Franz von Kutschera

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Franz von Kutschera
K. wurde am 3. März 1932 in Hannover geboren. Er studierte Mathematik, Philosophie und
Physik an der Universität München. Zu seinen akademischen Lehrern gehörten in der
Philosophie insbesondere Wolfgang Stegmüller, in der Physik Fritz Bopp. Promotion 1960 in
München mit der Arbeit Über das Problem des Anfangs der Philosophie im Spätwerk
Edmund Husserls; Habilitation für Philosophie ebenfalls in München, 1963, mit der Schrift
Die Antinomien der Logik - Semantische Untersuchungen. Danach als PD am Institut für
Logik und Wissenschaftstheorie in München tätig; 1966 Vertretung des Lehrstuhls von Kurt
Schütte in Kiel; Publikation von Elementare Logik, 1967; im Wintersemester 1968/69 Ruf auf
einen Lehrstuhl für Philosophie an der Universität Regensburg, den er bis zu seiner
Emeritierung im Frühjahr 1998 innehatte.
In kurzen Zeitabständen publizierte er Übersichtsbände zur Sprachphilosophie (1971) und zur
Wissenschaftstheorie (1972) sowie mehrere Monographien zur Logik: 1971 zusammen mit A.
Breitkopf die Einführung in die moderne Logik, 1973 die Einführung in die Logik der
Normen, Werte und Entscheidungen sowie 1976 das Standardwerk zur intensionalen Logik in
deutscher Sprache, die Einführung in die intensionale Semantik. Zum Komplex seiner
logischen Schriften gehören weiterhin Der Satz vom ausgeschlossenen Dritten (1985) sowie
die Monographie über Gottlob Frege (1989). Darüber hinaus hat K. Bücher zu zahlreichen
weiteren Bereiche außerhalb des traditionellen Kanons analytischer Philosophie verfaßt: 1981
die Grundfragen der Erkenntnistheorie; 1982 die Grundlagen der Ethik; 1988 die Ästhetik;
1990 die Religionsphilosophie Vernunft und Glaube. Abgerundet wird das Oeuvre durch eine
detaillierte Studie von Platons »Parmenides« (1995) und vor allem durch die sich
ergänzenden, disziplinenübergreifenden Werke Die falsche Objektivität (1993) und Die Teile
der Philosophie und das Ganze der Wirklichkeit (1998).
Werk
Das umfangreiche Werk von K. ist das Produkt enormen Fleißes auf der einen und
souveränen Scharfsinns auf der anderen Seite. Speziell in den verschiedenen "Lehrbüchern"
zur Logik, zur Wissenschaftstheorie, zur Sprachphilosophie, zur Erkenntnistheorie, zur Ethik,
zur Ästhetik, zur Philosophie Gottlob Freges und zur Religionsphilosophie spiegelt sich K.‘s
Fähigkeit wider, die wesentlichen Probleme des jeweiligen Sachgebiets mit Zielsicherheit zu
erkennen und systematisch zu diskutieren. Seine Werke enthalten jedoch nicht nur
kompetente Zusammenfassungen und kritische Analysen der Theorien anderer Philosophen,
sondern in der Regel auch eigenständige Modifikationen, Verbesserungen und Erweiterungen.
Die wichtigsten Positionen, die unten etwas detaillierter besprochen werden, betreffen die
Erkenntnistheorie, die Ethik und die Philosophie des Geistes bzw. die aus ihrer Synthese
entstehende Anthropologie. Vorweg seien jedoch ein paar weitere Innovationen in anderen
Disziplinen der Philosophie aufgelistet, die ebenfalls auf das Konto von K. gehen:
•
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innerhalb der Wissenschaftstheorie die Verteidigung einer subjektivistischen
Wahrscheinlichkeitsauffassung als gleichberechtigte Alternative zu der in den
Naturwissenschaften vorherrschenden objektivistischen Auffassung (Kutschera
1969A, 1972, 1973A);
innerhalb der philosophischen Logik die exakte semantische Analyse normativer
Begriffe (Kutschera 1975A1, 1976) sowie eine zum Lewisschen Ansatz
konkurrierende Theorie der indikativischen Konditionalsätze (Kutschera 1974A, 1976,
1976A);
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innerhalb der Sprachphilosophie fundamentale Untersuchungen zum Verhältnis von
Umgangssprache und intensionaler Semantik (Kutschera 1975A2, 1975A3, 1982A),
speziell zur semantischen Behandlung des Phänomens der Vagheit (Kutschera
1984A);
innerhalb der Erkenntnistheorie eine substantielle Kritik des Skeptizismus und die
Verteidigung einer gemäßigten Form eines "realistischen Realismus" (Kutschera 1981,
1989A, 1992A sowie dazu Lenk 1997);
innerhalb der Handlungstheorie die Entwicklung einer intensionalen Handlungslogik
(Kutschera 1980A, 1983A), speziell eines neuartigen semantischen Ansatzes zur
Analyse von Kausalität und Bewirken (Kutschera 1986A, 1993A).
Der Kern von K.‘s Philosophie, seine anthropologische "Weltsicht", läßt sich durch vier
Positionen im Grenzbereich von Philosophie des Geistes, Erkenntnistheorie und Ethik
charakterisieren.
1. Der Antimaterialismus bzw. Antiphysikalismus besagt, daß geistige Phänomene wie
Denken, Fühlen und Wahrnehmen wesentlich subjektiv sind und sich nicht auf das
Physische im weiten Sinn, d.h. auf objektive materielle Phänomene reduzieren lassen.
Dieser dualistischen Konzeption zufolge ist das Geistige ebenso ursprünglich wie das
Materielle und das eine läßt sich grundsätzlich nicht in Abstraktion vom anderen
begreifen.
2. Die These der Nicht-Objektivierbarkeit des Geistigen behauptet, daß es für uns
Menschen keine vollständige Theorie des Geistigen, des Denkens oder des Handelns
geben kann. Denn jede solche Theorie T wäre selber (auch) etwas Geistiges, das wir
verstehen und mit dem wir handelnd umgehen würden. Der Umgang mit bzw. das
Verstehen von T kann aber nicht Teil des Inhalts von T sein.
3. Ein konstitutives Merkmal des Menschen ist die Freiheit, und zwar nicht nur im
(moralischen) Handeln, sondern im gesamten Bereich des Geistigen, denn Sprechen,
Denken und Erkennen setzen ihrerseits Freiheit voraus. Freiheit impliziert weiterhin
die – wie Popper es nennt – "Offenheit" der Welt. Diese läßt sich im Rahmen der
intensionalen Handlungslogik durch alternative Weltverläufe modellieren, in denen
sich die Kausalität bzw. das Bewirken widerspiegelt.
4. Der ethische Objektivismus bzw. Realismus besagt aus "Es gibt objektive
Werttatsachen, d.h. solche, die unabhängig von unserem subjektiven Fürwahrhalten
und unseren subjektiven Präferenzen bestehen." Und: "Wir können Werttatsachen,
jedenfalls teilweise, erkennen, und Werterfahrungen bilden die Grundlage unserer
Werterkenntnis." Dieser Realismus in der Ethik geht übrigens Hand in Hand mit
einem Realismus in der Ästhetik, die hier jedoch außer Betracht bleiben muß.
Mit den Thesen (1) – (4) vertritt K. eine Alternative zum sonst vorherrschenden
Materialismus und ethischen Subjektivismus. Diese zwar nicht in den Grundsätzen, wohl aber
in vielen Details neue Position beruht auf einer holistischen Sichtweise der Philosophie, wie
sie programmatisch in Die Teile der Philosophie und das Ganze der Wirklichkeit entfaltet
wird.
Rezeption
Weiter oben wurde bereits auf die wichtigsten Theorieansätze in der intensionalen Logik,
Sprachphilosophie, Erkenntnistheorie und Wissenschaftstheorie hingewiesen, die von anderen
Autoren aufgegriffen, diskutiert und erweitert wurden. Einige solche Arbeiten neueren
Datums finden sich in Lenzen 1997. Andere Werke aus der "Regensburger Schule" seiner
"Schüler" zeichnen sich – wie die Arbeiten von K. selber – dadurch aus, daß grundlegende
philosophische Probleme mit Mitteln der modernen Logik analysiert und einer Lösung
zugeführt werden; vgl. z.B. Lenzen 1980, Meggle 1981 und Meixner 1991. Auch bei der
Diskussion klassischer Autoren hat K. neue Interpretationsansätze entwickelt und dadurch der
einschlägigen Forschung wichtige Impulse gegeben. So war Kutschera 1979A Ausgangspunkt
für die Forschungen zur Leibnizschen Logik in Lenzen 1990. Ähnlich hat Kutschera 1995 die
Plato-Forschung z.B. von Stekeler-Weithofer 1997 beeinflußt. Außerdem bilden die
grundlegenden Untersuchungen Kutschera 1977A, 1982 den Bezugspunkt für zahlreiche
spätere Studien zum "Humeschen Gesetz", z.B. Galvan 1988, Schurz 1991.
Was die kritische Rezeption der K.schen Philosophie betrifft, so richtet sie sich vorrangig
gegen seine Ethik. Speziell K.‘s moralischer Objektivismus ist Gegenstand zahlreicher
Untersuchungen geworden: Corradini 1997 berichtet u.a., welche Modifikationen der
moralische Realismus bei der Vorbereitung der italienischen Übersetzung der Grundlagen der
Ethik erfahren hat. Diese Veränderungen haben auch in der 2. deutschen Auflage des Werks
einen deutlichen Niederschlag gefunden. Sie wurden nicht zuletzt durch einschlägige Kritiken
u.a. von Rohs 1985, Nida-Rümelin 1997 und Trapp 1997 angeregt. Eine Bewertung dieser
Diskussion ist in diesem Rahmen leider nicht möglich..
Werke
Über das Problem des Anfangs der Philosophie im Spätwerk Edmund
Husserls, Dissertation, München, 1960.
Die Antinomien der Logik – Semantische Untersuchungen, Freiburg, München
(Alber), 1964.
Elementare Logik, Wien, New York (Springer), 1967.
Sprachphilosophie, München (Fink), 11971 21975; englische Übersetzung:
Philosophy of Language, Dordrecht (Reidel), 1975; spanische Übersetzung:
Filosofia del lenguaje, Madrid, 1979.
Einführung in die moderne Logik (gem. mit Alfred Breitkopf), Freiburg,
München (Alber), 11971, 61992; holländische Übersetzung: Inleiding tot de
moderne Logica, Utrecht 11972, 21978.
Wissenschaftstheorie – Grundzüge der allgemeinen Methodologie der
empirischen Wissenschaften, 2 Bde, München (Fink), 1972.
Einführung in die Logik der Normen, Werte und Entscheidungen, Freiburg,
München (Alber), 1973.
Einführung in die intensionale Semantik, Berlin, New York (de Gruyter), 1976.
Grundfragen der Erkenntnistheorie, Berlin, New York (de Gruyter), 1981.
Grundlagen der Ethik, Berlin, New York (de Gruyter), 11982, 21998; spanische
Übersetzung: Fundamentos de Etica, Madrid, 1989; italienische Übersetzung:
Fondamenti dell' Etica, Mailand, 1991.
Der Satz vom ausgeschlossenen Dritten. Untersuchungen über die Grundlagen
der Logik, Berlin, New York (de Gruyter), 1985.
Ästhetik, Berlin, New York (de Gruyter), 1988.
Gottlob Frege – Eine Einführung in sein Werk, Berlin, New York (de Gruyter),
1989.
Vernunft und Glaube, Berlin, New York (de Gruyter), 1990.
Die falsche Objektivität, Berlin, New York (de Gruyter), 1993.
Platons »Parmenides«, Berlin, New York (de Gruyter), 1995.
Die Teile der Philosophie und das Ganze der Wirklichkeit, Berlin, New York
(de Gruyter), 1998.
Aufsätze
1969A: "Zur Problematik der naturwissenschaftlichen Verwendung des
subjektiven Wahrscheinlichkeitsbegriffs", Synthese 20, 84-103.
1973A: "Ein offenes Problem der subjektiven Wahrscheinlichkeitstheorie",
Ratio 15, 236-245.
1974A: "Indicative Conditionals", Theoretical Linguistics 1, 257-269.
1975A1: "Semantic analyses of normative concepts", Erkenntnis 9, 195-218.
1975A2: "Partial interpretations", in E. Keenan (ed.): Formal Semantics of
Natural Language, Cambridge (Cambridge University Press), 156-174.
1975A3: "Intensional Semantics for Natural Language", in G.H. Müller, A.
Oberschelp & K. Potthoff (Hg.): Logic Conference Kiel 1974,
Berlin/Heidelberg/New York (Springer), 445-459.
1976A: "Epistemic interpretations of conditionals", in A. Kasher (ed.):
Language in Focus: Foundations, Methods, and Systems, Dordrecht (Reidel),
487-501.
1977A: "Das Humesche Gesetz", Grazer Philosophische Studien 4, 1-14.
1979A: "Grundbegriffe der Metaphysik von Leibniz im Vergleich zu
Begriffsbildungen der heutigen Modallogik", Studia Leibnitiana Sonderheft 8,
93-107.
1980A: "Grundbegriffe der Handlungslogik", in H. Lenk (Hg.):
Handlungstheorien interdisziplinär, Bd.1: Handlungslogik, München (Fink),
67-106.
1982A: "Intensional Semantics and Natural Language", in P. Scheurer & G.
Debrock (ed.): New Languages in Scientific Evolution, Nijmegen, 57-78.
1983A: "Remarks on action-theoretic semantics", Theoretical Linguistics 10,
1-11.
1984A: "Eine Logik vager Sätze", Archiv für mathematische Logik und
Grundlagenforschung 24, 101-118.
1986A: "Bewirken", Erkenntnis 24, 253-281.
1989A: "Bemerkungen zur gegenwärtigen Realismusdiskussion", in W.L.
Gombocz, H. Rutte, & W. Sauer (Hg.): Traditionen und Perspektiven der
analytischen Philosophie, Wien (Hölder-Pichler-Tempsky), 490-521.
1992A: "Der erkenntnistheoretische Realismus", in H.J. Sandkühler (Hg.):
Wirklichkeit und Wissen, Frankfurt a.M. (P. Lang), 27-40.
1993A: "Causation", Journal of Philosophical Logic 22, 563-588.
Sekundär-Literatur:
Corradini, A. (1997): "Bemerkungen zu den Grundlagen der Ethik", in Lenzen
(1997), 44-59.
Galvan, S. (1988): "Tesi di Hume e Sistemi di Logica Deontica",
Epistemologia 11, 183-210.
Lenk, H. (1997): "Realistischer Realismus als ein methodologischer und
pragmatischer Interpretationismus", in Lenzen (1997), 149-159.
Lenzen, W. (1980): Glauben, Wissen und Wahrscheinlichkeit – Systeme der
epistemischen Logik, Wien (Springer).
Lenzen, W. (1990): Das System der Leibnizschen Logik, Berlin (de Gruyter).
Lenzen, W. (Hg.) (1997): Das weite Spektrum der Analytischen Philosophie –
Festschrift für Franz von Kutschera; Berlin (de Gruyter).
Meggle, G. (1981): Grundbegriffe der Kommunikation, Berlin (de Gruyter).
Meixner, U. (1991): Axiomatische Ontologie, Regensburg (S. Roderer).
Nida-Rümelin, J. (1997): "Objektivität und Moral", in Lenzen (1997), 216230.
Rohs, P. (1985): "Pflichtethik oder Wertethik: Zu Franz von Kutscheras
Grundlagen der Ethik", Zeitschrift für philosophische Forschung 39, 101-109.
Schurz, G. (1991): "How Far Can Hume’s Is-Ought Thesis Be Generalized? –
An Investigation in Alethic-Deontic Modal Predicate Logic", Journal of
Philosophical Logic 20, 37-95.
Stekeler-Weithofer, P. (1997): "Zu einer Interpretation von Platons Dialog
Parmenides", in Lenzen (1997), 346-363.
Trapp, R. (1997): "Sind moralische Aussagen objektiv wahr?", in Lenzen
(1997), 408-428.
W. Lenzen
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