein,
in der Praxis ist dies aber sehr schwierig. Die Ensemblemittelwerte von Observablen sind durch
Z
Z
1
2f
hf i = f (~z )ρ(~z)d z =
f (~z)d2f z
Ω(E) E<H(~z)<E+δE
gegeben.
Oben haben wir ein hypothetisches Ensemble mit einer Wahrscheinlichkeitsverteilung ρ(~z ) im Phasenraum konstruiert, um das Zeitmittel durch ein Ensemblemittel bei einer festen Zeit zu ersetzen. Um die anschließend angenommene
Gleichverteilung besser zu begründen, betrachten wir jetzt die Zeitentwicklung
des Ensembles mit Dichte ρ(~z ; t) bei gegebenem ρ(~z , t0 ). Es ist zu beachten, daß
eine allgemeine Dichte explizit von der Zeit abhängen kann. Gemäß unserer Konstruktion, durchlaufen die N Repräsentanten (entstanden durch Diskretisierung
der Zeit) alle dieselbe Trajektorie, jedoch zeitverschoben, da sie an verschiedenen Anfangspunkten starten. Aus der klassischen Mechanik wissen sie, daß die
Zeitentwicklung jeder Funktion auf dem Phasenraum, also auch von ρ, durch
f X
dρ
∂ρ
∂ρ
∂ρ
+
q̇i
=
+ ṗi
dt
∂qi
∂pi
∂t
i=1
∂ρ
,
(4.2)
∂t
mit der Poissonklamer {. . . , . . .} gegeben ist. Da ρ eine Wahrscheinlichkeitsdichte
ist, gilt für sie eine Kontinuitätsgleichung (siehe die Theorie II oder III Vorlesungen für verwandte Beispiele)
= {ρ, H} +
∂ ~
∂
ρ(~z (t); t) +
· j(~z (t); t) = 0
∂t
∂~z
mit der Stromdichte
~j(~z (t); t) = ρ(~z (t); t) ~z˙ (t) .
Der zweite Term in der Kontinuitätsgleichung läßt sich umformen zu
∂ h ˙ i ∂ρ d~z
∂
· ρ ~z =
·
+ ρ · ~z˙ .
∂~z
∂~z dt
∂~z
Aufgrund der Hamiltonschen Bewegungsgleichung verschwindet der zweite Summand
f X
∂ q̇i ∂ ṗi
∂ ˙
+
· ~z =
∂~z
∂q
∂pi
i
i=1
f 2
X
∂2H
∂ H
−
=
∂q
p
∂pi qi
i
i
i=1
= 0
124
KAPITEL 4. KLASSISCHE STATISTISCHE MECHANIK
und es gilt die Liouvillsche Gleichung
∂
ρ + {ρ, H} = 0 .
∂t
Aus Gl. (4.2) schließen wir somit
dρ
=0.
dt
Da die mikrokanonische Vetreilung ρ(~z ) nicht explizit zeitabhängig und konstant
in ~z ist, ist sie mit dieser Bedingung, die aus der Mikroskopik folgt, verträglich.
Dies ist ein weiteres Argument für die mikrokanonische Verteilung als stationäres
Ensemble .
Wir betrachten nun ein ergodisches System. Dann gilt das Ergodentheorem
1. Der Limes f¯ = limτ →∞ f¯τ existiert.
2. Es gibt eine stationäres Ensemble, so daß f¯ durch den Ensemblemittelwert
hti gegeben ist.
3. Das einzige stationäre Ensemble ist das mikrokanonische.
Mit unseren Vorüberlegungen ist der dritte Punkt sehr plausibel, da dρ/dt = 0
(längs einer Trajektorie) und da aufgrund der Ergodizität die Trajektorie jedem
Punkt beliebig nahe kommt, ist ρ überall (auf der Energieschale) konstant. Somit
kann für ein ergodisches System das Zeitmittel mit Hilfe des mikrokanonischen
Ensembles berechnet werden.
Es ist sehr wichtig festzustellen, daß Ergodizität nicht notwendigerweise bedeutet, daß ein Einzelsystem (Punkt im Phasenraum zu fester Zeit) oder ein
Ensemble (Menge im Phasenraum zu fester Zeit) gegen einen zeitunabhängigen
Gleichgewichtszustand strebt. Dafür benötigen wir, daß das System mischend ist.
Dies bedeutet, daß eine im Phasenraumvolumen γt0 konstante und außerhalb diesem verschwindende Anfangsdichte ρ(~z ; t0 ) sich für große Zeiten in eine zerfaserte
Dichte ρ(z; t) entwickelt, wobei zerfasert bedeutet, daß ρ(z; t) konstant ist, wenn
über beliebig kleine Volumina gemittelt wird. Da das Volumen ωt des sich aus
γt0 entwickelnden Phasenraumgebiets nach dem Liouvillschen Satz gleich ωt0 ist,
kann die Gleichverteilung nur durch Zerfaserung erreicht werden.
Um die Begriffe ergodich und mischend zu erläutern, wollen wir Beispiele
betrachten. Ein einzelner harmonischer Oszillator ist ergodisch. Mehrere ungekoppelte harmonische Oszillatoren gleicher Frequenz dagegegen nicht. Ihre Bewegung überstreicht nicht den gesamten durch Energieerhaltung zugelassenen
Teil des Phasenraum, sondern bleibt aufgrund der fehlenden Wechselwirkung auf
einen kleinen Unterraum beschränkt.
125
4.1. MIKROSKOPISCHE DYNAMIK UND PHASENRAUM
Als weiteres Beispiel betrachten wir ein eindimensionales System mit Hamiltonfunktion H = p − αq und Wertebereich 0 < q, p < 1 (periodische Randbedingungen). Es ist wichtig festzuhalten, daß H in diesem Beispiel keine Erhaltungsgröße ist. Die Bewegungsgleichungen lauten
ṗ = α ,
q̇ = 1
und die Lösung dieser
p = p0 + αt mod 1 ,
q = q0 + t mod 1 .
Damit folgt p(t) = p0 + α[q(t) − q0 ]. In der linken Skizze ist eine typische Phasenraumtrajektorie dargestellt.
p
p
q
q
Es treten nun zwei Situationen auf. Für rationales α = m/n ist die Bahn periodisch mit einer Wiederkehrzeit tP = n. Das System ist nicht ergodisch. Ist α
dagegen irrational, so füllt die Trajektorie das Quadrat dicht aus und das System ist ergodisch. Das dynamische System ist jedoch nicht mischend, da eine
Anfangsverteilung auf dem Phasenraum in der Zeit nur verschoben wird, nicht
jedoch zerfasert (siehe rechte Skizze).
Als letztes Beispiel betrachten wir ein Gas aus harten, elastisch Stoßenden
Kugeln mit Radius r0 in einem Container (geht auf Sinai zurück). Bei einem
Stoß führt schon ein kleiner Unterschied im Stoßpunkt dazu, daß sich zwei sehr
unterschiedliche Zustände ergeben. Dies macht plausibel, daß das Gas für große
Zeiten den Phasenraum vollständig überdecken wird (mischend) und ergodisch
ist.
Die Liouvillsche Gleichung für ρ(~z ; t) ist invariant unter Zeitumkehr. Dies bedeutet, daß wenn man zu einer Zeit tR > t0 alle Geschwindigkeiten umkehrt
126
KAPITEL 4. KLASSISCHE STATISTISCHE MECHANIK
das System zum Ausgangszustand ρ(~z , t0 ) zurückkehrt. Dies gilt auch für mischenden Systeme – sie entmischen sich. Die Bewegung ist vollständig reversibel.
Diese Überlegung mach nocheinmal klar, daß man erst durch zwischengeschaltete
Grenzprozesse eine irreversible Dynamik erhält (siehe den obigen thermodynamischen Limes). Führt man für ein mischendes System eine Mittelung über die
zerfaserte Verteilung aus, so wird es meist nicht mehr möglich sein zur Ausgangsverteilung zurückzufließen.
Man geht meist einfach davon aus, daß ein Vielteilchensystem mit hinreichend komplizierten Wechselwirkungen mischend und ergodisch ist und damit
einen Gleichgewichtszustand anstrebt, der durch das mikrokanonische Ensemble beschrieben wird. Mit dieser Festellung wollen wir unsere Überlegungen zum
Verhältnis von Ensemble- und Zeitmittel und zur Relaxation in ein Gleichgewicht abschließen. Diese Diskussion erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit
und sollte sie im Wesentlichen mit den wichtigen Ideen vertraut machen. Untersuchungen dazu sind Gegenstand aktueller Forschung. Im Folgenden nehmen wir
den am Beginn dieses Absatzes formulierten pragmatischen Standpunkt ein, der
sich in der Praxis vorzüglich bewährt hat.
Als wir in Kapitel 2.3 die mikrokanonische Zustandssumme eingeführt haben, haben wir in der quantenmechanischen Betrachtung die Wechselwirkung
bei der Charakterisierung des Systems (Quantenzahlen) einfachheitshalber nicht
berücksichtigt. Auch wenn wir dieses in Kapitel 2.3 bei den klassischen Überlegungen nicht gemacht haben, wollen wir betonen, daß wir uns im aktuellen Kapitel bezüglich der Wechselwirkung nicht eingeschränkt haben. Im Gegenteil, wie
wir jetzt besser verstehen, ist die Wechselwirkung für die Relaxation ins Gleichgewicht und die Ensemblebeschreibung essentiell. Im Kapitel 5 zur Quantenstatistik
werden wir entsprechend auch wechselwirkenden Systeme betrachten.
4.2
Ensembles der klassischen Mechanik
Wie mehrfach diskutiert stellt die mikrokanonische Verteilung (Gesamtheit) das
fundamentale statistische Ensemble zur Beschreibung von abgeschlossenen Systemen bei gegebener Energie zwischen E und E + δE dar. Nach den Überlegungen
des letzten Kapitels können wir ein abgeschlossenes Vielteilchensystem im Gleichgewicht durch eine Dichte ρ(~z ) auf dem Phasenraum beschreiben. Für N gleiche
Teilchen gilt
1
für E < H(~z) < E + δE
Ω(E)
ρ(~z ) =
,
0 sonst
wobei die mikrokanonische Zustandssumme durch
Z
1
Ω(E) =
d3N xd3N p = ρ(E)δE
N!(2π~)3N E<H(~z)<E+δE
4.2. ENSEMBLES DER KLASSISCHEN MECHANIK
127
gegeben ist. Die Zustandsdichte ist wie gehabt durch ρ = dΦ/dE definiert. Wir
gehen dabei davon aus, daß die Koordinaten durch Orte und Impulse gegeben
sind. Den Überlegungen des letzten Kapitels haben wir im Einklang mit Kapitel 2.4 die Vorfaktoren 1/N! und (2π~)−3N hinzugefügt. Ignorierend, daß uns
natürlich bereits klar ist, warum diese Faktoren sinnvoll sind (Quantenmechanik,
Extensitivität der Entropie), kann man sie an dieser Stelle auch als Konvention
betrachten, gemäß der die Normierung der Dichte durch
Z
1
ρ(~z )d3N xd3N p = 1
(4.3)
3N
N!(2π~)
gegeben ist. Da wir in der Zwischenzeit über Systeme mit verschiedenen Teilchensorten nachgedacht haben, bietet es sich an, an dieser Stelle eine entsprechende
Verallgemeinerung einzuführen. Statt des Faktors 1/N! tritt dann der Faktor
" n
Y
#−1
Ni !
i=1
auf. Wir betonen noch einmal, daß der Faktor (2π~)−3N , ρ(~z ) und Ω(E) zu dimensionslosen Größen macht. Für die Zahl der Zustände mit Energie kleiner E
erhalten wir in Anlehnung an Kapitel 2.4
Z
1
Φ(E) =
Θ(E − H(~z ))d3N x d3N p
(4.4)
N!(2π~)3N
mit der Hamiltonfunktion H(~z ). Für die Zustandsdichte ρ(E) können wir daher
1
dΦ(E)
=
ρ(E) =
dE
N!(2π~)3N
Z
δ(E − H(~z))d3N x d3N p
schreiben. Diese Schreibweisen sind für formale Überlegungen sehr hilfreich. Wir
können auch die Dichte über dem Phasenraum durch eine δ-Funktion schreiben.
Im Limes δE → 0 gilt
ρ(~z ) =
1
δ(E − H(~z)) .
ρ(E)
(4.5)
Nach der Definition von ρ(~z ) ist diese Funktion bei H(~z ) = E konzentriert. Wir
müssen noch überprüfen, ob das so gegebene ρ(~z ) auch normiert ist. Um dieses
zu sehen, verwenden wir die Beziehung
Z
d
3N
xd
3N
p=
Z Z
H(~
z )=E
1
dS dE
|∂H/∂~z |
128
KAPITEL 4. KLASSISCHE STATISTISCHE MECHANIK
mit dem (6N − 1)-dimensionalem Oberflächenelement dS auf der Fläche H(~z ) =
E. Diese folgt aus
∂H 3N
3N
dz⊥ = dE
d x d p = dz⊥ dS , ∂~z 1
,
⇒
d3N x d3N p = dEdS
|∂H/∂~z |
wobei z⊥ die Komponente ist, die senkrecht auf der Oberfläche dS steht. Damit
folgt
Z
Z Z
1
1
1
3N
3N
δ(E − H(~z))d x d p =
δ(E − H(~z))dSdE ′
ρ(E)
|∂H/∂~
z
|
ρ(E)
′
H(~
Zz )=E
1
1
=
dS
ρ(E) H(~z)=E |∂H/∂~z |
Z
1
dSdz⊥
=
ρ(E)δE H(~z)=E
Z
1
=
d3N x d3N p
ρ(E)δE E<H(~z)<E+δE
= N!(2π~)3N
was es zu zeigen galt.
Wir wollen nun kurz diskutieren, wie sich im Stile der obigen Herangehensweise der erste und zweite Hauptsatz ergeben (siehe auch Kapitel 2.8 und 2.9).
Wir betrachten eine Hamiltonfunktion, die von einem Satz äußerer Parameter ~a
abhängt, die wiederum Funktionen der Zeit ~a = ~a(t) sind (z.B. das Volumen). Es
gilt also
H = H(~z ,~a(t)) .
Die zeitliche Änderung von a soll nun langsam auf der Skala der Relaxationszeit
des Systems sein, d.h. der Zeit, die das System benötigt um ins Gleichgewicht
zu relaxieren. Die Änderung ist also quasistatisch. Entlang einer Trajektorie ~z (t)
ändert sich H gemäß
d
∂H ˙ ∂H ˙ ∂H ˙
H(~z (t),~a(t)) =
· ~x +
· ~p +
· ~a
dt
∂~x
∂~p
∂~a
∂H ˙
=
· ~a ,
∂~a
wobei wir die Hamiltonschen Bewegungsgleichungen verwendet haben. Damit
folgt
Z te
∂H ˙
· ~a(t) dt .
∆H =
a
ta ∂~
4.2. ENSEMBLES DER KLASSISCHEN MECHANIK
129
Da sich ~a(t) nur langsam ändert ist ~a˙ (t) praktisch konstant im Intervall ∆t =
te − ta und es folgt
Z te
∂H
˙
∆H ≈ ~a ·
dt
a
ta ∂~
Z te
∂H
1
dt
= ∆~a ·
∆t ta ∂~a
= ∆~a ·
∂H
.
∂~a
Dabei ergibt sich in der letzten Zeile der zeitliche Mittelwert von ∂H/∂~a wenn
man beachtet, daß wir wegen der nur kleinen Änderung ∆~a von ~a in der Zeit ∆t
∂H
∂H
(~z (t),~a(t)) ≈
(~z (t),~a(ta ))
∂~a
∂~a
setzen können. Das Zeitintervall ∆t ist hinreichend groß auf der Skala der Relaxationszeiten, so daß wir mit dem Ergodentheorem den Zeitmittelwert durch den
Mittelwert über das mikrokanonische Ensemble ersetzen können
Z
1
∂H
∆H ≈ ∆~a ·
ρ(~
z
)
(~z ,~a)d6N z .
3N
N!(2π~)
∂~a
Die Energie des Ensembles ist dabei die zur Zeit ta . Die Änderung der Energie
∆H entspricht der quasistatischen Arbeit, so daß infinitesimal geschrieben
∂H
· d~a
d¯W =
∂~a
folgt, was uns natürlich aus Kapitel 2.8 bekannt ist. In einem zweiten Schritt
berechnen wir die Änderung von Φ = Φ(E, N,~a) bei einer Änderung von E und
~a.3 Es gilt
dΦ =
=
=
=
=
3
∂Φ
∂Φ
dE +
· d~a
∂E
∂~a
Z
1
∂
ρ(E, N,~a)dE +
Θ(E − H(~z,~a))d6N z · d~a
3N
N!(2π~)
∂~a
Z
∂H
1
δ(E − H(~z,~a))d6N z · d~a
ρ(E, N,~a)dE −
3N
N!(2π~)
∂~a
Z
1
∂H
ρ(E, N,~a)dE −
ρ(E,
N,~
a
)
ρ(~z )d6N z · d~a
3N
N!(2π~)
∂~a
∂H
· d~a .
ρ(E, N,~a)dE − ρ(E, N,~a)
∂~a
Wir haben N explizit aufgeführt und nicht bei den Parametern (a1 , . . . , an ) berücksichtigt,
da N nicht verändert wird.
130
KAPITEL 4. KLASSISCHE STATISTISCHE MECHANIK
Dabei haben wir Gl. (4.5) verwendet. Setzen wir jetzt noch den Ausdruck für die
Arbeit ein, so folgt
1
dΦ
ρ
−1
dΦ
∂Φ 1
=
∂E Φ
Φ
1
= ∂
d(ln Φ) .
ln
Φ
∂E
dE − d¯W =
Mit den uns bekannten Definitionen von Entropie S = kB ln Ω ≈ kB ln Φ und
Temperatur T −1 = (∂S/∂E)N,~a folgt
dE = d¯W + T dS
für quasistatische Prozesse.
Wir wollen nun sehen, wie man mit Gl. (4.4) die Entropie des idealen einatomigen Gases berechnen kann. Dabei tritt im Gegensatz zu der Rechnung in
Kapitel 2.4 keine Summe, sondern direkt das relevante Integral auf. Die Hamiltonfunktion ist
H=
N
X
p~i2
, ~xi ∈ V .
2m
i=1
Mit Gl. (4.4) folgt
Z
1
Θ(E − H(~z))d3N x d3N p
Φ(E, V, N) =
3N
N!(2π~)
Z ∞
Z ∞
1
VN
=
dp1 . . .
dp3N 1 .
N! (2π~)3N −∞
−∞
{z
}
|
P3N
2
k=1 pk ≤2mE
Dies
√ ist exakt das Integral – Volumen der 3N-dimensionalen Kugel mit Radius
2mE – welches wir in Kapitel 2.4 ausgewertet haben. Da wir später mit der
im Rahmen des kanonischen Ensembles berechneten Entropie vergleichen wollen,
analysieren wir dieses Integral hier “noch genauer” als in Kapitel 2.4. Es gilt
(siehe Mathematikvorlesungen)
Φ(E, V, N) =
VN
π 3N/2 (2mE)3N/2
N!(2π~)3N Γ(3N/2 + 1)
mit der Gamma-Funktion Γ(x). Mit der asymptotischen Entwicklung (vergleiche
mit Strirlingscher Formel!)
ln Γ(x + 1) = x(ln x − 1) +
1
ln (2πx) + O(1/x)
2
4.2. ENSEMBLES DER KLASSISCHEN MECHANIK
131
und daraus für x = N ∈ N (es gilt Γ(N + 1) = N!)
ln N! = N(ln N − 1) +
1
ln (2πN) + O(1/N)
2
(4.6)
folgt
S(E, V, N) = kB ln Ω(E, V, N)
≈ kB ln Φ(E, V, N)
3
5 3
E
4πm
V
+ ln
+ + ln
= NkB ln
N
2
N
2 2
3(2π~)2
+O(ln N) .
(4.7)
Die Entropie des idealen Gases ist, wie allgemeine zu fordern, extensiv (N tritt als
Vorfaktor auf und E und V nur als die Größen pro Teilchen). Um dieses Ergebnis
zu erhalten, ist es essentiell den Faktor 1/N! zu berücksichtigen. Es gilt
1
31
3
∂S
= NkB
=
⇒ E = NkB T ,
T
∂E V,N
2E
2
P
NkB
∂S
=
=
⇒ P V = NkB T .
T
∂V E,N
V
Im Rahmen der klassischen statistischen Mechanik läßt sich der sogenannten
Gleichverteilungssatz (Äquipartitionstheorem) beweisen. Es gilt
∂H
= kB T
zi
∂zi
für alle Komponenten (Koordinate oder Impuls) zi des Phasenraumvektors (also
einer Koordinate oder einem Impuls). Zum Beweis betrachten wir
R ∂H
zi ∂zi δ(E − H(~z))d6N z
∂H
R
zi
=
∂zi
δ(E − H(~z))d6N z
R ∂
zi ∂zi Θ(E − H(~z))d6N z
= − R
δ(E − H(~z))d6N z
R ∂
R
[zi Θ(E − H(~z))] d6N z
Θ(E − H(~z))d6N z
∂zi
R
R
= −
+
.
δ(E − H(~z))d6N z
δ(E − H(~z))d6N z
Das Integral über zi im Zähler des ersten Summanden können wir nun leicht
ausführen. Es ist durch lim|zi |→∞ zi Θ(E − H(~z)) gegeben. Da starre Wände vorliegen gilt für alle Ortskomponenten
lim xi Θ(E − H(~x, p~)) = 0 .
|xi |→∞
132
KAPITEL 4. KLASSISCHE STATISTISCHE MECHANIK
Für periodische Randbedingungen heben sich die Beiträge von der oberen und
der unteren Grenze weg. Da die Energie endliche ist folgt ebenfalls
lim pi Θ(E − H(~x, ~p)) = 0 .
|pi |→∞
Der erste Summand verschwindet somit und es folgt
R
Θ(E − H(~z))d6N z
∂H
R
=
zi
∂zi
δ(E − H(~z))d6N z
Φ(E)
=
ρ(E)
Φ
=
∂Φ/∂E
1
=
∂ ln Φ/∂E
1
≈
∂ ln Ω/∂E
= kB T .
Dieses Ergebnis ist sehr nützlich. Sei H homogen vom Grade n in einer Teilmenge
von Koordinaten und/oder Impulsen {zi }, i = 1, . . . , f . Dies gilt z.B.
P für n = 2
und alle Impulskomponenten bei der standard kinetischen Energie i p~i2 /(2m).
Dann gilt H = H1 (z1 , . . . , zf ) + H2 (zf +1 , . . . , z6N ) mit
f
X
H1 (z1 , . . . , zf ) =
ai1 ,...,in zi1 . . . zin
i1 ,...,in =1
⇒
f
X
⇒
hH1 (z1 , . . . , zf )i =
i=1
zi
∂H1
= nH1 (z1 , . . . , zf )
∂zi
f
kB T ,
n
d.h. jeder Freiheitsgrad, der in n-ter Ordnung in H vorkommt, trägt zum Erwartungswert der Energie den Beitrag kB T /n bei. Dieser Fall tritt wie oben schon
beispielhaft erwähnt oft für n = 2 auf (kinetische Energie, harmonisches Potential, Vibrationsenergie, Rotationsenergie). Für das ideale einatomige Gas ergibt
sich so direkt
3
hEi = NkB T (= E) .
2
Ist zusätzlich zur quadratischen kinetischen Energie das Potential homogen vom
Grad n in allen xi , so folgt
3
hHkin i = NkB T ,
2
hHpot i =
3
NkB T
n
4.2. ENSEMBLES DER KLASSISCHEN MECHANIK
133
und damit der Virialsatz
2 hHkin i = n hHpot i = 3NkB T .
(4.8)
Wir wenden uns nun der kanonischen Gesamtheit zu. Wie in Kapitel 2.11
diskutiert ist diese relevant für Systeme, die Energie (Wärme) mit einem großen
Wärmebad austauschen können. Dabei soll das Volumen V und die Teilchenzahl
N des betrachteten Subsystems fest sein. Wir sind dabei davon ausgegangen, daß
die Wechselwirkung zwischen dem System und dem Wärmereservoir zwar vorhanden ist (wichtig für Energieaustausch) aber als “Oberflächeneffekt” gegenüber den
Energien des Reservoirs und des Systems vernachlässigbar ist. Aus der in Kapitel 2.11 unter diesen Annahmen hergeleiteten Wahrscheinlichkeitsverteilung {Pr }
läßt sich sofort die Phasenraumdichte des Ensembles für das Subsystem ablesen
ρ(~z ) = ρ(~x, ~p) =
1 −βH(~x,~p)
e
,
Z
β=
1
kB T
mit der kanonischen Zustandssumme
Z
1
e−βH(~x,~p) d3N xd3N p .
Z = Z(T, V, N) =
N!(2π~)3N
Es gilt die Normierung wie in Gl. (4.3). Der Mittelwert und die Schwankung der
Energie lassen sich leicht durch Ableiten von ln Z bestimmen (siehe auch Kapitel
2.12 für ein Beispiel). Es gilt
Z
1
1
hEi =
H(~x, ~p)e−βH(~x,~p) d3N xd3N p
N!(2π~)3N Z
Z
1 ∂
1
e−βH(~x,~p) d3N xd3N p
= −
N!(2π~)3N Z ∂β
1 ∂
= −
Z
Z ∂β
∂
ln Z
(4.9)
= −
∂β
und
⇒
⇒
⇒
Z
1
[H(~x, ~p) − hEi] e−β[H(~x,~p)−hEi] d3N xd3N p = 0
N!(2π~)3N
Z
1
∂ hEi
βhEi
Ze
−
[H(~x, ~p) − hEi]2 e−β[H(~x,~p)−hEi] d3N xd3N p
−
3N
∂β
N!(2π~)
Z
∂ hEi −β[H(~x,~p)−hEi] 3N 3N
1
[H(~x, ~p) − hEi] β
e
d xd p = 0
+
3N
N!(2π~)
∂β
∂ hEi
−
Z eβhEi − (∆E)2 Z eβhEi + 0 = 0
∂β
∂ 2 ln Z
∂ hEi
=
.
(4.10)
(∆E)2 = −
∂β
∂β 2
134
KAPITEL 4. KLASSISCHE STATISTISCHE MECHANIK
Dabei haben wir von der ersten zur zweiten Zeile nach β abgeleitet. Der Erwartungswert der Energie entspricht der inneren Energie eines Systems. Wir können
somit den Kontakt zur Thermodynamik herstellen und schreiben
∂T ∂U
∂U
∂ hEi
2
=−
= k B T 2 CV ,
=−
(∆E) = −
∂β
∂β V,N
∂β ∂T V,N
wobei wir, um eine Doppeltbelegung der Symbole zu vermeiden, das Symbol für
die innere Energie eingeführt haben. Für makroskopische Systeme sind hEi bzw.
die Wärmekapazität proportional zur Zahl der Freiheitsgrade, so daß wir
1
∆E
∼√
hEi
N
(4.11)
erhalten. Die Verteilung der Energie des Subsystems hat ein sehr scharfes Maximum um den Mittelwert (siehe Kapitel 2.11). Auch wenn die kanonische Gesamtheit Systeme mit verschiedener Energie enthält, so haben für große N fast
alle Systeme die Energie hEi.
Die kanonische Zustandssumme läßt sich oft leichter berechnen als die mikrokanonische. Aus Z läßt sich ebenfalls die gesamte Thermodynamik herleiten, wobei sämtliche Unterschiede zwischen in den beiden Ensembles berechneten Größen
im thermodynamischen Limes verschwinden. Ein Beispiel für diese Beobachtung
liefert die Energie, die nach Gl. (4.11) für große N auch im kanonischen Ensemble “scharf” wird. Um diese Aussagen genauer zu untersuchen betrachten wir
wie sich Z (genauer ln Z) ändert, wenn man die Temperatur T und die äußeren
Parameter ~a variiert. Es gilt
1
dZ
Z
Z
−βH(~x,~p) 3N 3N
1
1
=
d
e
d xd p
Z N!(2π~)3N
Z
1
∂H
1
−βH(~
x,~
p)
=
−Hdβ − β
e
· d~a d3N xd3N p
Z N!(2π~)3N
∂~a
∂H
· d~a
= − hHi dβ − β
∂~a
1
∂H
1
= hHi
· d~a .
dT −
kB T 2
kB T ∂~a
d ln Z =
Der zweite Summand enthält wieder die Arbeit,4 so daß
1
U
d ln Z =
dT − d¯W ,
kB T T
· d~a als die Definiton der Arbeit im kanonischen
Genauer gesagt, verwenden wir ∂H
∂~
a
Ensemble (siehe Kapitel 2.8). Dies gilt es zu vergleichen mit der “Herleitung” im Falle des
mikrokanonischen Ensembles. Betrachten wir ein konkretes Beispiel: Den Druck definieren wir
als den Mittelwert über das kanonische Ensemble von ∂H
∂V .
4
4.2. ENSEMBLES DER KLASSISCHEN MECHANIK
135
bzw.
d(−kB T ln Z) = −kB T d ln Z − kB ln ZdT
1
= d¯W − (U + kB T ln Z) dT .
T
Wir definieren daher die freie Energie als
F = F (T, V, N) = −kB T ln Z(T, V, N)
und die Entropie als
S=
1
(U − F ) = kB (ln Z + βU)
T
woraus sich die uns aus der Thermodynamik bekannten Relationen (d¯W =
−P dV im einfachsten Fall; vergleiche Kapitel 3.4)
dF = d¯W − SdT , F = U − T S
ergeben. Die freie Energie F ist das zum kanonischen Ensemble gehörende thermodynamische Potential. Wir müssen jetzt noch zeigen, daß die mikrokanonisch
und die kanonisch definierten Entropien übereinstimmen. Dazu betrachten wir die
Wahrscheinlichkeit P (E)δE, daß die Energie des (Sub-)Systems (im kanonischen
Ensemble) in [E, E + δE] liegt
Z
1
1
P (E)δE =
e−βH(~x,~p) d3N xd3N p
3N
N!(2π~) Z E<H(~x,~p)<E+δE
Z
1
1
≈ δE
δ(E − H(~x, p~)) d3N xd3N p e−βE
Z N!(2π~)3N
1
= δE ρ(E)e−βE ,
Z
also
P (E) =
1
ρ(E)e−βE .
Z
(4.12)
Da P (E) normiert sein muß folgt5
Z=
5
Z
ρ(E)e−βE dE .
Da in diesem Ausdruck das ρ(E) vorkommt (siehe mikrokanonisches Ensemble) ist er nicht
direkt zur Berechnung von Z geeignet.
136
KAPITEL 4. KLASSISCHE STATISTISCHE MECHANIK
Wie wir in Kapitel 2.13 gezeigt haben, kann P (E) näherunsgweise als Gaußkurve
um hEi mit Breite ∆E beschrieben werden. Damit folgt
Z
Z =
ρ(E)e−βE dE
Z
[E − hEi]2
−βhEi
dE
exp −
= ρ(hEi)e
2(∆E)2
= ρ(hEi)e−βhEi [2π(∆E)2 ]1/2
also
1
ln [2π(∆E)2 ]
2
= Smikro + O(ln N) ,
ln Z = ln ρ(U) − βU +
⇒
Skan
wobei wir Smikro (E) = ln Ω(E) ≈ ln ρ(E) verwendet haben. Für große N (im thermodynamischen Limes) spielt es also keine Rolle, ob wir die Entropie im Rahmen
des kanonischen oder des mikrokanonischen Ensembles berechnen. Ersteres ist im
Allgemeinen einfacher.
Als Beispiel dazu betrachten wir die Entropie des idealen Gases. Für das
mikrokanonische Ensemble haben wir sie in Gl. (4.7) berechnet. Für das Gas mit
N identischen wechselwirkungsfreien Teilchen folgt im kanonischen Ensemble6
Z Z
PN
1
2
Z =
e−β i=1 p~i /(2m) d3N xd3N p
3N
N!(2π~)
~
xi ∈V
Z
N
N
1
V
−β~
p2 /(2m) 3
e
dp
=
N! (2π~)3N
3N/2
V N mkB T
=
.
N!
2π~2
Damit folgt für die innere Energie
3N
1 ∂Z
1
3N
∂ ln Z
−
=−
=−
Z =
U =−
∂β
Z ∂β
Z
2β
2β
3
⇒
U = NkB T
2
und für die freie Energie (mit Gl. (4.6))
3N
mkB T
F = −kB T ln Z = −kB T N ln V − ln N! +
ln
2
2π~2
V
3
2πmkB T
= −NkB T ln
+ 1 + ln
+ O(ln N) .
N
2
(2π~)2
6
Verglichen mit dem Ergebnis für Z aus Kapitel 2.12 ergeben sich durch die andere Normierung der Zustandsdichte auf dem Phasenraum andere Abhängigkeiten (speziell von N ).
Im Gegensatz zu Kapiteln 2.4 (mikrokanonisch) und 2.12 (kanonisch) gehen wir hier was die
N -Abhhängigkeit angeht in beiden Ensemblen konsistent vor (siehe Diskussion in Kapitel 2.12).
137
4.2. ENSEMBLES DER KLASSISCHEN MECHANIK
Für die Entropie folgt so
S =
1
(U − F )
T
= NkB ln
V
N
5 3
+ + ln
2 2
3NkB T
2N
3
+ ln
2
4πm
3(2π~)2
+ O(ln N) ,
also bis auf Korrekturen der Ordnung ln N dasselbe wie im mikrokanonischen
Fall Gl. (4.7).
Wir haben damit sowohl allgemein, wie auch in einem Beispiel gezeigt, daß
es für große N egal ist, ob man eine Meßgröße im kanonischen oder mikrokanonischen Ensemble berechnet. Im thermodynamischen Limies sind beide Ensembles
äquivalent. Wäre dieses nicht der Fall, so könnte man die Relevanz beider Ensembles anzweifeln. Dies sieht man leicht, wenn man sich ein großes homogenes
System in ein kleines und ein Reservoir zerlegt vorstellt. Das kleine Subsystem
muß weiterhin die gleichen thermodynamischen Eigenschaften haben, wie das Gesamtsystem, wobei man ersteres durch das kanonische, aber letzteres durch das
mikrokanonische Ensemble beschreiben wird. Beide Ensembles sollten also für
hinreichend große Teilchenzahlen äquivalent sein. Wir hatten bereits in Kapitel
2.4 gesehen, daß es keinen relevanten Unterschied macht, ob man die Entropie
als den Logarithmus der Zahl der Zustände mit Energie in [E, E + δE] oder mit
Energie kleiner E definiert. Das thermodynamische Verhalten ist in beiden Fällen
gleich, wenn N groß ist. Jetzt sehen wir, daß es für große N keinen Unterschied
macht, ob wir die Energie, oder die Temperatur vorgeben. Durch die Vorgabe des
einen, ist das andere (bis auf verschwindende relative Schwankungen) festgelegt
und die Thermodynamik ist diesselbe.
Wie im mikrokanonischen Ensemble gilt der Gleichverteilungssatz
∂H
zi
= kB T ,
∂zi
was man wie folgt sieht
Z
1
∂H −βH(~x,~p) 3N 3N
1
∂H
=
z
e
d xd p
zi
i
∂zi
N!(2π~)3N Z
∂zi
Z 1
∂
1 1
−βH
−βH
= −
d3N xd3N p
zi e
−e
3N
N!(2π~) Z β
∂z
Z i
1 1
1
e−βH d3N xd3N p
= 0+
3N
N!(2π~) Z β
= kB T .
Das noch fehlende Ensemble ist das großkanonische. Dieses ist relevant für
Subsysteme die sowohl Energie als auch Teilchen mit einem großen Reservoir
austauschen können. Wie üblich gilt E ≪ E ′ und N ≪ N ′ (sowie V ≪ V ′ ).
138
KAPITEL 4. KLASSISCHE STATISTISCHE MECHANIK
Wir gehen wieder davon aus, daß die Hamlitonfunktionen der beiden Systeme
(Subsystem und Reservoir) additiv sind
Hg (~zg ) = H(~z) + H ′ (~z′ ) ,
die Wechselwirkungsenergie zwischen den Systemen also verglichen mit den Energien der beiden Einzelsysteme vernachlässigt werden kann (“Oberflächeneffekt”).
Das Gesamtsystem ist abegschlossen und durch das mikrokanonische Ensemble
beschrieben. Wie in Kapitel 3.7 (siehe Seite 100) bereits hergeleitet gilt im Gleichgewicht
T = T′ ,
µ = µ′ ,
mit
∂S
∂
,
=
=
ln Ω(E, N)
∂E
∂E
E=hEi,N =hN i
∂S
∂
µ
.
=
=
ln Ω(E, N)
−
T
∂N
∂N
E=hEi,N =hN i
1
T
Um die Wahrscheinlichkeitsdichte ρN (~z ) der großkanonischen Verteilung auf dem
Phasenraum zu bestimmen, gehen wir völlig ananolg zu Kapitel 2.11 vor, entwickeln aber ln Ω′ nicht nur nach der Energie, sondern zusätzlich nach der Teilchenzahl. Mit der Definition des chemischen Potentials erhalten wir
ρN (~x, p~) =
1 −β[H(~x,~p)−µN ]
e
,
Zgk
mit der großkanonischen Zustandssumme
Zgk
∞
X
1
= Zgk (T, V, µ) =
N!(2π~)3N
N =0
Z
e−β[H(~x,~p)−µN ] d3N xd3N p
und der Normierung
∞
X
1
N!(2π~)3N
N =0
Z
ρN (~x, ~p) d3N xd3N p = 1 .
Die auftretende Hamiltonfunktion H versteht sich dabei immer als Hamiltonfunktion eines N-Teilchen Systems. Wie in Gl. (4.12) zeigt man für die Wahrscheinlichkeit, daß sich N Teilchen im (Sub-)System mit Energie in [E, E + δE]
befinden
P (E, N) =
1
Zrmgk
ρ(E)e−β(E−µN ) .
4.2. ENSEMBLES DER KLASSISCHEN MECHANIK
139
Da P (E, N) normiert sein muß folgt
Zgk =
∞ Z
X
ρ(E, N)e−β(E−µN ) dE .
N =0
Die Mittelwerte und Schwankungen von Energie und Teilchenzahl im großkanonischen Ensemble berechnet man einfach, wenn man die Zustandssumme als
Funktion von β und α = βµ auffaßt
∞
X
1
Z̃gk (T = 1/(kB β), V, α) =
N!(2π~)3N
N =0
Z
e−βH(~x,~p)+αN d3N xd3N p .
In vollständiger Analogie zu Gln. (4.9) und (4.10) zeigt man
∂ ln Z̃gk
,
∂β
∂ 2 ln Z̃gk
∂ hEi
(∆E)2 = −
=
,
∂β
∂β 2
∂ ln Z̃gk
,
hNi =
∂α
∂ hNi
∂ 2 ln Z̃gk
(∆N)2 =
=
.
∂α
∂α2
hEi = −
Einige dieser Ausdrücke lassen sich auch einfach mit ln Zgk schreiben
∂ ln Zgk
,
∂β
1 ∂ ln Zgk
hNi =
,
β ∂µ
1 ∂ 2 ln Zgk
.
(∆N)2 =
β 2 ∂µ2
hEi − µ hNi = −
Der Ausdruck für (∆E)2 mit ln Zgk ist unhandlich. Wie wir gleich sehen werden,
gilt
ln Zgk ∼ hNi ,
so daß die relativen Schwankungen von Energie und Teilchenzahl erneut wie die
inverse Wurzel der Teilchenzahl verschwinden. Im großkanonischen Ensemble haben somit für hinreichend große Teilchenzahlen (also bei fester Dichte für Subsysteme mit hinreichend großem Volumen) fast alle Systeme die Energie hEi und
die Teilchenzahl hNi. Dies liefert einen ersten Hinweis, daß das großkanonische
Ensemble für N → ∞ äquivalent zu den anderen beiden Ensembles ist.
140
KAPITEL 4. KLASSISCHE STATISTISCHE MECHANIK
Um dieses weiter zu untersuchen betrachten wir wieder wie sich der Logarithmus der Zustandssumme ändert, wenn wir die Parameter des Ensembles T ,
~a und µ variieren
1
dZgk
Zgk
∞
1 X
d ln Zgk =
=
Zgk
1
N!(2π~)3N
N =0
Z
d e−β[H(~x,~p)−µN ] d3N xd3N p
Z
∞
1
1 X
e−β[H(~x,~p)−µN ]
=
Zgk N =0 N!(2π~)3N
∂H
× −(H − µN)dβ − β
· d~a + βNdµ d3N xd3N p
∂~a
∂H
= − (hEi − µ hNi) dβ − β
· d~a + β hNi dµ
∂~a
1
1
[U − µ hNi]dT + hNi dµ − d¯W .
=
kB T T
Damit gilt
d(−kB T ln Zgk ) = −kB T d ln Zgk − kB ln Zgk dT
1
= d¯W − (U − µ hNi + kB T ln Zgk ) dT − hNi dµ .
T
Wir definieren daher das großkanonische Potential als
J = J(T, V, µ) = −kB T ln Zgk (T, V, µ)
und die Entropie als
1
(U − µ hNi − J)
(4.13)
T
woraus sich die uns aus der Thermodynamik bekannten Relationen (d¯W =
−P dV im einfachsten Fall; vergleiche Kapitel 3.7)
S=
dJ = d¯W − SdT − Ndµ ,
J = U − T S − µN
ergeben. Wir haben dabei hNi ≈ N verwendet. Das großkanonische Potential J
ist das zum großkanonischen Ensemble gehörende thermodynamische Potential.
Aus
J = −kB T ln Zgk = U − T S − µN
wird offensichtlich, daß ln Zgk ∼ N ≈ hNi, wie oben bereits angekündigt (und
verwendet). Völlig analog zum Vergleich der Entropie des kanonischen und des
mikrokanonischen Ensembles zeigt man, daß
Sgk = Smikro + O(ln hNi) .
141
4.2. ENSEMBLES DER KLASSISCHEN MECHANIK
Als Beispiel betrachte wir erneut das ideale Gas. Für dieses gilt
Z Z
∞
X
P
1
−β N
~2i /(2m) βµN 3N
i=1 p
e
e
d xd3N p
Zgk =
3N
N!(2π~)
~
xi ∈V
N =0
3/2 !N
∞
X
1
2πmk
T
B
=
V eβµ
2
N!
(2π~)
N =0
(
3/2 )
2πmk
T
B
.
= exp V eβµ
(2π~)2
Den dabei auftretenden Faktor
z = eβµ
bezeichnet man als Fugazität und den Bruch
λT = √
2π~
2πmkB T
(4.14)
als die thermische Wellenlänge. Sie entspricht der quantenmechanischen Wellenlänge eines Teilchens der kinetischen Energie ~p2 /(2m) = πkB T . Für das großkanonische Potential folgt dann
3/2
βµ 2πmkB T
J(T, V, µ) = −kB T V e
.
(4.15)
(2π~)2
Es ist bemerkenswert, daß wir zur Herleitung dieses Ausdrucks nicht die Stirlingsche Formel verwenden mußten (siehe die Potentiale der anderen Ensembles).
Um die Erwartungswerte von Teilchenzahl und Energie zu berechnen betrachten
wir
3/2
2πm
α
ln Z̃gk = V e
(2π~)2 β
⇒
hEi = U = −
hNi =
⇒
∂ ln Z̃gk
3
= kB T ln Z̃gk ,
∂β
2
∂ ln Z̃gk
= ln Z̃gk
∂α
3
U = hNi kB T ,
2
µ/(kB T )
hNi = V e
2πmkB T
(2π~)2
3/2
,
(4.16)
also unsere wohlbekannte Beziehung zwischen Energie, Teilchenzahl und Temperatur. Mit Gl. (4.15) folgt
3/2
βµ 2πmkB T
J = −kB T V e
= − hNi kB T
(2π~)2
142
KAPITEL 4. KLASSISCHE STATISTISCHE MECHANIK
und mit der allgemeinen Beziehung J = −P V (siehe Kapitel 3.7) ergibt sich die
Zustandsgleichung
P V = hNi kB T .
Hält man µ fest und vairiiert T , so führt das zu im großkanonischen Ensemble
zu einer Änderung der Teilchenzahl, bzw. der Dichte n = hNi /V . Dies ist meist
nicht die Situation an der wir interessiert sind. Daher geben wir meist die Dichte
vor und bestimmen µ als Funktion der Dichte und der Temperatur. Wir können
Gl. (4.16) nach µ auflösen7
hNi 3 2πmkB T
µ = kB T ln
− ln
(4.17)
V
2
(2π~)2
und erhalten so für die Entropie Gl. (4.13)
1
(U − µ hNi − J)
T
5
µ
= hNi kB
−
2 kB T
V
5 3
3
3 hNi kB T
4πm
= hNi kB ln
+ + ln
+ ln
,
hNi
2 2
2 hNi
2
3(2π~)2
S =
also denselben Ausdruck wie im kanonischen und mikrokanonischen Ensemble.
Hier mußten wir jedoch keine Näherungen machen.
Dieses Beispiel zeigt klar, daß das großkanonische Ensemble für große hNi ≈
N äquivalent zu den anderen beiden Ensemblen ist. Aus aus ihm folgt die uns
bekannte Thermodynamik. Dies war nicht anders zu erwarten, da sich die Überlegungen von Seite 137 auf das großkanonische Ensemble erweitern lassen. Meist
ist die Berechnung der großkanonischen Zustandssumme noch einfacher, als die
Berechnung der kanonischen (siehe das Beispiel des idealen Gases). Daher ist das
großkanonische Ensemble das für mikroskopische Rechnungen meist verwendete
der drei Ensembles.
Da sich der Gleichverteilungssatz nicht auf das großkanonische Ensemble erweitern läßt, verwendet man dafür das kanonische und die Tatsache, daß die
Erwartungswerte in beiden Ensembles für große Teilchenzahl identisch sind.
7
Das Ergebnis ist für festes n aus Seite 165 skizziert.
Kapitel 5
Quantenstatistik
In Kapitel 4 haben wir einen genaueren Blick auf die klassische statistische Mechanik geworfen. Gleiches wollen wir hier für die Quantenstatistik machen. Wir
werden dabei auch klären, unter welchen Bedigungen die klassische Sichtweise
gültig ist und diverse Anwendungen diskutieren.
5.1
Dichtematrix und von Neumann-Gleichung
Ein quantenmechanisches Vielteilchensystem wird durch einen selbstadjungierten
Hamiltonoperator der Form
"
#
N
X
X
p~ˆi2
Ĥ =
+ V (~xˆi ) +
vi,j (~xˆi , ~xˆj )
2m
i
i=1
i>j
beschrieben. Dabei bezeichnen ~xˆi bzw. ~pˆi die Orts- bzw. Implusoperatoren des
i-ten Teilchens, V ein äußeres Potential und vi,j eine Zweiteilchenwechselwirkung (z.B. das Potential der Coulombwechselwirkung bei geladenen Teilchen).
Da wir später am Gleichgewicht interessiert sind, gehen wir schon jetzt davon
aus, daß das äußere Potential zeitunabhängig ist. Die auftretenden Operatoren
sind als Tensorprodukte zu verstehen, die auf einem Raum operieren, der sich
als Produktraum der Hilberträume der einzelnen Freiheitsgrade ergibt. Der NTeilchenzustand wird durch den auf Eins normierten Vektor |ψi beschrieben;
hψ| ψi = 1. Dieser Zustand erfüllt die normerhaltende Schrödingergleichung
i~
d
|ψ(t)i = Ĥ |ψ(t)i
dt
mit der Anfangsbedingung |ψ(t0 )i = |ψ0 i. Die Erwartungswerte von Observablen,
die durch selbstadjungierte Operatoren Ô gegeben sind, berechnen sich gemäß
D E
Ô (t) = hψ(t)| Ô |ψ(t)i .
143
144
KAPITEL 5. QUANTENSTATISTIK
Der Satz {|ni} von Vielteilchenzuständen sei ein vollständiges Orthonormalsystem des gegebenen Problems. Dabei bezeichne n einen Multiindex der alle Quantenzahlen umfaßt. Da wir zunächst Systeme mit endlichem Volumen betrachten,
gehen wir davon aus, daß alle Quantenzahlen diskret sind. Dann läßt sich jeder
Zustand in der Form
|ψi =
X
n
cn |ni
mit
cn = hn |ψi
schreiben, wobei
hn |mi = δn,m , 1 =
X
n
|ni hn|
ausgenutzt wird. Die quantenmechanische Wahrscheinlichkeit das System bei einer Messung aller das vollständige Orthonormalsystem festlegenden Observablen
im Zustand |ni anzutreffen ist durch |hn |ψi|2 gegeben. Diese quantenmechanische Wahrscheinlichkeit ist dem einzelnen System inherent und ist daher von
der durch eine Ensemblebeschreibung ins Spiel kommende Wahrscheinlichkeit zu
unterscheiden. Das Konzept der Wahrscheinlichkeit ist auch z.B. dann in der
Quantenmechanik unvermeidbar, wenn – wie wir bisher in diesem Kapitel angenommen haben – der Anfangszustand vollständig bekannt ist.
Wie in der klassischen statistischen Mechanik – und basierend auf identischen
Überlegungen – betrachten wir nun ein Ensemble von Systemen, die alle durch den
gleichen Hamiltonoperator beschrieben werden. Zur willkürlich gewählten Anfangszeit t0 seinen dieses die (auf Eins normierten) Zustände |ψ1 (t0 )i , |ψ2 (t0P
)i , . . ..
Jeder komme mit der Wahrscheinlichkeit p1 , p2 , . . . im Ensemble vor, wobei i pi =
1 gilt. Diese Wahrscheinlichkeiten ändern sich zeitlich nicht, während die Dynamik der zugehörigen Zustände durch die Schrödingergleichung gegeben ist. Der
Mittelwert (oder Erwartungswert) einer Observablen ergibt sich dann zu
D E
X
Ô (t) =
pi hψi (t)| Ô |ψi (t)i ,
(5.1)
i
hat also einen Beitrag durch die Ensemblebetrachtung und einen aufgrund der
quantenmechanischen Beschreibung.
Um ein quantenmechanisches Analogon der Wahrscheinlichkeitsdichte ρ(~x, p~)
auf dem Phasenraum zu finden, schreiben wir den Erwartungswert Gl. (5.1) um.
5.1. DICHTEMATRIX UND VON NEUMANN-GLEICHUNG
145
Es gilt
D E
X
Ô (t) =
pi hψi (t)| Ô |ψi (t)i
i
=
XX
n,m
i
=
X
n,m
=
X
n,m
=
X
n
pi hψi (t)| ni hn| Ô |mi hm| ψi (t)i
X
hm|
i
|
!
pi |ψi (t)i hψi (t)| |ni hn| Ô |mi
{z
=ρ̂(t)
hm| ρ̂(t) |ni hn| Ô |mi
}
hn| ρ̂(t)Ô |ni
h
i
= Tr ρ̂(t)Ô ,
mit der Spur eines Operators Â
Tr =
X
n
hn| Â |ni ,
und der durch das Ensemble festgelegten Dichtematrix (dem statistischen Operator)
ρ̂(t) =
X
i
pi |ψi (t)i hψi (t)| .
Wir haben somit eine elegante Art gefunden den Erwartungswert einer Observablen zu schreiben. Wie wir gleich zeigen werden, ist die Spur und damit der
Erwartungswert unabhängig vom gewählten vollständigen Orthonormalsystem.
Da es sich bei Ô um eine Observable handelt, ist es immer möglich ein
vollständiges Orthonormalsystem aus Eigenzuständen zu Ô zu wählen. Für dieses
gilt Ô |ni = on |ni. In dieser Basis gilt
D E
h
i
Ô (t) = Tr ρ̂(t)Ô
X
=
hn| ρ̂(t)Ô |ni
n
=
X
n
on hn| ρ̂(t) |ni .
Die in diesem Ausdruck auftretenden Diagonalelemente der Dichtematrix können
146
KAPITEL 5. QUANTENSTATISTIK
nach der Definitionsgleichung dieser als
X
hn| ρ̂(t) |ni =
i
X
=
i
pi hn |ψi (t)i hψi (t)| ni
pi |hn| ψi (t)i|2
geschrieben werden. Der zweite Faktor gibt dabei die (quantenmechanische) Wahrscheinlichkeit ein einzelnes System im Zustand |ni zu finden, während der erste
die (Ensemble-)Wahrscheinlichkeit ist. Dies liefert eine alternative Sichtweise darauf, daß der obige Ausdruck in der Tat den Erwartungswert einer Observablen
angibt.
Die Dichtematrix (der statistische Operator) hat die wichtigen Eigenschaften
(Normiertheit und Selbstadjungiertheit)
Trρ̂(t) = 1 ,
ρ̂(t) = ρ̂† (t) ,
die man wir folgt beweist
Trρ̂(t) =
X
n
=
X
hn| ρ̂(t) |ni
pi
i
=
X
i
=
X
X
n
hψi (t)| ni hn| ψi (t)i
pi hψi (t)| ψi (t)i
pi
i
= 1,
ρ̂† (t) =
X
i
=
X
i
=
X
i
pi |ψi (t)i hψi (t)|
!†
p∗i (|ψi (t)i hψi (t)|)†
pi |ψi (t)i hψi (t)|
= ρ̂(t) .
Die Spur ist zyklisch invariant, d.h. es gilt
Tr(ÂB̂) = Tr(B̂ Â) ,
5.1. DICHTEMATRIX UND VON NEUMANN-GLEICHUNG
147
was man wie folgt sieht
Tr(ÂB̂) =
X
n
=
X
n,m
=
X
n,m
=
X
m
hn| ÂB̂ |ni
hn| Â |mi hm| B̂ |ni
hm| B̂ |ni hn| Â |mi
hm| B̂ Â |mi
= Tr(B̂ Â) .
Weiterhin gilt für einen beliebigen unitären Operator Û (d.h. einen Operator mit
Û −1 = Û † )
Tr(Û −1 ÂÛ) = Tr(Û † ÂÛ ) = Tr(Û Û † Â) = Tr .
Damit ist die Spur unabhängig von der gewählten Basis (dem gewählten vollständigen Orthonormalsystem).
Die zeitliche Dynamik der Dichtematrix ergibt sich aus der Schrödingergleichung. Mit
i~
d
|ψ(t)i = Ĥ |ψ(t)i
dt
folgt
−i~
d
hψ(t)| = hψ(t)| Ĥ
dt
und damit
X d
d
d
pi i~
|ψ(t)i hψ(t)| + i~ |ψ(t)i
hψ(t)|
i~ ρ̂(t) =
dt
dt
dt
i
= Ĥ ρ̂(t) − ρ̂(t)Ĥ
h
i
= Ĥ, ρ̂(t) ,
mit dem Kommutator [. . . , . . .]. Dies ist das quantenmechanische Analogon zur
klassischen Liouvillschen Gleichung (siehe Kapitel 4.1). Man bezeichnet die Bewegungsgleichung als von Neumann-Gleichung. Die Anfangsbedingung ist durch
ρ̂(t0 ) = ρ̂0
gegeben. Da der Hamiltonoperator als zeitunahbängig angenommen wurde, kann
die Schrödingergleichung einfach formal gelöst werden
|ψ(t)i = e−iĤ(t−t0 )/~ |ψ(t0 )i .
148
KAPITEL 5. QUANTENSTATISTIK
Für die formale Lösung der von Neumann-Gleichung bedeutet dies
X
ρ̂(t) =
pj |ψj (t)i hψj (t)|
j
=
X
j
pj e−iĤ(t−t0 )/~ |ψj (t0 )i hψj (t0 )| eiĤ(t−t0 )/~
−iĤ(t−t0 )/~
= e
ρ̂(t0 )eiĤ(t−t0 )/~ .
Man beachte, daß im Vergleich zur Zeitenwicklung eines Operators im Heisenbergbild andere Vorzeichen in dem Exponentialfaktoren auftreten.
Wir kommen nun zur Frage der Entwicklung einer Dichtematrix in eine stationäre. Wie im klassischen Fall ist dieses ein diffiziler Punkt, der Gegenstand
aktueller Forschung ist. Wir gehen davon aus (oder erwarten), daß sich die Dichtematrix nach dem Ausführen des thermodynamischen Limes (um Wiederkehreffekte zu verhindern) für hinreichend große Zeiten in eine stationäre Gleichgewichtsverteilung
ρ̂eq = lim lim ρ̂(t)
t→∞ N →∞
entwickelt. Dieses sollte zumindest dann gelten, wenn nur Erwartungswerte eines Teilsystems (“lokale” Erwartungswerte) berechnet werden. Genauer wollen
wir dieses Problem hier nicht diskutieren. Im stationären Fall folgt aus der von
Neumann-Gleichung, daß
[Ĥ, ρ̂eq ] = 0 ,
d.h. die stationäre Dichtematrix vertauscht mit dem Hamiltonoperator. Damit
haben ρ̂eq und Ĥ eine gemeinsame Basis aus Eigenvektoren |ni
Ĥ |ni = En |ni ,
ρ̂eq |ni = pn |ni
und
ρ̂eq =
X
n
pn |ni hn|
in dieser Basis. In Analogie zum klassischen Fall erwarten wir, daß alle Zustände
zu gleicher Energie die gleiche Wahrscheinlichkeit haben, so daß pn = pm für En =
Em . Damit gehen wir davon aus, daß ρ̂eq nur eine (operatorwertige) Funktion der
Erhaltungsgröße Ĥ sein wird,1 d.h.
ρ̂eq = ρeq (Ĥ) .
Dies führt uns auf die Ensemble der Quantenstatistik. Bevor wir dazu kommen sei
angemerkt, daß wir in diesem Kapitel keine Enschränkung bezüglich der Wechselwirkung zwischen unseren Teilchen getroffen haben (vergleiche mit Kapitel
2.3).
1
Aus den gleichen Gründen wie im klassischen Fall, spielen weitere Erhaltungsgröße meist
keine Rolle.
5.2. DIE ENSEMBLES DER QUANTENSTATISTIK
5.2
149
Die Ensembles der Quantenstatistik
Bei gegebener Energie, d.h. für ein abgeschlossenes System ist das mikrokanonische Ensemble das relevante. Bei der Diskussion dieses können wir noch direkter
Kontakt mit dem Kapitel 2.3 herstellen, als es im klassischen Fall möglich war,
dar dieses ja primär auf den Quantenfall ausgerichtet war. Das betrachtete System habe ein Energie zwischen E und E + δE. Der Hamiltonoperator habe
Energieeigenwerte En mit den Eigenzuständen |ni. Die Zahl der Zustände im
Energieintervall ist wieder Ω(E) = ρ(E)δE mit der Zustandsdichte ρ(E). Das
mikrokanonische Ensemble ist durch den (Gleichgewichts) statistischen Operator
X
ρ̂ =
pn |ni hn|
n
mit
pn =
1
Ω(E)
0
E ≤ En ≤ E + δE
sonst
definiert. Mit
δ(E) ≈
1
δE
0
0 ≤ E ≤ δE
sonst
folgt
pn =
1
δ(E − En )
ρ(E)
und
ρ̂ =
1
1 X
δ(E − En ) |ni hn| =
δ(E − Ĥ) .
ρ(E) n
ρ(E)
Da die Summe über alle pn Eins ergeben muß folgt
X
ρ(E) =
δ(E − En ) = Tr δ(E − Ĥ) .
(5.2)
n
Führen wir wieder die Zahl der Zustände Φ(E) mit Energie kleiner als E ein, so
gilt
X
Φ(E) =
Θ(E − En ) = Tr Θ(E − Ĥ) .
n
In einem nächsten Schritt machen wir uns klar, wie aus diesen Überlegungen
die Thermodynamik folgt. Dabei gehen wir völlig analog wie am Anfang von
150
KAPITEL 5. QUANTENSTATISTIK
Kapitel 4.2 für den klassischen Fall vor. Es gilt
dΦ =
=
=
=
=
=
=
∂Φ
∂Φ
dE +
· d~a
∂E
∂~
a
∂
ρ(E)dE +
Tr Θ(E − Ĥ(~a)) · d~a
∂~a
"
#
∂ X
ρ(E)dE +
Θ(E − En (~a)) · d~a
∂~a n
X ∂En (a)
ρ(E)dE −
δ(E − En (~a)) · d~a
∂~
a
n
#
"
∂ Ĥ(~a)
δ(E − Ĥ(~a)) · d~a
ρ(E)dE − Tr
∂~a
"
#
∂ Ĥ(~a)
ρ(E)dE − ρ(E)Tr
ρ̂ · d~a
∂~a
*
+
∂ Ĥ(~a)
ρ(E)dE − ρ(E)
· d~a .
∂~a
Der zweite Summand ist wie im klassischen Fall proportional zur Arbeit und es
folgt völlig analog zu den Schritten auf Seite 130, daß
dE = d¯W + T dS ,
mit S = kB ln Ω ≈ kB ln Φ und T −1 = (∂S/∂E)N,~a . Es ist wichtig festzuhalten,
daß der Gleichverteilungssatz der klassischen statistischen Mechanik in der Quantenstatistik im Allgemeinen nicht gilt. Nur im Limes hoher Temperaturen bzw.
niedriger Dichten, in der die klassische statistische Mechanik und die Quantenstatistik identisch werden (siehe später), ist der Gleichverteilungssatz anwendbar.
Wir werden dieses später genauer untersuchen.
Wir betrachten nun wieder ein aus einem uns interessierenden Subsystem
und einem Wärmebad zusamenngesetztes Gesamtsystem, wobei kein Teilchenaustausch möglich sein soll. Dies führt auf das kanonische Ensemble. Aus den
Vorüberlegungen von Kapitel 2.11 und Kapitel 4.2 ist klar, daß der statistische
Operator des Subsystems durch
ρ̂ =
1 −β Ĥ
e
,
Z
β=
1
,
kB T
mit der kanonischen Zustandssumme (Normierung!)
Z = Tr e−β Ĥ ,
5.2. DIE ENSEMBLES DER QUANTENSTATISTIK
151
gegeben ist. Die das Ensemble definierende Wahrscheinlichkeit eines Energieeigenzustandes |ni ist durch (vergleiche Kapitel 2.11)
pn = hn| ρ̂ |ni =
1 −βEn
e
Z
gegeben. Mit der Spur ausgeführt in der Basis der Energieeigenzustände (des
Subsystems) folgt für die Zustandssumme
X
Z=
e−βEn .
n
Diese läßt sich auch über die Zustandsdichte (des Subsystems) Gl. (5.2) als
Z
Z = ρ(E)e−βE dE
schreiben. Ist somit das Eigenwertproblem (die zeitunabhängige Schrödingergleichung) Ĥ |ni = En |ni gelöst, so kann Quantenstatistik betrieben werden.
Basierend auf diesen Grundüberlegungen können alle weiteren Schritte hin zur
Thermodynamik wie im klassischen Fall (Kapitel 4.2) gegangen werden. Völlig
analog kann man auch die Aussagen über die Äquivalenz mit dem mikrokanonischen Ensemble im Limes großer N (Fluktuationen!) zeigen. Das thermodynamische Potential des kanonischen Ensembles ist wie gehabt die freie Energie
F = F (T,DV, N)
E = −kB T ln Z(T, V, N). Die Entropie ist durch S = (U − F )/T
(mit U = Ĥ ) gegeben.
Wir betrachten die Wahrscheinlichkeit pn im Limes kleiner Temperaturen β →
∞. Wir nehmen zunächst an, daß der Grundzustand des Vielteilchensystems nicht
entartet ist. In diesem Fall gilt
e−βEn
lim P −βEm
β→∞
me
e−β(En −E0 )
= lim P −β(Em −E0 )
β→∞
me
= δn,0 ,
pn =
mit der Grundzustandsenergie E0 . Ist der Grundzustand g-fach entartet, so hat im
Limes T → 0 jeder der Zustände die gleiche Wahrscheinlichkeit 1/g. Angeregte
N-Teilchen Zustände können nur besetzt werden, wenn der Abstand ∆E zum
Grundzustand von der Ordnung kB T oder kleiner ist. Man spricht dann von der
thermischen Anregung eines (Sub-)Systems durch die Wechselwirkung mit dem
Wärmebad.
Dieses Kapitel abschließend betrachten wir wieder ein Subsystem im Kontakt
mit einem Wärme- und Teilchenreservoir, was auf das großkanonische Ensemble
152
KAPITEL 5. QUANTENSTATISTIK
führt. Aus den Überlegungen aus Kapitel 4.2 ist offensichtlich, daß die Dichtematrix des (Sub-)Systems bei fester Teilchzahl N durch
ρ̂N =
1 −β(Ĥ−µN )
e
,
Zgk
mit der großkanonischen Zustandssumme
Zgk =
∞
X
TrN e−β(Ĥ−µN ) = Tr e−β(Ĥ−µN̂ ) ,
N =0
gegeben ist. Dabei bezeichnet TrN die Spur bezüglich aller Vielteilchenzustände
bei festem N und Tr die Summe über alle N-Teilchen Spuren. Der Operator
N̂ ist der Teilchenzahloperator (siehe Vorlesung Theoretische Physik III). Der
auftretende Hamiltonoperator versteht sich als einer für N Teilchen. Die Wahrscheinlichkeit, daß sich N-Teilchen im Energieeigenzustand |n(N)i befinden ist
durch
pn (N) = hn(N)| ρ̂ |n(N)i =
1 −β[En (N )−µN ]
e
Zgk
gegeben, wobei wir den Operator (mit Teilchenzahloperator!)
ρ̂ =
1 −β(Ĥ−µN̂ )
e
Zgk
verwendet haben. Mit der Spur ausgeführt in der Basis der Energieeigenzustände
(des Subsystems) folgt für die Zustandssumme
Zgk =
∞ X
X
N =0
e−β[En(N )−µN ] .
n
Diese läßt sich auch über die Zustandsdichte (des Subsystems) Gl. (5.2) als
Zgk =
∞ Z
X
ρ(E, N)e−β[E−µN ] dE
N =0
schreiben.
Basierend auf diesen Grundüberlegungen können alle weiteren Schritte hin zur
Thermodynamik wie im klassischen Fall (Kapitel 4.2) gegangen werden. Völlig
analog kann man auch die Aussagen über die Äquivalenz mit dem mikrokanonischen und dem kanonischen Ensemble im Limes großer N (Fluktuationen!)
zeigen. Das thermodynamische Potential des großkanonischen Ensembles ist wie
gehabt das großkanonische Potential J = J(T, V, µ) =D−kEB T ln Zgk (T, V, µ). Die
Entropie ist durch S = (U − µ hNi − J)/T (mit U = Ĥ ) gegeben.
5.3. FERMI-DIRAC UND BOSE-EINSTEIN VERTEILUNG
153
Wir betrachten nun wieder den Limes kleiner Temperaturen T → 0. In diesem
Fall stellt sich der Zustand so ein, daß En (N) − µN (mit µ fest und n sowie N
variabel) minimal wird (Exponentialfaktor!). Für festes N bedeutet dies, daß
En (N) die Grundzustandsenergie E0 (N) wird. Die Teilchenzahl stellt sich also so
ein, daß E0 (N) − µN minimal (stationär) wird, also
E0 (N − 1) − µ(N − 1) ≈ E0 (N) − µN ≈ E0 (N + 1) − µ(N + 1) .
Damit ergibt sich
µ(T = 0) ≈ E0 (N + 1) − E0 (N) ≈ E0 (N) − E0 (N − 1) .
Bei T = 0 ist das chemische Potential also gleich der Änderung der Grundzustandsenergie, wenn man dem System ein Teilchen hinzufügt.
5.3
Fermi-Dirac und Bose-Einstein Verteilung
Wir werden nun ideale Quantengase, also freie Teilchen ohne Wechselwirkung,
betrachten. Die N Teilchen seien ununterscheidbar und im Volumen V = L3 (einfachheitshalber!) eingeschlossen. Wir gehen von periodischen Randbedingungen
aus.2 Der Hamiltonoperator Ĥ für N Teilchen ist eine Summe über Einteilchenhamiltonoperatoren ĥ
ĤN =
N
X
h(~xˆi , ~pˆi , ~sˆi ) ,
i=1
wobei wir verglichen mit unserer vorherigen Überlegungen den Spinoperator ~sˆi
des i-ten Teilchens hinzugefügt haben. Das Eigenwertproblem zum Einteilchenhamiltonoperator sei durch
ĥ |αi = ǫα |αi
gegeben. Dabei bezeichnet α die Einteilchenquantenzahlen. Für freie Teilchen mit
Masse m und Spin s gilt
ĥ =
mit
2
E
E
~pˆ 2
, ĥ ~k, σ = ǫ~k ~k, σ ,
2m
E E
~
k, σ = ~k ⊗ |σi ,
E
1 ~
h~x| ~k = √ eik·~x
V
ǫ~k =
~2~k 2
2m


n1
2π 
n2  , ni ∈ Z
, ~k =
L
n3
Im thermodynamischen Limes spielen die Randbedingungen keine Rolle mehr.
154
KAPITEL 5. QUANTENSTATISTIK
und
ŝ3 |σi = ~σ |σi ,
σ = −s, −s + 1, . . . , s .
Für die Vielteilcheneigenzustände von ĤN können Produktzustände
|α1 , α2 , . . . , αN i = |α1 i ⊗ |α1 i ⊗ . . . ⊗ |αN i
angesetzt werden. Wegen der Ununterscheidbarkeit3 müssen diese dann je nachdem ob Fermionen oder Bosonen vorliegen noch antisymmetrisiert (Index “-”)
oder symmetrisiert (Index “+”) werden (siehe Vorlesung Theoretische Physik
III). Es gilt
|α1 , α2 , . . . , αN i∓ =
N!
Q
α nα !
1/2
1 X
(∓1)p αP (1) , αP (2) , . . . , αP (N ) ,
N! P
wobei P eine (der N!) Permutation(en) der Zahlen 1, . . . , N ist und p = 0 gilt,
wenn P eine gerade Permutation ist4 bzw. p = 1, wenn P eine ungerade Permutation ist. Weiterhin bezeichnet nα die Zahl der αi mit αi = α. Man bezeichnet nα
als die Besetzungszahl des Einteilchenzustands mit Quantenzahl α. Für Fermionen kann nα nur die Werte 0 und 1 annehmen (Pauli-Prinzip) und für Bosonen
die Werte 0, 1, 2, . . .. Die nα müssen die Nebenbedingung
X
N=
nα
(5.3)
α
erfüllen. Jeder Vielteilcheneigenzustand kann somit durch die Besetzungszahlen
nα bezüglich der Einteilchenbasis {|αi} eindeutig charakterisiert werden. Für
unser wechselwirkungsfreies Vielteilchenproblem gilt
ĤN |α1 , α2 , . . . , αN i∓ = E |α1 , α2 , . . . , αN i∓
mit
E=
X
α
ǫα nα ,
N=
X
nα .
α
Die Formulierungen am Anfang dieses Kapitels legen nahe, daß wir am kanonischen Ensemble interessiert sind. Die Nebenbedingung Gl. (5.3) impliziert
jedoch, daß sich die zugehörige Zustandssumme nicht einfach berechnen läßt. Daher wählen wir das großkanonische Ensemble um die Zustandssumme und damit
die ganze Quantenstatistik (und Thermodynamik) zu berechnen. Wir erinnern
3
Diese impliziert, daß es keinen Sinn macht die Frage zu stellen, in welchem Einteilchenzustand ein bestimmtes Teilchen ist, sondern nur die Frage, mit wievielen Teilchen ein bestimmter
Einteilchenzustand besetzt ist.
4
Also aus einer gerade Anzahl von Paarvertauschungen zusammengesetzt ist.
5.3. FERMI-DIRAC UND BOSE-EINSTEIN VERTEILUNG
155
daran, daß im Limes großer N beide Ensemble äquivalent werden. Trotzdem muß
man die Verwendung des großkanonischen Ensembles an dieser Stelle als “Trick”
auffassen. In dem meisten Situationen von experimentellem Interesse, findet zwar
ein Wärmeaustausch mit der Umgebung, jedoch kein Teilchenaustausch statt. Im
großkanonischen Ensemble müssen die Besetzungszahlen aufgrund der Summe
über alle N nur noch die Bedingung nα = 0, 1 für Fermionen bzw. nα ∈ N0 für
Bosonen erfüllen. Es gilt
∞
X
Zgk =
TrN e−β(Ĥ−µN )
N =0
∞
X
=
X
e−β (
P
α ǫα nα −µ
P
α
nα )
N =0 {nα }: α nα =N
X
P
−β α (ǫα −µ)nα
=
P
e
{nα }
XY
=
e−β(ǫα −µ)nα
{nα } α
YX
=
α
e−β(ǫα −µ)nα .
nα
Damit läßt sich Zgk als Produkt von einzelnen Zα schreiben
Y
X
Zgk =
Zα , Zα =
e−β(ǫα −µ)n .
α
n
Für Fermionen folgt
Zα =
1
X
e−β(ǫα −µ)n = 1 + e−β(ǫα −µ)
(5.4)
n=0
und für Bosonen
Zα =
∞
X
e−β(ǫα−µ)n =
n=0
1
1−
e−β(ǫα −µ)
,
(5.5)
wobei diese Summe nur für ǫα > µ konvergiert. Für Bosonen müssen wir also die
Bedingung
µ < min ǫα = ǫ0
einführen. Setzen wir den (willkürlichen) Nullpunkt der Einteilchenenergien so
fest, daß ǫ0 = 0, so folgt
µ<0
156
KAPITEL 5. QUANTENSTATISTIK
für Bosonen.5 Für das großkanonische Potential folgt
X
X
J = −kB T ln Zgk = −kB T
ln Zα = ∓kB T
ln 1 ± e−β(ǫα −µ) ,
α
(5.6)
α
wobei die oberen Vorzeichen für Fermionen und die unteren für Bosonen zu
wählen sind. Aus diesem Ausdruck läßt sich die gesamte Quantenstatistik und
Thermodynamik ableiten.
Um ein besseres Verständnis der Quantenstatistik zu gewinnen wollen wir
nun die Wahrscheinlichkeit Wα (n) berechnen, daß der Einteilchenzustand mit
Quantenzahl α mit n Teilchen besetzt ist. Die Wahrscheinlichkeit P{nα } für einen
Vielteilchenzustand mit Besetzungszahlen {nα } ist durch
P{nα } =
1 −β Pα (ǫα −µ)nα
e
Zgk
gegeben. Damit folgt
Wα (n) =
X
P{nα }
{nα }:nα =n
=
=
1
Zgk
X
Y
e−β(ǫγ −µ)nγ
{nα }:nα =n γ
1 −β(ǫα −µ)n Y X −β(ǫγ −µ)nγ
e
e
Zgk
n
γ6=α
γ
1 −β(ǫα −µ)n
e
.
=
Zα
(5.7)
Dies entspricht (wie zu erwarten) der großkanonischen Verteilung für ein System
mit nur einem Einteilchenzustand |αi. Der Mittelwert und die Schwankungen
der Besetzungszahl des Einteilchenzustandes mit Quantenzahl α können damit
gemäß der bekannten Beziehungen
hn̂α i =
1 ∂ ln Zα
,
β ∂µ
(∆nα )2 =
1 ∂ hn̂α i
1 ∂ 2 ln Zα
= 2
β ∂µ
β
∂µ2
berechnet werden. Mit Gln. (5.4) und (5.5) folgt
ln Zα = ± ln 1 ± e−β(ǫα −µ)
⇒
hn̂α i =
und
(∆nα )2 =
5
1 ∂ ln Zα
±e−β(ǫα −µ)
1
=±
=
−β(ǫ
−µ)
β(ǫ
−µ)
α
β ∂µ
1±e
e α
±1
1 ∂ hn̂α i
−eβ(ǫα −µ)
2 β(ǫα −µ)
.
=−
2 = hn̂α i e
β(ǫ
−µ)
α
β ∂µ
(e
± 1)
Mit dieser Festlegung messen wir das chemische Potential relativ zu ǫ0 .
(5.8)
157
5.3. FERMI-DIRAC UND BOSE-EINSTEIN VERTEILUNG
Mit der wichtigen Beziehung
hn̂α i eβ(ǫα −µ) = 1 ∓ hn̂α i
(5.9)
(∆nα )2 = hn̂α i (1 ∓ hn̂α i) .
(5.10)
ergibt sich
Die Verteilungen Gl. (5.8) bezeichnet man als die Fermi-Dirac bzw. die BoseEinstein Verteilung. Im Limes −µ/(kB T ) ≫ 1 gilt unabhängig davon ob Bosonen
oder Fermionen vorliegen
hn̂α i ≈ e−β(ǫα −µ) .
(5.11)
Wie wir bald sehen werden, entspricht dieser Limes dem Limes kleiner Dichten
bzw. hoher Temperaturen und damit dem klassischen Limes. Entsprechend ist Gl.
(5.11) eine klassische Verteilung. Man bezeichnet sie als die Maxwell-Boltzmann
Verteilung. Die drei Verteilungen sind in der folgenden Skizze dargestellt.
6
Bose-Einstein
Fermi-Dirac
Maxwell-Boltzmann
<n>
4
2
0
-4
-2
0
β(ε-µ)
2
4
Für große β(ǫα − µ) werden die drei Verteilungen identisch. Aufgrund des PauliPrinzips gilt für Fermionen 0 ≤ hn̂α i ≤ 1. Für ǫα → µ divergiert die Bose-Einstein
Verteilung. Dies ist ein Hinweis auf die sogenannte Bose-Einstein-Kondensation
die wir weiter unten analysieren werden. Mit der mittleren Besetzung hn̂α i läßt
sich leicht die mittlere Teilchenzahl
D E X
X
∂J
1
(5.12)
=−
N̂ =
hn̂α i =
β(ǫ
−µ)
α
e
±1
∂µ T,V
α
α
158
KAPITEL 5. QUANTENSTATISTIK
und die mittlere Energie
D E X
X
Ĥ =
ǫα hn̂α i =
α
α
ǫα
β(ǫ
−µ)
α
e
±1
=U
angeben.
Wir wollen nun zusätzlich den Druck und die Entropie der idealen Quantengase berechnen. Es gilt
∂J
.
J = −P V , S = −
∂T V,µ
Um diese Ausdrücke auszuwerten, drücken wir das großkanonische Potential durch
die Besetzungsfunktionen aus. Nach Gl. (5.6) gilt
X
J = ∓kB T
ln 1 ± e−β(ǫα −µ)
α
= ±kB T
= ±kB T
= ±kB T
= ±kB T
X
α
X
α
X
α
X
α
ln
1
1±
e−β(ǫα−µ)
eβ(ǫα −µ)
ln β(ǫα −µ)
e
±1
ln eβ(ǫα −µ) hn̂α i
ln (1 ∓ hn̂α i) ,
wobei wir im letzten Schritt Gl. (5.9) verwendet haben. Für den Druck ergibt
sich so sofort
X
ln (1 ∓ hn̂α i) .
P V = ∓kB T
α
Für die Entropie erhalten wir
∂J
S = −
∂T V,µ
X
X
= ∓kB
ln (1 ∓ hn̂α i) + kB T
α
α
1
1 ∓ hn̂α i
∂ hn̂α i
∂T
.
µ
Mit (siehe Gl. (5.9))
∂ hn̂α i
ǫα − µ
ǫα − µ
2 β(ǫα −µ)
−
= − hn̂α i e
= hn̂α i (1 ∓ hn̂α i)
2
∂T
kB T
kB T 2
µ
5.4. KLASSISCHER LIMES UND VIRIALENTWICKLUNG
159
folgt
S = −kB
X
α
[± ln (1 ∓ hn̂α i) − β(ǫα − µ) hn̂α i]
X
= −kB
± ln (1 ∓ hn̂α i) − ln eβ(ǫα −µ) hn̂α i
α
X
1 ∓ hn̂α i
= −kB
± ln (1 ∓ hn̂α i) − ln
hn̂α i
hn̂
i
α
α
X
= −kB
[± ln (1 ∓ hn̂α i) − {ln (1 ∓ hn̂α i) − ln hn̂α i} hn̂α i]
α
= −kB
X
α
[hn̂α i ln hn̂α i ± (1 ∓ hn̂α i) ln (1 ∓ hn̂α i)] .
Im Limes kleiner Besetzungen hn̂α i ≪ 1 (für alle α) gilt
X
α
ln (1 ∓ hn̂α i) ≈ ∓
X
α
D E
hn̂α i = ∓ N̂ ,
±(1 ∓ hn̂α i) ln (1 ∓ hn̂α i) ≈ ±(1 ∓ hn̂α i)(∓ hn̂α i) ≈ − hn̂α i .
Mit diesen Näherungen ergibt sich
D E
N̂ kB T ,
X
S ≈ −kB
hn̂α i (ln hn̂α i − 1) .
PV
≈
α
Es folgt also die ideale Gasgleichung der klassischen statistischen Mechanik. Auch
der Ausdruck für die Entropie ist aus der klassischen statistischen Mechanik bekannt (kinetische Gastheorie, Boltzmanngleichung). Wir wollen diese Einsicht
zum Anlaß nehmen den klassischen Limes genauer zu untersuchen.
5.4
Klassischer Limes und Virialentwicklung
Wir werden nun den Limes kleiner Dichten bzw. hoher Temperaturen der idealen
Quantengase untersuchen. Wie wir später sehen werden, entspricht dieses dem
Limes −µ/(kB T ) ≫ 1 bzw. dem Limes kleiner Fugazität
z = eβµ ≪ 1 .
160
KAPITEL 5. QUANTENSTATISTIK
Wir werden daher das großkanonische Potential J nach der Fugazität z entwickeln, was man als die Virialentwicklung bezeichnet. Es gilt
X
J = ∓kB T
ln 1 ± ze−βǫα
α
= ∓kB T
= ±
∞
X
j=1
∞
XX
(−1)j+1
α
j
j=1
(∓1)j
j
X
(±1)j e−βǫα j z j
e−βǫα j
α
!
zj .
Im Folgenden betrachten wir das bereits oben erwähnte Beispiel des Systems
freier (ununterscheidbarere) Teilchen der Masse m und des Spins s im Volumen
V = L3 (mit periodischen Randbedingungen). Dann gilt α = (~k, σ), mit ki =
2πni /L, ni ∈ Z, und σ = −s, −s + 1, . . . , s. Die Einteilchenenergien sind ǫα =
ǫ~k = ~2~k 2 /(2m). Damit folgt
X
X
2~ 2
e−βǫα j = (2s + 1)
e−β~ k j/(2m) .
α
~k
Für große Volumina V → ∞ ergibt sich (Gaußsches Integral)
Z
X
V
2~ 2
−βǫα j
e
≈ (2s + 1)
e−β~ k j/(2m) d3 k
3
(2π)
α
3/2
2πm
= (2s + 1)V
.
βj(2π)2~2
Damit ergibt sich für das großkanonische Potential im Limes großer V
∞
V X (∓1)j j
J = ±(2s + 1)kB T 3
z ,
λT j=1 j 5/2
mit der thermischen Wellenlänge λT Gl. (4.14). Wie bereits oben erwähnt entspricht6 sie der de Broglie Wellenlänge eines Teilchens mit Energie ∼ kB T
(2π~)2
~p2
=
= kB T
2m
2mλ2
⇒
λ= √
√
2π~
= πλT .
2mkB T
Die thermische Wellenlänge ist die Längenskala anhand der die Wichtigkeit von
Quantenkorrekturen abgeschätzt werden kann. Falls
D E1/3
λT ≪ V / N̂
⇒ nλ3T ≪ 1 ,
6
Man beachte den Faktor π (siehe Kapitel 4.2), der jedoch nichts an der Größenordnung
ändert.
161
5.4. KLASSISCHER LIMES UND VIRIALENTWICKLUNG
D E
mit der Dichte n = N̂ /V , so kann man erwarten, daß Quantenkorrekturen
keine Rolle spielen. In diesem Fall ist λT sehr viel kleiner als der mittlere Teilchenabstand (1/n)1/3 . Um ein lokalisiertes Teilchen der Energie kB T zu beschreiben bilden wir ein Wellenpaket mit Impulsunschärfe ∆p ≪ ~λ−1
T . Gemäß der
Unschärferelation hat dieses eine räumliche Ausdehnung ∆x ∼ ~/∆p ≫ λT . Ist
nun der mittlere Teilchenabstand sehr viel größer als λT , so befinden wir uns in
dem Limes, in dem die Wellenpakete wenig überlappen und die Konsequenzen
der quantenmechanischen Ununterscheidbarkeit spielen keine Rolle. Wir erreichen also den klassischen Limes. Weiter unten werden wir sehen, daß nλ3T ≪ 1
äquivalent zu z ≪ 1 ist.
Mit der Virialentwicklung von J berechnen wir den Druck P und die Dichte
n. Es gilt
∞
J
kB T X (∓1)j j
P = − = ∓(2s + 1) 3
z .
V
λT j=1 j 5/2
Mit
n=
D E
N̂
V
1
=−
V
∂J
∂µ
T,V
1
=−
V
∂J
∂z
T,V
∂z
∂µ
T
βz
=−
V
∂J
∂z
T,V
folgt
∞
1 X (∓1)j j
n = ∓(2s + 1) 3
z .
λT j=1 j 3/2
In führender Ordnung in z ergibt sich so
P = (2s + 1)
⇒
P = nkB T ,
kB T
z,
λ3T
n = (2s + 1)
µ = kB T ln
1
z,
λ3T
nλ3T
.
2s + 1
Die erste Gleichung ist die Zustandsgleichung des klassischen idealen Gases und
der Ausdruck für das chemische Potential entspricht ebenfalls dem klassischen
Analogon Gl. (4.17), wenn man s = 0 setzt – was dem auf Seite 142 klassisch
diskutieren Fall spinloser Teilchen entspricht. Die zweite Beziehung in der ersten
Zeile der obigen Gleichung zeigt zusätzlich, daß nλ3T ≪ 1 in der Tat äquivalent
zu z ≪ 1, d.h. −µ/(kB T ) ≫ 1, ist. Damit ist klar, daß sich die klassische Physik
für
3
2π~
3
nλT = n √
≪1,
2πmkB T
162
KAPITEL 5. QUANTENSTATISTIK
d.h. im Limes hoher Temperaturen bzw. kleiner Dichten ergibt.
Um die führende Ordnung von Quantenkorrekturen zu diskutieren, gehen wir
eine Ordnung in z weiter. Dann gilt
kB T
1
P = (2s + 1) 3 z 1 ∓ 5/2 z ,
(5.13)
λT
2
1
1
(5.14)
n = (2s + 1) 3 z 1 ∓ 3/2 z .
λT
2
Mit dem Ansatz (motiviert durch die erste Ordnung)
nλ3T
nλ3T
3 2
z=
1+γ
+ O [nλT ]
2s + 1
2s + 1
eingesetzt in Gl. (5.14) folgt
1 nλ3T
nλ3T
1 ∓ 3/2
+ O [nλ3T ]2
1 =
1+γ
2s + 1
2 2s + 1
3
nλT
1
+ O [nλ3T ]2
= 1 + γ ∓ 3/2
2
2s + 1
und damit γ = ±1/23/2 . Es gilt also
1 nλ3T
nλ3T
βµ
1 ± 3/2
+ O [nλ3T ]3 .
z=e =
2s + 1
2 2s + 1
(5.15)
Eingesetzt in Gl. (5.13) folgt für den Druck
1 nλ3T
1 nλ3T
3 2
1 ∓ 5/2
+ O [nλT ]
P = nkB T
1 ± 3/2
2 2s + 1
2 2s + 1
1 nλ3T
3 2
.
+ O [nλT ]
= nkB T 1 ± 5/2
2 2s + 1
Man sieht also, daß sich verglichen mit dem klassischen Ergebnis der Druck für
Fermionen erhöht und für Bosonen erniedrigt. Um dieses Ergebnis interpretieren
zu können vergleichen wir mit der Zustandsgleichung des van-der-Waals Gas Gl.
(3.6). Mit n = 1/v und nach Entwickeln nach n ergibt sich diese zu
a
P = nkB T 1 + n b −
+ O(n3 ) .
kB T
Dabei war b > 0 ein Maß für die abstoßenden Wechselwirkung zwischen den Teilchen und a > 0 eines für die anziehende Komponente dieser. Den Ausdruck für
den Druck im Quantengas kann man also so interpretieren, daß die Antisymmetrisierung für Fermionen (also das Pauli-Prinzip) zu einer effektiven Abstoßung
5.4. KLASSISCHER LIMES UND VIRIALENTWICKLUNG
163
und die Symmetrisierung für Bosonen zu einer effektiven Anziehung der Teilchen
führt.
Abschließend wollen wir noch die innere Energie (exakt – also ohne Entwicklung) berechnen. Es gilt (siehe Seite 139)
D E
∂
∂
ln Z̃gk (β, V, α) =
βJ(β, V, z)
Ĥ = −
∂β
∂β
∞
∂ 1 X (∓1)j j
= ±(2s + 1)V
z
∂β λ3T j=1 j 5/2
U =
∞
−3kB T /2 X (∓1)j j
z
= ±(2s + 1)V
λ3T
j 5/2
j=1
3
= − J.
2
Somit folgt
3
3
U = − J = PV
2
2
⇒
P =
2
nu ,
3
u=
U
.
N
(5.16)
Setzen wir jetzt die Entwicklung für den Druck bis zur zweiten Ordnung ein, so
ergibt sich
3P
3
1 nλ3T
3 2
.
u=
= kB T 1 ± 5/2
+ O [nλT ]
2 n
2
2 2s + 1
(5.17)
Damit wird verglichen mit dem Ergebnis für das klassische ideale Gas die inneren Energie (pro Teilchen) für Fermionen erhöht und für Bosonen erniedrigt.
Dies ist konsistent mit der obigen Interpretation einer effektiv abstoßenden bzw.
anziehenden Wechselwirkung.
Die einfache Beziehung P = 2nu/3 zwischen dem Druck und der inneren
Energie läßt sich auf andere (als quadratische) Dispersionsrelationen und andere
(als drei) Dimensionen verallgemeinern. Wir zeigen folgend, daß für ǫ~k ∼ |~k|κ für
das d-dimensionale ideale Quantengas
P =
κ
nu
d
164
KAPITEL 5. QUANTENSTATISTIK
gilt. Dies sehen wir für große V → ∞ wie folgt (hn̂α i = n(ǫk ))
J = ±kB T (2s + 1)
≈ ±kB T (2s + 1)
= ±kB T (2s + 1)
=
=
=
=
≈
=
=
X
~k
ln [1 ∓ n(ǫk )]
L
2π
L
2π
d Z
d
Z
0
∞
k d−1 ln [1 ∓ n(ǫk )] dk
Z ∞
∞
d
1
L
d
d−1
k ln [1 ∓ n(ǫk )] 0 −
k
k ln [1 ∓ n(ǫk )] dk
od
±kB T (2s + 1)
2π
d
dk
0
d
Z ∞
L
∂ǫk n′ (ǫk )
1
kB T (2s + 1)
k d−1 k
od
dk
2π
d 0
∂k 1 ∓ n(ǫk )
d
Z
1 ∞ d−1
L
k
κǫk βn(ǫk )dk
od
−kB T (2s + 1)
2π
d 0
d Z ∞
κ
L
− (2s + 1)
od
k d−1 ǫk n(ǫk )dk
d
2π
0
κX
ǫk n(ǫk )
−
d
~k,σ
D
E
κ
−
Ĥ
d
κ
− U.
d
d
od
ln [1 ∓ n(ǫk )] dd k
Dabei bezeichnet od die von den Winkelintegrationen stammende Konstante. Wegen J = −P V folgt daraus die Behauptung. Die verallgemeinerte Beziehung werden wir später nutzen um den sogenannten Strahlungsdruck elektromagnetischer
Wellen (Photonen) zu berechnen.
Nachdem wir erfolgreich Kontakt mit der klassischen statistischen Mechanik
(Thermodynamik) eines idealen Gases gemacht haben, wollen wir nun den entgegengesetzten Limes betrachten und ein (extremes) Quantenphänomen – die
Bose-Einstein Kondensation – untersuchen.
5.5
Die Bose-Einstein Kondensation
Wir wollen uns für Bosonen (also das ideale Bosegas) aus dem klassischen Limes
kommend (d.h. von hohen Temperaturen) dem Bereich nähern, in dem Quanteneffekte dominieren. Zur Vereinfachung wollen wir uns hier auf den Fall s = 0
beschränken. In der folgenden Skizze ist die aus Gl. (5.15) folgende Temperatu-
165
5.5. DIE BOSE-EINSTEIN KONDENSATION
rabhängigkeit des chemischen Potenials des idealen Gases bei fester Dichte
µ
3 T
T0
1
≈
ln
− 3/2
kB T0
2 T0
T
2
T0
T
1/2
,
die die erste Korrektur zum klassischen Ergebnis enthält, mit ebend diesem (erster
Summand in obiger Gleichung) verglichen. Wir haben dabei die charakteristische
Temperatur T0 gemäß
T0
T
3/2
= nλ3T
eingeführt.
µ/(kBT0)
0
?
-2
-4
-6
-8
0
klassisch
erste qm Korrektur
1
2
3
4
T/T0
Die Korrektur ist negativ, so daß sich für T /T0 → ∞ die quantenmechanische
Kurve der klassische von unten annähert. Wie wir bereits festgestellt haben, muß
für Bosonen µ < 0 gelten und es stellt sich die Frage, der T -Abhängigkeit von
µ bei kleinen T (Bereich des Fragezeichens in der Skizze). Analog ist in der
folgenden Skizze der aus Gl. (5.17) folgende Ausdruck für die spezifische Wärme
(pro Teilchen) cV = du/dT mit der ersten quantemechanischen Korrektur
cV
3 3 1
= +
kB
2 4 25/2
T0
T
3/2
mit dem klassischen Ergebnis cV /kB = 3/2 verglichen.
166
KAPITEL 5. QUANTENSTATISTIK
cV/kB
2
?
1.5
klassisch
erste qm Korrektur
0
1
2
3
4
T/T0
In diesem Fall ist die Korrektur positiv. Wir werden beide Skizzen später vervollständigen.
Um uns dem Bereich kleiner T zu nähern, betrachten wir den Ausdruck für
die mittlere Teilchenzahl Gl. (5.12)
D E X
1
N̂ =
.
βǫ
−1 e ~k − 1
z
~
k
Mit der Einteilchenzustandsdichte (für große V )
X
g(ǫ) =
δ(ǫ − ǫk )
~k
Z ∞
√
V
2 m
4π
δ(k
−
k(ǫ))
,
k(ǫ)
=
k
2mǫ/~
≈
(2π)3
~2 k
0
V m3/2 √
= √
ǫ
2π 2 ~3
| {z }
=c
folgt
Z
D E
N̂ = c
0
∞
√
ǫ
z −1 eβǫ
−1
dǫ .
(5.18)
D E
Damit dieses Integral den fest vorgegebenen Wert N̂ (für feste Dichte!) bei
abnehmenden T erreichen kann, muß µ anwachsen. DaDaber
E µ < 0 gelten muß,
gibt es eine Temperatur Tc , wobei für T < Tc der Wert N̂ nicht mehr erreicht
5.5. DIE BOSE-EINSTEIN KONDENSATION
167
wird. Aus dieser Forderung läßt sich Tc berechnen. Bei Tc gilt µ = 0 also z = 1,
so daß
√
Z ∞
D E
V m3/2
ǫ
N̂
= √
dǫ
ǫ/(k
T
)−1
c
B
2
3
2π ~ 0 e
Z ∞ 1/2
x
V m3/2
3/2
dx
(kB Tc )
= √
x
e −1
2π 2 ~3
0
V m3/2
√
(kB Tc )3/2 Γ(3/2)ζ(3/2) ,
=
2
3
2π ~
√
mit der Riemannschen Zeta-Funktion ζ(x). Es gilt Γ(3/2) = π/2 und ζ(3/2) =
2.612 . . .. Daraus folgt
kB Tc ≈ 3.313
~2n2/3
.
m
Bei dieser Überlegung ist es wichtig, daß das Integral auf der rechten Seite von
Gl. (5.18) an der unteren Grenze nicht divergiert. Dieses ist in zwei bzw. einer
Raumdimension mit Einteilchenzustandsdichten g(ǫ) ∼ ǫ0 bzw. g(ǫ) ∼ ǫ−1/2 (siehe unten) nicht der Fall, so daß in d = 1, 2 die mittlere Teilchenzahl mit einem
kleinen −µ > 0 bei allen T > 0 konstant gehalten werden kann. Somit gibt es in
d = 1, 2 kein Tc > 0 im obigen Sinne. Mit Gl. (5.16) erhalten wir analog
Z ∞
√
V m3/2
2D E 2
PV
Ĥ = U .
= −√
ǫ ln 1 − ze−βǫ dǫ , P V =
kB T
3
3
2π 2 ~3 0
D E
Das N̂ nicht mehr konstant gehalten werden kann, deutet auf ein Problem
bei der bisherigen Analyse hin. Durch den Übergang zur Zustandsdichte und dem
Integral über ǫ hat der Grundzustand mit ǫ = 0 das statistische Gewicht Null
bekommen. Das stellt ein Problem dar, da bei T = 0 alle (wechselwirkungsfreien)
Bosonen sich in gerade diesem Einteilchzustand befinden sollten. Wir modifizieren
daher unser obiges Vorgehen und behandeln den Einteilchenzustand mit ǫ = 0
getrennt (bevor wir die Zustandsdichte und ein Integral einführen). Dies führt
auf
D E
√
Z ∞
N̂
m3/2
ǫ
1 z
= √
dǫ
+
,
V
V 1−z
2π 2 ~3 0 z −1 eβǫ − 1
Z ∞
1
√
P
m3/2
ǫ ln 1 − ze−βǫ − ln(1 − z) .
= −√
kB T
V
2π 2 ~3 0
Im (klassischen) Limes nλ3T ≪ 1 gilt z ≪ 1 und damit ln(1 − z)/V ≪ 1 sowie
z/[V (1 − z)] ≪ 1. Die abgetrennten Terme können also vernachlässigt werden
(wie zu erwarten war). Im “Quantenlimes” nλ3T ≈ 1 gilt dagegen
N0
1 z
=
= O(1) ,
V 1−z
V
168
KAPITEL 5. QUANTENSTATISTIK
mit der Zahl der Bosonen N0 im Einteilchengrundzustand. Für T → 0 wird der
Einteilchenzustand mit ǫ = 0 makroskopisch besetzt. Wie wir jetzt zeigen werden,
können wir für die weiteren Rechnungen den abgespaltenen Term zum Ausdruck
für den Druck trotzdem vernachlässigen. Es gilt
⇒
N0
z
= N0 ⇒ z =
,
1−z
N0 + 1
1
1
1
N0
1
− ln(1 − z) = − ln 1 −
= ln (1 + N0 ) = O
ln V .
V
V
N0 + 1
V
V
Für große V geht dieser Term gegen Null und kann daher gegenüber dem Integral
vernachlässigt werden. Wir betrachten daher folgend
Z ∞
√
m3/2
P
3/2
√
= −
(kB T )
x ln 1 − ze−x dx
kB T
2π 2 ~3
0
Z ∞
3/2
1 4
x
dx
= 3 √
−1
λT 3 π 0 z ex − 1
1
= 3 F5/2 (z) ,
λT
mit
1
Fn (z) =
Γ(n)
Z
∞
0
xn−1
dx .
z −1 ex − 1
Von der ersten zur zweiten Zeile haben wir eine partielle Integration ausgeführt.
Für die innere Energie (wichtig für die spezifische Wärme; siehe oben) ergibt sich
3
1
U = kB T V 3 F5/2 (z) .
2
λT
Für die Teilchezahl in angeregten Einteilchenzuständen ergibt sich
D E
N̂ − N0
1
= 3 F3/2 (z) .
V
λT
Für z ≪ 1 kann man diese Ausdrücke auswerten und erhält die uns schon bekannten Ergebnisse für den klassischen Limes und die führenden Quantenkorekturen.
Wir werten den Ausdruck für die Teilchenzahl für T ≤ Tc aus. Es ist dabei
“natürlich” anzunehmen, dass soviele Teilchen wie möglich in angeregten Einteilchenzuständen sind, wobei µ praktisch Null ist. Damit folgt
D E
N̂ − N0
1
1
= 3 F3/2 (1) = 3 ζ(3/2)
V
λT
λT
"
3/2 #
D E
D E D E 1 mk 3/2
T
B
.
ζ(3/2)T 3/2 = N̂ 1 −
⇒
N0 = N̂ − N̂
2
n 2π~
Tc
169
5.5. DIE BOSE-EINSTEIN KONDENSATION
Es bestätigt sich also, daß der Einteilchengrundzustand für T < Tc makroskopisch
besetzt ist. Für z folgt aus diesem Ergebnis
z=
N0
1
1
=
=1−
+ O(N0−2 ) ,
1 + N0
1 + 1/N0
N0
also im thermodynamischen Limes z = 1 für T ≤ Tc , d.h. konsistenterweise
µ = 0. Damit können wir die Skizze der Temperaturabhängigkeit des chemischen
Potentials vervollständigen.
µ/(kBTc)
0
-2
-4
-6
-8
0
1
2
3
4
T/Tc
Nachfolgend ist die Besetzung des Einteilchengrundzustands als Funktion der
Temperatur skizziert (im thermodynamischen Limes).
1
N0/<N>
0.8
0.6
0.4
0.2
0
0
0.5
1
T/Tc
1.5
170
KAPITEL 5. QUANTENSTATISTIK
Für den Druck folgt bei T ≤ Tc
P
1
= 3 ζ(5/2)
kB T
λT
⇒
P ∼ T 5/2 ,
mit einer Proportionalitätskonstanten die Unabhängig von der Dichte (dem Volumen) ist. Man spricht daher von einer Kondensation. Für
D Efestes T (Isotherme)
ergibt sich die Kondensation beim kritischen Volumen ( N̂ fest)
λ3T
V
D cE =
∼ T −3/2 .
ζ(3/2)
N̂
Dieses Verhalten is folgend skizziert.
P
T2
T1
T2 > T1
Vc,2 Vc,1
V
Wir untersuchen jetzt die spezifische Wärme für T ≤ Tc . Es gilt
3
3 1
∂ T
15 1
1
1
∂P V
cv
= D E
=
ζ(5/2)
=
ζ(5/2)
∼ T 3/2 .
3
3
kB
2 N̂ k ∂T
2n
∂T λT
4 n
λT
B
Bei T = Tc gilt
cv
1
15 λ3Tc ζ(5/2) 15 ζ(5/2)
15 Vc
3
D E ζ(5/2) 3 =
=
=
= 1.925 . . . > .
3
kB
4 N̂
λTc
4 ζ(3/2) λTc
4 ζ(3/2)
2
Damit können wir die Skizze für cV teilweise vervollständigen.
171
5.5. DIE BOSE-EINSTEIN KONDENSATION
2
?
3/2
~T
-3/2
~T
cV/kB
1.5
1
0.5
0
0
1
2
3
4
T/Tc
Aus Zeitgründen wollen wir hier darauf verzichten, die durch das Fragezeichen
indizierte “Lücke” in der Temperaturabhängigkeit der spezifischen Wärme durch
eine analytische Rechnung zu schließen. Im L2 P finden sie einige handschriftliche
Notizen in der die entsprechende Diskussion (teilweise) geführt wird. Wie dort
gezeigt, ist cV bei T = Tc stetig, aber die erste Ableitung macht einen Sprung.
Bei Tc entsteht eine “Spitze”.
Man kann die Bose-Einstein Kondensation eines wechselwirkungsfreien (!!)
Bosegases (in vielerlei Hinsicht) als Phasenübergang
D E betrachten. Dabei ist die
Besetzung des Einteilchengrundzustands N0 / N̂ der Ordnungsparamter. Für
D E
T > Tc verschwindet N0 / N̂ im thermodynamischen Limes, während diese
Größe für T < Tc einen endlichen Wert annimmt. Sie korrespondiert zu der
Magnetisierung in dem magnetischen Phasenübergang, den sie in einer Übungsaufgabe untersucht haben. Die makroskopische Besetzung des Einteilchengrundzustandes verschwindet in der Nähe von Tc wie (Tc − T )/Tc , so daß der kritische
Exponent des Ordnungsparameters β = 1 ist. Da die spezifische Wärme am Übergang stetig ist, handelt es sich um einen kontinuierlichen Phasenübergang (auch
Phasenübergang 2. Ordnung). Der Phasenübergang zeigt sich in einer Nichtanalytizität der spezifische Wärme als Funktion von T (hier als Sprung der ersten
Ableitung von cV nach T ). Dieses Verhalten kann man zu dem an einem Phasenübergang 1. Ordnung (mit latenter Wärme) kontrastieren, wie es uns exemplarisch im Phasendiagramm von Wasser begegnet ist. Es ist wichtig festzuhalten,
daß Nichtanalytizitäten und damit Phasenübergänge nur nach Ausführen des
thermodynamischen Limes auftreten können.
Die Bose-Einstein Kondensation wurde bereits 1925 durch Einstein vorhergesagt. Der experimentelle Nachweis gelang jedoch erst 1995 an verdünnten Gasen
172
KAPITEL 5. QUANTENSTATISTIK
von Alkaliatomen. Dafür erhielten Cornell, Wieman und Ketterle 2001 den Nobelpreis. Die Kondensation wäre jedoch ohne die Vorarbeiten zur sogenannten
Laserkühlung von Chu, Cohen-Tannoudji und Philips unmöglich gewesen, die
daher zuvor, nämlich 1997, den Nobelpreis erhalten hatten. Auch der Nobelpreis
an Hänsch im Jahre 2005 ist im Zusammenhang mit Experimenten an kalten
Atomgasen zu sehen.
5.6
Das entartete Fermigas
Wir betrachten nun ein Gas von Fermionen (mit halbzahligem Spin s) im Quantenlimes kB T ≪ µ (also Fugazität z ≫ 1), d.h. bei hoher Dichte bzw. tiefer
Temperatur. Im Vergleich zu Bosonen kann µ hier positiv sein. Die Fermi-Dirac
Verteilung
1
1 für ǫα < µ , |ǫα − µ| ≫ kB T
hn̂α i = β(ǫα −µ)
→
0 für ǫα > µ , |ǫα − µ| ≫ kB T
e
+1
hat dann die skizzierte Form.
~kBT
1
<n>
0.8
0.6
0.4
0.2
0
0
1
εα/µ
2
Für T = 0 erhält man eine Stufenfunktion
hn̂α i|T =0 = Θ(µ(T = 0, n) − ǫα ) ,
d.h. alle Einteilchenniveaus bis zur sogenanten Fermienergie
ǫF (n) = µ(T = 0, n)
3
5.6. DAS ENTARTETE FERMIGAS
173
sind einfach besetzt (ǫα < ǫF ), alle anderen unbesetzt. Man bezeichnet diese Situation als das entartete Fermigas. Zum Vergleich betrachten wir den klassischen
Grenzfall mit z ≪ 1, also −µ/(kB T ) ≫ 1. Da (nach Konvention; siehe oben) alle
ǫα ≥ 0 sind in diesem Limes alle Einteilchenniveaus nur exponentiell klein besetzt
hn̂α i|klassisch ∼ e−β(ǫα −µ) ≪ 1 .
Eine der Bedeutungen des entarteten Fermigases liegt darin begründet, daß für
Elektronen in (normalen) Metallen die Bedingung kB T ≪ µ bei Zimmertemperatur sehr gut erfüllt ist
ǫF ≈ 10eV ≈ kB 105 K ≫ kB 300K .
Dabei spielt es (erstaunlicherweise) keine entscheidenen Rolle, daß die Elektronen in Metallen aufgrund der relativ hohen Dichte eine große Elektron-ElektronWechselwirkung haben. Im Rahmen der sogenannten Fermiflüssigkeitstheorie kann
man zeigen, daß die Elektronen in normalen Metallen effektiv durch ein wechselwirkungsfreies entartetes Fermigas beschreibbar sind. Genauer untersucht man
diese Frage in einer Vorlesung zur Festkörperphysik bzw. quantenmechanischen
Vielteilchentheorie.
Wir betrachten nun wieder das Beispiel freier Teilchen der Masse m, mit
Spin s und quadratischer Einteilchendispersion. Die Dichteabhängigkeit der Fermienergie kann nun leicht berechnet werden. Wegen
~2~k 2
,
2m
sind bei T = 0 alle ~k-Zustände mit k = |~k| < kF besetzt, wobei jeder Einteilchen~k-zustand (2s + 1)-fach entartet ist. Der Fermiwellenvektor kF ist durch ǫF =
~2 kF2 /(2m) definiert. ~kF = pF bezeichnet den Fermiimpuls und vF = pF /m
die Fermigeschwindigkeit. Da jeder ~k-Vektor ein Volumen (2π/L)d einnimmt und
(2s + 1)-fach besetzt ist, folgt
D E
N̂
Volumen der Fermikugel
= Zahl der ~k-Vektoren in der Fermikugel =
.
2s + 1
(2π/L)d
D E
d
Mit V = L und n = N̂ /V ergibt sich
D E
2 1/3
N̂
4πkF3 /3
V kF3
6π n
d=3:
,
=
=
⇒ kF =
3
2
2s + 1
(2π/L)
6π
2s + 1
D E
1/2
N̂
πkF2
V kF2
4πn
=
=
⇒ kF =
,
d=2:
2s + 1
(2π/L)2
4π
2s + 1
D E
N̂
2kF
V kF
πn
d=1:
=
=
⇒ kF =
2s + 1
2π/L
π
2s + 1
ǫ~k =
174
KAPITEL 5. QUANTENSTATISTIK
und damit

 (6π 2 )2/3 für d = 3
n
~
=
×
4π
für d = 2 .
ǫF =

2m
2m 2s + 1
π2
für d = 1
P
Weiter unten werden wir häufig Summen der Form ~k f (ǫ~k ) im Limes L → ∞
berechnen. Daher führen wir wieder die Einteilchenzustandsdichte (siehe Seite
166) ein, wobei wir diesmal jedoch mit dem Faktor V anders verfahren. Es soll
gelten
Z ∞
X
f (ǫ~k ) → V
D(ǫ)f (ǫ) dǫ ,
2
~2 kF2
2/d
0
~k
mit der Zustandsdichte D(ǫ) “pro Spin und Volumen”. Der Term V D(ǫ)dǫ gibt
die Zahl der Einteilchenniveaus mit Energie zwischen ǫ und ǫ + dǫ und festem
Spin. Da diese Niveaus für unser Beispiel in einer d-dimensionalen Kugelschale
liegen ergibt sich
Volumen der Kugelschale im ~k-Raum
(2π/L)d

d  4πk 2 dk für d = 3
L
2πkdk für d = 2 .
=
×

2π
2dk
für d = 1
V D(ǫ)dǫ =
Aus ǫ~k = ~2 k 2 /(2m) folgt dǫ = ~2 kdk/m und damit
 1
d/2
 π für d = 3
1 2m
d/2−1
1 für d = 2 .
D(ǫ) =
ǫ
×

4π ~2
2 für d = 1
Die ǫ-Abhängigkeit dieses Ergebnisses haben wir schon verwendet um zu begründen, daß es im Bosegas nur für d = 3 ein endliches Tc gibt. Zusammen mit
dem Resultat für ǫF ergibt sich das nützliche Ergebnis
ǫF D(ǫF ) =
dn
.
2(2s + 1)
Nach diesen Vorarbeiten wollen wir das großkanonische Potential berechnen.
Für große V schreiben wir
Z ∞
J = −kB T (2s + 1)V
D(ǫ) ln 1 + e−β(ǫ−µ) .
0
Dieses
Integral berechnet man nun, in dem man ausnutzt, daß die Ableitung von
ln 1 + e−β(ǫ−µ) nach ǫ die Fermifunktion liefert
d −βe−β(ǫ−µ)
ln 1 + e−β(ǫ−µ) =
= −βn(ǫ) ,
dǫ
1 + e−β(ǫ−µ)
175
5.6. DAS ENTARTETE FERMIGAS
mit der auf Seite 164 eingeführten Bezeichnung für die Verteilungsfunktion. Die
zweite Ableitung liefert die erste Ableitung der Fermifunktion. Bei kleinen Temperaturen ist diese sehr scharf um µ zentriert
d2 ln 1 + e−β(ǫ−µ) = −βn′ (ǫ) .
2
dǫ
Man versucht daher im Ausdruck für das großkanonische Potential durch zweifaches partielles Integrieren n′ (ǫ) zu erhalten und entwickelt anschließend alle
Funktionen im Integranden, die mit n′ (ǫ) multipliziert werden und im Energiebereich ǫ ≈ µ langsam verglichen mit n′ (ǫ) variieren, in eine Taylorreihe um ǫ = µ.
Man bezeichnet dieses Vorgehen als die Sommerfeldentwicklung. Um dieses Vorgehen auszuführen bertachten wir
d
d2
a(ǫ) = 2 b(ǫ)
dǫ
dǫ
D(ǫ) =
mit
2
a(ǫ) = ǫD(ǫ) ,
d
b(ǫ) =
4
ǫ2 D(ǫ) .
d(d + 2)
Damit ergibt sich
J = −kB T (2s + 1)V
2
= 0 − (2s + 1)V
d
2
= − U = −P V ,
d
Z
∞
a(ǫ) ln 1 + e−β(ǫ−µ) 0 + β
∞
Z
0
∞
a(ǫ)n(ǫ)dǫ
D(ǫ) ǫ n(ǫ) dǫ
0
wobei wir die letzte Zeile bereits auf Seite 164 gezeigt haben. Die zweite partielle
Integration liefert
Z ∞
J = −(2s + 1)V
a(ǫ) n(ǫ) dǫ
0
Z ∞
∞
′
= −(2s + 1)V b(ǫ)n(ǫ)|0 −
b(ǫ)n (ǫ)dǫ
0
Z ∞
= (2s + 1)V
b(ǫ)n′ (ǫ)dǫ .
(5.19)
0
Wir entwickeln dann b(ǫ) in einer Taylorreihe um ǫ = µ
∞
X
1 dl b
b(ǫ) =
(µ)(ǫ − µ)l .
l
l!
dǫ
l=0
176
KAPITEL 5. QUANTENSTATISTIK
Da n′ (ǫ) nur in der Nähe von µ nicht verschwindent klein ist machen wir nur
einen Fehler der Ordnung e−µ/(kB T ) , was im uns interessierenden Limes µ ≫ kB T
exponentiell klein ist, wenn wir das Integral in Gl. (5.19) bis nach −∞ Rausdehnen.
R∞
∞
Weiterhin ist n′ (ǫ) eine gerade Funktion, so daß nach der Ersetzung 0 → −∞
nur noch gerade Potenzen von l beitragen. Es gilt
)
(
Z ∞
Z ∞
∞
X
1
d2l b
2l ′
′
(µ)
(ǫ − µ) n (ǫ) dǫ .
J ≈ (2s + 1)V b(µ)
n (ǫ) dǫ +
dǫ2l
(2l)! −∞
−∞
l=1
Mit
b(µ)
Z
∞
−∞
n′ (ǫ) dǫ =
4
4
µ2 D(µ) [n(∞) − n(−∞)] = −
µ2 D(µ)
d(d + 2)
d(d + 2)
und
Z ∞
Z ∞
1
d
1
2l ′
2l 1
(ǫ − µ) n (ǫ)) dǫ = (kB T )
x2l
dx
x
(2l)! −∞
(2l)! −∞ dx e + 1
Z ∞
d
1
2l 2
x2l
dx
= (kB T )
x
(2l)! 0
dx e + 1
2l ∞
Z ∞ 2l−1
x
x 2l 2
= (kB T )
− 2l
dx
(2l)! ex + 1 0
ex + 1
0
1
2l
= −(kB T ) 2 1 − 2l−1 ζ(2l)
2
ergibt sich für das großkanonische Potential
)
(
∞ 2l−2
X
1
d
D
4
1 − 2l−1 ζ(2l) 2l−2 (µ)(kB T )2l .
J ≈ −(2s + 1)V
µ2 D(µ) + 2
d(d + 2)
2
dǫ
l=1
Bis zur Ordnung (kB T )2 gilt
J ≈ −(2s + 1)V µ2 D(µ)
(
4
π2
+
d(d + 2)
6
kB T
µ
2 )
.
Ausgehend von J wollen wir jetzt n(µ, T ) bzw. durch Umkehren µ(n, T ) berechnen. Es gilt (bis zur zweiten Ordnung in kB T )
1 ∂J
n = −
V
∂µ T,V
4
∂ 2
π2
2 ′
≈ (2s + 1)
[µ D(µ)] + (kB T ) D (µ)
d(d + 2) ∂µ
6
d
π2
4
2 d − 2 D(µ)
+ 1 D(µ)µ + (kB T )
= (2s + 1)
d(d + 2) 2
6
2
µ
)
(
2
π 2 kB T
2
.
+ (d − 2)
= (2s + 1)D(µ)µ
d
12
µ
177
5.6. DAS ENTARTETE FERMIGAS
Um diese Relation nach µ(n, T ) bzw. µ(ǫF , T ) aufzulösen verwenden wir
ǫD(ǫ) = γd ǫd/2
2
n = (2s + 1) ǫF D(ǫF ) .
d
Dies gibt
⇒
⇒
(
2 )
2
2
d
π 2 kB T
ǫF D(ǫF ) ≈ D(µ)µ 1 + (d − 2)
d
d
2
12
µ
(
2 )
2
d
k
T
π
2
2
B
d/2
γd ǫF ≈ γd µd/2 1 + (d − 2)
d
d
2
12
µ
(
)−2/d
2
d
π 2 kB T
µ = ǫF 1 + (d − 2)
+ O [kB T /µ]4
.
2
12
µ
Durch Iterieren ergibt sich
µ = ǫF
(
d
π2
1 + (d − 2)
2
12
kB T
ǫF
2
+ O [kB T /ǫF ]4
)−2/d
und durch Entwickeln bis zur Ordnung (kB T )2 folgt
(
2 )
π 2 kB T
.
µ(ǫF , T ) ≈ ǫF 1 − (d − 2)
12
ǫF
(5.20)
Primär sind wir natürlich am Fall d = 3 interessiert. Es ist aber interessant
festzustellen, daß (aufgrund der ǫ-Unabhängigkeit von D(ǫ)) µ in zwei Raumdimensionen für kleinen T keine Korrekturen zweiter Ordnung in T aufweist. Geht
man bis zu höheren Ordnungen, so kann man zeigen, daß µ in zwei Raumdimensionen keine potenzgesetzartige T -Abhängigkeit hat. Das Verhalten von µ(ǫF , T )
in drei Raumdimensionen ist für feste Dichte (feste ǫF ) in der folgenden Skizze
dargestellt.
µ/ε F
1
~T 2
1
k BT/ ε F
klassisch
178
KAPITEL 5. QUANTENSTATISTIK
Dieses Kapitel abschließend berechnen wir noch die innere Energie, die spezifische Wärme und den Druck des entarteten Fermigases. Aus den obigen Rechnungen erhalten wir (siehe Seite 175)
(
2 )
d
d
π 2 kB T
4
2
U = − J ≈ (2s + 1)V µ D(µ)
+
.
2
2
d(d + 2)
6
µ
Mit Gl. (5.20) können wir U als Funktion von ǫF und T schreiben. Dazu betrachten wir
V D(µ)µ2 = V γd µd/2+1
≈
≈
=
=
2 #d/2+1
2
k
T
π
B
d/2+1
V γd ǫF
1 − (d − 2)
12
ǫF
"
2 #
2
d
k
T
π
B
V D(ǫF )ǫ2F 1 −
+ 1 (d − 2)
2
12
ǫF
"
2 #
d2 − 4 π 2 kB T
dn
ǫF 1 −
V
2(2s + 1)
2 12
ǫF
"
2 #
D E
2
d
k
T
π
B
N̂
.
ǫF 1 − (d2 − 4)
2(2s + 1)
24
ǫF
"
Damit ergibt sich für die innere Energie
"
2 # "
2 #
D E d2
d2 − 4 π 2 kB T
π 2 kB T
4
U ≈ N̂
ǫF 1 −
+
4
4
6
ǫF
d(d + 2)
6
ǫF
"
2 #
D E d2
π 2 kB T
d2 − 4
4
4
ǫF
+ 1−
≈ N̂
4
d(d + 2)
4 d(d + 2) 6
ǫF
#
"
2
D E d2
2 π 2 kB T
4
= N̂
.
ǫF
+
4
d(d + 2) d 6
ǫF
Damit folgt dann für kB T /ǫF ≪ 1 (d.h. im Quantenlimes)
"
2 #
2
d
kB T
π
U
,
+d
u = D E ≈ ǫF
d+2
12
ǫF
N̂
∂u
∂u
π 2 kB T
cV =
=
,
≈ d kB
∂T n
∂T ǫF
6
ǫF
"
2 #
2
kB T
π
2
2
J
.
+
P v = − D E = u ≈ ǫF
d
d+2
6
ǫF
N̂
179
5.7. PHOTONEN UND PHONONEN
Verglichen mit den klassischen Ergebnissen
d
d
u = k B T , cv = k B ,
2
2
P v = kB T
muß man die Ersetzung T ↔ TF mit kB TF = ǫF machen. Die Rolle der Temperatur spielt somit im entarteten Fermigas (kleine kB T /ǫF ) die Fermitemperatur
TF . Im Gegensatz zum klassischen idealen Gas geht der Druck des Fermigases
für kleine T nicht gegen Null. Man bezeichnet den T = 0 Wert des Drucks als
den aus dem Pauliprinzip resultierenden Fermidruck. Die spezifische Wärme im
entarteten Fermigas ist einen Faktor T /TF kleiner als im klassischen Limes, da
aufgrund des Pauliprinzips nur Elektronen in der Nähe von ǫF angeregt werden
können. Die Temperaturabhängigkeit von cV für d = 3 ist folgend skizziert.
cV/k B
3/2
~T
1
k BT/ εF
In “normalen” Metallen ist der elektronische Beitrag zur spezifischen Wärme bei
Raumtemperatur und niedrigeren Temperaturen proportional zu T . Verglichen
mit dem obigen Ergebnis für wechselwirkungsfreie Elektronen ist jedoch der Vorfaktor durch die Coulombwechselwirkung modifiziert. Einen weiteren Beitrag zur
spezifischen Wärme eines kristallinen Festkörpers liefern die Gitterschwingungen.
Unteranderem diesen werden wir im nächsten Kapitel untersuchen.
5.7
Photonen und Phononen
Wir betrachten in diesem Kapitel die “quantisierte” Hohlraumstrahlung (elektromagnetische Strahlung; Photonen) und “quantisierte” Gitterschwingungen im
Festkörper (Phononen). Beide Systeme können (in erster Näherung) als unabhängige harmonische Oszillatoren beschrieben werden. Daher behandeln wir zunächst
den harmonischen Oszillator. Diesem sind sie bereits in einer Übungsaufgabe begegnet.
180
KAPITEL 5. QUANTENSTATISTIK
Wir betrachten einen einzelnen harmonischen Oszillator welcher sich im Kontakt mit einem Wärmebad befindet. Der Hamiltonoperator des Oszillators lautet
1
1
1
p̂2
2 2
†
= ~ω n̂ +
,
+ mω x̂ = ~ω â a +
Ĥ =
2m 2
2
2
mit den bekannten Auf- und Absteigeoperatoren, bzw. dem Besetzungszahloperator n̂ = ↠a. Das Spektrum ist durch En = ~ω(n + 1/2), mit n ∈ N0 gegeben,
so daß sich für die kanonische Zustandssumme
Z=
∞
X
−βEn
e
−β~ω/2
=e
n=0
∞
X
n=0
e−β~ω
n
=
e−β~ω/2
1 − e−β~ω
ergibt. Die Wahrscheinlichkeit für den Eigenzustand |ni ist
pn =
e−βEn
e−β~(n+1/2)ω
= P∞ −β~(m+1/2)ω = e−β~ω/n 1 − e−β~ω .
Z
m=0 e
Dieses Ergebnis ist sehr ähnlich zu dem für das freie Bosegas Gl. (5.7) mit den
zwei wichtigen Unterschieden, daß das chemische Potential nicht auftritt (bzw.
µ = 0 gilt) da die Zahl der Schwingungsmoden (im Gegensatz zur Teilchenzahl
bei Bosonen) nicht erhalten ist und daß nur eine Frequenz vorkommt. Für die
mittlere Besetzungszahl und die Schwankung erhalten wir daher analog zu Gln.
(5.8) und (5.10)
hn̂i =
1
eβ~ω − 1
,
(∆n)2 = hn̂i (1 + hn̂i) .
Die Abwesenheit des chemischen Potentials führt dazu, daß keine Bose-Einstein
Kondensation auftritt. Für die mittlere Energie ergibt sich
∞
∞
D E X
X
~ω
~ω
Ĥ =
En pn = ~ω
(n + 1/2)pn = ~ω(hn̂i + 1/2) =
+ β~ω
.
2
e
−
1
n=0
n=0
D E
D E
Für kB T ≪ ~ω gilt Ĥ ≈ ~ω/2 und für kB T ≫ ~ω, Ĥ ≈ kB T . Mit Hilfe des
Virialsatzes Gl. (4.8) erhält man
D
E D
E
D E D
E D
E
D
E
D
E
Ĥkin = Ĥpot
⇒
Ĥ = Ĥkin + Ĥpot = 2 Ĥkin = 2 Ĥpot
also
2
D E
p̂ /(2m) = mω 2 x̂2 /2 = Ĥ /2 .
Im klassischen Limes kB T ≫ ~ω ergibt sich
2
p̂ /(2m) = mω 2 x̂2 /2 ≈ kB T /2 ,
5.7. PHOTONEN UND PHONONEN
181
also das Ergebnis des klassischen Gleichverteilungssatzes (siehe Seiten 131 und
132).
Liegen nun f unabhängige Oszillatoren mit gleicher (Kreis-)Frequenz ω vor,
so muß man die mittlere Energie offensichtlich einfach mit f multiplizieren. Dann
gilt
⇒
D E
kB TE
kB TE
Ĥ = f
+ f T /T
,
E
2
e
−
1
D E
2
∂ Ĥ
eTE /T
TE
= f kB
,
CV =
2
∂T
T
(eTE /T − 1)
mit der charakteristischen Einsteintemperatur
TE = ~ω/kB .
Das vorliegende Modell ist relevant bei der Beschreibung der Thermodynamik
sogenannter optischer Phononen eines kristallinen Festkörpers (siehe weiter unten) und heißt das Einsteinmodell. Wir betrachten noch die Limites T ≪ TE und
T ≫ TE . Für T ≪ TE gilt
D E
1
Ĥ
≈ f kB TE + f kB TE e−TE /T ,
2
2
TE
e−TE /T
CV ≈ f k B
T
und für T ≫ TE (klassischer Limes)
D E
1
Ĥ
≈ f kB TE + f kB T ,
2
CV ≈ f k B
Im klassischen Limes sind die Resultate im Einklang mit dem Gleichverteilungssatz. Für tiefe Temperaturen ergibt sich eine exponentiell kleine spezifische Wärme,
da aufgrund der Energielücke zu angeregten Zuständen, diese nur mit einer exponentiell kleinen Wahrscheinlichkeit besetzt sind. Die Temperaturabhängigkeit
der spezifische Wärme des Einsteinmodells ist folgend skizziert.
182
KAPITEL 5. QUANTENSTATISTIK
CV /k B
f
−T /T
~e E
1
T/TE
Wir werden uns nun der elektromagnetischen Hohlraumstrahlung zuwenden
und das Plancksche Strahlungsgesetz herleiten. Wir betrachten freie elektromagnetische Strahlung (keine Ladungen und Ströme) in Wechselwirkung mit einem
Wärmebad. Dieses soll Energie bei jeder Frequenz mit der Strahlung austauschen können. Man spricht in diesem Fall von schwarzen Strahlung. Ein typischer
experimenteller Aufbau ist folgend skizziert.
Wand mit T
Strah−
lung
Beobachtungs−
loch
Um die Quantenstatistik dieses Systems untersuchen zu können, bringen wir
die Maxwellgleichungen auf eine kanonische Form. Da es auf die genaue Form
der Wechselwirkung der Strahlung mit der Wand nicht ankommt,7 verwenden
wir periodische Randbedingungen für die elektromagnetischen Potentiale φ(~x, t)
~ x, t) in einem Kasten der Kantenlänge L, also Volumen V = L3 . In der
und A(~
~ ·A
~ = 0 gilt φ = 0 und die Wellengleichung (in cgs-Einheiten)
Coulombeichung ∇
~+
−∆A
1 ~¨
A=0.
c2
Im Fourierraum sind die Lösungen transversale, ebene Wellen mit der allgemeinen
7
Die Wechselwirkung wird als Oberflächeneffekt später vernachlässigt.
183
5.7. PHOTONEN UND PHONONEN
Form (~s~k ∈ C3 )
~ x, t) =
A(~
i
Xh
i(~k·~
x−ωk t)
~s~k e
+ c.c. ,
~k
wobei

n1
2π 
ωk = c|~k| , ~k · ~s~k = 0 , ~k =
n2  ,
L
n3

ni ∈ Z .
Zur Zeit t = 0 (Anfangsbedingung) gilt
i
Xh
~
~ x, 0) =
A(~
~s~k + ~s∗−~k eik·~x ,
~k
h
i
X
~
~˙ x, 0) =
A(~
(−iωk ) ~s~k − ~s∗−~k eik·~x ,
~k
~ und A
~˙ eindeutig festd.h. durch die ~s~k werden die Anfangsbedingungen von A
gelegt. Da ~k · ~s~k = 0 können wir ~s~k in zwei transversale Polarisationsvektoren
zerlegen
1/2 X
4π
(0)
q~k,s ~e~k,s , ~k · ~e~k,s = 0 .
~s~k = c
V
s=1,2
Der auftretende Vorfaktor ist eine Konvention. Mit
(0)
q~k,s (t) = q~k,s e−iωk t
folgt
~ x, t) = c
A(~
4π
V
1/2 X h
i
i~k·~
x
~e~k,s q~k,s (t)e + c.c. ,
~k,s
wobei die q~k,s (t) die Bewegungsgleichung
q̇~k,s = −iωk q~k,s
erfüllen. Wir führen nun die reellen Größen
Q~k,s = q~k,s +
∗
q~k,s
,
P~k,s = −iωk q~k,s −
∗
q~k,s
ein. Diese erfüllen die kanonischen Bewegungsgleichungen eines harmonischen
Oszillators (mit Masse m = 1)
Q̇~k,s = P~k,s ,
Ṗ~k,s = −ωk2 Q~k,s .
184
KAPITEL 5. QUANTENSTATISTIK
Die zu diesen Bewegungsgleichungen gehörende Hamiltonfunktion ist also
H=
X1
2
P~k,s
+ ωk2 Q~2k,s .
2
~k,s
Dieser Ausdruck entspricht auch der elektromagnetischen Energie der Felder8
Z
1
~2+B
~ 2 )d3 x .
H=
(E
8π V
Der Impuls des Strahlungsfeldes ist durch
1 X ~k 1 2
P~ =
P~k,s + ωk2Q~2k,s
c
k 2
~k,s
gegeben.
Wir quantisieren nun die elektromagnetische Strahlung gemäß dem üblichen
Vorgehen. Die Q~k,s und P~k,s fassen wir als Operatoren Q̂~k,s und P̂~k,s auf, die die
kanonischen Vertauschungsrelationen
h
i
h
i
h
i
Q̂~k,s , Q̂~k′ ,s′ = 0 = P̂~k,s , P̂~k′ ,s′ , Q̂~k,s , P̂~k′,s′ = i~δ~k,~k′ δs,s′
erfüllen. Aus der Hamiltonfunktion wird so ein Hamiltonoperator von unabhängigen harmonischen Oszillatoren. Für jede Mode (~k, s) führen wir Auf- und Absteigeoperatoren ein
r r ωk
ωk
i
i
†
Q̂~k,s + P̂~k,s , â~k,s =
Q̂~k,s − P̂~k,s
â~k,s =
2~
ωk
2~
ωk
ein, so daß
H=
X
~k,s
1
,
~ωk n̂~k,s +
2
n̂~k,s = a~†k,s a~k,s .
Das Spektrum ist durch
E{n~k,s } =
X
~k,s
1
, n~k,s ∈ N0
~ωk n~k,s +
2
gegeben. Dabei ist n~k,s die Zahl der Photonen mit Impuls ~~k (siehe Ausdruck für
den Impuls des Strahlungsfeldes) und Polarisation s.
8
Dies liefert die Begrüngung für den oben gewählten Vorfaktor c
p
4π/V .
185
5.7. PHOTONEN UND PHONONEN
Nach diesen Vorarbeiten, können wir zur statistischen Beschreibung der schwarzen Strahlung die obigen Ausdrücke des freien Bosesgases
E (mit µ = 0) “abschrei
ben”. Für die Wahrscheinlichkeit des Zustands {n~k,s } erhalten wir
−βE{n~
p{n~k,s } =
e
k,s
}
=P
Z
= P
P
~
k,s
−β
e
P
~
k,s
−β
e
n~′
e−β
n~′
e−β
~ωk (n~k,s +1/2)
P
~
k,s
~ωk (n~′ +1/2)
k,s
k,s
~ωk n~k,s
P
~
k,s
.
~ωk n~′
k,s
k,s
Für die Wahrscheinlichkeit, daß n Photonen mit Impuls ~~k und Polarisation s
auftreten folgt
e−β~ωk n
;
W~k,s (n) =
Z~k,s
∞
X
Z~k,s =
e−β~ωk n .
n=0
Der Mittelwert der Zahl der Photonen im Zustand (~k, s) (in einer spezifischen
Mode) und die Schwankungen dieser Zahl ist durch
D
E
D
E
D
E
1
2
n̂~k,s = β~ω
, (∆n~k,s ) = n̂~k,s 1 + n̂~k,s
.
e k −1
Für die mittlere Energie der Photonen mit Impuls ~k und Polarisation s folgt
D
D
E
E 1 ~ω
~ωk
k
=
.
E{n~k,s } = ~ωk
n̂~k,s +
+ β~ω
2
2
e k −1
Mit diesem Ergebnis können wir die mittlere Energie im Frequentzintervall [ω, ω+
dω] bestimmen
[2 V D(ω)dω] [~ω]
1
eβ~ω
−1
,
wobei die erste Klammer die Zahl der Moden in [ω, ω + dω] angibt (D(ω) ist die
Zustandsdichte pro Polarisationsrichtung und Volumen), die zweite die Energie
und die dritte die Besetzungszahl. Wir haben den Beitrag der temperaturunabhängigen Nullpunktsenergie weggelassen. Für die Zahl der Moden gilt
V D(ω)dω = Zahl der ~k-Vektoren mit Modenenergie in [ω, ω + dω]
Volumen einer Kugelschale im ~k-Raum
=
Volumen eines ~k-Vektors
2
4πk dk
=
(2π/L)3
1 4πω 2 dω
V ,
= 3
c (2π)3
186
KAPITEL 5. QUANTENSTATISTIK
wobei wir im letzten Schritt ωk = ck verwendet haben. Damit folgt für die Zustandsdichte
ω2
D(ω) = 2 3 .
2π c
Die mittlere Energie pro Volumen und Frequenzintervall ist damit
W (ω) = 2D(ω)
ω2
~ω
~ω
=
.
β~ω
2
3
β~ω
e
−1
π c e
−1
Dies ist das Plancksche Strahlungsgesetz. Die Frequenzabhängigkeit ist folgend
skizziert.
2 3 2 3
π c h β W(ω)
2
1.5
1
0.5
0
0
2.82
5
10
hω/(kBT)
Das Maximum liegt bei ~ωmax ≈ 2.82kB T . Dieses Wiensche Verschiebungsgesetz
gibt an, wie sich das Maximum mit der Temperatur des Wärmebads (der Wände)
verschiebt. Für ~ω ≪ kB T erhält man das Rayleigh-Jeans-Gesetz
W (ω) ≈
ω2
kB T
π 2 c3
welches als fett gedruckte gestrichelte Linie in der obigen Skizze eingezeichnet ist.
Es entspricht dem klassischen Gleichverteilungssatz
W (ω) = 2D(ω)kB T ,
mit der mittleren Energie kB T eines klassischen harmonischen Oszillators. Die
klassische Behandlung führt auf eine Ultraviolettkatatstrophe: Jede Mode, auch
187
5.7. PHOTONEN UND PHONONEN
die mit hoher Frequenz, bekommt nach dem Gleichverteilungssatz die mittlere
Energie kB T . Da die Zustandsdichte mit ω 2 anwächst führen die hohen Frequenzen zu einer unendlichen Gesamtenergie, die sich durch Integration über W (ω)
ergibt. Eine rein klassische Betrachtung der Hohlraumstrahlung führt also zu unphysikalischen Ergebnissen die auch im Widerspruch zu gemessenen Verteilungen
stehen. Diese Situation hat Planck 1900 dazu geführt ad-hoc anzunehmen, daß die
Energie jeder Schwingung nur in diskreten Quanten vorkommen kann. Dies war
ein wichtiger Schritt bei der Entwicklung der Quantenmechanik. Für ~ω ≫ kB T
folgt das Wiensche Gesetz
ω2
W (ω) ≈ 2 3 ~ω e−~ω/(kB T ) .
π c
Das “Photonengas” abschließend wollen wir die freie Energie, innere Energie
und den Strahlungsdruck berechnen. Die kanonische Zustandssumme ergibt sich
als Produkt von Zustandssummen Z~k,s unabhängiger Oszillatoren. Es gilt
Z = e−βE0
Y
Z~k,s , E0 =
~k,s
X ~ωk
~k,s
2
mit
Z~k,s =
∞
X
e−β~ωk n =
n=0
1
.
1 − e−β~ωk
Dabei ist E0 die Nullpunktsenergie, die zwar divergiert, aber in allen Erwartungswerten als Konstante herausfällt. Wir lassen sie daher im Folgenden weg. Die freie
Energie ist durch
F = −kB T ln Z
X
= −kB T
ln Z~k,s
~k,s
= kB T
X
~k,s
≈ 2kB T V
ln 1 − e−β~ωk
Z
0
∞
D(ω) ln 1 − e−β~ω dω
gegeben, wobei wir im letzten Schritt große V angenommen haben. Diese Formel ist (bis auf die Nullpunktsenergie) äquivalent zu dem Ergebnis eines freien
Bosegases mit µ = 0. Nach den Überlegungen von Seite 164 gilt für eine lineare
Dispersion mit κ = 1 und für µ = 0 (was J = F impliziert)
1
F =− U ,
3
188
KAPITEL 5. QUANTENSTATISTIK
mit der inneren Energie U = hEi − E0 . Für U erhalten wir (große V )
~ωk
eβ~ωk − 1
~k,s
Z ∞
~ω
dω
≈ 2V
D(ω) β~ω
e
−1
0
Z ∞
V
~ω 3
=
dω
π 2 c3 0 eβ~ω − 1
4 Z ∞
1
x3
V
dx
~
=
π 2 c3 β~
ex − 1
0
{z
}
|
U =
X
π 4 /15
= V
π2
(kB T )4 .
15~3 c3
Dies ist das sogenannte Stefan-Boltzmann Gesetz. Für den Strahlungsdruck ergibt
sich dann
1U
π2
∂F
=
=
(kB T )4 .
P =−
∂V T
3V
45~3 c3
Abschließend wollen wir uns mit der statistischen Mechanik (Thermodynamik) von Gitterschwingungen eines kristallinien Festkörpers beschäftigen. Diese
können in harmonischer Näherung (Entwicklung des Potentials bis zur zweiten
Ordnung in der Auslenkung um die Ruhelage), d.h. bei kleiner Auslenkung, als
Überglagerung von unabhängigen harmonischen Oszillationen dargestellt werden.
Wie für das elektromagnetische Feld werden diese Schwingungen quantisiert, was
uns auf die Phononen führt. In der Vorlesung zur Festkörperphysik wird gezeigt,
daß das Phononespektrum für einen dreidimensionalen Ionenkristall (Metall) die
folgend skizzierte Form hat.
ω k,s
−π /a j
π /a j k j
189
5.7. PHOTONEN UND PHONONEN
Dabei kann j die Werte 1, 2 und 3 annehmen und aj bezeichnet die Gitterkonstante in die j-Richtung. Die drei Zweige mit linearer Dispersion bei kleinen k
sind die akustischen Zweige. Es gibt 3(r − 1) sogenannte optischen Zweige mit
nahezu konstanter Frequenz, wobei r die Zahl der Atome pro Elementarzelle des
Gitters bezeichnet (siehe Vorlesung zur Festkörperphysik). Die akustischen Moden kann man noch in zwei transversale und eine longitudinale Mode unterteilen.
Für ka ≪ 1 (wobei a eine “typische” Gitterkonstante ist) gilt für die akustischen
Moden
ω~ ≈ cs (~k/k) k ,
k,s
wobei cs (~k/k) die richtungsabhängige Schallgeschwindigkeit bezeichnet. Für isotrope Kristalle hängt cs nicht von der Richtung ab. Für einen endlichen Krsitall
mit N Gitterpunkten, sind die ~k diskret und es gibt genau 3N Frequenzen. Die
komplizierte Form der ~k-Abhängigkeit der Frequenzen wird oft qualitativ im Rahmen des sogenannten Debyemodells beschrieben. In diesem vernachlässigt man die
Unterschiede zwischen den verschiedenen Zweigen und setzt
ω~k = ωk = ck
für 0 ≤ ωk < ωD , mit der Debyefrequenz ωD . Man geht also von einer isotropen
und linearen Dispersionsrelation mit mittlerer Schallgeschwindigkeit c aus. Die
Debyefrequenz ist dabei so festzulegen, daß die totale Zahl der Frequenzen wie
gefordert gleich 3N ist
Z ωD
X
≈V
D(ω)dω = 3N .
~k
0
Dabei bezeichnet D(ω) die Zustandsdichte pro Volumen für die wir, wie für die
vereinfachte Dispersion wie bei Photonen,
ω2
2π 2 c3
erhalten. Ausgedrückt durch die Zustandsdichte, stellt das Debyemodell die folgend skizzierte Vereinfachung dar.
D(ω) =
D(ω)
opt.
akust.
ωD
ω
190
KAPITEL 5. QUANTENSTATISTIK
Da das Modell die reale Zustandsdichte bei sehr kleinen Energie gut beschreibt,
können wir davon ausgehen, daß es eine gute Beschreibung der Thermodynamik
bei hinreichend kleinen Temperaturen kB T ≪ ~ωD liefert. Diese Erwartung wird
zusätzlich durch unsere Rechnungen zum Einsteinmodell unterstützt. Dieses Modell beschreibt die optischen Phononen. Wir hatten gesehen, daß die Energielücke
(wegen nahezu ~k-unabhängiger Frequenz) zu einer exponentiellen Unterdrückung
der spezifischen Wärme bei kleinen T führt. Der Beitrag der optischen Phononen
ist also bei kleinen T vernachlässigbar. Für ωD ergibt sich
Z ωD
V
ω 2 dω = 3N ⇒ ωD = 91/3 (2π 2 )1/3 n1/3 c .
2π 2 c3 0
Da n1/3 der mittlere Abstand der Atome (Ionenrümpfe) darstellt, erhalten wir
als Größenordnung für ωD
~ωD ∼ ~c/aB =
c
e2
me2
∼ 10−2 eV ∼ kB 100 K .
mc2Licht
c=
~
~cLicht | {z } cLicht
| {z } ∼0.5 MeV | {z }
∼1/137
∼10−6
Für die Debyetemperatur
kB TD = ~ωD
ergibt sich TD ∼ 100K.
Wir wollen nun die innere Energie und die spezifische Wärme des Debyemodells berechnen. Dazu schreiben wir
ω2
D(ω) = 9n 3 .
ωD
Damit folgt
U =
=
=
=
~ω
~ω
dω
V
+ β~ω
D(ω)
2
e
−1
0
!
3 3
Z ωD
1
ω
1 ω
dω
+
9N~
2 ωD
ωD eβ~ω − 1
0
Z 1
1 3
x3
9N~ωD
dx
x + xT /T
2
e D −1
0
4 Z TD /T
T
x3
9
NkB TD + 9NkB TD
dx .
8
TD
ex − 1
0
Z
ωD
Im Limes T ≪ TD , in dem das Modell entsprechend der obigen Überlegungen die
Thermodynamik von Gitterschwingungen gut beschrieben sollte, folgt mit
Z TD /T
Z ∞
Z ∞
x3
π4
→
,
dx
=
ex − 1
15
0
0
0
5.7. PHOTONEN UND PHONONEN
191
das Ergebnis
4
9
3π 4
T
U ≈
NkB TD +
NkB TD
,
8
5
TD
3
12π 4
T
∂U
≈
NkB
,
CV =
∂T V
5
TD
also ein kubische Abhängigkeit der spezifische Wärme von der Temperatur. Für
ein (dreidimensionales) Metall gibt es somit bei kleinen Temperaturen einen Beitrag ∝ T von den Leitungselektronen und einen Beitrag ∝ T 3 von den Phononen
(Gitterschwingungen) zur spezifischen Wärme. Diese Vorhersagen sind experimentell sehr gut bestätigt. Für T ≫ TD gilt im Debyemodell
3
Z TD /T
Z TD /T
x3
1 TD
2
dx ≈
x dx =
ex − 1
3
T
0
0
und damit
9
NkB TD + 3NkB T ,
8
≈ 3NkB ,
U ≈
CV
wie aus dem klassischen Gleichverteilungssatz zu erwarten.
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