Aminosäuren und Proteine

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Basiswissen aktualisiert
Aminosäuren und Proteine
Teil 1: Aminosäuren
Berthold Gaßmann, Nuthetal
Neue Erkenntnisse haben in den letzten Jahren das Grundlagenwissen im Bereich Ernährung stark erweitert. Das war Anlass, das erstmals vor zehn Jahren in der Ernährungs-Umschau erschienene „Basiswissen aktualisiert“ zu überarbeiten. Der erste Beitrag der neuen
Reihe befasst sich mit den Aminosäuren. Weitere Artikel werden folgen und komprimiert Grundlagenwissen über Nährstoffe und andere der Gesundheit dienende Nahrungsinhaltsstoffe vermitteln.
Aminosäure Abk.
Mr
pK1
pK2
(–COOH) (–NH3+)
Unpolare, aliphatische Seitenketten
Glycin
Gly
75
2,35
Alanin
Ala
89
2,35
Valin
Val
117
2,29
Leucin
Leu
131
2,33
Isoleucin
Ile
131
2,32
Methionin
Met
149
2,28
9,78
9,87
9,74
9,74
9,76
9,21
Aromatische Seitenketten
Phenylalanin Phe
165
Tyrosin
Tyr
181
Tryptophan
Trp
204
2,16
2,20
2,43
9,18
9,11
9,44
Polare, ungeladene Seitenketten
Serin
Ser
105
Prolin
Pro
115
Threonin
Thr
119
Cystein
Cys
121
Asparagin
Asn
132
Glutamin
Gln
146
2,19
1,95
2,09
1,92
2,10
2,17
9,21
10,64
9,10
10,46
8,84
9,13
Positiv geladene Seitenketten
Lysin
Lys
146
Histidin
His
155
Arginin
Arg
174
2,16
1,80
1,83
9,18
9,76
8,99
Negativ geladene Seitenketten
Aspartat
Asp
133
Glutamat
Glu
147
1,99
2,10
9,90
9,47
pKR (Sei- pI
tenkette)
Vorkommen in
Proteinen (%)
5,97
6,01
5,97
5,98
6,02
5,74
7,2
7,8
6,6
9,1
5,3
2,3
5,48
5,66
5,89
3,9
3,2
1,4
5,68
6,48
5,87
5,07
5,41
5,65
6,8
5,2
5,9
1,9
4,3
4,2
10,79
6,04
12,48
9,74
7,59
10,76
5,9
2,3
5,1
3,90
4,07
2,77
3,22
5,3
6,3
10,13
8,35
Abk. = zumeist gebräuchliche Abkürzung; Mr = relative Molmasse in g/mol; pK1, 2, R = Dissoziationskonstanten (R = Seitenkette); pI =isoelektrischer Punkt; Vorkommen = Durchschnitt von 1 150 Proteinen
Ernährungs-Umschau 53 (2006) Heft 4
|
||
Tab. 1: Klassifizierung und Eigenschaften der proteinogenen Aminosäuren
H
O
|
R–C–C
| 䊝 O䊞
N
H | H
H
|
Die in allen lebenden Zellen und Körperflüssigkeiten, frei oder als Bausteine von Proteinen und Peptiden stets in
der L-Form vorkommenden 20 (proteinogenen) Aminosäuren (AS) enthalten bis auf eine Iminosäure (Prolin) in
α-Stellung zur endständigen Carboxylgruppe (-COOH) eine Aminogruppe
(NH2-) sowie eine charakteristische
Seitenkette (-R-). Bei nicht ionisierenden Seitenketten sind AS zweiprotonige Säuren (+H3NCHRCOOH). Steigt der
pH-Wert an, bildet sich beim isoelek-
trischen Punkt (IP) eine dipolare, d. h.
zwitterionische Form (+H3NCHRCOO–),
die elektrisch neutral ist (Abb. 1). Eine
weitere Zunahme des pH-Wertes führt
zum Verlust eines zweiten Protons, so
dass die ionische Form H2NCHRCOO–
entsteht. Sind die Seitenketten polarisierbar, können je nach dem pH-Wert
und dem pKa-Wert (Dissoziationskonstante) der Seitenkette noch andere
Dissoziationsformen hinzu kommen.
Demzufolge weisen AS unterschiedliche Säure-Basen-Eigenschaften auf. In
Tabelle 1 sind für die nach der Art der
Seitenketten gegliederten proteinogenen AS die gebräuchlichen Abkürzun-
|
Chemie, Definition,
Klassifizierung
Abb. 1: Zwitterionen-Struktur einer Aminosäure
gen, die relativen Molekülmassen (Mr),
pK- und pI-Werte sowie das ungefähre
prozentuale Vorkommen in Proteinen
angegeben.
Charakteristik und inter- wie intramolekulare Wechselwirkungen von AS
hängen davon ab, ob ihre Seitenketten
aliphatischer, benzoider oder heterozyklischer Natur und wie sie formuliert
sind. Je nach isoelektrischem Punkt
werden AS entweder als sauer oder als
basisch klassifiziert. Alternativ dazu
werden sie entsprechend ihrer Seitenketten als hydrophob (unpolar) oder
als hydrophil (polar) gekennzeichnet
und demzufolge eingeteilt in:
1. neutral und hydrophob (Gly, Ala,
Val, Leu, Ile, Pro, Met, Phe, Trp),
2. neutral und hydrophil (Tyr, Ser, Thr,
Cys, Asn, Gln),
3. sauer und hydrophil (Asp, Glu),
4. basisch und hydrophil (Lys, His,
Arg).
Außer den als proteinogen angeführten 20 AS gibt es mit dem Selenocystein (Bestandteil von Untereinheiten
der Glutathionperoxidase) noch eine
weitere. Ihrer Bildung liegt eine ungewöhnliche Dekodierung der mRNA bei
der Proteinbiosynthese (Translation)
zugrunde; denn dazu wird das Codon
UGA benutzt, das sonst als Terminationscodon dient (vgl. Teil II). Einige
137
Basiswissen aktualisiert
Oxidation zu
Harnstoff, CO22 und H22O
Nahrungsprotein
Aminosäuren
Peptide
Gewebeprotein
Umwandlung in
andere Komponenten
Abb. 2: Schematische Darstellung des Aminosäuren-Stoffwechsels
AS entstehen ferner durch Modifizierungen erst posttranslational im Peptidverband: δ-Hydroxylysin und γHydroxyprolin (im Kollagen), 3-Methylhistidin (in den kontraktilen Proteinen Actin und Myosin) sowie γ-Carboxyglutamat in Pro- und Antikoagulanzien der Blutgerinnung sowie im
Osteocalcin. Beim Proteinabbau frei
gesetzt, werden diese AS nicht wiederverwertet, sondern metabolisiert oder
im Urin ausgeschieden. Die Hydroxylgruppen von Serin, Threonin und Tyrosin können phosporyliert oder glykolysiert werden und dadurch zur Calciumbindung bzw. zum Entstehen von
Glykoproteinen und Proteoglykanen
führen. Überdies kommt es translational zu Acetylierungen und Konversionen von AS. Zu den vermutlich mehr
als Tausend in der Natur vorkommenden AS rechnen auch die nicht als proteinogen geltenden körpereigenen AS
Ornithin und Citrullin (Intermediate
des Harnstoffzyklus), γ-Aminobutyrat
(GABA; Neurotransmitter) und Homocystein (Intermediat bei der Cysteinbildung aus Methionin).
Wegen des Chiralitätszentrums am
α-C-Atom können mikrobiell und bei
einer Alkali- und Hitzeeinwirkung auf
Proteine (z. B. in Laugengebäck) als
Enantiomere zusätzlich D-Aminosäuren entstehen und geringfügig in Lebensmittel gelangen. Sie stören den
Translationsvorgang und werden bei
der Proteinbiosynthese nicht in die
wachsenden Peptidketten eingefügt.
Es wird angenommen, dass es Aufgabe
einer in den Peroxisomen vorkommenden D-Aminosäuren-Oxidase ist,
sie durch eine dehydrierende Desaminierung zu eliminieren.
Die (temperaturabhängige) Löslichkeit der AS in Wasser ist sehr unterschiedlich. Neben dem extrem löslichen Prolin sind auch Hydroxyprolin,
Glycin und Alanin gut löslich. Sehr
schwer löslich sind Cystin (zwei über
eine Disulfidbrücke miteinander verknüpfte Cysteinreste) und Tyrosin. Ein
Zusatz von Säure oder Alkali erhöht
die Löslichkeit durch Salzbildung. Die
Anwesenheit anderer AS setzt die Löslichkeit im allgemeinen gleichfalls herauf (z. B. in Proteinhydrolysaten).
Beim Backen, Braten, Fritieren und
Kochen entwickelt sich in vielen Lebensmitteln ein für den erhitzten Zustand typisches Aroma, an dem AS als
Vorläufer beteiligt sind. Die charakteristischen Aromastoffe bilden sich zumeist über die Maillard-Reaktion und
sind insbesondere Folgeprodukte von
Polyamine
Citrullin
(Zelldifferenzierung)
Harnstoff
(NH44+-Detoxifizierung)
Ornithin
Arginin
Prolin
Agmatin
(Hepatocyten-DNAund Proteinsynthese)
(Zellsignalmoleküle)
Stickstoffmonoxid
(Vasodilatation,
antimikrobielle Wirkung,
Neurotransmission)
Kreatin
Hydroxyprolin
(Kollagensynthese)
Abb. 3: Spezifische Funktionen des Arginin-Stoffwechsels
138
(Energiequelle in der
Skelettmuskulatur und
in Nervenzellen)
Cystein, Methionin, Ornithin und Prolin. Soweit in proteinreichen Lebensmitteln hydrolytische Vorgänge ablaufen (z. B. bei Fleisch, Fisch und Käse),
können AS selbst zum Geschmack
beitragen. Die Geschmacksintensität
hängt von der Hydrophobität der Seitenkette ab, die Geschmacksqualität
von der Konfiguration. Süße AS finden
sich überwiegend in der D-, bittere in
der L-Reihe. L-Tryptophan ist neben
L-Tyrosin die bitterste, D-Tryptophan
die mit Abstand süßeste Aminosäure.
L-Glutaminsäure nimmt eine Sonderstellung ein. Sie schmeckt in höheren
Konzentrationen nach Fleischbrühe,
wohingegen sie in niedrigen den Eigengeschmack eines Lebensmittels
verstärkt.
L-Methionin
schmeckt
schwefelartig.
Stoffwechsel
Die Aminosäuren des menschlichen
Organismus stammen aus drei Quellen: den Nahrungsproteinen, der Biosynthese aus anderen metabolischen
Intermediaten und vor allem dem Abbau von Gewebeproteinen. In vergleichbarer Weise dreifach sind die
Stoffwechselwege vorbestimmt: Proteinsynthese, Oxidation zu Kohlendioxid, Wasser und Harnstoff sowie Bildung anderer niedermolekularer Verbindungen (Abb. 2).
AS, die aus der Nahrung stammen
und mit dem Portalvenenblut in die
Leber gelangen, werden dort zu rund
75 % verstoffwechselt. Ihr Abbau erfolgt vornehmlich über Decarboxylierungen, Transaminierungen oder oxidative Desaminierungen, bei denen
biogene Amine und 2-Oxosäuren entstehen. Die verbleibenden 25 % treten
in die systemische Zirkulation ein und
erreichen mit ihr die anderen Körpergewebe. Im steady state des ständigen
Auf- und Abbaues von Körperproteinen befinden sich Synthese- und Katabolismusrate im Gleichgewicht. Der
Umsatz beträgt bei Erwachsenen täglich etwa 300 g (4g/kg/Tag), das sind
3- bis 4-mal soviel wie die tägliche Proteinzufuhr mit der Nahrung. Damit
verbunden ist jedoch weder ein Verbrauch an AS, noch besteht ein Zusammenhang zwischen dem Turnover
sowie der AS-Katabolie und -Oxidation. Ohne ein effizientes AS-Recycling
wäre dies nicht denkbar.
Freie AS gibt es zwar in allen Zellen
und in der extrazellulären Flüssigkeit,
aber insgesamt bestreiten diese nur ca.
2 % des gesamten Körpergehalts an
Aminosäuren. Mit Hilfe einer Vielzahl
Ernährungs-Umschau 53 (2006) Heft 4
Basiswissen aktualisiert
von Transportmechanismen werden
sie – spezifisch für einzelne AS-Gruppen – zwischen Geweben, Plasma,
Erythrozyten und Körperzellen transportiert. Ihre Konzentration wird vornehmlich durch Modulation der Stoffwechselwege und nur im Falle der entbehrlichen AS durch deren Syntheserate reguliert. Vieles spricht dafür, dass
Ausmaß und Geschwindigkeit der Biosynthese wie des Abbaues von Proteinen von der (exogenen) Versorgung
mit AS bestimmt werden und dass
mindestens noch ein weiterer homöostatischer Mechanismus die Konzentration der freien AS innerhalb sicherer Grenzen gewährleistet. Der gesamte Bestand an freien AS wird täglich
3- bis 4-mal umgesetzt.
Die beim Katabolismus von Gewebeproteinen frei gesetzten AS kehren
entweder in den Gesamt-AS-Pool zurück und werden wiederverwertet,
oder sie werden desaminiert und verstoffwechselt. Unter besonderen Umständen wie Hunger, Diabetes mellitus
und fettreicher Kost gehen sie in die
Glukoneogenese und hierüber in den
Energiestoffwechsel ein. Soweit dies
erfolgt, werden die AS als glukogen bezeichnet. Ausgenommen davon sind
Leucin und Lysin; denn beide können
nicht in Glukose umgewandelt werden. Aus ihnen werden vielmehr Acetoacetat und weitere Ketonkörper gebildet; diese können zwar auch als
Energiequellen dienen, aber das geschieht nur in extrahepatischen Geweben. Leu und Lys werden darum als ketogene Aminosäuren klassifiziert. Glukogene wie ketogene Abbauprodukte
liefern Ile, Phe, Trp , Tyr, Met und Cys.
Für den Stoffwechsel wesentlich ist
eine Kompartimentierung der freien
AS in verschiedenen Pools (Plasma,
Muskulatur, Leber). Die Entfernung
von Aminogruppen findet bei den
meisten AS durch Transaminierungen
und vornehmlich in der Leber statt.
Verzweigtkettige AS werden allerdings
in der Skelett- und Herzmuskulatur
sowie im Fettgewebe transaminiert.
Hauptorgan einer intensiven Desaminierung von Glutamin, das etwa die
Hälfte aller freien Aminosäuren bestreitet, ist die Niere. Dort hält das entstehende Ammonium-Ion das SäureBasen-Gleichgewicht aufrecht und reguliert den pH-Wert des Urins.
Bei der Transaminierung von AS in
der Leber ist 2-Oxoglutarat der Hauptakzeptor für die abgespaltenen Aminogruppen und Lieferant von Glutamat. Dessen dehydrierende Desaminierung führt darüber hinaus zur FreiErnährungs-Umschau 53 (2006) Heft 4
Arginin
Kreatin
Methionin
(Bestandteil/Energiequelle in Skelettmuskulatur)
Glycin
Serin
Glutathion
Cystein
Cystin
(Antioxidanz)
(Proteinfaltung)
(Schwefelspeicher)
Taurin
(Gallensäurenkonjugation,
Nervenzellenentwicklung,
Regulation des Zellmembranpotenzials, Kalziumtransport,
Antioxidanz)
Abb. 4: Spezifische Funktionen schwefelhaltiger Aminosäuren
setzung von Ammoniak (NH3); dieses
würde sich als hoch toxische Substanz
anhäufen, könnte es nicht in einem
Reaktionszyklus (über Arginin, Ornithin und Citrullin) in Harnstoff umgewandelt und in dieser Form mit dem
Urin ausgeschieden werden. Die Ausscheidungsprodukte sind allerdings
vielfältiger, da AS zur Synthese anderer
N-haltiger Verbindungen herangezogen werden (Purinbasen, Kreatin,
Adrenalin u. a.). Neben Harnstoff und
Ammoniumsalzen finden sich im
Harn darum vor allem noch Harnsäure
und Kreatinin.
Ausschluss und Supplementierung von Aminosäuren der Nahrung
Bei knapp einem Dutzend bisher bekannt gewordener erblicher Störungen des Um- und Abbaues oder des
Transports von AS kann es zur Anhäufung von Metaboliten mit neuround/oder hepatotoxischer Wirkung
kommen, die als Aminoacidopathien
diagnostisch zumeist über Serumund/oder Harnanalysen erfasst werden. Die bekanntesten von ihnen sind
die auf einem Defekt der Phenylala-
ninhydroxylase beruhende Phenylketonurie und die nach dem Geruch des
Harns benannte Ahornsirup-Krankheit. Bei ihr ist der Abbau verzweigtkettiger AS (Val, Leu, Ile) gestört. Beide
Krankheiten haben bereits in den ersten Lebenswochen Schädigungen des
ZNS davon betroffener Säuglinge zur
Folge, wenn diese nicht mit Aminosäurenmischungen ernährt werden,
die frei von Phe bzw. von Val, Leu und
Ile sind.
Je nach Krankheitsbild unterschiedlich zusammengesetzte und dosierte
Mischungen von AS (10- bis 15%ige
wässrige Lösungen) werden – meist
parenteral – auch zur Versorgung von
schwerkranken Patienten eingesetzt,
die nicht ausreichend essen dürfen,
können oder wollen.
Weil einige AS bestimmte Funktionen ausüben, werden sie in defizitären
und anderen klinischen Situationen
(z. B. Niereninsuffizienz, Malabsorption) zur Lebenserhaltung in nährstoffdefinierten Formeldiäten (z. B. Arg
und Gln) oder zur diätetischen Unterstützung arzneilicher Therapien kontrolliert als „diätetische Lebensmittel
für besondere medizinische Zwecke“
eingesetzt (bilanzierte bzw. ergänzende bilanzierte Diäten). Vor allem we-
Tab. 2: Aufgliederung der in der Nahrung des Menschen enthaltenen Aminosäuren
unentbehrliche
entbehrliche
konditionell
unentbehrliche
Vorläufer von konditionell
unentbehrlichen AS
Histidin
Isoleucin
Leucin
Lysin
Methionin
Phenylalanin
Threonin
Tryptophan
Valin
Alanin
Asparaginsäure
Asparagin
Glutaminsäure
Serin
Arginin
Cystein
Glutamin
Glycin
Prolin
Tyrosin
Glutamin/Glutamat, Aspartat
Methionin, Serin
Glutaminsäure, Ammoniak
Serin, Cholin
Glutamat
Phenylalanin
139
Basiswissen aktualisiert
gen der Ergebnisse tierexperimenteller
Untersuchungen wird ferner versucht,
mit AS-Zusammenstellungen die Immunkompetenz zu verbessern.
Daneben werden AS mehr oder weniger spekulativ supplementiert. Ein
Beispiel dafür und für die damit angestrebten Ziele bietet Arginin, das über
die Harnstoff- und Kreatinsynthese
hinaus eine spezifische Rolle bei der
Synthese bedeutsamer bioaktiver
Substanzen wie NO (Stickstoffmonoxid), Agmatin, Prolin, Hydroxyprolin
und Polyaminen spielt (Abb. 3). Vergleichbar bestellt ist es um Cystein,
das wegen der schlechten Löslichkeit
oft in Form von N-Acetylcystein eingebracht und u. a. in Taurin (2-Aminomethansulfonsäure) umgewandelt
wird (Abb. 4). Humanuntersuchungen
über die Wirksamkeit von Taurin in so
genannten Energydrinks (z. B. Kontrolle der Kontraktion von Herzmuskelzellen oder Erhöhung der Konzentrationsfähigkeit) sind jedoch spärlich
und von begrenzter Aussagekraft.
Tryptophan wird zwar vornehmlich
oxidativ abgebaut, aber daneben entsteht im ZNS aus ihm Serotonin
(5-Hydroxytryptamin); dieses beeinflusst als Neurotransmitter u. a. die
Stimmung und den Schlaf-WachRhythmus. Die Auslobung von Tryptophan als „smart drug“ zur Reduktion
von Symptomen wie Depressionen,
Ängstlichkeit,
Zwangsvorstellungen
u. ä. ist jedoch nicht hinreichend begründet.
Bedarf und empfohlene
Zufuhren
Hinsichtlich ihrer Zufuhr mit der Nahrung des Menschen werden die proteinogenen AS in unentbehrliche, entbehrliche, konditionell unentbehrliTab. 3: Zusammensetzung des Gesamtkörperproteins an unentbehrlichen Aminosäuren (in mg/g Protein ± Standardabweichung)
Aminosäure
mg/g Gesamtkörperprotein
Histidin
27 ± 2
Isoleucin
35 ± 3
Leucin
75 ± 2
Lysin
73 ± 3
Methionin + Cystein
35 ± 1
Phenylalanin + Tyrosin 73 ± 4
Threonin
42 ± 3
Tryptophan
12 (keine ausreichenden Daten)
Valin
49 ± 4
140
che und Vorläufer von konditionell unentbehrlichen aufgeteilt. Aus Tabelle 2
ist dies ersichtlich. Die unentbehrlichen AS müssen zugeführt werden,
um den Aufbau und Erhalt der Körpersubstanz sowie die Homöostase der
Zusammensetzung des Gesamtkörperproteins (Tab. 3) abzusichern. Essenziell sind davon, streng genommen, nur Lys und Thr; denn die anderen unentbehrlichen AS können prinzipiell (wenngleich nicht hinreichend)
auch endogen durch Transaminierung
aus den entsprechenden Oxosäuren
gebildet werden. Allerdings wird in der
Ernährungspraxis die Proteinqualität
einer gemischten Kost außer durch
den Gehalt an Lys und Thr zumeist
noch durch den an Trp und an den
schwefelhaltigen AS (Cys, Met) begrenzt. Sofern das Nahrungsproteingemisch mangelhaft mit unentbehrlichen AS ausgestattet ist, kann die
ständig erforderliche Proteinresynthese nicht ordnungsgemäß gewährleistet
werden.
Konditionell unentbehrliche AS
sind dadurch charakterisiert, dass sie
der Zufuhr mit der Nahrung bedürfen,
sobald die endogene Synthese infolge
Krankheit oder Malnutrition den
metabolischen Bedarf nicht deckt. Obwohl His in Tabelle 2 als unentbehrlich
aufgeführt ist, erfüllt es, anders als die
übrigen unentbehrlichen AS, nicht die
üblicherweise angewandten Kriterien
einer Verringerung der Proteineinlagerung und des Eintretens eines negativen Stickstoff-Gleichgewichts nach
Ausschluss aus der Kost. Deshalb wird
His nach wie vor oft als für den erwachsenden Menschen nicht essenziell betrachtet.
In Bezug auf Bedarf und Empfehlungen differenziert man zwischen
dem metabolischen AS-Bedarf (metabolic demand for amino acids), den
über die Nahrung zum Decken des
metabolischen Bedarfs aufzubringenden Mengen an Proteinen und/oder
deren AS (dietary requirement) sowie
der die Variabilität der individuellen
Bedarfswerte berücksichtigenden empfohlenen Zufuhr (dietary allowance).
Der metabolische AS-Bedarf ergibt
sich aus der Notwendigkeit, den Gewebeproteinspiegel und die Versorgung mit allen benötigten Metaboliten
aufrecht zu erhalten, die sich von AS
ableiten. Des Weiteren ist es zwingend
erforderlich, zusätzlich durch Wachstum, Rehabilitation, Schwangerschaft
und Laktation erwachsende Bedarfslücken zu verhindern. Mit benötigten
Metaboliten gemeint sind außer den
bereits angeführten (Nukleinsäuren,
Kreatin, Taurin, Glutathion und Stickstoffmonoxid sowie Signalmolekülen
wie Agmatin und Neurotransmittern
wie Serotonin) noch einige, bisher
nicht erwähnte Hormone wie Catecholamine und Thyroxin.
Der metabolische Bedarf wird aus
dem in engen Grenzen regulierten Bestand der freien AS befriedigt. Zu dessen Erhalten trägt außer dem Nachschub aus der Nahrung und dem nach
der Proteolyse im Proteinturnover aus
Gewebeproteinen verfügbaren ASPool die De-novo-Synthese von AS bei.
Eingeschlossen ist eine gewisse AS-Bildung, die bei der mikrobiellen Verwertung von Harnstoff im Dickdarm abläuft. Es wird angenommen, dass der
sich auf irreversiblen Stoffwechselpfaden ergebende AS-Verlust gleich dem
obligatorischen Stickstoffverlust ist.
Darunter versteht man die Summe aller Stickstoffabgänge aus dem Organismus über die Niere (Urin), den
Darm (Faezes), die Haut (Schweiß,
Hautzellen) sowie über Nägel und
Haare (durch Schneiden bzw. Ausfallen) und andere Wege, die bei einer
zwar proteinfreien, aber anderweitig
adäquaten Kostform über 7–14 Tagen
gemessen werden. Diese betragen
beim normalen Erwachsenen 47 mg/
kg/Tag. Bezogen auf die AS von Gewebeproteinen, entspricht das einem
Äquivalent von 0,29 g Protein/kg/
Tag (g N x 6,25 = g Protein). Da jedoch
die AS-Muster von Nahrungsproteinen nicht mit denen der menschlichen Gewebe übereinstimmen und
dadurch so gut wie jedes zugeführte
Protein „minderwertig“ ist, liegt das
aktuelle Äquivalent gewöhnlich darüber. Außerdem enthält der metabolische AS-Bedarf noch adaptive Komponenten. Diese sind beispielsweise dadurch bedingt, dass die AS-Oxidation
als Folge einer gesteigerten Stoffwechselaktivität (z. B. bei körperlicher Tätigkeit, Verletzungen oder Stress) mit
dem habituellen Proteinverzehr variiert. Normalerweise werden allein vom
Grundumsatz mindestens 20 % der
Energie bestritten, um die erforderliche Biosynthese der Körperproteine
aufrecht zu erhalten.
In den US-amerikanischen Dietary
Reference Intakes (DRI) von 2002 sind
zum ersten Mal für alle unentbehrlichen AS alters- und z. T. ebenso geschlechtsabhängig „empfohlene Tageszufuhren“ (RDA) und für das 1. Lebenshalbjahr „angemessene Tageszufuhren“ (AI) angegeben worden. Die Zahlenwerte sind in Tabelle 4 aufgelistet.
Ernährungs-Umschau 53 (2006) Heft 4
Basiswissen aktualisiert
Die AI-Werte wurden aus Tab. 4: Empfohlene Zufuhren unentbehrlicher Aminosäuren [RDA (bzw. AI) in mg/kg/d]
einer durchschnittlichen
0–6 Mon.
7–12 1–3 J. 4–8 J. 9–13 J.
14–18 J. ≥ 19 J. Schwan- StilStillmenge von 0,78 L/Tag
(AI)
Mon.
么
乆
么
乆
gere
lende
und einem Gehalt der
Muttermilch an den einHistidin
23 (214 mg/d)
32
21
16
17
15
15
14
14
18
19
zelnen AS berechnet, der
Isoleucin
88 (529 mg/d)
43
28
22
22
21
21
19
19
25
30
sich im Mittel aus einschläLeucin
156 (938 mg/d)
93
63
49
49
47
47
44
42
56
62
gigen UntersuchungsreiLysin
107 (640 mg/d)
89
58
46
46
43
43
40
38
51
52
hen ergeben hatte. GeMethionin
wichtsbezogene AI-Anga+ Cystein
59 (353 mg/d)
43
28
22
22
21
21
19
19
25
26
ben beruhen auf einem
Phenylalanin
Referenzkörpergewicht von
+ Tyrosin
135 (807 mg/d)
84
54
41
41
38
38
35
33
44
51
6 kg.
Threonin
73 (436 mg/d)
49
32
24
24
22
22
21
20
26
30
Für den Altersbereich
Tryptophan
28 (167 mg/d)
13
8
6
6
6
6
5
5
7
9
des Wachstums (7 Monate
Valin
87 (519 mg/d)
58
37
28
28
27
27
24
24
31
35
bis 18 Jahre) hat man sich
einer faktoriellen Methode
des AS-Bedarfs ähnlich derjenigen des
bedient. Darin ist als Komponente
Weiterführende Literatur:
1. Caballero B, Allen L, Prentice A (Eds.): EncycloProteinbedarfs ist, d. h., dass der Variazum einen der wachstumsbedingte
pedia of Human Nutrition. Elsevier Academic
tionskoeffizient des Mittelwertes 12 %
Bedarf eingegangen. Dieser errechnet
Press, Amsterdam 2005
beträgt. Das gilt auch für Schwangere
sich aus der Rate der Proteineinlage2. Hahn A, Ströhle A, Wolters M: Ernährung.
und Stillende (vgl. Teil 2).
rung (Gewebeneubildung), der ASPhysiologische Grundlagen, Prävention, Therapie. Wiss. Verlagsgesellschaft mbH, Stuttgart
Da es für Schwangere keine UnterZusammensetzung des Gesamtkör2005
suchungen zum AS-Bedarf gibt, wurde
perproteins (Tab. 3) und der Effizienz
3. Rehner G, Daniel H: Biochemie der Ernährung.
unterstellt, dass der Mehrbedarf an AS
der Proteinverwertung (vgl. Teil 2).
Spektrum Akad. Verl., Heidelberg, Berlin, 2.
proportional zu dem an Protein ist.
Zum anderen sind Ergebnisse experiAufl. 2002
4. Institute of Medicine of the National AcadeDer Quotient aus dem Durchschnittsmenteller Bestimmungen des Erhalmies: Dietary Reference Intakes for Energy,
bedarf (g Protein/kg/TAG) schwangetungsbedarfs an unentbehrlichen AS
Carbohydrate, Fiber, Fat, Fatty Acids, Cholestrer und nicht schwangerer Frauen bebei Kindern und Erwachsenen heranerol, Protein, and Amino Acids. The National
trägt 0,88 : 0,66 = 1,33 (vgl. Teil 2).
gezogen worden.
Academies Press, Washington, D. C., 2002.
5. Gaßmann B : Übersicht, Kommentar und VerDementsprechend sind auch für die
Um den Durchschnittsbedarf Ergleich mit den D-A-CH-Referenzwerten für
unentbehrlichen AS der jeweilige
wachsener an unentbehrlichen AS
Protein und Aminosäuren. Ernährungs-UmDurchschnittsbedarf mit 1,33 multifestzulegen, wurde auf Ergebnisse
schau 50 (2003) 178–183
pliziert und das Ergebnis abgerundet
zahlreicher, mit verschiedenen Me6. Kasper H: Ernährungsmedizin und Diätetik.
Urban & Fischer Verlag, München, Berlin, 10.
worden. Für die Berechnung des ASthoden bzw. Kriterien (Stickstoffbilanz,
Aufl. 2004
Durchschnittsbedarf von Stillenden
direkte Aminosäuren-Oxidation, 24-hhat man den mittleren Gehalt der MutAminosäurenbilanz und Indikatortermilch an den einzelnen AS während
Aminosäuren-Oxidation)
durchgeder ersten 6 Stillmonate (ausgedrückt
führter Untersuchungen zurückgegrifin mg/kg/Tag auf der Basis eines Refefen. Soweit sich dabei unterschiedlirenzgewichtes für erwachsene Frauen)
che Resultate ergeben haben, ist als
zum AS-Durchschnittsbedarf nicht
Durchschnittsbedarf der Mittelwert
stillender Frauen (in mg/kg/Tag) addaraus gebildet worden. Zur Ableitung
diert.
der jeweils empfohlenen Zufuhren
Anschrift des Verfassers :
(RDA) ist man angesichts der geringen
Prof. Dr. Berthold Gaßmann
Die Proteine werden im nachfolgenZahl verfügbarer Daten davon ausgeJean-Paul-Str. 12
den Teil 2 abgehandelt.
gangen, dass die Standardabweichung
14558 Nuthetal
Ernährungs-Umschau 53 (2006) Heft 4
141
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