Fortschritte in der Strahlentherapie – Spagat zwischen Anspruch, Möglichkeiten und wirtschaftlichen Zwängen P. Geyer Klinik für Strahlentherapie und Radioonkologie Vortrag am 9. November 2015 vor dem Landesverband Sachsen des VDI Gliederung 1. Krebs und –therapie in der Geschichte 2. Krebs und –therapie heute 3. Bestrahlungstechniken 4. Workflow und Technik 5. Vergleichende Betrachtungen 6. Ausblick 2 www.uniklinikum-dresden.de 1. Krebs und -therapie in der Geschichte Smith-Papyrus (Ursprung 2500 v.Chr.) enthält das medizinische Wissen von Imhotep, einem ägyptischen Arzt (um 2625 v.Chr.): der Fall 45 beschreibt ein Mammacarcinom („geschwollene Masse in der Brust“) und „ es gibt keine Therapie“ 3 www.uniklinikum-dresden.de 1. Krebs und -therapie in der Geschichte Dennoch gibt es in antiken und mittelalterlichen medizinischen Schriften nur sehr wenig Hinweise auf Krebserkrankungen, wogegen andere Krankheitsbilder (z.B. Lepra) ausführlich abgehandelt wurden. Was sind die Ursachen dafür? 4 www.uniklinikum-dresden.de 1. Krebs und –therapie in der Geschichte Krebs-Operationen im Mittelalter: Johannes Scultetus (1595 – 1645) beschreibt eine Mastektomie mittels Messer, Feuer, Säure und Lederbinden (lokale Therapie) Quelle: S. Mukherjee, Der König aller Krankheiten, DUMONT Verlag 2012 Warum zuerst bei Brustkrebs? 5 www.uniklinikum-dresden.de 1. Krebs und –therapie in der Geschichte 1895: Entdeckung der Röntgenstrahlen Röntgenbestrahlung eines Mammacarzinoms durch Dr. Chicotot (Gemälde von G. Chicotot, 1907) (lokale Therapie, fokussiert auf den Tumor) 6 www.uniklinikum-dresden.de 1. Krebs und –therapie in der Geschichte 2.12.1943: „Entdeckung“ der Chemotherapie Quelle: S. Mukherjee, Der König aller Krankheiten, DUMONT Verlag 2012 7 www.uniklinikum-dresden.de 1. Krebs und –therapie (in der Geschichte) Die drei Säulen der Krebstherapie Operation (lokale Therapie) Strahlentherapie (lokale Therapie) Chemotherapie (systemische Therapie) Concordiatempel, Agrigent, Sizilien 8 www.uniklinikum-dresden.de 2. Krebs und –therapie heute Die drei Säulen der Krebstherapie Kombinationstherapien Operation (lokale Therapie) → Weiterentwicklung Strahlentherapie (lokale Therapie) → neue Strahlarten, Individualisierung Chemotherapie (systemische Therapie) → neue Substanzen ??? z.B. Lasertherapie, ablative Verfahren, Immuntherapie… Concordiatempel, Agrigent, Sizilien 9 www.uniklinikum-dresden.de 2. Krebs und –therapie heute Krebs als Erkrankung des höheren Lebensalters! Inzidenz wächst mit Alterung der Gesellschaft weiter. Ca. jeder Dritte ist im Laufe des Lebens davon betroffen. Heilungsrate ca. 50 % 60 - 64 10 www.uniklinikum-dresden.de 2. Krebs und –therapie heute Was kennzeichnet Krebs? - unkontrolliertes Zellwachstum - invasives Wachstum in Umgebung - Metastasierung (über Blutbahn oder Lymphabflusswege) Es gibt solide und nichtsolide Tumoren. Tumoren bauen eigene Gefäßversorgung auf; Tumorzellen sind Zellen des eigenen Körpers! Wie dann selektiv bekämpfen? 11 www.uniklinikum-dresden.de 2. Krebs und –therapie heute Wie dann selektiv bekämpfen? Das „therapeutische Fenster“ am Beispiel der Strahlentherapie TCP: Tumorkontrollwahrscheinlichkeit (gewollt!) NTCP: Normalgewebskomplikationswahrscheinlichkeit (unerwünscht!) Warum ist das Normalgewebe strahlenunempfindlicher? 12 www.uniklinikum-dresden.de 2. Krebs und –therapie heute Wie dann selektiv bekämpfen ? oder das „therapeutische Fenster“ - Erscheint offensichtlich bei der Operation zu sein, aber Nähe zu kritischen Strukturen neben dem Operationsgebiet oder im Zugangskanal! - kaum möglich bei der Chemotherapie (Nebenwirkungen!) - viele Möglichkeiten bei der Strahlentherapie ● Begrenzung der Bestrahlungsfelder auf das Tumorvolumen (s. alte Röntgenbestrahlung) ● Kreuzfeuertechnik ● verschiedene Strahlungsarten und –energien ● unterschiedliche Fraktionierungs- und Dosierungsschemata ● Radiosensitizer…. 13 www.uniklinikum-dresden.de 3. Bestrahlungstechniken ● Begrenzung der Bestrahlungsfelder auf das Tumorvolumen eigentlich unabhängig von „Strahlenquellen“ (diese kommen später) Stand ca. 1970 PTV: Planning Target Volume 14 www.uniklinikum-dresden.de 3. Bestrahlungstechniken ● Begrenzung der Bestrahlungsfelder auf das Tumorvolumen eigentlich unabhängig von „Strahlenquellen“ (diese kommen später) Stand ca. 1980 15 www.uniklinikum-dresden.de 3. Bestrahlungstechniken ● Begrenzung der Bestrahlungsfelder auf das Tumorvolumen eigentlich unabhängig von „Strahlenquellen“ (diese kommen später) Stand ca. ab 1990 (MLC) 16 www.uniklinikum-dresden.de 3. Bestrahlungstechniken ● Begrenzung der Bestrahlungsfelder auf das Tumorvolumen eigentlich unabhängig von „Strahlenquellen“ (diese kommen später) MCP96-Absorber am Linearbeschleuniger Primus (Siemens) 17 www.uniklinikum-dresden.de 3. Bestrahlungstechniken ● Begrenzung der Bestrahlungsfelder auf das Tumorvolumen eigentlich unabhängig von „Strahlenquellen“ (diese kommen später) 58er-MLC am Linearbeschleuniger Primus (Siemens) 18 Primus (2002) Oncor (2005) Artiste (2008) Breite (cm) 1 (innerhalb ± 13,5 cm) 1 0,5 Anzahl 58 82 160 www.uniklinikum-dresden.de 3. Bestrahlungstechniken ● Begrenzung der Bestrahlungsfelder auf das Tumorvolumen 160er MLC des Artiste (Siemens): 80 leaf-Paare (Wolfram), 5 mm Breite im Isozentrum, max. Feldgröße im Isozentrum (40 x 40) cm2, max. Overtravel: 20 cm max. Overtravel 20 cm 19 www.uniklinikum-dresden.de 3. Bestrahlungstechniken ● Begrenzung der Bestrahlungsfelder auf das Tumorvolumen Elekta (links) und Varian (rechts) haben vergleichbare MLC, die im Gegensatz zu Siemens die leaves unter Bestrahlung fahren können (leave-Geschwindigkeit!) Quellen: elekta.com (links), varian.com (rechts) 20 www.uniklinikum-dresden.de 3. Bestrahlungstechniken ● Kreuzfeuertechnik (links als Rotationsbestrahlung, versus nur zwei opponierende Felder (rechts)) Nachteil (links): „Dosisbad“: Gefahr für Induktion von Sekundärmalignomen 21 www.uniklinikum-dresden.de 3. Bestrahlungstechniken ● verschiedene Strahlungsarten und –energien Einteilungen z.B. in - Teilchenstrahlung (Elektronen, Protonen, Schwerionen) - Photonenstrahlung Beschleunigt werden können nur die geladenen Teilchen. Die biologische Wirkung am Gewebe erfolgt auch bei Photonenstrahlung durch Teilchen (Sekundärelektronen), z.B. über DNS-Einfach- oder Doppelstrangbrüche. Maß ist die Energiedosis als Energieübertrag / Masse (des Gewebes) mit der Einheit Gray. 22 www.uniklinikum-dresden.de 3. Bestrahlungstechniken ● verschiedene Strahlungsarten und –energien: hochenergetische (6 MV) Photonen Wachsende Energie: Maximumstiefe wandert in größere Tiefe, rel. Dosis wächst in gleicher Tiefe Einstrahlrichtung Tumor Kritisches Organ 23 www.uniklinikum-dresden.de 3. Bestrahlungstechniken ● verschiedene Strahlungsarten und –energien: hochenergetische Elektronen (Teilchenstrahlung) Wachsende Energie: Reichweite wandert in größere Tiefe Einstrahlrichtung 24 www.uniklinikum-dresden.de 3. Bestrahlungstechniken ● verschiedene Strahlungsarten und –energien: hochenergetische Protonen (Teilchenstrahlung) vs. Photonen Photonen: breites Maximum in Tiefe von ≈ 10 – 20 mm Protonen: Maximum mit wählbarer Tiefe und Länge (SOBP) Einstrahlrichtung Quelle: Menkel, MTRA-Workshop Dresden 02-2015, Protonentherapie 25 www.uniklinikum-dresden.de 3. Bestrahlungstechniken ● verschiedene Strahlungsarten und –energien: hochenergetische Protonen (Teilchenstrahlung) vs. Photonen: Teilchenstrahlung ist empfindlich gegen Änderungen auf dem Eintrittspfad! Quelle: Menkel, MTRA-Workshop Dresden 02-2015, Protonentherapie 26 www.uniklinikum-dresden.de 4. workflow und Technik Tumor / OARIdentifikation Bestrahlungsplanung und Simulation Bestrahlung 27 www.uniklinikum-dresden.de 4. workflow und Technik Tumor / OAR (= organ at risk) –Identifikation: auf Basis CT, MR, PET-CT… Reproduzierbare Lagerung bis zu rigider Fixierung; Quelle (links u. Mitte): BrainLab AG 28 www.uniklinikum-dresden.de 4. workflow und Technik Tumor / OAR (= organ at risk) –Identifikation: auf Basis CT, MR, PET-CT… unterschiedliche bildgebende Verfahren; Atem-/Organbeweglichkeiten; Zielvolumenkonzepte… 29 www.uniklinikum-dresden.de 4. workflow und Technik Bestrahlungsplanung und Simulation: auf Basis der Planungs-CT-Scans und der gemessenen Strahlparameter (als sogenannte Basisdaten) in Bestrahlungsplanungssystemen Prostata-Ca.-Pläne mit 2 Protonenfeldern (links), Photonen-IMRT (Mitte) und 3D-konformaler Photonentechnik (rechts): beachte Margins, Ballon und „Dosisbad“ 30 www.uniklinikum-dresden.de 4. workflow und Technik Quelle: elekta.com Bestrahlung am medizinischen Linearbeschleuniger Oncor-160 (Siemens) mit In-room-CT (Siemens) und ExacTrac-X-Ray (Brainlab) 31 Quelle: Siemens www.uniklinikum-dresden.de 4. workflow und Technik Bestrahlung am medizinischen Linearbeschleuniger: Artiste (Siemens) mit X6 und X15, E6 bis E21 isozentrische Bestrahlungstechnik Gantry: ca. 1 t Gantrydrehachse Kollimator/Tischdrehachse Isozentrum 32 Gantrysag: ca. 0,7 mm Radius der Isozentrumskugel: ca. 1,5 mm www.uniklinikum-dresden.de 4. workflow und Technik Bestrahlung am medizinischen Linearbeschleuniger: Qualitätssicherung bei isozentrischer Bestrahlungstechnik mit der Therapiestrahlung Quelle: Brainlab AG 33 www.uniklinikum-dresden.de 4. workflow und Technik Bestrahlung am medizinischen Linearbeschleuniger: Artiste (Siemens) mit X6 und X15, E6 bis E21 Man muss auch treffen! Sag des Bilddetektors… 34 www.uniklinikum-dresden.de 4. workflow und Technik Bestrahlung am medizinischen Linearbeschleuniger: links Oncor 160 (Siemens) mit In-room-CT (Sensation Open, Siemens) und ExacTrac-X-Ray (BrainLab), rechts Synergy-Beschleuniger mit EPID und Röntgensystem (Elekta) Man muss auch treffen! Quelle: Praxis Distler, Bautzen 35 www.uniklinikum-dresden.de 4. workflow und Technik Man muss auch treffen! Positionsverifikation einer Prostata mit ExacTrac-X-Ray (Brainlab, links) und inroom-CT (Sensation Open, Siemens, rechts) Knochenkontrast (oder Fiducials) 36 Weichteilkontrast www.uniklinikum-dresden.de 4. workflow und Technik Weitere Linearbeschleunigergeometrien: isozentrischer Ringbeschleuniger Vero (Vero AG (Brainlab und Mitsubishi) mit 6-MV-Beschleuniger und ExacTrac-XRay-System in der Ringgantry größere mechanische Stabilität (Gantry sag→0); „atmender“ MLC 37 www.uniklinikum-dresden.de 4. workflow und Technik Weitere Linearbeschleunigergeometrien: isozentrischer Ringbeschleuniger Vero (Vero AG (Brainlab und Mitsubishi) mit 6-MV-Beschleuniger und ExacTrac-XRay-System in der Ringgantry größere mechanische Stabilität (Gantry sag→0); „atmender“ MLC 38 www.uniklinikum-dresden.de 4. workflow und Technik Weitere Linearbeschleunigergeometrien: quasi isozentrischer Ringbeschleuniger TomoTherapy (AccuRay Inc.) mit 6-MV-Beschleuniger und CT in der Ringgantry; Tisch fährt in Gantry wie bei CT größere mechanische Stabilität (Gantry sag→0); optimal für Behandlung langgestreckter Zielvolumina Quelle: accuray.com 39 www.uniklinikum-dresden.de 4. workflow und Technik Weitere Linearbeschleunigergeometrien: nicht isozentrischer 6-MV-Beschleuniger auf Roboterstativ Cyberknife (AccuRay Inc.) mit 6-MV-Beschleuniger und stereoskopischem Röntgensystem KleinfeldHochpräzisionsbestrahlung mit nahezu real-time Bewegungskompensation Quelle: accuray.com 40 www.uniklinikum-dresden.de 4. workflow und Technik Protonenbeschleuniger mit isozentrischer Gantry 41 www.uniklinikum-dresden.de 4. workflow und Technik Protonenbeschleuniger mit isozentrischer Gantry Dresdner Zyklotron: Quelle: D. Kunath, S. Menkel 42 Durchmesser 4 m Masse 200 t Protonenenergie 230 MeV www.uniklinikum-dresden.de 4. workflow und Technik Protonenbeschleuniger mit isozentrischer Gantry Dresdner Gantry: Masse = 120 t Durchmesser = 10 m Rotation = ± 185° Quelle: D. Kunath, S. Menkel 43 www.uniklinikum-dresden.de 4. workflow und Technik Protonenbeschleuniger im UKD: zwei Bestrahlungsverfahren Quelle: D. Kunath, S. Menkel 44 www.uniklinikum-dresden.de 4. workflow und Technik Schwerionenbeschleuniger im HIT (Heidelberg): weltweit erste 360o-Gantry für Schwerionen (z.B. C12 bis 5,16 GeV) und Protonen (ermöglicht vergleichende klinische Studien) Masse = 670 t Durchmesser = 13 m Länge = 25 m Quelle: Universitätsklinikum Heidelberg, Pressestelle 45 www.uniklinikum-dresden.de 5. Vergleichende Betrachtungen ● Medizinischer „Nutzen“ kann nur in umfangreichen vergleichenden prospektiven Studien nachgewiesen werden (begrenzt durch die Zahl der Zentren!) ● Krankenkassen zahlen in der Regel erst, wenn positive Studienergebnisse für eine Therapiemodalität vorliegen ● Verträge teilweise nur mit speziellen Krankenkassen (z.B. Uniklinkum Dresden mit AOK Sachsen): Kostenerstattung für Protonentherapie: ca. 20 TEuro zum Vergleich: kurative Photonentherapie ca. 2 – 3 TEuro Grobe Abschätzung für aktuelle Krebsinzidenzraten und den Anteil der Patienten, der eine Strahlentherapie erhält: jährliche Kosten für nur Photonentherapien: ca. 400 Mio Euro jährliche Kosten für nur Protonentherapie: ca. 4 Mrd Euro aber die Verfügbarkeit… 46 www.uniklinikum-dresden.de 5. Vergleichende Betrachtungen Photonenbeschleuniger Protonenanlage umbauter Raum (m3) 500 50000 Personal 5 40 Gerätekosten1) 3 Mio Euro 120 Mio Euro Anzahl in D 550 5 Anzahl weltweit 60 1) Kostenunterschiede sind nicht durch vorstehend genannte Erlösdifferenzen abgedeckt 47 www.uniklinikum-dresden.de 6. Ausblick Fokker 70 Concorde Idee: W. Enghardt ? Photonenbeschleuniger 48 Protonenanlage www.uniklinikum-dresden.de 6. Ausblick Ziel: Kosten- und Volumenreduktion der Protonentherapieanlagen (z.B. durch laserinduzierte Protonen (ultrakurze Laserimpulse im Bereich mehrerer 100 Terawatt) oder andere Lösungen) in 10 … 20 Jahren??? 49 www.uniklinikum-dresden.de Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. [email protected]