das grosse geschäft mit den künstlichen vitaminen

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das grosse geschäft mit den künstlichen vitaminen
die vitamin-schw
Mediziner und Ernährungsexperten raten davon ab, künstliche Vitamine routinemäßig
einzunehmen. Die industriell hergestellten Nahrungsergänzungsmittel können in hoher
Dosierung Gesundheitsprobleme hervorrufen.
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itamine sind die Stars der Lebensmittelindustrie. Sie sind fast über-
all drin, auch da, wo man sie nicht vermutet. Nicht nur Joghurt und Fruchtsäfte werden bei der industriellen Herstellung mit
großen Mengen Vitaminen angereichert,
sondern auch Salami und Käse, Mayonnaise und Kartoffelchips, Erdnüsse und Salzstangen, Pudding und Schokolade. Verbraucherschützer haben beim Test von Inhaltsstoffen entdeckt, dass Kartoffelsticks
knapp 50 Milligramm Vitamin C pro 100
Gramm enthielten, mehr als Mangos und
zehn Mal so viel wie Birnen.
emme
Vitamin C wird in großen Mengen hergestellt und vielfach genutzt: Als Konservierungsmittel, um Lebensmittel länger
haltbar zu machen, und als Antioxidans,
damit Wurst und Fleischwaren frischer
aussehen. Außerdem auch als Zusatz zu
Mehl, damit Brot und Brötchen luftiger
wirken und größeres Volumen erhalten,
und als Farbzusatz, damit Tiefkühlpommes
beim Aufbacken gelb und knackig werden.
Der Industriebedarf an Vitamin C wird
hauptsächlich von Herstellern in China gestillt. Die Jahresproduktion beträgt etwa
100.000 Tonnen und erfolgt unter anderem mit gentechnisch veränderten Mikroorganismen.
mythos und marketing
Dass ausgerechnet Vitamin C dennoch einen so guten Ruf hat und als gesund gilt,
hat viel mit Mythos und Marketing zu tun.
Was in natürlicher Form in gesunden Lebensmitteln vorkommt, lässt sich auch als
attraktiver Zusatz von der Lebensmittelin-
»Die meisten Ergänzungsmittel verhindern keine chronischen Krankheiten. Man sollte sie nicht benutzen.«
Dr. Eliseo Guallar, Professor der Bloomberg
School of Public Health, Baltimore
dustrie vermarkten. Die Ernährungsexpertin Annette Sabersky kritisiert die industrielle »Übervitaminisierung«. Sie sieht
darin einen »Trend zur Denaturierung unserer Nahrungsmittel«, der mit gesundheitlichen Risiken einhergeht.
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Tatsache ist, dass die Werbung für Nah-
Übersichtsstudie mit den Daten von
schädlich sein können und das Sterblich-
rungsergänzungsmittel mit »lebenswich-
400.000 US-Bürgern, die einzelne Vitami-
keitsrisiko erhöhen.
tigen Vitaminen«, »wertvollen Minera-
ne oder Multivitaminpräparate eingenom-
Es gibt noch mehr Hiobsbotschaften:
lien« und »gesunden Spurenelementen«
men hatten. Die Forscher fanden keine kla-
Vitamin E-Pillen erhöhen das Prostatakrebs-
ein großes Geschäft ist. Ein Drittel der Er-
ren Belege dafür, dass die Vitamine das Ri-
risiko und schaden der Haut. Das Asthma-
wachsenen in Deutschland kaufen regel-
siko für Herz-Kreislauf-Krankheiten, Krebs
Risiko kann durch Multivitaminpräparate
mäßig solche Kapseln,
Pulver
steigen. Zuviel Vitamin A kann den Kno-
und Tabletten.
»Vitaminpräparate können
auch schaden, ein Nutzen ist
selten nachweisbar.«
Ältere Menschen sind
besonders gute Kunden:
54 % der Frauen und 34 %
Dr. Ingrid Mühlhauser,
der Männer im Renten-
Professorin für Gesundheitswissen-
alter nehmen nach einer
schaft an der Universität Hamburg
Studie des Helmholtz
Zentrums München re-
bringt Nierenprobleme. Oft schwächen
Vitamine die Wirkung von Medikamenten
und Impfungen. Mit anderen Worten: Die
starken Vitaminzusätze sind nicht etwa
gesund, sondern eher gefährlich.
Für gut ernährte Menschen haben die
üblichen Mineral- und Vitaminergän-
gelmäßig Vitamine, Mineralstoffe oder
oder die Sterblichkeit senken konnten.
zungsmittel keine Vorteile, sondern eher
sonstige Zusatzstoffe ein, oft weit über
Andere Studien untersuchten die Frage,
schädliche Wirkungen, fasste der Leiter der
den Bedarf hinaus. Eine Milliarde Euro
ob Multivitaminpräparate über einen län-
Studiengruppe, Dr. Eliseo Guallar, die
Umsatz wird damit pro Jahr in Deutsch-
geren Zeitraum die Leistungsfähigkeit des
Ergebnisse in den »Annals of Internal
land gemacht.
Gehirns steigern oder Schutz vor einem
Medicine« zusammen. Sein Fazit: »Genug
In den USA ist der Vitamin-Hunger ein
Herzinfarkt bieten könnten. Sie kamen
ist genug – zur Prävention gegen chroni-
noch größeres Massenphänomen. Die Vi-
ebenfalls zu negativen Ergebnissen. Frühe-
sche Krankheiten sollten diese Vitamine
taminlobby rührt kräftig die Werbetrom-
re Untersuchungen haben bereits gezeigt,
nicht benutzt werden.«
mel für hoch dosierte Vitamincocktails.
dass das Provitamin Beta-Carotin und die
Auch Dr. Ingrid Mühlhauser, Professorin
28 Milliarden Dollar geben die US-Bürger
Vitamine E und A in hoher Dosierung
für Gesundheitswissenschaft an der Uni-
jährlich für Vitamine und andere Nahrungsergänzungsmittel aus. »Die meisten
Menschen brauchen solche Präparate jedoch nicht, weil eine ausgewogene alltägliche Ernährung sie mit allem Notwendigen ausreichend versorgt«, meint die Stiftung Warentest.
gesundheitsrisiko
Vitaminbefürworter sehen das anders.
Einzelne Mediziner gehen so weit, synthetische Vitamine in hoher Dosierung als
Wundermittel anzupreisen – gegen Krebs,
Herzinfarkt und Altersbeschwerden. Erklärt wird es damit, dass die Vitamine vor
gefährlichen Sauerstoffradikalen und damit vor Tumorgefahren schützen könnten.
Tatsächlich aber weisen immer mehr
medizinische Untersuchungen in die andere Richtung. Neue Studien kommen zu
dem Ergebnis, dass Vitaminzusätze in den
meisten Fällen keinen Nutzen bieten und
sogar ein Risiko für die Gesundheit darstellen. Das US-Fachmagazin »Annals of Inter-
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chenabbau beschleunigen, zuviel Vitamin D
nal Medicine« veröffentlichte im Dezem-
Synthetische Vitamine und
ber 2013 eine vom US-amerikanischen
Nahrungsergänzungsmittel
Gesundheitsministerium
sind preiswert herzustellen.
mitfinanzierte
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Kiwis gehören zu den Früchten
versität Hamburg, betont: »Vitaminpräpa-
mit dem höchsten Gehalt an
rate können auch schaden, ein Nutzen ist
natürlichem Vitamin C.
selten nachweisbar.« Sie hält den Glauben
an eine segensreiche Wirkung der Vitaminzusätze für »einen Irrtum der Medizingeschichte«.
nachholbedarf
Eine Ausnahme bildet offenbar Vitamin D.
Es ist wichtig für die Knochenfestigkeit
und die Zahnbildung, kann aber nur in geringen Mengen mit der Nahrung aufgenommen werden. Den Großteil des Bedarfs muss der Körper selbst produzieren.
Dafür ist Sonnenlicht erforderlich. In den
sonnenarmen Wintermonaten reicht das
aber nicht. Deshalb sind viele Menschen
mit Vitamin D unterversorgt, meint das
Max Rubner-Institut.
Mehr als die Hälfte der Bevölkerung hat
demnach einen Mangel an Vitamin D,
besonders
Kleinkinder,
Senioren
und
Pflegebedürftige, die wenig an die Sonne
kommen. In diesen Fällen verordnen Ärzte
Vitamin D-Tabletten, oft in Kombination
mit Calcium. Darüber hinaus hat das Institut noch einen verbreiteten NachholbeZusätzliche Vitaminpillen
darf an Folsäure (Vitamin B9) in Deutsch-
bringen in den meisten
land festgestellt.
Fällen keinen Nutzen.
Mit den übrigen Vitaminen sind die
Menschen hierzulande ausreichend bis
überreichlich versorgt, urteilte das Max
Rubner-Institut, eine Bundesforschungseinrichtung für Ernährung und Lebensmittel, im vergangenen Jahr in einer »Nationalen Verzehrstudie«. Obst, Gemüse
und andere Lebensmittel enthielten ausreichend Vitamine, bei normaler Ernährung sei der Bedarf gedeckt.
überdosierung
Wie der Bedarf für die einzelnen Vitamine
und Mineralstoffe zu definieren ist und wo
die exakte Grenze zwischen empfehlenswerter Tagesmenge und Überdosierung
liegt, ist nicht unumstritten. Wissenschaftlich untermauerte Zahlen dazu liefern die
Deutsche Gesellschaft für Ernährung
(DGE) und die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA).
Die künstlich hergestellten Vitamine haben aus Sicht der Lebensmittelindustrie ei-
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nen großen Vorzug: Sie sind billig und indus-
empfehlungen für die tägliche ernährung
trietauglich. Während natürliches Vitamin C
Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) empfiehlt folgende Tagesmengen
in Obst und Gemüse durch Lagerung und
für ausgewählte Vitamine und Mineralstoffe. Die Werte gelten für Frauen
Reifung abgebaut wird, ist das wasserlösli-
im Alter zwischen 25 und 65 Jahren, für Männer sind sie teils etwas höher.
che, kristalline Industrie-Vitamin (Ascorbin-
Für Kleinkinder, chronisch Kranke, Schwangere, Stillende und Senioren gelten
säure) lange haltbar und leicht zu verarbei-
abweichende Empfehlungen.
ten. Und es ist mittlerweile unschlagbar
Vitamin/
Mineral
billig: Die von der DGE genannte Tagesdosis
Tagesmenge
Natürliches Vorkommen
in Milligramm
Calcium
1.000
von 100 Milligramm Vitamin C kostet in der
industriellen Produktion nur rund 0,1 Cent.
Milch, Käse, Broccoli, Lauch u.a.
Magnesium
300
Vollkornprodukte, Obst, Reis, Spinat, Soja u.a.
Vitamin C
100
Zitrusfrüchte, Paprika, Kohl, Sanddorn, Kiwi u.a.
Eisen
15
Brot, Fleisch, Wurst, Gemüse u.a.
Vitamin E
12
Pflanzenöle, Nüsse, Vollkornprodukte u.a.
Zink
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Die Gewinnspanne ist beträchtlich: In Apotheken kostet eine Tagesdosis je nach Präparat bis zu 50 Cent, also 500 Mal mehr als
der Herstellungspreis.
Fleisch, Eier, Milchprodukte
gesunde mischung
Vitamin B6
1,2
Leber, Lachs, Reis, Linsen, Grünkohl, Milch u.a.
Den Unterschied zwischen natürlichen
Vitamin B2
1,2
Milch, Fleisch, Fisch, Vollkorn
und
Vitamin B1
1,0
Vollkorn, Kartoffeln, Schweinefleisch, Hülsenfrüchte
Vitamin A
0,8
grünes Gemüse, Milch, Butter, Käse
Folat/Folsäure
0,3
Blattgemüse, Getreide, Milchprodukte, Nüsse
synthetischen
Vitaminen
sehen
Ernährungsexperten auch aus gesundheitlichen Gründen mit kritischem Blick.
Laborvitamine sind den natürlichen Vita-
Vitamin D
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Mikrogramm
Lachs, Hering, Forelle, Pilze, Eigelb, Margarine u.a.
Vitamin B12
3
Mikrogramm
Leber, Fleisch, Eier, Milch, Käse
minen deutlich unterlegen, meint Annette
Sabersky. Es sei davon auszugehen, dass
Obst und Gemüse nicht wegen einzelner
Substanzen gesund sind, sondern weil sie
eine ausgewogene Mischung vieler Stoffe
Quelle: www.dge.de
enthalten.
Vitamine sind lebensnotwendig für die
Frischer Salat, dazu Obst und
Gesundheit, ohne Zweifel. Auch Jod und
Vollkornprodukte – das kurbelt
Fluor, Zink und Magnesium braucht der
die Vitaminversorgung an.
Körper in gewissen Mengen. Für bestimmte Lebenssituationen können ergänzende
Vitamine und Mineralstoffe sinnvoll sein
(siehe Seite 11). Von einer routinemäßigen
Einnahme »für alle Fälle« ist abzuraten. Im
Allgemeinen genügt eine ausgewogene
Ernährung: vielfältig essen, Vollkornprodukte bevorzugen, Obst und Gemüse nicht
vergessen.
Aber der Markt ist voll mit fragwürdigen
Nahrungsergänzungsmitteln und den künstlichen Vitaminen der Lebensmittelindustrie. Angesichts dieser Vitaminschwemme
fordern Verbraucherschützer mehr Aufklärung. »Die meisten Nahrungsergänzungen«, meint die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen, »werden von Menschen
eingenommen, die sie wegen ihrer an sich
schon guten Ernährung eigentlich gar nicht
bräuchten, einfach nur zur Sicherheit, zur
Beruhigung des Gewissens.« ■
Norbert Schnorbach
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nahrungsergänzungsmittel
wer braucht vitamine?
Die meisten Menschen ernähren sich so gut, dass zusätzliche Vitamin- und Mineralstoffergänzungen überflüssig sind. In einigen Fällen können sie jedoch sinnvoll sein.
D
er individuelle Bedarf an Vitaminen
lerweise vom Körper selbst gebildet, wenn
ist Folsäure, die sich beispielsweise in unge-
hängt von vielen Faktoren ab. So än-
die Haut ausreichend Sonnenstrahlen ab-
kochtem Gemüse und Salat findet, außer-
dert er sich zum Beispiel mit dem Lebensal-
bekommt. Täglich 15 Minuten Sonnen-
dem Vitamin D, Calcium, Eisen und Jod.
ter, meint die Deutsche Gesellschaft für Er-
schein auf Gesicht und Hände reichen. Ist
nährung (DGE). Sie empfiehlt generell ein
das nicht der Fall, sind Vitamin D-Präparate
abwechslungsreiches Essen. Das ist norma-
plus Calcium sinnvoll. Das sollte mit dem
Wer sich vegan oder vegetarisch er-
lerweise ausreichend, um sich mit gesunden
Arzt abgesprochen werden, da zuviel
nährt, braucht unter Umständen mehr
Mengen an Vitaminen und Mineralstoffen
Vitamin D ernste Nebenwirkungen haben
Vitamin B12 und Eisen.
zu versorgen. Lediglich für Folsäure, Vitamin
kann.
Frauen in der Menopause haben öfter einen erhöhten Bedarf an Vitamin B.
Bei Ernährungsproblemen und extre-
D und Calcium gibt es noch einen Zusatzbe-
Pflegebedürftige haben nach Angaben
men Diäten kann es Mangelerscheinun-
darf. In bestimmten Lebenssituationen sind
der DGE häufig einen Mangel an Vitamin
gen geben, die ausgeglichen werden
Nahrungsergänzungen zu empfehlen, auch
D, Vitamin E, Folsäure (Vitamin B9) und
sollten.
wenn die Krankenkassen das nicht bezahlen.
Ballaststoffen. Vollkornprodukte, Gemüse
Außerdem sind Nikotin und Alkohol
Das gilt zum Beispiel für Kleinkinder.
und Obst können unter diesen Umständen
schädlich, auch im Hinblick auf die Versor-
die Nährstoffversorgung verbessern.
gung des Körpers mit Vitalstoffen. Raucher
Babys brauchen zusätzliches Vitamin D,
meint die Deutsche Gesellschaft für Kin-
Jugendliche und Senioren haben einen
haben oft einen niedrigeren Vitaminspie-
der- und Jugendheilkunde (DGKJ). Kinder-
höheren Bedarf an Calcium für die Kno-
gel. Zu bedenken: Nikotin und Alkohol sind
ärzte verschreiben deshalb Vitamin D-Ta-
chenstabilität. Das gilt auch für Menschen
ohnehin schon ungesund, eine zusätzliche
bletten im ersten Lebensjahr.
mit Osteoporose-Risiko.
Vitamin-Überdosierung macht die Sache
Auch Senioren, vor allem Hochbetagte,
Bei Schwangeren und Stillenden ist der
nicht besser und kann das Krebsrisiko so-
brauchen mehr Vitamin D. Es wird norma-
Vitalstoffbedarf erhöht. Besonders wichtig
gar noch steigern. ■ Pauline Dombrowski
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