Fotos: irisblende.de Rausch Wahrnehmungen, Gedanken, Gefühle und Handlungen werden von Botenstoffen getragen, weitergeleitet und umgesetzt. Sie können Angst und Aggressionen auslösen, aber auch Glücksbringer sein. Text: Heinz Knieriemen J ede geistige oder körperliche Funktion lässt sich als ein Zusammenspiel unterschiedlicher Hormone definieren. Das Wort Hormon leitet sich vom griechischen «horman» ab, was so viel bedeutet wie «antreiben». In der Regel verbinden wir diesen Antrieb mit allem, 56 Natürlich | 10-2005 was mit Liebe, Emotionen, Aggressivität und Sexualität zusammenhängt. Doch die körpereigenen Wirkstoffe decken ein weit grösseres Aufgabenspektrum ab: Sie regeln den Ablauf aller Lebensvorgänge, koordinieren den Stoffwechsel, sorgen also dafür, dass alle Mahlzeiten verdaut werden – sie halten uns gesund und bei guter Laune und sind die Auslöser der Lebenslust in weiten Bereichen. Sie prägen auch unser äusserliches Aussehen, unsere Konstitution, unseren Haut-Typus; sie bestimmen, wie ausgeprägt unsere Weiblichkeit oder Männlichkeit ist, welche Mentalität und welche Grundstimmung wir haben. Hormone sind die Boten zwischen Organen, Zellen und Zellverbänden und vermitteln auf ihren Kurierdiensten lebenswichtige Nachrichten. Unsere eigenen Drogen Die Botenstoffe, auch Neurotransmitter genannt, ermöglichen einen Informationsaustausch zwischen den Abermillionen von Nervenzellen und sie sorgen auch für eine Informationsspeicherung, die als Grundlage für unser Gedächtnis gilt. Die meisten der bekannten Hormone können heute synthetisiert werden, doch sind viele der hormonellen Vorgänge im menschlichen Körper bis in die feinsten Verästelungen noch wenig oder gar nicht bekannt. Der menschliche Körper produziert eine Vielzahl von Botenstoffhormonen, die als körpereigene Drogen wirken. Das geschieht nicht nur in den Synapsen, den Schaltstellen zur Informationsübertragung unserer Nerven, sondern im Gehirn und allen Organen in allen Körperregionen. Einige der Neurotransmitter werden in den Nervenendigungen und im Gehirn hergestellt. Andere Botenstoffe werden in der Magenwand, in der Muskulatur, in der Haut – wie beispielsweise Histamin – gebildet. Adrenalin – der klassische Botenstoff Mehrere Botenmoleküle haben ihren Ursprung in den Zellen der Organe und Naturheilkunde GESUNDHEIT werden als Gewebshormone bezeichnet. Sie steuern am Ort ihres Entstehens bestimmte Funktionen. So sorgen Gastrin und Sekretin für eine geregelte Verdauung unserer Nahrung, indem bestimmte Enzyme Leber, Galle und Bauchspeicheldrüse anregen. Körpereigene Drogen bewirken, dass aus unseren Speisen die Grundbausteine des Körpers wie Aminosäuren und Energieträger wie Glucose gewonnen werden. Sie arbeiten dabei in einem harmonischen Ablauf mit anderen Botenstoffen zusammen. Einige bewegen sich in Blut- und Lymphbahnen wie die klassischen Hormone, zu denen Adrenalin, Cortison, Schilddrüsen-, Sexualhormone und Insulin gerechnet werden. Diese sind der Wissenschaft schon länger bekannt, da sie im Herzdroge produziert, die der geschwächten Herzpumpmuskulatur zu gesteigerter Leistung verhilft. Die Abwehrzellen unseres Immunsystems sind gar in der Lage, körpereigene Endorphine zu bilden, die den Entzündungsschmerz lindern. Aus der chirurgischen Notfallambulanz wird von Fällen berichtet, wo Menschen mit klaffenden Wunden und Mehrfachfrakturen bei vollem Bewusstsein nicht über Schmerzen klagen, da körpereigene Morphine in Sekundenschnelle die Schmerzrezeptoren besänftigen. Träger von Gedanken und Logik Als erstes Botenstoffhormon wurde in den zwanziger Jahren Acetylcholin entdeckt. Acetylcholin ist der Stoff, der Botenstoffe verhielten sich nicht gleich wie die körpereigenen. Es zeigten sich zudem schwere Nebenwirkungen und zum Teil irreversible Langzeitfolgen. Hinzu kam noch, dass viele der bahnbrechenden Erkenntnisse nicht in das Muster der Pharmaindustrie und der Medizin passten. Immer mehr kam man dem Phänomen auf die Spur, dass der Körper bei Bedarf eigene Psycho-Drogen produziert: Schmerzstillende, morphinähnliche Stoffe, die Endorphine, angstdämpfende Substanzen, wie das Endo-Valium, LSD-ähnliche Drogen oder anregendwachmachende Neurohormone wie Noradrenalin oder Dopamin, das unser Vorstellungsvermögen und die Phantasie auf die Reise schickt. Der Mensch als autonomer Produzent von Drogen und Phar- aus dem Innern Gegensatz zu den typischen Neurotransmittern oder Botenstoffhormonen in spezialisierten Organen wie der Nebennierenrinde, Schilddrüse oder Bauchspeicheldrüse gebildet werden. Anfeuern, dämpfen, beruhigen Heute wird davon ausgegangen, dass Hormone und Neurotransmitter eng vernetzt sind. Unser Temperament, wie schnell wir reagieren, denken und reden, hängt einerseits davon ab, wie sehr uns die Botenstoffe Noradrenalin und Dopamin anfeuern und in welchem Masse das ausgleichende Serotonin uns dämpft und beruhigt. Doch auch die leistungssteigernden, aber energieabbauenden Schilddrüsenhormone spielen in dieses System hinein, das immer noch Überraschungen bereit hält. So entdeckte man unlängst, dass der Mensch nicht nur über opiumähnliche Glückshormone, sondern auch über körpereigene valiumähnliche Stoffe verfügt, die angstlösend und beruhigend sind, und dass unser Organismus eine unsere Gedanken trägt, der Kritikfähigkeit, Logik und Vernunft steuert. Das Atropin, Heilmittel und Gift der Tollkirsche (Belladonna), führt durch den Einfluss auf das Acetylcholin zu einem Verlust der Selbstkontrolle. Praktisch zur gleichen Zeit wurde das bekanntere Noradrenalin entdeckt. Noradrenalin ist jener Stoff, der dem Gehirn Wachheit und gesteigertes Bewusstsein bringen kann, aber auch über das vegetative Nervensystem Herzschlag, Blutdruck und Darmtätigkeit regelt. Lange bestand die Meinung, das menschliche Nervensystem werde nur von diesen beiden Neurotransmittern dirigiert. Die Forschungsaktivitäten in den Labors nach gewinnbringenden Antidepressiva, Schmerz-, Beruhigungsund Aufputschmitteln lösten zunächst grosse Euphorie aus. Es schien so, als sei alles, was Menschen bedrängt oder sie aus der Bahn wirft, medikamentös lösbar. Doch die Pharmaforschung musste sich bald einmal mit der unbequemen Realität auseinander setzen. Synthetisierte maka. Welch ein phantastisches Potential weitgehend ungenutzter Möglichkeiten tut sich da auf. Nebenwirkungen inklusive Ein wichtiger Bereich der Pharmaforschung beschäftigt sich auch heute noch damit, Wirkstoffe herzustellen, die den körpereigenen Drogen entsprechen oder diesen zumindest ähnlich sind. Bei einigen Substanzen ist das gelungen. Doch immer, wenn man glaubte, am Ziel zu sein, folgten Rückschläge und Enttäuschung. Nach der Synthese von Acetylcholin und Dopamin schien der Weg geebnet, die Gedächtnisleistung zu fördern und Alzheimer-Kranke zu heilen. Doch der menschliche Körper entwickelt sofort Abwehrreaktionen gegen das Syntheseprodukt und baut es möglichst schnell ab, ohne dass eine Wirkung eintritt. Ähnliches geschah mit dem Adrenocorticotropen Hormon (ACTH), das die Freisetzung der Nebennierenrinden-HorNatürlich | 10-2005 57 GESUNDHEIT Naturheilkunde Die wichtigsten Hormone Acetylcholin: Botenstoff für Lernen, Denken und Gedächtnis. Wurde 1920 als erster Botenstoff entdeckt. ACTH (Adrenocorticotropes Hormon): Stimuliert die Nebennierenrinde zur Hormonausschüttung, hat Einfluss auf Hautpigmente und wird vor allem in den USA als Intelligenzförderer vermarktet. ADH (Antidiuretisches Hormon): Verhindert die Diurese, die Entwässerung des Körpers. Bremst die Nieren und erhöht den Blutdruck. Ohne ADH müssten wir 40 Liter Flüssigkeit pro Tag trinken. Adrenalin: Psychisch und körperlich stark aktivierender Botenstoff. Stresshormon. Erhöht Herzkraft und Puls, in hoher Konzentration nervöse Unruhe und Angst. Noradrenalin: Allgemein aktivierend, stimmungshebend, antidepressives Stresshormon. Gestagene: Weibliches Sexualhormon. Glukagon: Hauptgegenspieler des Insulins, erhöht den Blutzucker. Östrogen: Weibliches Hormon, das nicht nur die Frau, sondern auch jeder Mann produziert. Unterstützt viele Körperfunktionen, ist stimmungsaufhellend, prägt das weibliche Aussehen und Verhalten. Glutaminsäure: Chemisch eine Aminosäure, wirkt als ein anregender Neurotransmitter im Gehirn, steht als Syntheseprodukt im Glutamat im Verdacht, Migräne auszulösen. Parathormon: Hormon der Nebenschilddrüse, Gegen- und Mitspieler des Calcitonins. Glycin: Chemisch eine Aminosäure, übt hemmende Wirkung auf Synapsen aus. Schilddrüsenhormon (Thyroxin, Trijodthyromin): Stark anregende, dynamisierende und energieverbrauchende Hormone mit Wirkung auf den ganzen Körper. Gonadotropine: Sie kommen aus der Hypophyse und stimulieren Sexualhormone und Sexualorgane. Histamin: Ein Botenstoff, der auf der Haut allergische Reaktionen auslöst, der die Magensäure reguliert und im Gehirn das emotionale Verhalten beeinflusst. Secretin: Ein Botenstoff, der Magen und Darm zur Verdauungstätigkeit anregt. Serotonin: Ein Neurotransmitter, der für innere Ausgeglichenheit und Ruhe sorgt. Wirkt schlafregulierend. Aldosteron: Reguliert Mineralstoffe im Körper, den Wasserhaushalt und den Blutdruck. Sexualhormone: Östrogen, Gestagen und Progesteron sind die bekanntesten weiblichen Hormone, Testosteron ist das typisch männliche Hormon. Bei Frau und Mann kommen in unterschiedlichen Anteilen alle vor. Androgene: Männliche Sexualhormone. Werden wie weibliche Östrogene in der Nebenniere gebildet, daneben auch in Keimzellen und Hoden. Angiotensin: Blutdrucksteigerndes Gewebshormon. Cortisol (Cortison): Entzündungshemmender Botenstoff, der auch entgiftend wirkt. Fungiert auch als Stresshormon. DHEA: DHEA (Dehydroepiandrosteron) ist eine körpereigene Substanz, die in der Nebennierenrinde produziert wird. Aus ihr baut der Körper männliche Hormone (siehe Androgene) und weibliche Hormone (siehe Östrogene) auf. Dopamin: Führt zu Phantasie und Kreativität, verwischt die Grenzen zwischen Genie und Wahnsinn. Endorphine: Körpereigene MorphiumMoleküle. Sie stillen Schmerz, heben die Stimmung und tragen zum Glücksgefühl bei. Endovalium: Das körpereigene Valium, das sedierend, entspannend, angstlösend wirkt, arbeitet mit GABA zusammen. GABA (Gammaaminobuttersäure): Hauptbotenstoff im Gehirn, bringt Beruhigung. 58 Natürlich | 10-2005 Foto: Keystone press Calcitonin: Bestimmt den Kalzium- und Phosphathaushalt, an dem auch Vitamin D beteiligt ist. Adrenalin: Chemische Struktur Insulin: Fördert die Glukoseverwertung im Organismus und senkt dadurch die Blutzuckerkonzentration, den Blutzuckerspiegel. Kinine: Gruppe von Hormonen, die Spermien und Gebärmutter stimulieren und bei Verletzungen Schmerz anzeigen. Melanin: Ein Pigmentmolekül, das die Farbe der Haut, der Augen und der Haare prägt. Melatonin: Macht ruhig, müde, leitet bei den Tieren den Winterschlaf und bei den Menschen die Winterdepression ein. Prägt den Biorhythmus. MSH (Melanocytenstimulierendes Hormon): Pigmenthormon, das mit Hilfe der Sonne antidepressiv wirksam ist. STH: Somatotrophes Hormon (Wachstumshormon), bestimmt unsere Körpergrösse; auch im Erwachsenenalter ist es aufbauend aktiv. Testosteron: Typisch männliches Hormon. Sorgt für kräftigen Körperbau, ist sexuell erregend, fördert in hoher Konzentration die Aggressivität und die Gewichtszunahme. Thymushormone: Thymus galt im griechischen Altertum als Sitz des Gemüts. Von der Thymusdrüse werden Thymus-Lymphozyten und Hormone in Umlauf gebracht, die die körpereigene Abwehr gegen Krankheiten stärken. TRH (Thyreostimulierendes Hormon): Stimuliert Schilddrüse. Zirbeldrüsenhormone : Auch beim Menschen dringen Lichtimpulse durch Haut und Schädelknochen zur Zirbeldrüse, die zudem Reize über den Sehnerv empfängt. Das wichtigste Hormon der Zirbeldrüse ist das Melatonin, doch auch Noradrenalin ist vertreten. Die Zirbeldrüsenhormone beeinflussen Stimmung und Antrieb sowie unseren Biorhythmus. Naturheilkunde GESUNDHEIT Mensch besitzt die Fähigkeit, seine körpereigenen Botenstoffe und seine Energien auf die ihm eigene Art zu aktivieren – hier liegen grosse und vielfach geringgeschätzte und vernachlässigte Potentiale für eine Heilung. Auf die körpereigenen Drogen, die Botenstoffe, ist Verlass. ■ Eine Auflistung der häufigsten Hormone finden Sie auf Seite 58. Infobox Unfallopfer: Schwer verletzt und doch schmerzfrei dank der körpereigenen Droge Links zum Thema: – www.medizinfo.de/endokrinologie/hormone.htm mone reguliert. Die Wirkung der synthetisierten Medikamente und ob diese denn nun wirklich Intelligenz, Aufmerksamkeit und Lernfähigkeit fördern, ist fraglich, die unerwünschten Nebenwirkungen dagegen sind gut belegt: das Medikament hemmt beim Menschen die Antikörperbildung und setzt die Widerstandskraft gegen bakterielle Attacken herab. Von Rückschlägen ist auch ein zentraler Bereich der Pharmaforschung gekennzeichnet: Man versprach sich von künstlich hergestellten Endorphinen die gleiche beruhigend-angstlösende Wirkung wie von den Morphinen der Mohnpflanze – ohne deren Suchtpotential. Doch die Hoffnung erwies sich als trügerisch. Die künstlichen Substanzen machen genau so abhängig wie das bekannte Morphium. Die körpereigenen Endorphine hingegen machen nicht abhängig. Es lohnt sich daher, die körpereigenen Botenstoffhormone wie Endorphine oder Dopamin selbst anzuregen und zu mobilisieren. Wege dazu sind: Holotropes Atmen, Trancezustände, Autosuggestion, Yoga, autogenes Training, ZenMeditation, ekstatisches Tanzen, aktives Imaginieren und Visualisieren. Jeder – http://ntbiouser.unibe.ch/trachsel/teaching/ Hormone/Hormone.htm – www.netdoktor.de/laborwerte/fakten/ hormone/hormone.htm – www.hormone.org (in englischer Sprache) Literatur zum Thema: – Glenville, «Natürliche Alternativen zur Hormonersatz-Therapie», Verlag Natura Viva 2005, ISBN 3-935407-12-2, Fr. 31.70 – Huber/Gregor, «Die Kraft der Hormone», Verlag Knaur 2005, ISBN: 3-426-66974-9, Fr. 33.40 – Porta/Zagler, «Gib den Stress-Hormonen, was sie brauchen», Kreuz Verlag 2002, ISBN: 3-7831-2069-1, Fr. 26.90 Anzeigen 20291-10 22881-10 23406-10 Natürlich | 10-2005 59