56-59 Rausch

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Rausch
Wahrnehmungen,
Gedanken, Gefühle und
Handlungen werden von
Botenstoffen getragen,
weitergeleitet und umgesetzt. Sie können Angst und
Aggressionen auslösen, aber
auch Glücksbringer sein.
Text: Heinz Knieriemen
J
ede geistige oder körperliche Funktion lässt sich als ein Zusammenspiel
unterschiedlicher Hormone definieren. Das Wort Hormon leitet sich vom
griechischen «horman» ab, was so viel
bedeutet wie «antreiben». In der Regel
verbinden wir diesen Antrieb mit allem,
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was mit Liebe, Emotionen, Aggressivität
und Sexualität zusammenhängt. Doch
die körpereigenen Wirkstoffe decken ein
weit grösseres Aufgabenspektrum ab: Sie
regeln den Ablauf aller Lebensvorgänge,
koordinieren den Stoffwechsel, sorgen
also dafür, dass alle Mahlzeiten verdaut
werden – sie halten uns gesund und bei
guter Laune und sind die Auslöser der
Lebenslust in weiten Bereichen. Sie prägen
auch unser äusserliches Aussehen, unsere
Konstitution, unseren Haut-Typus; sie
bestimmen, wie ausgeprägt unsere Weiblichkeit oder Männlichkeit ist, welche
Mentalität und welche Grundstimmung
wir haben. Hormone sind die Boten zwischen Organen, Zellen und Zellverbänden
und vermitteln auf ihren Kurierdiensten
lebenswichtige Nachrichten.
Unsere eigenen Drogen
Die Botenstoffe, auch Neurotransmitter
genannt, ermöglichen einen Informationsaustausch zwischen den Abermillionen von Nervenzellen und sie sorgen auch
für eine Informationsspeicherung, die als
Grundlage für unser Gedächtnis gilt.
Die meisten der bekannten Hormone
können heute synthetisiert werden, doch
sind viele der hormonellen Vorgänge im
menschlichen Körper bis in die feinsten
Verästelungen noch wenig oder gar nicht
bekannt. Der menschliche Körper produziert eine Vielzahl von Botenstoffhormonen, die als körpereigene Drogen wirken.
Das geschieht nicht nur in den Synapsen,
den Schaltstellen zur Informationsübertragung unserer Nerven, sondern im Gehirn und allen Organen in allen Körperregionen. Einige der Neurotransmitter
werden in den Nervenendigungen und
im Gehirn hergestellt. Andere Botenstoffe
werden in der Magenwand, in der Muskulatur, in der Haut – wie beispielsweise
Histamin – gebildet.
Adrenalin –
der klassische Botenstoff
Mehrere Botenmoleküle haben ihren Ursprung in den Zellen der Organe und
Naturheilkunde GESUNDHEIT
werden als Gewebshormone bezeichnet.
Sie steuern am Ort ihres Entstehens bestimmte Funktionen. So sorgen Gastrin
und Sekretin für eine geregelte Verdauung unserer Nahrung, indem bestimmte
Enzyme Leber, Galle und Bauchspeicheldrüse anregen.
Körpereigene Drogen bewirken, dass
aus unseren Speisen die Grundbausteine
des Körpers wie Aminosäuren und Energieträger wie Glucose gewonnen werden.
Sie arbeiten dabei in einem harmonischen Ablauf mit anderen Botenstoffen
zusammen.
Einige bewegen sich in Blut- und
Lymphbahnen wie die klassischen Hormone, zu denen Adrenalin, Cortison,
Schilddrüsen-, Sexualhormone und Insulin gerechnet werden. Diese sind der Wissenschaft schon länger bekannt, da sie im
Herzdroge produziert, die der geschwächten Herzpumpmuskulatur zu gesteigerter
Leistung verhilft. Die Abwehrzellen unseres Immunsystems sind gar in der Lage,
körpereigene Endorphine zu bilden, die
den Entzündungsschmerz lindern. Aus
der chirurgischen Notfallambulanz wird
von Fällen berichtet, wo Menschen mit
klaffenden Wunden und Mehrfachfrakturen bei vollem Bewusstsein nicht über
Schmerzen klagen, da körpereigene Morphine in Sekundenschnelle die Schmerzrezeptoren besänftigen.
Träger
von Gedanken und Logik
Als erstes Botenstoffhormon wurde in
den zwanziger Jahren Acetylcholin entdeckt. Acetylcholin ist der Stoff, der
Botenstoffe verhielten sich nicht gleich
wie die körpereigenen. Es zeigten sich
zudem schwere Nebenwirkungen und
zum Teil irreversible Langzeitfolgen.
Hinzu kam noch, dass viele der bahnbrechenden Erkenntnisse nicht in das
Muster der Pharmaindustrie und der
Medizin passten.
Immer mehr kam man dem Phänomen auf die Spur, dass der Körper
bei Bedarf eigene Psycho-Drogen produziert: Schmerzstillende, morphinähnliche Stoffe, die Endorphine, angstdämpfende Substanzen, wie das Endo-Valium,
LSD-ähnliche Drogen oder anregendwachmachende Neurohormone wie Noradrenalin oder Dopamin, das unser Vorstellungsvermögen und die Phantasie auf
die Reise schickt. Der Mensch als autonomer Produzent von Drogen und Phar-
aus dem Innern
Gegensatz zu den typischen Neurotransmittern oder Botenstoffhormonen in
spezialisierten Organen wie der Nebennierenrinde, Schilddrüse oder Bauchspeicheldrüse gebildet werden.
Anfeuern, dämpfen, beruhigen
Heute wird davon ausgegangen, dass Hormone und Neurotransmitter eng vernetzt
sind. Unser Temperament, wie schnell
wir reagieren, denken und reden, hängt
einerseits davon ab, wie sehr uns die
Botenstoffe Noradrenalin und Dopamin
anfeuern und in welchem Masse das
ausgleichende Serotonin uns dämpft
und beruhigt. Doch auch die leistungssteigernden, aber energieabbauenden Schilddrüsenhormone spielen in dieses System
hinein, das immer noch Überraschungen
bereit hält. So entdeckte man unlängst,
dass der Mensch nicht nur über opiumähnliche Glückshormone, sondern auch
über körpereigene valiumähnliche Stoffe
verfügt, die angstlösend und beruhigend
sind, und dass unser Organismus eine
unsere Gedanken trägt, der Kritikfähigkeit, Logik und Vernunft steuert. Das
Atropin, Heilmittel und Gift der Tollkirsche (Belladonna), führt durch den
Einfluss auf das Acetylcholin zu einem
Verlust der Selbstkontrolle. Praktisch
zur gleichen Zeit wurde das bekanntere
Noradrenalin entdeckt. Noradrenalin ist
jener Stoff, der dem Gehirn Wachheit und
gesteigertes Bewusstsein bringen kann,
aber auch über das vegetative Nervensystem Herzschlag, Blutdruck und Darmtätigkeit regelt.
Lange bestand die Meinung, das
menschliche Nervensystem werde nur
von diesen beiden Neurotransmittern
dirigiert. Die Forschungsaktivitäten in
den Labors nach gewinnbringenden
Antidepressiva, Schmerz-, Beruhigungsund Aufputschmitteln lösten zunächst
grosse Euphorie aus. Es schien so, als
sei alles, was Menschen bedrängt oder
sie aus der Bahn wirft, medikamentös
lösbar. Doch die Pharmaforschung musste
sich bald einmal mit der unbequemen
Realität auseinander setzen. Synthetisierte
maka. Welch ein phantastisches Potential
weitgehend ungenutzter Möglichkeiten
tut sich da auf.
Nebenwirkungen inklusive
Ein wichtiger Bereich der Pharmaforschung beschäftigt sich auch heute noch
damit, Wirkstoffe herzustellen, die den
körpereigenen Drogen entsprechen oder
diesen zumindest ähnlich sind. Bei einigen Substanzen ist das gelungen. Doch
immer, wenn man glaubte, am Ziel zu
sein, folgten Rückschläge und Enttäuschung.
Nach der Synthese von Acetylcholin
und Dopamin schien der Weg geebnet,
die Gedächtnisleistung zu fördern und
Alzheimer-Kranke zu heilen. Doch der
menschliche Körper entwickelt sofort
Abwehrreaktionen gegen das Syntheseprodukt und baut es möglichst schnell
ab, ohne dass eine Wirkung eintritt.
Ähnliches geschah mit dem Adrenocorticotropen Hormon (ACTH), das die
Freisetzung der Nebennierenrinden-HorNatürlich | 10-2005 57
GESUNDHEIT Naturheilkunde
Die wichtigsten Hormone
Acetylcholin: Botenstoff für Lernen, Denken
und Gedächtnis. Wurde 1920 als erster
Botenstoff entdeckt.
ACTH (Adrenocorticotropes Hormon): Stimuliert die Nebennierenrinde zur Hormonausschüttung, hat Einfluss auf Hautpigmente
und wird vor allem in den USA als Intelligenzförderer vermarktet.
ADH (Antidiuretisches Hormon): Verhindert
die Diurese, die Entwässerung des Körpers.
Bremst die Nieren und erhöht den Blutdruck.
Ohne ADH müssten wir 40 Liter Flüssigkeit
pro Tag trinken.
Adrenalin: Psychisch und körperlich stark
aktivierender Botenstoff. Stresshormon.
Erhöht Herzkraft und Puls, in hoher Konzentration nervöse Unruhe und Angst.
Noradrenalin: Allgemein aktivierend, stimmungshebend, antidepressives Stresshormon.
Gestagene: Weibliches Sexualhormon.
Glukagon: Hauptgegenspieler des Insulins,
erhöht den Blutzucker.
Östrogen: Weibliches Hormon, das nicht nur
die Frau, sondern auch jeder Mann produziert. Unterstützt viele Körperfunktionen, ist
stimmungsaufhellend, prägt das weibliche
Aussehen und Verhalten.
Glutaminsäure: Chemisch eine Aminosäure,
wirkt als ein anregender Neurotransmitter
im Gehirn, steht als Syntheseprodukt im
Glutamat im Verdacht, Migräne auszulösen.
Parathormon: Hormon der Nebenschilddrüse, Gegen- und Mitspieler des Calcitonins.
Glycin: Chemisch eine Aminosäure, übt
hemmende Wirkung auf Synapsen aus.
Schilddrüsenhormon (Thyroxin, Trijodthyromin): Stark anregende, dynamisierende
und energieverbrauchende Hormone mit
Wirkung auf den ganzen Körper.
Gonadotropine: Sie kommen aus der Hypophyse und stimulieren Sexualhormone und
Sexualorgane.
Histamin: Ein Botenstoff, der auf der Haut
allergische Reaktionen auslöst, der die
Magensäure reguliert und im Gehirn das
emotionale Verhalten beeinflusst.
Secretin: Ein Botenstoff, der Magen und
Darm zur Verdauungstätigkeit anregt.
Serotonin: Ein Neurotransmitter, der für
innere Ausgeglichenheit und Ruhe sorgt.
Wirkt schlafregulierend.
Aldosteron: Reguliert Mineralstoffe im Körper, den Wasserhaushalt und den Blutdruck.
Sexualhormone: Östrogen, Gestagen und
Progesteron sind die bekanntesten weiblichen Hormone, Testosteron ist das typisch
männliche Hormon. Bei Frau und Mann kommen in unterschiedlichen Anteilen alle vor.
Androgene: Männliche Sexualhormone.
Werden wie weibliche Östrogene in der
Nebenniere gebildet, daneben auch in Keimzellen und Hoden.
Angiotensin: Blutdrucksteigerndes Gewebshormon.
Cortisol (Cortison): Entzündungshemmender
Botenstoff, der auch entgiftend wirkt. Fungiert auch als Stresshormon.
DHEA: DHEA (Dehydroepiandrosteron) ist eine
körpereigene Substanz, die in der Nebennierenrinde produziert wird. Aus ihr baut der Körper männliche Hormone (siehe Androgene) und
weibliche Hormone (siehe Östrogene) auf.
Dopamin: Führt zu Phantasie und Kreativität,
verwischt die Grenzen zwischen Genie und
Wahnsinn.
Endorphine: Körpereigene MorphiumMoleküle. Sie stillen Schmerz, heben die
Stimmung und tragen zum Glücksgefühl bei.
Endovalium: Das körpereigene Valium, das
sedierend, entspannend, angstlösend wirkt,
arbeitet mit GABA zusammen.
GABA (Gammaaminobuttersäure): Hauptbotenstoff im Gehirn, bringt Beruhigung.
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Foto: Keystone press
Calcitonin: Bestimmt den Kalzium- und
Phosphathaushalt, an dem auch Vitamin D
beteiligt ist.
Adrenalin: Chemische Struktur
Insulin: Fördert die Glukoseverwertung im
Organismus und senkt dadurch die Blutzuckerkonzentration, den Blutzuckerspiegel.
Kinine: Gruppe von Hormonen, die Spermien
und Gebärmutter stimulieren und bei Verletzungen Schmerz anzeigen.
Melanin: Ein Pigmentmolekül, das die Farbe
der Haut, der Augen und der Haare prägt.
Melatonin: Macht ruhig, müde, leitet bei
den Tieren den Winterschlaf und bei den
Menschen die Winterdepression ein. Prägt
den Biorhythmus.
MSH (Melanocytenstimulierendes Hormon):
Pigmenthormon, das mit Hilfe der Sonne
antidepressiv wirksam ist.
STH: Somatotrophes Hormon (Wachstumshormon), bestimmt unsere Körpergrösse;
auch im Erwachsenenalter ist es aufbauend
aktiv.
Testosteron: Typisch männliches Hormon.
Sorgt für kräftigen Körperbau, ist sexuell
erregend, fördert in hoher Konzentration die
Aggressivität und die Gewichtszunahme.
Thymushormone: Thymus galt im griechischen Altertum als Sitz des Gemüts. Von der
Thymusdrüse werden Thymus-Lymphozyten
und Hormone in Umlauf gebracht, die die
körpereigene Abwehr gegen Krankheiten
stärken.
TRH (Thyreostimulierendes Hormon):
Stimuliert Schilddrüse.
Zirbeldrüsenhormone : Auch beim Menschen
dringen Lichtimpulse durch Haut und
Schädelknochen zur Zirbeldrüse, die zudem
Reize über den Sehnerv empfängt. Das
wichtigste Hormon der Zirbeldrüse ist das
Melatonin, doch auch Noradrenalin ist
vertreten. Die Zirbeldrüsenhormone beeinflussen Stimmung und Antrieb sowie unseren
Biorhythmus.
Naturheilkunde GESUNDHEIT
Mensch besitzt die Fähigkeit, seine körpereigenen Botenstoffe und seine Energien
auf die ihm eigene Art zu aktivieren – hier
liegen grosse und vielfach geringgeschätzte
und vernachlässigte Potentiale für eine
Heilung. Auf die körpereigenen Drogen,
die Botenstoffe, ist Verlass.
■
Eine Auflistung der häufigsten Hormone
finden Sie auf Seite 58.
Infobox
Unfallopfer: Schwer verletzt und doch schmerzfrei dank der körpereigenen Droge
Links zum Thema:
– www.medizinfo.de/endokrinologie/hormone.htm
mone reguliert. Die Wirkung der synthetisierten Medikamente und ob diese denn
nun wirklich Intelligenz, Aufmerksamkeit
und Lernfähigkeit fördern, ist fraglich, die
unerwünschten Nebenwirkungen dagegen sind gut belegt: das Medikament
hemmt beim Menschen die Antikörperbildung und setzt die Widerstandskraft gegen bakterielle Attacken herab.
Von Rückschlägen ist auch ein zentraler Bereich der Pharmaforschung gekennzeichnet: Man versprach sich von künstlich
hergestellten Endorphinen die gleiche beruhigend-angstlösende Wirkung wie von
den Morphinen der Mohnpflanze – ohne
deren Suchtpotential. Doch die Hoffnung
erwies sich als trügerisch. Die künstlichen
Substanzen machen genau so abhängig wie
das bekannte Morphium. Die körpereigenen Endorphine hingegen machen nicht
abhängig. Es lohnt sich daher, die körpereigenen Botenstoffhormone wie Endorphine oder Dopamin selbst anzuregen
und zu mobilisieren. Wege dazu sind:
Holotropes Atmen, Trancezustände, Autosuggestion, Yoga, autogenes Training, ZenMeditation, ekstatisches Tanzen, aktives
Imaginieren und Visualisieren. Jeder
– http://ntbiouser.unibe.ch/trachsel/teaching/
Hormone/Hormone.htm
– www.netdoktor.de/laborwerte/fakten/
hormone/hormone.htm
– www.hormone.org (in englischer Sprache)
Literatur zum Thema:
– Glenville, «Natürliche Alternativen zur Hormonersatz-Therapie», Verlag Natura Viva 2005,
ISBN 3-935407-12-2, Fr. 31.70
– Huber/Gregor, «Die Kraft der Hormone»,
Verlag Knaur 2005,
ISBN: 3-426-66974-9, Fr. 33.40
– Porta/Zagler, «Gib den Stress-Hormonen,
was sie brauchen», Kreuz Verlag 2002,
ISBN: 3-7831-2069-1, Fr. 26.90
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