Vorlesung 41 Carbonsäureester Die Entstehung von Carbonsäureestern bei der Umsetzung von Carbonsäurechloriden oder –anhydriden mit Alkoholen wurde bereits besprochen. Carbonsäureester lassen sich auch direkt durch Umsetzung von Carbonsäuren mit Alkoholen herstellen, wenn eine starke Säure anwesend ist, die die Einstellung des Gleichgewichts beschleunigt. Versuch: Essigsäure und Propanol werden mit und ohne Zusatz von konzentrierter Schwefelsäure kurz aufgekocht. Gießt man die beiden Mischungen nach Abkühlen in Wasser, beobachtet man nur bei dem mit Schwefelsäure erhitzten Gemisch Phasentrennung. Essigsäurepropylester ist mit Wasser nicht mischbar, während Essigsäure und Propanol mit Wasser in jedem Verhältnis mischbar sind. Mechanismus der Säure-katalysierten Veresterung Schritt 1: Protonierung der Carboxylgruppe H O R C O H O + H+ R C H O H O H R C O O R C H O H Dihydroxycarbenium-Ion Schritt 2: H + R C O O + H R' O −H+ +H+ H Schritt 3: H O H+ R C O H O −H2O R' −H+ Beachten Sie, dass der Katalysator (H+) , sowohl die Hinreaktion als auch die Rückreaktion beschleunigt (Prinzip mikroskopischer Reversibilität). Experimentalchemie, Prof. H. Mayr Achtung Lückentext. Nur als Begleittext zur Vorlesung geeignet. 241 Als Gesamtgleichung ergibt sich: O R C OH + R' OH [Ester][Wasser] K= [H2SO4] [Carbonsäure][Alkohol] ; O R C [Ester] = K . R' O + H2O [Carbonsäure][Alkohol] [Wasser] Um eine hohe Ausbeute an Ester zu erzielen, muss das oben formulierte Gleichgewicht nach rechts verschoben werden. Dies kann gelingen durch: a) Verwendung der billigen Komponente (Carbonsäure oder Alkohol) im Überschuss b) Destillative Abtrennung des Esters (falls tiefstsiedende Komponente) c) Entfernung des Wassers (destillativ oder durch wassserbindende Zusätze) Herstellung des Essigsäureethylesters (Sdp. 77 °C) aus Essigsäure (Sdp. 118 °C ) und Ethanol (Sdp. 78 °C) in Gegenwart von konzentrierter Schwefelsäure. Versuch: Unter basischen Bedingungen gelingt die quantitative Esterhydrolyse. Mechanismus der basischen Esterhydrolyse O R C + OR' − + O H rasch OH– ist kein Katalysator, sondern Reagens! Bruttogleichung O R C O R' + Na+ OH O R C Experimentalchemie, Prof. H. Mayr Achtung Lückentext. Nur als Begleittext zur Vorlesung geeignet. + O Na + R' OH 242 Übung A41-1. Überlegen Sie, ob eine Umesterung O R C + HOR'' O R' O R C O R'' + HOR' durch Säure (H+), Base (–OR’’) oder beides katalysiert wird! Übung B41-1. Warum kann die Esterbildung aus Carbonsäuren und Alkoholen nicht durch OH– katalysiert werden? Formulieren Sie die Reaktion einer Carbonsäure mit OH–! Aromastoffe O O H C CH3 H 3C C O CH2CH3 O CH2 CH CH3 Essigsäure-isobutylester (Banane) (Rum-Aroma) O O H3C CH2 CH2 C H3C CH2 CH2 C O CH3 (Apfel) O CH2 CH3 (Ananas) O O H 3C C H O CH2 CH2 C CH3 H 3C C O CH2 CH3 Essigsäure-isopentylester (Birnenether) (Jasmin) Die meisten Aromen bestehen aus einer Vielzahl von Komponenten, unter denen zahlreiche Ester sind. Durch Gaschromatographie wurden im Röstkaffee-Aroma über 400, im Wein über 200 Komponenten nachgewiesen. Übung C41-1. Schlagen Sie eine Synthesemethode vor, um aus Isopropanol, Essigsäure und Formaldehyd den Ester des Bananenaromas herzustellen! Hinweis: Verwenden Sie eine GrignardReaktion mit (CH3)2CHMgBr! Experimentalchemie, Prof. H. Mayr Achtung Lückentext. Nur als Begleittext zur Vorlesung geeignet. 243 Pflanzenwachse Pflanzen schützen ihre Blätter in tropischen Gegenden mit einer dicken Wachsschicht vor dem Austrocknen. Bienenwachs besteht aus einem Gemisch von Cerotinsäure und Melissinsäure sowie einem Gemisch aus ca. 70 Estern von C16–C36–Säuren und C24–C36–Alkoholen. O O H3C (CH2)24 C H3C (CH2)24 C O (CH2)25CH3 O Cerotinsäure-melissylester (Hauptbestandteil des Carnaubau-Wachses der Brasilianischen Fächerpalme) (CH2)29CH3 Cerotinsäure-cerylester (von Blattläusen ausgeschiedenes Insektenwachs) Reaktionen der Ester mit Aminen Amine sind nucleophiler als Alkohole und reagieren mit Estern zu Amiden. Es ist kein Katalysator erforderlich, doch muss i. A. erhitzt werden. H O R C O + R' N R'' + H Übung B41-2. Formulieren Sie einen Mechanismus für die Bildung von Acetamid (CH3−CONH2) aus Methylacetat (Essigsäuremethylester) und Ammoniak. Reaktionen der Ester mit Grignard-Verbindungen Carbonsäureester ergeben mit Grignardverbindungen tertiäre Alkohole (Ausnahme: Ameisensäureester → sekundäre Alkohole) OMgBr O R C O + 2 R''MgBr R' R C R'' H2O R'' OH R C R'' R'' Der Bildungsweg folgt den bisher besprochenen Mechanismen. O R C O MgBr CH3 R' Ketone reagieren mit Grignard-Verbindungen rascher als Ester (warum?), sodass sie unter diesen Bedingungen nicht isoliert werden können und sofort weiterreagieren (vgl. Vorlesung 36/37) O + CH3MgBr R C H2O CH3 Experimentalchemie, Prof. H. Mayr Achtung Lückentext. Nur als Begleittext zur Vorlesung geeignet. 244 Übung A41-2. Welches Produkt erwarten Sie bei der Umsetzung von Ameisensäureethylester mit Phenylmagnesiumbromid und nachfolgender wässriger Aufarbeitung. Übung A41-3. Schlagen Sie eine Methode vor, um aus Buttersäure 3-Ethyl-hexan-3-ol herzustellen. Warum dürfen Sie bei dieser Synthese die Buttersäure nicht direkt mit einem Grignard-Reagens umsetzen sondern müssen einen Umweg (z. B. über einen Buttersäureester) beschreiten? Vgl. dazu Übung B41-1! Übung B41-3. Ergänzen Sie die folgende Reaktionsgleichung. O C CH3CH2CH2MgBr H2O OC2H5 Reduktion von Estern Ester sind weniger elektrophil als Ketone und reagieren daher nicht mit NaBH4. Die Reduktion mit LiAlH4 in Ether verläuft analog der Reaktion von Estern mit GrignardReagenzien. O R C O LiAlH4 + R' in Ether Carbonsäureamide und Nitrile Die Herstellung von Carbonsäureamiden aus reaktiven Carbonsäure-Derivaten (Säurechloride und Anhydride) wurde in der vorausgehenden Vorlesung besprochen. Die Herstellung aus Carbonsäuren und Aminen (bzw. Ammoniak) gelingt nur bei hohen Temperaturen, weil Carbonsäuren und Amine zunächst Ammoniumsalze bilden, die erst bei hohen Temperaturen wieder gespalten werden. + R CO2 NH4 OH O 200°C R C OH + NH3 R C NH2 OH O R C + H2O NH2 Die Abspaltung von Wasser aus primären Amiden ergibt Nitrile. O R C P4O10 NH2 Carbonsäureamid + H2O Δ Nitril Experimentalchemie, Prof. H. Mayr Achtung Lückentext. Nur als Begleittext zur Vorlesung geeignet. 245 Versuch: Beim Erhitzen von festem Acetamid (H3C–CONH2) mit P4O10 entsteht das bei 82 °C überdestillierende Acetonitril (H3C–CΞN), ein wichtiges Lösungsmittel für die organische Synthese. Ein alternativer Zugang zu Nitrilen durch SN2-Reaktion wurde in Vorlesung 11 besprochen. + Na+ Br + Na+ CN R Br Im Einklang mit der hohen Stabilität der Carbonsäureamide gelingt ihre Hydrolyse nur durch Erhitzen unter stark sauren oder stark basischen Bedingungen. O R C Versuch: + Na+ OH NH2 Acetamid wird mit Natronlauge vereinigt. Erst beim Erhitzen auf Siedetemperatur wird Ammoniak freigesetzt, der mit einem feuchten Lackmus-Streifen nachgewiesen wird. Die Hydrolyse von Nitrilen erfordert ebenfalls Erhitzen unter stark sauren oder basischen Bedingungen + R C N + 2 H2O H oder OH Δ Übung B41-4: Schlagen Sie einen Mechanismus für die Hydrolyse von Acetonitril mit Schwefelsäure vor! Übung B41-5: Kombinieren Sie nun zwei der obengenannten Reaktionen, um aus Benzylchlorid Phenylessigsäure herzustellen. Reduktionen Amide und Nitrile lassen sich durch LiAlH4 in Ether (inertes Solvens) zu Aminen reduzieren. O R C LiAlH4 NR'R'' R C N LiAlH4 R CH2 NR'R'' R CH2 NH2 Übung A41-4. Entwickeln Sie ein allgemeines Verfahren, um eine Carbonsäure R–CO2H in die homologe Carbonsäure R–CH2–CO2H zu überführen! Experimentalchemie, Prof. H. Mayr Achtung Lückentext. Nur als Begleittext zur Vorlesung geeignet. 246 Lösung zu Übung B41-1: O R C O − + OH R C OH O − + H2O Die Reaktion von Carbonsäuren mit Basen (HO− oder RO−) führt zur Bildung des stabilen Carbonsäure-Anions, das von Alkoholat-Ionen nicht mehr angegriffen werden kann. Lösung zu Übung C41-1: +HBr (CH3)2CHOH H2O (CH3)2CH CH2OMgBr 1/3 PCl3 CH3CO2H (CH3)2CHBr H2O Mg (CH3)2CHMgBr in Et2O HCHO (CH3)2CH CH2OH H3C COCl H3C COCl + (CH3)2CH CH2OH [Pyridin] H3C COO CH2 CH(CH3)2 Lösung zu Übung B41-2: O Me O OMe NH3 O CH3C OMe CH3C + NH3 NH2 O + O Me H Me NH2 + MeOH Lösung nach Vollhardt, 3. Aufl., S. 1381, 20-14; es sind auch andere Mechanismen, mit CH3O− als austretende Gruppe denkbar. Lösung zu Übung B41-3: O C OH CH3CH2CH2MgBr H2O C CH2CH2CH3 CH2CH2CH3 OC2H5 O Das intermediär gebildete C kann nicht isoliert werden CH2CH2CH3 Um eine gute Ausbeute zu erzielen, wird man das Grignard-Reagens im Überschuss (> 2 Äquivalente) einsetzen. Experimentalchemie, Prof. H. Mayr Achtung Lückentext. Nur als Begleittext zur Vorlesung geeignet. 247 Lösung zu Übung-B41-4: H3C C N + + H+ + H3C C N H H3C C N H + H 2O H + H O H3C C N O H3C C + N H H O H3C C H H H + H N H Protoniertes Acetamid + H2O H O+ H + O H H3C C O H H3C C O H H N H H N H + H Bitte diese Reaktionssequenz nicht auswendig lernen! Sie soll Ihnen lediglich zeigen, wie die Ihnen bekannten Reaktionsprinzipien angewandt werden können, um komplexe Reaktionskaskaden zu beschreiben. H3C C O H O H + NH3 Protonierte Essigsäure O H3C C OH + NH4+ Lösung zu Übung B41-5: CH2Cl + Na+ CN − CH2 C N H2SO4/H2O Experimentalchemie, Prof. H. Mayr Achtung Lückentext. Nur als Begleittext zur Vorlesung geeignet. CH2 CO2H + NH4+ 248 Prioritätenliste der funktionellen Gruppen nach der IUPAC-Nomenklatur (Priorität nimmt von oben nach unten ab) Verbindungsklasse Carbonsäure n Carbonsäureanhydride Formel Suffix Präfix R COOH -<Stamm>säure -<R-Gruppe>ylcarbonsäure -säureanhydrid (Carboxy-) O R R' O O R -<Stamm>säure-<R'Gruppe>ylester AlkoxycarbonylAryloxycarbonyl- -<Stamm>oyl<Halogenid> <Halogen>formyl -<Stamm>säure-N,N-<R'Gruppe>yl<R''-Gruppe>ylamid Carbamoyl- -<Stamm>säurenitril -<R-Stamm>carbonitril -<Stamm>al -<R-Gruppe>carbaldehyd Cyano- Cl O Säureamide - R R Ester Säurehalogenide O O O R R'' N R' Nitrile R CN Aldehyde O R H O -<Stamm>on -<R-Gruppe>yl-<R'Gruppe>ylketon Oxo- -<Stamm>ol -<Stamm>ol -<Stamm>thiol -< Gruppe>ylamin -<R-Gruppe>yl-<R'Gruppe>ylether -oxa<Stamm>an -<Stamm>en HydroxyHydroxyMercaptoAmino<Gruppe>oxy- <Gruppe>enyl- -<Stamm>in <Gruppe>inyl- R Halogen - <Halogen> - - -<Stamm>an <Gruppe>yl- Ketone R R' Alkohole R OH Phenole Ar Alkine Halogenverbindungen Alkane OH R SH Thiole Amine Ether Alkene Formyl- R NR3 O R' R R''' R' R R' R'' Experimentalchemie, Prof. H. Mayr Achtung Lückentext. Nur als Begleittext zur Vorlesung geeignet. 249