Traumatisierung und Traumabehandlung des gewaltbetroffenen Elternteils Rolf Keller, Ltd. Psychologe 14.10.2014 AHG Kliniken Berus Europäisches Zentrum für Psychosomatik und Verhaltensmedizin Orannastraße 55, D-66802 Überherrn-Berus, Tel.: 0049/6836/39/0 http://www.ahg.de/berus © AHG KLINIKEN BERUS AHG Kliniken Berus Europäisches Zentrum für Psychosomatik und Verhaltensmedizin und Krankenhaus für Psychosomatik und Psychotherapie 2 Traumatisierung und Traumabehandlung des gewaltbetroffenen Elternteils Inhalt 1. Einleitung: Häusliche Gewalt und Traumatisierung 2. Symptomatik, Epidemiologie und Erklärungsmodelle von PTSD 3. Diagnostik und Behandlung von PTSD 4. Therapie-Wirksamkeit und Empfehlungen bei PTSD 5. Spezielle Aspekte psychischer Traumatisierung 6. Anlaufstellen und Literatur Akute somatische Anzeichen für Gewalteinwirkung (Arbeitskreis Häusliche Gewalt bei der Ärztekammer Niedersachsen) Physische Verletzungen durch Sichtbare Zeichen der Gewalteinwirkung Essensentzug Unterernährung, Mangelernährung Fesseln Hämatome, Prellungen, Quetschungen, Schürf- und Kratzwunden, Schwellungen Schläge mit der Faust, der flachen Hand oder Gegenständen Platzwunden, Frakturen, schlecht verheilte alte Frakturen, fehlende Frontzähne, Verletzungen v.a. im Bereich Oberarme, Rücken, Gesicht, Amnesie Stöße Hämatome, Prellungen, Schürfwunden, Verletzungen im Bereich des Beckens, Rücken, Ober- und Unterschenkel, Rippenbrüche Tritte Schürfwunden, Verletzungen an Ober- und Unterschenkeln, Hämatome, Prellungen an Rücken und Bauch Verbrennung duch heißes Wasser oder ausgedrückte Zigaretten Gesichts- und Unterarmverletzungen, Brandblasen, schlecht verheilte offene Wunden, Brandnarben Würgen Würgemale, Hämatome, Schürf-/Kratzwunden Sonstiges Stich- und Bissverletzungen, Zahnabdrücke Sexualisierte Gewaltattacken Vaginale und anale Verletzungen, Hämatome an den Innenseiten des Oberschenkelns, starke Blutungen Somatische Beschwerden bei Traumatisierung durch Gewalt • Thoraxschmerz • Zervikal-, Schulter-Arm-Syndrom • Herzrasen, Arrhythmie • Kopfschmerz (auch bei Kindern häufig), Migräneattacken • Verdauungsbeschwerden (bei Kindern oft Einnässen, Einkoten) • Atemstörungen, Asthma bronchiale • Bauchschmerz (auch bei Kindern häufig) • Menstruationsbeschwerden • Diffuse Unterleibs-/Bauchbeschwerden ohne organische Ursache Psychosoziale Folgen bei Erwachsenen • Angstzustände / Panikattacken • Schlafstörungen / Albträume • Essstörungen • Alkohol- / Tablettenabusus • Isolation • Depression • Ekel gegenüber dem eigenen Körper • Infertilität • Autoaggression • Interpersonale Störungen (z.B. sozialer oder psychischer Rückzug) • Aufbrausende oder unterdrückte Wut Was sollte bei der ärztlichen Untersuchung dokumentiert werden? (Arbeitskreis Häusliche Gewalt bei der Ärztekammer Niedersachsen) • Befunderhebende Person, Ort, Datum, Uhrzeit der Dokumentation • Persönliche Daten der Patientin • Beschreibung des Herganges in den eigenen Worten der Patientin • Vorgeschichte mit Angaben zu eventuellen früheren Misshandlungen • Systematische Untersuchung des gesamten Körpers mit orientierender neurologischer Untersuchung Entwicklung psychischer Traumafolgestörungen Ressourcen Psychische Psychische Störungen Störungen z.B. z.B. - Anpassungsstörungen - Depressive Störungen Vulnerabilität TRAUMA TRAUMA TRAUMA TRAUMA TRAUMA TraumaBewältigung - Depressive Störungen - Angststörungen - Angststörungen - Somatoforme Störungen Einfache PTSD -- Komplexe PTSD - Somatoforme Störungen - Dissoziative Störungen Belastungen - Alkoholmissbrauch -Persönlichkeitsstörung - ... nach Extermbelastung Akute Belastungsreaktion DSM-IV 308.3 (ICD-10 F 43.0) A. Konfrontation mit einem oder mehreren traumatischen Ereignissen - Tatsächlicher oder drohender Tod oder ernsthafte Verletzung von sich oder anderen - Reaktion mit intensiver Furcht, Hilflosigkeit oder Entsetzen B. Mindestens 3 dissoziative Symptome - Emotionale Taubheit - Beeinträchtigung der bewussten Wahrnehmung der Umwelt („wie betäubt sein“) - Derealisationserleben - Depersonalisationserleben - Dissoziative Anmnesie (Unfähigkeit, sich an einen wichtigen Aspekt des Traumas zu erinnern) C. Ständiges Wiedererleben - Wiederkehrende Bilder, Gedanken, Träume, Illusionen, Flashback-Episoden oder das Gefühl, das Trauma wiederzuerleben, oder starkes Leiden bei Reizen, die an das Trauma erinnern Akute Belastungsreaktion DSM-IV 308.3 (ICD-10 F 43.0) D. Deutliche Vermeidung von Reizen, die an das Trauma erinnern - z.B. Gedanken, Gefühle, Gespräche, Aktivitäten, Orte oder Personen E. Deutliche Symptome von Angst oder erhöhtem Arousal - z.B. Schlafstörungen, Reizbarkeit, Konzentrationsschwierigkeiten, Hypervigilanz, übertriebene Schreckreaktion, motorische Unruhe F. In klinisch bedeutsamer Weise Leiden oder Beeinträchtigung G. Dauer: Mindestens 2 Tage bis höchstens 4 Wochen nach Trauma H. Nicht anderweitig erklärbar - Körperliche Wirkung einer Substanz (z.B. Droge, Medikament) - Medizinischer Krankheitsfaktor - Kurze psychotische Störung - usw. Posttraumatische Belastungsstörung (PTSD) Diagnosekriterien nach DSM IV Traumatisches Ereignis* Symptomgruppe Erinnerungsdruck* Symptomgruppe Vermeidung/ emotionale Taubheit* Symptomgruppe chronische Übererregung* Beeinträchtigung mit Todesbedrohung oder ernsthafter Verletzung von sich oder anderen Intrusionen / Flahbacks belastende Träume/Alpträume Nachhallerlebnisse Belastung durch Auslöser physiologische Reaktionen bei Erinnerung * für Diagnose notwendig * für Diagnose 1 Symptom notwendig Gedanken- und Gefühlsvermeidung Aktivitäts- oder Situationsvermeidung (Teil-) Amnesien (Erinnerungslücken) Interessenverminderung Entfremdungsgefühl eingeschränktes emotionales Erleben eingeschränkte Zukunftsperspektiven * für Diagnose 3 Symptome notwendig Ein- und Durchschlafstörungen erhöhte Reizbarkeit Konzentrationsschwierigkeiten Über-Wachsamkeit übermäßige Schreckreaktion * für Diagnose 2 Symptome notwendig Dauer der Beeinträchtigung: länger als 1 Monat Belastungen oder Beeinträchtigungen sind bedeutsam DESNOS (APA 1996) Komplexe Traumatisierung (Hermann, 1992) A. Störungen der Regulierung des affektiven Erregungsniveaus (1) chronische Affektdysregulation (2) Schwierigkeit, Ärger zu modulieren (3) selbstdestruktives und suizidales Verhalten (4) Schwierigkeiten im Bereich des sexuellen Erlebens, v.a. der Hingabefähigkeit (5) impulsive und risikoreiche Verhaltensweisen B. Störungen der Aufmerksamkeit und des Bewusstseins (1) Amnesie (2) Dissoziation C. Somatisierung D. Chronische Persönlichkeitsveränderungen (1) Änderung in der Selbstwahrnehmung: chron. Schuldgefühle, Selbstvorwürfe; Gefühle, nichts bewirken zu können; Gefühle, fortgesetzt geschädigt zu werden (2) Änderungen in der Wahrnehmung des Schädigers: verzerrte Sichtweisen und Idealisierungen des Schädigers (3) Veränderung der Beziehung zu anderen Menschen (a) Unfähigkeit zu vertrauen und Beziehungen mit anderen aufrechtzuerhalten (b) Tendenz, erneut Opfer zu werden (b) Tendenz, andere zum Opfer zu machen E. Veränderungen in Bedeutungssystemen (1) Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit (2) Verlust der bisherigen Lebensüberzeugungen Traumatyp* und Art der Traumatisierung Traumatyp I kurz andauernd / einmalig Traumaty II lang andauernd / wiederholt Eine Ereignisart „einfache Traumatisierung“ vom Typ I z.B. Überfall Sequentielle Traumatisierung vom Typ II z.B. jahrelanger Kindesmissbrauch Mehrere Ereignisarten Polytraumatisierung vom Typ I z.B. Überfall und Vergewaltigung Sequentielle Polytraumatisierung vom Typ II z.B. z.B. jahrelang Kindesmissbrauch und häusliche Gewalt „Komplexe“ Traumatisierung *Terr, 1989 Ereignisfaktoren und Traumafolgestörung (hypothetisches Modell) Traumaschwere Kontrollverlust Persönl. Störung nach Extrembelastung Dissoziative Störungen Häufigkeit/Dauer der Ereignisse Komplexe PTSD Voll ausgeprägte einfache PTSD Partielle PTSD bei Angst-/depressiven/sonstigen Störungen Häufigkeit von Traumata und PTSD Studie aus den USA (Kessler et al., 1995) Art des Traumas Häufigkeit des Traumas (%) Störungshäufigkeit PTSD (Lebenszeitinzidenz) nach Trauma (%) Vergewaltigung Sexuelle Belästigung Krieg Waffengewaltandrohung Körperliche Gewalt Unfälle Zeuge (von Unfällen, Gewalt) Feuer/Naturkatastrophen Misshandlung in der Kindheit Vernachlässigung in der Kindheit Andere lebensbedrohliche Situationen Andere Traumen Irgendein Trauma 5,5 7,5 3,2 12,9 9,0 19,4 25,0 55,5 19,3 38,8 17,2 11,5 7,6 7,0 17,1 4,0 4,5 35,4 2,7 21,8 11,9 7,4 2,5 60,0 23,5 14,2 Häufigkeit von PTSD Flatten et al. (2013), S-3 Leitlinie Prävalenzraten für PTSD nach • Vergewaltigung ca. 50% • anderen Gewaltverbrechen ca. 25% • bei Kriegs-, Vertreibungs- und Folteropfern ca. 50% • bei Verkehrsunfallopfern ca. 10% • bei schweren Organerkrankungen (Herzinfarkt, Malignome) ca. 10% 16 Verlauf und Prognose von PTSD Verlauf von PTSD ohne Behandlung • 1/3 Selbstheiler nach 1 Jahr (gute Prognose) • 1/3 Selbstheiler nach 10 Jahren (mittlere Prognose) • 1/3 chronischer Verlauf (schlechte Prognose) (Kessler et al., 1995) Verlauf von PTSD bei Behandlung • Gute bis sehr gute Prognose bei adäquater Behandlung: bis zu 90% Heilungschancen (Maercker, 2003; Flatten et al., 2004) • 50% symptomfrei nach 3 Jahren Therapie (Kessler et al., 1995) Entwicklung psychischer Störungen bei psychischer Traumatisierung Ressourcen Psychische Störungen z.B. - Anpassungsstörung Vulnerabilität TRAUMA TraumaBewältigung - depressive Störung - Angststörung - Posttraumatische Belastungsstörung - Somatoforme Störungen Belastungen - Alkoholmissbrauch - ... Risikofaktoren für PTSD (Vulnerabilität) • Alter: Kinder und ältere Menschen besonders gefährdet • Geschlecht: Frauen besonders gefährdet • Vorbelastung: Frühere traumatische Erlebnisse • Vorbelastung: Prämorbide eigene psychische Störungen • Psychosoziale Variablen (z.B. niedriger sozioökonomischer Status, Psychische Erkrankungen eines Elternteils) Ereignisfaktoren mit Einfluss auf die Entwicklung einer PTSD • Unerwartetheit (subjektiv plötzlich und unvorbereitet) • Dauer und Schweregrad (je länger dauernd und je subjektiv schwerer belastend, desto eher traumatisierend) • Kontrollierbarkeit (subjektive Hilflosigkeit) • Interpersonelle Brutalität (subjektives Ausmaß an und Bedeutung von Gewalt) Schutzfaktoren mit Einfluss auf die Entwicklung einer PTSD • Kohärenzsinn (subjektive Erklärbarkeit/Sinnhaftigkeit) • Soziale Unterstützung • Bewältigungsmechanismen, v.a. - aktiver, lösungsorientierter Bewältigungsstil - Auseinandersetzung statt Vermeidung (kognitiv und im Verhalten) Angst ist sinnvoll und notwendig als ... (aus Wittchen 1997) Alarmsignal ... Vorbereitung des Körpers ... Alarmreaktion ... auf schnelles Handeln Energiebereitstellungsreaktion Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse Gefahr!!! Hirnanhangsdrüse (Hypophyse) Nebennierenrinde Stress-Hormone weitere funktionelle Körperreaktionen Atemfrequenz Herzfrequenz Aktivität Verdauungstrakt Schwindel Sehstörungen Durchblutung u. Muskeltonus Bewegungsapparat Bedeutung des Traumas und Gefühle Hilflosigkeit Schock Schuldgefühl Verzweiflung Aggression Trauer Angst/Panik Mitleid Neurophysiologisches Modell der blockierten Informationsverarbeitungsprozesse bei Trauma frontales Großhirn = Integration u. Planung Amygdala “Mandelkern” = gefühlsmäßige Bedeutungszuschreibung u.a. Broca-Sprachzentrum = sprachlicher Ausdruck Folgen der Informationsblockade Informationsblockade durch Neurohormone • • • • • • Adrenalin Noradrenalin Cortisol Endogene Opiate Dopamin Serotonin • bruchstückhafte Erinnerungen - Bilder (z.B. Unfallhergang) - Geräusche (z.B. Schüsse) - Gerüche (z.B. Brandgeruch) - Tasteindrücke (z.B. Stöße) - Geschmack (z.B. salzig) - Gefühle (z.B. Hilflosigkeit) - Körperreaktionen (z.B. Schmerzen) • keine Zeitstruktur • oft Sprachlosigkeit Hippocampus “Seepferdchen” = “Weltkarte” mit zeitlicher und räumlicher Struktur Angstkurvenverlauf bei Auseinandersetzung und Vermeidung (Konfrontationsrational) Angststärke Vermeidung Auslöser Katastrophenphantasien z.B. „ich halt`s nicht mehr aus!“ Unterdrückung bzw. dagegen Ankämpfen Vermeidung durch Ablenkung Erfolgreiche Konfrontation Zeit Diagnostik bei PTSD an der AHG Klinik Berus Allgemeine Diagnostik PTSD-spezifische Diagnostik • • • • • • Strukturiertes klinisches Interview: - DIPS (Margraf et al., 1994) • Fragebögen: - IES-R (Weis und Marmar, 1996; übers. v. Maercker und Schützwohl, 1998) Anamnese Vorbefunde Selbstbeobachtung Fremdbeobachtung Medizinische Diagnostik - körperliche Untersuchung - Laborparameter - Apparative mediz. Diagnostik (z.B. Sonographie) - Konsile (z.B. orthopädisch) - PDS (Foa et al., 1995; übers. v. Steil und Ehlers, 1996) Weitere psychologische Diagnostik im Hinblick auf Komorbidität • Fragebögen: - BDI (Beck & Steer, 1967; übers. v. Hautzinger et al., 1995) - SCL-90-R (Derogatis et al., 1973; übers. v. Franke, 1995) Ansatzpunkte für Prävention und Behandlung Ressourcen Psychische Störungen z.B. Anpassungsstörung Depressive Störung Vulnerabilität TRAUMA TraumaBewältigung Angststörung Posttraumatische Belastungsstörung Somatoforme Störungen Belastungen Primäre Prävention - Schulung - Supervision - Selbsterfahrung Sekundäre Prävention - Krisenintervention - Frühintervention - Supervision Alkoholmissbrauch - ... Tertiäre Prävention - Ambulante Psychotherapie - Rehabilitation Theoretische Empfehlungen für die klinische Trauma-Arbeit Flatten, G., Gast, U., Hofmann, A., Liebermann, P., Reddemann, L., Wöller, W., Siol, T. & Petzold, E. (Hrsg.) (2004). Posttraumatische Belastungsstörung. Leitlinie und Quellentext. 2. Auflage. Stuttgart: Schattauer. Flatten, G., Gast, U., Knaevelsrud, Ch., Lampe, A., Liebermann, P., Maercker, A., Reddemann, L. und Wöller, W. (2011). S3 – Leitlinie Posttraumatische Belastungsstörung. Trauma & Gewalt, 3, 202-210. Frommberger, U. & Keller, R. (Hrsg.). Empfehlungen von Qualitätsstandards für stationäre Traumatherapie. Indikation, Methoden und Evaluation stationärer Traumatherapie in Rehabilitation, Akutpsychosomatik und Psychiatrie. Lengerich: Pabst Science Publishers. Phasen einer Traumatherapie (vgl. Flatten et al., 2004 und 2011; Frommberger & Keller, 2007) Schwerpunkt Inhalte Phase Diagnostik Diagnosestellung (ICD-10) Diagnost. Vorphase Differential-Diagnostik (oder in Phase 1) Stabilisierung Affektregulation Flashback-Stopp Dissoziations-Stopp 1. Stabilisierungsphase Konfrontation Traumabearbeitung Abbau von Vermeidung 2. Konfrontationsphase Integration Trauerarbeit/Akzeptanz Neubewertung Neuorientierung 3. Integrationsphase Indikation für ambulante oder stationäre Therapie bei Traumafolgestörungen leichtere Fälle ausreichende Stabilität Intervalltherapie Indikation zu Traumatherapie akute Suizidalität massive Selbstschädigung fehlende Rehafähigkeit Rehabedürftigkeit Rehafähigkeit positive Rehaprognose Stationäre Akutversorgung Psychiatrie Ambulante Traumatherapie Teil-/Stationäre medizinische Rehabilitation Keller (2011) 3-Phasen-Modell der Traumatherapie Vergangenheit 2) Konfrontation Gegenwart Zukunft 1) Stabilisierung 3) Integration Zielsetzungen von Stabilisierungstechniken Stabilisierung Spannungsabbau Dissoziationsstopp Distanzierung (Flashbackstopp) Stabilisierungsmethoden im Überblick • Psychoedukation zu Trauma und Traumabewältigung - Einzeltherapie - Traumagruppe • Vermittlung/Einüben von Techniken zu Spannungsreduktion - Sport- und Bewegungstherapie, Aktivitätsplanung - Entspannungsverfahren (PMR, Tiefenentspannung, Atemtherapie) - Euthyme Angebote (z.B. Yoga, Tai Chi, Achtsamkeitstraining) • Vermittlung/Einüben von Techniken zum Flashback-Stopp - Distanzierungstraining in der Gruppe - Übungen in der Einzeltherapie - Übungselemente in der Traumagruppe • Vermittlung/Einüben von Techniken zum Dissoziations-Stopp - Distanzierungstraining in der Gruppe - Übungen in der Einzeltherapie - Übungselemente in der Traumagruppe • Psychopharmaka - adjuvant, falls notwendig Trauma Zielsetzungen von Konfrontationstechniken TraumaVerarbeitung Habituation (Gewöhnung) Abbau von dysfunktionalen kognitiven und motorischen Vermeidungsreaktionen Informationsverarbeitungsprozesse Verstehen und Neubewerten Förderung von Kohärenzsinn, Selbstbestimmung, Selbstwirksamkeit Förderung von kognitivem Prozessieren bei Zuhilfenahme neuer Informationen “Trauma-U” (in Anlehnung an Hofmann, 1999) Wohlbefinden "Es geht mir endlich besser" Integration "Es geht mir schlecht" Stabilisierung "Es geht mir noch schlechter" Trauma-Verarbeitung Zeit Domino-Effekt bei Traumakonfrontation Komplexe PTSD Konfrontation T8 T7 © AHG KLINIK BERUS Kontraindikationen für Traumakonfrontation S3-Leiltinien (Flatten et al., 2011) Relative Kontraindikationen • • • • • Mangelnde Affekttoleranz Akuter Substanzkonsum Instabile psychosoziale und körperliche Situation Komorbide dissoziative Störung Unkontrolliert autoaggressives Verhalten Absolute Kontraindikationen • • • Akute Psychose Schwerwiegende Störungen der Verhaltenskontrolle (in den letzten 4 Monaten: lebensgefährlicher Suizidversuch, schwerwiegende Selbstverletzung, Hochrisikoverhalten, schwerwiegende Probleme mit Fremdaggressivität) Akute Suizidalität Konfrontationsmethoden im Überblick • Prolongierte Konfrontationsübungen zum Abbau dysfunktionaler Vermeidung - in sensu/in vivo - traumatische Ereignisse/Auslöser/Traumafolgen - graduiert/„dosiert“ im Wechsel mit Stabilisierungstechniken - konkret vs. abstrakt/metakognitiv • Kognitive Verhaltenstherapie zur Änderung dysfunktionaler Kognitionsmuster - „Realitätstestung“ - Entkatastrophisieren - Kognitive Umstrukturierung • EMDR • Kreative Methoden der Ergotherapie - Malen - Arbeiten mit Ton - Kollagen • Körpererfahrungstraining Trauma Sichtweise des Traumas und Gefühle Schuldgefühle Täter Hilflosigkeit Mitleid Zeuge Angst Aggression Opfer Zielsetzungen von Integrationstechniken Trauma Re-Stabilisierung Rückfallprophylaxe Akzeptanz Integrationsmethoden im Überblick • Re-Stabilsierung - Kognitive Techniken (z.B. Waage-Modell) - Selbstsicherheitstraining (v.a. Abgrenzungsfähigkeit!) - Körpererfahrung (Selbstwahrnehmung und -akzeptanz, Nähe-Distanz-Regulation usw.) - Aufbau euthymer Aktivitäten (z.B. Gestalten, Genusstraining, Musiktherapie; Achtsamkeitstraining) - Entspannungsmethoden (PMR, Tiefenentspannung, Atemtherapie) - Sport- und Bewegungstherapie (v.a. Ausdauersport) • Akzeptanz - Kognitive Therapie (Tagebuch, Brief an Verstorbenen, Friedhofbesuch usw.) - Metahper: Steinpalme Trauma • Rückfallprophylaxe - Imagination zur Perspektivenklärung (z.B. Tempel der Zukunft) - Präventionsplan, Rückfallbewältigungsplan, Verhaltenserprobungen - Berufliche und soziale Reintegration (Sozio-/Arbeitstherapie) - Klärung der Nachsorge (z.B. Intervalltherapie) AHG KLINIK BERUS Behandlungsempfehlungen Ausreichende Stabilität? ja nein Trauma-Bewältigung durch dosierte Traumakonfrontation mit Stabilisierung Trauma-Bewältigung durch kompensatorischen Ressourcenaufbau zur Stabilisierung zur Trauma-Bearbeitung ohne Trauma-Bearbeitung Wirksamkeit von Psychotherapie (Traumatherapie) bei PTSD 1. S3-Leitlinien (2011/2013): Traumaspezifische bzw. Traumaadaptierte Verfahren sind Voraussetzung für einen Therapieerfolg 2. Kritische Übersichten (z.B. Cloitre, 2009) über randomisierte, kontrollierte Studien ergeben die besten Wirksamkeitsnachweise (hohe Effektstärken) für - Verhaltenstherapie (VT): a) Expositionsbehandlung b) Kognitive VT - Eye Movement Desensitization and Reprocessing (EMDR) 3. Auch stationäre Traumatherapie wirkt langfristig (z.B. Frommberger & Keller, 2007), jedoch fehlen noch kontrollierte Studien 4. Oft ist Intervalltherapie sinnvoll (v.a. bei Komplex-Traumatisierten) Beispiel für Coabhängigkeit Verantwortungsbewusstsein Kontrollbedürfins „Die (für andere) Starke“ Alkohol Abhängiger Vater Coabhängiges 1. Kind Coabhängiges 2. Kind Verantwortungsbewusstsein Coabhängige Mutter Coabhängiges 3. Kind Suchtproblematik Leistungs- und Rückzugsbedürfnis Psychosomatische Erkrankungen Erfolgsorientierung Rücksichtnahme, Anpassung Verhaltensauffälligkeit „Stolz der Familie“ „Das stille Kind“ „Das Sorgenkind“ Teufelskreis von Trauma und Sucht Traumafolgen Alkohol Drogen Medikamente Missbrauch / Abhängigkeit Trauma Sucht Suchtfolgen Keine Traumabewältigung Psychische / körperliche Gewalt (Opfer / Täter) Familienkonstellationen Triaden und Konflikte V + + V M + V + - M + V - + + K K K - - - - M + K V + M - K V M - M - K Problematische Familienkonstellationen • Instabile familiäre Beziehungsmuster fehlender Halt, Unsicherheit • Wechselnde Koalitionen / Loyalitätskonflikte Schuldgefühle • Triangulation („Postbote“ zwischen den Eltern) Angst und Schuldgefühle • Offene vs. verdeckte Konflikte Angst, Hilflosigkeit, Aggression • Coabhängigkeit Sorge, Verantwortungsdruck, Mitleid, Aggression • Wechselnde Partnerschaften der Eltern (v.a. Mutter) Verlustangst, Aggression Reviktimisierung Ressourcen Vulnerabilität TRAUMA Traumabewältigung und Risikoverhalten Belastungen TRAUMA Risikofaktoren für eine Reviktimisierung • Unzureichende Reflektion von Risiken und Gefahren •Täter-Opfer-Bindung •Weitere ungünstige Beziehungsmuster - Gutgläubigkeit / blindes Vertrauen - Bedürfnis nach starkem, schutzgebendem Partner - Erlernte Hilflosigkeit - Abhängigkeit / Coabhängigkeit - ... •Sieg-oder-Niederlage-Denken / „Kämpfernatur“ •„Einzelkämpfertum“ - Alles mit sich alleine ausmachen wollen / müssen Schutzfaktoren gegenüber einer Reviktimisierung • Rechtzeitiges Erkennen und Distanzieren von Gefahren • Erkennen des Risikoverhaltens - Beziehungsmuster - Aufsuchen von Gefahrensituationen • Unterbindung des Täter-Kontakts • Abgrenzungsfähigkeit / Distanzierungsfähigkeit - Verbale Abgrenzungsfähigkeit - Nonverbale Abgrenzungsfähigkeit (Körpersprache) - Wissen um die eigene Abgrenzungsfähigkeit (z.B. Selbstverteidigung) • Verfügbarkeit eines Helfersystems Probleme mit Traumatisierten vor Gericht • Risiko der „Retraumatisierung“ Druck / Angst / Ausgeliefertsein • Befragungssituation kann zu Falschaussagen führen, damit der Druck bald nachlässt Dekompensationsrisiko, Angst vor dem Täter • Falsche Erinnerungen („False Memory“) mangelnde Glaubwürdigkeit durch z.B. - (Teil-) Amnesien - Wunsch der lückenlosen und stimmigen Rekonstruktion - Rachephantasien / Bestrafungswünsche - Persönlichkeitsstörung Glaubwürdigkeit von Zeugenaussagen Traumatisierter (1) Hinckeldey und Fischer (2002): Modifikation der aussagepsychologischen Kriterien für Einzelaussagen nach Undeutsch (1993) 1. Verankerung des Geschehens in konkreten Lebenssituationen - eher Diskontinuität statt Kontinuität zu erwarten Faustregel bei peritraumatischer Dissoziation: die Situation wird entweder affektiv oder kognitiv korrekt erinnert (implizites und explizites Gedächtnis) 2. Konkretheit, Deutlichkeit, Anschaulichkeit - Mischung von Amnesie und Hypermnesie 3. Detailreichtum - nur bedingt anwendbar, eher fragmentiert statt detailreich Glaubwürdigkeit von Zeugenaussagen Traumatisierter (2) Hinckeldey und Fischer (2002): Modifikation der aussagepsychologischen Kriterien für Einzelaussagen nach Undeutsch (1993) 4. Originalität - verwendbar, soweit Gedächtnisinhalte verfügbar sind; eher bizarr als originell 5. Innere Stimmigkeit und Folgerichtigkeit - wird durch Notwendigkeit der Traumakompensation modifiziert und in sich brüchig 6. Delikttypische Details - eher fragmentierte Details fügen sich in ein delikttypisches Täterskript Sonderausprägungen vorgenannter Kriterien siehe Hinckeldey und Fischer (2002) Anlaufstellen für Frauen mit Gewalterfahrungen • Polizei Infos für Opfer auch im Internet: Programm polizeiliche Kriminalprävention der Länder und des Bundes (ProPK) www.polizei.propk.de/rathilfe/opferinfo • Frauennotruf • Frauenhäuser / Frauenaufnahmeheim • Beratungsstellen für ausländische Frauen • Ehe-, Erziehungs- und Lebensberatungsstellen • Kommunale Frauenbeauftragte • Sozialdienst der Justiz beim Landgericht • AHG Kliniken Berus (Trauma-Ambulanz) • WEISSER RING Fachliteratur (1) Leitlinien zu PTSD • Flatten, G., Gast, U., Hofmann, A., Liebermann, P., Reddemann, L., Wöller, W., Siol, T. & Petzold, E. (Hrsg.) (2004). Posttraumatische Belastungsstörung. Leitlinie und Quellentext. 2. Auflage. Stuttgart: Schattauer. • Flatten, G., Gast, U., Knaevelsrud, Ch., Lampe, A., Liebermann, P., Maercker, A., Reddemann, L. und Wöller, W. (2011). S3 – Leitlinie Posttraumatische Belastungsstörung. Trauma & Gewalt, 3, 202-210. • Flatten, G., Gast, U., Hofmann, A., Knaevelsrud, C. Lampe, A., Maercker, A. Reddemann, L., Wöller, W., (Hrsg.) (2013). Posttraumatische Belastungsstörung. S3-Leitlinie und Quellentexte. 2. Auflage. Stuttgart: Schattauer GmbH. Fachliteratur (2) • Ehlers, A. (1999). Posttraumatische Belastungsstörung. Göttingen: HogrefeVerlag. • Ehlers, A., Steil, R., Winter, H., Foa, E.B. (1996). Deutsche Übersetzung der Posttraumatic Stress Diagnostic Scale (PDS). Oxford: Department of Psychiatry, Warnford Hospital, University Oxford. • Herbert, C. (2002). Traumareaktionen verstehen und Hilfe finden. Ein Ratgeber für Traumaüberlebende, ihre Familien und Menschen, die mit Traumatisierten arbeiten. Witney, Oxon: Blue Stallion Publications. • Hofmann, A. (1999). EMDR in der Therapie psychotraumatischer Belastungssyndrome. Stuttgart, Thieme. • Hinkeldey, S. v. & Fischer, G. (2002). Psychotraumatologie der Gedächtnisleistung. München: Ernst Reinhardt Verlag. • Maercker, A. (2003): Erscheinungsbild, Erklärungsansätze und Therapieforschung. In: A. Maercker (Hrsg.) Therapie der posttraumatischen Belastungsstörungen, 2. Auflage, (3–35). Berlin: Springer. Fachliteratur (3) • Morgan, S. (2003). Wenn das Unfassbare geschieht – vom Umgang mit seelischen Traumatisierungen. Ein Ratgeber für Betroffene, Angehörige und ihr soziales Umfeld. Stuttgart: Kohlhammer. • Reddemann, L. (2004). Psychodynamisch Imaginative Traumatherapie. PITT - Das Manual. Stuttgart: Pfeiffer bei Klett-Cotta. • Reddemann, L., Dehner-Rau, C. (2004). Trauma. Folgen erkennen, überwinden und an ihnen wachsen. Stuttgart: TRIAS Verlag. • Rothbaum, B.O., Foa, E.B., Hembree, E.A. (2003). Kognitive Verhaltenstherapie bei posttraumatischen Belastungsstörungen. In: A. Maercker (Hrsg.) Therapie der posttraumatischen Belastungsstörungen (2. Auflage, 75-90). Berlin: Springer-Verlag. • Steil, R., Ehlers, A., Clark, D.M. (2003). Kognitive Aspekte bei der Behandlung der posttraumatischen Belastungsstörung. In: A. Maercker (Hrsg.) Therapie der posttraumatischen Belastungsstörungen (2. Auflage, 123-143). Berlin: Springer-Verlag. Fachliteratur (4) Eigene Veröffentlichungen (Auszüge) • Keller, R. & Riedel, H. (2001). Stationäre verhaltensmedizinische Behandlung von posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS). In: M. Zielke, H. von Keyserlingk, W. Hackhausen (Hrsg.) Angewandte Verhaltensmedizin in der Rehabilitation (201-254). Lengerich: Pabst Science Publishers. • Keller, R., Riedel, H. und Senft, W. (2003). Stationäre Traumatherapie in der Gruppe im Rahmen eines verhaltensmedizinischen Behandlungskonzepts für Posttraumatische Belastungsstörungen. In: M. Zielke, R. Meermann, und W. Hackhausen, (Hrsg.) Das Ende der Geborgenheit. Die Bedeutung von traumatischen Erfahrungen in verschiedenen Lebens- und Ereignisbereichen, Epidemiologie, Prävention, Behandlungskonzepte und klinische Erfahrungen (512-549). Lengerich: Pabst Science Publishers. • Keller, R. (2004a). Besonderheiten bei der Behandlung traumatisierter Mobbingpatienten. In: J. Schwickerath, W. Carls, M. Zielke und W. Hackhausen (Hrsg.) Mobbing am Arbeitsplatz. Grundlagen, Beratungs- und Behandlungskonzepte (262-302). Lengerich: Pabst Science Publishers. Fachliteratur (5) Eigene Veröffentlichungen (Auszüge) • Keller, R. (2004b). Gewalt gegen Frauen. Trauma und Traumabehandlung. Saarländisches Ärzteblatt, 2004 (10), 30-34. • Frommberger, U. & Keller, R. (Hrsg.) (2007). Empfehlungen von Qualitätsstandards für stationäre Traumatherapie. Indikation, Methoden und Evaluation stationärer Traumatherapie in Rehabilitation, Akutpsychosomatik und Psychiatrie. Lengerich: Pabst Science Publishers. • Keller, R. (2011). Indikation für stationäre verhaltensmedizinische Traumatherapie bei posttraumatischen Belastungsstörungen nach sozialer Gewalt. In: M. Zielke (Hrsg.), Indikation zur stationären Verhaltenstherapie und medizinischen Rehabilitation bei psychischen und psychosomatischen Erkrankungen (316-342). Lengerich: Pabst Science Publishers. • Keller, R. (2012). Pilotprojekt „Trauma-Ambulanz Saarland“ an der AHG Klinik Berus. Saarländisches Ärzteblatt, 12/2012, S. 10-11.