3. Jahrgang, März 2009, 65-77 - - - Rubrik Apothekenpraxis - - - Obstipation in Apotheke und Arztpraxis: Ursachen und Behandlungsmöglichkeiten Physiologie der Darmfunktion Opioid-induzierte Obstipation Rom-III-Kriterien Behandlung der Obstipation Arzneimittel-induzierte Obstipation Unterschiede bei Laxantien Obstipation -66- Obstipation in Apotheke und Arztpraxis: Ursachen und Behandlungsmöglichkeiten Dr. rer. nat. Marc Oppermann Apotheker 1 Korrespondenzadresse: Institut für Pharmakologie und klinische Pharmakologie Universitätsklinikum Düsseldorf, Heinrich-Heine-Universität Moorenstr. 5, 40225 Düsseldorf [email protected] Lektorat: Dr. med. Thomas Nolte, Schmerz- und Palliativzentrum Wiesbaden, Facharztzentrum MEDICUM, Langenbeckplatz 2, 65189 Wiesbaden [email protected], www.schmerzzentrum-wiesbaden.de Prof. Dr. Georg Kojda, Fachpharmakologe, Fachapotheker für Arzneimittelinformation, Institut für Pharmakologie und klinische Pharmakologie, Universitätsklinikum Düsseldorf Den Fortbildungsfragebogen zur Erlangung eines Fortbildungspunktes zum Fortbildungstelegramm Pharmazie finden Sie hier: http://www.uni-duesseldorf.de/kojda-pharmalehrbuch/FortbildungstelegrammPharmazie/Kurzportraet.html Titelbild : Universitätsbibliothek New York , Urheber: Photoprof, Lizenz: Fotolia Fortbildungstelegramm Pharmazie 2009;3:65-77 Obstipation -67- Abstract Complex mechanisms of intrinsic and extrinsic factors underlie regulation of bowel function. The inner composition of the enteric wall as a combination of smooth muscle layers and nervous plexus supports these functions. Any disturbance in this system can in several ways result in constipation. Diagnosis of constipation is carried out by anamnesis using the Rome-IIIcriteria. Causes for constipation can be functional disorders or use of drugs. A large number of commonly used drugs exhibit constipation as a common or very common side effect. Nevertheless, constipation can be a symptom of an underlying disease. Treatment is usually carried out with laxatives which are grouped in secretagogue, osmotic and bulk forming substances. Different combinations are to be chosen in respect of severity. Opioid-induced constipation results from the mechanism of action of opioid analgetics. These substances inhibit neurotransmitter release out of neurons, which leads to spastic constipation. Therapy can be carried out with newly available opioid-antagonists. hemmen die Neurotransmitterfreisetzung aus neuronalen Synapsen, ein Mechanismus, der peripher zu einer spastischen Obstipation führt. Mehrere neue Arzneimittel, die Opioidrezeptor-antagonistisch wirken, sind für die Behandlung der Opioidinduzierten Obstipation erhältlich. Einleitung Die Prävalenz der Erkrankung Obstipation liegt etwa bei 8% bei Männern und bei etwa 20% bei Frauen (1). Andere Studien zeigen noch höhere Werte bis zu 27% (2). Es wird eine zunehmende Häufigkeit mit steigendem Alter beobachtet. Die häufigste Form ist die habituelle Obstipation (etwa 10% der Bevölkerung), die durch ballaststoffarme Kost, mangelnde Flüssigkeitsaufnahme und Bewegungsmangel verursacht wird (3). Obwohl die Symptome oft nur sporadisch auftauchen und mild ausgeprägt sind, kann eine Obstipation auch chronisch auftreten und nur sehr schwer zu behandeln sein. Dieser Artikel bietet einen Überblick über die Darmphysiologie, Ursachen der Obstipation und ihre Behandlung. Abstrakt Physiologie der Darmfunktion Die Regulation der Funktion des Darmes unterliegt einem komplexen Mechanismus aus intrinsischen und extrinsischen Faktoren, wobei der Aufbau der Darmwand aus wechselnden Schichten glatter Muskeln und nervösen Plexus von Bedeutung ist. Eine Störung dieses Systems kann auf unterschiedliche Weise zu einer Obstipation führen. Die Diagnose erfolgt dabei durch Anamnese aufgrund der Rom-III-Kriterien. Auslöser einer Obstipation können funktionelle Störungen und Arzneimittelgebrauch sein. Eine große Anzahl auch häufig verwendeter Arzneimittel zeigen Obstipation als häufige oder sehr häufige Nebenwirkung. Allerdings kann es sich auch um ein Symptom einer anderen Erkrankung handeln. Die Behandlung erfolgt üblicherweise mit Laxantien, die nach ihrem Wirkmechanismus in hydragoge, osmotische und quellende Stoffe eingeteilt werden. Je nach Schweregrad werden unterschiedliche Kombinationen empfohlen. Einen Sonderfall stellt die Opioid-induzierte Obstipation dar, die sich aus dem Wirkmechanismus der Opioide erklären lässt. Diese Substanzen Für eine normale Darmfunktion ist die Koordination der Motilität, der Transportfunktion der Schleimhaut und der Defäkationsreflexe notwendig. Dieser Koordination dient der anatomische Aufbau der Darmwand (Abb. 1). Unter der äußeren Begrenzung, der Serosa, liegt eine äußere Schicht glatter Muskelzellen, die longitudinal angeordnet sind, sowie eine innere zirkuläre Schicht. Das Nervensystem des Gastrointestinaltraktes besteht hauptsächlich aus zwei Plexus: dem Plexus myentericus und dem Plexus submucosus. Der Plexus myentericus liegt zwischen den äußeren longitudinalen und den zirkulär angeordneten glatten Muskeln und ist primär an der gastrointestinalen Beweglichkeit beteiligt (4). Er besteht aus Nervenzellen, darunter afferente und efferente Neuronen und Interneurone. Als hauptsächliche Neurotransmitter dienen Acetylcholin, Serotonin, vasoaktives intestinales Peptid (VIP) und Stickstoffmonoxid. Die Regulation dieses Systems geschieht intrinsisch (innerhalb der Darmwand) und extrinsisch über das vegetative System (2). Fortbildungstelegramm Pharmazie 2009;3:65-77 Obstipation -68- Abbildung 1: Schematische Darstellung des anatomischen Aufbaus der Darmwand im Querschnitt. Die glattmuskulären Schichten wechseln ab mit nervösen Geweben, den Plexus. Nicht dargestellt sind die Cajalzellen und die enterochromaffinen Zellen, die ebenfalls an wichtigen Darmfunktionen beteiligt sind (nach (5)). Zusätzliche Regulationsmechanismen werden durch die Aktivitäten von Cajal- und enterochromaffinen Zellen ausgeführt. Die interstitiellen Cajal-Zellen liegen sowohl zwischen den Neuronen als auch zwischen den glatten Muskelzellen des Gastrointestinaltraktes (2). Diese Zellen arbeiten als „Schrittmacher“ und generieren langsame periodische Veränderungen des Membranpotenzials, das sich auf die glatten Muskelzellen überträgt. Der Plexus submucosus liegt zwischen den inneren glatten Muskeln und der Mucosa (Darmschleimhaut). Die enterochromaffinen Zellen schließlich liegen direkt in der Mucosa. Sie enthalten Serotonin, das durch mechanische Aktivität freigesetzt werden kann und ebenfalls eine Kontraktion bewirkt (2). Andere Mechanismen sind ebenfalls an der Regulation der Sekretion, Absorption und Motilität beteiligt. So wird nach einer Mahlzeit Cholecystokinin freigesetzt, welches zu einer erhöhten Kolonmotilität führt. Ein hoher Sympathikustonus, etwa unter Stressbedingungen, vermindert die Sekretion und die Motilität. Umgekehrt wird bei hohem Parasympathikustonus durch Acetylcholin die Motilität verstärkt. Die glatten Muskelzellen sind untereinander durch Gap junctions in Kontakt, sodass eine synchrone Kon- traktion nach Stimulation durch Acetylcholin erfolgen kann. Zwei grundlegende Kontraktionsformen sind zu unterschieden. Die segmentelle Kontraktion dient dazu, den Darminhalt zu vermischen und mit wechselnden Oberflächenregionen der Mucosa in Berührung zu bringen. Dahingegen führt Peristaltik mittels erhöhten Tonus proximal und vermindertem Tonus distal des Darminhalts zu einer Vorwärtsbewegung (2). Eine Obstipation ist keine Bagatellerkrankung und kann ein Symptom einer zugrunde liegenden schwerwiegenden Krankheit sein! Eine Defäkation beginnt mit der sensorischen Wahrnehmung eines kritischen Füllstandes des Rektums, die in das ZNS weitergeleitet wird und in dem Gefühl des Stuhldranges bewusst wird. Durch eine sitzende oder hockende Körperhaltung wird der effektive Vortrieb des Darminhaltes anatomisch begünstigt. Die Sphinkter-, Anus- und Beckenbodenmuskulatur relaxieren und der abdominale Druck steigt durch Anspannung der Bauchmuskulatur. Die so verursachte Stuhlbewegung triggert weitere propulsive Kontraktionen des Rektums (6). Fortbildungstelegramm Pharmazie 2009;3:65-77 Obstipation -69- Obstipation Jede Störung dieses komplexen Systems kann zu einer Dysfunktion des Darmes führen. Es gibt jedoch keine eindeutige Definition der Obstipation. Patienten beschreiben häufig harten oder unregelmäßigen Stuhl, starke Anstrengungen beim Stuhlgang und das Gefühl einer unvollständigen Darmentleerung. Die immer noch verbreitete Vorstellung, täglich Stuhlgang haben zu müssen, ist falsch; tatsächlich trifft diese Frequenz nur bei etwa einem Drittel der Bevölkerung zu (7). Medizinisch gesehen gelten Stuhlfrequenzen von dreimal pro Woche noch als normal. Die Rom-III-Kriterien (Tab. 1, nach (8)) erlauben eine Diagnose durch nach ausführlicher Anamnese. Obstipation hat häufig multifaktorielle Ursachen und kann durch Erkrankungen oder durch Arzneimittel ausgelöst werden. Reizdarmsyndrom, Divertikulitis, Tumoren, Entzündungen der Analgegend, neurologische, endokrine, metabolische und psychiatrische Erkrankungen können eine Obstipation auslösen (9). Darum ist es wichtig zu beachten, dass eine Obstipation ein Symptom einer solchen Erkrankung darstellen kann und eventuell einer Abklärung bedarf. Entsprechende Warnsymptome sind ein akuter Beginn der Obstipation, Schmerzen, Gewichtsverlust, Blutungszeichen, Familienanamnese mit Kolonkarzinom sowie ein chronischer Bedarf an hohen Laxantiendosen (10). Rom-III-Kriterien für Obstipation über einen Zeitraum von mindestens 3 Monaten innerhalb der letzten 6 Monate: - 2 oder mehr der folgenden Symptome bei mehr als ¼ der Defäkationen • • • • • • Pressen zur Stuhlentleerung harter Stuhl Gefühl der unvollständigen Entleerung Gefühl der anorektalen Blockierung manuelle Unterstützung notwendig weniger als 3 Defäkationen pro Woche - weicher Stuhl ist ohne Laxantiengebrauch selten - kein Reizdarmsyndrom Tabelle 1: Diagnose der Obstipation (nach (8)) Eine chronische Obstipation entsteht auch durch funktionelle Störungen der Beckenbodenmuskulatur oder des Analsphinkters (11). Die Patienten zeigen einen geringeren intrarektalen Druck, verminderte Kontraktionskraft oder ungenügende Relaxation, sodass davon ausgegangen wird, dass bei einer Beckenbodendysfunktion die rektoanale Koordination ungenügend ist (6). Andere Auslöser für eine Obstipation sind Veränderungen im System der Nerven- oder Cajalzellen und Neurotransmitter wie Substanz P, Stickstoffmonoxid und vasoaktives intestinales Peptid (VIP)(11), die zu einer verlängerten Transitzeit führen. Bei Patienten mit Obstipation wurden eine geringere muskuläre Aktivität, aber auch verminderte Cajalzellzahlen und Acetylcholinkonzentrationen gefunden (6). Nach chirurgischen Eingriffen im Bereich des Abdomens kommt es zudem sehr häufig zu einer Beeinträchtigung der Darmfunktion, der so genannten postoperativen Darmatonie. Sie tritt bei fast allen Patienten nach chirurgischen Eingriffen im Bereich des Abdomens auf und kann sogar einen Ileus verursachen. Vermutlich liegt die Ursache in einer Verschiebung des Gleichgewichtes bei der Steuerung der Motilität über das autonome Nervensystem unter Beteiligung von Opioid-Rezeptoren (s.u.) (12). Eine postoperative Darmatonie kann für die Patienten sehr unangenehm aufgrund der schmerzhaften abdominellen Beschwerden und der ebenfalls auftretenden Übelkeit sein. Darüber hinaus benötigen die Patienten einen längeren Zeitraum, bis dass sie wieder feste Nahrung zu sich nehmen können. Deshalb verursacht die postoperative Darmatonie auch eine Verlängerung des Krankenhausaufenthaltes, was mit entsprechend hohen Kosten verbunden ist (13). Viele - auch häufig eingesetzte - Arzneimittel zeigen eine Obstipation als häufige oder sehr häufige Nebenwirkung! Obstipation ist zudem eine häufige Arzneimittelnebenwirkung. Von den Arzneimitteln, die laut Hersteller-Fachinformation (Weblink 1) eine Obstipation als Nebenwirkung auflisten, handelt es sich bei mehr als 40 Arzneimitteln um eine sehr häufige Nebenwirkung (d.h. >10%). In dieser Liste sind Vertreter ganz unterschiedlicher Gruppen Fortbildungstelegramm Pharmazie 2009;3:65-77 Obstipation -70- wie Antidepressiva, Ca-Kanalblocker, Zytostatika, Immunsuppressiva und Opioide zu finden (Tab. 2). Arzneimittel mit Obstipation als sehr häufiger Nebenwirkung Amitriptylin Ketoprofen Azacitidin Lenalidomid Basiliximab Megestrolacetat Bortezomib Mitoxantron Bromocriptin Nelarabin Busulfan Nilotinib Chlorprothixen Nortriptylin Citalopram Octreotid Cladribin Oxaliplatin Clozapin Oxycodon Codein Pergolid Colesevelam Piroxicam Colestyramin Rebotexin Daclizumab Sibutramin Darifenacin Sirolimus Desipramin Temozolomid Dihydrocodein Topotecan Duloxetin Tretinoin Granisetron Verapamil Hydrocodon Vinorelbin Interferon β-1b Tabelle 2: Arzneimittel mit Obstipation als sehr häufiger unerwünschter Wirkung (bei >10% der behandelten Patienten, ohne Anspruch auf Vollständigkeit) Fallbeispiel chronische Obstipation Wie sehr eine chronische Obstipation die Lebensqualität einschränken kann und in welch lebensbedrohliche Erkrankung sie münden kann, zeigt ein Fallbeispiel aus dem New England Journal of Medicine aus dem Jahr 2008: Ein 46jähriger Mann mit einer zerebralen Lähmung in seiner Krankengeschichte erlitt eine Erschwerung seiner Atmung, die sich in den vergangenen zwei Wochen kontinuierlich verschlechtert hat. Es wurde eine Sepsis diagnostiziert und der Patient intensivmedizinisch mit Antibiotika und mechanischer Beatmung versorgt. Eine Computertomografie zeigte einen stark vergrößerten Dickdarm mit Stauung der Fäces, sodass die anderen abdominellen Organe eingeengt wurden und ein Atmungs-behindernder Druck auf das Zwerchfell entstand. Die Blockade konnte erst nach zwei Wochen mithilfe mehrerer Einläufe mit Natriumphosphat und Seifenlauge gelöst werden. Die weitere Erholung des Patienten verlief unauffällig (14). Opioid-induzierte Obstipation Fast alle in Deutschland erhältlichen OpioidAnalgetika weisen Obstipation als häufige oder sehr häufige Nebenwirkung auf. Sie ist zudem die häufigste unerwünschte Wirkung, die bei chronischer Opioidbehandlung auftritt, sodass eine prophylaktische Behandlung mit Laxantien angezeigt ist. Opioide interagieren mit dem gastrointestinalen System vornehmlich über µOpioidrezeptoren, die einheitlich im myenterischen und submucosalen Plexus im Dünn- und Dickdarm vorkommen. Zwar ist bekannt, dass µ-Rezeptoragonisten den GITrakt über eine zentrale Wirkung beeinflussen (5); so reduzieren intrathekal applizierte Opioide die Darmmotilität und sekretion. Allerdings bewirken auch Opioide, die nicht die Bluthirnschranke durchqueren (z.B. Loperamid) auch peripher eine Reduktion der Motilität im gesamten GITrakt. Der prädominante Effekt scheint die lokale Wirkung zu sein (5). Über die präsynaptischen und G-Protein-gekoppelten µRezeptoren wird die Auschüttung von Neurotransmittern aus aktivierten Neuronen unterdrückt. Während dieser Mechanismus im Hinterhorn des Rückenmarks zu einer Verminderung der Schmerzweiterleitung führt (zentraler Effekt), hemmt er auf gleiche Weise im Plexus myentericus die Acetylcholin-Ausschüttung aus parasympatischen Neuronen (Abb 2, Weblink 2). Dadurch kommt es zu einer Lähmung der longitudinalen glatten Muskeln, die überwiegend cholinerg innerviert werden. Fortbildungstelegramm Pharmazie 2009;3:65-77 Obstipation -71- Abbildung 2: A) Prinzipieller Mechanismus der Opioid-Wirkung. Binden die Opioide an präsynaptische µ-Rezeptoren, kommt es zu einer Verminderung der Transmitterfreisetzung, die durch die neuronale Aktivität ausgelöst wird. Die Wirkung auf die Effektorzelle nimmt dadurch ab. B) Die Hemmung der Schmerzleitung im Hinterhorn des Rückenmarks erfolgt nach diesem Prinzip, da das Signal nach Opioid-Gabe vermindert weitergeleitet wird. C) Auch die durch Opioide ausgelöste Obstipation beruht auf diesem Prinzip, denn präsynaptische Freisetzung von Acetylcholin in den Darmneuronen wird durch Opioide ebenfalls gehemmt. Der Effekt ist eine Lähmung der glatten Muskulatur des Darms. Da auch der inhibitorische Effekt von Stickstoffmonoxid und VIP auf die zirkulären glatten Muskeln gehemmt wird, nimmt deren Tonus zu. Zusammen führen diese Effekte zu einer erhöhten segmentalen Kontraktion, jedoch bei verminderter vorwärts gerichteter Peristaltik. In Kombination mit verminderter Sekretion in den Darm und verstärkter Reabsorption resultiert eine spastische Obstipation (5,15). Die häufigste Nebenwirkung einer Opioidtherapie ist eine Obstipation. Die Belastung der Patienten mit der Obstipation durch Opioide stellt eine ernsthafte Einschränkung der Lebensqualität dar (15). Eine aktuelle Studie mit über 300 Schmerzpatienten konnte den negativen Einfluss der gastrointestinalen Symptome nach Opi- oidgabe auf die Lebensqualität und alltägliche Aktivitäten bestätigen. Auch wurde eine Gefährdung der Behandlung beobachtet, da ein Drittel der Patienten unter zu hoher Belastung ihre Dosierung selbständig reduzierten oder ausließen (16). Behandlung der Obstipation Die Behandlung erfolgt üblicherweise rein symptomatisch mit den bekannten Laxantien. Diese Arzneimittel verbessern über unterschiedliche Mechanismen den Stuhltransport und steigern die Flüssigkeitsmenge im Dickdarm. Tabelle 3 gibt einen Überblick über die verschiedenen Stoffe, ihren Wirkmechanismus und die wichtigsten Nebenwirkungen (nach (17) und (18)). Die grobe Einteilung erfolgt in hydragoge und osmotische Laxantien und Quellstoffe. Fortbildungstelegramm Pharmazie 2009;3:65-77 Obstipation Gruppe -72- Wirkmechanismus Nebenwirkungen, Hinweise Hydragoge Laxantien Bisacodyl, Natriumpicosulfat, Antrachinon-Glykoside, Rizinusöl Hemmung der Resorption, Erhöhung der Wasserpermeabilität, Anregung der Peristaltik Hypokaliämie, Darmträgheit (bei unsachgemäßem Gebrauch!) Melanosis coli bei Antrachinonen Kontraindikation Schwangerschaft und Stillzeit, Kinder unter 12 Jahre Osmotische Laxantien Macrogol, Magnesiumsulfat, Natriumsulfat Sorbitol, Lactulose, Glycerol, Erhöhung des osmotischen Drucks im Darmlumen Verminderung des pHWertes durch Lactulose ÆAnregung der Peristaltik Kaliumverluste Dehydratation Blähungen, Flatulenz bei Lactulose Quellstoffe Plantago-ovataSamenschalen Leinsamen Weizenkleine Binden des Wassers und Vergrößerung des Darminhaltes. Anregung der Peristaltik durch Dehnung. Auf ausreichende Flüssigkeitszufuhr achten! Andere Natriumhydrogencarbonat Dehnung durch CO2Freisetzung Paraffinöl Gleitmittel Hypovitaminosen Tabelle 3: Laxantiengruppen mit Darstellung von Wirkmechanismus, Nebenwirkungen und Beratungshinweisen (nach (17). Hydragoge Laxantien sind einerseits die Anthrachinon-Glykoside aus u.a. Senna, Faulbaum und Aloe. In vielen der erhältlichen Laxantien sind die Drogen oder Extrakte z.B. als Tee, Sirup oder Pulver enthalten. Chemische Hydragoga sind die Diphenole Bisacodyl und Natriumpicosulfat. Hydragoge Laxantien hemmen die Na+/K+ATPase und führen dadurch zu einer Verminderung der Natrium- und damit einhergehend zu einer verminderten Wasserresorption. Über diesen Mechanismus der Resorptionshemmung hinaus induzieren die Hydragoga auch eine Erhöhung der Wasserpermeabilität der Zwischenräume zwischen den Mucosazellen; dies hat einen vermehrten Einstrom von Wasser ins Darmlumen zur Folge. Die Diphenole zeigen zu- sätzlich über eine direkte Reizung der glatten Muskulatur eine Anregung der Peristaltik. Die Substanzen sind nicht als solche wirksam, sondern es handelt sich um Prodrugs: Die Anthrachinon-Glykoside werden nicht resorbiert, gelangen in den Dickdarm und werden dort durch bakterielle Deglykosylierung aktiviert (17). Ein ähnlicher Mechanismus gilt für Natriumpicosulfat; im Dickdarm erfolgt hier die Hydrolyse der Sulfatreste (19). Bisacodyl dagegen wird im Dünndarm resorbiert, in der Leber glukuronidiert und als Glukuronid biliär wieder in den Dünndarm ausgeschieden. So gegen eine erneute Resorption geschützt gelangen es in den Dickdarm, wo es nach bakterieller Spaltung des Glukuronids zur Wirkform aktiviert wird (Abb. 3) (20). Fortbildungstelegramm Pharmazie 2009;3:65-77 Obstipation -73- Abbildung 3: Die Anthrachinon-Glykoside und die Diphenole werden jeweils im Dickdarm durch bakterielle Spaltung zu ihrer Wirkform metabolisiert. Die Anthrachinone werden nicht resorbiert. Bisacodyl weist die Besonderheit auf, dass es zunächst im Zuge eines enterohepatischen Kreislaufs resorbiert und in der Leber glukuronidiert wird. So gelangt es biliär wieder in den Dünndarm und wird im Dickdarm aktiviert. (modifiziert nach (17)). Rizinusöl ist ein weiteres hydragoges Laxans, welches bereits im Dünndarm wirkt und die vergleichsweise höchste Wirkstärke aufweist. Durch die dort vorkommenden Lipasen erfolgt eine Hydrolyse zur Wirkform Rizinolsäure (17). Die hydragogen Laxantien sind relativ sichere Arzneimittel und allgemein gut verträglich. Bei chronischer Anwendung und Überdosierung treten jedoch Nebenwirkungen auf, welche die Obstipation verstärken können. Der Plexus myentericus kann durch Anthrachinone dauerhaft geschädigt werden. Darüber hinaus kann eine Hypokaliämie verursacht werden, die zu einer Aktivierung des Renin-Angiotensin-AldosteronSystems führen und die Wirkung von Herzglykosiden verstärken kann. Bei einer gleichzeitigen Therapie mit Diuretika oder Glucocorticoiden können die Kaliumverluste derart ausgeprägt sein, dass zusätzliche Beschwerden wie Muskelschwäche, Apathie, Nieren- und Herzfunktionsstörungen verursacht werden (17). Bei sachgemäßem, kurzfristigem Gebrauch konnte jedoch keine Störungen im Elektrolythaushalt oder verstärkte Obstipation („Rebound“) nach Absetzen der Therapie festgestellt werden (21). Eine Toleranz kann in schweren Fällen entstehen, sodass die Dosis erhöht werden muss, um denselben Effekt zu erhalten. Diese Toleranz führt jedoch nicht zu einer Abhängigkeit (21). Ein Laxantienmissbrauch über einen längeren Zeitraum scheint bei ansonsten Gesunden nicht vorzukommen, sondern tritt vor allem bei Patienten mit zusätzlichen psychiatrischen Erkrankungen wie Anorexia nervosa, Bulimie oder Müchhausensyndrom auf (22). Bei Ileus, akut-entzündlichen, gastrointestinalen Erkrankungen sowie in der Schwangerschaft und Stillzeit sind die hydragogen Laxantien kontraindiziert (17). Osmotische Laxantien sind nichtresorbierbare Substanzen. Durch eine Erhöhung des osmotischen Drucks im Darmlumen erhöhen sie die Wassermenge und verhindern die Wasserresorption im Dickdarm. Als Klistiere kommen sie auch zur rektalen Anwendung, wobei die Wirkung schneller eintritt. Zu dieser Gruppe gehören Zucker wie Lactulose, Zuckeralkohole (Sorbitol, Mannitol), nichtresorbierbare Salze (Glauber- und Bittersalz) sowie Macrogol (Polyethylenglykol). Durch die Kombination mit Elektrolyten (NaCl, Na2CO3, KCl) können Elektrolytstö- Fortbildungstelegramm Pharmazie 2009;3:65-77 Obstipation -74- rungen wie Hypokaliämie weitgehend vermieden werden. Macrogol löst häufig Völlegefühl, Meteorismus und Flatulenz aus (Weblink 3). Lactulose wird durch Darmbakterien gespalten, wodurch Milchsäure gebildet wird. Der so verminderte pH-Wert der Darmflüssigkeit führt zu einer Anregung der Peristaltik. Häufige Nebenwirkungen der Lactulose sind Blähungen, Flatulenz und Bauchschmerzen vor allem zu Beginn der Behandlung. Die osmotischen Laxantien sind ansonsten gut verträglich, als möglicherweise problematisch gelten die Kaliumverluste und Dehydratation durch die starke Hemmung der Flüssigkeitsresorption. Quellstoffe wie Weizenkleie oder indische Flohsamenschalen nutzen die durch Dehnung induzierte Anregung der Peristaltik aus. Sie binden Wasser und bewirken so eine Vergrößerung des Volumens des Darminhaltes. Die Patienten sollten aus diesem Grund darauf hingewiesen werden, eine ausreichende Menge Wasser zu trinken (1,5 – 2 l/Tag). Die Wirkstärke ist relativ gering und die Wirkung tritt erst nach 2-3 Tagen ein. Durch Quellstoffe werden keine Kalium- und nur geringe Wasserverluste ausgelöst (17). Natriumhydrogencarbonat-haltige Suppositorien nutzen ebenfalls den Effekt der Volumenvergrößerung. Die Dehnungsrezeptoren durch den vermehrten Druck angesprochen, der nach Freisetzung von Kohlenstoffdioxid entsteht. Die Verwendung von fetten Ölen als Gleitmittel birgt den Nachteil von Hypovitaminosen fettlöslicher Vitamine und Lipidpneumonie bei entsprechend disponierten Patienten (11). Weitere Behandlungsmöglichkeiten sind Klistiere mit Natriumphosphat oder Seifenlauge (11) oder die sonst als Kontrastmittel verwendete Aminotrizoesäure (9), die jedoch nur bei schweren Fällen Anwendung finden. Eine Empfehlung einer Laxantien-Stufentherapie bei Palliativpatienten stammt von Klaschik et al. (Abb. 4). Auf die häufig verwendete Lactulose wurde aufgrund der Nebenwirkungen wie Blähungen und Flatulenz zugunsten von Macrogol verzichtet (9). Allerdings erscheint diese Bevorzugung von Macrogol wenig gerechtfertigt, denn auch Macrogol löst häufig Völlegefühl, Meteorismus und Flatulenz aus (Weblink 3). Als Alternativen zur Laxantienbehandlung werden häufig Anpassungen in der Ernährung und der körperlichen Tätigkeit empfohlen. Diätetische Maßnahmen, d.h. eine Erhöhung des Ballaststoffanteils in der Nahrung führt zwar zu einer Vergrößerung des Stuhlgewichtes und Verringerung der Transitzeit, diese Vorteile fallen bei obstipierten Patienten jedoch geringer aus als bei Gesunden. Ein Ballaststoffmangel scheint nicht ursächlich an einer Obstipation beteiligt zu sein, kann jedoch bei einigen Patienten dazu beitragen. Auch für eine Verbesserung der Obstipation durch eine Erhöhung der Flüssigkeitszufuhr gibt es nur geringe Evidenzen. Die Darmfunktion korre- Abbildung 4: Stufentherapie der Laxantien für die Behandlung funktioneller Obstipation. Die höheren Stufen dienen vor allem der Behandlung von palliativ versorgten Patienten (nach (9)). Als Basislaxantien werden Lactulose und Macrogol angesehen. Fortbildungstelegramm Pharmazie 2009;3:65-77 Obstipation -75- liert mit der körperlichen Aktivität, jedoch gibt es keine Anhaltspunkte, dass eine schwere Obstipation auf diese Art und Weise verbessert werden kann (21). Entsprechende Empfehlungen zur Änderung der Lebensweise sollten demnach zwar in keiner Beratung fehlen. Dennoch sind klassische Laxantien oft unverzichtbar. Darüber hinaus sind selbst Laxantien bei schweren Formen der Obstipation oft nicht ausreichend wirksam. Dies gilt insbesondere auch für die Opioid-induzierte Obstipation. Ein neues Wirkprinzip befindet sich derzeit in der Entwicklung und wird von der EMEA evaluiert (Weblink 4). Die Substanz Prucaloprid ist ein selektiver Serotonin-5HT4Rezeptoragonist und wirkt als ‚Enterokinetikum’, wie bereits Cisaprid, welches jedoch im Jahr 2000 aufgrund von lebensbedrohlichen Herzrhythmusstörungen vom Markt genommen wurde. Prucaloprid wurde bei Patienten mit schwerer chronischer Obstipation untersucht. Diese Substanz wurde in einer Phase-III-Studie mit über 600 Patienten gegen Placebo getestet. Der primäre Endpunkt war der Anteil der Patienten, die drei oder mehr Defäkationen je Woche hatten. Zusätzlich wurde mittels Fragebogen sekundäre Endpunkte wie Zufriedenheit und Symptomschwere ermittelt. Prucaloprid verbesserte signifikant die Darmfunktion und verminderte die Schwere der Symptome. Nebenwirkungen waren hauptsächlich Kopf- und Bauchschmerzen, im Gegensatz zum Vorläufer Cisaprid zeigten sich keine signifikanten kardiovaskulären Effekte. Die Autoren weisen jedoch darauf hin, dass größere und längere Studien vonnöten sind, um die Nutzen und Risiken einer Pru- caloprid-Behandlung besser abschätzen zu können (23). Für Patienten mit chronischer Opioidtherapie wird eine Kombination aus hydragogen mit osmotischen Laxantien empfohlen (24). Macrogol ist das Laxans der Wahl für die prophylaktische und therapeutische Anwendung bei opioid-induzierter Obstipation. Ist ein stärkerer Effekt erwünscht, kann die Behandlung durch Natriumpicosulfat oder Antrachinone ergänzt werden (9). Zur kausalen Behandlung einer Opioidinduzierten Obstipation sind mehrere neue Arzneimittel im Handel, die direkt auf den beschriebenen Mechanismus wirken. So ist seit Juli 2008 der ausschließlich peripher wirksame Opioidrezeptor-Antagonist Methylnaltrexon erhältlich, bereits 2005 von der FDA in den USA zugelassen ist zudem Alvimopan für dieselbe Indikation. Für Alvimopan konnte ein positiver Effekt auf die postoperative Darmatonie dargestellt werden. Ebenfalls in diese Kategorie gehört eine neue Kombination von Oxycodon mit retardiertem Naloxon. Hier wird der Antagonist – ähnlich wie in der Kombination Tilidin / Naloxon – bereits von vornherein zusammen mit dem Opioid verabreicht. Während Naloxon in Kombination mit Tilidin die missbräuchliche parenterale Anwendung von Tilidin verhindern soll, ist die Kombination Oxycodon / Naloxon nicht nur zur Behandlung starker und sehr starker Schmerzen, sondern auch zur Prophylaxe und Therapie der opioid-induzierten Obstipation zugelassen (25). Die neuen OpioidrezeptorAntagonisten und Kombinationen werden in einem weiteren Artikel ausführlich beschrieben (Weblink 5). Fortbildungstelegramm Pharmazie 2009;3:65-77 Obstipation -76- Der Autor Herr Dr. rer. nat. Marc Oppermann, geboren 1978 in Bochum, Schulabschluss 1998 in Menden, Pharmaziestudium 1999-2004, Praktisches Jahr im Institut für Pharmakologie in Düsseldorf und in der Apotheke Dr. Herrmann, Düsseldorf, Approbation als Apotheker im Juni 2005, seit 2005 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Pharmakologie und klinische Pharmakologie in Düsseldorf, 2009 Promotion zum Dr. rer. nat. mit der Arbeit „Regulation der Expression und Aktivität vaskulärer Proteine durch Stickstoffmonoxid“ unter der Leitung von Prof. Dr. Georg Kojda, seit Juni 2005 Weiterbildung zum Fachapotheker für Arzneimittelinformation Hinweis: In einem weiteren Beitrag, der voraussichtlich in der nächsten Ausgabe erscheint, werden neue Therapieprinzipien beleuchtet, die als kausale Pharmakotherapie der Opioid-induzierten Obstipation angesehen werden. Weblinks 1. Fachinfo-Service der Rote Liste® Service GmbH. Zugang mittels DocCheck-Passwort. www.fachinfo.de 2. Kojda G. Allgemeine und klinische Pharmakologie häufig verwendeter oral verfügbarer Opioide: Bedeutung der Unterschiede für die ambulante Schmerztherapie. Teil 1. Fortbildungstelegramm Pharmazie (FORTE-PHARM) 2007;1:1-16, kostenlos erhältlich unter http://www.uni-duesseldorf.de/kojda-pharmalehrbuch/FortbildungstelegrammPharmazie/Fortbildungsartikel.html 3. Fachinfo Laxofalk®, Dr. Falk Pharma GmbH, Stand April 2005 http://www.fachinfo.de/ 4. Firmenwebsite von Movetis. http://www.movetis.com/product/resolor-prucalopride 5. Serie ‚Neue Arzneimittel’ des FORTE-PHARM-Fortbildungsangebotes, kostenlos erhältlich unter http://www.uni-duesseldorf.de/kojda-pharmalehrbuch/FortbildungstelegrammPharmazie/SerieNeueArzneimittel.html Fortbildungstelegramm Pharmazie 2009;3:65-77 Obstipation -77- Literatur 1. Everhart JE, Go VL, Johannes RS, Fitzsimmons SC, Roth HP, White LR. A longitudinal survey of self-reported bowel habits in the United States. 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