02.03.2015 Warum überhaupt ein Neurostatus? • Erfassen neurologischer Defizite! – Spezielle, nur klinisch nachweisbare Diagnosen – Vergewisserung einer Hypothese aufgrund der Anamnese Workshop Neuroskills Dr. med. Stefan Wolff, FMH Neurologie Stadtspital Triemli • Zeit, um zu schauen und zu denken • Vermeiden unnötiger, teurer und manchmal riskanter Untersuchungen • Gefühl für das Normale • Dem Patienten den Eindruck zu geben, richtig untersucht worden zu sein • Funktionelle Störungen • Fehlende Ressourcen • Der Neurostatus ist ein Ritual Warlow, Pract Neurol 2010 Was suchen? • Was ist das Problem des Patienten? – Suche nach Syndromen, nach typischen Befundkonstellationen Status für Nicht-Neurologen • Im Anamnesegespräch • Globale Beweglichkeit – Orientierung, Gedächtnis, Auffassungsgabe, Denken, Sprache – Auskleiden – Aufstehen, Gehen und Wenden, Zehengang, Fersengang – Evtl. erschwerte Gang- und Standproben, evtl. Schreiben • Neurostatus – weist hin auf die Lokalisation des Problems, nicht unbedingt auf die Ursache – Auf die Ursache muss aus Anamnese/Befunden geschlossen werden • Neurologische Krankheiten sind dynamisch • Cave: Selektive Aufmerksamkeit, die zum Übersehen relevanter Befunde führen kann • Koordination • Hirnnerven • Motorik – Romberg, FNV, KHV, Einbeinhüpfen – Gesichtsfeld, Augenbeweglichkeit, Nystagmus, Facialis – Halteversuche Arme und Beine, Reflexe, Babinski – Feinmotorik: Diadochokinese/Fingertapping • Sensibilität – Vibration, Lageempfinden, Spitz/Stumpf, Warm/Kalt Agenda • Schwindel • BPPV • • • • • Gangbild Schwindel Paresen Tremor Parkinson Kopfimpulstest, Dix-Hallpike Typische Befreiungsmanöver (Epley, Semont) wichtige klinische Bilder zentrale Symptome peripher vs. zentral + Beispiele Essentiell vs. Parkinson Kardinalsymptome + DD Was ist wichtig? SCHWINDEL 1 02.03.2015 Einführung • Keine Krankheitseinheit, sondern Leitsymptom verschiedener Erkrankungen unterschiedlicher Ätiologie • Unangenehme Störung der räumlichen Orientierung • Fälschliche Wahrnehmung einer Bewegung des Körpers (Drehen und Schwanken) und/oder der Umgebung Symptome: • Wahrnehmung (Schwindel) • Blickstabilisation (Nystagmus) • Haltungsregulation (Fallneigung) • Vegetativum (Übelkeit) 3 wichtige Fragen Was meinen Sie überhaupt mit Schwindel? • Schwankschwindel – „wie auf einem Boot“, „wie besoffen“ – gerichtet/ungerichtet? • Drehschwindel – „wie auf einem Karussell“, „wie Walzer tanzen“ • Benommenheitsgefühl – „komisch im Kopf“, „nicht klar denken“ 3 wichtige Fragen 3 wichtige Fragen • Nicht nur vestibulär/cerebellär • Auch denken an – Gangstörungen (Parkinson, NPH, PNP) – psychische Ursachen – orthostatische Dysregulation – Nebenwirkungen von Medikamenten, z.B. Antihypertensiva oder Antikonvulsiva Dauer des Schwindels? • Attackenartig, bei Bewegung? • Dauerschwindel? • Faustregeln – – – – – Sekunden: Stunden: Tage: Wochen: Monate: benigner paroxysmaler Lagerungsschwindel Morbus Ménière oder Migräne Neuronitis vestibularis, Hirnstamm-CVI ZNS-Krankheit (MS, Encephalitis, neurodegenerativ) hereditär-neurodegenerativ oder residuell nach CVI, MS Obermann, Akt Neurol 2012 3 wichtige Fragen Situation/Auslösbarkeit/Zusatzsymptome? • Mit vegetativen Symptomen – Eher peripher-vestibulär • In Ruhe – Neuritis vestibularis • Bei Lagewechsel - z.B. Aufstehen aus dem Bett – Benigner paroxysmaler Lagerungsschwindel • Bestimmte wiederkehrende Situationen – phobischer Schwankschwindel • Beim Gehen – bilaterale Vestibulopathie • Zusammen mit Kopfschmerzen – Vestibuläre Migräne Wichtige klinische Tests • Kopfimpulstest • ein- oder beidseitiges Funktionsdefizit des vestibulookulären Reflexes (VOR) • Lagerungstest (Dix-Hallpike) • Lagerungsnystagmus bzw. −schwindel • Nystagmus-Untersuchung (mit Frenzelbrille) • Spontannystagmus? • Untersuchung zentraler Symptome • okulomotorisches System – Paresen, Ptosis, Sakkaden/Blickfolge, internukleäre Ophthalmoplegie (INO) • Klinische Testung von Stand und Gehvermögen – z.B. Gangstörung, Romberg, Unterberger 2 02.03.2015 Kopfimpulstest Kopfimpulstest • Ein pathologischer Kopfimpulstest mit Korrektursakkaden weist auf eine periphere Störung hin Bei einseitigem Labyrinthausfall bewegen sich die Augen bei Kopfrotationen zur betroffenen Seite mit dem Kopf mit. – hohe Sensitivität (100%) – hohe Spezifität (91%) Kerber/Baloh, Neurol Clin Pract 2011 Dix-Hallpike-Manöver BPPV posteriorer Bogengang (90%) Diagnosekriterien nach Dix-HallpikeManöver • Horizontaler Nystagmus mit torsional-vertikaler Komponente: • Vorwiegend torsionaler (rotatorischer) Lagerungsnystagmus, und zwar mit dem oberen Pol des Auges zum unteren Ohr. Zusätzlich besteht eine vertikale, zur Stirn schlagende Komponente. • Latenz: • Typischerweise beginnen Schwindel und Lagerungsnystagmus mit einer Latenz von einigen Sekunden, nachdem die provozierende Kopfposition eingenommen wurde. Die Nystagmusintensität nimmt rasch zu und dann langsam wieder ab (Crescendo—Decrescendo). • Dauer: • Der Nystagmus dauert üblicherweise 10–20 sec und nie länger als eine Minute. • Nystagmusumkehr: • Einige Sekunden, nachdem sich der Patient wieder aufgerichtet hat, kann ein transienter Nystagmus geringerer Intensität auftreten, der in die entgegen gesetzte Richtung schlägt. • Ermüdbarkeit: • Die Intensität von Lagerungsschwindel und -nystagmus nimmt mit wiederholter Lagerung ab. von Brevern/Lempert, Nervenarzt 2004 von Brevern/Lempert, Nervenarzt 2004 Dix Hallpike BPPV posterior links Typische Befreiungsmanöver rotatorischer Nystagmus nach links BENIGNER PERIPHERER PAROXYSMALER LAGERUNGSSCHWINDEL (BPPV) 3 02.03.2015 BPPV: Typische Symptome BPPV: Pathophysiologie • Kurze Drehschwindelattacken, die durch Lageänderungen des Kopfes ausgelöst werden. • Canalolithiasis – durch abgesprengte Otokonien (Calcitkristalle) ausgelöst – Typische Auslöser: Umdrehen, Hinlegen und Aufrichten im Bett sowie Neigung des Kopfes nach hinten oder vorn • Andere Beschwerden während der Attacke – Standunsicherheit – Oszillopsien (scheinbare Bewegung der Umwelt wg. des Nystagmus) – vegetative Symptome wie Übelkeit, Tachykardie und Schwitzen • Patienten lernen meist rasch, die auslösenden Kopfbewegungen zu vermeiden • Dauer typischerweise 10–20 sec und nie länger als eine Minute auch als Cupulolithiasis möglich BPPV: verschiedene Bogengänge Repositionsmanöver nach Epley • Differenzierung von drei Formen eines BPPV: – posteriorer BPPV (90 %) • Diagnose: Dix-Hallpike-Manöver • Therapie: Epley-Repositionsmanöver, SemontBefreiungsmanöver BPPV rechts, Beginn wie Dix-Hallpike – horizontaler BPPV (5-10 %) – anteriorer BPPV (< 5 %) Fife, Neurology 2008 BPPV rechts Posteriorer Bogengang (Semont) Epley-Manöver für BPPV rechts 1 2 3 Fife, Neurology 2008 4 Deutsches Schwindel- und Gleichgewichtszentrum, LMU München 4 02.03.2015 Semont rechter post. Bogengang Semont-Manöver für BPPV rechts Fife, Neurology 2008 Fife, Neurology 2008 Wirksamkeit der Manöver Evidenz: • Beide Verfahren sind wirksam – im Vergleich zu keiner Therapie oder Scheinbehandlung – nur 2 Klasse IV-Vergleichsstudien: • Studie 1: Erfolgsrate Epley 96% vs. Semont 88%, n.s. • Studie 2 nach 1 Woche: Epley 74% vs. Semont 71% • Studie 2 nach 3 Monaten: Epley 93% vs. Semont 77%, p=0.027 Expertenmeinung: • Beide Verfahren sind gleichermassen wirksam Wirksamkeit der Manöver Wirksamkeit der Manöver • Falls noch Lagerungsnystagmus auslösbar ist • durch Wiederholung des Manövers kann die Erfolgsrate auf 80–90% erhöht werden • alternativ mit dem anderen Manöver behandeln • Für Patienten mit verminderter HWS-Mobilität eignet sich das Semont-Manöver besser • erfordert nur geringe Rotation der HWS • Bei starker Übelkeit sollten 30 Minuten vor Beginn der Befreiungsmanöver Antivertiginosa verabreicht werden • meist erst nach einigen Tagen beschwerdefrei Brandt-Daroff-Manöver • keine relevanten Nebenwirkungen • Gelegentlich gelangen Otokonien aus dem posterioren in den horizontalen Bogengang • Eine leichte Gangunsicherheit nach erfolgreichem Lagerungsmanöver ist häufig und dauert maximal einige Tage an. • veraltet: – Lagerungsübungen nach Brandt/Daroff – 1980 eingeführt als erste Selbstbehandlung des BPPV 5 02.03.2015 Wichtige klinische Bilder GANGSTÖRUNGEN Ganganalyse • inspektorische Ganganalyse – z.B. Schrittlänge, -breite, -geschwindigkeit – Romberg – erschwerte Gangproben (Blind-, Seitänzergang) – Symmetrie – übriger Körper (Mitschwingen der Arme, Körperhaltung) Amadori, Nervenarzt 2014 Romberg-Versuch Standataxie • mit offenen oder • geschlossenen Augen, im Dunkeln Weitere Tests • Five chair rise falls bei Augenschluss deutlich schlechter: • hoher „Romberg„Romberg-Index“ Modifizierter Romberg • Dual task test 6 02.03.2015 Gang bei Parkinson Gang bei Parkinson • • • • • • • • Gang kleinschrittig gebunden, vornübergebeugt Mitschwingen der Arme reduziert Initiation erschwert Wendeschrittzahl Festination (= „Trippelschritte“) Freezing (vor Hindernissen) Besser unter ext ext.. Stimuli • Häufig Blickdiagnose normal Gang bei cerebraler Mikroangiopathie und Normaldruckhydrocephalus • „lower body parkinson“ • frontale Gangstörungen Gang bei cerebraler Mikroangiopathie und Normaldruckhydrocephalus • • • • • Gang bei PNP (sensible Ataxie) Weitere Gangstörungen • • • • • • normal breitbasiger Gang z.B. bei PNP kleinschrittig etwas breitbasig schlurfend Drehen um eigene Achse gestört manchmal asymmetrisch Cerebelläre Ataxie Hemiparese Paraparese „cautious gait“ psychogene Gangstörung multifaktorielle Gangstörung! kleinschrittiger Gang, z.B. M. Parkinson 7 02.03.2015 ? Zentrale Symptome SCHWINDEL DD Nystagmus-Ursache: peripher versus zentral peripher (Labyrinth / VIII-Nerv) zentral (Hirnstamm/Cerebell.) Charakter: konjugiert ev. dissoziiert (auch neuro-muskulär mögl.) Richtung: Richtung konstant oft horizont.-rotatorisch Richtung ev. wechselnd rein horizontal od. vertikal Fixation↓ ↓ (Frenzelbrille): ↑↑ = oder ↓ Dauer: < 3 Wochen ev. permanent Gangataxie: gehunfähig kann gehen +++ + unwahrscheinlich gut möglich Zentrale Befunde suchen! Kleinhirnstörungen Zielbewegungen vegetative Symptome: (Nausea, Vomitus) Nystagm. ohne Schwindel: Dysmetrie Weitere Kleinhirnstörung Rebound-Phänomen Romberg-Versuch Standataxie • mit offenen oder • geschlossenen Augen, im Dunkeln falls bei Augenschluss deutlich schlechter: • hoher „Romberg„RombergIndex“ 8 02.03.2015 Gangataxie und „Romberg-Index“ Visuelle VOR-Suppression Suppression unvollständig (= Nystagmus) bei zentralen Läsionen niedriger Romberg-Index anatomische Struktur Augen zu = Augen auf im Dunkeln = im Hellen Zentral! Krankheitsbeispiele Hydrocephalus, degenerat. extrapyramidal-motorisch "frontale Ataxie" Lobus flocculo-nodularis & Vermis Kleinhirntumoren inferior hoher Romberg-Index Augen zu > Augen auf im Dunkeln > im Hellen Peripher! Polyneuropathie afferente Ataxie: sensible Nerven funikuläre Myelose (B12) Hinterstränge Lobus anterior & Vermis superior äthylische Kleinhirnatrophie Wernicke-Encephalopathie Internukläre Ophthalmoplegie zentral - peripher PARESEN Zentrale vs. periphere Paresen - Charakteristika Eigenreflex Zentral Peripher gesteigert vermindert/fehlend Fremdreflex vermindert vermindert/fehlend Babinski/path. Reflexe vorhanden fehlend Atrophien nein (evtl. leicht durch Inaktivität) ja Muskeltonus erhöht (Spastik, cave: Akutstadium) vermindert 9 02.03.2015 Typische Symptome - Zentrale Paresen - Zentrale Paresen normal Armparese rechts Facialisparese peripher Faciale Parese rechts Weitere Test Bell-Phänomen Prüfung M. frontalis Zoster oticus? Facialisparese Periphere Paresen (CTS) Duale Reihe HNO 10 02.03.2015 Weitere klinische Zeichen CTS • • • • • N. ulnaris Flaschenzeichen Daumenopposition und –pronation Atrophie lateraler Thenar Tinelzeichen Phalentest Fromentzeichen Kraftgrade nach MRC TREMOR 4 wichtige Fragen • Wann tritt er auf? • Ruhe • Bewegung (Intention) • Halten • Alleiniges Symptom? • Laufen, Sprechen • Verhalten bei Alkohol? • Familienanamnese Tremorfrequenz Tremortyp Frequenz Provokation Physiologischer T. Essentieller T. Parkinson-T. Cerebellärer T. Neuropathischer T. 0 5 10 15 Hz obligat fakultativ 11 02.03.2015 DD der 2 wichtigsten Tremor-Typen Charakteristika Parkinson-Tr. Ruhetremor Aktionstremor Frequenz Lokalisation: Hände / Arm Bein Kopf Larynx (Stimme) Verminderung durch Alkohol Ansprechen auf L-Dopa auf β-Blocker auf Primidon Familienanamese ++ + 4 - 6 (-8) Hz ++ + - (ev. Kiefer +) + (+) - essentieller Tr. (+) ++ 5 - 11 Hz ++ + + + +/+/50% positiv Differentialdiagnose PARKINSON ++ obligat, + typisch, (++) möglich, - atypisch akinetisch-rigide Syndrome • einfache Parkinson-Syndrome – idiopathischer Morbus Parkinson – sekundäre (symptomatische) Parkinsonsyndrome (v.a. medikamentös!) • Parkinsonismus begleitend – Hydrocephalus – vaskulär – … • Parkinson-plus-Syndrome – Multisystematrophie – Lewy-Körper-Krankheit/Demenz (lewy body disease) – progressive supranukleäre Blickparese (progressive supranuclear palsy, PSP; auch Steele-Richardson-Olszewski-Syndrom) Parkinson-plus-Syndrome Idiopathisches Parkinsonsyndrom obligate diagnostische Kriterien: mindestens 2 der 4: • Bradykinesie (Akinesie) • Rigor • 4-6 Hz Ruhetremor • Verlust primärer Bewegungsautomatismen – posturale Instabilität – Begleitmotorik (inklusive Mimik!) unterstützende diagnostische Kriterien: - klinische Zeichen • Multisystematrophie Gangataxie,, Sprachstörung, Demenz, Pyramidenbahn, Gangataxie vegetative Symptome (v.a. orthostatische Hypotonie) • gutes Ansprechen auf L-Dopa (L-Dopa-Test) • progressive supranukleäre Paralyse, PSP Blickparesen (v.a. vertikal), Stürze, Demenz • asymmetrische Symptomatik (unilateral beginnend) • Lewy Lewy--KörperKörper-Krankheit Halluzinationen,, Fluktuationen, Demenz Halluzinationen • progredienter Verlauf 12 02.03.2015 Ausschlusskriterien • • • • • • • • • • positive Familienanamnese (seltene Ausnahmen) stufenweise (statt schleichende) Verschlechterung Anamnese von mehreren Insulten und/oder TIAs Medis, die Parkinson verursachen können (<1 J.) initial schon Blickparesen initial schon Pyramidenbahnzeichen eindeutig cerebelläre Symptome initial deutliche vegetative Insuffizienz (Orthostase, …) frühe Demenz fehlendes Ansprechen auf hohe Dosen L-Dopa (> 6 W.) 13