Wasserstoff

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Nach: Hans-Ulrich Keller: Kosmos Himmelsjahr 2016
Franckh-Kosmos Verlags-GmbH & Co. KG, Stuttgart 2015
Monatsthema Juli 2016
Wasserstoff - Lebenselixier der Sterne
Wasserstoff spielt eine entscheidende Rolle im Aufbau und in der
Entwicklung des Universums. In den ersten winzigen Augenblicken der Existenz des Kosmos entstand dieses leichteste aller
chemischen Elemente. In Form von riesigen Wolken bildet
Wasserstoff die Struktur der Milchstraßensysteme. Wasserstoff
liefert den Brennstoff der Sterne für die meiste Zeit ihres Daseins.
Wasserstoff ermöglicht erst das Leben, ob als Hauptkomponente
des Wassers oder als Bestandteil organischer Moleküle. Die
Geschichte des Universums ist die Geschichte des Wasserstoffs
und seiner Metamorphose.
In der überdichten Ursuppe des extrem jungen Universums zerstrahlten fast alle Quarks nach Kollisionen mit ihren Antiteilchen.
Ebenso vernichteten sich Elektronen und Positronen. Dies alles
geschah innerhalb einerTausendstelsekunde, wobei sich pro
Kubikzentimeter eine Sextillion (1016) Partikel drängten. Ein winziger Überschuss an Teilchen gegenüber ihren Antiteilchen sorgte
dafür, dass nicht alle Partikel zerstrahlten. Jeweils eines von einer
Milliarde blieb übrig und Iieferte die Materie, die wir heute im Weltall beobachten - Sterne, interstellare Materie. Planeten, Monde
usw.
Die ersten Atomkerne
Der Orion-Nebel (M 42), ein Sternentstehungsnest. Der interstellare
Wasserstoff, Baumaterial neuer Sterne, glüht rot auf.
Ein Wasserstoffatom ist das einfachste aller Atome. Ein einzelnes,
positiv geladenes Proton, um das ein negativ geladenes Elektron
kreist, bildet ein Wasserstoffatom. Im Grundzustand hat es einen
Durchmesser von lediglich einem Hundertmillionstel (10-8) Zentimeter. Der Kern ist noch viel kleiner: Der Protonendurchmesser
beträgt nur ein Zehnbillionstel (10-13) Zentimeter. Hätte das Proton
die Größe einer Kirsche, so liefe das Elektron in einem Kilometer
Entfernung um den Kern. Dazwischen herrscht leerer Raum.
Proton und Elektron haben gleich große elektrische Ladung, aber
entgegengesetzte Polarität. Elektromagnetische Kräfte binden das
Elektron an den Kern. Allerdings ist fast die gesamte Masse des
Atoms im Kern vereinigt. Das Proton ist fast 2000-mal schwerer
als das Elektron. Genauer: Das Massenverhältnis beträgt 1:1836.
Das Elektron saust mit einer Geschwindigkeit von fast 2.200
Kilometer pro Sekunde um den Kern. In einer einzigen Sekunde
umrundet es somit das Proton sieben Billiarden (1015) Mal. Quantenmechanisch gesehen erzeugt das Elektron eine Ladungswolke
um den Kern. Ort und Impuls (= Bewegungsgröße = Masse mal
Geschwindigkeit) lassen sich nicht beliebig genau angeben. Das
besagt die von Werner Heisenberg formulierte Unschärferelation,
eines der fundamentalen Prinzipien der Quantenmechanik.
Synthese der Materie
Vor 13,8 Milliarden Jahren entstanden Protonen und Elektronen in
einem winzigen Bruchteil einer Sekunde im Feuerball des Urknalls.
Der Kosmos war damals unvorstellbar heiß und dicht. Infolge der
Expansion kühlte das Universum rasch ab. Die Energiedichte sank
und es bildeten sich winzige Partikel, gewissermaßen Kondensate
der Energie. Man nennt sie Quarks. Sie sind die Grundbausteine
der baryonischen Materie, zu der auch die Protonen gehören. Bei
weiter fallender Temperatur fanden sich je drei Quarks zu einem
Proton oder Neutron zusammen.
Fast die gesamte baryonische Materie setzt sich aus zwei Sorten
von Quarks zusammen, nämlich Up- und Down-Quarks. Die uQuarks besitzen 2/3 der positiven elektrischen Elementarladung,
die d-Quarks 1/3 der negativen Elementarladung. Ein Proton setzt
sich aus zwei u- und einem d-Quark zusammen (p = uud), das
ergibt genau eine elektrische Elementarladung (2/3 + 2/3 – 1/3 =
1). Die Konfiguration eines Neutrons lautet hingegen: n = udd.
Somit ist ein Neutron zwar ein schweres Teilchen, ein Baryon,
nach außen hin ist es jedoch elektrisch neutral (2/3 – 1/3 – 1/3 = 0).
Bei weiter sinkender Energiedichte fanden sich Protonen und
Neutronen zu den ersten Atomkernen zusammen. In den ersten
drei Minuten bildete sich Helium sowie Spuren von Deuterium und
Lithium. Deuterium, auch schwerer Wasserstoff genannt, setzt
sich aus einem Proton und einem Neutron zusammen. Ein
Lithiumkern beinhaltet drei Protonen und vier Neutronen. Protonen, also Wasserstoffatomkerne, und Heliumkerne entstanden im
Massenverhältnis von etwa 3:1 - auf zehn Protonen kam ein
Heliumkern, wobei sowohl Helium-3 (zwei Protonen und ein
Neutron) als auch Helium-4 (zwei Protonen und zwei Neutronen)
gebildet wurde. Auf 100.000 Protonen kam ein Deuteriumkern.
Noch seltener waren Lithiumkerne anzutreffen. Damit war die
primordiale Elementensynthese abgeschlossen. Infolge weiter
fallender Temperatur und Dichte konnten keine schwereren
Elemente aufgebaut werden. Die elektrostatischen Abstoßungsbarrieren verhinderten dies. Bald gab es auch keine freien
Neutronen mehr. Nach im Mittel 900 Sekunden zerfällt ein freies
Neutron in ein Proton, ein Elektron und ein Antineutrino.
Nach 380.000 Jahren sank die Temperatur unter 2.700°C. Die
Protonen und Alpha-Teilchen (He-Kerne) fingen Elektronen ein,
atomarer Wasserstoff und Heliumatome füllten von da an die
Weiten des Alls. Diese Kombination von Protonen mit Elektronen
führte dazu, dass das Universum durchsichtig wurde. Denn die
Photonen streuten nicht mehr an freien Elektronen. (Manchmal
wird das Einfangen der Elektronen als „Rekombination“ bezeichnet, was aber unzutreffend ist. Denn es war keine „Wiedervereinigung“ sondern schlicht die erste Vereinigung.) Auch vereinigten
sich je zwei H-Atome zu einem Wasserstoffmolekül (H2). Ferner
lagerten sich gelegentlich Protonen an Heliumatome und bildeten
HeH±, die aber augenblicklich wieder zerfielen. Manche H-Atome
legten sich ein zweites Elektron zu und wurden zu negativ geladenen Wasserstoffionen, die ziellos durch den Kosmos drifteten, bis
sie mit einem Proton zusammentrafen. Das Ergebnis dieser Kollisionen: neutrale Wasserstoffmoleküle (H2).
Wasserstoff in Sternentstehungsgebieten
Dank der gravitativen Wirkung der bis heute noch rätselhaften
Dunklen Materie begann das primordiale Wasserstoffgas zu klumpen. Der thermische Druck wurde überwunden und es bildeten
sich Wasserstoffwolken. Molekularer Wasserstoff begann das
umgebende Gas zu kühlen, die Wolken fragmentierten. Die Fragmente kollabierten schließlich, wobei die Schwerkraft sie zu
Kugeln formte, sogenannte Globulen. Die Zentraltemperaturen
erreichten mehrere Millionen Grad, Kernfusion setzte ein, die
ersten Sterne begannen zu leuchten.
Bei hohen Temperaturen werden die elektrostatischen Barrieren in
den Atomkernen überwunden. Zwei Protonen verschmelzen miteinander unter Aussendung eines Positrons und eines Neutrinos
zu einem Deuteriumkern. Trift ein weiteres Proton den Deuteriumkern, so bildet sich ein He3-Kern bei Aussendung eines hochenergetischen Photons (Gamma-Quant). Prallen zwei Helium-3-Kerne
zusammen, so verschmelzen sie zu einem Helium-4-Kern, wobei
noch zwei Protonen frei werden (siehe Abb.). Bilanz dieses Proton-Proton-Prozesses: Vier Protonen fusionieren zu einem Heliumkern. Ein Heliumkern hat eine geringfügig geringere Masse als vier
Protonen zusammengenommen. Die Massendifferenz wird nach
der Elnstein-Formel E = m .c2 (Energie = Masse mal Lichtgeschwindigkeit zum Quadrat) als Energie freigesetzt, die den Stern
zum Strahlen bringt. Wasserstoff ist der erste und ergiebigste
Brennstoff der Sterne.
- 2 Die ersten Sterne im Kosmos waren recht massereich und
bestanden fast nur aus Wasserstoff und Helium. Schwerere
Elemente gab es nicht - außer Spuren von Lithium und Beryllium.
Diese Sterne der Population Ill hatten meist einige hundert
Sonnenmassen. In ihrem Inneren wurde nicht nur Helium
fusionlert. sondern bei Zentraltemperaturen von über hundert
Millionen bis weit über eine Milliarde Kelvin wurden auch schwerere Elemente gebacken, die die Astronomen gerne als „Metalle“
bezeichnen: Helium verschmolz zu Kohlenstoff, dieser zu Stickstoff und Sauerstoff, bis schließlich im Zentrum des Sterns eine
Eisenkugel entstand.
Nach Aufflammen der ersten, extrem heißen Sterne wurde das
interstellare Gas in deren Umgebung reionisiert. Die intensive
Ultraviolettstrahlung entriss den Wasserstoffatomen ihre Elektronen. Die Wolken aus ionisiertem Wasserstoff (sogenannte H IIGebiete) glühten auf und erhellten weithin den Weltraum. Sie sind
selbst in fernen Galaxien noch auszumachen. Als Paradebeispiel
solch leuchtender interstellarer Wolken ist der große Orionnebel
zu nennen. Mit knapp 1.500 Lichtjahren Entfernung liegt er gewissermaßen vor unserer Haustür. Diese H II-Gebiete sind Sternentstehungsnester. In ihnen werden auch heute noch Sterne geboren. Mit Infrarot-Teleskopen wie SOFIA und SPITZER lassen sich
sogar die Vorstufen entstehender Sterne (protostellar bodies)
beobachten, gewissermaßen die Sternenembryos.
Vier Protonen fusionieren unter Abgabe von Strahlungsenergie zu
einem Helium-Atomkern.
Ursprung der schweren Elemente
Da keine weitere Kernfusion im Zentrum eines solchen massereichen Sterns ihn stabilisiert, kolIabiert das Sternzentrum, wobei es
zu einer gewaltigen Detonation kommt. Der Stern wird zerrissen,
eine Supernova leuchtet im All auf. Dabei wird die interstellare
Materie mit schwereren Elementen angereichert. Neu entstehende
Sterne haben somit auch einige Prozent an Elementen, die massereicher als Helium sind, wie Kohlenstoff, Stickstoff, Sauerstoff
Silizium, Eisen usw.
Bei jungen, massereichen Sternen läuft die Fusion von Wasserstoff zu Helium hauptsächlich über einen Prozess ab, den Hans
Bethe und Carl Friedrich von Weizsäcker beschrieben haben und
der als CNO-Zyklus bezeichnet wird - nach den chemischen
Elementen, die dabei eine Rolle spielen. Kohlenstoff (C) dient
hierbei gewissermaßen als Katalysator. Ein Kohlenstoffatomkern
(C12,) fängt ein Proton (H1) ein unter Abgabe eines GammaQuants (γ) und wird damit zu einem Stickstoffkern (N13). Dieser
zerfällt augenblickIich unter Aussendung eines Positrons (e+) und
eines Neutrinos (v) in einen C13-Kern. Dieser fängt ein Proton ein
unter Abgabe eines γ-Quants und wird zu einem Stickstoffkern
(N14). Ein weiterer Zusammenstoß mit einem Proton ergibt wieder unter Abstrahlung eines γ-Quants - einen Sauerstoffkern
(O15). Dieser zerfällt in einen N15-Kern unter Aussendung eines
Positrons und eines Neutrinos. Der N15-Kern wird von einem
Proton getroffen und zerplatzt in ein Alpha-Teilchen (He4-Kern)
und einen C12-Kern. Die Bilanz ergibt: Vier Protonen fusionieren zu
einem He4-Kern, der Kohlenstoffatomkern bleibt nach Durchlaufen
des CNO-Prozesses unverändert ubrig. Wasserstoff setzt somit
durch Fusion zu Helium die Energie frei, die Sterne zum Leuchten
bringt. Ohne Wasserstoff keine Sterne - er ist ihr Lebenselixier.
Kernfusion durch den CNO-Prozess, auch Bethe-Weizsäcker-Zyklus
genannt.
Wasserstoffatome, die nicht in Sternen als Brennstoff dienen, bilden in den interstellaren Wolken, aber auch in den Atmosphären
roter Riesensterne mehr oder minder komplexe Moleküle, vor
allem Kohlenwasserstoffe. Diese sind das Baumaterial für organische Verbindungen.
H wie „Wasserstoff“
Mit Sauerstoff bildet Wasserstoff das im Weltall und auf der Erde
reichlich vorhandene Wasser – H2O als Formel. Daher auch die
lateinische Bezeichnung Hydrogenium, der wasserbildende Stoff,
und das Symbol H für das leichteste Element im Universum. Dieser Name geht auf die altgriechischen Wörter τó ϋδορ für Wasser
und γιίνοµαι für bilden, entstehen, zurück.
Der britische Naturforscher Henry Cavendish fand schon 1766 das
Wasserstoffgas, als er diverse Metalle wie Eisen und Zink mit
Säuren behandelte. Das dabei frei werdende Gas stellte sich als
brennbar heraus.
Dieses Gas hat schließlich der Franzose Antoine Laurent de
Lavoisier als „Wasserstoff“ benannt, der 1787 unabhängig von
Cavendish Experimente durchführte. Zunächst sprach er von
„brennbarer Luft“. Denn in Verbindung mit Sauerstoff verbrennt
Wasserstoff augenblicklich unter Iautem Knall (daher auch „Knallgas“ genannt). Da das Oxidationsprodukt Wasser ergibt, nannte
Lavoisier dieses Gas „Wasserstoff“. Erst allmählich wurde die
Bedeutung des Wasserstoffs für die Entwicklung des Universums,
seiner Sterne und des Lebens erkannt.
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