Medienbegleitheft zur DVD 12452 LITERATUR UND IHRE ZEIT König Ottokars Glück und Ende von Franz Grillparzer Medienbegleitheft zur DVD 24 Minuten, Produktionsjahr 2001 Inhaltsverzeichnis Seite Kurzbiographie 2 Grillparzers dramatisches Schaffen 3 Der äußere Handlungsverlauf 5 Die wichtigsten Personen 6 Tipps und Anregungen für die Unterrichtsarbeit 6 Vorüberlegung 6 Empfehlung 6 Fachspezifische methodische Bausteine 8 Szenen werden lebendig 8 Planspiele: Im Gerichtssaal 12 Vom richtigen Umgang mit der Kritik 14 Literatur- und Quellenhinweise 16 -1- Kurzbiographie: 1791 Franz Grillparzer wird am 15. Jänner in Wien als erster von vier Söhnen geboren. Sein Vater Wenzel Grillparzer ist Advokat, die Mutter stammt aus der berühmten musikalischen Familie Sonnleithner. 1801 Eintritt ins Gymnasium 1807 Studium der Staats- und Rechtswissenschaften an der Wiener Universität 1812 Hauslehrerstelle beim Grafen Seilern 1813 Eintritt in den Staatsdienst, zunächst als Praktikant in der Hofbibliothek 1815 Endgültige Anstellung bei der Hofkammer (Finanzministerium) 1816 Begegnung mit Josef Schreyvogel, dem neuen Leiter des Hofburgtheaters, der Grillparzer zur Arbeit am Schicksalsdrama „Die Ahnfrau‛ anregt. 1817 Uraufführung der „Ahnfrau‛ im Theater an der Wien. Selbstmord des jüngsten Bruders. 1818 Grillparzer wird zum Dichter des Hofburgtheaters ernannt. 1819 Selbstmord der Mutter. Italienreise 1821 Bekanntschaft und Verlobung mit Kathi Fröhlich 1823 Arbeit an „König Ottokars Glück und Ende‛ 1825 Uraufführung von „König Ottokars Glück und Ende‛ im Hofburgtheater und Erstausgabe. Schwierigkeiten mit der Zensur 1832 Grillparzer wird zum Direktor des Hofkammerarchivs ernannt 1838 Nach dem Misserfolg von „Weh dem, der lügt‛ zieht sich Grillparzer vom Theater zurück 1849 Heinrich Laube wird Leiter des Wiener Hofburgtheaters: Viele der bereits im Vormärz aufgeführten Stücke Grillparzers werden wieder gespielt. 1856 Pensionierung auf eigenen Wunsch. Grillparzer erhält den Titel eines k.k. Hofrats. 1871 Zu seinem 80. Geburtstag wird Grillparzer von der gesamten literarischen Welt gefeiert. 1872 Grillparzer stirbt am 21. Jänner. Katharina Fröhlich betreut seinen Nachlass. -2- Grillparzers dramatisches Schaffen in Bezug zu seiner Zeit „Wenn ich einmal tot bin, muss man mich im Zusammenhalte mit meiner Zeit schildern. Unter Kaiser Franz musste jeder Dichter oder Literator, wenn nicht vernichtet, so doch verkümmert werden.“ 1 Die Wiener Vorstadtbühnen wirken auf Grillparzer ebenso wie die spanischen Barocktragödien und das barocke Theater der Jesuiten, deren Einflüsse zu Beginn des 19. Jahrhunderts immer noch lebendig sind. Gott als oberste Instanz stellt den Personen die Aufgaben und spricht am Ende ihres Auftritts sein Urteil. So lässt sich auch im Aufbau des Dramas „König Ottokars Glück und Ende‛ unschwer das Schema des Welttheaters wiedererkennen. König Rudolf verkörpert den absoluten Wert, das vorbildliche Verhalten, an dem Ottokar gemessen wird. Rudolf fasst auch am Ende das Urteil über Ottokar zusammen und stellt ihn hin als warnendes Beispiel für die Zukunft. Aber an Stelle der absoluten Weltordnung des Barock führt Grillparzer die Dimension des Historischen als Maßstab ein, an dem menschliche Handlungen gemessen werden. Das Geschichtliche wird zum Prüfstein für die Bewahrung und Bewertung des Einzelnen. Jene „Bewertung, die misst, wie der Einzelne die geschichtliche Lage erfüllt bzw. ihr entspricht‛2. Michail Gorbatschow, dessen politisches Schicksal interessante Parallelen aufweist, formulierte es so: „Wer zu spät kommt, den bestraft die Geschichte.‛ Schon in der barocken Haupt- und Staatsaktion vom „Goldenen Vlies‛ (1822) betont Grillparzer, wie vergänglich das Glück und wie unheilvoll das Streben nach Größe und Macht ist: „Was ist der Erde Glück? – Ein Schatten! Was ist der Erde Ruhm? – Ein Traum!“ 1 2 Zimat entnommen aus: Franz Grillparzer. Hrsg. Burgtheater Wien. Progammheft 70, Wien: 1991, Umschlagseite. Naumann, Walter: Grillparzer. König Ottokars Glück und Ende. In: Das deutsche Drama vom Barock bis zur Gegenwart, hrsg. v. Benno von Wiese. Düsseldorf 1958, 1. Bd., S. 419 -3- Am Ende ruft Medea dem vom Schicksal gebrochenen Jason zu: „Trage! Dulde! Büße!“ Diese Schein-Lösung zwischen barockem Vanitasgedanken und klassischer Haltung wird in Grillparzers erstem Geschichtsdrama „König Ottokar‛ verworfen und eine Synthese im Stil der Shakespeareschen Historiendramen angestrebt. Der Böhmenkönig Ottokar wird als eine große, aber zügellose Herrschernatur dargestellt und spiegelt Grillparzers jugendliches Napoleonerlebnis wider: Napoleon als der herrschsüchtige, nicht legitimierte Emporkömmling, der schließlich scheitern muss. Ottokars Hochmut (Hybris) bringt ihn zu Fall, auf dem Marchfeld wird er von Rudolf von Habsburg besiegt. Rudolf verwaltet sein Amt selbstlos und ohne egoistische Motive – Ottokar dagegen verkörpert das individuelle Prinzip und die persönliche Machtausübung. Rudolf steht für das legitimistische Prinzip, während Ottokar der selbstsüchtige Rebell ist. Das Stück hatte für den Dichter wenig erfreuliche Folgen, da tschechische Kreise – vor allem die böhmischen Studenten in Wien – sich durch die Darstellung Ottokars gekränkt und angegriffen fühlten und gegen ihn intrigierten. Nach wiederholten Auflagen der Zensurbehörde soll Grillparzer auf seine Frage, was denn an seinem doch so habsburgerfreundlichen Stück „Ottokar‛ bedenklich sei, zur Antwort bekommen haben „Nichts, aber man kann nie so recht wissen!“ Erst durch das Eingreifen Kaiser Franz I. konnte die Aufführung des Dramas gegen die Zensurbehörde durchgesetzt werden. Grillparzer berichtet darüber in seiner Selbstbiografie: „Als der Tag der Aufführung kam, gab es ein Gedränge, desgleichen man im Hofburgtheater weder früher noch später erlebt hat. Leider konnte ich die Ehre dieses Zulaufs nicht bloß mir anrechnen, es war vielmehr das Gerücht, dass das Stück von der Zensur verboten gewesen sei, was dem Publikum die Aussicht auf einen allfälligen Skandal eröffnete.“ (Selbstbiografie 1853) -4- Als Grillparzer später bei einem Pragbesuch das Grab Ottokars im Veitsdom besichtigte, notierte er in sein Tagebuch: „Ich habe den Mann aufrichtig um Verzeihung gebeten, wenn ich ihm worin Unrecht getan habe.“ Die literarische wie geistesgeschichtliche Bedeutung dieses Stückes lässt sich nicht zuletzt daran messen, dass es 1955 zur feierlichen Wiedereröffnung des Burgtheaters ausgewählt wurde. Das Loblied auf Österreich und seine Bewohner, das der Dienstmann Horneck vorträgt, war gleichsam ein Symbol für das neu erstandene Österreich. Der äußere Handlungsverlauf Der historische Rahmen dieses Geschichtsdramas ist die mitteleuropäische Politik in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts. Nach dem Tod des letzten Babenbergers Friedrich II erhebt der Böhmenkönig Ottokar, der mit der Babenbergerin Margarethe verheiratet ist, Ansprüche auf die österreichische Herzogswürde und setzt diese mit Waffengewalt gegen den Ungarnkönig Béla IV., der auch das babenbergische Erbe beansprucht, durch. Beide, sowohl Béla als auch Ottokar, missachten in ihrem Machtstreben die Rechtssituation. Die Ländereien der Babenberger sind Lehen des römisch-deutschen Kaisers und nur er kann sie an einen Fürsten seines Vertrauens rechtmäßig vergeben. Ottokar jedoch nutzt die Krise der kaiserlichen Macht und reißt die österreichischen Länder an sich. Mit Ungarn schließt er Frieden und nimmt Bélas Nichte Kunigunde zur Frau. Von seiner Gemahlin Margarethe trennt er sich unter dem Vorwand der Kinderlosigkeit. Die Stände huldigen ihm, Ottokars Glück scheint grenzenlos. -5- Doch dann kommt die Wende: Im Reich wird das Interregnum durch die Wahl des Habsburgers Rudolf zum deutschen König beendet. Ottokar soll die österreichischen Länder zurückgeben und Böhmen und Mähren als kaiserliche Lehen in Empfang nehmen. Als er sich Rudolf beugt und kniend die Lehen in Empfang nimmt, durchschneidet Zawisch die Zeltschnüre. Diese Demütigung erträgt Ottokar nicht. Er widerruft seine Zusage und beginnt den Krieg gegen das Reich. Ottokars Heer verliert die Schlacht auf dem Marchfeld, der Böhmenkönig wird vom jungen Merenberg getötet, dessen Vater auf Ottokars Befehl hingerichtet worden ist. An der Leiche Ottokars belehnt Rudolf seine Söhne mit dem Erbe Österreichs, auf dass „Habsburgs Name glänze bei den Sternen!‛ Die wichtigsten Personen - Primislaus Ottokar, König von Böhmen - Margarethe von Österreich, seine erste Gemahlin Die Rosenbergs: Zawisch, Milota, Benesch, Berta Béla, König von Ungarn Kunigunde von Massovien, Bélas Nichte und Ottokars zweite Gemahlin Rudolf von Habsburg - Steirische Ritter: der alte Merenberg, sein Sohn Seyfried - Ottokar von Horneck, Dienstmann TIPPS UND ANREGUNGEN FÜR DIE UNTERRICHTSARBEIT Vorüberlegung Die Beschäftigung mit „schöngeistigen‛, literarhistorischen, sprachlich antiquierten, d.h. schwierigen Texten gilt als Luxus, der für das wirkliche Leben keine Bedeutung mehr zu haben scheint. Darüber sollte man sich auch im Klaren sein, wenn man mit einem Geschichtsdrama wie Grillparzers „König Ottokars Glück und Ende‛ arbeitet. Dennoch ist es der Mühe wert, diesen österreichischen Klassiker in der Schule zu lesen. Empfehlung Auch wenn nur einzelne Dramenausschnitte gesehen bzw. besprochen werden, ist es natürlich empfehlenswert, das ganze Drama zu lesen. Nur so kennt man die Bedeutung der einzelnen Ausschnitte für das Gesamtdrama und nur so ergeben sich schlüssige Interpretationen. -6- Mögliche „Lernziele“ dieser multimedialen Auseinandersetzung sind: - Die SchülerInnen werden sich über ihre Beziehung zur Literatur klar. - Sie reflektieren ihre Haltung zur Literatur, formulieren ihre Meinungen und begründen sie. - Sie informieren sich über die verschiedenen Motive des Dichters, über dessen Beweggründe zu schreiben, arbeiten seine Argumente heraus und lernen, diese gedanklich nachzuvollziehen und mit den eigenen Erfahrungen zu vernetzen. - Sie entwickeln eine differenzierte Meinung über die Rolle der Literatur als Teil der öffentlichen Kultur sowie im eigenen Leben. Die methodisch-didaktischen Impulse sind als Arbeitsanregungen für die Unterrichtspraxis gedacht, und zwar nach folgenden lehrplanmäßigen Vorgaben: „Die Angaben des Lehrplans zur literaturgeschichtlichen Orientierung sind so gehalten, dass Literaturgeschichte nicht zur bloßen Inventarisierung von Dichtern und Werken wird … Das auf der 9. Schulstufe (5. Klasse) erarbeitete Verfahren, das ein Wechselspiel von Textbezogenheit und textexternen Verweisen erprobt, lässt sich auf der 11. Schulstufe (7. Klasse) in der Weise anwenden und vervollständigen, dass an die Stelle des außerliterarischen Gegenwartswissens die Rekonstruktion einer historischen Epoche tritt. Literarische Werke können so eine besondere Quelle historischer Erkenntnis werden, geschichtliche Fakten aber auch ein spezifischer Kommentar zur Literatur … Die modellhafte Darstellung der Epoche des Biedermeiers erlaubt es, die Grundlagen der Literatur und des literarischen Lebens, das Selbstverständnis der Schriftsteller und der literarischen Institutionen (z.B. Theater, Zeitschriften, Verlage, literarische Salons, ...) in ihrer Entwicklung vorzuführen … Im Bereich der Literaturbetrachtung geht es in der 7. Klasse (11. Schulstufe) vor allem darum, „die im Werk dargestellte Welt zu zeigen, insbesondere die Funktion von Raum, Zeit, Milieu in der Struktur eines Textes ... Besonders empfohlen wird als gesonderter Ansatz eine eingehende Besprechung des österreichischen Biedermeiers. Die Konfliktsituationen in Grillparzers Dramen und die Auswirkungen einer ‚wild verworrenen Zeit’ im Widerstreit mit dem Harmoniebedürfnis und die zeitgeschichtlichen Erfahrungen einer überzeitlich klassizistischen Thematik ... Ganz wesentlich jedoch sollen die historischen Bedingungen in die Deutung miteinbezogen werden.‛3 3 Zitiert aus: Lehrplan AHS-Oberstufe. Deutsch. Kommentar Oberstufe. ÖBV: Wien 1990, S. 50-58 -7- Folgende Aspekte der Themenauswahl sollten bei diesem Geschichtsdrama berücksichtigt werden: - Erziehung zur Humanität - Grillparzers lebensphilosophische Gedanken zum Spannungsfeld zwischen einer „vita activa‛ und „vita contemplativa‛ - Irrationalismus als Lebens- und Kunstprinzip - Zuwendung zur österreichischen Vergangenheit (Mittelalter) Fächerübergreifend bietet sich vor allem eine Querverbindung mit Geschichte und Sozialkunde an: - Die Entstehung des Habsburgerreiches - Der Habsburgermythos - Die gestaltenden Kräfte des 19. Jahrhunderts - Restauration - Biedermeier - Vormärz: politische, gesellschaftliche und literarische Strömungen Die methodisch-didaktische Vielfalt der Unterrichtsimpulse möchte - den unterschiedlichen Möglichkeiten der SchülerInnen entsprechen und deren unterschiedliche Fähigkeiten und Interessen berücksichtigen; - ein Klima des literarischen Dialogs fördern; - eine ausgewogene Stoffvermittlung bieten, bei der die Erfahrungs- und Lebenswelt der SchülerInnen mit einbezogen wird und - durch spezifische Akzentsetzungen didaktische und methodische Monokulturen verhindern. FACHSPEZIFISCHE METHODISCHE BAUSTEINE Szenen werden lebendig 4 Lernziel: Durch die Übernahme dramaturgischer und szenografischer Aufgaben lernen die SchülerInnen Probleme der Inszenierung und Rollenentwicklung kennen. Arbeitsgrundlage: Textbuch von Grillparzers „König Ottokar‛, Videoband „Literatur und ihre Zeit – Grillparzers Ottokar‛ Einstieg: Gemeinsame Erarbeitung einer Rollenbiografie 4 Anregungen aus: Spielmacher. Spielen, & Darstellen im Unterricht. 4. Jg., Nr. 7, hrsg. v. Österr. Bundesverband für Schulspiel 1996, S. 19 -8- BEISPIEL „KUNIGUNDE VON MASSOVIEN‛ Wann: 1261 Wo: Prager Burg Was: Nichte des Ungarnkönigs Béla IV., Vermählung am 25. Oktober mit Ottokar Wie: Stolz, schön, kühl, begehrenswert, jung, handelt rücksichtslos und genusssüchtig; ehrgeizig; machtgierig; verkleidet sich als ungarischer Krieger; spielt mit dem Feuer, ist Objekt männlicher Begierde; verachtet den alternden Böhmenkönig Räume: z.B. Gartensaal mit Marmorgeländer … Requisiten: Handschuhe, Schleife, Schärpe, Zettel mit Huldigung … Zitate: „Denn was ich schenke, Schleife, Diamant, indem ich schenke, ändert’s die Natur, und ist nur noch der Königin Geschenk. Auch mög’ er sehen, dass ich Herrin bin, zu schenken, was ich will, und wenn es mehr als Schleife wäre, mehr als Diamant!“ „Ein kräftig freies Wesen kam ich her, gar würdig wohl des Jünglings zum Gemahl, und fand – ei nun, den König Ottokar!“ „Ich will nicht heißen: Knechtes Frau! Nicht eines schnöden Dienstmanns Bette teilen.“ Weitere empfehlenswerte Rollenbiografien: z.B. Ottokar, Rudolf, Zawisch, Margarethe, Seyfried Merenberg, Berta Erarbeitungsphase: Die Klasse wird in Kleingruppen geteilt, die je eine Rollenbiografie erarbeiten. Zuerst wird gemeinsam besprochen: Wie ist das äußere Erscheinungsbild der Person, was tut sie gern, was ist ihr wichtig, was mag sie nicht, zu wem hat sie eine gute/schlechte Beziehung..? Anschließend erhält jede Gruppe eine Improvisationsaufgabe: Kundigunde-Gruppe: Zwei Pragerinnen sprechen über die neue Königin; die eine ist von ihr begeistert, die andere schimpft über sie. Margarethe-Gruppe: Zwei Seiten führen ein Gespräch; die Darstellerin der einen Seite rühmt die vernünftige Entscheidung, durch die Heirat mit Ottokar den Frieden bewahrt zu haben; die andere Seite spricht über den Bruch des Gelübdes Ottokar-Gruppe: Zwei Seiten führen ein Gespräch; der Darsteller der einen Seite rühmt sich seiner politischen Erfolge, der andere spricht voll Scham über die Schmach, vor Rudolf gekniet zu sein, von Kunigunde verspottet und verachtet zu werden … -9- Zawisch-Gruppe: Die Rosenbergs sprechen über Zawisch‘ Spiel mit dem König. Seyfried-Gruppe: Innerer Monolog über die Rache für den Mord an seinem Vater – der eine Darsteller sitzt auf einem Sessel und spricht laut, die anderen der Gruppe sitzen hinter ihm und sagen ihm Stichwörter der Rache, der Verzweiflung ein … Nach diesem spielerischen Einstieg erfolgt eine kurze Informationsphase. a) Karte der Schauplätze b) Zugrundeliegende tatsächliche historische Ereignisse: 1. Akt: Trennung Ottokars von Margarethe (1261) und Vermählung mit Kunigunde; Huldigung der Steiermark (1260) und Tod Herzog Ulrichs von Kärnten (1269); Gesandtschaft vom Reich, um Ottokar die Krone anzubieten (1255) 2. Akt: Wahl Rudolfs zum deutschen König (1273) 3. Akt: Unterredung zwischen Rudolf und Ottokar (1276) 4. Akt: Ottokar in Prag, widerruft seinen Vergleich mit Rudolf (1277) 5. Akt: Schlacht auf dem Marchfeld und Ottokars Tod (1278); Rudolf belehnt seine Söhne mit Österreich und der Steiermark (1282) - 10 - c) Entstehungszeit: Grillparzer gestaltet in diesem patriotischen Geschichtsdrama (1825) zum ersten Mal jenen Habsburgermythos vom guten Herrscher. Er projiziert seine gegen das Metternichsche System gerichtete Utopie in die Vergangenheit. Rudolf von Habsburg wird zur Allegorie der habsburgischen Kontinuität und der Einheit von Volk und Herrscher: „Ich bin nicht der, den Ihr voreinst gekannt! Nicht Habsburg bin ich, selber Rudolf nicht, In diesen Adern rollet Deutschlands Blut. Und Deutschlands Pulsschlag klopft in diesem Herzen. Was sterblich war, ich hab es ausgezogen, Und bin der Kaiser nur, der niemals stirbt.“ d) Bühnenbild: Interessant ist es, sich mit der Gestaltung des Bühnenbildes auseinander zu setzen: Thronsaal Friedhof „Alles, was zum Spiel benötigt wird, befindet sich auf der Bühne. Die Gegenstände werden wie Bausteine benutzt. Sie werden aufgebaut, ummontiert, verändert. Sie werden zu einem Ganzen gefügt und wieder in einzelne Teile zerlegt. Für jede Szene wird ein spezifischer Raum gebildet, wird ein anderes Innen-Außen-Verhältnis hergestellt. Das Verhalten des Raumes zum Schauspieler entwickelt sich analog der szenischen Dynamik. - 11 - A: Der halbkreisförmige Grundbau. Zeichen für Ganzheit, Ordnung, Kraft. Ein doppelwandiger Hohlkörper als geschlossener Innenraum. Als zweifache Abgrenzung nach außen: Burg. Burgwall. Festung. Der eiserne Horizont. B: Die zerbrochene Ordnung. Der Raum wird aufgerissen, geöffnet, durchlässig. Innen wird Außen. Außen wird Innen. Der Bühnenboden driftet auseinander. C: Die Wiederherstellung des Kreises. Die neue Ordnung. Absolut. Stabil. Bedrohlich. Macht und Moral. Die rekonstruierte Symmetrie. Das Ende.‛5 „Der ‚Turm der Narren’ – eine Metapher für die Außen-/Innenwelt Grillparzers und für die Welt überhaupt.‛6 Planspiele7: Im Gerichtssaal Themen: - Scheidung König Ottokars von Böhmen von seiner Frau Margarethe von Österreich - Tötung des alten Merenberg - Rufschädigung Bertas von Rosenberg - Treuebruch Kunigundes - Rechtsbrüche Ottokars gegenüber dem Reich Lernziele: - Sprechen in verschiedenen Situationen und Erproben verschiedener Kommunikationsformen (argumentieren, plädieren, diskutieren, dementieren, verteidigen, überzeugen, beeinflussen, debattieren, etc.) - Rollenbilder kennen lernen (Gefühle der Angst, der Macht, der Ohnmacht, der Überlegenheit...) - Gerechtigkeitsempfindungen erleben (sich in einem durch Gesetze, Normen, Regeln bestimmten „Raum‛ zurechtfinden) - Formen der Sozialisierung (soziales Lernen) 5 6 7 Anmerkungen Jochen Finkes zur Gestaltung des Bühnenbildes anlässlich der Aufführungen 1991. In: Burgtheater Wien (Hrsg.): Programmbuch Nr. 70 Finke (1991), ebenda Anregung aus: Spielmacher. Jg. 4 Nr. 7, S. 20 - 12 - Möglicher Spielverlauf: - In Kleingruppen einzelne Textstellen zum gewählten Thema markieren, Stichworte notieren, Rollen besprechen. Wer keine Rolle hat, ist ZuhörerIn (z.B. als Bericht- erstatterln), hat kein Mitspracherecht. Rollenkärtchen werden geschrieben und dann gezogen. Der Richter eröffnet die Verhandlung, der Tatbestand wird bekannt gegeben, Rollenträger nehmen Plätze ein. Das Opfer / dessen Verteidiger beschuldigen den Angeklagten, worauf dieser / dessen Verteidiger antwortet. Zeugen werden gerufen, machen ihre Aussagen und stehen den Verteidigern beider Parteien sowie dem Staatsanwalt Rede und Antwort. Sachverständige werden eventuell beigezogen. Am Ende plädieren beide Verteidiger für die Schuld / Unschuld des Angeklagten. - Die Geschworenen ziehen sich zurück, um das Urteil (schuldig / nicht schuldig) zu fällen. - Der Richter setzt das Strafausmaß fest. - Ein Geschworener verkündet das einstimmige Urteil und begründet es. - Der Richter verliest das Urteil, setzt den Strafrahmen fest und begründet ihn. - KlassenlehrerIn hält sich im Hintergrund; protokolliert eventuell als GerichtsschreiberIn die Spielszene oder videografiert sie. Angeklagte/r Opfer Verteidiger der/s Angeklagten Verteidiger des Opfers Staatsanwalt Richter Geschworener Geschworener Geschworener Geschworener Geschworener Geschworener Geschworener Geschworener Geschworener Geschworener Geschworener Geschworener 1. Zeuge für den Angeklagten 2. Zeuge für den Angeklagten 3. Zeuge für den Angeklagten 4. Zeuge für den Angeklagten - 13 - Reflexion: - Auflösung der Gerichtssaalszene – Sesselkreis: Diskussion, ob das Urteil gerecht / ungerecht und streng / milde ist. Reflexion der Rollenerfahrung. VOM RICHTIGEN UMGANG MIT DER KRITIK Grillparzer hatte Probleme mit negativen Kritiken. So gab er nach der Aufführung von „König Ottokars Glück und Ende‛ (19. Februar 1825) unter verschiedenen Pseudonymen mit „sprechenden Namen‛ eine Reihe kritischer Briefe als Antwort auf schlechte Kritiken heraus, z.B.: „Sie fragen, wie mir das gestrige Stück gefallen habe? Zum Teile nicht sonderlich, zum Teile kam mir vor, als hätte ich es nicht ganz verstanden. Florian Kurz“ „Viktoria! Ein vaterländisches Stück auf der Bühne. Stell dir vor! Marchegg wird darin erwähnt, Horn und Krems, wo wir so oft Bratwürste und Senf gegessen haben, ja der letzte Akt spielt sogar in Götzendorf, unserm gemeinschaftlichen Geburtsort... Hans Dampf“ Im Folgenden zwei Ausschnitte von aktuellen Theaterkritiken anlässlich der Neuinszenierung. von „König Ottokar‛ am Wiener Volkstheater: 2000/2001: Arbeitsaufträge - Fassen Sie die Grundaussagen der Rezensionen zusammen! - Welche Aufgaben hat ein Kritiker? Warum reicht es nicht, wenn er feststellt, was „gut‛ und was „schlecht‛ ist oder was ihm gefallen / missfallen hat? Wann ist eine Kritik „brauchbar‛? - Welche Rezension liefert Denkanstöße? Welche einzelnen Kritikpunkte werden genannt? Welche Aspekte (z.B. Inhalt des Stücks, Form, Aufbau, Zeit, Personengestaltung, Schauplätze, Sprache, Sinn, Gesamtgehalt, etc.) werden besonders behandelt? Wird etwas außerhalb des Bühnengeschehens zur Sprache gebracht? - Handelt es sich bei den Beispielen um sogenannten „Ankündigungsjournalismus‛, d.h. es wird nur geschrieben, welche Veranstaltung, wann und wo stattfindet; wird die vom Theater zur Verfügung gestellte Presseinformation leicht verändert abgeschrieben? - Warum stoßen „moderne Inszenierungen‛ bei manchen Kritikern (und beim Publikum) auf Ablehnung? - 14 - links: Ingo Hülsmann (Habsburg) rechts: Karl Markovics (Ottokar von Böhmen) Foto: apa (Gindl) Die Glücksversuchung Wien – Kark Markovics hätte als TV-Serienheld in Ruhe altern und einigermaßen reich werden können. Aber nein, er hat der „Versuchung der ewigen Serie“ heldenhaft widerstanden ... Er möchte nämlich selbst bestimmen, „wann eine Arbeit vorbei ist“ … und kehrt zu seinen Ursprüngen zurück. Zum Theater. Und spielt zum ersten Mal in seinem Leben Grillparzer. Und zwar gleich den Chef, den König, genau in dem Stück, mit dem er als Schüler auch gequält wurde: König Ottokars Glück und Ende. In der Arbeit mit dem Regisseur Georg Schmiedleitner wird „ganz entschieden vom historischen Weihespiel abgerückt“, sagt der neue König Ottokar, „wir untersuchen die Mechainismen der Macht. Was ist der Reiz der Macht? Dem Anspruch, den Menschen Glück zu bringen? Es geht im Kern darum, dass die großen menschheitsbeglückenden Ansprüche immer in Blutbädern enden. Ottokar scheitert, weil er an einer Zeitwende steht, weil es einen Gegenpol gibt in der Person Rudolf von Habsburg, der ein komplett anderes Herrscherverständnis hat.“ Und wenn Karl Markovics so redet, als wär‘s von heute, versteht man sofort, dass Grillparzer eigentlich ein Wahlkampfstück über zwei konkurrierende Parteilager sowie das Marketing von Ideen und Ideologien geschrieben hat: Ottokar Gusenbauer gegen Rudolf Schüssel etwa …“ (Lothar Lohs, in: Der Standard, 9./10. Dezember 2000, S.20) Der Wilde mit seinem Gesicht Das Wiener Volktheater wagte sich an einen großen Pflicht-Klassiker: „König Ottokars Glück und Ende‛. Zeitgeistige, doch akzeptable Grillparzer-Pflege. Historische Königsdramen auf gegenwärtig umzukostümieren, ist ein alter Hut. Aber muss es in einem Bunker spielen, der an den Endkampf eines terroristischen Staates - 15 - erinnert? Lässt sich Königsmacht zeichenhaft nur mehr darstellen durch Scharen von Wächtern in Ledermänteln mit Schnellfeuerwaffen? … In Mänteln der SA, SS, sowjetischer Killerbanden haben wir landauf, landab auf jeder Provinzbühne solche „Könige‛ gesehen. Und nun wieder im Volkstheater! Langmut und Neugier vorausgesetzt, sind aber nach und nach auch ansprechende Qualitäten in Georg Schmiedleitners „ Ottokar‛-Version zu entdecken. Zum Beispiel der zurückhaltend-alerte Ingo Hülsmann als Rudolf von Habsburg, der seine Wahl an die Spitze des Deutschen Reichs auch beim habsburg-geschädigten Grillparzer als Zeichen göttlicher Gnade verstehen darf. Sein Gegenspieler Ottokar von Böhmen wurde besonders tief herunterstilisiert: Karl Markovics glänzt zwar mit Körper- und Stimmeskraft, schaut aber aus wie ein schröcklicher Spießgeselle. Doch geht dabei Grillparzers Intention verloren, Habsburg einen honorigen Gegner gegenüberzustellen (und Habsburgs Größe damit besonders herauszustreichen). Denn Karl Markovics, der Wilde mit seinem Gesicht, weiß auch leise, fast verlegen aufzutrumpfen, punktet aus Leid, Trotz heraus … Chris Pichler gleicht als Ottokars jüngster Aufriss einem Luder aus der nächsten Nachtbar. Babett Arens als rechtmäßige Königin lässt niemand an sich zweifeln ... Die große Linie des Schullesestoffs ist ohne viel Pathos und Ironie gerettet. (Hans Haider <hai> in: Die Presse, 12. Dezember 2000, S. 26) Verwendete Literatur: Burgtheater Wien (Hrsg.): Franz Grillparzer an der Burg. TheaterbiIder. Programmheft Nr. 70: Wien, 1991 Magris, Claudio: Der habsburgische Mythos in der österreichischen Literatur. Otto Müller Verlag: Szbg 1966 Politzer, Heinz: Grillparzer oder Das abgründige Biedermeier. Molden: Wien 1972 Pörnbacher, Karl: Franz Grillparzer. König Ottokars Glück und Ende. Erläuterungen und Dokumente. Reclam: Stuttgart 1969 Rainer, Eva und Gerald: Aktion Sprache, Bd. 1,2, Veritas: Linz 2000 Schacherreiter, Christian: Man muss nur Aug und Ohren dafür haben. Warum Theater so faszinierend ist. Grosser: Linz 1997 Scheit, Gerhard: Franz Grillparzer. Rowohlt: Hamburg 1989 Spielmacher. Spielen & Darstellen im Unterricht. Hrsg. österr. Bundesverband für Schulspiel, Jugendspiel & Amateurtheater, Nr.7, 1996 Quellenangaben zum Bildmaterial: Cover M. M. Daffinger, Historisches Museum der Stadt Wien Seite 10: Karte zum historischen Schauplatz. Aus: Pörnbacher Karl, Erläuterungen und Dokumente, Reclam #8103, Stuttgart 1969, S. 43 Seite 15: Foto: apa (Gindl), in: Die Presse, 12.12. 2000 - 16 - - 17 - Medieninhaber und Herausgeber: BUNDESMINISTERIUM FÜR UNTERRICHT, KUNST UND KULTUR Medienservice 1014 Wien, Minoritenplatz 5 Tel. 01/53 120-4829, Fax: 01/53 120-4848 E-Mail: [email protected] Autorin: Prof. Mag. Jutta Kleedorfer Download unter: http://www.bmukk.gv.at/schulen/service/mes/specials.xml Bestellungen: AMEDIA Servicebüro 1140 Wien, Sturzgasse 1a Tel. 01/982 13 22, Fax: 01/982 13 22-311 E-Mail: [email protected] Verlags- und Herstellungsort: Wien