Permanentmagnetische Lager

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Permanentmagnetische Lager
Johan K. Fremerey,
Abteilung Magnetlager- und Antriebstechnik,
Institut für Grenzflächenforschung und Vakuumphysik,
Forschungschungszentrum Jülich,
52425 Jülich
0B30-A30
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English version will follow
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Vorwort zur ersten Internet-Fassung vom November 2000
Der vorliegende Artikel wurde in seiner ersten Fassung als Arbeitsunterlage zum
Lehrgang Luftlagerungen an der Technischen Akademie Esslingen im Februar 2000
fertiggestellt. Auf Initiative des Leiters der Akademie, Professor Wilfried J. Bartz, ist
das Thema “Magnetlager” in Esslingen bereits seit 1978 fester Bestandteil der
Lehrgänge “Selbstschmierende und wartungsfreie Gleitlager” und “Luftlagerungen”.
Ein entsprechender Buchbeitrag wird seit 1982 im Themenband “Luftlagerungen” der
Reihe “Kontakt & Studium” veröffentlicht [1]. Die vorliegende, korrigierte Fassung des
Magnetlagerbeitrags wurde für den Gleitlager-Lehrgang im November 2000 erstellt
und soll in der nächsten Auflage des Themenbands “Luftlagerungen” erscheinen.
Inhalt
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
8.
9.
10.
11.
12.
13.
14.
Einführung
Der Permanentmagnet als verlustfreier Stromträger
Der magnetische Lagerdruck
Attraktives Ringlager mit axialem Kräfteausgleich
Ermittlung der passiven Lagersteifigkeiten
Mehrfachringlager
Repulsive Lager
Reluktanzlager
Axialstabilisierung
Aktive Dämpfung
Passive Dämpfungsmechanismen
Permanentmagnetische Lager mit radial aktiver Stabilisierung
Anwendungsbeispiele
Quellenangaben
2
1. Einführung
Lager dienen zur Abstützung sowie zur Führung eines beweglichen Körpers an
einem feststehenden Teil. Herkömmliche Wälz- und Gleitlager arbeiten mit festen,
flüssigen oder gasförmigen Schmierstoffen an den Kontaktflächen zwischen
feststehendem und beweglichem Lagerteil. Im Gegensatz hierzu arbeiten
Feldkraftlager, in denen die Lagerkräfte von elektrischen oder magnetischen Feldern
erzeugt werden, berührungslos, ohne Kontaktmedium. Feldkraftlager werden mit
besonderem Vorteil dort eingesetzt, wo andere Lager aufgrund von
Schmierstoffproblemen an ihre Grenzen stoßen. Bei hohen Umgebungstemperaturen sowie durch Reibungswärme am Lagerspalt kann der Schmierstoff in
schnell drehenden Systemen überhitzt werden und dadurch seine Funktion verlieren.
Bei tiefen Temperaturen können flüssige Schmierstoffe zäh und dadurch
unbrauchbar werden. Die Verwendung von Schmierstoffen kann auch aufgrund einer
physikalisch-chemischen
Unverträglichkeit
bei
bestimmten
Anwendungen
unerwünscht sein, z.B. in der Vakuum-, Reinstraum-, Chemie-, Nahrungsmittel- und
Medizintechnik.
In einer berührungslosen Lagerung entfallen die genannten Beschränkungen. Sie
arbeitet verschleiß- und wartungsfrei und ist frei von reibungsbedingten Energieverlusten. Die Ausschaltung der lagerbedingten Reibungsverluste kommt bei schnell
bewegten Systemen nur unter weitestgehendem Ausschluss der Luftreibung, d.h.
unter Vakuumbedingungen zum Tragen.
Bei Verwendung von Permanent- und Elektromagneten lassen sich Lagerdrücke bis
zu mehreren Atmosphären realisieren. Unter Lagerdruck ist die auf die
Lagerspaltfläche bezogene Tragkraft eines Lagers zu verstehen. Für Magnetlager
gibt es dementsprechend ein sehr breites Anwendungsspektrum. Wegen ihrer um
mehr als das tausendfache geringeren Lagerdrücke ist der Einsatz elektrostatischer
und diamagnetischer Feldkraftlager auf sehr spezielle Anwendungen beschränkt.
Diese Lager werden hier nicht behandelt.
Magnetische Lager werden seit mehr als 100 Jahren im Maschinen- und
Apparatebau zur Entlastung mechanischer Lagerungen eingesetzt [2]. Insbesondere
sind moderne Gas-Ultrazentrifugen zur Urananreicherung mit permanentmagnetischer Teillagerung ausgestattet. Die weltweite Gesamtinstallation wird auf
etwa 1 Mio. Stück geschätzt [3]. Die Anzahl von Vakuumpumpen mit entsprechender
Lagerung liegt in der Größenordnung von 100.000 Stück [4].
Das erste vollständig gewichtsentlastete, berührungslose Magnetlager wurde 1934
von H. Kemper [5] realisiert und zum Patent angemeldet. Dieses Lager brachte mit
Hilfe eines elektrischen Hubmagneten eine Last von 210 kg zum Schweben. Die
sensorgesteuerte Regelung von leistungsstarken Hubmagneten unter Verwendung
von Elektronenröhren war erst zu dieser Zeit möglich.
Zum praktischen Einsatz gelangten berührungslose Magnetlager mit radialer
Stabilisierung ab etwa 1950 in der Navigationstechnik [6]. Diese Lager basierten wie
das Kemper-Lager auf rein elektromagnetischer Krafterzeugung. Das erste
berührungslose permanentmagnetische Rotorlager mit axialer Stabilisierung wurde
1955 von R. G. Gilbert [7] zum Patent angemeldet. Permanentmagnetische Lager
mit radial aktiver Stabilisierung wurden in den sechziger Jahren von K. Boden und
3
D. Scheffer entwickelt und erstmals 1968 zum Patent angemeldet [8]. Der besondere
Vorteil eines permanentmagnetischen Lagers besteht darin, dass die
Gewichtsbelastung des gelagerten Körpers vollständig durch magnetostatische
Kräfte, d.h. ohne Energieaufwand aufgefangen wird. Nur zur Kompensation von
dynamischen Belastungen wird elektrische Energie benötigt.
Mit Beginn der siebziger Jahre wurden im Hinblick auf maximale Zuverlässigkeit und
geringstmöglichen Energieverbrauch permanentmagnetische Systeme zur Lagerung
von Drallrädern in Erdsatelliten eingesetzt [9]. Gleichzeitig begann auch die
Erschließung der Magnetlagertechnik für erdgebundene Anwendungen in Industrie
und Forschung. Berührungslose Magnetlager mit und ohne Permanentmagnete
werden heute vor allem in Vakuumpumpen bei der Produktion von Halbleiterchips
eingesetzt. Mehr als 50.000 Pumpen mit radial aktiver Stabilisierung wurden seit
1983 von Seiko Seiki verkauft [10]. Leybold hat seit 1990 unter Lizenz des
Forschungszentrums Jülich etwa 20.000 Pumpen mit radial passiver,
permanentmagnetischer Lagerung verkauft [11].
Die Magnetlagertechnik ermöglicht nicht nur den Ersatz von herkömmlichen Lagern
zur Vermeidung der bekannten Mängel an kritischen Einsatzpunkten, sondern sie
erschließt darüber hinaus Anwendungen, die mit herkömmlichen Lagerungen gar
nicht zugänglich sind. Hierzu zählen insbesondere Anwendungen, die den Einsatz
von Schmiermitteln ausschließen, so z.B. Rotorlagerungen mit Bewegungsgeschwindigkeiten bis zu mehreren hundert m/s am Lagerspalt (Zentrifugen,
Drallräder), Lagerungen mit hermetisch gekapseltem Rotor, wobei die Kapselung
innerhalb des Lagerspalts untergebracht ist (kontaminationsfreie Pumpen und
Verdichter, Gasreibungsvakuummeter, Licht- und Teilchenstrahl-Chopper, Kristallziehanlagen, Drehanoden-Röntgenröhren) sowie Lagerungen für den Betrieb bei
extrem hohen und/oder niedrigen Temperaturen (Pumpen und Verdichter).
Der permanentmagnetischen Lagertechnik kann aufgrund der ohne äußere Energiezufuhr bereitstehenden statischen Tragkräfte eine bevorzugte technische Bedeutung
zugesprochen werden. Auch hinsichtlich der Herstellungskosten und der
Betriebssicherheit sind permanentmagnetische Lager im Vorteil gegenüber
Magnetlagern mit ausschließlich elektromagnetischer Krafterzeugung. Die
letztgenannten Lager verbrauchen in nicht unerheblichem Maße elektrische Energie
und erfordern die Installation einer größeren Anzahl entsprechend leistungsstarker
elektronischer Regler. Elektromagnetische Lager werden z.Z. vorzugsweise im
Werkzeug- und Schwermaschinenbau eingesetzt, wenn hohe, durch den
Anwendungsprozess bedingte dynamische Störkräfte zu beherrschen sind.
Bei einer speziellen Art von permanentmagnetischen Lagern werden sog.
“Hochtemperatur-Supraleiter” verwendet, die bei der Temperatur von flüssigem
Stickstoff betrieben werden. Wegen der erforderlichen Tiefkühltechnik ist die
Anwendung solcher Lager eingeschränkt. Sie werden hier nicht behandelt.
Die permanentmagnetische Lagertechnik ist in der Fach- und Patentliteratur sowie
auf Fachtagungen noch nicht in dem Umfang vertreten wie die elektromagnetische
Lagertechnik. Eine Zusammenfassung der bis ins 19. Jahrhundert zurückreichenden
Literatur wurde 1964 von P. J. Geary [2] veröffentlicht. Zwei am Ende der siebziger
Jahre zeitparallel verfasste Dissertationen von M. Marinescu [12] und J. P. Yonnet
[13] befassen sich eingehend mit den theoretischen Grundlagen permanent-
4
magnetischer Lagerelemente. Der aktuelle Stand der Technik kann heute bequem
aus Patentdatenbanken entnommen werden, die das europäische [14] und das USamerikanische Patentamt [15] über das Internet kostenlos zugänglich machen.
Die erste internationale Fachtagung zum Thema Magnetlager, das International
Symposium on Magnetic Bearings, wurde 1988 von G. Schweitzer in Zürich
organisiert [16]. Diese Tagung findet alle zwei Jahre abwechselnd in Europa, den
U.S.A. und in Japan statt. Daneben sind auch die von der NASA ins Leben gerufene,
in zweijährigem Abstand veranstaltete Tagung International Symposium on Magnetic
Suspension Technology (seit 1991) sowie die seit 1991 in jedem Jahr von der
University of Virginia organisierte Magnetic Bearings, Magnetic Drives and Dry Gas
Seals Conference zu nennen. Zu allen genannten Tagungen wurden Proceedings
veröffentlicht.
Die in der vorliegenden Abhandlung dargestellte permanentmagnetische
Lagertechnik basiert im wesentlichen auf Entwicklungen, die seit Mitte der sechziger
Jahre zunächst an dem von W. Groth geleiteten Institut für Physikalische Chemie der
Universität Bonn und seit 1974 auf Initiative von G. Comsa, dem Mitbegründer des
Instituts für Grenzflächenforschung und Vakuumphysik, im Forschungszentrum
Jülich durchgeführt wurden. Die von der Industrie auf der Basis der Jülicher
Magnetlagertechnik erzielten Gesamtumsätze haben bis heute eine Größenordnung
von mehreren hundert Millionen DM erreicht.
Im folgenden sollen einige grundlegende Aspekte der permanentmagnetischen
Lagertechnik erläutert und Richtlinien zur Dimensionierung solcher Lager entwickelt
werden. Es werden im wesentlichen permanentmagnetische Ringlager in axial
attraktiver Anordnung behandelt, bei denen die Permanentmagnete unmittelbar am
Lagerspalt, d.h. ohne den Einsatz zusätzlicher Eisenarmaturen (“Polschuhe”)
gegenüberstehen. Diese Lager sind in Aufbau und Funktionsweise übersichtlich und
eignen sich daher für den gedanklichen Einstieg in die Magnetlagertechnik.
Zum Vergleich werden auch Lager mit repulsiver Magnetanordnung sowie
Reluktanzlager mit Eisenpolschuhen am Lagerspalt vorgestellt. Ferner werden die
bei jeder Art von magnetischen Lagern erforderlichen Stabilisierungs- und
Dämpfmechanismen erläutert. Schließlich wird ein permanentmagnetisches Lager
mit aktiver Radialstabilisierung gezeigt, das mit seinen weiten Lagerspalten
besonders geeignet für die Lagerung hermetisch gekapselter Rotorsysteme ist.
Im letzten Abschnitt werden einige mit der Jülicher Magnetlagertechnik realisierte
und z.T. in die industrielle Produktion übernommene Anwendungen [17] präsentiert.
2. Der Permanentmagnet als verlustfreier Stromträger
Ein Permanentmagnet ist - physikalisch gesehen - ein System aus atomaren
Kreisströmen (Elektronenspins). Permanentmagnete werden aus kristallinem Pulver
hergestellt. Das Magnetpulver wird in Gegenwart eines starken Magnetfelds in eine
Form gepresst. Dabei richten sich die Kristalle mit ihrer bevorzugten
Magnetisierungsachse in Richtung des Magnetfelds aus. Die Presslinge werden
anschließend gesintert. Bei der oberhalb von 1000 °C liegenden Sintertemperatur
geht die nach außen hin wirksame Magnetisierung verloren, weil die thermische
5
Bewegung der Atome zur weitestgehend antiparallelen Ausrichtung der
Elementarmagnete in den Kristallen führt. Da die Orientierung der Körner im
Sinterverbund nicht verloren geht, kann die Parallelausrichtung der Elementarströme
nach dem Abkühlen der Magnete durch einen ausreichend starken
Magnetisierungsimpuls wiederhergestellt werden.
Unmittelbar benachbarte Elementarströme im Inneren des so ausgerichteten
Magnetmaterials laufen einander entgegen und neutralisieren sich auf diese Weise.
Bei einem axial magnetisierten Ring nach Bild 1 baut sich nur an den Mantelflächen,
wo nach außen hin keine benachbarten Elementarströme vorhanden sind, ein
tangential verlaufender Oberflächenstrom auf. Die Kraftwirkungen zwischen
Magneten lassen sich vollständig auf diese Oberflächenströme zurückführen. Das
Oberflächenstrommodell wird in modernen Computerprogrammen als Grundlage zur
Berechnung magnetischer Vorrichtungen und Maschinen verwendet.
Der Betrag des Oberflächenstroms läßt sich gedanklich ableiten aus der
magnetischen Feldstärke, die erforderlich ist, um den von den Oberflächenströmen
erzeugten magnetischen Fluss im Inneren des Magneten zu neutralisieren. Diese
Feldstärke ist bekannt unter der Bezeichnung “Koerzitivfeldstärke” und als solche in
den Datenblättern von Permanentmagneten ausgewiesen.
Die Koerzitivfeldstärke (HcB) moderner Neodym-Eisen-Bor-Magnete (NdFeB) erreicht
Werte um 1000 kA/m. Dies bedeutet, dass ein axial magnetisierter Ring aus diesem
Material mit einer Höhe von 1 cm an seinen Zylinderflächen Strombeläge von jeweils
10.000 A, insgesamt also 20.000 A bereitstellt, und dies vollkommen verlustfrei.
N
S
Bild 1. Mantelstrommodell eines axial magnetisierten Ringes
Ein gewöhnlicher Ringmagnet kann somit als Hochstromspulenträger mit
supraleitenden Mantelflächen betrachtet werden. Im Hinblick auf “HochtemperaturSupraleiter”, die bei Betriebstemperaturen von ca. −190 °C (flüssiger Stickstoff) seit
einigen Jahren auch in Magnetlagern eingesetzt werden, sind wir geneigt, bei
Betrachtung der Mantelströme eines gewöhnlichen Permanentmagneten von
“Raumtemperatur-Supraleitung” zu sprechen.
Es sei an dieser Stelle erwähnt, dass neben dem Mantelstrommodell auch das
mathematisch gleichwertige Flächenladungsmodell des Permanentmagneten
6
benutzt wird. Felder und Kräfte werden hier von magnetischen Ladungsdichten an
den Polflächen der Magnete abgeleitet. Das Flächenladungsmodell wurde durch die
Arbeiten von M. Marinescu [12] und J. P. Yonnet [13] als Grundlage zur Herleitung
von Berechnungsformeln für permanentmagnetische Lagerelemente bekannt.
3. Der magnetische Lagerdruck
Zur Ableitung von Tragkräften und Lagersteifigkeiten (s. Abschnitt 5) sowie zum
Vergleich mit anderen Lagertypen ist es sinnvoll, den Begriff des magnetischen
Lagerdrucks einzuführen. Dieser kann für das Innere des Lagerspalts unmittelbar
aus der magnetischen Feldenergiedichte definiert [18,19] und alternativ in den
Formen
pmag ≡ dEmag / dv
=
1
2
BH,
=
µ
2
H ,
=
1
2µ
2
2
B .
(1a)
(1b)
(1c)
angegeben werden. B bezeichnet die magnetische Flussdichte, H ist die
magnetische Feldstärke und µ die magnetische Leitfähigkeit (Permeabilität) des
betreffenden Mediums. Im Lagerspalt kann mit der Permeabilität des Vakuums µ =
µ0 = 4π × 10-7 Vs/Am, gerechnet werden.
Während (1b) mit H, gemessen in A/m, den Bezug zu den im vorangehenden
Abschnitt erläuterten Oberflächenströmen hervorhebt, verdeutlicht (1c) mit B,
gemessen in Vs/m2, den Bezug zum magnetischen Fluss (Einheit Vs) und der
Lagerspaltfläche. Beide Aspekte des Lagerdrucks sind für das Verständnis der
Wirkungsweise permanentmagnetischer Lager hilfreich. Der Ausdruck (1c) wird im
folgenden zur Ermittlung von Kräften und Steifigkeiten herangezogen.
Der magnetische Druck im Lagerspalt kann aus der dort messbaren Flussdichte B
berechnet werden. Bei einer Flussdichte von 1 T (=Vs/m2) ergibt sich aus (1c) ein
Lagerdruck von 4 bar. In der Praxis werden wegen magnetischer Streuflüsse kaum
mehr als 0,7 T erreicht. Dieser Wert entspricht aufgrund der quadratischen
Abhängigkeit von B einem Lagerdruck von 2 bar.
Aus der Elektrizitätslehre ist bekannt, dass zwei eng zusammenliegende Drähte sich
anziehen, wenn sie in gleicher Richtung von Strom durchflossen sind, und dass sie
sich in demselben Maße abstoßen, wenn die Ströme einander entgegengerichtet
sind. Diese beiden Fälle sind in Bild 2 dargestellt. Die Verteilung des von den
Strömen erzeugten magnetischen Flusses ist in den Schnittbildern dargestellt. Die
Richtung der den Oberflächenströmen entsprechenden Magnetisierung ist durch
Pfeile gekennzeichnet. In Richtung der Flusslinien wirken anziehende Kräfte. Quer
zu den Flusslinien herrschen abstoßende Kräfte. Die Kräfte sind dem Produkt der
7
Ströme proportional. Wenn beide Ströme gleich groß sind, erhält man die in (1b)
zum Ausdruck kommende quadratische Abhängigkeit vom Strom.
(a)
(b)
Bild 2. Ringmagnete mit Flussbildern in (a) attraktiver und (b) repulsiver
Gegenüberstellung
Die in Bild 2a gezeigten Ströme erzeugen einen magnetischen Fluß, der den
zwischen den Magneten liegenden Spalt in axialer Richtung durchsetzt. In Richtung
der Feldlinien herrscht eine Zugkraft mit der Tendenz den Spalt zu verengen. Die
Zugkraft kann zur Gewichtsentlastung einer Rotorlagerung genutzt werden. Zu
diesem Zweck wird der untere Magnet beispielsweise am oberen Ende der Welle
eines vertikal ausgerichteten Rotorsystems befestigt, und der obere Magnet am
Stator. Ein am unteren Wellenende befestigtes mechanisches Lager muß dann nur
noch einen Bruchteil des Rotorgewichts tragen bzw. ein axiales Zusammenschnappen der Magnete verhindern. Die attraktive Wirkung der Oberflächenströme
verleiht der Anordnung nach Bild 2a neben der axialen Zugkraft gleichzeitig eine
radiale Zentrierkraft. Das Lager ist radial stabil.
Die repulsive Anordnung nach Bild 2b kann ebenfalls als Entlastungslager eingesetzt
werden. Dazu wird der untere Magnet am Stator und der obere am Rotor befestigt.
Aufgrund der vom Statorring nach oben gerichteten abstoßenden Kraftwirkung steht
8
in axialer Richtung eine stabile Abstützung des Rotorgewichts zur Verfügung. Die
abstoßende Kraftwirkung zwischen den gegenläufigen Oberflächenströmen kommt
aber auch in den radialen Richtungen zur Wirkung. Die Magnete drängen sich
dementsprechend gegenseitig aus der konzentrischen Gegenüberstellung heraus.
Das System ist axial stabil, bedarf aber einer radialen Führung.
Wir werden uns im folgenden hauptsächlich mit attraktiven permanentmagnetischen
Lagern entsprechend Bild 2a befassen. Da sie nur in einer Richtung stabilisiert
werden müssen, stellen sie die einfachstmögliche Form der Magnetlagerung dar.
Wegen ihres geringen Stabilisierungsaufwands bieten diese Lager die
höchstmögliche Betriebssicherheit. Auch der Herstellungsaufwand ist vergleichsweise gering, und es gibt eine Vielzahl von bereits erschlossenen sowie von
potentiellen neuen Anwendungsfeldern für diese Art der berührungslosen Lagerung.
4. Attraktives Ringlager mit axialem Kräfteausgleich
Aufgrund seiner radialen Zentrierkraft kann mit dem attraktiven Ringlager nach
Bild 2a auch eine horizontal ausgerichtete Welle abgestützt werden. Durch
Hinzufügen eines weiteren Statormagneten auf der anderen Seite des
Rotormagneten (Bild 3a) läßt sich die radiale Zentrierkraft verdoppeln. Gleichzeitig
wird die axiale Zugkraft ausgeglichen (Bild 3b), so dass sich bei Mittenstellung des
Rotormagneten zwischen
(a)
(b)
(c)
Bild 3. Attraktives Ringlager mit Flussbildern in radial und axial ausgelenkter Stellung
den Statorringen ein magnetisches Kräftegleichgewicht ergibt [20]. Die axiale
Gleichgewichtsposition ist instabil. Man erkennt aus dem Feldlinienbild 3c, dass bei
axialer Auslenkung des Wellenmagneten der magnetische Fluss und damit die
Zugkraft genau an dem Lagerspalt zunehmen, der durch die Auslenkung verengt
wurde.
Die sich bei einer Axialauslenkung einstellende Zugkraft kann bei vertikaler
Systemachse zur Aufnahme des Rotorgewichts genutzt werden. Der Rotormagnet
9
muss in diesem Fall von der axialen Mittenposition nach oben verschoben sein, so
dass die Zugkraft des oberhalb gelegenen Statormagneten überwiegt. Das Lager
nach Bild 3 eignet sich zur Gewichtsabstützung von Rotoren bei beliebiger Achslage.
Das in Bild 3b wiedergegebenen Flusslinienbild zeigt eine von den Stirnflächen des
Rotormagneten nach oben gerichtete Komponente, die den nach unten
ausgelenkten Rotormagneten in die mit den Statorringen konzentrische Lage
zurückzieht.
5. Ermittlung der passiven Lagersteifigkeiten
Die Bezeichnung “passiv” soll darauf hinweisen, dass nur solche Kräfte und
Steifigkeiten betrachtet werden, die durch die Permanentmagnete selbst gegeben
sind, und nicht solche, die durch elektrische Spulen mit externer Stromzufuhr erzeugt
werden. Die letztgenannten werden mit dem Begriff “aktiv” bezeichnet und in
Abschnitt 9 behandelt.
Die Berechnung von Kräften und Steifigkeiten in magnetischen Anordnungen mit
komplexen Geometrien unter Einschluss von Medien mit nichtlinearer Kennlinie,
insbesondere Eisen, wird gewöhnlich unter Verwendung kommerzieller FiniteElemente-Programme durchgeführt.
Für eisenlose permanentmagnetische Lager können Kräfte und Steifigkeiten mit
hinreichender Genauigkeit auch anhand von Tabellen ermittelt werden. Wie schon
an anderen Stelle gezeigt wurde [18,19], sind die Steifigkeiten eines
permanentmagnetischen Lagers proportional zum Produkt aus dem magnetischen
Lagerdruck (1c) und der “Randlänge”. Die Randlänge wird definiert als die Länge der
Begrenzungslinien des Lagerspalts und wird nachfolgend mit λ bezeichnet. Bei
einem von axial gegenüberstehenden Ringmagneten eingeschlossenenen
Lagerspalt ist λ die Summe aus Innen- und Außenumfang der Ringe.
Dass die Steifigkeit eines Ringlagers der Randlänge proportional ist, erscheint im
Hinblick auf die in Abschnitt 3 erläuterte Kraftwirkung zwischen den tangentialen
Oberflächenströmen benachbarter Permanentmagnete plausibel. Jedes FiniteElemente-Programm gibt im 2D-Modus (zweidimensionales Berechnungverfahren)
dementsprechend auch die Steifigkeiten in Einheiten von N/m pro Längeneinheit
aus.
Als Bezugsgröße für die Angabe von passiven Lagersteifigkeiten soll im folgenden
eine Referenzsteifigkeit
sref = λ pref
mit
pref =
1
2µ
(2a)
2
Br
(2b)
eingeführt werden, die sich durch Multiplikation der Randlänge λ des zu
berechnenden Systems mit dem magnetischen Felddruck ergibt. Der Felddruck wird
10
nach (1c) unter Einsetzung der aus dem Datenblatt für das verwendete
Magnetmaterial entnehmbaren Größe Br der Remanenzmagnetisierung berechnet.
Es wird hier nicht, wie an früherer Stelle [19], die Flussdichte im Lagerspalt
eingesetzt, da diese ortsabhängig und deshalb nicht eindeutig zu ermitteln ist. Bei
einem typischen Wert von 1,25 T der Magnetisierung Br von NdFeB Material ergibt
sich nach (2b) ein Referenzdruck von 6,2 bar.
Bild 4 zeigt ein Diagramm zur Ermittlung der Axial- und Radialsteifigkeiten, sax bzw.
srad, von axial attraktiven Ringlagern. Das Diagramm zeigt den Verlauf der auf sref
normierten Steifigkeiten −sax und 2srad und den auf pref normierten magnetischen
Lagerdruck pmag in Abhängigkeit von der auf die Polbreite b der Magnetringe
normierte Lagerspaltweite w.
w/b
0,05
0,10
0,15
0,20
0,25
0,30
− sax / sref
2 srad / sref
pmag / pref
(A)
(B)
(C)
0,76
0,56
0,44
0,36
0,30
0,26
0,70
0,52
0,42
0,34
0,29
0,25
0,45
0,39
0,34
0,30
0,27
0,24
Bild 4. Diagramm und Tabelle zur Berechnung permanentmagnetischer Ringlager
Die in Bild 4 wiedergegebenen Kurven wurden mit Hilfe eines FE-Programms [21] für
ein Lager nach Bild 3 aus NdFeB-Magneten mit quadratischem Ringprofil ermittelt.
Bei abweichenden Profilen liegen die Kurven anders. Die in der Kurve C normiert
11
dargestellten pmag-Werte geben den magnetischen Lagerdruck an, welcher aus der
mit dem FE-Programm ermittelten Anziehungskraft der Ringmagnete und der
Lagerspaltfläche berechnet wurde. Die Kurven A und B verlaufen in engem Abstand
nebeneinander. Die Aufspaltung ist eine Folge der gegenüber Vakuum bzw. Luft
erhöhten relativen Permeabilität µr = 1,1 des Magnetmaterials (s.u.). Im Falle µr = 1
gibt es keine Aufspaltung zwischen den Kurven und es gilt dann srad = −sax / 2.
Der Faktor ½ ergibt sich für geschlossene Randlinien aus geometrischen Gründen.
Dies sei anhand von Bild 5 erläutert. Wenn man sich vorstellt, dass die Polfläche der
am Lagerspalt gegenüberstehenden Ringmagnete aus Rechteckelementen aufbaut
ist, wird deutlich, dass nur die Hälfte der Polkantenelemente senkrecht zur
Verschiebungsrichtung orientiert sein kann. Nur diese Elemente tragen zur
Rückstellkraft bei. Die in Richtung der Verschiebung orientierten Kantenelemente
bewirken keine Rückstellkraft. Randlinienelemente, die gegen die Verschiebungsrichtung um einen Winkel ϕ geneigt sind, tragen entsprechend dem Quadrat von
sinϕ zur Rückstellkraft bei. Über eine geschlossene Umfangslinie integriert ergibt
sich auch hier exakt der Faktor ½.
wirksame Kante
Verschiebung
unwirksame
Kante
Bild 5. Veranschaulichung der Gleichverteilung von wirksamen und unwirksamen
Kantenelementen bei der Radialverschiebung von Ringmagneten
Wir haben stillschweigend vorausgesetzt, dass die radiale und axiale Steifigkeit bei
Bewegungen senkrecht zur Kante den gleichen Betrag haben. Das ist aber in der Tat
zutreffend und ergibt sich aus der zylindrischen Feldgeometrie in der Umgebung
eines gestreckten, stromdurchflossenen Leiters. Bei der Annäherung zweier
paralleler, in gleicher Richtung stromdurchflossener Drähte um den Betrag dr nimmt
die Anziehungskraft Fr zwischen den Drähten im gleichen Maße zu wie die
rücktreibende Kraftkomponente Fx im Falle einer Auslenkung dx senkrecht zur
Verbindungsebene der Drähte. Der Betrag der Steifigkeit ist in beiden Fällen E0/r 2
wobei die Konstante E0 mit der Dimension Nm dem Quadrat des Stroms und der
Drahtlänge proportional ist, und r den Abstand der Drähte bedeutet (radial: Fr = E0 /r,
dFr /dr = −E0 /r 2, tangential: Fx = Fr * x/r, dFx /dx = E0 /r 2).
12
Im Falle µr > 1 wird das Material der Ringe durch das Feld der gegenüberstehenden
Magnete polarisiert, wodurch sich seine Magnetisierung erhöht. Die Zugkräfte
nehmen deshalb bei einer Annäherung der Magnete schneller zu als im Falle eines
nicht polarisierbaren Materials mit µr = 1. Infolgedessen ergibt sich eine erhöhte
Axialsteifigkeit. Bei radialen Auslenkungen nimmt die gegenseitige Polarisierung ab
mit der Folge einer verringerten Radialsteifigkeit.
Aufgrund der Polarisation verringert sich also das Verhältnis von radialer und axialer
Steifigkeit auf srad < −sax / 2, und die Kurven A und B in Bild 4 spalten auf. Bei
Verwendung von Materialien mit ferromagnetischer Leitfähigkeit unmittelbar am
Lagerspalt (Polschuhe) ist das Verhältnis von axialer Instabilität zu radialer Stabilität
viel höher als 2. Bei Reluktanzlagern (siehe Abschnitt 8), erhält man Steifigkeitsverhältnisse bis zu −sax / srad = 10 [23].
Der Betrag der Steifigkeiten wächst mit gegen Null strebender Lagerspaltweite ins
Unendliche. Für praktische Anwendungen in der Magnetlagertechnik sind aber
Lagerspaltweiten unterhalb von w / b = 0,1 im Hinblick auf mechanische Fertigungstoleranzen kaum realisierbar. Oberhalb von w / b = 0,3 werden die magnetischen
Streuverluste so groß, dass auch dieser Bereich von begrenztem Nutzen ist.
Der Verlauf der Kurve C und die zugehörigen Tabellenwerte zeigen, dass der
Lagerdruck selbst bei sehr engen Lagerspalten nur etwa 50 % des Referenzdrucks
(2b) erreicht. Dies liegt im wesentlichen daran, dass der von den Polflächen eines
kurzen, offenen Magneten “aufgespannte“ Fluss bevorzugt auf kürzestem Wege
durch den Magneten selbst und nicht über die äußere Umgebung des Magneten
zurückläuft.
Es folgt ein Berechnungsbeispiel für ein Lager nach Bild 3. Gegeben seien drei
NdFeB-Ringe mit dem Außendurchmesser 34 mm, dem Innendurchmesser 26 mm
und der sich hieraus ergebenden Polbreite b = 4 mm. Die Lagerspaltweite w sei
0,6 mm. Die Gesamtlänge λ der Lagerspaltränder ist 0,38 m. Dem Datenblatt für
NdFeB entnehmen wir beispielsweise die Remanenzmagnetisierung Br = 1,25 T und
berechnen nach (2) die Referenzsteifigkeit sref = 236 kN/m. Aus dem Diagramm
lesen für w ⁄ b = 0,15 die Werte −sax / sref = 0,44 und srad / sref = 0,42 ab und erhalten
die gesuchten Steifigkeiten sax = −104 kN/m. und srad = 50 kN/m.
Neben der axialen und radialen Steifigkeit eines permanentmagnetischen
Lagersystems ist noch dessen Kippsteifigkeit zu beachten, die bei einem
Winkelversatz der Welle gegenüber der Systemachse (Drehung um eine Querachse)
zur Wirkung kommt.
Die einer einzelnen Randlinie zuzuordnende Kippsteifigkeit ergibt sich durch
Integration der bei der Verkippung auftretenden lokalen Axialverschiebungen und
resultierenden Zugkraftänderungen entlang der Randlinie, die hier mit dem Index i
gekennzeichnet ist,
(skipp) i − =
1
2
2
( sax r ) i .
(3a)
13
Die Kippsteifigkeit hat die Dimension Nm/rad und trägt wegen sax < 0 ein negatives
Vorzeichen. Ihre destabilisierende Wirkung tritt nur bei kurzen Lagersystemen
in Erscheinung. Zur Lagerung eines gestreckten Rotors bzw. einer Welle werden
üblicherweise zwei Lager eingesetzt, die in einem Abstand z entlang der Wellenachse angebracht sind (Bild 6). Die positiven Radialsteifigkeiten der Randlinien des
hier dargestellten Lagers tragen aufgrund des Hebelarms z mit
(skipp) i + =
1
4
2
( srad z ) i
(3b)
z
Bild 6. Wellenlagerung mit zwei Lagerspalten im Abstand z
in stabilisierender Weise zur Gesamtsteifigkeit des Systems bei. Die
Gesamtsteifigkeit ergibt sich durch Summation über die positiven und negativen
Beiträge aller Randlinien des Systems.
(skipp) System
2
2
=
1
4
∑ [ srad z + 2 sax r ] i
≈
1
4
∑ [ srad ( z − 4 r ) ] i
2
2
(3c)
(3d)
In (3d) wurde sax durch −2srad ersetzt, um die Differenz der stabilisierenden und der
destabilisierenden Beiträge unmittelbar hervorzuheben. Eine positive Systemsteifigkeit ergibt sich demnach für Lagerabstände, die größer sind als der mittlere
Durchmesser der Lagerringe. Die Bedingung sax = −2srad ist für die hier behandelten
Lager mit Permanentmagneten am Lagerspalt näherungsweise erfüllt (s.o.). In einer
14
Reluktanzlagerung mit sax = −8srad würde eine positive Systemsteifigkeit erst bei
einem doppelt so großen Lagerabstand erreicht.
6. Mehrfachringlager
Eine offensichtliche Erhöhung der Tragkräfte und Steifigkeiten des permanentmagnetischen Lagers nach Bild 3 wird durch Hinzufügung weiterer Paare von Rotorund Statormagneten an den Stirnseiten des Lagers erreicht, d.h., die Magnetringe
werden in axialer Richtung gestapelt. Mit der Anzahl der parallel wirkenden
Lagerspalte erhöhen sich die Randlänge und entsprechend die Steifigkeiten des
Lagers.
Eine höhere volumenspezifische Ausnutzung des Magnetmaterials erhält man durch
konzentrische Anordnung von Magnetringen entsprechend Bild 7. Die radial in
Kontakt stehenden Ringe sind in entgegengesetzten Richtungen magnetisiert.
Dadurch ergibt sich an der Kontaktfläche der zweifache Strombelag gegenüber dem
Strombelag jedes einzelnen Magneten. Aufgrund der quadratischen Abhängigkeit
vom Strom (1b) erzeugt die auf diese Weise gebildete “innere Randlinie” bei gleicher
Länge viermal so hohe Kräfte und Steifigkeiten wie eine äußere Randlinie.
Bild 7. Doppelringlager mit Flussbildern in radial und axial ausgelenkter Stellung
An früherer Stelle [19] wurde die Bezeichnung “mehrreihiges Ringlager” eingeführt.
Es wird im folgenden die gleichbedeutende allgemeine Bezeichnung “Mehrfachringlager” benutzt. Das Lager nach Bild 7 wäre dementsprechend als “Doppelringlager”
zu bezeichnen.
Zur Berechnung der Steifigkeiten von Mehrfachringlagern werden wiederum das
Diagramm und die Tabelle in Bild 4 benutzt. Den inneren Randlinien ist wegen des
doppelten Strombelags auch die doppelte Remanenzmagnetisierung und nach (2)
die vierfache Referenzsteifigkeit zuzuschreiben.
Um den Vergleich mit anderen Ringlagern aus dem gleichen Magnetmaterial zu
erleichtern, erscheint es sinnvoll eine effektive Randlänge
15
λeff = λa + 4λi
(4)
einzuführen, in welcher die Gesamtlänge λi der inneren Randlinien gegenüber der
Gesamtlänge λa der äußeren Randlinien mit dem Faktor 4 bewertet wird. Bei der
Berechnung von sref nach (2) ist dann λeff anstelle von λ unter Beibehaltung des
einfachen Br-Wertes einzusetzen.
Zur Verdeutlichung des Gewinns an volumenspezifischer Tragkraft von Mehrfachringlagern gegenüber einfachen Ringlagern sollen die beiden in Bild 8
gegenübergestellten Lageranordnungen verglichen werden. Die Abmessungen des
Doppelringlagers sind so gewählt, dass der mittlere Durchmesser und das Volumen
der Magnetringe sowie auch die Lagerspaltweiten mit dem in Abschnitt 5
berechneten Lager übereinstimmen. Die Profile der Einzelringe sind quadratisch, so
dass die in Bild 4 gegebenen Daten benutzt werden können. Bei einem
Innendurchmesser von 24,3 mm wird der Außendurchmesser des Doppelringes auf
35,7 mm festgelegt und die Ringhöhe auf 2,8 mm. Der Durchmesser der inneren
Randlinie, an der die entgegengesetzt magnetisierten Ringe in Kontakt stehen,
beträgt 30 mm.
Bild 8. Einfaches Ringlager und Doppelringlager mit gleichem Magnetvolumen und
gleicher Lagerspaltweite
Wir erhalten für das Doppelringlager mit zwei Lagerspalten nach (4) die effektive
Randlinienlänge λeff = 1,13 m. Mit Br = 1,25 T ergibt sich nach (2) die Referenzsteifigkeit sref = 703 kN/m. Unter Beibehaltung der Lagerspaltweite w = 0,6 mm
erhalten wir mit der auf 2,8 mm verkleinerten Polbreite w / b = 0,214. Der Tabelle
entnehmen wir die interpolierten Ablesewerte −sax / sref = 0,34 und 2srad / sref = 0,32.
Die Steifigkeiten des Doppelringlagers ergeben sich damit zu sax = −239 kN/m und
srad = 112 kN/m.
Bei gleichem Materialeinsatz und gleicher Lagerspaltweite bietet das Doppelringlager
demnach mehr als die zweifache Steifigkeit gegenüber dem einfachen Ringlager.
Der tangentiale Strombelag an den Kontaktflächen der Magnetringe entspricht dem
Oberflächenstrom eines einzelnen Magneten mit der zweifachen Remanenzmagne-
16
tisierung des tatsächlich eingesetzten Materials, im obigen Beispiel also Br = 2,5 T.
Magnetische Flussdichten von dieser Größe können zwischen Eisenpolschuhen bei
realistischen Lagerspaltweiten nicht erreicht werden. Demnach lassen sich mit
permanentmagnetischen Mehrfachringlagern deutlich höhere auf das Magnetvolumen bezogene Tragkräfte und Steifigkeiten erzielen als mit Reluktanzlagern
(siehe Abschnitt 8).
Kennzeichnung
−sax
[kN/m]
λeff
[m]
Bild 4
D34D26H4-8W0,6
D35,7D30D24,3H2,8-4W0,6
*D49D37H3-12W0,6
D49D43D37H3-6W0,6
*D60D50H6-2W0,7
*D60D52D44H4,7-3W1,0
D80D70D60H5-2W1,0
D80D70D60D50H5-8W1,0
1,51
2,26
3,24
4,86
0,69
2,94
2,64
16,3
F0
[dN]
αm
[%]
Anwendung
13
15
25
34
7,4
30
30
183
0,81
0,35
0,97
0,38
1,60
0,65
0,83
0,57
Turbopumpe
Turbopumpe
Chopper
Schwungrad
Chopper
-
IES
413 424
478 494
1129 823
1088 1118
193 212
548 595
591 602
3656 3656
Tabelle 1. Kenngrößen von NdFeB-Ringlagern
In Tabelle 1 sind die berechneten Daten einer Auswahl von Ringlagern
zusammengestellt. Die Angabe D34D26H4-8W0,6 bedeutet z.B., dass das Lager
aus Ringmagneten mit 34 mm Außendurchmesser, 26 mm Innendurchmesser und 4
mm Höhe aufgebaut ist, und dass es 8 Lagerspalte mit einer Weite von 0,6 mm
enthält. Dazu werden 5 Statorringe und 4 Rotorringe benötigt. Bei Doppelringlagern
gibt es drei Durchmesserangaben.
Die Axialsteifigkeiten −sax wurden mit Br = 1,25 T sowohl nach Bild 4 als auch mittels
des Programms IES-Magneto [21] für HcB = 900 kA/m (µ = 1,105) berechnet. Die
Werte stimmen recht gut überein, selbst bei den mit einem Stern gekennzeichneten
Auslegungen, wo die Ringquerschnitte z.T. deutlich von der quadratischen Form
abweichen.
Als statische Tragfähigkeit F0 eines Lagers kann man sinnvollerweise die axiale
Zugkraft bei einer Axialauslenkung der Welle um die halbe Lagerspaltweite w
betrachten. Diese Auslenkung entspricht typischerweise dem durch die
mechanischen Begrenzungslager gegebenen freien Axialspiel der Welle. Wir
definieren auf dieser Grundlage die Tragfähigkeit
F0 = −
1
2
w sax.
(5)
Die Tragfähigkeiten F0 sind in Einheiten von dN angegeben, wodurch der
eingetragene Zahlenwert der maximalen Nutzmasse in kg entspricht. Der
17
Gewichtsanteil αm des eingesetzten Magnetmaterials, bezogen auf das Nutzgewicht,
liegt bei Mehrfachringlagern z.T. deutlich unterhalb von 1%.
7. Repulsive Lager
In der Technik werden vielfach auch permanentmagnetische Lager mit repulsiver
Kraftwirkung am Lagerspalt eingesetzt [22]. Hinsichtlich ihrer Kraftcharakteristik am
Gleichgewichtspunkt entsprechen sie den bisher behandelten Lagern. Bild 9 zeigt in
der linken Bildhälfte ein Doppelringlager der in Abschnitt 6 beschriebenen Art. In der
rechten Bildhälfte ist ein Lager mit radialem Lagerspalt und radial abstoßender
Wirkung gegenübergestellt. Beide Lager weisen gleiche Magnetvolumen und gleiche
Lagerspaltweiten auf.
Stator
Stator
Rotor
Welle
(a)
(b)
Bild 9. Attraktives (a) und repulsives Lager (b) mit gleicher Kraftcharakteristik
Das repulsive Lager ist aus jeweils sechs aufeinander gestapelten, axial
magnetisierten Ringen am Rotor und am Stator aufgebaut, wobei die Magnetisierungsrichtung benachbarter Ringe innerhalb jedes Stapels entgegengesetzt ist.
Die am Lagerspalt auf gleicher Höhe gegenüberstehenden Rotor- und Statormagnete sind in derselben Richtung magnetisiert. Damit stehen am Lagerspalt
entgegengerichtete Oberflächenströme mit radial abstoßender Wirkung gegenüber.
Das Lager ist radial stabil.
Solange die Magnetringe des Rotors und des Stators auf gleicher Höhe stehen, sind
die repulsiven Kräfte in axialer Richtung ausgeglichen. Beim Verlassen dieser
Gleichgewichtsposition kommt die Repulsivkraft aber in zunehmendem Maße genau
in der Verschieberichtung zur Wirkung. Das Lager hat die Tendenz, sich aus der
instabilen axialen Gleichgewichtsposition um den Betrag der Höhe eines einzelnen
18
Magnetrings in axialer Richtung zu verschieben. In der um eine Ringhöhe
ausgelenkten Position stehen sich entgegengesetzt magnetisierte Ringe am
Lagerspalt in gleicher Höhe gegenüber. Das repulsive Lager wandelt sich zu einem
radial attraktiven Lager mit radialem Flussverlauf im Lagerspalt und entsprechender
radialer Instabilität (Bild 10).
Bei der in Bild 9 gezeigten vertikalen Ausrichtung der Systemachse kann die nach
oben gerichtete axiale “Ausbrechkraft” zur Aufnahme des Rotorgewichts genutzt
werden. Eine nach oben gerichtete Ausbrechkraft stellt sich bei einer nach oben
gerichteten Verschiebung des Rotors ein. Das gilt in gleicher Weise für das
repulsive wie für das attraktive Lager (vgl. Bild 3c).
Bild 10. Flussbilder des Lagers nach Bild 9b bei unterschiedlichen Axialstellungen
Bei der Lagerung von schnell drehenden Rotoren benötigen die Magnetringe eine
Bandage zur Vermeidung eines Aufreißens infolge von Zentrifugalkräften. Für eine
solche Schutzbandage ist im radialen Lagerspalt des repulsiven Lagers kein Platz.
Es kann deshalb in schnell drehenden Systemen nur der äußere Magnetstapel am
Rotor eingesetzt werden (Außenläufer).
An den axial in Kontakt stehenden Stirnflächen der entgegengesetzt magnetisierten
Ringe des repulsiven Lagers wird der magnetische Fluss auf Null kompensiert (Bild
10). Das kann zur teilweisen Entmagnetisierung der Ringe führen. Es müssen
Magnetmaterialien mit möglichst hoher Entmagnetisierungsfeldstärke HcJ verwendet
werden. Dies geht typischerweise zu Lasten der Remanenzmagnetisierung Br.
Insgesamt werden deshalb in der Praxis mit einem repulsiven Lager bei gleichem
Magnetvolumen und gleicher Lagerspaltweite nur etwa halb so hohe Lagersteifigkeiten erzielt wie mit einem attraktiven Doppelringlager.
8. Reluktanzlager
Bei Anwendungen, die eine hohe Zugkraft erfordern, werden oft Eisenpolschuhe am
Lagerspalt angebracht. Der mit einem Permanent- oder Elektromagneten auf einem
vergleichsweise großen Querschnitt erzeugte Quellfluss wird über ferromagnetische
Flussleitstücke konzentriert und an den Lagerspalt geführt. Dieses Verfahren ist
besonders vorteilhaft bei sehr engen Luftspalten (Haftmagnete). Es können auf
19
diese Weise Flussdichten bis zur Größe der Sättigungsmagnetisierung des Eisens
realisiert werden.
Bei Lagerspaltweiten, wie sie in der Magnetlagertechnik gebraucht werden, bietet
das Reluktanzlager nur hinsichtlich der axialen Tragfähigkeit und der Herstellkosten
Vorteile gegenüber einem rein permanentmagnetischen Mehrfachringlager. Im
oberen Teil von Bild 11 ist ein aus [23] bekanntes Reluktanzlager im Schnitt
dargestellt, welches dort hinsichtlich der Ausnutzung des permanentmagnetischen
Materials als optimal bewertet wurde. Mit einem Dreifachringlager entsprechend der
unteren Darstellung in Bild 11 erzielt man unter Beibehaltung des Magnetvolumens,
der Magnetisierung und der Lagerspaltweite eine um 40% höhere positive
Radialsteifigkeit bei gleichzeitig um 70% reduzierter negativer Axialsteifigkeit.
Bild 11. Vergleich eines Dreifachringlagers mit einem Reluktanzlager
9. Axialstabilisierung
Die axiale Instabilität einer stirnseitig permanentmagnetisch gelagerten Welle
entsprechend Bild 6 kann durch die Anbringung von elektrischen Stabilisierungsspulen unmittelbar am Umfang der Statormagnete behoben werden (Bild 12). Der
Spulenstrom wird so geregelt, dass er den Oberflächenstrom des von der Spule
umgebenen Statormagneten und damit dessen Zugkraft abschwächt, wenn der
Wellenmagnet sich in Richtung dieses Statormagneten bewegt. Am gegenüberliegenden Statormagneten sorgt die dort angebrachte Spule gleichzeitig für eine
Verstärkung des dortigen Oberflächenstroms, so dass dessen Zugkraft ansteigt. Mit
Hilfe der Spulen läßt sich auf diese Weise eine stabile Axialpositionierung der Welle
zwischen den Statormagneten erreichen.
20
Die Stromregelung wird durch einen Sensor kontrolliert, der die axiale Position der
Wellenmagnete kontinuierlich misst. Oftmals können die Stabilisierungsspulen selbst
als Sensor eingesetzt werden (Bild 13). Sie werden hierzu mit einem
Hochfrequenzstrom beaufschlagt. Durch induzierte Kurzschlussströme an den
Stirnseiten der Welle wird der Hochfrequenzstrom in den Spulen beeinflusst. Bei
Annäherung der Welle steigt der Strom in der betreffenden Spule an. Die Ströme
beider Spulen werden in einer Differenzschaltung miteinander verglichen. Das
Differenzsignal wird gleichgerichtet und dient als Sensorsignal, dessen Polarität und
Amplitude eindeutig die Richtung und den Betrag der axialen Wellenauslenkung
wiedergeben.
Stabilisierungsspulen
Regler
Gleichstromzuleitung
Bild 12. Wellenlagerung mit “leistungsloser” Axialstabilisierung
Das Sensorsignal wird an den Eingang eines Gleichstromverstärkers geleitet, an
dessen Ausgang die Spulen angeschlossen sind. Bemerkenswert ist die Tatsache,
dass der Stabilisierungsstrom verschwindet, wenn sich die Welle genau an der durch
die Permanentmagnete allein gegebenen kräftefreien axialen Symmetrieposition
befindet. Man spricht deshalb auch von einer “leistungslosen” Stabilisierung.
Die resultierende Axialsteifigkeit des Lagersystems nach Bild 12 ist
(sax)System = sax + gSgVgA.
(6)
Sie setzt sich zusammen aus der durch die Permanentmagnete allein gegebenen
negativen Axialsteifigkeit sax (siehe Abschnitt 5) sowie dem Produkt aus Sensorempfindlichkeit gS, gemessen in V/m, Verstärkersteilheit gV, gemessen in A/V, und
Ablenkfaktor gA der Stabilisierungsspulen, gemessen in N/A. Der Betrag des zweiten
21
Terms muss größer sein als der von sax, damit das System axial stabil wird. Die
Gesamtsteifigkeit kann durch Einstellung von gV in weiten Grenzen variiert werden.
Ein Beispiel: Das im rechten Teil von Bild 8 wiedergegebene Doppelringlager mit der
dort berechneten Axialsteifigkeit −sax = 239 kN/m soll stabilisiert werden, so dass sich
eine resultierende positive Systemsteifigkeit von 150 kN/m ergibt. Sensorempfindlichkeit gS und Ablenkfaktor gA seien aufgrund der Sensor- und Spulenauslegung mit
10 kV/m bzw. 10 N/A vorgegeben. Aus (6) berechnen wir mit diesen Daten die
einzustellende Verstärkersteilheit zu gV = 3,9 A/V.
Stabilisierungsspulen
RC-Netzwerk
C
R
HF-Quelle / Gleichrichter
DC-Verstärker
Bild 13. Reglerelektronik mit Dämpfungsnetzwerk
Die hier gegebene Beschreibung ist als Richtlinie zur Dimensionierung der statischen
Parameter der aktiven Stabilisierung zu verstehen. Das System ist aber aufgrund
von Verzögerungen der von den Stabilisierungsspulen auf den Rotor übertragenen
Kräfte gegenüber dem Sensorsignal zunächst dynamisch instabil. Ohne geeignete
Dämpfungsmaßnahmen werden heftige Axialschwingungen des Systems ausgelöst.
Im folgenden Abschnitt wird beschrieben, wie die Signalverzögerungen kompensiert
und darüberhinaus Dämpfkräfte bereitgestellt werden können, die das System auch
gegen äußere Schwingungsanregungen stabilisieren.
10. Aktive Dämpfung
Die im vorangehenden Abschnitt beschriebene Signalverzögerung zwischen
Sensorsignal und Rückstellkraft wird durch die Einbringung eines Kondensators
zwischen Sensorsignalausgang und Gleichstromverstärker kompensiert. Wie in
Bild 13 dargestellt, liegt der Kondensator C parallel zum Widerstand R, der die
Gleichstromverstärkung gV bestimmt. Der über den Widerstand fließende Strom ist
dem Sensorsignal und damit der momentanen Abweichung der Welle von der
axialen Neutralstellung proportional. Es ergibt sich für die Welle eine axiale
22
Rückstellkraft mit linearer Federcharakteristik. Über den Kondensator fließt ein
Strom, der der axialen Bewegungsgeschwindigkeit der Welle proportional ist. Dieser
Strom löst eine zusätzliche Ablenkkraft aus, die genau der durch ein viskoses
Medium bereitgestellten Dämpfkraft entspricht. Das System wird durch den
Kondensator dynamisch stabilisiert.
Aus der mechanischen Schwingungslehre ist bekannt, in welchem Verhältnis die
Dämpfkraft zur Rückstellkraft eingestellt sein muss, um eine optimale Dämpfung des
Systems zu erreichen. Als optimal gilt der “aperiodische Grenzfall”, bei dem das
System aus einer ausgelenkten Position ohne Überschwingen innerhalb kürzester
Zeit in die Ruheposition zurückgeführt wird. Die aus der Schwingungslehre bekannte
Bedingung für den aperiodischen Grenzfall kann wie folgt ausgedrückt werden:
kap / s = 2 / ω0.
(7a)
Es bedeuten kap die Dämpfungskonstante im aperiodischen Grenzfall, gemessen in
Ns/m (Bremskraft in N pro Geschwindigkeitseinheit in m/s), s die Federsteifigkeit,
gemessen in N/m, und ω0 die Eigenfrequenz der Schwingung des ungedämpften
Systems, gemessen in s −1.
Das Abstimmungsverhältnis zwischen Dämpfungskonstante und Federsteifigkeit (7a)
läßt sich sinngemäß übertragen auf die Ströme am Kondensator C und am
Widerstand R (Bild 13). Der über den Kondensator fließende Strom ist bei
gegebener Änderungsgeschwindigkeit des Sensorssignals dem Kapazitätswert C
proportional, während der Strom durch den Widerstand dem Sensorsignal
unmittelbar und dem Widerstandswert R umgekehrt proportional ist. Anstelle des
Verhältnisses kap / s der mechanischen Größen kann also sinngemäß das Verhältnis
C / (1/R) der Leitwerte der elektronischen Komponenten eingesetzt werden. Die
Bedingung für die optimale Dämpfung lautet dann
RC = 2 / ω0.
(7b)
Ein Beispiel: Gegeben sei ein Rotor mit der Masse m = 4,2 kg, der axial aktiv mit
einer Systemsteifigkeit (sax)System = 150 kN/m eingespannt ist. Die Eigenfrequenz
ω0 = 189 s −1 der ungedämpften Schwingung wird in bekannter Weise als Quadratwurzel aus dem Quotienten Federsteifigkeit durch Masse ermittelt. Damit ergibt sich
für diesen Anwendungsfall aus (7b) die Zeitkonstante RC = 10,6 ms für die optimale
Einstellung der Dämpfung.
11. Passive Dämpfungsmechanismen
In den radialen Richtungen besitzen die bisher beschriebenen Lagerungen eine
durch die Ringmagnete gegebene natürliche Stabilität. Äußere Störeinwirkungen
können jedoch Radialschwingungen auslösen, die ohne zusätzliche Maßnahmen nur
langsam abklingen.
23
Eine in vielen Varianten bekannte Möglichkeit der passiven radialen Dämpfung
besteht darin, die Statormagnete eines permanentmagnetischen Lagers nicht starr,
sondern über elastische Zwischenelemente an das Maschinengehäuse zu koppeln.
Auf diese Weise lassen sich Schwingbewegungen des Rotors auf die Statormagnete
übertragen. Die Schwingungen werden dort mittels viskoser oder gleitender Reibvorrichtungen gedämpft.
Mit mechanischen Schwingungsdämpfern der beschriebenen Art lassen sich keine
aperiodischen Dämpfungsgrade für den Rotor einstellen wie mit einem aktiven
Dämpfer. Allerdings werden derartige Anforderungen in der Praxis auch selten
gestellt. Die weltweit in großen Stückzahlen installierten Gasultrazentrifugen erfüllen
mit mechanisch abgestützter permanentmagnetischer Lagerung und magnetisch
angekoppelten mechanischen Dämpfvorrichtungen seit langer Zeit zuverlässig ihren
Dienst.
Bereits in den frühen Jahren der Magnetlagertechnik wurden auch Wirbelstromvorrichtungen zur radialen Dämpfung von schnell drehenden Rotoren eingesetzt [24].
Die Schwingungen werden dabei über das Magnetfeld von mitrotierenden Teilen
unmittelbar auf am Stator befestigte Bauteile mit hoher elektrischer Leitfähigkeit
(Kupfer) gekoppelt. Dämpfvorrichtungen dieser Art kamen in den siebziger Jahren in
Drallrädern zur Stabilisierung von Erdsatelliten zur Anwendung [25,26] und werden
seit Anfang der neunziger Jahre in seriengefertigten Turbomolekularpumpen
eingesetzt [27].
Im Gegensatz zu mechanischen Dämpfern ist bei Wirbelstromdämpfern keine
schwingungsfähige Montage von Statorteilen erforderlich. Die mit dem Rotor
umlaufenden Magnete koppeln mit ihrem Feld unmittelbar in das dämpfende
Medium. Dadurch lassen sich mit Wirbelstromvorrichtungen bei geeigneter
Dimensionierung relativ hohe Dämpfungsgrade erzielen. Die Wirbelstromdämpfung
ist darüberhinaus weitgehend frequenzunabhängig, während die Bandbreite
magnetisch angekoppelter mechanischer Dämpfer durch die Eigenfrequenz der
federnd montierten Statorteile eingeschränkt ist.
Eine komplette permanentmagnetische Rotorlagerung mit integriertem Wirbelstromdämpfer ist in Bild 14 zu sehen [27]. Der Dämpfer ist hier Bestandteil eines
Stabilisators [28], der auch die Spulen zur axialen Stabilisierung des gesamten
Systems enthält. Die Ablenkkraft der Spulen wirkt auf zwei an der Welle befestigte
Ringmagnete in gleicher Weise wie im Zusammenhang mit Bild 12 erläutert. Am
Traglager selbst sind keine zusätzlichen Spulen erforderlich.
In den von den rotorseitigen Magnetringen gebildeten axialen Spalt ragt eine am
Stator befestigte Dämpfscheibe aus Kupfer hinein. Bei radialen Schwingungen der
Rotorwelle werden in der Scheibe Wirbelströme induziert. Die Schwingungsenergie
des Rotors wird auf diesem Wege in Wärme umgewandelt und über den Stator
abgeführt.
Zur Abschätzung des mit einer Wirbelstromvorrichtung erzielbaren Dämpfungsgrades sei das folgende Berechnungsbeispiel vorgestellt: Beim Hochlauf des in
Bild 14 gezeigten 7-kg-Chopperrotors wird die Nutationseigenfrequenz bei einer
Drehzahl von 3.000 UpM (ω 0 = 314 s −1) durchfahren. Unter Berücksichtigung einer
lokalen Radialsteifigkeit srad = 20 kN/m am Wellenende ermitteln wir aus (7a) für den
24
aperiodischen Grenzfall die Dämpfkonstante kap = 127 Ns/m. Für den verwendeten
Stabilisator mit k = 43 Ns/m ergibt sich beim Durchfahren der genannten lagerkritischen Drehzahl der Dämpfungsgrad k/kap = 0,34.
10 cm
Traglager
Stabilisator
Dämpfscheibe
Bild 14. Scheibenlagerung mit passiver Radialdämpfung
12. Permanentmagnetische Lager mit radial aktiver Stabilisierung
Es gibt eine Reihe von Magnetlageranwendungen, in denen die Einschränkung der
axialen Bewegungsfreiheit eine Behinderung darstellt. In besonderem Maße trifft
dies auf Systeme zu, in denen es erforderlich ist, den Rotor routinemäßig
25
auszuwechseln (vgl. Abschnitt 13: Röntgenröhre, Fermi- und Molekularstrahlchopper), oder im Falle von hermetisch gekapselten Rotorsystemen, wenn diese
prozessbedingt größere Hubbewegungen ausführen sollen (vgl. Abschnitt 13:
Kristallziehanlage). Für diese Anwendungen bietet eine permanentmagnetische
Lagerung mit zylindrischem Lagerspalt und radial aktiver Stabilisierung
entscheidende Vorteile.
Spulensegment
Ringkern
Permanentmagnet
Stahlscheibe
Feldsensor
Stahlhülse
5 cm
Bild 15. Radial aktiv stabilisierte Drehanodenlagerung
26
Das in Bild 15 wiedergegebene Lagersystem wurde von K. Boden und D. Scheffer
entwickelt [29]. Mit dieser Lagerung gelang es erstmals, eine Gas-Ultrazentrifuge im
Vakuum bei einer Umfangsgeschwindigkeit von 500 m/s am Lagerspalt, sowie eine
Spinnturbine an Luft bei einer Drehzahl von 90.000 UpM zu betreiben [30]. Weitere
Anwendungen werden in Abschnitt 13 beschrieben.
Die Funktionsweise des Lagers geht aus Bild 15 hervor. Das Rotorgewicht wird ohne
Energieaufwand durch nach oben gerichtete magnetostatische Zugkräfte
aufgefangen, die von zwei den Rotor konzentrisch umgebenden Ringmagneten
ausgehen. In Systemen mit weiten Lagerspalten werden vorzugsweise axial
magnetisierte Ringe aus preiswerter Ferritkeramik (Lautsprechermagnete)
verwendet. Die Welle ist mit ferromagnetischen Hülsen bestückt, die sich im Feld der
Ringmagnete axial polarisieren und dadurch selbst wie Permanentmagnete wirken.
Die durch Polarisation erzeugte Magnetisierung ist stets so gerichtet, dass
ausschließlich attraktive Kräfte entstehen. Das Lager ist axial stabil.
Bei konzentrischer Stellung des Rotors in den Ringmagneten sind die radialen
Zugkräfte nach allen Richtungen hin ausgeglichen. Bei einer radialen Verschiebung
nimmt die Kraft in der Verschiebungsrichtung zu. Das Lager ist dementsprechend in
den radialen Richtungen zunächst instabil.
Es gilt alles, was über die Axialstabilisierung der vorher besprochenen Lager erklärt
wurde, an dieser Stelle sinngemäß für die radiale Stabilisierung. Als
Stabilisierungsspulen werden Ringkernspulen eingesetzt, die den radialen
gerichteten permanentmagnetischen Fluss im Lagerspalt auf der einen Seite des
Rotors erhöhen und gleichzeitig auf der gegenüberliegenden Seite abschwächen. Je
zwei gegenüberliegende und parallel wirkende Spulensegmente werden von je
einem elektronischen Regler gespeist. Die Regler werden von Feldsensoren
gesteuert, die auf radiale Auslenkungen des Rotors reagieren. Bei enger bzw. weiter
werdendem Radialspalt nimmt das Feld an dem dort befindlichen Sensor zu bzw. ab.
Es sind zwei orthogonal wirkende Stabilisierungseinrichtungen in jeder Lagerebene,
insgesamt also vier Regler erforderlich, um den Rotor in die kraftneutrale, zentrische
Position zu bringen. In dieser Position gehen alle Spulenströme auf Null zurück.
Anstelle der Ringkernspulen werden in handelsüblichen Magnetlagern mit aktiver
Radialstabilisierung durchweg Drehfeldstatoren mit in Nuten eingebrachten
Wicklungen verwendet. Die Nuten bewirken eine zeitliche Modulation des radialen
Flusses an den rotierenden Stahlhülsen und induzieren dort Wirbelströme. Zur
Verminderung der Wirbelströme werden Magnetlagerrotoren im Bereich der
Lagerspalte mit dünnen Blechen bestückt.
Der besondere Vorteil der Ringkernspule besteht darin, dass sie keine Modulation
des radialen magnetischen Flusses und damit verbundene Wirbelströme am Rotor
verursacht. Auf eine Laminierung des Rotoreisens kann dementsprechend verzichtet
werden. Massive Rotorarmaturen sind nicht nur kostengünstig. Aufgrund ihrer
höheren Zentrifugalfestigkeit können mit massiven Ringen sehr viel höhere
Umfangsgeschwindigkeiten am Lagerspalt gefahren werden als mit geblechten
Armaturen.
Die leistungslose permanentmagnetische Felderzeugung des in Bild 15 gezeigten
Lagertyps ist von besonderem Vorteil bei Anwendungen mit weiten Lagerspalten. Die
27
Erzeugung vergleichbarer Feldkräfte durch Elektromagnete würde bei weiten
Lagerspalten einen beträchtlichen Energieaufwand erfordern. Die permanentmagnetische Lagerung ist deshalb prädestiniert für die Lagerung von gekapselten
Rotorsystemen. Dies wird anhand von Beispielen in Abschnitt 13 demonstriert.
Die Auslegung der aktiven Dämpfungsnetzwerke ist bei radial aktiven Lagern
komplexer als beim axial aktiven Lager. In den radialen Richtungen haben elastisch
eingespannte, schnell rotierende Körper eine Reihe von Eigenfrequenzen, die
aufgrund von Kreiselkopplungen eine deutliche Abhängigkeit von der
Rotationsfrequenz zeigen. Es sind bei hohen Drehzahlen mindestens vier radiale
Eigenfrequenzen zu beachten und mittels der elektronischen Dämpfungsnetzwerke
zu kontrollieren. Durch die Dämpfungsnetzwerke werden auch die radialen
Lagersteifigkeiten in erheblichem Maße frequenzabhängig.
13. Anwendungsbeispiele
In diesem Abschnitt wird eine Auswahl von Anwendungen auf der Basis der im
Forschungszentrum Jülich entwickelten permanentmagnetischen Lagertechniken
vorgestellt. Die Lagerungen entsprechen in Aufbau und Funktion den Bildern 12, 14
bzw. 15 mit dazugehöriger Beschreibung. Der Anwendungsprozess wird jeweils so
weit beschrieben, dass die anwendungsspezifischen Gründe für die Verwendung
einer magnetischen Lagerung sowie die speziellen Vorteile der permanentmagnetischen Lagerung erkennbar werden.
a) Spinnzentrifuge
Die Spinnzentrifuge (Bild 16) dient zur Herstellung von Garnen. Das Spinngut mit
parallel ausgerichteten Fasern wird über ein zentral angeordnetes, dünnes Rohr
(“Fadenführer”, in der Abbildung nicht gezeigt) in die schnell drehende Zentrifuge
geleitet und an ihrer Innenwand abgelegt. Dort wird das bereits fertig verdrillte Garn
durch Zentrifugalkräfte fixiert. Durch eine periodische Auf- und Abwärtsbewegung
des Fadenführers wird die Innenwand der Zentrifuge auf der gesamten nutzbaren
Länge von ca. 200 mm gleichmäßig mit Garn belegt.
Die Verdrillung des Spinnguts ensteht wie bei einer Telefonschnur, wenn man mit
dem Telefon in der Hand im Kreise herumgeht. Je langsamer das Spinngut
nachgeliefert wird, desto mehr Drehungen entstehen zwischen dem Kontaktpunkt
des Fadens an der Zentrifugenwand und dem oberhalb des Fadenführers gelegenen
Streckwerk, aus dem das Spinngut mit kontrollierter Geschwindigkeit in Abstimmung
mit der Rotordrehzahl freigegeben wird.
Wenn eine ausreichende Menge Garn an der Innenwand der Zentrifuge abgelegt ist,
wird dieses auf einen in die Zentrifuge eingeführten Zapfen (Bild 16) umgewickelt
und in derselben Weise weiterverarbeitet wie mit herkömmlichen Spindeln
produziertes Garn.
Das Zentrifugenspinnverfahren erlaubt prinzipiell um ein Vielfaches höhere
Drehzahlen als das seit Jahrhunderten in Handarbeit und heutzutage in der
industriellen Produktion genutzte “Ringspinnverfahren”. Die Spinndrehzahl beim
28
herkömmlichen Verfahren ist durch eine Öse begrenzt, durch welche das Spinngut
von außen auf die Spindel zugeführt wird. Die Öse läuft, gleitend an einer
Ringschiene geführt und durch die Zugspannung des Garns angetrieben, mit hoher
Geschwindigkeit um die Spindel herum. Die dabei entstehende Reibung begrenzt die
Spinndrehzahl für Baumwollgarne auf typischerweise weniger als 20.000 UpM. Bei
empfindlichen Garnen liegt die maximale Drehzahl deutlich niedriger. Der in Bild 16
gezeigte Garnkörper wurde aus der daneben abgebildeten Zentrifuge entnommen, in
der das Garn zuvor bei einer Drehzahl von 56.000 UpM gesponnen worden war.
Bild 16. Spinnzentrifuge mit extrahiertem Garnkörper (Schlafhorst AG, 1997)
Das Zentrifugenspinnen war bereits 1902 in den U.S.A. zum Patent angemeldet
worden [31], konnte aber erst kürzlich durch den Einsatz von Magnetlagern realisiert
werden [32]. Die Zentrifuge wird in einer Lagerung entsprechend Bild 12 mit
vertikaler Achse abgestützt und geführt. Eine Stabilisierungsspule befindet sich nur
am oberen Lagerstator. Ihre Rückstellkraft reicht für die axiale Stabilisierung beider
Lager. Die Magnetringe am unteren Ende der Zentrifuge haben einen
Innendurchmesser von 40 mm und eine Polbreite von 2 mm. Der Rotormagnet ist in
der Zentrifugenwand gefasst und läuft mit einer Umfangsgeschwindigkeit von
ca. 130 m/s. Diese Betriebsbedingungen übersteigen bei weitem die Möglichkeiten
von herkömmlichen Wälz- und Gleitlagern. Die Vorteile der permanentmagnetischen
Lagerung mit einachsiger Stabilisierung schlagen sich in den vergleichsweise
geringen Herstellkosten nieder.
29
Am oberen Ende der Zentrifuge sind die dunkel erscheinende Stirnseite des in einer
Zentrifugalbandage gefassten oberen Rotormagneten zu sehen und der darunter
liegende zylindrische Magnet für den elektromotorischen Synchronantrieb der
Zentrifuge.
Nachdem die Funktionsfähigkeit der magnetisch gelagerten Zentrifugen und die
Garnqualität sowie auch die Wirtschaftlichkeit des Verfahrens im Rahmen eines
europäischen Forschungs- und Entwicklungsprojekts [32] nachgewiesen werden
konnten, sind nun die Spinnmaschinenhersteller gefordert, eine Prototypmaschine
mit einer größeren Anzahl von Zentrifugen zur Demonstration des Verfahrens unter
Produktionsbedingungen herzustellen.
b) Gasreibungsvakuummeter
Das Gasreibungsvakuummeter (GRV, Bild 17) misst die Gasreibung an einem
rotierenden Körper und ermittelt aus dieser den Gasdruck. Als Sensor wird eine
magnetisch gelagerte Kugel aus ferromagnetischem Material, typischerweise eine
gewöhnliche Kugellagerkugel von ca. 4,5 mm Durchmesser verwendet.
Bild 17. Messkopf zum Gasreibungsvakuummeter: R - Stahlkugel, V - Vakuumkapsel
mit Verbindungsflansch, M - Permanentmagnet (NdFeB), A - Stabilisierungsspule,
L - Spule zur Dämpfung von Radialschwingungen, D - Antriebsspule,
P - Sensorspule zur Messung der Kugeldrehzahl
Die Kugelaufhängung funktioniert im Prinzip wie die in Bild 12 gezeigte Lagerung.
Anstelle der Statorringe sind hier Rundblockmagnete mit Weicheisenpolschuhen
eingesetzt. Das Eisen dient zum Ausgleich von Ungleichmäßigkeiten der Magneti-
30
sierungsstärke des Magneten mit dem Ziel, eine möglichst hohe Rotationssymmetrie
des Feldes an der Kugeloberfläche zu gewährleisten. Abweichungen von der
Rotationssymmetrie führen zu Wirbelströmen in der Kugel und damit zu einer
unerwünschten lagerbedingten Abbremsung.
Die Kugel magnetisiert sich spontan im Feld der Statormagnete und übernimmt
damit die Funktion der Wellenmagnete in Bild 12. Im Lagerspalt sind die
Stabilisierungsspulen und eine vakuumdichte Kapsel untergebracht, die mit dem zu
überwachenden Vakuumsystem in Verbindung steht. Vier lateral angeordnete
Spulen sorgen in Verbindung mit zwei elektronischen Verstärkern für die aktive
Dämpfung von seitlichen Schwingungen der Kugel. Vier weitere Spulen dienen in
Verbindung mit einem Zweiphasen-Drehstromgenerator dem Rotationsantrieb der
Kugel. Die Kugel wird auf eine Drehfrequenz von 415 Hz gebracht. Danach wird der
Antrieb abgeschaltet. Aus der Drehzahlabnahme der antriebslos rotierenden Kugel
werden die Gasreibung bzw. der Gasdruck ermittelt.
Die Gasreibung ist um viele Größenordnungen geringer als die Reibung in einer
mechanischen Lagerung. Das GRV wäre ohne den Einsatz der Magnetlagertechnik
für Vakuummessungen ungeeignet. Das Verfahren wurde schon in den vierziger
Jahren auf der Basis einer elektromagnetischen Lagerung entwickelt [33]. Aber erst
durch die permanentmagnetische Lagerung konnte ein handliches und
vergleichsweise robustes Messgerät für den praktischen Gebrauch geschaffen
werden [34]. Das GRV ist heute das genaueste Messgerät für den Bereich des
Hochvakuums. Dort werden üblicherweise Ionisationsvakuummeter verwendet, die
den Druck und die Zusammensetzung des Gases in erheblichem Maße beeinflussen
und aus diesem Grunde unzuverlässige Anzeigewerte liefern. Das GRV wurde 1979
vom Bureau International des Poids et Mésures als Transferstandard eingeführt. Es
wurden weltweit ca. 1.600 Systeme verkauft.
c) Scheibenchopper für Neutronenstrahlen
Bei der Strukturanalyse von Materialien werden neben Röntgenstrahlen als
“Lichtquelle” mit besonderen Eigenschaften vielfach auch Neutronenstrahlen
verwendet. Die Geschwindigkeitsverteilung der aus einem Kernreaktor entnommenen thermischen Neutronen ist breit und deshalb wenig geeignet für
energieselektive Analysen. Diese erfordern die Bereitstellung von “monochromatisierten“ Neutronen mit einem möglichst engen Geschwindigkeitsspektrum.
Geschwindigkeitsselektierte Neutronen können mit Hilfe zweier geschlitzter Scheiben
erzeugt werden, die entlang einer gemeinsamen Achse ausgerichtet sind und mit
einem bestimmten Winkelversatz synchron rotieren. Eine Scheibe dieser Art ist in
Bild 14 zu sehen. Die Maschine wird als “Chopper” bezeichnet. Neutronen, die durch
ein Fenster der ersten Scheibe freigegeben wurden, können nur bei einer
bestimmten, durch den Abstand, den Winkelversatz und die Drehgeschwindigkeit der
Scheiben gegebenen Geschwindigkeit auch ein Fenster der zweiten Scheibe
passieren. In einem auf dieser Basis arbeitenden “Neutronen-Monochromator” wird
üblicherweise noch eine dritte Scheibe zum Abfangen der z.B. mit halber
Geschwindigkeit fliegenden Neutronen eingesetzt, die in der Lage wären, das
nächste offene Fenster der zweiten Scheibe zu passieren, und eine vierte Scheibe
zur Untersetzung der Pulsfrequenz des Monochromators.
31
In neueren Anlagen wird die effektive Geschwindigkeit der Fensteröffnung bzw. des
Fensterverschlusses durch die Anordnung zweier in engem axialem Abstand
gegensinnig rotierender Scheiben verdoppelt. Die in Bild 18 gezeigte Anlage mit drei
Doppelchoppern in jeweils einem gemeinsamen Gehäuse und einem einfachen
Chopper wurde 1992 von der Firma Uranit GmbH, damalige Lizenznehmerin des
Forschungszentrums Jülich, am Hahn-Meitner-Institut in Berlin installiert. Eine im
wesentlichen baugleiche Anlage läuft seit 1993 am National Institute of Standards
and Technology in Gaithersburg, Maryland, U.S.A. Eine weitere Anlage mit drei
Doppelchoppern wird derzeit für das Institut Max von Laue - Paul Langevin in
Grenoble gebaut. Diese Anlage soll die dort seit 1985 laufende Anlage mit vier
Einzelchoppern ablösen, die ebenfalls mit Jülicher Magnetlagern ausgerüstet ist.
Bild 18. Neutronenstrahl-Monochromator mit 7 Chopperscheiben
(Uranit GmbH, 1990)
Mit der Verfeinerung der Analyseverfahren sind auch die Ansprüche an die
Choppersysteme hinsichtlich Umfangsgeschwindigkeit und Phasenstabilität
gestiegen. Die Chopper mit Rotormassen bis zu 15 kg und Scheibendurchmessern
zwischen 540 und 750 mm werden bei Umfangsgeschwindigkeiten bis über 600 m/s
betrieben. Mit einer speziellen, in Jülich entwickelten Antriebstechnik [35] wird eine
Phaseneinstellgenauigkeit von wenigen ns erreicht. Das entspricht bei 20.000 UpM
einer Winkeldifferenz von weniger als 1/1000 Grad. Wälz- bzw. Gleitlagerungen sind
aufgrund der Lagerreibung weder den hohen Drehzahlen gewachsen, noch erlauben
sie die geforderten Phasengenauigkeiten. Die permanentmagnetische Lagerung mit
einachsiger Stabilisierung wird von den Anwendern wegen ihrer hohen “passiven”
Betriebssicherheit sowie wegen ihrer vergleichsweise niedrigen Installationskosten
bevorzugt.
32
d) Turbomolekularpumpe
Turbomolekularpumpen werden zur Erzeugung von Hochvakuum gebraucht. Sie
werden in großen Stückzahlen in der Produktion von Halbleiterchips eingesetzt, die
unter Vakuumbedingungen abläuft. Bei dieser Technik ist die Betriebssicherheit der
Pumpen von besonderer Bedeutung. Der Verlust einer Produktionscharge in einer
größeren Fertigungsanlage aufgrund eines Pumpenausfalls ist um ein Vielfaches
teurer als der Mehrpreis von magnetgelagerten gegenüber wälzgelagerten Pumpen.
Im Hinblick auf ihre passive Betriebssicherheit sowie auch auf die Investitionskosten
ist wie bei den Choppern auch hier die permanentmagnetische Lagerung im Vorteil.
Bild 19. Aufgeschnittene Turbomolekularpumpe TMP340M (Leybold AG, 1989)
Bild 19 zeigt eine aufgeschnittene Turbomolekularpumpe mit einer permanentmagnetischen Lagerung nach Bild 14. Das Traglager ist aus insgesamt 9 Ringen mit
8 Lagerspalten aufgebaut (vgl. Tabelle 1, Lagertyp D34D26H4-8W0,6) und besitzt
eine Tragfähigkeit, die etwa dem zehnfachen des Rotorgewichts entspricht. Die
Tragfähigkeit ist so stark überdimensioniert, dass die Pumpe in beliebiger
Einbaulage bei minimalem schwerkraftbedingtem Durchhang des Rotors betrieben
werden kann.
Am unteren Wellenende sind die Rotormagnete des Stabilisators (vgl. Bild 14) zu
erkennen. Oberhalb des Stabilisators ist an der Welle ein Kugellager zur axialen
Abstützung der Welle bei abgeschalteter Axialstabilisierung angebracht. Bei
eingeschalteter Stabilisierung läuft das Kugellager ohne mechanischen Kontakt
33
zwischen mechanischen Anschlägen, die der Welle ein freies Spiel von ca. ± 0,2 mm
geben. Das Kugellager dient auch als radiales Begrenzugslager für die Welle im
Falle von äußeren Stoßeinwirkungen. Für diesen Fall ist ein zweites Radiallager am
oberen Ende des Pumpenrotors angebracht. Dieses Lager ist am Gehäuse befestigt.
Es steht ohne Berührungskontakt in einer stirnseitigen Bohrung des Rotors.
Die Kombination der radial passiven permanentmagnetischen Lagerung mit dem
beschriebenen mechanischen Hilfslagersystem verleiht der Pumpe eine Robustheit,
die offenbar von radial aktiv stabilisierten Magnetlagerpumpen derzeit nicht erreicht
wird. Dies ist das Ergebnis der Studie eines namhaften japanischen Herstellers von
Elektronenmikroskopen, in denen die Pumpen bei der Beschickung des weich
aufgehängten Mikroskops starken Erschütterungen ausgesetzt sind. Es hat sich
auch bei dieser Anwendung gezeigt, dass die radial passive permanentmagnetische
Lagerung ein hohes Maß an passiver Betriebssicherheit bietet.
Das 1,7 kg schwere Rotorsystem der beschriebenen Pumpe des Typs TMP340M
wird bei einer Nenndrehzahl von 51.600 UpM betrieben. Die Pumpe wurde 1990 in
Lizenz des Forschungszentrums Jülich von der Leybold AG auf den Markt gebracht
und erreichte in wenigen Jahren einen Anteil von 45% am Weltmarkt im Bereich
magnetgelagerter Pumpen. Eine größere Pumpe mit 4,2 kg Rotormasse und einer
Nenndrehzahl von 36.000 UpM ist später hinzugekommen. Es wurden bis heute
nach Angaben des Herstellers insgesamt etwa 20.000 Pumpen verkauft.
Bild 20. Röntgenpulsselektor auf Pumpenwelle (IGV, 1998)
e) Röntgenpulsselektor
Die Magnetlagerauslegung der Turbomolekularpumpen passt auch auf eine Vielzahl
anderer Anwendungen. Auf der Basis seriengefertigter Magnetlagerkomponenten
34
der Pumpe des Typs TMP340M wurden Röntgenpulsselektoren für die Europäische
Synchrotron-Strahlenquelle ESRF in Grenoble sowie für das Argonne National
Laboratory in Illinois entwickelt. Der Turbopumpenrotor wurde für diese Anwendung
durch eine dreieckige Scheibe ersetzt (Bild 20). An einer der Dreieckskanten ist ein
130 mm langer Kanal von 1 mm Höhe eingelassen, der in Richtung der Röntgenstrahlen justiert ist und diese im Rhythmus der Drehfrequenz von 900 Hz passieren
läßt. Das Röntgenlicht der Synchrotronquelle hat eine Pulsstruktur. Der zeitliche
Abstand der etwa 50 ps kurzen Pulse ist 2,8 µs. Die Öffnungszeit des Selektors liegt
bei 1,4 µs. Die Aufgabe des Selektors besteht darin, bei jeder Umdrehung den Kanal
für genau einen Röntgenpuls freizugeben. Dies erfordert eine sehr stabile Drehzahlund Phasensteuerung [35]. Mit einem wälzgelagerten Rotor könnten aufgrund
instabiler Reibmomente die geforderten Phasenstabilitäten nicht erreicht werden.
Dies ist der Grund für den Einsatz der Magnetlagerung. Die permanentmagnetische
Lagerung bietet sich wiederum wegen ihrer passiven Betriebssicherheit sowie auch
aufgrund der Verfügbarkeit der Lagerkomponenten an.
Bild 21. Trommelchopper mit und ohne Fermipaket (TMM GmbH, 1998)
f) Trommelchopper für Neutronenstrahlen
Seriengefertigte Magnetlagerkomponenten aus der Pumpentechnik werden auch für
die Lagerung von Trommelchoppern verwendet. Wie die unter c) beschriebenen
Scheibenchopper werden auch Trommelchopper zur Aufbereitung von
Neutronenstrahlen in der Materialforschung gebraucht. Die Neutronen passieren den
zylindrischen Chopperrotor durch ein diametrales Fenster (Bild 21). Durch den
Einsatz von parallel zur Fensterachse ausgerichteten, neutronenundurchlässigen
35
Lamellen wird die Öffnungszeit des Fensters um einen der Lamellenzahl
entsprechenden Faktor reduziert. Ein solcher “Fermichopper” wird meistens in
Kombination mit einem zweiten Trommelchopper ohne Lamellen synchron und mit
einstellbarer gegenseitiger Phasenbeziehung betrieben.
g) Schwungrad-Energiespeicher
Als Speicher für elektrische Energie werden üblicherweise elektrochemische Zellen
(Batterien) bzw. wiederaufladbare Akkumulatoren benutzt. Als Alternative für eine
Reihe von modernen Anwendungen werden zunehmend auch elektromechanische
Schwungradsysteme in Betracht gezogen. Die Energie wird über einen
elektromotorischen Antrieb in das Schwungrad eingespeist und dort in Form von
mechanischer Rotationsenergie gespeichert. Über einen elektrischen Generator
kann die gespeicherte Energie wieder aus dem Schwungrad entnommen werden. Es
ist zweckmäßig, einen Motorgenerator zu verwenden, der wahlweise die Funktionen
des Motors oder des Generators erfüllt.
In Jülich wurde ein 500-Wh-Schwungradspeicher mit 50-kW-Motorgenerator für den
möglichen Einsatz in unterbrechungslosen Stromversorgungsanlagen entwickelt
(Bild 22). Der Schwungradspeicher soll bei einem Netzausfall während der Startzeit
des üblichen Notstromdiesels die Stromversorgung übernehmen, ohne dass ein
Versorgungseinbruch entsteht. Während des ungestörten Netzbetriebs soll das
Schwungrad mit voller Drehzahl laufen und in diesem Betriebszustand bei möglichst
unbegrenzter Lebensdauer möglichst wenig Leistung verbrauchen. Deshalb wird das
Schwungrad in einer magnetischen Lagerung und unter Vakuumbedingungen
betrieben.
Die Lagerung des Schwungrads entspricht wieder weitgehend der in Bild 14
gezeigten Anordnung. Die Schwungradachse ist vertikal ausgerichtet. Das Traglager
ist ein asymmetrisches Doppelringlager, welches bei Mittenstellung der Magnetringe
eine nach oben wirkende Zugkraft bereitstellt. Diese trägt das Rotorgewicht von
23 kg.
Das für eine Drehzahl von 40.000 UpM ausgelegte Schwungrad wurde in der
vorliegenden Form gebaut um festzustellen, ob die radial passive Lagerung im
Stande ist, die bei pulsartiger Belastung des Motorgenerators entstehenden
Störkräfte zu beherrschen. Dieser Nachweis konnte 1997 erbracht werden [36,37].
Energiespeicher mit Kapazitäten bis in den MWh-Bereich auf der Basis
magnetgelagerter Schwungräder werden inzwischen weltweit nicht nur für
Notstromanlagen, sondern auch als Spitzenlastpuffer in Stromversorgungsnetzen,
sowie als Pufferspeicher für Windkraft- und Solarstromanlagen und als
Energiequelle für elektrisch angetriebene Fahrzeuge entwickelt.
h) Drehanoden-Röntgenröhre
Röntgenstrahlen werden durch den Beschuss einer aus schwerem Metall
hergestellten Anode mit einem hochenergetischen Elektronenstrahl erzeugt. Beim
Auftreffen des Strahls erhitzt sich das Metall. Um ein lokales Schmelzen der
36
AXIALSENSOR
RADIALANSCHLAG
10 cm
AXIALANSCHLAG
STABILISATOR
MOTORGENERATOR
SCHWUNGRAD
RADIALANSCHLAG
TRAGLAGER
Bild 22. 500-Wh-Schwungradspeicher und
Traglager in vergrößerter Darstellung
(IGV, 1997)
37
Metalloberfläche am Auftreffpunkt des Elektronenstrahls zu vermeiden, wird die
Anode in der Form eines Tellers gestaltet, der sich im Bereich des Elektronenstrahls
mit hoher Geschwindigkeit dreht. Die entstehende Wärme wird auf diese Weise über
eine größere Fläche verteilt. Nach diesem Prinzip arbeitende Röntgenröhren
herkömmlicher Bauart sind mit Kugellagern ausgestattet. Die Lebensdauer der Lager
ist sehr begrenzt, da sie ohne Schmierung im Hochvakuum laufen müssen. Zur
Schonung der Lager wird die Drehanode in der medizinischen Praxis erst unmittelbar
vor jeder Aufnahme in Gang gesetzt. Der Arzt bittet den Patienten, ein paar
Sekunden ruhig zu bleiben, bis die Anode ihre Nenndrehzahl erreicht hat und er die
Aufnahme gemacht hat. Nach der Aufnahme wird die Anode sofort wieder
abgebremst.
Bild 23. Drehanoden-Röntgenröhre mit ± 75 kV Spannungsversorgung
(Siemens, 1979)
Diese relativ umständliche Handhabung wird entbehrlich durch den Einsatz einer
magnetischen Lagerung, wie sie in Bild 15 wiedergegeben ist. Die äußere
Erscheinung der in den siebziger Jahren zusammen mit Siemens entwickelten
Drehanodenröhre [38] ist in Bild 23 zu sehen. Die Anode läuft im Dauerbetrieb bei
einer Drehfrequenz von 300 Hz (18.000 UpM). Dies bedeutete zur damaligen Zeit
eine Verdoppelung der Drehzahl gegenüber kugelgelagerten Drehanoden. Die von
herkömmlichen Röhren bekannten Wartezeiten vor jeder Röntgenaufnahme
38
entfallen. Röntgenaufnahmen
ausgelöst werden.
können
jederzeit
auf
Knopfdruck
unverzögert
Innerhalb des 12 mm weiten radialen Lagerspalts ist der Schaft der aus Glas
gefertigten Hochvakuumröhre untergebracht. Der zwischen der Drehanodenwelle
und dem Glasrohr liegende Vakuumspalt sowie ein hochisolierendes Öl zwischen
dem Glasrohr und den auf Erdpotential liegenden Statorkomponenten des
Magnetlagers ermöglichen den Betrieb der Drehanode bis zu einer Spannung von
+ 75 kV über Erdpotential. Die Elektronenquelle (thermische Kathode) liegt auf
einem Potential von bis zu − 75 kV, so dass diese Röhre Röntgenstrahlen mit einer
Energie von bis zu 150 kV erzeugen kann. Wegen der symmetrisch zum Erdpotential
liegenden Spannungen der Anode und der Kathode ist dies ohne den Einsatz einer
praktisch kaum zu realisierenden 150-kV-Stromversorgung möglich.
Die permanentmagnetische Lagertechnik war der Schlüssel zu der beschriebenen
150-kV-Drehanodentechnik mit erdsymmetrischer Spannungsversorgung. Die
Verwendung von Elektromagneten zur Aufbringung der Tragkräfte bei einer
Lagerspaltweite von 12 mm hätte den Dauereinsatz von elektrischer Energie im kWBereich erfordert und eine entsprechend aufwendige Zwangskühlung.
Der erfolgreiche Ausgang der Prototyperprobung führte 1979 zum Abschluss eines
Lizenzvertrags mit Siemens. Nachdem jedoch der dortige Initiator des Projekts den
Unternehmensbereich verlassen hatte, ist das Projekt nicht weiterverfolgt worden.
i) Molekularstrahl-Chopper
Die Abtastung von Materialoberflächen durch einen Molekularstrahl und die
anschließende Analyse der Geschwindigkeitsverteilung der von den Oberflächen
gestreuten Gasteilchen ist eine Methode der modernen Grundlagenforschung. Das
Verständnis von elementaren physikalischen Vorgängen an Oberflächen ist nicht nur
von akademischem Interesse, sondern längerfristig auch bedeutend für die
Fortentwicklung etablierter sowie für die Erschließung neuartiger industrieller
Fertigungsprozesse. Die Gewinnung klarer Erkenntnisse gelingt nur unter
hinreichend kontrollierten Bedingungen an den zu analysierenden Oberflächen.
Deshalb werden solche Untersuchungen im Ultrahochvakuum durchgeführt.
Ein Molekularstrahlchopper muß in diesem Anwendungsbereich aus Komponenten
aufgebaut sein, die keinen Störfaktor für das Ultrahochvakuum darstellen. Der
Chopper sollte aus diesem Grunde ohne Reibkontakt und Schmiermittel in einem
hermetisch dichten Edelstahlrohr gelagert und angetrieben werden. Er muss
zusammen mit der Einkapselung bis auf mehrere hundert Grad Celsius erhitzbar
sein, um den an den Oberflächen haftenden Wasserfilm zu beseitigen. Diese
Anforderungen führten zu einer aus Bild 24 erkennbaren Gestaltung der
Chopperwelle aus einem massiven Stück rostfreiem, magnetisierbarem Stahl und
einer radial aktiven permanentmagnetischen Lagerung mit weiten Lagerspalten nach
Bild 15. Aufgrund der ungehinderten axialen Bewegungsfreiheit des Statorgehäuses
kann dieses vor dem Ausheizen von der Vakuumkapsel abgezogen und nach dem
Heizen wieder aufgesteckt werden.
39
Bild 24. Molekularstrahl-Chopper (Uranit GmbH, 1986): C - Chopperscheibe,
W - Welle (magnetisierbarar Edelstahl), V - Vakuumkammer mit Anschlussflansch,
M - Ringmagnet, S - Feldsensor, A - Ringkernspule, D - Reluktanz-Synchronmotor
40
Die magnetische Lagerung ermöglicht durch ihre Reibungsfreiheit einen in dieser
Anwendung geforderten äußerst gleichmäßigen Rundlauf des Choppers. Durch die
Verwendung einer permanentmagnetischen Lagerung mit Ringkernspulen ist eine
sehr gute Rotationssymmetrie des tragenden Magnetfelds gewährleistet. Der Rotor
kann aus massivem Material gefertigt werden und erfüllt damit sehr gut die
vakuumtechnischen Anforderungen.
j) Fermichopper
Das Prinzip des Fermichoppers wurde unter f) beschrieben. Durch eine spezielle
Ausgestaltung des Lamellenpakets können mit einem einzelnen Fermichopper
geschwindigkeitsselektierte Neutronen erzeugt werden. Es stehen in diesem Falle
gekrümmte Lamellen im Chopperfenster, die das Fenster undurchsichtig machen, so
wie der Tunnel über einer Kurvenstrecke undurchsichtig ist. Wenn der Chopper
rotiert, können geradlinig fliegende Neutronen mit einer bestimmten Geschwindigkeit
das gekrümmte Lamellenpaket passieren. Das sind genau die Neutronen, deren
Fluggeschwindigkeit an die Drehgeschwindigkeit des “Tunnels” angepasst ist. Die
Situation läßt sich an einer Drehtür demonstrieren, die man bei Einhaltung einer
bestimmten Schrittgeschwindigkeit ohne Anhalten auf geradem Wege passieren
kann.
Bild 25. Fermichopper (Foto: Rutherford-Appleton Laboratory, 1986)
41
Bei gegebener Krümmung der Lamellen liefert ein Chopper jeweils nur innerhalb
eines begrenzten Geschwindigkeitsbereichs hinreichend eng selektierte Neutronen.
Es werden aus diesem Grund an einer Neutronenquelle mit unterschiedlichen
Lamellenpaketen bestückte Chopperrotoren eingesetzt. Im Hinblick auf die
geforderte Auswechselmöglichkeit wurden die Chopper mit radial stabilisierten
Lagern ausgerüstet, die eine schnelle Entnahme des Rotors aus den Lagerstatoren
erlauben.
Fermichopper der beschriebenen Art (Bild 25) werden seit mehr als 20 Jahren am
Forschungszentrum Jülich sowie am Rutherford-Appleton Laboratory in Chilton,
U.K., und am KEK Forschungszentrum in Tsukuba, Japan, betrieben. Die ca. 8 kg
schweren Rotoren laufen in Jülicher Magnetlagern mit Drehzahlen bis zu 36.000
UpM.
k) Kristallziehanlage
Die axiale Bewegungsfreiheit der Lagerkomponenten des radial stabilisierten Lagers
entlang eines im Lagerspalt eingesetzten Rohres kommt in besonders vorteilhafter
Weise in einer Heißwand-Kristallziehanlage [39] für Gallium-Arsenid (GaAs) zur
Geltung (Bild 26). Einkristalle aus diesem Material werden als Substrat für extrem
schnelle Rechnerchips und für optoelektronische Bauelemente gebraucht.
Einkristalle werden durch “Ausfrieren” der Kristallbestandteile aus der Schmelze an
der Stirnseite eines einkristallinen “Impflings” unter kontrollierten thermischen
Bedingungen gezüchtet. Bei der Schmelztemperatur von ca. 1300 °C des GaAs hat
das Arsen einen deutlich höheren Dampfdruck als das Gallium. Die
Zusammensetzung der Legierungsbestandteile im Schmelztiegel veschiebt sich
infolge der schnelleren Verdampfung des Arsens zugunsten des Galliums. Dadurch
ändern sich die Bedingungen an der Phasengrenze, so dass ein sauberes
Kristallwachstum zunehmend behindert wird.
Die Verdampfung von Arsen aus der Schmelze kann mittels einer Abdeckung aus
flüssigem Boroxid verhindert werden. Dies hat jedoch den unerwünschten Einbau
von Fremdatomen im GaAs-Kristallgitter zur Folge. Die Abdampfung von Arsen kann
aber auch durch die Bereitstellung von gesättigtem Arsendampf über der Schmelze
verhindert werden. Damit der Arsendampf sich nicht an den Wänden der
Prozesskammer niederschlägt, ist es erforderlich, die Innentemperatur der Kammer
überall oberhalb der Sublimationstemperatur des GaAs bei etwa 650 °C zu halten.
Unter Einsatz einer permanentmagnetischen Lagerung nach Bild 15 konnten die
beschriebenen Bedingungen erfüllt werden, wobei sowohl die Stützwelle für den
Schmelztiegel als auch die Ziehwelle für den Kristall berührungslos gelagert werden.
Die Hub- und Zentrierkräfte wirken von den außerhalb der Prozesskammer
angebrachten Statorkomponenten über eine Distanz von 24 mm durch die mit
Heizelementen und Isolationsmaterial gefüllte Kammerwand. Die berührungslose
Lagerung ermöglicht die hermetische Kapselung und einen sehr gleichmäßigen,
erschütterungsfreien Lauf der langsam rotierenden Tiegel- und Ziehwellen und sie
vermeidet die Entstehung von Abriebpartikeln in der Prozesskammer.
42
Der Reinheitsgrad der mit dieser Apparatur gezogenen GaAs-Kristalle übersteigt mit
deutlich weniger als 1000 Versetzungen pro Quadratzentimeter die Ergebnisse
anderer GaAs-Ziehverfahren um ein bis zwei Zehnerpotenzen.
Die in Zusammenarbeit mit Leybold entwickelte Kristallziehanlage sollte auf der
Basis eines 1990 abgeschlossenen Lizenzvertrags von einem damals in der GaAsProduktion weltweit führenden deutschen Industrieunternehmen eingesetzt werden.
Dieses Unternehmen hat sich aber noch während der Anlagenentwicklung
zugunsten seines japanischen Hauptkonkurrenten aus der GaAs-Produktion
zurückgezogen. In den letzten Jahren wurde die Prototypanlage im Forschungszentrum Jülich zur Erprobung und Verbesserung des GaAs-Wachstumsprozesses
genutzt.
Bild 26. Heißwand-Kristallziehanlage (Leybold AG, 1993)
43
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Körpers aus der Schmelze, Deutsches Patent 3530417, Anmeldung 9. 8. 1985
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