Versuch 20 Versuchsanleitung

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Fortgeschrittenenpraktikum Physikalische Chemie
Versuch 20
Elektronenspinresonanz ESR
Versuchsskript, L.A. Kibler, 15.04.2015
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Elektronenspinresonanz (ESR) - Paramagentische Elektronenresonanz (ESR)
Mögliche Versuchsinhalte
a. Bestimmung von g-Faktoren
b. Messung der Linienbreiten
c. DPPH in festem Zustand, DPPH in Benzol gelöst, Charcoal (Kohle), Plasticen,
Rubineinkristall, Benzo-Semichinon-Radikalanionen, etc.
d. Beantwortung der Fragen
Vorbereitung
Wodurch wird der Paramagnetismus an Molekülen hervorgerufen?
Wie kommt Diamagnetismus zustande?
Wie verhält sich ein freies Elektron im Magnetfeld?
Was versteht man unter Energieentartung?
Welche Faktoren beeinflussen die Linienbreite einer Absorptionslinie?
Was versteht man unter Besetzungszahl von Energieniveaus, Sättigung, Relaxationszeit?
In der ESR spricht man von Resonanz, wo liegt Resonanz vor?
Wer verursacht die Feinstruktur und wer die Hyperfeinstruktur?
Wozu wird die ESR-Spektroskopie benutzt?
Wofür stehen DPPH und BDPA?
Hinweise
Vorsicht mit Armbanduhren und Datenträgern in Spulennähe (Magnetisierung!)
Literatur
[1] C.W. Garland, J.W. Nibler, D.P. Shoemaker, Experiments in Physical Chemistry, 8th
edition, McGrawHill, 2009, Experiment 41, Electron Spin Resonance Spectroscopy
[2] Lehrbücher der Physikalischen Chemie
[3] Atherton, „Electro Spin Resonance“ S. 13 – 15
[4] Haken + Wolf, Atom- und Quantenphysik Kapitel 12 +13
[5] F. Bär, A. Berndt, K. Dimroth, Physikalische Methoden in der Chemie:
ESR-Spektroskopie organischer Radikale I, Chemie in unserer Zeit 9 (1975) 18.
ESR-Spektroskopie organischer Radikale II, Ch. i. u. Z. 9 (1975) 43.
[6] Spektroskopie amorpher und kristalliner Festkörper, herausgegeben von Dietrich
Haarer,Hans Wolfgang Spiess
[7] Biophysik: Ein Lehrbuch
herausgegeben von W. Hoppe,W. Lohmann,H. Markl,H. Ziegler
[8] Ira Levine, Physical Chemistry, 6th edition, McGrawHill, 2009
Kapitel 18.5 Electron Spin, 20.12 The Magnetic Field, 20.13 ESR Spectroscopy
[9] Schneider, Plato, „Elektronenspinresonanz“ S. 1 – 11, 191 22
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Der Elektronenspin
Die Schrödinger-Gleichung ist eine nicht-relativistische Gleichung und kann demnach
bestimmte relativistische Effekte nicht beschreiben. Paul Adrien Maurice Dirac (1902-1984)
entdeckte 1928 die korrekte relativistische quantenmechanische Gleichung für 1-ElektronSysteme. Aufgrund der Dirac-Gleichung kann die Existenz des Elektronenspins vorhergesagt
werden. Uhlenberg und Gouldsmit hatten bereits 1925 den Elektronenspin zur Erklärung
ihrer experimentellen Atomspektren postuliert. Nach der Lösung der Schrödinger-Gleichung
muss der Elektronenspin in der Regel zusätzlich berücksichtigt werden.
Was ist ein Spin? Wir verstehen darunter einen intrinsischen Drehimpuls eines
Elementarteilchens. Wegen der Bewegung im Raum besitzt das Elementarteilchen
zusätzlich zum Spin auch einen Bahndrehimpuls. Die klassische Vorstellung, dass der Spin
als Eigendrehimpuls die Rotation um die eigene Achse beschreibt ist irreführend, denn wir
haben es beim Spin mit einem relativistischen Effekt zu tun.
Egal ob Elektronenspin S , Kernspin I , Bahndrehimpuls L , Gesamtdrehimpuls J oder
Drehimpuls von Molekülen, für alle Drehimpulse gelten dieselben quantenmechanischen
Regeln. Wir kennen jeweils den Betrag des Drehimpulses und die möglichen Werte der zKomponente. Für den Spin eines Elementarteilchens gilt also
S  s(s  1)
Sz  ms
mit ms  s,  s  1, ..., s  1, s
Es ist sehr wichtig, nicht immer einfach von „Spin“ zu reden, sondern klar zu unterscheiden
zwischen dem Spin S als Vektor, dem Betrag des Spins S , der Spinquantenzahl s , der zKomponente des Spins Sz und der magnetischen Spinquantenzahl ms .
Im Gegensatz zum Bahndrehimpuls gibt es beim Spin eine Besonderheit. Die
Spinquantenzahl von Elementarteilchen kann nicht nur ganzzahlig (Bosonen), sondern auch
halbzahlig (Fermionen) sein. Experimente zeigen, dass Elektronen, Protonen und Neutronen
zu den Fermionen zählen und alle die Spinquantenzahl 21 besitzen.
Für das Elektron gilt also
s
1
2
und
ms   21 ,  21
(Spinquantenzahlen des Elektrons)
Damit ergibt sich ein konstanter Wert S  3
für
2
den Betrag des Elektronenspins und zwei mögliche
Werte Sz  
für die z-Komponente. In der
2
Chemie werden diese beiden Möglichkeiten oft mit
den Symbolen ↑ und ↓ dargestellt. Weil die x- und
die y- Komponente völlig unbestimmt sind, zeichnet
man den Elektronenspin als Vektor auf die
Oberfläche eines Kegelmantels
(siehe nebenstehende Abbildung).
3
Das Magnetfeld
Die Bewegung von elektrischer Ladung erzeugt ein Magnetfeld. Die passiert z.B. bei der
Bewegung von Elektronen in einem Draht oder im Vakuum, aber auch beim Elektronenspin.
Der Vektor für das magnetische Feld ist B (magnetische Induktion, magnetische
Flussdichte) mit der Einheit T, Tesla.
Durch die Bewegung einer Ladung q (Strom I) im Kreis der Fläche A wird ein magnetisches
Dipolmoment µ erzeugt, welches proportional zum Drehimpuls L ist:
µ  IA  q 
v
q
q
r 2 
 mvr 
L
2 r
2m
2m
Allgemein bezeichnet man die Proportionalitätskonstante zwischen Drehimpuls und
magnetischem (Dipol)moment als gyromagnetisches (magnetogyrisches) Verhältnis  :
µ  L
Bei Elementarteilchen beinhaltet das gyromagnetische Verhältnis  zusätzlich den
sogenannten g-Faktor, z.B. beim Elektron:   ge
( e )
2me
Elektronspinresonanz
Bei der Elektronspinresonanz (ESR)-Spektroskopie (auch EPR, electron paramagnetic
resonance) untersucht man Übergänge zwischen den quantenmechanischen
Energieniveaus von magnetischen Spinmomenten ungepaarter Elektronen in einem äußeren
magnetischen Feld. Die allermeisten Moleküle besitzen im Grundzustand gepaarte
Elektronenspins und zeigen daher kein ESR-Spektrum. ESR-Spektren können hingegen bei
freien Radikalen, bei Übergangsmetallkomplexen mit ungepaarten Elektronen oder manchen
angeregten Triplettzuständen von organischen Verbindungen beobachtet werden.
Relativistische Rechnungen und Experimente ergeben für den g-Faktor (Landé-Faktor) des
Elektrons



ge  2  1 
 ...   2,0023193043622.
2


Die Feinstrukturkonstante  
e2
 4 0 
c
beträgt ungefähr 1/137.
Daraus ergibt sich das magnetische Moment des freien Elektrons
µe  
gee
S  9,28476377  1024 J T-1
2me
Die potentielle Energie des magnetischen Dipols in einem magnetischen Feld ist durch das
Skalarprodukt V   µ  B gegeben (vgl. Kompassnadel oder Elektromotor).
4
Die möglichen Energieniveaus sind daher
E   µe  B 
gee
ge
1
e
1
S  B  e SzB   ge
B   ge µBB
2me
2me
2 2me
2
Hier verwenden wir das Bohr’sche Magneton µB  9,27400915  10
24
J / T-1.
Das lokale Magnetfeld, welches das Elektron in einem Molekül erfährt, wird etwas
abgeschirmt (Abschirmkonstante  ). Für die ESR-Übergangsfrequenz ergibt sich
  ge µB (1  )B0 / h  gµBB0 / h
Der charakteristische g-Faktor des Moleküls ist g  ge (1   ) . Er liegt bei organischen
Radikalen meist in der Nähe von g e , kann aber z.B. bei Übergangsmetallionen auch stark
abweichen.
Für ein Magnetfeld der Stärke 1T und g = 2 erhalten wir eine Frequenz von 28 GHz bzw.
eine Wellenlänge im cm-Bereich. Den Frequenzbereich elektromagnetischer Wellen von 1
bis 300 GHz (Wellenlänge von 300 mm bis 1 mm) zählen wir zu Mikrowellen. Dieser Bereich
liegt zwischen Radiowellen und IR-Strahlung.
Im Gegensatz zur NMR-Spektroskopie sind ESR-Frequenzen viel höher, da die Masse des
Elektrons nur 1/1836 der Protonenmasse ist.
Im ESR-Spektrometer generiert ein Klystron eine feste Frequenz von Mikrowellenstrahlung.
Das Spektrum wird durch Variation des Magnetfeldes in einem bestimmten Bereich erhalten.
ESR-Hyperfeinstruktur-Aufspaltung
Der Energiezustand eines paramagnetischen Teilchens kann mithilfe eines HamiltonOperators Ĥ beschrieben werden, dessen Eigenwerte die Energieniveaus sind. Allgemein
setzt er sich aus mehreren Teilen zusammen: Hˆ  Hˆ E  Hˆ LS  Hˆ SI  Hˆ Q  HˆV  Hˆ SB  Hˆ IB ,
also dem Beitrag der Elekrtonenkonfiguration, der Spin-Bahn-Kopplung, der Wechselwirkung
zwischen Elektron und Kern, der Quadrupolwechselwirkung, dem elektrostatischen Potential
des Kristallfeldes sowie der Wechselwirkung zwischen Magnetfeld und Elektronenspin bzw.
Kernspin. In der ESR-Spektroskopie genügen meist die ersten drei Terme und der sechste
Term zur Beschreibung der auftretenden Phänomene.
Durch die Wechselwirkung zwischen dem magnetischen Elektronspinmoments und den
magnetischen Kernspinmomente wird der ESR-Absorptionspeak in mehrere Linien
aufgespalten, man spricht von Hyperfeinaufspaltung.
Genauso wie ein 1H-NMR-Absorptionspeak durch n benachbarte äquivalente Elektronen in
n+1 Peaks aufgespalten wird, beobachtet man die Aufspaltung eines ESR-Absorptionspeaks
für ein ungepaartes Elektron in n+1 Peaks durch n äquivalente Protonen.
5
Das ESR-Spektrum des Methylradikals CH3 , welches z.B. durch UV-Bestrahlung von
Zn(CH3)2 erhalten werden kann, besteht daher aus 4 Linien.
ESR-Spektrum des Methyl-Radikals. Im ESR Spektrum wird
meist die erste Ableitung des Absorptionssignals gezeigt.
Allgemein lassen sich für die Hyperfeinstruktur-Aufspaltung folgende Regeln angeben:
i) Befindet sich der Elektronenspin in Wechselwirkung mit einem Kern der
Kernspinquantenzahl I, so besteht das resultierende Multiplett aus 2I + 1 Linien.
ii) Befindet sich der Elektronenspin in Wechselwirkung mit n äquivalenten Kernen des
Kernspins I, so werden 2nI + 1 Linien auftreten.
iii) Bei der Wechselwirkung von des Elektronenspins mit n Kernen der Sorte A und m
hierzu nicht äquivalenten Kernen der Sorte B ergibt sich die Gesamtlinienzahl zu
(2nIA + 1)(2mIB + 1).
iv) Bei Kernen mit I = 1/2 verhalten sich die Intensitäten innerhalb des Multipletts wie
die Binomialkoeffizienten.
Das ESR-Spektrum des Methylradikals besteht aus 4 Linien, wie entsprechend Regel (ii)
durch Wechselwirkung des Elektronenspins mit 3 äquivalenten 1H-Kernen (I = 1/2) zu
erwarten sind. Das Intensitätsverhältnis ist entsprechend Regel (iv) gleich 1 : 3 : 3 : 1. Die
Kopplungskonstante ergibt sich aus dem Abstand zweier benachbarter Linien zu 2 mT.
Das ESR-Spektrum des Ethylradikals CH2CH3 besitzt 12 Linien, die 12C-Kerne tragen dabei
nicht zur Aufspaltung bei (I = 0).
Das ESR-Spektrum des n-Buthylradikals CH2CH2CH2CH3 zeigt 9 oder 27 Linien, je nach
Qualität des ESR-Spektrometers. Weiter entfernte Kernspins erzeugen eine
vernachlässigbare Aufspaltung.
Bei Radikalen von konjugierten Ringsystemen, C6H6 oder C6H6 , ist das ungepaarte
Elektron über den ganzen Ring delokalisiert. Daher tragen alle 1H-Kerne zur
Hyperfeinstruktur-Aufspaltung bei.
Mithilfe der ESR-Spektroskopie ist es möglich, radikalische Zwischenprodukte bei
chemischen Reaktionen nachzuweisen.
Die Bindung eines organischen Radikals an ein Makromolekül oder ein biologisches System
nennt man Spin-Labeling. Mithilfe der ESR-Spektroskopie können auf diese Weise
Informationen über Biomoleküle erhalten werden.
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Zusammenfassung: Magnetische Resonanzerscheinungen
Eine Magnetische Resonanzerscheinung entsteht durch Kreisströme im Atom- bzw.
Kernbereich. Magnetische Momente werden hervorgerufen durch
a. Elektronenspin
b. Bahndrehimpulse der Elektronen
c. Rotation des Moleküls
d. Spin der Kerne (Nukleonen)
Für magentische Resonanzuntersuchungen eigenen sich nur paramagnetische Stoffe mit
einem Spin ungleich Null und damit einem magentischen Moment. Ähnlich einem Kreisel im
Gravitationsfeld führen die rotierenden Teilchen eine Präzession um ein äußeres Magnetfeld
aus. Die Präzessionsfrequenz heißt Larmorfrequenz ωL. Für ein freies Elektron gibt es zwei
energetisch verschiedene Einstellmöglichkeiten zum äußeren Magnetfeld, nämlich parallel
und antiparallel. Wenn nun ein weiteres äußeres Hochfrequenzfeld in Resonanz mit der
Präzession (Larmorfrequenz) steht, können Übergänge (Umklappen von Spin) zwischen den
beiden Energieniveaus stattfinden (magnetischer Übergang).
Da ein Elektron im Magnetfeld die potentielle Energie besitzt, ist mit einem Übergang die
Absorption oder Emission der Energie verbunden. Da bei einer Absorption eine
Energieaufnahme stattfindet, wird diese aus dem zusätzlichen Hochfrequenzfeld entnommen
und es entsteht die Resonanzbedingung.
Hinweis: Gauß ist die Einheit der magnetischen Flussdichte B im elektromagnetischen CGSSystem und nach Carl Friedrich Gauß benannt. 1G = 0,1 mT = 10-4 T.
Fragen (im Protokoll zu beantworten)
1. Wie groß ist der g-Faktor des freien Elektrons?
2. Was bedingt die Veränderung des g-Faktors bei Radikalen?
3. Wie hängt die g-Faktor-Verschiebung mit der Ordnungszahl der Atome zusammen?
4. Worin besteht der Unterschied für die Hyperfeinstruktur zwischen Flüssigkeiten und
Festkörpern?
5. Was ist der Fermi-Kontakt?
6. In der Resonanzbedingung sind 2 Variablen enthalten. Welche Größe wird bei der ESR
variiert?
7. Wie verhalten sich die Wahrscheinlichkeiten von Absorption zu induzierter Emission?
8. Wodurch wird bei ESR ein Besetzungszahlunterschied aufrechterhalten?
9. Warum strebt man eine möglichst hohe Strahlungsfrequenz an?
10. Was gilt für die Intensitätsverhältnisse im ESR-Spektrum eines Radikals mit mehreren
äquivalenten Protonen?
11. Warum tritt Fermi-Kontakt auch bei π-Radikalen auf?
12. Prinzipieller Aufbau eines ESR-Spektrometers
13. Was versteht man unter Modulationshub?
14. Was ist das gyromagnetische Verhältnis?
Wie unterscheiden sich die gyromagnetischen Verhältnisse für Elektron und Proton?
Was folgt daraus für die Lage der Resonanzfrequenzbereiche?
15. Wie sieht die Energieniveauaufspaltung des Wasserstoffatoms im Magnetfeld aus?
16. Wie sieht die Energieniveauaufspaltung bei gelöstem DPPH aus?
Wie viele Übergänge sind also zu erwarten?
17. Welche Informationen kann man allgemein aus einem ESR-Spektrum erhalten?
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