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Handbuch der Psychologie
Band 12: Handbuch der Gesundheitspsychologie und Medizinischen Psychologie
Bearbeitet von
Prof. Dr. Dr. Jürgen Bengel, Prof. Dr. Matthias Jerusalem
1. Auflage 2009. Buch. 619 S. Hardcover
ISBN 978 3 8017 1843 5
Format (B x L): 16,5 x 24 cm
Weitere Fachgebiete > Psychologie > Sozialpsychologie > Gesundheitspsychologie
Zu Inhaltsverzeichnis
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Vorwort
Menschliches Erleben und Verhalten nimmt im Kontext von gesundheitlichen Belastungen und Risiken, deren Vermeidung bzw. Bewältigung sowie von Entstehung und Verlauf von Erkrankungen und Behinderungen einen zentralen Stellenwert ein. Dabei sind beispielsweise Themen wie der Zusammenhang zwischen
Persönlichkeit, Verhalten und Gesundheit bzw. Krankheit, zwischen Schutzfaktoren der Gesundheit und Stresserleben bzw. Stressbewältigung, aber auch zwischen
Krankheitsverarbeitung, Behandlungsmotivation und Therapeut-Patient-Beziehung zu untersuchen. Als theoretische Orientierung dient dabei das biopsychosoziale Modell.
Die Gesundheitspsychologie hat die Bedeutung menschlichen Erlebens und Verhaltens für Gesundheit und Krankheit zum Gegenstand. Von Beginn an hat sie auch
die Bedeutung psychologischer Aspekte in der Prävention und Gesundheitsförderung betont. Die Gesundheitspsychologie hat sich als Disziplin im Fächerkanon
der akademischen Psychologie entwickelt. In Deutschland ist sie in der Fachgruppe Gesundheitspsychologie innerhalb der Deutschen Gesellschaft für Psychologie (DGPs) organisiert. In ihr begegnen sich Vertreter der Allgemeinen
Psychologie, der Pädagogischen Psychologie, der Sozialpsychologie, der Entwicklungspsychologie, der Biologischen Psychologie, der Differentiellen Psychologie,
der Klinischen Psychologie und der Arbeits- und Organisationspsychologie.
Die Bedeutung psychologischer Fragestellungen für das Gesundheitswesen und
die Ausbildung von Ärzten wurde in Deutschland 1970 mit der Verankerung der
Medizinischen Psychologie im Studium der Medizin dokumentiert. Das Fach vereinigt in der Fachgesellschaft Deutsche Gesellschaft für Medizinische Psychologie (DGMP) Psychologen und Mediziner. Die Medizinische Psychologie kooperiert einerseits eng mit den Disziplinen der Medizin und trägt beispielsweise zur
Psychoonkologie und Psychokardiologie bei. Daneben hält sie intensiven Kontakt mit der Klinischen Psychologie, der Psychosomatik, der Psychiatrie und der
Medizinischen Soziologie.
Die Entstehung der Disziplinen der Gesundheitspsychologie und Medizinischen
Psychologie dokumentiert die Notwendigkeit, psychologische Konzepte und Ergebnisse für die Gesundheitsversorgung fruchtbar zu machen. Beide Disziplinen
tragen zur Prävention und Gesundheitsförderung, zur Krankheitsbewältigung, zur
Therapie sowie zur Rehabilitation und Nachsorge bei. Das Wissen dieser Disziplinen ist in der Regel in getrennten Lehr- und Handbüchern niedergelegt, obwohl
die Themenbereiche sich überschneiden. Daher sollen in diesem Handbuch wesentliche Themen dieser Fächer in einem Band zusammen dargestellt werden.
12
Vorwort
Konzepte und Befunde aus diesen Disziplinen sind für viele Zielgruppen relevant:
nicht nur für Psychologen in verschiedenen Arbeitsfeldern, sondern auch für Ärzte
und alle anderen Berufsgruppen in der Gesundheitsversorgung. Dieses Handbuch
ist somit gedacht als übersichtliches und gut verständliches Nachschlagewerk für
Angehörige verschiedener Berufsgruppen und Nachbardisziplinen der Psychologie, für Studierende der Psychologie in unterschiedlichen Studienabschnitten
sowie für alle darüber hinaus an diesem Fachgebiet Interessierten.
Das vorliegende Handbuch informiert anhand ausgewählter Schlüsselbegriffe über
Grundlagen, Konzepte und Anwendungsbereiche der Gesundheitspsychologie
und der Medizinischen Psychologie. Die Inhalte sind in fünf Bereiche gegliedert.
Zunächst werden physiologische, verhaltensbezogene und psychologische Grundlagen beider Fächer dargestellt (Teil I). Danach geht es um Einflussfaktoren auf
Gesundheit und Krankheit, beispielsweise um verschiedene Protektiv- und Vulnerabilitätsfaktoren (Teil II). Der dritte Teil bezieht sich auf Ansätze der Gesundheitsförderung und Prävention bei verschiedenen Schutz- und Risikoverhaltensweisen
(z. B. Stressbewältigung, Alkoholkonsum, Sexualverhalten) sowie in verschiedenen Lebensabschnitten und gesellschaftlichen Kontexten wie Familie, Schule und
Betrieb (Teil III). Aspekte der psychologischen Diagnostik, Behandlung und
Rehabilitation bei verschiedenen körperlichen Erkrankungen (z. B. Tumorerkrankungen, AIDS) werden im vierten Teil des Buches beschrieben (Teil IV). Abschließend werden komplexe Themengebiete und Arbeitsfelder der Medizinischen
und Gesundheitspsychologie (u. a. Migration, Reproduktionsmedizin, Transplantationsmedizin) dargestellt (Teil V). Besonderer Wert wurde darauf gelegt, die ausgewählten Schlüsselbegriffe für Berufsgruppen aus der Gesundheitsversorgung
verständlich aufzubereiten.
Dem Leser werden weiterführende Literaturhinweise vorgeschlagen und Verknüpfungen innerhalb des Buches sowie zu anderen Teilgebieten der Psychologie
aufgezeigt, wie beispielsweise der Klinischen Psychologie und Psychotherapie
oder der Neuro- und Biopsychologie, die in den anderen 12 Bänden der Reihe
„Handbuch der Psychologie“ behandelt werden.
Dieses Handbuch konnte nur Dank des Einsatzes vieler Personen realisiert werden. Herzlicher Dank gilt unseren Autorinnen und Autoren, die sich mit den didaktischen und zeitlichen Vorgaben der Reihe arrangieren mussten. Für die umsichtige und kluge redaktionelle Arbeit danken wir Frau Dipl.-Psych. Katharina
Becker. Wir danken außerdem unserer Ansprechpartnerin im Verlag, Frau Susanne
Weidinger, die das Projekt dieses Handbuchs von Beginn an kompetent unterstützt hat.
Freiburg und Berlin, im Februar 2009
Jürgen Bengel
Matthias Jerusalem
I Grundlagen
Körperliche Prozesse und Gesundheit
Physiological Processes and Health
Bernadette von Dawans, Clemens Kirschbaum & Markus Heinrichs
1
Einleitung
Der enorme Wissenszuwachs in den Bio- und Neurowissenschaften hat in den
letzten Jahren dazu geführt, dass sowohl bei der Beurteilung von Ursachen (Ätiologie) sowie Entstehung und Verlauf (Pathogenese) unterschiedlicher Störungsbilder ein Gesamtverständnis der biopsychosozialen Zusammenhänge unverzichtbar geworden ist. Eine verstärkte Einbeziehung biologischer Mechanismen hat
unmittelbare Implikationen für die Weiterentwicklung vorhandener sowie die
Prüfung neuer Ansätze der Diagnostik, Prävention und Therapie im Kontext der
Gesundheitspsychologie und Medizinischen Psychologie. Im vorliegenden Kapitel sollen die biologischen Grundlagen körperlicher und psychischer Prozesse beschrieben und deren Bedeutung für die Erhaltung von Gesundheit sowie die Entstehung von Krankheit an klinisch relevanten Beispielen erläutert werden. Das
zentrale Anliegen dieses Kapitels ist vor allem ein integratives Verständnis der
einzelnen Subsysteme (Zentrales Nervensystem, Autonomes Nervensystem,
Hormonsystem und Immunsystem), welche sich im lebenden Organismus kaum
als autonome Teilbereiche voneinander abgrenzen lassen. Ein weitergehender
Überblick über die neurobiologischen Grundlagen des Verhaltens findet sich bei
Kirschbaum und Heinrichs (2006). Die im Kontext der Gesundheitspsychologie,
Medizinischen Psychologie und Verhaltensmedizin relevanten peripherphysiologischen, zentralnervösen und psychoneurendokrinologischen Messmethoden werden bei Heinrichs und Kaiser (2003) genauer vorgestellt.
2
Das Nervensystem
Ein komplizierter, vielzelliger Organismus, dessen einzelne Organe perfekt organisiert den vielfältigsten Anforderungen gerecht werden müssen, kommt nicht
ohne eine übergeordnete Steuerzentrale aus. Das Nervensystem übernimmt diese
Aufgabe. Es regelt die verschiedensten Bedürfnisse, integriert Informationen
über innere Zustände mit Anforderungen aus der Umwelt und zielt darauf ab, den
bestmöglichen Status zu erhalten bzw. in Zeiten hoher Belastung diesen wieder
herzustellen.
16
2.1
Bernadette von Dawans, Clemens Kirschbaum & Markus Heinrichs
Aufbau des Nervensystems
Auf der Makroebene lässt sich das Nervensystem zunächst in zentrale und periphere
Anteile gliedern (vgl. Abb. 1). Zum zentralen Nervensystem (ZNS) gehören das Gehirn sowie das Rückenmark. Das periphere Nervensystem (PNS) schließt alle Nervenstrukturen ein, die nicht im ZNS liegen und lässt sich wiederum unterteilen in
das somatische Nervensystem und das autonome (oder vegetative) Nervensystem
(ANS). Sowohl das somatische wie auch das autonome Nervensystem empfangen
Informationen vom ZNS über efferente Nerven (Efferenzen), senden aber auch ihrerseits über afferente Nerven (Afferenzen) an das ZNS zurück. Dabei übernimmt
das somatische Nervensystem die Kommunikation mit der Umwelt (Sensorik und
Motorik), während das autonome Nervensystem die Organfunktionen und Drüsen
reguliert und damit das funktionelle Gleichgewicht aufrechterhält. Das ANS lässt
sich in zwei funktional und anatomisch abgrenzbare Einheiten unterteilen, den Sympathikus und den Parasympathikus. Sie stellen in ständigem Wechselspiel die Organfunktionen auf die verschiedensten Anforderungen ein, wobei der Sympathikus
in Stresssituationen mobilisierend und aktivierend in den Vordergrund tritt und der
Parasympathikus in Zeiten der Ruhe und Entspannung dominiert.
Vorderhirn
Basalganglien
Limbisches System
Thalamus
Dienzephalon
Hypothalamus
Mesenzephalon-Mittelhirn
Rautenhirn
Hirn (Enzephalon)
Zentralnervensystem
Neokortex
Telenzephalon
(Hemisphären)
Zerebellum
Metenzephalon
Brücke
Myelenzephalon-Medulla oblongata
peripheres
Nervensystem
Rückenmark
Somatosensorische und motorische Nerven
Sympathikus
Autonome Ganglien
und Nerven
Parasympathikus
Abbildung 1: Organisation des Nervensystems mit den wichtigsten Hirnabschnitten und
Kerngebieten (aus Kirschbaum & Heinrichs, 2006, S. 166, Original aus
Birbaumer & Schmidt, 2006. Mit freundlicher Genehmigung von Springer
Science and Business Media)
2.2
Zelltypen und Informationsübermittlung
Aufgebaut ist das Nervensystem hauptsächlich aus Neuronen (Nervenzellen), die
der Informationsverarbeitung dienen, und aus Gliazellen, die vor allem Stütz- und
Versorgungsaufgaben übernehmen. Gliazellen regulieren außerdem Stoff- und
Körperliche Prozesse und Gesundheit
17
Flüssigkeitsaustausch, beseitigen totes oder auch überflüssiges Zellmaterial im
Gehirn, schützen das Nervensystem vor toxischen Substanzen und können Verletzungen im Nervengewebe wieder reparieren, was ihre neuroprotektive Funktion unterstreicht.
Die Informationsverarbeitung und -weiterleitung im menschlichen Organismus
wird weitgehend von Neuronen ausgeführt. Neurone sind nicht nur im Gehirn,
sondern im gesamten Körper vorhanden und weisen alle einen Basisbauplan auf.
Sie besitzen einen Zellkörper (Soma) sowie davon abgehende Neuronenfortsätze
(Axon und Dendriten). Dendriten bilden Kontaktstellen zu vielen anderen Zellen
und dienen vor allem der Signalaufnahme. Am Soma wird dann die Information
verarbeitet, integriert und schließlich über die Informationsweiterleitung entschieden. Falls diese positiv ausfällt wird das Endsignal (Aktionspotenzial) bis zum
Ende eines Axons, dem synaptischen Endknöpfchen weitergeleitet.
Es lassen sich folgende Neuronentypen unterscheiden:
• Motoneurone (dienen der efferenten Informationsübertragung),
• sensorische Neurone (dienen der afferenten Informationsübertragung) und
• Interneurone (dienen der Verknüpfung zwischen Neuronen im ZNS).
Erreicht ein Aktionspotenzial ein synaptisches Endknöpfchen, findet die Weiterleitung des Signals zur nächsten Zelle über die Synapse statt. Eine Synapse besteht aus dem präsynaptischen Endknöpfchen, dem synaptischen Spalt und der
postsynaptischen Membran. Die direkte elektrische Übertragung zwischen Nervenzellen über sogenannte „gap junctions“ (nah aneinander liegende Ionenkanäle)
kann z. B. an bestimmten Zellen am Herzen beobachtet werden. In den meisten
Fällen wird die Übertragung aber von chemischen Botenstoffen übernommen, sogenannten Neurotransmittern. Sämtliche Übertragung findet also bis zum Endknöpfchen über niedrige elektrische Impulse (Aktionspotenziale) statt. An der
Synapse erfolgt nun durch den elektrischen Impuls eine Freisetzung von Neurotransmittern in den synaptischen Spalt. Diese gelangen über den synaptischen
Spalt zur postsynaptischen Membran und können dort aktivierende oder hemmende Wirkung auf die Nachbarzelle ausüben. Daraufhin wird in dieser Nachbarzelle wieder die Information weiterverarbeitet und je nach Input ein Impuls in
Form eines Aktionspotenzials ausgelöst oder nicht. Eine schematische Darstellung
der Synapse zeigt Abbildung 2.
Die Membrandurchlässigkeit wird beeinflusst, indem Ionenkanäle ihre Durchlässigkeit für bestimmte Ionen (geladene Teilchen) verändern. Die ausgeschütteten
Neurotransmitter werden im Anschluss entweder insgesamt wieder in die präsynaptische Zelle rückabsorbiert (Reuptake) oder enzymatisch aufgespalten und in
ihren Einzelbestandteilen wieder aufgenommen. So stehen bei einem neuen Aktionspotenzial wieder genug Moleküle zur Verfügung. Eine bestimmte Konzen-
18
Bernadette von Dawans, Clemens Kirschbaum & Markus Heinrichs
Axon
1. Das Aktionspotenzial
wird über die präsynaptische
Membran verbreitet
Myelin
2. Depolarisation des präsynaptischen
Terminals führt zum Einfluss von Kalzium.
3. Kalzium verursacht, dass die Vesikel
mit der präsynaptischen Membran
verschmelzen und Transmitter in den
synaptischen Spalt freisetzen.
4. Bei schnellen Synapsen öffnet die
Bindung von Transmittern an Rezeptormoleküle auf der postsynaptischen
Membran Kanäle, wodurch Ionen
einfließen und ein exzitatorisches oder
inhibitorisches Potenzial entsteht.
5. Exzitatorische oder inhibitorische postsynaptische Potenziale verteilen sich passiv über
die Dendriten und den
Zellkörper zum Axonhügel.
Enzyme und Vorläufer für
die Synthese von Transmittern und Vesikelmembranen
werden kontinuierlich durch
Mikrotubuli zum Axonende
transportiert.
Ca2+
Transmittermoleküle
Synaptischer
Vesikel
Autorezeptor
Transporter
Entlang
Dendriten
EPSP
oder
IPSP
EPSP
oder
IPSP
6. Enzyme, die sich im
extrazellulären Bereich
befinden, spalten überschüssige Transmitter.
7. Die Wiederaufnahme von
Transmittern verlangsamt die
synaptische Aktivität und stellt
Transmitter für nachfolgende
Transmissionen zur Verfügung.
8. Transmitter binden an
Autorezeptoren, die sich an
der Membran synaptischer
Endknöpfchen befinden.
Entlang
Entlang
Dendriten
Dendriten
Abbildung 2: Schematische Darstellung einer Synapse und der chemischen Signalüber-
tragung zwischen Neuronen (aus Kirschbaum & Heinrichs, 2006, S. 169,
Original aus Ehlert, 2003. Mit freundlicher Genehmigung von Springer
Science and Business Media)
tration eines Transmitters im synaptischen Spalt kann auch über sogenannte
Autorezeptoren der präsynaptischen Membran die weitere Ausschüttung kontrollieren.
Über 70 verschiedene Neurotransmitter sind bereits identifiziert worden und laufend
werden weitere Transmitter und Rezeptoren entdeckt. Gamma-Amino-Buttersäure
(GABA) stellt den wichtigsten hemmenden Transmitter dar, während Glutamat
ein wichtiger und weit verbreiteter aktivierender Transmitter ist. Andere Transmitter können (je nach Ort der Ausschüttung) sowohl hemmende wie auch aktivierende Wirkung haben. Die Gruppe der Monoamine (z. B. Dopamin, Serotonin,
Noradrenalin) stellt eine sehr prominente Gruppe von Neurotransmittern dar, die
auch bei verschiedenen physischen und psychischen Erkrankungen von Bedeutung
Körperliche Prozesse und Gesundheit
19
sind. In jüngster Zeit treten sogenannte Neuropeptide (z. B. Oxytocin, Vasopressin), die früher „nur“ als Hormone bekannt waren, immer stärker in den Fokus des
Interesses. Auch sie können die Funktion von Neurotransmittern übernehmen und
direkte Verhaltenseffekte haben.
2.3
Schutzmechanismen des zentralen Nervensystems
Eine bestimmte Art von Gliazellen (Astrozyten) sind maßgeblich am Aufbau der
sogenannten Blut-Hirn-Schranke beteiligt. Diese bildet eine enorm wichtige
Schutz-Barriere, die verhindert, dass alle Substanzen, die im Blut zirkulieren,
auch das Gehirn erreichen können. Andererseits hängt die Wirksamkeit von Psychopharmaka davon ab, wie gut sie die Blut-Hirn-Schranke überwinden können,
also aus dem Blut durch die flüssigkeitsgefüllten extrazellulären Spalträume (Interstitium) der Neuronen und Gliazellen in ein Neuron gelangen.
Das ZNS ist zusätzlich in eine Flüssigkeit gebettet, die Liquor oder auch Zerebrospinalflüssigkeit heißt. Der Liquor wird in einem bestimmten Blutgefäßgeflecht (Plexus chorioidei) in den Ventrikeln des Gehirns gebildet und regelmäßig
erneuert. Er übernimmt Stoffwechselfunktionen und schützt darüber hinaus das
Gehirn vor Erschütterung.
Arachnoides
Dura mater mit Sinus sagittalis
linke Hemisphäre
Kalotte
Kopfhaut
⎧ Frontallappen
Großhirn ⎨
⎩ Temporallappen
Medulla obloganta
Kleinhirn
Medulla spinalis
vordere und hintere Spinalwurzel
Wirbelkanal
Arachnoidalraum
Dura mater spinalis
Wirbelkörper
Spinalganglion
A. vertebralis
Abbildung 3: Überblick über die Lage von Gehirn und Rückenmark (aus Kirschbaum &
Heinrichs, 2006, S. 171, Original aus Birbaumer & Schmidt, 2006. Mit
freundlicher Genehmigung von Springer Science and Business Media)
20
Bernadette von Dawans, Clemens Kirschbaum & Markus Heinrichs
Als äußere Schutzbarriere fungieren nach den knöchernen Strukturen des Schädels drei Hirnhäute (Meninges) (vgl. Abb. 3):
• Die Dura mater befindet sich direkt unter der Schädeldecke.
• Die bindegewebshaltige Arachnoidea ist flexibler und liegt dem Gehirn auf,
ohne jedoch in die Furchen hineinzureichen.
• Die dritte Hautschicht ist die Pia mater, die sehr weich und flexibel auch in die
Furchen des Gehirns hineinreicht.
Zwischen der Pia Mater und der Arachnoidea befindet sich der Subarachnoidalraum, in welchem der Liquor das Gehirn umfließt.
2.4
Das zentrale Nervensystem
Die Einteilung des Gehirns in verschiedene funktionelle und anatomisch unterschiedliche Einheiten folgt seiner Entwicklungsgeschichte. Eine schematische
Übersicht ist Abbildung 1 zu entnehmen. Zunächst entwickelt sich beim Embryo
das sogenannte Neuralrohr, welches drei abgrenzbare Abschnitte neben dem
Rückenmark aufweist.
• Rautenhirn: Myelencephalon und Metenzephalon,
• Mittelhirn: Mesencephalon,
• Vorderhirn: Diencephalon und Telencephalon.
Metencephalon, Myelencephalon, Mesencephalon und Diencephalon werden gemeinsam als Hirnstamm bezeichnet.
Das Rückenmark verläuft geschützt durch die Wirbelsäule und wird entsprechend
der Wirbel in Segmente eingeteilt (vgl. Abb. 3). Das Rückenmark stellt eine
Schaltstelle für Informationen aus dem Gehirn in die Peripherie und umgekehrt
dar, auf dessen Ebene bereits einfache Reflexe und Schmerz verarbeitet werden.
Insbesondere für das Verständnis und die Therapie chronischer Schmerzen spielt
die funktionelle Neuroanatomie des Rückenmarks eine zentrale Rolle (→ Chronischer Schmerz).
Das Myelencephalon wird aufgrund seiner Lage auch als Medulla oblongata (verlängertes Rückenmark) bezeichnet und stellt den inferiorsten (tiefstgelegensten)
Teil des Gehirns dar. Es enthält Faserzüge, die Informationen zwischen dem Gehirn und dem übrigen Körper übertragen. Außerdem beginnt hier die Formatio reticularis. Sie besteht aus einem Netz von etwa 100 Kernen (reticulum = kleines
Netz) und steuert maßgeblich die Regulation von Schlaf, Atemreflex und HerzKreislauf-System.
Das Metencephalon enthält auf- und absteigende Faserzüge, einen Teil der Formatio reticularis sowie Kerne von Hirnnerven. Ventral wölbt sich eine leicht
Körperliche Prozesse und Gesundheit
21
gestreifte Struktur, das Pons (die Brücke) aus, welche an der Regulation von
Schlaf-Wach-Zyklen beteiligt ist und eine Schaltzentrale für Informationen aus
dem Cortex zum Kleinhirn, dem Cerebellum, darstellt. Das Cerebellum spielt
eine entscheidende Rolle im sensomotorischen System und ist an komplizierten
Bewegungsabläufen beteiligt.
Der anschließende Hirnabschnitt (Mesencephalon) besteht erneut aus zwei abgrenzbaren Strukturen: dem Tectum und dem Tegmentum. Im Tegmentum sind
drei wichtige Strukturen beheimatet: das periaquaeduktale Grau spielt eine wichtige Rolle bei der Übermittlung der analgetischen Wirkung von Opiaten (→ Konsum illegaler Drogen). Die Substantia nigra und der Nucleus ruber sind Bestandteile des sensomotorischen Systems. Degenerationen von Neuronen der Substantia
nigra, welche in die Basalganglien projizieren, sind bei der Parkinson-Krankheit
zu beobachten.
Das Diencephalon oder auch Zwischenhirn besteht aus dem Thalamus und dem
darunter liegenden Hypothalamus. Der Thalamus dient als Relaisstation, nimmt
Informationen aus dem Körper auf, schaltet diese um und sendet sie an den Cortex, die Großhirnrinde, weiter. Er übernimmt eine Filterfunktion, dient der Steuerung von Aufmerksamkeitsprozessen und wird oft als „Tor zum Bewusstsein“
bezeichnet. Der Hypothalamus liegt unter dem vorderen Teil des Thalamus (hypo
= unter) und übernimmt als Steuerzentrale des autonomen Nervensystems die
Aufgabe, den Körper in den jeweils adäquaten Zustand zu versetzen. So werden
Hunger, Durst, Reproduktionsverhalten oder auch Temperatur durch den Hypothalamus geregelt. Abwehrverhalten oder Alarmbereitschaft im Sinne eines „fight
or flight“ benötigen andere Körperfunktionen oder auch Hormonaktivierungen
als ein nutritiver Zustand im Sinne eines „rest and digest“. Durch seine enge Verbindung zum limbischen System, welches für die Verarbeitung von Emotionen
entscheidend ist, sowie seine Kontrolle über verschiedene endokrine Drüsen (z. B.
die Hypophyse) und deren Hormonausschüttung nimmt der Hypothalamus seine
Regelfunktion war, um das Gleichgewicht verschiedener Systeme (Homöostase)
zu halten. Der Hypothalamus spielt also bei Stress aber auch positiven sozialen
Interaktionen eine wichtige Rolle (→ Stress).
Das Großhirn (Telencephalon) ist für die komplexesten menschlichen Hirnfunktionen zuständig. Umgeben von einer stark gefurchten Hirnrinde (Cortex cerebri) ist
es ähnlich wie eine Walnuss in zwei Hemisphären unterteilt. Es lassen sich Frontallappen (z. B. Planen und Handeln), Parietallappen (z. B. somatosensorische Funktionen, räumliches Denken), Okzipitallappen (z. B. visuelles System) und Temporallappen (z. B. auditorisches System) voneinander unterscheiden. Neben diesen
primären Feldern, die eine bestimmte Sinnesmodalität verarbeiten, ist der weitere
Cortex mit Assoziationsfeldern durchzogen, die verschiedene Informationen integrieren, verarbeiten und hochkomplexe Kognitionen ermöglichen. Tiefer im Telen-
22
Bernadette von Dawans, Clemens Kirschbaum & Markus Heinrichs
cephalon, also subcortikal (unter der Großhirnrinde) befinden sich weitere wichtige
Strukturen wie die Basalganglien oder das limbische System. Die Basalganglien
setzen sich aus dem Striatum, bestehend aus Nucleus caudatus (nucleus = Kern;
cauda = Schwanz) und dem Putamen (= Schale, Ei), sowie dem Globus pallidus
oder Pallidum zusammen. Neben wichtigen Funktionen bei Willkürbewegungen
unterstreichen aktuelle Studien die Beteiligung des Striatums am sogenannten
Belohnungssystem des Menschen. So spielt es unter anderem bei Suchtverhalten
eine Rolle (→ Konsum illegaler Drogen, → Alkoholkonsum, → Rauchen).
Im gesundheits- und medizinpsychologischen Kontext kommt dem limbischen
System eine besondere Aufmerksamkeit zu. Wie ein Saum (Limbus = Saum) umgeben Amygdala, Hippocampus, Gyrus cinguli, Fornix, Septum und Mammilarkörper den Thalamus. Sie sind als limbisches System zusammengefasst an der
Steuerung von Emotionen und Motivationen beteiligt, sorgen so für die Befriedigung elementarer Bedürfnisse wie Nahrungsaufnahme oder Sexualverhalten und
initiieren in Notfällen unmittelbare Reaktionen wie Abwehrverhalten oder Flucht.
Die Amygdala (Mandelkern) besteht aus einer Ansammlung von Kernen, welche
unter anderem über Verbindungen mit Hypothalamus und Hirnstamm an der neuroendokrinen und behavioralen Stress- und Angstreaktion beteiligt sind. Aufgrund tierexperimenteller Studien kann hier auch eine Art emotionales Gedächtnis
lokalisiert werden, welches beispielsweise für das Erlernen von Angstreaktionen
eine zentrale Rolle spielt. Dysfunktionale Lernerfahrungen, wie sie für die Entstehung von Angststörungen angenommen werden, haben hier ihre neurophysiologische Entsprechung. Posterior von (posterior = hinter) der Amygdala liegt der
Hippocampus, welcher im Gegensatz zur Amygdala vor allem deklarative Gedächtnisaufgaben („Wissensgedächtnis“ = Teil des Langzeitgedächtnisses) hat. Da
der Hippocampus eine hohe Dichte an Glukokortikoidrezeptoren aufweist, reagiert er sehr sensitiv auf das Stresshormon Cortisol unter verschiedenen Belastungssituationen (z. B. chronischer Stress, Psychotrauma).
2.5
Das autonome Nervensystem
Seinen Namen hat das autonome Nervensystem (ANS) erhalten, weil es die Organfunktionen im Körper steuert und somit lebensnotwendige Funktionen wie
Atmung, Verdauung oder das Herz-Kreislauf-System reguliert. Es innerviert die
glatte Muskulatur aller Organsysteme sowie das Herz und die Drüsen, regelt somit
das innere Milieu des Körpers und hat die Aufgabe für einen Zustand von Homöostase zu sorgen. Gliedern kann man das ANS in Sympathikus und Parasympathikus sowie das Darmnervensystem (enterisches Nervensystem). Die meisten
Organe des Körpers werden antagonistisch durch Sympathikus und Parasympathikus beeinflusst. Während also beispielsweise der Einfluss des Sympathikus die
Herzrate steigert, kann der Einfluss des Parasympathikus die Herzrate senken.
Grundsätzlich ist für einen gesunden Organismus ein „funktioneller Synergismus“
Körperliche Prozesse und Gesundheit
23
von Sympathikus und Parasympathikus notwendig – je nach Anforderungen steht
die Aktivität des einen oder des anderen im Vordergrund. Einen Überblick über
die hemmende oder aktivierende Wirkung gibt Abbildung 4.
Die vegetativen Zentren des Sympathikus liegen im Brustmark (Thorakalmark)
und Lendenmark (Lumbalmark). Thorakal werden Kopf-, Brust- und Bauchraum
sowie obere Extremitäten innerviert, während lumbal der Beckenraum sowie die
unteren Extremitäten versorgt werden. Das erste Neuron (präganglionäres Neuron) liegt noch im Rückenmark und wird in Ganglien (Schaltstellen), welche im
sogenannten Grenzstrang liegen, auf ein postganglionäres Neuron umgeschaltet,
das dann zum Zielorgan verläuft. Der Grenzstrang liegt außerhalb des RückenParasympathischerTeil
Teil
Parasympathischer
Sympathischer
Teil Teil
Sympathischer
Pupillenkonstriktion
Pupillendilatation
Stimuliert
Speichelfluss
Hemmt
Speichelfluss
Verengt
Atemwege
Kranial
Zervikal
Kranial
Entspannt
Atemwege
Oberstes
zervikales
Ganglion
Zervikal
Verlangsamt
Herzschlag
Beschleunigt
Herzschlag
Leber
Thorakal
Thorakal
Stimuliert
Verdauung
Ganglion
Hemmt
Verdauung
Magen
Gallenblase
Lumbal
Lumbal
Pankreas
Nebenniere
Erweitert Blutgefäße
der Eingeweide
Sakral
Kokzygeal
Stimuliert
Sekretion von
Epinephrin und
Norepinephrin
Verengt
Blutgefäße
der Haut
Grenzstrang
Entspannt Blase
Ganglion
Stimuliert
Ejakulation
Sakral
Erweitert Blutgefäße der Haut
Kokzygeal
Zieht Blase
zusammen
Stimuliert
Peniserektion und
Klitoriserweiterung
Noradrenerge
Neuronen
Präganglionär
Cholinerge
Neuronen
Postganglionär
Zellkörper
Axonendigung
Postganglionär
Abbildung 4: Überblick über das autonome Nervensystem mit Zielorganen von Sympa-
thikus und Parasympathikus. (Aus Kirschbaum & Heinrichs, 2006, S. 174,
Original aus Ehlert, 2003. Mit freundlicher Genehmigung von Springer
Science and Business Media)
24
Bernadette von Dawans, Clemens Kirschbaum & Markus Heinrichs
marks und ist entsprechend der Segmente des Rückenmarks angeordnet. Am
Ganglion erfolgt die Informationsübertragung über den Neurotransmitter Azetylcholin und am Zielorgan über Noradrenalin (Ausnahme: Schweißdrüsen). In
Stress- und Alarmsituationen sorgt der Sympathikus für die Mobilisierung von
Energie und andere in Gefahrensituationen wichtige Funktionen. Adrenalin und
Noradrenalin werden aus dem Nebennierenmark freigesetzt, das Herz schlägt
schneller und weniger variabel. Hält der Tonus des Sympathikus zu lange an, kann
es zu verschiedenen Schädigungen und Störungen kommen. Ein lang anhaltender
Alarmzustand verbunden mit negativen Emotionen benötigt ein extrem hohes
Maß an Energie, das der Körper irgendwann nicht mehr mobilisieren kann.
Hier kommt der Parasympathikus als Gegenspieler hinzu. Seine recht langen
präganglionären Neurone entspringen dem Hirnstamm sowie dem Kreuzmark
(Sakralmark) des Rückenmarks (daher auch die Bezeichnung „cranio-sakrales
System“) und ziehen zu Ganglien nah an den Effektororganen, wo sie auf die
postganglionären Neurone umgeschaltet werden. In Abbildung 4 wird dieser
Unterschied der Länge der prä- und postganglionären Fasern zwischen Sympathikus und Parasympathikus deutlich. Prä- wie auch postganglionär ist Acetylcholin der Überträgerstoff an den Synapsen. Der Nervus vagus (zehnter und größter Hirnnerv), innerviert Brust und Bauchraum und spielt auch für die Variabilität
und Schnelligkeit des Herzschlages eine wichtige Rolle. Der Vagotonus (Vagotonus = Erregungszustand des Nervus Vagus) ist in Zeiten von Ruhe, Entspannung
und Wohlbefinden dominierend und hat bei einer Reihe psychophysiologischer
Prozesse und Krankheitsbilder protektive Wirkung.
Obwohl Sympathikus und Parasympathikus zum autonomen Nervensystem zählen – und sich damit weitgehend der willkürlichen Kontrolle entziehen – kann ihre
Aktivierung bewusst beeinflusst werden. Die sogenannten Biofeedback-Methoden machen sich die neuroanatomischen Schnittstellen zwischen zentralem und
autonomem Nervensystem zunutze, welche aus der afferenten Verbindung aus
den peripheren Organsystemen zu den kortikalen Strukturen des Gehirns sowie
umgekehrt aus einer efferenten Verbindung vom Cortex auf die autonome Ebene
vegetativer Strukturen besteht. Ziel einer Biofeedbackanordnung ist es, dass Vorgänge im Körper, zu denen man oft keinen bewussten Zugang hat, für die Person
zunächst wahrnehmbar gemacht werden. Physiologische Parameter (z. B. Schließmuskeltraining bei Enkopresis, Hauttemperatur) werden gemessen und durch einen
Computer als visuelles oder auditorisches Signal zurückgemeldet. Auch zentralnervöse Prozesse wie evozierte Hirnpotenziale lassen sich mittels Biofeedback
rückmelden und verändern. Signalveränderungen (z. B. Reduktionen der Muskelspannung bei Spannungskopfschmerz) werden wie in einem Computerspiel durch
Punkte oder Symbole belohnt. Patienten erlernen so durch „Versuch-und-Irrtum“Strategien, mit denen sie das Signal, und damit den zugrunde liegenden physiologischen Prozess, selbst steuern können.
Körperliche Prozesse und Gesundheit
25
Was aber ist dann wirklich „autonom“ am autonomen Nervensystem? Am ehesten
wohl das Darmnervensystem. Es verfügt über sensorische Neurone, die Dehnungen
und Kontraktion der Darmwand registrieren sowie motorische Neuronen, welche
die Muskulatur des Gastrointestinaltrakts innervieren. Verschaltet sind sie über
Interneurone. Das Darmnervensystem funktioniert also ähnlich wie das Gehirn,
weshalb es auch das „Gehirn des Darmes“ genannt wird. Dennoch haben Sympathikus und Parasympathikus modulierenden Einfluss (über die sogenannte „braingut axis“). Also können auch hier psychische Prozesse und bestimmte emotionale
Zustände Organaktivitäten beeinflussen, was bei bestimmten Erkrankungen, wie
beispielsweise dem Colon irritabile (Reizdarm), eine wichtige Rolle spielt.
3
Das Hormonsystem
Das Hormonsystem (hormon = bewegen, in Gang setzen) oder auch endokrine System (endo = nach innen; krinein = ausschütten) trägt neben den bisher besprochenen Kommunikationsnetzwerken wesentlich zur Funktionsfähigkeit des menschlichen Organismus bei. Aus spezialisierten Drüsenzellen werden Hormone ins Blut
abgegeben und wirken auf das Zielgewebe über spezifische Rezeptoren auf der
Zellmembran oder im Zytoplasma (Zellinneren). Die Wirkung der Hormone über
membranständige Rezeptoren verläuft in der Regel recht schnell innerhalb von Sekunden bis Minuten. Die Wirkung von Hormonen an Rezeptoren im Zytoplasma
erfolgt entweder schnell (nicht genomische Effekte) oder bei genomischen Effekten verzögert. Es wurden z. B. GABA-vermittelte anxiolytische Effekte von Neurosteroiden nachgewiesen (nicht genomisch), welche schnell ablaufen, während
Cortisol z. B. in Zellen des Immunsystems eine Bildung von Entzündungsmediatoren verhindern und bestimmte Organe vor einer ungebremsten Entzündung
schützen kann. Da dieser Effekt genomisch vermittelt ist, verläuft er langsamer.
Hormone legen weite Wege zurück und sorgen für eine träge und lang anhaltende
Informationsübermittlung (Minuten bis Tage im Vergleich zu Bruchteilen von Sekunden bei der neuronalen Informationsübertragung). Der Blutkreislauf dient
dabei als Transportweg zu den jeweiligen Zielzellen des Organismus. Gemeinsam
mit dem Nervensystem ist das endokrine System an der Aufrechterhaltung der
Homöostase, dem inneren Milieu des Körpers, beteiligt und spielt eine wichtige
Rolle bei der Entwicklung und Reifung des Körpers sowie den zur Fortpflanzung
notwendigen Organfunktionen und beeinflusst schließlich auch noch die Sensitivität bzw. Aktivität von Nervenzellen. Das endokrine System hat also homöostatische, organisierende, reproduktive und aktivierende Effekte und steht dabei in
engem Zusammenhang mit dem autonomen Nervensystem. Dabei sind die Hormone meist nicht auf eine einzige Wirkung spezialisiert. Je nach Wirkungsort und
Entwicklungsstadium des Körpers übernehmen sie unterschiedliche Aufgaben.
Wichtige Drüsen sind der Hypothalamus als oberste Kontrollinstanz, welcher die
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Bernadette von Dawans, Clemens Kirschbaum & Markus Heinrichs
Hypophyse (eingeteilt in Hypophysenvorderlappen und Hypophysenhinterlappen)
steuert sowie Zirbeldrüse und periphere endokrine Drüsen (z. B. Schilddrüse,
Thymus, Nebenniere, Bauchspeicheldrüse und Gonaden).
3.1
Steuerung von Hormonen: Hormonachsen
und endokrine Drüsen
Hormonachsen stellen ein hierarchisch gegliedertes Zusammenspiel verschiedener
Hormondrüsen dar. Der Hypothalamus setzt aus seinen hormonproduzierenden
Zellen sogenannte Releasing- (freisetzungsfördernde) oder Inhibiting- (freisetzungshemmende) Hormone frei. Diese wiederum lösen die Ausschüttung von
weiteren Hormonen im Vorderlappen der Hypophyse aus. So werden Adrenocorticotropin (ACTH), Prolaktin, Wachstumshormon (Growth Hormon = GH), Thyreotropin-stimulierendes Hormon (TSH), Luteinisierendes Hormon (LH) und
Follikel-stimulierendes Hormon (FSH) ausgeschüttet und lösen über das Blut am
Zielorgan eine hormonale Antwort aus. Einige Hormone haben ein sehr spezifisches Zielorgan, wie z. B. das TSH die Schilddrüse, andere wie das GH wirken
im gesamten Körper. Die Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse
(HHNA), die Hypothalamus-Hypophysen-Schilddrüsen-Achse oder auch die Hypothalamus-Hypophysen-Gonaden-Achse sind Bespiele für wichtige und spezifische
Hormonachsen. Die jeweilige Funktion einer Achse ist sehr komplex, beinhaltet
kontrollierende Feedback-Mechanismen, welche die Ausschüttung überwachen,
und beispielsweise in überdauernden Stresssituationen aus dem Gleichgewicht
geraten können. Eine im Kontext dieses Lehrbuchs besonders wichtige Hormonachse ist die HHNA, deren Funktion und gesundheitsrelevante Bedeutung noch
ausführlicher beschrieben wird.
Zwei hypothalamische Hormone verlassen die Hypophyse nicht wie oben beschrieben durch den Hypophysenvorderlappen (Adenohypophyse), sondern durch
den Hypophysenhinterlappen (Neurohypophyse): Oxytocin und Vasopressin. Oxytocin gelangt über das Blut in die Gebärmutter oder die Brustdrüsen. Dort regt es
die Wehen bei der Geburt und den Milchejektionsreflex beim Stillen an. Vasopressin erreicht über das Blut die Niere. Hier reguliert es vor allem den Wasserhaushalt, weshalb das Hormon auch antidiuretisches Hormon (ADH) genannt
wird. Diese beiden Peptidhormone sind prototypische Beispiele dafür, dass Hormone nicht nur bestimmte periphere Körperprozesse regulieren, sondern auch im
Gehirn an der Modulation von Emotionen und Verhalten mitbeteiligt sind. Oxytocin und Vasopressin beeinflussen grundlegende soziale Verhaltensweisen und
ihre Beteiligung an einer Reihe psychischer Störungen und Verhaltensauffälligkeiten wird inzwischen in der Tier- und Humanforschung umfassend erforscht
(Überblick bei Heinrichs & Domes, 2008).
Körperliche Prozesse und Gesundheit
27
3.1.1 Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse
und Stress
Die HHNA mit der jeweiligen Freisetzung von Corticotropin-Releasing-Hormon
(CRH) im Hypothalamus, ACTH in der Hypophyse und Cortisol in der Nebennierenrinde hat sich als zentral für eine Vielzahl von Störungen erwiesen und ist
die wichtigste „Stressachse“ des Körpers. Sie gilt als die langsamere Stressachse,
neben dem Sympathico-Adreno-Medullären System (SAM). Wichtig ist, dass eine
physiologische Aktivität der Stressachsen adaptiv und notwendig ist und auch Cortisol nicht als grundsätzlich negatives Hormon bewertet wird. Befinden wir uns in
Zeiten großer Anforderungen oder unter Stress (psychische Belastungen, Schmerzen, schädliche Substanzen, massive körperliche Beanspruchung usw.), wird unter
anderem durch die Aktivität der HHNA der gesamte Organismus auf diese Situation eingestellt, der Energiebedarf angepasst oder Entzündungsreaktionen gedämpft. Für diese Anpassung der Aktivität an die Anforderungen wurde der Begriff „allostasis“ („stability through change“) geprägt (Überblick bei McEwen,
1998). Nur wenn die Aktivität der Achse dauerhaft aus dem Gleichgewicht gerät
(„allostatic load“), stellen sich pathologische Zustände ein. Dysregulationen der
HHNA durch chronischen Stress kann verschiedene psychische sowie körperliche
Erkrankungen, wie koronare Herzerkrankung, metabolisches Syndrom oder auch
Diabetes mit verursachen (Überblick bei Heinrichs & Gaab, 2007). Ausführlich
wird das Thema Stress noch in den Abschnitten II und III dieses Buches (→ Stress
und → Stressbewältigung) behandelt.
Oft ist bei pathologischen Veränderungen eine veränderte Reaktivität der HHNA
und nicht unbedingt eine basale Veränderung unter Ruhebedingungen zu beobachten. Dabei stellt die Messung von Speichelcortisol als Indikator der HHNAAktivität eine noninvasive und sehr valide Erhebungsmethode dar, welche vor
allem im Rahmen von Studien außerhalb eines Laborsettings die Stressforschung
sowie die klinische Forschung enorm bereichert hat (Überblick bei Kirschbaum
& Heinrichs, 2006). Doch wie kann man eine stressreaktive Aktivierung der
HHNA beobachten, wo doch Stress ein sehr individuelles Erlebnis darstellt?
Um die Ätiologie und Pathogenese stressabhängiger Störungen besser zu verstehen, ist es wichtig, die genauen psychobiologischen Mechanismen der Stressreaktivität zu untersuchen. Ein aus der Stressforschung kommendes standardisiertes Verfahren hat sich in den letzten Jahren auch im klinischen Forschungskontext
etabliert. Der „Trier Social Stress Test“ (TSST; Kirschbaum, Pirke & Hellhammer, 1993) besteht aus einem fiktiven Bewerbungsgespräch und einer Rechenaufgabe, die vor einem Gremium stattfindet. Die Konfrontation mit dem TSST
bewirkt einen signifikanten Anstieg einer Vielzahl stressrelevanter Parameter im
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Bernadette von Dawans, Clemens Kirschbaum & Markus Heinrichs
Rahmen einer sozial belastenden Bewertungssituation (z. B. Cortisol, ACTH, Noradrenalin, Adrenalin, Herzrate). Eine wichtige Anwendungsmöglichkeit im klinischen Kontext besteht beispielsweise in einer psychobiologischen Erweiterung
der Differenzialdiagnostik. So ist es für alle klinisch Tätigen unbefriedigend, dass
zwei Patienten mit ähnlicher Biografie und identischer psychopathologischer
Diagnose auf eine therapeutische Intervention sehr unterschiedlich ansprechen.
Zwei Patienten mit sozialer Phobie unterscheiden sich vielleicht nicht in ihrem
Verhalten während der sozialen Bewertungssituation im TSST, wohl aber in ihrer
endokrinen Stressreaktion. Was aber würde das für Diagnostik und Therapie bedeuten? Eine Erweiterung der Diagnostik um valide biopsychologische Reaktionsmaße könnte zukünftig die Therapieindikation optimieren (z. B. Kognitive Verhaltenstherapie versus Psychopharmaka) und damit die Kosten langwieriger „Trial
and Error“-Therapien für Patient und Gesundheitssystem reduzieren helfen.
3.1.2 Neuroendokrine Mechanismen der Stressprotektion
Standardisierte Stresstests bieten jedoch nicht nur die Möglichkeit stressinduzierende, sondern auch stressprotektive Mechanismen zu untersuchen. Das Aufsuchen
sozialer Unterstützung als interpersonelle Ressource und verschiedene Formen
der partnerschaftlichen Unterstützung stellen in der Literatur wirksame stressprotektive Faktoren dar (→ Soziale Unterstützung). Ein Überblick über die psychobiologischen Grundlagen bieten Ditzen und Heinrichs (2007).
Doch welche Auswirkungen haben diese sozialen Aspekte auf körperliche Prozesse und welcher biologische Mechanismus liegt dieser protektiven Wirkung zugrunde? In verschiedenen Tier- und Humanstudien hat sich in den letzten Jahren
gezeigt, dass das Peptidhormon Oxytocin stress- und angstprotektiv wirkt sowie
eine wichtige Funktion für Bindungsverhalten und positive soziale Interaktionen
hat (Heinrichs & Domes, 2008). Aktuelle Forschungsergebnisse (siehe Kasten)
zeigen, dass positive soziale Interaktion als Stresspuffer wirken kann und lässt
vermuten, dass auf physiologischer Ebene Oxytocin an diesem Mechanismus wesentlich beteiligt ist, was erneut das enge Zusammenspiel körperlicher Prozesse
und psychischen Erlebens und dessen Relevanz für Gesundheit und Krankheit
unterstreicht.
Aktuelle Forschungsergebnisse
Stress, Vertrauen und Berührung – alles eine Frage der Hormone? Welche Rolle
spielt Oxytocin bei Stress und steht es auch beim Menschen in Zusammenhang
mit der Wirkung sozialer Unterstützung? Um dies zu prüfen wurde Probanden
randomisiert und doppelblind entweder Oxytocin (24 I. E.) oder Placebo verabreicht (Heinrichs, Baumgartner, Kirschbaum & Ehlert, 2003). Um mögliche
Körperliche Prozesse und Gesundheit
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Zusammenhänge mit sozialer Unterstützung zu erfassen, wurde außerdem nach
dem Zufallsprinzip die Hälfte der Versuchsteilnehmer gebeten, ihre beste Freundin oder ihren besten Freund mitzubringen (soziale Unterstützung), während
die andere Hälfte alleine kam. Anschließend wurden alle Probanden mit dem
standardisierten psychosozialen Stressor TSST konfrontiert. Die Ergebnisse
zeigen, dass soziale Unterstützung zu einer signifikant niedrigeren endokrinen
(Cortisol) und psychischen Stressantwort (Angst, Unruhe) führt. Die Kombination von zusätzlicher Oxytocinverfügbarkeit im Gehirn und sozialer Unterstützung bewirkte jedoch die geringsten Stressreaktionen: Probanden mit beiden protektiven Faktoren zeigten die geringsten Cortisol-Stress-Reaktionen und
die niedrigsten Angst- und Anspannungswerte im Verlauf des Stresstests. Oxytocin scheint somit die Wirkung sozialer Unterstützung mit zu vermitteln bzw.
zu verstärken. Kosfeld, Heinrichs, Zak, Fischbacher und Fehr (2005) zeigten in
einem Experiment, dass Probanden nach Oxytocingabe mehr Vertrauen zu Mitspielern aufbauen konnten.
Eine weitere Studie, welche die endogene Stimulation von Oxytocin durch Berührung untersuchte, prüfte verschiedene Formen partnerschaftlicher Unterstützung bei Frauen (Ditzen, Neumann, Bodenmann, von Dawans, Turner, Ehlert
& Heinrichs, 2007). Sie waren in der Vorbereitungsphase auf den TSST entweder allein, erhielten verbal soziale Unterstützung von ihrem Partner oder bekamen eine standardisierte Schulter-Nacken-Massage von ihrem Partner, bevor
sie jeweils alleine in den Stresstest gingen. Erhielten die Frauen vor dem TSST
eine standardisierte Massage von ihrem Partner, zeigten sie sowohl eine reduzierte HHNA Aktivität (weniger Cortisolausschüttung) wie auch eine geringere
sympathische Aktivierung (niedrigere Herzrate).
3.1.3 Autonomes Nervensystem und Stress:
Bedeutung des Nervus vagus
Mit akutem Stress geht stets eine Aktivierung des Sympathico-Adreno-Medullären
Systems (SAM) einher, was zur Ausschüttung von Katecholaminen (Adrenalin und
Noradrenalin) führt und auf zahlreiche weitere Organe und Drüsen wirkt (z. B. Erhöhung des Herzschlags). Während dieser Aktivierung tritt das parasympathische
Nervensystem bzw. der Nervus vagus in den Hintergrund. Dieser kann aber auch
als „Stressbremse“ wirken, die verhindert, dass das sympathische Nervensystem
überschießt und den Körper schädigt. Als Indikator der Vagusaktivität oder auch
des Vagotonus kann die Herzratenvariabilität (HRV) gemessen werden. Je variabler das Herz schlägt desto höher ist der Einfluss des Vagus am Herzen. Es handelt
sich um sehr minimale Änderungen des Abstands, ein feines Oszillieren zwischen
den Herzschlägen, welches für biopsychologische Prozesse von großer Bedeutung
ist. Eine erniedrigte HRV stellt einen Risikofaktor für → Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowie Erkrankungen des Immunsystems dar und ist mit einer Reihe chro-
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Bernadette von Dawans, Clemens Kirschbaum & Markus Heinrichs
nischer körperlicher Erkrankungen (z. B. Diabetes, bestimmte Krebserkrankungen)
assoziiert (Thayer & Brosschot, 2005; Thayer & Sternberg, 2006). Eine parasympathische Aktivierung hält den Körper insgesamt eher im Ruhezustand – in einem
Stadium, das wiederum ein Zugehen auf andere ermöglicht und damit soziale
Interaktion fördert (Porges, 2007). Ein gesunder menschlicher Organismus benötigt daher nicht nur die Möglichkeit einer Aktivitätssteigerung verschiedener Prozesse, sondern bedarf genauso Strukturen, die Aktivität entgegenwirken und ein
Überschießen physiologischer Systeme verhindern, um diese in einem Gleichgewicht zueinander zu halten.
4
Das Immunsystem
Neben dem Nervensystem und dem hormonellen System stellt das Immunsystem
ein weiteres Kommunikationsnetzwerk dar, das an der Aufrechterhaltung von Gesundheit maßgeblich beteiligt ist. Da viele Immunfunktionen in vitro nachgestellt
oder untersucht wurden, nahm man lange an, das Immunsystem funktioniere autonom, d. h. ohne maßgebliche Steuerung oder Modulation durch das Gehirn. Doch
genauso wenig wie das autonome Nervensystem unabhängig vom ZNS agiert, arbeitet das Immunsystem ohne maßgebliche Beeinflussung durch das Nervensystem. Zahllose Forschungsergebnisse belegen inzwischen eindrucksvoll, dass das
Immunsystem in ständiger Kommunikation mit dem Gehirn und auch dem Nerven- und Hormonsystem steht. Dieser recht junge Forschungszweig der Psychoneuroimmunologie widmet sich den Interaktionen zwischen den Systemen sowie
deren Implikationen für Gesundheit und Krankheit.
Das Immunsystem dient generell dem Aufspüren und Vernichten von körperfremden Stoffen sowie der Erkennung und Zerstörung entarteter eigener Zellen. Mit
einer Vielzahl unterschiedlicher Moleküle und Zellen soll das Immunsystem den
Körper vor Krankheitserregern schützen und die Individualität unserer Existenz
gewährleisten. Zu den Bestandteilen des Immunsystems zählen die primären und
sekundären lymphatischen Organe, das Lymphsystem und das Blut (vgl. Abb. 5).
In den primären lymphatischen Organen (Knochenmark und Thymus) werden aus
Stammzellen alle weißen Blutkörperchen (Leukozyten) gebildet. Diese stellen die
Zellen des angeborenen und des adaptiven Immunsystems dar. Aus Knochenmark
und Thymus wandern die reifen Zellen ins Blut, in Haut, Magen, Darm, Lunge oder
Gehirn. Besonders viele Leukozyten lagern sich dicht gepackt in die sekundären
lymphatischen Organe ein (Blut, Milz, Lymphknoten, Peyersche Platten, Blinddarm, Mandeln). Hier treten viele immunkompetente Zellen erstmalig mit Pathogenen in Kontakt, die über den Lymphstrom (Gewebswasser aus dem Zwischenzellraum, Interstitium) oder von Antigen-präsentierenden Zellen hierher geschafft
wurden. Im Normalfall funktioniert dieses Abwehrsystem so perfekt, dass wir die
Aktivität des Immunsystems gar nicht wahrnehmen. Eine Schürfwunde beim Sport
Körperliche Prozesse und Gesundheit
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genügt, um Millionen mikroskopisch kleiner Erreger Einlass in den Körper zu gewähren. Einige von ihnen hätten dabei das Potenzial, uns ernsthaft krank zu machen. Gleichzeitig verändern sich täglich einige unserer Körperzellen derart, dass
sie ein ungebremstes Wachstum entwickeln. Werden diese Zellen nicht rechtzeitig erkannt und zerstört, so erkranken wir an Krebs. Für diese komplexen Erkennungs- und Abwehrleistungen stehen drei Abwehrreihen zur Verfügung:
1. physische Barrieren,
2. das angeborene Immunsystem und
3. das adaptive Immunsystem.
Abbildung 5 gibt einen Überblick über die wichtigsten Bestandteile des Immunsystems.
(a) Immunsystem
(b) Erworbene humorale Immunität
B-Lymphozyten
Gedächtniszellen
Komplementproteine im
Plasma
Rachenmandeln
Tonsilen
Plasmazellen
Antikörper
Thymus
Lymphknoten
Lymphgefäße
Ductus
thoracicus
Lymphgefäße
Milz
PeyerPlaques
(Lymphfollikelhaufen
im Ileum)
(c) Erworbene zelluläre Immunität
T-Lymphozyten
T-Helfer-Zellen
Interleukine
Lymphokine
Zytotoxische T-Lymphozyten
Blinddarm
T-Suppressor-Zellen
Knochenmark
(d) Andere Komponenten des Immunsystems im Blut
Pathogen
Neutrophil
Makrophage
Abbildung 5: Die wichtigsten Bestandteile des Immunsystems. Die verschiedenen Kom-
ponenten des Immunsystems (a) schützen den Menschen durch drei verschiedene Zellklassen: B-Lymphozyten (b) produzieren Antikörper, um eindringende Mikroben zu bekämpfen; T-Lymphozyten (c) setzen Hormone frei
und stimulieren dadurch B-Zellen sich zu teilen, T-Zellen wandeln sich
auch in zytotoxische T-Zellen um, die gemeinsam mit den Makrophagen
(d) direkt fremdes Gewebe oder Mikroben angreifen (aus Kirschbaum &
Heinrichs, 2006, S. 186 Original aus Ehlert, 2003. Mit freundlicher Genehmigung von Springer Science and Business Media)
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