26.11.2014 SIMONE KERMES VIVICA GENAUX CAPPELLA GABETTA ANDRÉS GABETTA VIOLINE UND LEITUNG SIMONE KERMES SOPRAN VIVICA GENAUX MEZZOSOPRAN SAISON 2014/2015 ABONNEMENTKONZERT 3 Mittwoch, 26. November 2014, 20 Uhr Hamburg, Laeiszhalle, Großer Saal BAROCKE RIVALITÄTEN – NICOLA PORPORA (1686 – 1768) JOHANN ADOLF HASSE FAUSTINA BORDONI VS. FRANCESCA CUZZONI CAPPELLA GABETTA ANDRÉS GABETTA VIOLINE UND LEITUNG SIMONE KERMES SOPRAN VIVICA GENAUX MEZZOSOPRAN NICOLA PORPORA Sinfonia aus „Orfeo“ (1736) GIUSEPPE ARENA „Come potesti, oh dio“ aus „La clemenza di Tito“ (1739) Sinfonia aus „Ariodante“ (1716) LEONARDO VINCI (1653 – 1723) (1690 – 1730) GIOVANNI BONONCINI GEMINIANO GIACOMELLI (1692 – 1740) „Villanella nube estiva“ aus „Scipione in Cartagine nuova“ (1730) „Scoglio d’immota fronte“ aus „Scipione“ (1726) (1685 – 1759) ATTILIO ARIOSTI „L’onda Chiara che dal fonte“ aus „Ifigenia in Tauride“ (1725) „Spera che questo cor“ aus „Astianatte“ (1727) (1670 – 1747) GEORG FRIEDRICH HÄNDEL Duett „Se mai più sarò geloso“ aus „Cleofide“ (1731) Pause (1713 – 1784) CARLO FRANCESCO POLLAROLO „Nobil onda“ aus „Adelaide“ (1726) JOHANN ADOLF HASSE „Impallidisce in campo“ aus „Issipile“ (1732) „Va’ tra le selve ircane“ aus „Artaserse“ (1730) „Padre ingiusto“ from „Cajo Fabricio“ (1734) PIETRO TORRI „Ferma crudel/Son costretta esser crudele“ aus „Amadis di Grecia“ (1724) „Vorreste o mie pupille“ aus „Lucio Vero“ (1727) (1666 – 1729) GEORG FRIEDRICH HÄNDEL JOHANN ADOLF HASSE (1699 – 1783) 02 | PROGRAMMABFOLGE „Piangero la sorte mia“ aus „Giulio Cesare“ (1724) „Priva del caro bene“ aus „Dalisa“ (1730) (1650 – 1737) Das Konzert wird am Freitag, den 19. Dezember 2014, um 20.05 Uhr auf NDR Kultur gesendet. PROGRAMMABFOLGE | 03 CAPPELLA GABETTA BESETZUNG VIOLINE UND LEITUNG OBOE Andrés Gabetta Diego Nadra Thomas Meraner ERSTE VIOLINE Andrés Gabetta Valentina Giusti Francesco Colletti HORN ZWEITE VIOLINE GITARRE Boris Begelman Juliana Georgieva Betina Pasteknik Eduardo Egüez Konstantin Timokhine Silvia Centomo CEMBALO Giorgio Paronuzzi VIOLA Ernesto Braucher Ignacio Aranzasti Pardo CAPPELLA GABETTA Die Cappella Gabetta wurde im Dezember 2010 gegründet und gastierte bereits mit großem Erfolg u. a. in der Pariser Salle Gaveau, der Hamburger Laeiszhalle, dem Münchener Prinzregententheater, der Züricher Tonhalle, der Berliner Philharmonie sowie bei bedeutenden Festivals wie dem Musikfest Bremen, dem Festival Baroque de Lyon und dem Rheingau Musik Festival. Die Cappella Gabetta produzierte seit dem Jahr 2011 zwei Aufnahmen bei Sony Music mit Sol Gabetta und italienischem Barockrepertoire sowie mit der Mezzosopranistin Vivica Genaux und Musik von Händel und Hasse. Für diese Aufnahmen erhielt das Orchester u. a. die Monatsempfehlung beim Gramophone Magazine sowie die Auszeichnung „CD der Woche“ bei NDR Kultur, BR Klassik und RBB. Projekte mit barocker oder frühklassischer Musik ein, darunter die Sopranistin Simone Kermes, die Mezzosopranistin Vivica Genaux, die Sopranistin Nuria Rial, der Trompeter Gábor Boldoczki und der Geiger Giuliano Carmignola. Neben dem Spiel von Meisterwerken bekannter Komponisten des Barocks und der Frühklassik möchte die Cappella Gabetta auf Raritäten unbekannter Komponisten wie Giovanni Platti, Fortunato Chelleri oder Andrea Zani aufmerksam machen. Eine besonders enge Zusammenarbeit pflegt die Cappella Gabetta mit dem Musikarchiv von Schloss Wiesentheid. Die Cappella Gabetta lädt zunehmend auch andere renommierte Instrumentalisten, Sängerinnen und Sänger für gemeinsame Konzert- oder Aufnahme- VIOLONCELLO Petr Skalka Maria Saturno KONTRABASS Daniel Szomor 04 | BESETZUNG CAPPELLA GABETTA | 05 SIMONE KERMES VIVICA GENAUX Simone Kermes studierte bei Helga Forner an Die in Alaska geborene Mezzosopranistin Vivica der Hochschule für Musik und Theater „Felix Mendelssohn Bartholdy“ ihrer Heimatstadt Leipzig. Ihr Studium sowie zwei Aufbaustudien absolvier te sie mit Auszeichnung. Sie ist Preisträgerin zahlreicher internationaler Gesangswettbewerbe. 1993 gewann sie den ersten Preis beim FelixMendelssohn-Bartholdy-Hochschulwettbewerb Berlin, 1996 den dritten Preis beim Internationalen Johann-Sebastian-Bach-Wettbewerb Leipzig. Operngastspiele führten sie als Konstanze, Königin der Nacht, Fiordiligi, Donna Anna, Giunia, Rosalinde, Lucia, Gilda, Ann Truelove, Alcina und Laodice u. a. nach New York, Paris, Lissabon, Kopenhagen, Moskau, Peking und an die deutschen Staatsopern. Genaux überzeugt nicht nur stimmlich, sondern auch durch ihre außergewöhnliche Bühnenpräsenz. Sie beherrscht mehr als 56 Rollen, 36 davon sind Hosenrollen. In der Spielzeit 2012/13 debütierte Vivica Genaux an der Hamburgischen Staatsoper als Angelina in Rossinis „La Cenerentola“, diese Rolle sang sie auch an der Pittsburgh Opera. Es folgten Konzerttouren als Gilade in Vivaldis „Il Farnace“ sowie ein Konzert mit Hasses „Marc’Antonio e Cleopatra“ im Wiener Musikverein. Auf dem Programm standen auch eine Konzerttour mit der Cappella Gabetta sowie Aufführungen von Händels „Agrippina“ mit dem Ensemble Al Ayre Español in Brüssel und Paris. Sie gab Liederabende mit einem Berio-BrittenProgramm unter anderem in New York. MEZZOSOPRAN SOPRAN Kermes gab Solokonzerte und Liederabende in ganz Europa, den USA und in Japan, so u. a. in der New Yorker Carnegie Hall, im Großen Saal des Moskauer Konservatoriums, im Palau de la Música Barcelona und in der Dresdner Frauenkirche. Bei zahlreichen internationalen Festivals und Orchestern ist sie ein gern gesehener Gast. Sie arbeitet mit Dirigenten wie Teodor Currentzis, Riccardo Chailly, Mikhail Pletnev, Leopold Hager, Raphael Frühbeck de Burgos, Lothar Zagrosek, Thierry Fischer, Steven Sloane, Christopher Hogwood, Andrea Marcon, Thomas Hengelbrock, Paul Goodwin, Reinhard Goebel und Jean-Christophe Spinosi. Neben vielen Rundfunk- und Fernsehproduktionen hat sie zahlreiche CDs aufgenommen. Für ihre Soloalben erhielt sie mehrfach internationale Auszeichnungen wie den Jahrespreis der deutschen Schallplattenkritik, den „Diapason d’Or“, den „Midem Award“, den „Choc du Monde de la Musique“ und die Auszeichnung „Einspielung 06 | SOLISTIN des Monats“ des Gramophone Magazine. Für ihre CD „Colori d’Amore“, 2010 erschienen bei SONY, erhielt sie 2011 den ECHO Klassik in der Kategorie „Sängerin des Jahres“. Im Oktober 2013 kam, ebenfalls bei SONY, die CD „Bel Canto – From Monteverdi to Verdi“ auf den Markt. In der Saison 2013/14 war Simone Kermes unter anderem zu Konzerten in Frankreich, Polen, Österreich und Australien sowie in zahlreichen deutschen Städten wie Berlin, München, Köln und Leipzig zu Gast. In der Saison 2013/14 war Vivica Genaux mit Vivaldis „Tito Manlio“ beim Festival d’Ambronay zu hören. Sie debütierte mit Lars Ulrik Mortensen und dem Concerto Copenhagen beim Festival Cervantino in Mexiko und beschloss das Jahr 2013 mit „La Cenerentola“ an der Wiener Staatsoper. Als Sesto war sie dann in Mozarts „La clemenza di Tito“ am Teatro Calderón Valladolid zu sehen. Im Februar 2014 gab sie sie unter Nicholas McGegan ihr Debüt beim Chicago Symphony und war an der Palm Beach Opera in der Titelrolle von Rossinis „La Cenerentola“ zu hören. Im April führte sie mit dem Philharmonia Baroque Orchestra unter Nicholas McGegan Vivaldis „Juditha triumphans“ in Kalifornien auf. Im Juni war sie als Romeo in Bellinis „I Capuleti ed i Montecchi“ am Dortmunder Konzerthaus engagiert. Zwei ihrer zahlreichen Einspielungen waren für einen Grammy nominiert: die 2003 bei harmonia mundi erschienene CD „Arias for Farinelli“ mit der Akademie für Alte Musik Berlin unter René Jacobs und die 2009 bei Virgin Classics erschienene CD „Pyrotechnics – Vivaldi Opera Arias“ mit Europa Galante unter Fabio Biondi. Unter ihren weiteren Einspielungen seien die CD „A Tribute to Faustina Bordoni“ mit der Cappella Gabetta, die CD „Vivaldi – L’Oracolo in Messenia“ mit Europa Galante unter Fabio Biondi und die CD „Hasse – Marc’Antonio e Cleopatra“ mit Le Musiche Nove unter Claudio Osele genannt. SOLISTIN | 07 ANDRÉS GABETTA BAROCKER ZICKENKRIEG ODER GENIALER PR-COUP? Andrés Gabetta ist regelmäßig Gast der größten Als große Rivalinnen gingen sie in die Geschichte der Oper ein: die Sängerinnen Faustina Bordoni und Francesca Cuzzoni. In den Jahren 1726 bis 1728 waren beide an Georg Friedrich Händels Londoner Royal Academy of Music engagiert – und die Anhänger der beiden Primadonnen lieferten sich während der Aufführungen teilweise wahre Schlachten. Bis heute unvergessener Höhepunkt des Konkurrenzkampfs der Diven ist die legendäre Aufführung von Giovanni Bononcinis „Astianatte“ am 6. Juni 1727 im Londoner King’s Theatre (heute: Her Majesty’s Theatre): „Die Hölle ist los in St. James’s: Oder ein vollständiger und wahrer Bericht von einem überaus schrecklichen und blutigen Kampf zwischen Madame Faustina und Madame Cuzzoni“, so durften die erstaunten Londoner am Folgetag lesen. Was war geschehen? FAUSTINA BORDONI, FRANCESCA CUZZONI UND DER „PRIMADONNENSTREIT“ VIOLINE UND LEITUNG internationalen Festivals wie dem Menuhin Festival Gstaad, dem Rheingau Musik Festival und der Bachwoche Ansbach und tritt als Solist und Kammermusiker auf Bühnen wie dem KKL Luzern, dem Musikverein Wien, dem Konzerthaus Wien, der Pariser Salle Gaveau, dem Concertgebouw Amsterdam, der Berliner Philharmonie und der Kölner Philharmonie auf. Nachdem er in Argentinien mit J. Bondar, L. Spiller und in Spanien mit P. Kotliarewskaia, Jose Luis García und Pierro Farulli studierte, vollendete Andrés Gabetta sein Studium an der Musikhochschule Basel bei Raphaël Oleg und Gerard Wyss sowie an der Schola Cantorum Basiliensis bei Christophe Coin. Er gewann den ersten Preis und den „Offenbarung Preis“ beim Piracicaba, São Paulo, Brasilien, den ersten Preis beim Internationalen Wettbewerb von Córdoba, Argentinien, und den Mayo-Bank-Wettbewerb in Buenos Aires, Argentinien. Gabetta ist Konzertmeister des „Ensemble Baroque de Limoges“ unter der Leitung von Christophe Coin, er spielt die erste Geige beim Authentica Quartett und regelmäßig als Solist mit dem Orchestre de Chambre de Neuchâtel und dem Kammerorchester Basel. Im 2004 gründete Andrés Gabetta die Swiss Baroque Soloists und ist bis heute deren Konzertmeister und künstlerischer Leiter. 2011 erfüllte er sich seinen langjährigen Traum, ein eigenes Barockorchester zusammen mit seiner Schwester, der Cellistin Sol Gabetta, zu führen. Musikalische Persönlichkeiten wie Giuliano 08 | VIOLINE UND LEITUNG Carmignola, Vivica Genaux, Simone Kermes, Gábor Boldoczki, Sergei Nakariakov und Maurice Steger arbeiteten mit der Cappella Gabetta zusammen. Zu Andrés Gabettas regelmäßigen Partnern zählt auch der Barockcellist Christophe Coin, mit dem zusammen er die CD „Le Souvenir – Félicien David“ eingespielt hat. Mit seinem Ensemble Swiss Baroque Soloists und der CD-Einspielung von Bachs Brandenburgischen Konzer ten, erschienen bei Naxos, war Andrés Gabetta in 2008 für einen Grammy nominiert. Wie so oft beginnt die Geschichte bereits viel früher. Es ist die Geschichte zweier Ausnahmekünstlerinnen von internationalem Format, die kurzzeitig im gleichen Ensemble sangen – und es ist wohl auch die Geschichte eines geschickten Mediencoups in Zeiten schlechter Verkaufszahlen und steigenden Konkurrenzdrucks. Francesca Cuzzoni kam 1696 in Parma zur Welt, Faustina Bordoni ein Jahr später in Venedig. Beide genossen eine hervorragende Gesangsausbildung und legten bereits in jungen Jahren die Grundsteine für ihre spätere erfolgreiche Karriere. Cuzzoni absolvierte ihr Bühnendebüt im Jahr 1714 in Parma, Bordoni im Jahr 1716 in Venedig. Neben den Engagements in ihrer Heimatstadt, wo sie bis 1725 regelmäßig auftrat, gastierte Bordoni unter anderem in Parma, Neapel, Mailand, Modena und Florenz. Zu hören war die Mezzosopranistin mit der ebenso strahlkräftigen wie hochflexiblen Stimme und der eindrucksvollen Bühnenpräsenz in Werken aller bedeutenden italienischen Komponisten ihrer Zeit, darunter Leonardo Vinci, Leonardo Leo, Giovanni Bonincini (dem sie und Francesca Cuzzoni in London wieder begegnen sollten) sowie Antonio und Carlo Francesco Pollarolo. Zu Bordonis ersten Rollen gehörte die der Sallustia in Antonio Lottis „Alessandro Severo“, der 1716 zur Uraufführung kam. Auch Francesca Cuzzoni machte rasch Karriere. Bereits 1717 war die Sopranistin, die besonders für ihre gefühlvolle und anrührende Rollengestaltung sowie ihre kraftvolle Stimme gepriesen wurde, zur „virtuosa da camera“ der musikbegeisterten toskanischen Großherzogin Violante Beatrix ernannt worden; neben Parma, Bologna und Venedig war sie in Florenz, Siena, Genua und Mantua zu hören und sang Hauptrollen in Werken u. a. von Quirino Gasparini, Giuseppe Maria Orlandini und Antonio Vivaldi. Ihren ersten gemeinsamen Auftritt mit Faustina Bordoni hatte Cuzzoni 1719 in Venedig – in Carlo Francesco Pollarolos „Ariodante“; mindestens ein weiteres Mal standen beide Diven in der Saison 1721/22 auf der Bühne: als Poppea und Octavia in Orlandinis Oper „Nerone“. Danach trennten sich die beruflichen Wege der Sängerinnen vorerst wieder. Faustina Bordoni debütierte im Jahr 1723 in München und wurde nun auch nördlich der Alpen – vor allem in Wien – als Star und als „nuova sirena“ gefeiert. Zugleich blieb sie ihrer Heimatstadt Venedig treu: Noch zum Karneval 1725, ein Jahr bevor sie ihre Karriere in London fortsetzen sollte, gestaltete sie hier die Titelrolle in Leonardo Vincis „Ifigenia in Tauride“. PROGRAMM | 09 Die Sängerin Faustina Bordoni mit Notenblatt“, Pastell von Rosalba Carriera, um 1730 Francesca Cuzzoni wiederum war auf Einladung Händels im Winter 1722/23 nach London gereist, wo sie am 12. Januar 1723 in dessen Oper „Ottone“ debütierte. Unter den neun Rollen, die der WahlEngländer seiner Primadonna auf den Leib schrieb, sind die der Cleopatra in „Giulio Cesare“ und die Titelrolle von „Rodelinda“ wohl die bekanntesten – beides Partien, die ihrer Gabe zur anrührenden Rollengestaltung ein perfektes Podium boten. Selbstverständlich komponierte nicht nur Händel für die – vor dem Eintreffen Bordonis – unumstrittene Diva der Londoner Opernszene. Die italienischen Komponisten Attilio Ariosti und Giovanni Bononcini arbeiteten ebenfalls für die Royal Academy of Music – und gerade Bononcinis Ruhm war einige Jahre lang dem Händels zumindest ebenbürtig. Für Francesca Cuzzoni schrieb er unter anderem die Titelrolle seiner 1724 uraufgeführten Oper „Calfurnia“, in der sie eine stolze römische Patrizierin verkörperte. Trotz aller Be geisterung der Londoner Operngänger reichte die Zugkraft Francesca Cuzzonis und des Kastraten Einer der wenigen heute noch erhaltenen Teile dieser verschollenen Oper ist die aufgewühlte Arie „L’onda chiara, che dal fonte“ aus dem dritten Akt. Dem damaligen Brauch gemäß, Naturereignisse gleichnishaft für die menschliche Gemütsverfassung zu setzen, spricht Iphigenie in dieser Arie vom Bach, der in ruhigen Zeiten zur Freude der Nymphen und Schäfer lachend über die Wiesen rauscht, bei Sturm und Unwetter jedoch zum reißenden Strom anschwillt und Mensch und Natur in Angst und Schrecken versetzt. Die raschen Begleitfiguren des Orchesters und die reichen Koloraturen der Gesangsstimme bringen den seelischen Aufruhr der Protagonistin zum Ausdruck; zugleich hatte Faustina Bordoni hier reichlich Gelegenheit, ihre stimmliche Beweglichkeit und Brillanz unter Beweis zu stellen. Francesca Cuzzoni, Zeichnung von Philippe Mercier, 1740 10 | PROGRAMM Senesino, der die männlichen Hauptrollen in der Royal Academy of Music sang, jedoch bald nicht mehr aus, um das Haus zu füllen – die Begeisterung der Londoner für die italienische Oper begann nachzulassen. Daher entschloss Händel sich, Faustina Bordoni nach London einzuladen, in der Hoffnung, dass der Glanz des europaweit gefeierten Stars das Publikumsinteresse neu fesseln würde. Und so stand Bordoni bereits im Mai des Jahres 1726 gemeinsam mit ihrer Kollegin Cuzzoni und Senesino in Händels „Alessandro“ auf der Bühne. Von Spannungen zwischen den Sängerinnen war in dieser Zeit noch nichts zu bemerken; allerdings spaltete das Publikum sich im Laufe der Zeit immer stärker in Bordoni- und Cuzzoni-Anhänger, die eifersüchtig darüber wachten, dass ihre jeweilige Favoritin auf der Bühne nicht benachteiligt wurde. Aus diesem Grund sah Händel sich genötigt, die weiblichen Hauptrollen derjenigen Opern, in denen Bordoni und Cuzzoni gemeinsam auf der Bühne standen, – „Admeto“, „Riccardo Primo“, „Siroe“ und „Tolomeo“ – möglichst exakt auszubalancieren. Der Publicity-Wert der Divenkonkurrenz war nicht unbeträchtlich; zugleich jedoch nahmen die Probleme mit den Fans der Diven zu: Schon während einer Aufführung des „Admeto“ am 4. April 1727 in Anwesenheit von Mitgliedern der königlichen Familie pfiffen die Bewunderer Faustina Bordonis Francesca Cuzzoni aus und umgekehrt. Zum eingangs erwähnten Eklat kam es dann wenige Wochen später, am 6. Juni. „Zwei vom gleichen Fach stimmen selten überein ...“, kommentierte der Satiriker John Arbuthnot danach, „doch wer hätte gedacht, dass diese Krankheit auch den Haymarket erreichen und zwei singende Damen dazu treiben würde, sich gegenseitig an den Haaren zu reißen [...] Ich werde nicht entscheiden, wer die Angreiferin war, sondern mich auf die sichere Seite begeben und weise erklären, dass beide im Unrecht sind; denn es ist ganz offensichtlich eine Schande, dass zwei so wohlerzogene Damen ‚Miststück’ und ‚Hure’ schreien, zanken und sich prügeln wie die Fischweiber.“ Der Skandal war enorm. Nicht nur wurde die Aufführung des „Astianatte“ abgebrochen – die ganze Theatersaison endete nach diesem Eklat. Obwohl die heutige Forschung davon ausgeht, dass es sich bei Arbuthnots – satirischer! – Beschreibung um eine Übertreibung handelt und die Sängerinnen selbst keineswegs handgreiflich geworden sind, erwiesen die Geschehnisse des 6. Juni sich als ausgesprochen werbewirksam für die Protagonistinnen des so genannten „Primadonnenstreits“: Als die Royal Academy of Music ein Jahr später aufgrund finanzieller Schwierigkeiten ihre Pforten schließen musste, standen die Türen aller be deutenden europäischen Opernhäuser Francesca Cuzzoni und Faustina Bordoni offen. Beide zog es zunächst zurück nach Italien. Cuzzoni trat unter anderem in Modena, Bologna, Florenz Der Schauplatz des Primadonnenstreits, die Londoner Haymarket Opera, Kupferstich PROGRAMM | 11 und Parma auf, wo sie 1730 bei der Uraufführung von Geminiano Giacomellis Oper „Scipione in Cartagine Nuova“ die Rolle der Elvira sang. In der Titelrolle stand der Kastrat Farinelli mit ihr auf der Bühne. Die Geschichte beginnt unmittelbar nach der Eroberung Neu-Karthagos durch den römischen Feldherrn Scipio. Er lässt die gefangene iberische Prinzessin Elvira edelmütig frei, verliebt sich jedoch in die stolze Schönheit. Dies erweckt die Eifersucht ihres Verlobten Lucejo. In ihrer Arie „Villanella nube estiva“ am Ende des ersten Aktes spricht Elvira davon, wie sie Scipio in Dankbarkeit und Lucejo in Liebe verbunden ist und sorgt sich um die Folgen von Lucejos Eifersucht. Gleichnishaft zieht sie dabei das Bild eines Bauernmädchens heran, das dunkle Wolken am Horizont entdeckt und um ihre Ernte fürchtet. Erst wenn das drohende Unwetter sich in erfrischenden Regen aufgelöst hat, wird ihr das Herz wieder leicht. Ihrem Inhalt entsprechend ist der erste Teil der Arie in sorgenvollem g-Moll mit fast trauermarschartig schreitendem Tempo und schmerzlich abwärts führender Melodik gehalten. Einen starken Kontrast dazu bietet der sehr schnelle Mittelteil: In seiner extremen Kürze und dem fast schon atemlos zu nennenden Tempo lässt er beinahe daran zweifeln, dass Elvira an einen guten Ausgang ihres eigenen Dilemmas glaubt. Ebenfalls im Jahr 1730 sang Francesca Cuzzoni die weibliche Hauptrolle in der Oper „Artaserse“ des Bergedorfer Shooting Stars Johann Adolf Hasse. Der damals 31-jährige Komponist, der bis 1725 bei Nicola Porpora und Alessandro Scarlatti studiert hatte, erzielte mit diesem Werk seinen internationalen Durchbruch. Etwa zur gleichen Zeit lernte der mittlerweile als „il divino sassone“ bekannte Komponist auch Faustina Bordoni kennen, die er noch im Juli 1730 heiratete. Künstlerisch wie persönlich wurde die Verbindung höchst erfolgreich: Zukünftig schrieb Hasse seiner Frau die weiblichen Hauptrollen seiner Opern auf den Leib; diese wiederum setzte Maßstäbe mit ihrer herausragenden Interpretation seiner Werke. Das Dreamteam der barocken Oper, Johann Adolf Hasse und seine Frau Faustina Bordoni, Silhouette, um 1750 12 | PROGRAMM Im Jahr 1731 wurde Hasse als Hofkomponist und Kapellmeister an den Hof Augusts des Starken nach Dresden berufen. Sein Antrittsbesuch wurde mit der Uraufführung seiner Oper „Cleofide“ begangen – natürlich mit Faustina Bordoni in der Titelrolle. Eine der charmantesten Nummern der Oper ist das Duett „Se mai più sarò geloso“ der Titelheldin mit ihrem Liebsten Poro. Mit dem Schwanken der beiden Protagonisten zwischen der treuherzigen Versicherung, niemals mehr eifersüchtig zu sein, und ebenso heftigen Ausbrüchen eben jener Eifersucht zeichnete Hasse das liebenswerte und leicht augenzwinkernde Porträt eines Paares, dessen heftiges Temperament auch in der Zukunft immer wieder für Zündstoff in der Beziehung sorgen dürfte. Trotz der Verpflichtungen Hasses in Dresden war das Ehepaar Hasse/Bordoni weiterhin auf den europäischen Bühnen präsent. Noch 1731 sang Bordoni in Venedig die Rolle der Aristea in Giacomellis Oper „Epaminonda“ nach einem klassischen griechischen Stoff; ein Jahr später begegnete ihr Mann – und wohl auch sie selbst – Francesca Cuzzoni wieder, welche bei der venezianischen Uraufführung von Hasses „Euristeo“ die weibliche Hauptrolle Aglatida sang. In London hatte mittlerweile nicht nur die Royal Academy of Music erneut ihre Pforten geöffnet – auch ein konkurrierendes Unternehmen, die Opera of the nobility, hatte sich in der Saison 1733/34 formiert, mit Nicola Porpora als federführendem Komponisten. Schon die erste Premiere dieser neuen Opernkompanie war ein klug kalkulierter Schlag gegen Händels Akademie: Nachdem er erfahren hatte, dass Händel eine „Arianna in Creta“ plante, vertonte Porpora kurz entschlossen die Fortsetzung des Stoffs: „Arianna in Nasso“. Die Oper kam Ende 1733 zur Uraufführung, noch einige Wochen vor Händels „Arianna“. Neben Händels früherem Starkastraten Senesino sang der mindestens ebenso berühmte Farinelli für die Opera of the nobility – und seit April 1734 auch Francesca Cuzzoni. Als Arianna in Porporas Oper beeindruckte sie noch immer, konnte jedoch nicht mehr an ihre früheren Erfolge anknüpfen. Als die Opera of the nobility (ebenso wie Händels zweite Opernakademie) 1737 bankrott anmelden musste, kehrte sie nach Italien zurück, wo sie noch einige Jahre lang unter anderem in Wien, Florenz und Turin auftrat – hier sang sie 1738 in Giuseppe Arenas „La clemenza di Tito“. Vermutlich 1740 hatte sie ihren letzten Auftritt auf der Opernbühne. Verarmt und verschuldet starb Francesca Cuzzoni 1778 in Bologna – angeblich hatte sie sich ihren Lebensunterhalt zuletzt als Knopfmacherin verdient. Faustina Bordoni hingegen konnte ihren Ruhm bis zu ihrem Bühnenabschied im Jahr 1751 be wahren. 1763 ging sie mit ihrem Mann zunächst nach Wien, 1773 schließlich kehrten beide in Bordonis Heimatstadt Venedig zurück. Immer noch hoch geehrt verstarb sie dort im Jahr 1781. Dass beide Sängerinnen – und mit ihnen die Werke einiger ansonsten vielleicht vergessener Komponisten – jedoch bis heute bekannt sind, das verdanken sie (und wir) wohl nicht zuletzt dem berüchtigten „Primadonnenstreit“. Juliane Weigel-Krämer PROGRAMM | 13 TEXTE GIOVANNI BONONCINI SPERA CHE QUESTO COR MAN KANN HOFFEN, DASS DIESES HERZ ERMIONE Spera che questo cor Se cade il traditor Non più drudel sarà. Ma vivo se il vedrò Pietà quest’alma, no, di te mai non avrà. HERMIONE Man kann hoffen, dass dieses Herz, sollte der Verräter fallen, nicht länger grausam sei. Doch sollte ich ihn lebendig sehen, dann wird mein Herz, nein, niemals Mitleid mit dir haben. GEORG FRIEDRICH HÄNDEL SCOGLIO D’IMMOTA FRONTE WIE EINE UNBEWEGLICHE FELSWAND BERENICE Scoglio d’immota fronte nel torbido elemento Cima d’eccelso monte Al tempestar del vento È negli affetti suoi Quest’alma amante. Già data è la mia fé S’altri la merito Non lagnisi di me La sorte gli mancò In ogni istante. BERENIKE Wie eine unbewegliche Felswand im trüben Wasser, wie der Gipfel des höchsten Bergs im Toben des Windes steht zu seinen Gefühlen dies liebende Herz. Längst habe ich meine Treue verpfändet, auch wenn andere sie verdient hätten. Er soll sich über mich nicht beklagen, mein Schicksal habe ich ihm überlassen zu jeglicher Stunde. 14 | TEXTE ATTILIO ARIOSTI VORRESTE O MIE PUPILLE IHR WÜRDET GERNE, O AUGEN BERENICE Vorreste o mie pupille Sfogar la doglia ria Ma la sventura mia Non vuol ch’io pianga. Così tolto al dolor L’unico sfogo Convien ch’ei nel mio cor Tutto rimanga. BERENIKE Ihr würdet gerne, o Augen, meinem üblen Weh freien Lauf lassen, doch mein Unglück erlaubt nicht, dass ich weine. So bleibt dem Schmerz das einzige Ventil verwehrt, und es muss alles in meinem Herzen bleiben. GEORG FRIEDRICH HÄNDEL PIANGERÒ LA SORTE MIA BEWEINEN WERDE ICH MEIN LOS CLEOPATRA Piangerò la sorte mia sì crudele e tanto ria finché vita in petto avrò; CLEOPATRA Beweinen werde ich mein Los, so grausam und dermaßen hart, solange sich ein Hauch von Leben in meiner Brust findet; doch bin ich dann tot, zum Geist geworden, allerorten suche ich den Tyrannen heim, Tag und Nacht. Beweinen werde ich usw. ma poi morta d’ogn’intorno il tiranno e notte e giorno fatta spettro agiterò. Piangerò etc. TEXTE | 15 JOHANN ADOLF HASSE PRIVA DEL CARO BENE MEINES HERZALLERLIEBSTEN BERAUBT DALISA Priva del caro bene Ah, che partit conviene, e pur (non so che sia) sento nell’alma mia qualche speranza ancor. Tal per campagna errando Vedova tortorella, trova la cara e bella delizia del suo amor. DALISA Meines Herzallerliebsten beraubt, muss ich wohl, ach, von hier scheiden, und doch (ich weiß nicht wie), spüre ich in meinem Innern, dass noch Hoffnung besteht. So über die Felder irrend findet die verwitwete Taube die süße, teure Wonne ihrer Liebe. NICOLA PORPORA NOBIL ONDA DIE EDLE WELLE ELISA Nobil onda Chiara figlia d’alto monte Più ch’è e stretta e prigioniera più gioconda scherza in fonte, più leggera all’aure va. Tal quest’alma Più ch’è oppressa dalla sorte Spiegherà più in alto il volo E la palma d’esser forte Dal suo duolo acquisterà. ELISA Die edle Welle, klare Tochter des hohen Bergs, je eingeengter und gefangener, desto fröhlicher scherzt sie an der Quelle, desto leichter steigt sie zum Himmel. So auch dies Herz: Je mehr vom Schicksal unterdrückt, desto höher wird es fliegen, und den Siegeskranz für seine Stärke erwirbt es sich durch den Schmerz. 16 | TEXTE JOHANN ADOLF HASSE DUETT SE MAI PIÙ SARÒ GELOSO DUETT SOLLTE ICH JE WIEDER EIFERSÜCHTIG SEIN PORO Lode agli dei: son persuaso alfine della tua fedeltà. POROS Gelobt seien die Götter: Endlich bin ich überzeugt von deiner Treue. CLEOFIDE Lode agli dei: Poro di me si fida, più geloso non è. KLEOPHIS Gelobt seien die Götter: Poros vertraut mir, er ist nicht länger eifersüchtig. PORO Dov’è, dov’è chi dice che un femminil pensiero dell’aura è più leggero? POROS Wo nur, wo gibt es einen, der behauptet, der Gedanke einer Frau sei leichter als ein Lufthauch? CLEOFIDE Dov’è, dov’è chi dice che più del mare un sospettoso amante è torbido e incostante? Io non lo credo. KLEOPHIS Wo nur, wo gibt es einen, der behauptet, mehr als das Meer sei ein argwöhnischer Liebhaber finster und unberechenbar? Ich glaube es nicht. PORO Ed io no ‘l posso dir. POROS Auch ich kann es nicht sagen. CLEOFIDE Mi disinganna assai. KLEOPHIS Ich bin von meinem Irrtum ziemlich befreit … PORO Mi convince abbastanza POROS Ich bin recht überzeugt … CLEOFIDE La placidezza tua KLEOPHIS dank deiner Friedfertigkeit. TEXTE | 17 PORO La tua costanza POROS von deiner Standhaftigkeit. CLEOFIDE Ricordo il giuramento KLEOPHIS Ich denke an deinen Schwur. PORO La promessa rammento POROS Ich erinnere mich an dein Versprechen. CLEOFIDE Si conosce … KLEOPHIS Man weiß … PORO Si vede … POROS Man sieht … CLEOFIDE Che placido amator! KLEOPHIS Was für ein sanfter Liebhaber! PORO Che bella fede! POROS Welch schöne Treue! CLEOFIDE Se mai più sarò geloso, mi punisca il sacro nume che dell’India è domator. KLEOPHIS Sollte ich je wieder eifersüchtig sein, dann bestrafe mich der heilige Gott, der Indien bezwungen hat. PORO Se mai turbo il tuo riposo, se m’accendo ad altro lume pace mai non abbia il cor. Infedel, questo è l’amore? POROS Sollte ich je deinen Seelenfrieden stören, sollte ich je an einem anderen Licht Feuer fangen, möge mein Herz nie Frieden finden. Treulose, ist das deine Liebe? CLEOFIDE Menzogner, questa è la fede? KLEOPHIS Lügner, ist das etwa Treue? 18 | TEXTE A DUE Chi non crede al mio dolore che lo possa un dì provar. BEIDE Der meinem Schmerz nicht glaubt, könnte er/sie ihn eines Tages nur selber erfahren. PORO Per chi perdo, giusti dei, il riposo dei miei giorni? POROS Für wen, gerechte Götter, gebe ich die Ruhe meines Lebens auf? CLEOFIDE A chi mai gli affetti miei, giusti dei, serbai finora? KLEOPHIS Für wen habe ich, gerechte Götter, bis heute meine Liebe aufgespart? A DUE Ah, si mora, e non si torni per l’ingrato a sospirar. BEIDE Ach, lieber jetzt sterben und nicht von neuem dem/r Undankbaren hinterherseufzen. GIUSEPPE ARENA COME POTESTI, OH DIO WIE KONNTEST DU NUR, OH GOTT VITELLIA Come potesti, oh dio, perfido traditor? Ah, che la rea so io! Sento gelarmi il cor, mancar mi sento. Pria di tradir la fe’, perché, crudel, perché ... Ah, che del fallo mio Tardi mi pento. VITELLIA Wie konntest Du nur, oh Gott, du gemeiner Verräter! Ach, und die Schuldige bin ich! Ich spüre, wie mein Herz mir friert, ich fühle, wie ich vergehe. Ehe du die Treue brichst, warum nur, Grausamer, warum …? Ach, zu spät bereue ich meine Verfehlung. TEXTE | 19 LEONARDO VINCI L’ONDA CHIARA DAS HELLE BÄCHLEIN IFIGENIA L’onda chiara che dal fonte sussurrando adacqua il prato va scherzando fra le rose, alla ninfa, al pastorello bacia il piede e lo rallenta. Ma se torbida s’aumenta di ruscello in rio torrente già sormonta la campagna, rompe i paschi e fugge l’agna, e d’orror freme e spaventa. IPHIGENIE Das helle Bächlein, das von der Quelle her plätschernd die Wiese benetzt, fließt scherzend zwischen die Rosen zur Nymphe, zum Hirten, küsst seinen Fuß und verlangsamt ihn. Doch wenn es sich trübt und anschwillt, vom Rinnsal zum bösartigen Strom, überflutet es schon das Land und zerstört die Weiden; es flieht das Lamm, stöhnt vor Angst und erschrickt sich. GEMINIANO GIACOMELLI VILLANELLA NUBE ESTIVA SO SCHAUT DAS BAUERNMÄDCHEN ELVIRA Villanella nube estiva Talor guarda e si scolora In lei teme ascoso il nembo Che la messe gli divora Quando i solchi col suo grembo Si prepara a ristorar. Ma se al fine si diffonde Sciolta in dolci amiche stille Sulle piagge sitibonde Torna il riso alle pupille E ravviva il suo sperar. ELVIRA So schaut das Bauernmädchen das sommerliche Wölkchen an und erbleicht, fürchtet sie doch darin versteckt ein Gewitter, welches ihr die Saat verschlingt, wenn sie sich anschickt, aus ihrer Schürze die Furchen herzurichten. Doch wenn sie sich schließlich verzieht, aufgelöst in süße, freundliche Tröpfchen über den ausgedörrten Hügeln, dann kehrt auch das Lächeln in ihre Augen zurück und entfacht von neuem die Hoffnung. 20 | TEXTE JOHANN ADOLF HASSE IMPALLIDISCE IN CAMPO ES ERBLEICHT IM FELDE ISSIPILE Impallidisce in campo anche il guerrier feroce a quella prima voce che all’armi lo destò. D’ardir non è difetto quel resto di terrore che nel fuggir dal HYPSIPYLE Es erbleicht im Felde auch der wildeste Krieger bei jener ersten Stimme, die ihn zu den Waffen ruft. Es ist kein Mangel an Kühnheit, dieser Rest von Furcht, der beim Entweichen aus der Brust auf dem Gesicht innehielt. JOHANN ADOLF HASSE VA’ TRA LE SELVE IRCANE GEH IN DIE TIEFSTEN WÄLDER MANDANE Va’ tra le selve ircane, barbaro genitore, fiera di te maggiore, mostro peggior non v’è. Quanto di reo produce l’Africa al sol vicina, l’inospital marina, tutto s’aduna in te. MANDANE Geh in die tiefsten Wälder, grausamer Vater, scheußlicher als du ist keine noch so wilde Bestie. Wie viel an Schlimmem auch das der Sonne nahe Afrika hervorbringt oder die unwirtliche Küste – alles vereint sich in dir. TEXTE | 21 JOHANN ADOLF HASSE PADRE INGIUSTO, SPOSO INGRATO UNGERECHTER VATER, UNDANKBARER GATTE SESTIA Padre ingiusto, sposo ingrato, che usi forza a’ miei lamenti, che le lagrime correggi; Odi, senti: il mio duol non prende leggi dalla vostra crudeltà. Questo cor del pari irritano fier rigor, pietà indiscreta; chi di piangere mi vieta di morir non mi torrà. Padre ingiusto, etc. SESTIA Ungerechter Vater, undankbarer Gatte! Du, der du meinen Klagen mit Gewalt begegnest, und du, der mich meiner Tränen wegen tadelt, hört, vernehmt: keine Vorschriften macht meinem Schmerz eure Grausamkeit. Mein Herz erzürnen gleichermaßen stolze Unerbittlichkeit wie aufdringliches Mitleid. Wer mir das Weinen verwehrt, am Sterben wird er mich nicht hindern können. Ungerechter Vater usw. PIETRO TORRI AMADIS Ma poiché già ti è noto, con qual ragion pretendi che d’ardor cangi il core, mentre ch’è destinato ad altro oggetto? S’io mancassi di fede meritar non potrei da te mercede, anzi indegno sarei d’ogni tuo affetto. AMADIS Da du es so oder so schon weißt, mit welcher Begründung verlangst du, dass mein Herz seine Glut anderswohin richtet, wo es doch diesem Ziel zugeeignet ist? Hätte es mir an Treue gefehlt, dürfte von dir ich keine Belohnung erwarten, wäre vielmehr deiner Zuneigung unwürdig. MELISSA Crudel tu m’abbandoni, e mi disprezzi, ma di vana speranza il cor nutrisci. Son costretta esser crudele MELISSA Grausamer, du verlässt und verachtest mich und nährest doch mein Herz mit aussichtsloser Hoffnung. Viel lieber wäre mir, dich zerfetzten böse Geister, Riesen, Ungeheuer und Flammen, der Rivalin zu Füßen. Und widerstündest dank deiner Tapferkeit du denen, dann besiegtest du doch nicht meinen grausamen Zorn. Ich bin gezwungen, grausam zu sein … Più tosto bramerei che i demoni, giganti, mostri e fiamme ti squarcino della rivale ai piedi. E se col tuo valore resisterli potrai tu l’ira mia crudel non vincerai. DUETT FERMA CRUDEL/ SON COSTRETTA ESSER CRUDELE DUETT WARTE GRAUSAMER/ ICH BIN GEZWUNGEN, GRAUSAM ZU SEIN MELISSA Ferma crudel! Ogn’un ritragga il passo. Perfido, ingrato, deluder ardirai le mie speranze? E partirai sprezzando il mio dolore? MELISSA Warte, Grausamer! Keinen Schritt weiter! Hinterhältiger, Undankbarer, du wagtest meine Hoffnungen zu enttäuschen? Gehst fort, meinen Schmerz verachtend? AMADIS Ho giurato esser fedele AMADIS Ich habe Treue geschworen … MELISSA, AMADIS e d’amor mai cangerò. MELISSA, AMADIS … und meine Liebe wird sich nie ändern. AMADIS Quella gloria che sempre ... AMADIS Jener Ruhm, der stets … MELISSA Coll’affetto, e col furore il mio ben m’acquisterò. MELISSA Mit Hingabe und mit Rage werde ich mir den Geliebten kaufen. MELISSA Nel labbro inghiotti sì odiosi accenti: di già t’intendo: il volto di Nicea nel tuo petto ha introdotto quell’amor ch’è cagion de’ miei tormenti. MELISSA Dein Mund schlucke solch verhassten Worte herunter! Ich habe dich längst verstanden: Es ist Nikes Antlitz, welches in dein Herz jene Liebe einpflanzte, die den Grund meiner Pein bildet. AMADIS Colla fede, e coll’amore il mio ben conserverò. AMADIS Mit Treue und mit Liebe werde ich mir meinen Schatz erhalten. MELISSA Son costretta etc. MELISSA Ich bin gezwungen usw. 22 | TEXTE TEXTE | 23 KONZERTVORSCHAU NDR DAS ALTE WERK NDR PODIUM DER JUNGEN NDR DAS NEUE WERK NDR CHOR ABONNEMENTKONZERT Montag, 1. Dezember 2014, 20 Uhr Hamburg, Rolf-Liebermann-Studio Freitag, 12. Dezember 2014, 20 Uhr Hamburg, Rolf-Liebermann-Studio Mittwoch, 17. Dezember 2014, 20 Uhr Hamburg, Hauptkirche St. Jacobi Abo-Konzert 4 Mittwoch, 28. Januar 2015, 20 Uhr Hamburg, Laeiszhalle, Großer Saal TRIO & SONGS TORU TAKEMITSU & CLAUDE DEBUSSY ES IST EIN ROS ENTSPRUNGEN Trio Karénine Paul Schweinester Tenor Lech Napierala Klavier ROBERT SCHUMANN Klaviertrio Nr. 2 F-Dur op. 80 WOLFGANG RIHM Fremde Szene III Lieder von: FRANZ SCHUBERT HUGO WOLF BENJAMIN BRITTEN Brad Lubman Dirigent Yaara Tal Klavier Andreas Groethuysen Klavier NDR Sinfonieorchester Werke von: TŌRU TAKEMITSU, CLAUDE DEBUSSY FLORENT MOTSCH (EA) Philipp Ahmann Dirigent Deutsche Weihnachtslieder a cappella GLI INCOGNITI Gli Incogniti Amandine Beyer Violine und Leitung ARCANGELO CORELLI Concerti grossi op. 6 Nr. 2 F-Dur, Nr. 3 c-Moll Nr. 4 D-Dur, Nr. 7 D-Dur Nr. 8 g-Moll, Nr. 10 C-Dur Einführungsveranstaltung um 19 Uhr im Kleinen Saal 18.30 Uhr: Vorkonzert Tal & Groethuysen spielen CLAUDE DEBUSSY Philipp Ahmann Tōru Takemitsu Amandine Beyer Trio Karénine Karten im NDR Ticketshop im Levantehaus, Tel. (040) 44 192 192, online unter ndrticketshop.de 24 | KONZERTVORSCHAU KONZERTVORSCHAU | 25 IMPRESSUM In Hamburg auf 99,2 Weitere Frequenzen unter ndr.de/ndrkultur Herausgegeben vom NORDDEUTSCHEN RUNDFUNK PROGRAMMDIREKTION HÖRFUNK BEREICH ORCHESTER, CHOR UND KONZERTE Rothenbaumchaussee 132 | 20149 Hamburg [email protected] NDR Das Alte Werk im Internet: www.ndr.de/dasaltewerk Leitung: Andrea Zietzschmann Redaktion NDR Das Alte Werk: Angela Piront Redaktionsassistenz: Janina Hannig Redaktion des Programmheftes: Dr. Ilja Stephan Der Text von Dr. Juliane Weigel-Krämer ist ein Originalbeitrag für den NDR. NDR | Markendesign Gestaltung: Klasse 3b; Druck: Nehr & Co. GmbH Litho: Otterbach Medien KG GmbH & Co. Foto: Nicolaj Lund | NDR Fotos: [M] Ocean/Corbis; Image Source/gettyimages (Titel); Holger Talinski (S. 5, S. 8); Gregor Hohenberg (S. 6); Christian Steiner (S. 7); akg-images (S. 10 links, S. 10 rechts, S. 12); akg-images / De Agostini Picture Lib. / A. Dagli Orti (S. 11); Oscar Vazquez (S. 24 links); Beatrice Cruveiller (S. 24 rechts); Guy Vivien (S. 25 links) Klaus Westermann | NDR (S. 25 rechts) Die Konzerte der Reihe NDR Das Alte Werk hören Sie auf NDR Kultur Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung des NDR gestattet. 26 | IMPRESSUM Hören und genießen