DEUTSCHES INSTITUT DER JOHANNES GUTENBERG-UNIVERSITÄT MAINZ Morphologische Aspekte der chemischen Fachsprache im Deutschen Wissenschaftliche Prüfungsarbeit im Fach Deutsch vorgelegt im Rahmen der Ersten Staatsprüfung für das Lehramt an Gymnasien von Silke Hayn Mai 2005 Hier ist eine Trennung, eine neue Zusammensetzung entstanden und man glaubt sich nunmehr berechtigt, sogar das Wort Wahlverwandtschaft anzuwenden, weil es wirklich aussieht als wenn ein Verhältnis dem andern vorgezogen, eins vor dem andern erwählt würde. […] In diesem Fahrenlassen und Ergreifen, in diesem Fliehen und Suchen glaubt man wirklich eine höhere Bestimmung zu sehen; man traut solchen Wesen eine Art von Wollen und Wählen zu, und hält das Kunstwort Wahlverwandtschaften für vollkommen gerechtfertigt. Johann Wolfgang Goethe: Die Wahlverwandtschaften (2003: 36f.) Inhalt 1. Einleitung ................................................................................................... 1 1.1 Problemstellung .................................................................................... 1 1.2 Vorgehensweise ................................................................................... 2 2. Deutsch und Chemie.................................................................................. 4 Exkurs zu Formatierungskonventionen in der Fachsprache Chemie .. 5 3. Überblick über die Fachsprache Chemie ................................................... 7 4. Typen und Tendenzen der Wortbildung im Deutschen mit Hinblick auf die Fachsprache Chemie ........................................................................ 16 4.1 Das Wort............................................................................................. 17 4.2 Möglichkeiten der Wortschatzerweiterung .......................................... 19 4.2.1 Die Wortschöpfung....................................................................... 19 4.2.2 Die Bedeutungsveränderung bzw. -erweiterung .......................... 19 4.2.3 Die Entlehnung ............................................................................ 20 4.2.4 Die Wortbildung ........................................................................... 20 4.3 Die Wortbildung .................................................................................. 21 4.3.1 Die Derivation .............................................................................. 21 Exkurs: Die chemische Symbolsprache ............................................ 26 4.3.2 Das Affixoid.................................................................................. 27 Exkurs: Die Grammatik der chemischen Nomenklatur ...................... 28 4.3.3 Das Konfix.................................................................................... 28 4.3.4 Die Rekombination....................................................................... 30 4.3.5 Die Konversion............................................................................. 31 4.3.6 Die Komposition ........................................................................... 31 4.3.6.1 Das Determinativkompositum................................................ 32 4.3.6.2 Das Possessivkompositum.................................................... 33 4.3.6.3 Das Kopulativkompositum ..................................................... 33 4.3.6.4 Verdeutlichende Komposita................................................... 33 4.3.6.5 Das Rektionskompositum ...................................................... 34 4.3.6.6 Eponyme Komposita ............................................................. 34 4.3.7 Wortgruppenlexeme..................................................................... 35 4.3.8 Kontamination .............................................................................. 35 4.3.9 Kurzwörter.................................................................................... 36 5. Das Oxid und seine Wortbildung.............................................................. 38 5.1 Schreibung ......................................................................................... 38 5.2 Entwicklung ........................................................................................ 38 5.3 Wortbildungen mit oxid ....................................................................... 39 5.3.1 Derivation von oxid....................................................................... 39 5.3.2 Chemische Derivation .................................................................. 42 5.3.3 Komposition mit Oxid ................................................................... 45 5.3.4 Klammerformen ........................................................................... 48 5.3.5 Das Hydroxid ............................................................................... 49 5.4 Versuch eines Lexikoneintrags für oxid nach dem Vorbild von Fleischer/Barz ................................................................................... 50 6. Chemie und Deutsch................................................................................ 52 6.1 Fachsprache Chemie als Gegensatz zum Deutschen? ...................... 52 6.2 Vorschläge zur Verbesserung der Verständigung .............................. 53 7. Literatur .................................................................................................... 56 7.1 Quellen ............................................................................................... 56 7.2 Internetquellen .................................................................................... 58 7.3 Weitere Quellen .................................................................................. 59 7.4 Verzeichnis der Abbildungen und Tabellen ........................................ 60 7.4.1 Abbildungen ................................................................................. 60 7.4.2 Tabellen ....................................................................................... 60 8. Anhang..................................................................................................... 61 8.1 Korpus aus Neumüller (2003)............................................................. 61 8.2 Korpus aus Duden Rechtschreibung (211996) .................................... 63 8.3 Periodensystem der Elemente............................................................ 65 8.4 Nomenklatur von Komplexen.............................................................. 66 8.5 Korpora der Oxide .............................................................................. 67 8.5.1 Wörter, die auf Oxid enden .......................................................... 67 8.5.1 Wörter, die mit Oxid beginnen...................................................... 68 8.6 Fragebogen ........................................................................................ 69 1 1. Einleitung 1.1 Problemstellung Ein relativ neues Wortbildungsprodukt der chemischen Fachsprache ist der Name des Elements 111, es heißt seit dem 1. November 2004 Roentgenium, benannt nach dem Physiker und Nobelpreisträger Wilhelm Conrad Röntgen (1845-1923) (vgl. http://www.gsi.de/portrait/Pressemeldungen/08112004.html und http://www.iupac.org/news/archives/2004/naming111.html). Ständig werden neue Dinge in der Chemie entwickelt und entdeckt. Um mit diesen dann weiterarbeiten zu können, benötigt "das Kind" einen Namen. Alleine die Anzahl an chemischen Substanzen, es sind derzeit etwa 75 Millionen bekannt (vgl. http://www.cas.org/EO/regsys.html), ist gewaltig. Worte wie Fluoren, Hauptquantenzahl oder gar Methylmethinoninsulfoniumchlorid wirken auf einen Nicht-Chemiker unverständlich. Aber sind sie das, oder verbirgt sich ein bekanntes System hinter der Erschaffung solcher Wörter? - Dem verschreckten Leser sei gesagt, ja, es gibt ein System hinter diesen "Ungetümen". Selbst Chemiker reden Deutsch, nutzen die deutsche Grammatik und bedienen sich der deutschen Wortbildung. Aber sie haben die Konzepte der deutschen Wortbildung in der Nomenklatur (so nennen Chemiker das Verfahren der systematischen Namensgebung) um ein Vielfaches erweitert. Es bleibt trotzdem nicht aus, dass viele Wörter von ihrer Bedeutung her erlernt werden müssen. Substitution etwa ist für einen Chemiker eine Art der Reaktion, für den Germanisten ein Vorgang in der generativen Grammatik, durch den etwa in einem Text die Phrase der alte Mann durch er ersetzt werden kann. Etwas anderes ist die chemische Reaktion auch nicht. In einem Molekül wird eine Atomgruppe durch eine andere ersetzt. Die Chemie verfügt über ein hochkomplexes System zur Kommunikation. Kommunikation in der Chemie erfolgt in allen drei Symbolsystemen: Sprache, Zahl und Bild (Ebel 1998:1237). Viele Sachverhalte lassen sich in der Chemie nur anhand eines Bildes genau genug wiedergeben. Eine Beschreibung würde unnötig kompliziert und auch mit noch größeren Mängeln behaftet sein. Selbst diese germanistische Arbeit wird nicht ohne solche Bilder auskommen. Dennoch soll das Augenmerk auf 2 die Möglichkeiten gelenkt werden, welche die Chemiker nutzen, um Begriffe zu konstruieren. Auch Chemiker "kochen nur mit Wasser"! Das heißt, dass auch sie sich der normalen deutschen Wortbildung bedienen, aber sie haben diese für ihre Zwecke modifiziert. 1.2 Vorgehensweise Zunächst muss die Fachsprache vom Deutschen abgegrenzt und definiert werden. Ein Überblick über die Fachsprache Chemie soll zeigen, was die Fachsprache Chemie darstellt und wie sie sich zusammensetzt. Dazu werden kleine Korpora aus der Fachsprache und der Allgemeinsprache mit Daten aus der Literatur verglichen. Um über Wortbildung schreiben zu können, müssen die Wortbildungsmöglichkeiten des Deutschen kurz angesprochen und erläutert werden. Im Rahmen dieser Arbeit kann dies nur im Überblick geschehen. Dabei soll erläutert werden, was ein Wort ist und welche Möglichkeiten der Wortschatzerweiterung das Deutsche aufweist. Die Wortbildung als das produktivste Verfahren wird dann im Hinblick auf die Fachsprache Chemie untersucht. Die Derivation ist aufgrund der Nomenklatur das in der Fachsprache Chemie wichtigste Wortbildungsmuster. Da die Nomenklatur sich auf die Beschreibung von Substanzen und deren Namensgebung bezieht, ist hier ein Exkurs zur chemischen Symbolsprache notwendig. Die Symbolsprache stellt bildhaft dar, was (komplex) in der Nomenklatur beschrieben wird. Ich habe mich zu "Exkursen" nach dem Vorbild von Donalies (2002) entschlossen, um typische chemische Eigenheiten zu erläutern. Diese Exkurse sind für ein Verständnis der Arbeit aus meiner Sicht nicht zwingend notwendig, sollen aber dem Nicht-Chemiker helfen, Eigenarten der chemischen Fachsprache zu verstehen. Die Derivation nutzt Affixe, deren Eigenschaften ebenfalls zu erläutern sind. Da die Nomenklatur über eine eigene Grammatik und auch über eigene Affixe verfügt, soll dieser Aspekt ebenfalls in einem Exkurs beleuchtet werden. Es folgen Beschreibungen von Konfix, Rekombination, Konversion und Komposition. Die Komposition wird unterteilt in Determinativkomposita, Possessivkomposita, Kopulativkomposita, verdeutlichende Komposita, Rektions- 3 komposita und eponyme Komposita. Eponyme Komposita (z.B. PinakolUmlagerung) dienen vor allem der Abkürzung von umständlichen Erklärungen in Texten. In der Fachsprache Germanistik wird dieser Wortbildungstyp wenig bis gar nicht genutzt. Vereinzelt wird in Seminaren von Bühler-Modell oder Saussure-Modell gesprochen. Belegt durch den Eintrag bei Bußmann (21990: 657) ist die Sapir-Whorf-Hypthese. Der Wortbildungsüberblick endet mit den Wortgruppenlexemen, den Kontaminationen und den Kurzwörtern. Nach diesem Überblick wird anhand einer gängigen Einheit, dem Oxid, überprüft, welche Wortbildungsmuster genutzt werden. Oxid kommt in Derivationen, Kompositionen und Klammerformen vor. Nicht zu den Bildungen mit Oxid gehören Bildungen auf Hydroxid. Am Ende der Arbeit versuche ich die gewonnenen Erkenntnisse in einer Art Lexikoneintrag nach dem Vorbild von Fleischer/Barz (21995) zusammenzufassen und den Gegensatz zwischen "Chemie und Deutsch" zu minimieren und für ein tieferes Verständnis der Bedeutung von Wortbildung in der Fachsprache Chemie zu werben. 4 2. Deutsch und Chemie Für diese Untersuchung ist es notwendig, die Fachsprache von der übrigen Sprache abzugrenzen. Es gibt das Deutsche, gemeint ist hierbei das Deutsche als Gesamtsprache. Genauer, das vollständige Potential aller sprachlichen Zeichen und konstitutiven Regeln für Sprachhandlungen (langue), aus dem ständig Teilbestände ausgewählt werden, um die entsprechenden Sprachhandlungen zu vollziehen, mit anderen Worten: um alle möglichen Arten von Texten zu produzieren. (Hoffmann 1998: 190) Innerhalb dieser Gesamtsprache kann man diverse Subsprachen annehmen. Subsprachen sind Teil- bzw. Subsysteme des gesamten Sprachsystems, die in den Texten bestimmter, z.T. sehr spezieller, Kommunikationsbereiche aktualisiert werden. (Hoffmann 1998: 190) Synchron betrachtet lassen sich nicht nur Dialekte, sondern auch Varietäten nach situativ-, gruppen-, alters-, fach- und medienspezifischen Gebrauch unterscheiden (vgl. Elsen 2004: 16). Die Übergänge zwischen einzelnen Teilbereichen sind als fließend zu betrachten. Hoffmann setzt den Begriff der Fachsprache dem der Subsprache gleich, da die meisten Subsprachen Fachsprachen sind neben Dialekten und Soziolekten, auf die aber meist andere Klassifizierungskonzepte angewandt werden. Eine Fachsprache ist im subsprachlichen Verständnis die Gesamtheit aller sprachlichen Mittel, die in einem fachlichen begrenzbaren Kommunikationsbereich verwendet werden, um die Verständigung zwischen den in diesem Bereich tätigen Menschen zu gewährleisten. (Hoffmann 1998: 190) Damit wird die Fachsprache zur Sprache einer "elitären Menschengruppe" (vgl. Hoffmann 1998: 190), bei der man eine besondere fachliche und sprachliche Kompetenz voraussetzt. Eine Fachsprache grenzt sich ab von der übrigen Sprache durch ihren Fachwortschatz und in der "Verwendung bestimmter grammatischer Kategorien, syntaktischer Konstruktionen und Textstrukturen" (Hoffmann 1998: 191). Darüber hinaus kann man Besonderheiten in der Lautung, Schreibung, sowie im Bestand der graphischen Zeichen beobachten. Die Abgrenzung der einzelnen Fachsprachen gegeneinander gestaltet sich problematisch. Die Übergänge sind fließend, und da viele Fachgebiete ineinander greifen, überlappen sich auch deren Fachsprachen z.B. anorganische 5 Chemie, organische Chemie, metallorganische Chemie usw., aber auch Chemie mit Biologie und Physik. Diese Gliederung wird horizontale Gliederung genannt. Dazu kommt eine vertikale Schichtung, die die Abstraktionsebene, die äußere Sprachform, die Umgebung und die Kommunikationspartner berücksichtigt. Von der Gesamtsprache muss noch eine Allgemeinsprache abgegrenzt werden. Die Allgemeinsprache steht in Opposition zur Fachsprache. Sie kann von allen Sprechern des Deutschen genutzt werden und verlangt nicht, wie die Fachsprache, einschlägig vorgebildete Sprecher. Hier soll die Opposition in der Wortbildung zwischen der Fachsprache Chemie und der Allgemeinsprache herausgearbeitet werden. Die Allgemeinsprache wird im Folgenden durch die anerkannten Grammatiken (Duden Grammatik (61998), Eisenberg (22004) etc.) repräsentiert. Exkurs zu Formatierungskonventionen in der Fachsprache Chemie Aufgrund der vielfältigen Information, die in der Fachsprache Chemie vor allem in der Nomenklatur gegeben wird, bedient sie sich neben den reinen Zeichen auch einer Formatierungssymbolik. Werden in der germanistischen Fachsprache etwa Beispiele kursiv gesetzt, so werden in der Fachsprache Chemie folgende Sachverhalte durch Kursivschreibung ausgedrückt: • Strukturelle Affixe wie cis, cyclo, cantena, triangulo und nido bezeichnen die räumliche Verknüpfung von Atomen untereinander • Symbole zur Hervorhebung von Metallatomen z.B. Dodecacarbonyltriosmium(3 Os-Os) • Strukturtypen in Doppeloxiden und -hydroxiden z.B. Magnesium-titan-trioxid (Ilmenit-Typ) • In Koordinationsverbindungen für metallgebundene Atome eines Liganden (gewöhnlich mehrzähnig), unabhängig davon, ob die Kappa-Konvention [1] angewendet wird oder nicht z.B. cis-Bis(glycinato-N,O)platin, [(CO)5Re 1 5 Co(CO)4] Nonacarbonyl-1 C,2 κ ─ κ 4 C-cobaltrhenium (Co ─ Re) Die Kappa-Konvention gibt bei Koordinationsverbindungen mit zwei Zentralatomen an, welche Liganden wie häufig an welches Zentralatom gebunden sind, in dem der griechische Buchstabe (kappa) mit einem Exponenten (dieser gibt die Häufigkeit des Liganden an) versehen, gefolgt mit der kursiv-geschreibenen Angabe des Liganden im Namen der Verbindung auftaucht. κ 6 • In der Festkörperchemie in Pearson- und Kristallsystem-Symbolen z.B. Cu(cF4) bezeichnet kubisch-flächenzentriertes Kupfer mit vier Atomen pro Elementarzelle • Für versal geschriebene Polyedersymbole in Namen für Koordinationsverbindungen z.B. OC-6 für ein Oktaeder mit der Koordination 6 etwa bei (OC - 6 - 22) - Triamintrinitrocobalt (III) Weiterhin wird die Kursivschreibung in der anorganisch-chemischen Nomenklatur insbesonn+ dere in Formeln verwendet, um Zahlen zu kennzeichnen, die nicht definiert sind (z.B. Fe , (HBO2)n ). (Vgl. hierzu besonders die IUPAC-Regeln (IUPAC= International Union of Pure and Applied Chemistry) etwa in Liebscher 1995, Bünzli-Trepp 2001). Das Beispiel der Kursivschreibung mag als Einblick in die Formatierungskonventionen in der Chemie genügen, es sei noch angemerkt, dass Klammern, Bindestriche, Plus- und Minuszeichen, lange Striche, Schrägstriche, Punkte, Doppelpunkte, Kommas und Semikolons, Leerräume, arabische und römische Ziffern, griechische Buchstaben, Sternchen und Strichindices in der chemischen Nomenklatur jeweils mit einer eigenen Bedeutung versehen sind. In dieser Arbeit wird nach den germanistischen Standards vorgegangen, sofern nicht anders angegeben. 7 3. Überblick über die Fachsprache Chemie Um einen ersten Überblick über die Zusammensetzung der Fachsprache Chemie zu erlangen, habe ich mit Hilfe des Wörterbuchs chemischer Fachausdrücke von Neumüller (2003) ein kleines Korpus angefertigt (im Folgenden als Korpus Chemie bezeichnet). Dieses Korpus ist so gewählt, dass von jedem Buchstaben je zehn Wörter aufgenommen wurden. Diese Wörter sind das jeweils letzte Wort auf einer Seite, wobei einzelne Buchstaben oder Buchstabenkombinationen (in der Chemie als abkürzende Symbole verwendet z.B. Na für 'Natrium' oder F für 'Kraft oder Fluor'), sowie Wörter gleichen Anfangs (z.B. Wasser, Wasserstoff etc.) nicht aufgenommen wurden, um eine möglichst breite Streuung der Wortarten zu gewährleisten. Ebenso wurden Wörter der Anfangsbuchstaben J, Q, U, X, Y und Z nicht aufgenommen, da diese nicht über eine ausreichende Anzahl von Seiten verfügen. Somit beläuft sich die Anzahl der erfassten Wörter auf 200. Dieses Korpus soll mit einem auf gleiche Art gewonnenen Korpus aus dem Duden deutsche Rechtschreibung (211996) hinsichtlich der Frequenz einzelner Wortarten verglichen werden. Als Vergleichsgrundlage sollen die Werte der Wortartenfrequenz aus dem Duden Grammatik (61998: 89) dienen. Dort wird die Zusammensetzung des deutschen Wortschatzes wie folgt angegeben: Wortart Substantive Eigennamen Verben Adjektive Adverbien Anteil in % 46,0 0,9 19,3 22,6 6,7 Fragewörter Pronomen Zahlwörter Präpositionen Konjunktionen Interjektionen 0,4 0,8 0,5 1,2 1,3 0,4 Sonstige 0,0 Summe: 100,1 6 Summe: 4,6 Tabelle 1: Duden Grammatik ( 1998) Wortartenfrequenz der deutschen Sprache 8 Dass die Summe über alle Wortarten bei 100,1 % liegt, ist auf Rundungsfehler in den einzelnen Angaben der Quelle zurückzuführen. Im Korpus aus dem Duden deutsche Rechtschreibung (211996) findet sich folgende Zusammensetzung: Wortart Substantive Eigennamen Verben Adjektive Adverbien Anteil in % 58,5 8,5 8,5 14,5 0,5 Fragewörter Pronomen Zahlwörter Präpositionen Konjunktionen Interjektionen 0,5 0,0 1,5 0,5 1,0 1,0 Sonstige 5,0 Summe: 100,0 Summe: 4,5 21 Tabelle 2: Wortartenfrequenz im Korpus Duden Rechtschreibung ( 1996) Bei der Auszählung wurden folgende Wörter der Kategorie Sonstige zugeordnet: COMECON, Ecce-Homo, idg., neo-, paläo-, radio-, Sabena, salva venia, Tacho, v.J. Es handelt sich hierbei um Abkürzungen bzw. Akronyme (COMECON = Council for Mutual Economic Assistance/Aid, idg. = indogermanisch, Sabena = Société Anonyme Belge d'Exploitation de la Navigation Aérienne, v.J. = vorigen Jahres), ein Kurzwort (Tacho = Tachometer), eine Phrase (Ecce-Homo) und Konfixe (neo-, paläo-, radio-). Die Frage, inwiefern das Korpus aussagekräftig für die deutsche Sprache ist, kann als berechtigt angesehen werden, da es mit seinen nur 200 Wörtern recht klein ist. Die gewählten 200 Wörter machen von den 115 000 Stichwörtern des Duden deutsche Rechtschreibung (211996) etwa 0,2% aus. Um die 9 Aussagekraft des Korpus aus dem Duden Rechtschreibung zu überprüfen, wird die Differenz der einzelnen Anteile gebildet. Dabei bedeutet eine positive Abweichung um x, dass im Vergleich zu den Angaben im Duden Grammatik x Prozent mehr Wörter dieser Wortart gefunden wurden und bei einer negativen Abweichung entsprechend weniger. 5,0 0,6 0 Subs tantiv e Eige nnam en Verb en -10,8 Adje ktive -8,1 Adve rbien -6,2 Frag ewör ter Pron omen -0,8 Zahlw örter Präp ositio nen Konj -0,7 unkti onen -0,3 Inter jektio nen Sons tige [%] 1,0 5 0,1 10 7,6 15 12,5 Abweichung Korpus Duden deutsche Rechtschreibung (1996) gegenüber Duden Grammatik (1998) [Angaben in Prozent] -5 -10 -15 21 Abbildung 1: Vergleich Korpus Duden Rechtschreibung ( 1996) mit Duden Grammatik 6 ( 1998) Wie man sieht, wurden im Korpus Duden deutsche Rechtschreibung (211996) generell zu viele Substantive (+12,5 %) im Vergleich zu den Daten des Duden Grammatik (61998) gefunden. Auch bei den Eigennamen ist eine positive Abweichung von +7,6 % festzustellen. Die Abweichung in der Kategorie Sonstige ist zu erwarten, da sie im Duden Grammatik (61998) nicht aufgeführt wird. Die negativen Abweichungen bei den Verben und Adjektiven kann man mit der Auswahl des Korpus begründen, denn es wurde, wie schon erwähnt, auf Wörter gleichen Anfangs verzichtet und somit fallen Verben und Adjektive mit den für sie typischen Präfixen heraus. Betrachtet man aber die 10 Abweichungen bei den Fragewörtern, Pronomen, Zahlwörtern, Präpositionen, Konjunktionen und Interjektionen so fällt auf, dass die Abweichungen hier sehr gering sind. Dieses ist deshalb bemerkenswert, da trotz des recht kleinen Korpus Duden deutsche Rechtschreibung prozentual ähnlich viele von den genannten Wortarten enthalten sind. Es sei an dieser Stelle noch darauf hingewiesen, dass die Zahlen im Duden Grammatik (61998) von 1979 sind. Der Duden Grammatik führt in seiner 6. neu bearbeiteten Auflage noch immer diese Zahlen an, so kann davon ausgegangen werden, dass diese Zahlen noch immer aktuell sind. Das Korpus Duden deutsche Rechtschreibung bezieht sich auf den Duden Rechtschreibung von 1996. Die Fachsprache Chemie setzt sich nach Auswertung des Korpus wie folgt zusammen: Wortart Substantive Eigennamen Verben Adjektive Adverbien Fragewörter Pronomen Zahlwörter Präpositionen Konjunktionen Interjektionen Anteil in % 59,5 14,5 2,0 3,5 0,0 0,0 0,0 0,0 0,0 0,0 0,0 Sonstige 20,5 Summe: 100,0 Summe: 0,0 Tabelle 3: Wortartenfrequenz im Korpus Fachsprache Chemie nach Neumüller (2003) Aus dieser Auszählung geht der Unterschied der Fachsprache Chemie gegenüber dem Deutschen schon sehr deutlich hervor. So sind keine Fragewörter, Pronomen, Zahlwörter, Präpositionen, Konjunktionen und Interjektionen gefunden worden. Deshalb werden sie im folgenden Diagramm unter dem Begriff Summe zusammengefasst. Um den Unterschied zwischen dem Deutschen und der Fachsprache Chemie zu verdeutlichen, folgen nun graphische Darstellungen des Unterschiedes: 11 Zunächst Duden Grammatik im Vergleich mit dem Korpus Chemie, dann Korpus Duden Rechtschreibung mit dem Korpus Chemie. In beiden Darstellungen bedeuten positive Werte, dass von der entsprechenden Wortart im Korpus Chemie mehr Wörter gefunden wurden, als im jeweiligen Vergleichskorpus. Für negative Werte gilt Entsprechendes. 12 20,5 Abweichung Korpus Chemie gegenüber Duden Grammatik (1998) [Angaben in Prozent] 13,5 13,6 30 20 10 Sons tige me" "Sum en Verb Eige nnam en Subs tantiv e -30 -19,1 -20 Adje ktive -17,3 -10 -4,6 -6,7 0 Adve rbien [%] Abbildung 2: Vergleich Korpus Chemie nach Neumüller (2003) mit Duden Grammatik 6 ( 1998) Abweichung Korpus Chemie gegenüber Duden Rechtschreibung (1996) [Angaben in Prozent] 15,5 30 6 20 Son s ti ge -4,5 e" "Su m m Adve rbi en en Verb ame n Eig e nn Sub s ta ntiv e -30 -11 -20 Adj e kt ive -10 -0,5 0 -6,5 [%] 1 10 Abbildung 3: Vergleich Chemie nach Neumüller (2003)mit Korpus Duden Rechtschrei21 bung ( 1996) 13 Das Korpus macht von den 20 000 Stichwörtern Neumüllers exakt 1 % aus. Wie aber schon erläutert, ist es selbst mit einer kleinen Stichprobe möglich, einen recht guten Querschnitt zu erfassen. Es sind allerdings keine Zahlwörter berücksichtigt worden, die es in der Fachsprache Chemie durchaus gibt. Es werden griechische Zahlwörter verwendet, meist jedoch in Form von Affixen (z.B.: bi-, Octi-, Tetracyclo-), so dass diese in der Kategorie Sonstige gezählt wurden. Die Abweichungen zeigen in beiden Vergleichen qualitativ das Gleiche. Damit wird deutlich, dass unabhängig davon welches Korpus des Deutschen zugrunde gelegt wird, die Fachsprache Chemie in der gezeigten Richtung davon abweicht. Die Fachsprache Chemie verfügt über mehr Substantive, sie verwendet mehr Eigennamen und mehr Kürzungen, Akronyme, Abkürzungen u. Ä. Andere Wortarten sind im fachsprachlichen Gebrauch weniger frequent. Elsen (2004: 57) findet in ihrem Korpus von 505 Wörtern lediglich ein Adjektiv, der Rest sind Substantive. Sie hat ihr Korpus anhand des Römpp Chemie Lexikons ermittelt und hat dabei Affixe aus ihrem Korpus aussortiert. Dies bestätigt die ermittelten Zahlen und lässt vermuten, dass bei einem größeren Korpus die Frequenz der Substantive noch weiter steigen würde. Im Fachwortschatz dominieren die Substantive und Adjektive ("Nominalstil") über die Verben und anderen Wortarten, wie sie die ganze Vielfalt der Gegenstände und Erscheinungen zu benennen haben, auf die die fachliche Tätigkeit gerichtet ist. Sie machen durchschnittlich 60% der Lexik eines Fachtextes aus. (Hoffmann 1998: 193) Die gemachten Aussagen beziehen sich lediglich auf die Wortartenhäufigkeit im Korpus und nicht auf die sprachlichen Äußerungen in der Fachsprache Chemie. Es ist klar, dass wenn sich Chemiker auf Deutsch unterhalten sie auch die Grammatik des Deutschen berücksichtigen. Sie benötigen aber, um die Vorgänge in ihrer Wissenschaft beschreiben zu können, ein Fachvokabular, welches über den Standardwortschatz des Deutschen hinausgeht. Um die Gegenstände der Forschung und die Aussagen darüber in weitgehender Unabhängigkeit von natürlichen Sprachen beschreiben zu können, hat sich jede Disziplin der Wissenschaft ihre Fachsprache geschaffen. (Liebscher 1992: 1) Wie Liebscher ganz treffend feststellt, handelt es sich bei der Fachsprache um eine künstlich geschaffene Sprache, die von den jeweiligen Sprechern erlernt werden muss. Die Fachsprache Chemie ist keine Muttersprache, sie 14 muss von allen Sprechern ähnlich einer Fremdsprache erlernt werden. Sie ist sehr umfangreich und umfasst laut Liebscher (1992) etwa 2 Millionen Wörter. Das sind tausend Mal mehr Wörter als zur Verständigung im Alltag benötigt werden. Diese Zahl scheint etwas großzügig bemessen zu sein, vergleicht man Neumüller (2003), der in seinem Wörterbuch über 20 000 Stichwörter aufführt und Knepper (51997), der in seinem Wörterbuch 65 000 Fachbegriffe und 130 000 Übersetzungen aufführt. Im Duden Grammatik (61998: 408) findet sich die Angabe von "mehr als 3 000 000 Wörter" allein für die organische Chemie. Die wahre Anzahl dürfte irgendwo dazwischen liegen. Berücksichtigt man zusätzlich den unendlichen Wortschatz, der durch die Nomenklatur hinzukommt, so handelt es sich wohl um eine beachtliche Anzahl von Wörtern. Es gibt ein Bestreben die chemischen Fachbegriffe allgemein international zu vereinheitlichen (dazu besonders die Arbeit der IUPAC und anderer Organisationen). Dem Aspekt der Aussprachevereinheitlichung innerhalb des Deutschen ist noch wenig Aufmerksamkeit geschenkt worden, z.B.: Chemie [ñCe»miñ vs. ñke»miñ ] Fluoride [ñflu˘r»id´ñ vs. fluç»rid´ñ] Ferrit [ñf :r ritñ vs. ñf :r 'r I˘tñ] In den wenigsten eingesehenen Wörterbüchern (DeVries (1972), IUPAC (21997), Knepper (1995 und 5 1997), Kucera (1997), Neumüller (2003), Römpp (1995a und 1995b), Wenske (1994)) sind Lautumschriften zu finden: CD Römpp verweist bei der Aussprache: Im deutschen Sprachraum ist die A[ussprache] chem[ischer] Wörter durch die Anweisungen des Duden (Bd. 6: Aussprachewörterbuch) festgelegt; weitere Hinweise auf Betonungen findet man in „Jansen-Mackensen, Rechtschreibung der technischen und chem[ischen] Fremdwörter, Weinheim: Verlag Chemie 1959“ sowie in „Siebs, Deutsche Hochsprache, Berlin: de Gruyter 1969“. (CD Römpp: Stichwort Aussprache) Knepper verzichtet in beiden Wörterbüchern (1995, 19975) auf jeglichen Hinweis zur Aussprache sowohl im Deutschen als auch im Englischen. Neumüller (2003) nimmt für einige wenige Stichwörter eine Umschrift in Lautschrift vor, nämlich für die, "deren Aussprache erheblich von ihrem Lautbild abweicht […]. Dazu gehören […] Fremd- und Lehnwörter aus lebenden 15 Sprachen" (Neumüller 2003: 25). Das Duden Fremdwörterbuch (82005) weist auf Aussprachevarianten hin (z.B. bei Ferrit). 16 4. Typen und Tendenzen der Wortbildung im Deutschen mit Hinblick auf die Fachsprache Chemie Die Theorie über den Strukturaufbau von Wörtern heißt Morphologie (Meibauer 2002: 22). Es schließt sich sofort die Frage an, was Wörter sind. Eisenberg definiert: Ein Wort ist lexikalisiert, wenn es im "normalen Gebrauch" der Sprecher einer Sprache oder von bestimmten Sprechergruppen ist, die ihr "Speziallexikon" haben (vgl. Eisenberg 22004: 215). Lexikalisierung bedeutet hierbei, dass das Wort zum Wortschatz dazugehört. Wörter können wie folgt unterschieden werden: das usuelle Wort, die Adhoc-Bildung, der Okkasionalismus und der Neologismus. Das usuelle Wort ist dem normalen, erwachsenen Sprecher bekannt. Hier kann in idomatisierte Wörter (die Wortbedeutung lässt sich nicht aus den Einzelbestandteilen rekonstruieren) und motivierte Wörter (die Wortbedeutung lässt sich rekonstruieren) unterschieden werden (dazu vgl. Meibauer 2002). Eisenberg hält fest (22004: 216): "Wörter, die gemäß einer aktiven Regularität strukturiert sind, sind morphologisch wie semantisch transparent". Sprecher einer Sprache speichern ihren Wortschatz im mentalen Lexikon. Darin finden sich mit einer hohen Wahrscheinlichkeit auch Einträge zur Bildung neuer Wörter, wie Affixe und deren Gebrauch und Bedeutung. Im mentalen Lexikon ist, einfach ausgedrückt, das gesamte diesem Sprecher zur Verfügung stehende Material inklusive jeglicher dazu benötigter Regeln verzeichnet um kommunizieren zu können. Zunächst soll die Begrifflichkeit rund um das Wort näher erläutert werden. Es folgt ein Überblick über die Möglichkeiten der Wortschatzerweiterung. Hiervon soll dann die Wortbildung näher betrachtet werden. Es werden die Derivation, eines der Hauptverfahren zur Wortbildung der Fachsprache Chemie, die Konversion und die Rückbildung angesprochen. Die Problematik des Affixoids soll knapp diskutiert werden. Es folgen das Konfix, die Rekombination, die Komposition, die Wortgruppenlexeme, die Zusammenbildung, die Kontamination, die Kurzwörter sowie die Analogiebildung. Wo es möglich ist, werden die dargestellten Verfahren an Beispielen aus der Fachsprache Chemie demonstriert. Dieser Überblick erhebt keinen Anspruch auf Vollstän- 17 digkeit und soll lediglich die Verfahren der Wortbildung soweit erläutern, wie dies zum Verständnis der Substantivbildung in der Fachsprache Chemie von Bedeutung ist. Wünscht man ein weiteres Verständnis der einzelnen Möglichkeiten, so möge man in der einschlägigen Fachliteratur nachschlagen (Eisenberg 22004, Donalies 2002, Motsch 22004). Ich werde mich im Folgenden an die tradierten Termini aus der Literatur halten. 4.1 Das Wort Auf die Frage was ein Wort ist, gibt es vielfältige Antworten. Meibauer unterscheidet drei Definitionen. Das orthographische Wort ist eine Gruppe von Buchstaben, die durch Leerzeichen von anderen Buchstabengruppen getrennt ist. Bei dieser Beschreibung gibt es bei Wörtern wie anrufen Probleme, da in Konstruktionen wie sie ruft morgen abend an das betreffende Wort getrennt wird. Problematisch wird es auch mit Wörtern, die eine historische Tendenz zur Zusammenschreibung aufweisen (z.B. infolge, aufgrund) und jetzt durch die Orthographiereform getrennt geschrieben werden. Das phonologische Wort wird durch Grenzsignale wie Akzent und Sprechpausen abgegrenzt. Auch bei dieser Bestimmung kann es zu Schwierigkeiten kommen (z.B. die Frage: Heißt es der die oder das Kuhliefumdenteich? 'die Kuh lief um den Teich' oder Blumentopferde 'Blumento-pferde vs. BlumenTopferde'). Eine angemessenere Beschreibung eines Wortes ist die des morphologischen Wortes, bei dem ein Wort als ein frei auftretendes Morphem bzw. eine frei auftretende Morphemkonstruktion beschrieben wird. Der Begriff des Morphems ist in der Morphologie "der wichtigste Grundbegriff" (Meibauer 2002: 29). Ein Morphem ist die kleinste bedeutungstragende Baueinheit von Wörtern und kann als "einfaches sprachliches Zeichen" (Meibauer 2002: 29) verstanden werden. Schwierig ist diese Definition für Einheiten, wie zu und -en (als Infinitivmorphem), da diese keine eigene Bedeutung tragen. So kommt Meibauer zu einer erweiterten Definition: Morpheme sind einfache sprachliche Zeichen, die eine bestimmte Lautung und mindestens eine außerphonologische (d.h. semantische, syntaktische…) Eigenschaft aufweisen. (Meibauer 2002: 29) 18 Eisenberg beschreibt das Morphem mit den gleichen Einschränkungen wie Meibauer (vgl. Eisenberg 22004: 221, 225). Die Definition des Wortes als frei vorkommend ist besonders relevant für die Abgrenzung der Wörter von den Konfixen. (Donalies 2002: 20) Worte wie Haus, rot und auf werden als monomorphematische Wörter (Simplizia) beschrieben. Sie unterscheiden sich von komplexen Wörtern wie Hochhaus und ungut, die aus mehreren Morphemen bestehen und durch Wortbildung entstanden sind. Folglich kann man die Morpheme in zwei Arten unterscheiden: die gebundenen und die freien Morpheme. Als gebundene Morpheme betrachtet man z.B. -lich, un- u.ä., als freie Morpheme Haus, rot u.ä. Hinzu kommen die unikalen Morpheme, die in nur einer Morphemkonstruktion vorkommen, etwa Him- in Himbeere, oder Brom- in Brombeere. (Für den Chemiker sei hier angemerkt, dass es sich bei Brom- nicht um das Element Brom handelt. Es liegt lediglich die gleiche orthographische Form vor, jedoch keine phonologische: Brom- in Brombeere mit kurzem o und Brom als Element mit langem o. Auch morphologisch kann man Brom- von Brom unterscheiden, da die Semantik stark divergiert.) Mit dem Begriff Allomorph sind die Varianten eines Morphems gemeint (z.B. ruf-, rief oder die Pluralmorpheme -en, -s etc.). Der Stamm bezeichnet ein Morphem bzw. eine Morphemkonstruktion ohne Flexionsmorpheme (vgl. Meibauer 2002, Eisenberg 22004: 223ff.). Auf den Begriff Wurzel wird verzichtet, da er laut Eisenberg keine Erleichterung in der Beschreibung bringt. 19 4.2 Möglichkeiten der Wortschatzerweiterung Es stehen im Wesentlichen vier Möglichkeiten zur Wortschatzerweiterung zur Verfügung: die Wortschöpfung, die Bedeutungsveränderung bzw. -erweiterung, die Entlehnung und die Wortbildung. 4.2.1 Die Wortschöpfung Die Wortschöpfung, auch Urschöpfung genannt, bedient sich des vorhandenen Lautmaterials. Bildungen dieser Art sind ohne Vorbild (Meibauer 2002), nichtkomplex und völlig arbiträr (Elsen 2004). Wegen der kommunikativen Beschränkung ist diese Art der Wortschatzerweiterung einer entwickelten Sprache selten (vgl. Donalies 2002: 18). Die Wortschöpfung wird von Elsen in den Bereich der Kunstwortbildung gerückt. Dadurch werden besonders neue Namen gebildet, etwa Biosil und Biopren 'Zahnfüllmittel'. Dabei handelt es sich um ein Kunstwort, "weil sil und pren keine Bedeutung tragen" (Elsen 2004: 38). Betrachtet man jedoch Bildungen wie Persil 'Perborat und Silikat' und Neopren 'Marke für einen Chloroprenkautschuk', so erscheint diese Aussage von Elsen als zweifelhaft, vor allem, da sil- von Neumüller (2003) als "Namensstamm in systematischen Namen und Trivialnamen von Siliciumverb[indungen]" beschrieben wird (vgl. Neumüller 2003: 625). 4.2.2 Die Bedeutungsveränderung bzw. -erweiterung Donalies (2002) zählt die Bedeutungserweiterung bzw. Bedeutungsveränderung ebenfalls zu den Möglichkeiten der Wortschatzerweiterung. Diese Methode betrifft jedoch lediglich die Inhaltsseite eines bereits existierenden Wortes. Beispiele aus der Fachsprache Chemie sind etwa Säule (säulenförmige Apparatur der Chromatographie), Kolonne (säulenförmige Apparatur, die bei einer Destillation für eine bessere Auftrennung des Stoffgemisches sorgt), Reaktion, Kolben, Kontamination (Kontamination1: in der Fachsprache Chemie bezeichnet man damit die Verunreinigung durch eine Chemikalie; Kontamination2: in der Fachsprache Linguistik bezeichnet man damit eine Wortdurchmischung, auch Kofferwort z.B. Der satanarchäolügenialkohölli- 20 sche Wunschpunsch von Michael Ende), Komplex (Komplex1: in der Fachsprache Chemie eine Verbindungsklasse; Komplex2: komplizierter Sachverhalt und weitere Bedeutungen). 4.2.3 Die Entlehnung Durch Fremdwortbildung, auch Entlehnung, wird der Wortschatz durch Übernahme aus anderen Sprachen ausgebaut (häufig aus dem Englischen (vgl. Meibauer 2002: 21)). Auffällig in der Fachsprache Chemie sind die vielen Entlehnungen aus dem griechischen und lateinischen Wortschatz. Das kann man als eine Verpflichtung der westlichen Welt an das griechisch-römische Erbe interpretieren. Grund dafür ist der Umbruch in der Chemie im 18. Jahrhundert, als der Übergang von der Alchemie zur analytischen Chemie stattfand. Es bot sich für eine grenzüberschreitende Kommunikation an, dem Lateinischen und Griechischen nachempfundene Wörter zu verwenden, um etwa nationalsprachliche Wörter zu vermeiden (vgl. Franz 2001: 5). 4.2.4 Die Wortbildung Die Wortbildung, auch Neubildung, bedient sich bereits sinnhaltiger Einheiten und verknüpft diese nach bestimmten Mustern. So entstehen immer komplexe Wörter. Die Wortbildungsmöglichkeiten des Deutschen sollen im Folgenden näher erläutert werden. Die Wortbildung muss von der Flexion abgegrenzt werden, da in der Flexion Wörter keine neue Bedeutung erhalten, sondern das Paradigma gefüllt wird. Wortbildung soll als "Wortstammbildung" verstanden werden (vgl. Bußmann 1990: 244; Donalies 2002: 127). Donalies grenzt auch die Wortbildung von der Entlehnung deutlich ab: Wortbildung unterscheidet sich demnach von der Entlehnung vor allem dadurch, dass Wortbildung ausschließlich Sprachmaterial der eigenen Sprache nutzt, Entlehnung dagegen ausschließlich Sprachmaterial einer anderen Sprache. In die Zielsprache übernommene Entlehnungen gehören nicht zum Wortschatz der Zielsprache. (Donalies 2002: 16) Diese strenge Abgrenzung lässt sich für das Deutsche sicherlich gut durchhalten. In der Fachsprache Chemie wird eine solche strikte Trennung aber schier unmöglich, da sich die Fachsprache Chemie einer Vielzahl von Ent- 21 lehnungen aus dem Griechischen, Lateinischen, Arabischen, Französischen und Englischen bedient. Dennoch entsprechen die angewandten Wortbildungsmuster in der Fachsprache Chemie den deutschen Wortbildungsmustern. Das Sprachmaterial der Fachsprache besteht nun einmal größtenteils aus Entlehnungen der aufgezählten Sprachen. 4.3 Die Wortbildung Es gilt bei allen im Folgenden vorgestellten Wortbildungsverfahren, die im Rahmen dieser Arbeit nur angerissen werden können, der ständige Verweis auf die gängigen Wortbildungslehren (z.B. Fleischer / Barz (21995), Duden Grammatik (61998, Motsch (22004), Eisenberg (22004), Erben (42000) u.a.). 4.3.1 Die Derivation "Die Derivation ist neben der Komposition […] ein wichtiger Wortbildungsprozess" (Meibauer 2002: 29). Die Derivation (auch Ableitung vgl. Gallmann 4 1998) wird in zwei Arten unterschieden: die explizite Derivation und die im- plizite Derivation. Bei der impliziten Derivation findet ein Wortartenwechsel statt ohne morphologisches Merkmal, etwa durch Ablaut. Derivation wird also definiert als Ableitung von Wörtern, Konfixen, Sätzen, Phrasen und unikalen Einheiten erstens durch Wortbildungsaffixe, zweitens durch Wortartwechsel, drittens durch Ablaut. (Donalies 2002: 139) Bei der expliziten Derivation wird ein Stamm durch Affixe abgeleitet. Der Begriff Affix stellt einen Oberbegriff zu Präfix, Suffix, Infix und Zirkumfix da. Das Präfix steht dabei links vom Stamm, das Suffix rechts, das Infix wird eingeschoben und das Zirkumfix umfasst den Stamm. Dazu folgende verdeutlichende Grafik: 22 Infix Präfix Stamm Suffix Zirkumfix Abbildung 4: Graphische Darstellung der Positionen von Affixen Affixe können des Weiteren in native und nicht-native Affixe unterschieden werden. Nicht-native Affixe sind Lehnaffixe und/oder Fremdaffixe (vgl. Meibauer 2002). Affixe sind aktiv an der Wortbildung beteiligt, sind jedoch nicht basisfähig, d.h. sie benötigen immer einen Stamm. Eine Wortbildungskonstruktion nur aus Affixen ist nicht möglich, z.B. *Unbold (vgl. Eisenberg 2 2004: 217). Typische Präfixe sind z.B. (nativ:) miß-, un- ; (nicht-nativ:) anti-, dis- (Fleischer/Barz 21995: 36f.). Präfixe lassen die Stammwortart unverändert und sind nicht stammwortartenspezifisch (vgl. Meibauer 2002, Donalies 2002). Typische Suffixe sind z.B. (nativ:) -bold, -chen ; (nicht-nativ:) -arium, -iere (Fleischer/Barz 21995: 37). Suffixe heften sich an bevorzugte Stammwortarten und verändern diese häufig. Donalies spricht hier davon, dass Suffixe eine transponierende Wirkung haben (Donalies 2002: 34f.), d.h. durch Transposition wird ein Wort in eine andere Wortart überführt. Infixe sind in der Forschung ein umstrittenes Thema. Eisenberg (22004: 232) rechnet die Fugen (z.B. das -s- in Liebesbrief) zu den Infixen. Donalies (2002: 33) und Duden Grammatik (61998: 416) stellen fest, dass man von Infixen in der deutschen Wortbildung nicht sprechen kann. Fleischer/Barz (21995: 32) nennen Fugenelemente Interfixe und stellen fest, das es im Deutschen keine Infixe gibt. Sie argumentieren: Fugenelemente tragen keine semantische Bedeutung und seien deshalb als Interfixe zu bezeichnen, Infixe 23 trügen aber eine semantische Bedeutung und sind damit von den Interfixen abzugrenzen (vgl. dazu auch Donalies 2002: 56). Als native Infixe nennt Eisenberg (22004: 236) -n-, -s- u.ä., als nicht-native -ial- und -o-. Als Begründung, das Fugen Infixe sind, schreibt Eisenberg: Läßt der erste Bestandteil mehrere Fugen zu, so ist die Wahl zwischen ihnen abhängig vom zweiten Bestandteil. Fugen sind also relational und werden deshalb als 2 Infixe kategorisiert. (Eisenberg 2004: 237) Aus praktischen Gründen schließe ich mich Eisenberg an: Alles was in eine Wortbildungskonstruktion eingefügt wird, soll als Infix angesehen werden. Zirkumfixe bestehen wie schon erwähnt aus zwei Teilen, einem Präfix und einem Suffix, welche immer in dieser Kombination gemeinsam auftreten. Ein typisches Zirkumfix ist ge- -e (z.B. Ge-renn-e, Ge-scheib-e). Die Derivation ist, wie zuvor schon angedeutet, das wichtigste Wortbildungsverfahren in der Fachsprache Chemie. Alle systematischen Substanznamen werden mittels Derivation gebildet. Dies soll hier nun kurz anhand der Nomenklatur von Komplexverbindungen demonstriert werden. Es ist anzumerken, dass die Regeln für die Nomenklatur von der IUPAC festgeschrieben werden. Die Morpheme, aus denen ein Substanzname nach IUPAC gebildet wird, sind vollmotiviert. Auf diese Art gebildete Substanznamen sind im Wesentlichen international verständlich. Die Nomenklatur, die sprechbare, linearisierte Strukturformel, kann damit nur das im Namen ausdrücken, was die Strukturformel - der für die Abbildung der räumlichen Anordnung der Atome sowie deren Verknüpfung im Molekül entwickelte Symbolismus - beschreibt. (Liebscher 1992: 37) Eine Komplex-Verbindung ist aus einem Zentralatom und mehreren an dieses Zentralatom gebundenen Liganden aufgebaut. Es handelt sich um Verbindungen mit einer bestimmten räumlichen Orientierung. 24 L L In nebenstehender Abbildung ist die räumliche Struktur eiL z L L nes Komplexes abgebildet. In diesem Komplex ist das Zentralatom (Z) von sechs Liganden (L) umgeben. Bei einem Ligand handelt es sich um eine Atomgruppe, die an L das Zentralatom gebunden ist. Die Liganden bilden die Abbildung 5: Räumliche Darstellung eines Komplexes Ecken eines Oktaeders[2]. Neben dieser Oktaederform können Komplex-Verbindungen noch zahlreiche andere Formen annehmen. Man kann einen Komplex in der Sym- bolsprache (vgl. dazu auch den Exkurs zur chemischen Symbolsprache) der Chemie wie folgt darstellen: K4 [Fe(CN)6] (= Summenformel). Der systematische Name Kalium-hexacyanoferrat(II) wird wie folgt gebildet: Der Komplex ist hier in der elektrisch neutralen Form angegeben. Beim Lösen in Wasser würde er in vier einfach positiv geladene Teilchen (Kaliumkationen genannt) und ein vierfach negativ geladenes Teilchen zerfallen (Komplexanion, hier in der eckigen Klammer angegeben; die räumliche Anordnung entspricht der Abbildung). Bei einem Komplex dieser Art wird das Kation zuerst genannt, also ist Kalium der erste Namensteil (K ist Symbol für Kalium [3] ). Eine weite- re Regel besagt, dass die Liganden vor dem Zentralatom benannt werden. In diesem Beispiel handelt es sich bei den Liganden um CN-, was Cyano genannt wird. Das o in Cyano markiert die negative Ladung. Da der Ligand sechsfach vorhanden ist (in der Summenformel durch die tiefgestellte sechs kenntlich gemacht), erhält er das Präfix hexa-. Das Zentralatom ist Eisen (Fe) und es ist zweifach positiv geladen, es kommt im Komplexanion vor und wird deshalb mit lateinischem Namen und dem Suffix -at benannt. Damit lautet der Name nun Kalium-hexacyanoferrat . Schließlich wird noch die Ladung des Zentralatoms als römische Ziffer in runden Klammern nachgestellt: Kalium-hexacyanoferrat(II). (Ein Ausschnitt aus einem Lehrbuch zu den No- menklaturregeln für Komplexe findet sich im Anhang unter 8.4.) 2 3 Der Oktaeder gehört zu den platonischen Körpern und nennt sich wegen seiner acht Seitenflächen 'Acht-flächner'. Für jedes chemische Element steht eine Abkürzung bzw. Symbol in Form von einem oder zwei Buchstaben. Der erste Buchstabe wird immer groß geschrieben, dies dient der Unterscheidung: z.B. Co steht für Cobalt und CO steht für Kohlenstoffmonoxid. Einen Überblick über die Elemente und ihre Symbole findet sich im Anhang unter 8.3. 25 Das hier aufgeführte Beispiel zur Benennung von Komplex-Verbindungen ist keineswegs vollständig, kann aber als ein repräsentativer Einblick in das Wesen der Nomenklatur gewertet werden. Die Nomenklatur stellt ein immenses Inventar an Affixen zur Verfügung, welches anhand bestimmter Regeln zu Substanznamen zusammengesetzt wird. So gibt es vielfältige abkürzende Namen für Liganden, z.B. Cyano für CN-, Thiocyanato NCS-, Hydroxo für OH -. Die Nomenklaturregeln werden je nach Substanzklasse entsprechend angewendet, so dass verschiedene Nomenklaturtypen entstehen: Substitutionsnomenklatur, Konjunktionsnomenklatur, Multiplikationsnomenklatur, Additionsnomenklatur, Subtraktionsnomenklatur, Funktionsklassennomenklatur und weitere (vgl. Bünzli-Trepp 2001: 31). Ein Beispiel für die unterschiedlichen Nomenklatursysteme nun im Folgenden: SiCl4 (Si steht für Silicium, Cl für Chlor, die tiefgestellte 4 gibt an, dass 4 Chloratome an ein Siliciumatom gebunden sind): Siliciumtetrachlorid (Binärnomenklatur) Tetrachlorosilicium (Koordinationsnomenklatur) Tetrachlorsilan (Substitutionsnomenklatur) Wie diese Beispiele zeigen, ist eine Einteilung in Affixkategorien pauschal schwierig, da einzelne Elemente an verschiedenen Stellen auftreten können (etwa silicium). Unterscheidet man die einzelnen Nomenklatursysteme voneinander, so gestaltet sich dies etwas einfacher. So kann man sagen, dass in der organischen Chemie die Namen im Wesentlichen nach folgendem Schema gebildet werden: PRÄFIXE + STAMMNAME + SUFFIX oder: PRÄFIXE + STAMMSUBSTITUENTENNAME + FUNKTIONSSTAMMNAME 26 Dabei tragen die Bestandteile folgende semantische Bedeutung: Präfix: Name von Substituenten, die nicht Hauptgruppe sind (z.B. Methyl- für CH3-Gruppe) Stammname: Name der Gerüststammstruktur (z.B. Ethan) Suffix: Name der Hauptgruppe (z.B. -ol für OH-Gruppe) Funktionsstammname: (Trivial-)Name der Hauptstruktur einer Verbindung (z.B. -phosphonsäure-) (dazu vgl. Bünzli-Trepp 2001: 5 ff.) Dies zeigt, dass die Nomenklatur dem Wesen der Derivation folgt. Allerdings können die Namen noch durch Lokanten (Zahlen oder lateinische oder griechische Buchstaben, die die Position eines Atoms innerhalb einer Substanz beschreiben) und Multiplikationsaffixe (lateinische Zahlbezeichnung zur Kenntlichmachung der Häufigkeit eines Strukturbestandteils) sowie weitere Symbole (Chiralitätssymbole u.ä.) erweitert werden. Exkurs: Die chemische Symbolsprache Eine Besonderheit der Fachsprache Chemie ist die nonverbale Form mittels einer Symbolsprache. Diese (abkürzende) Symbolschreibweise ist international und gibt Elemente, Eigenschaften oder Einheiten, Formeln für Substanzen bzw. Reaktionen wieder. Den Grundstein der chemischen Symbolsprache haben die Alchimisten gelegt. Mittels dieser Symbolsprache können Chemiker, solange sie über ein geeignetes Medium z.B. Tafel, Papier etc. verfügen, kommunizieren. Dieses System versagt aber schon bei einem Gedankenaustausch am Telefon. Mit der Symbolschreibweise können chemische Substanzen modellhaft abgebildet werden. Die Formelschreibweise für Substanzen bildet die Substanzen selbst ab. So ist z.B. CuSO4 • 5 H2O für einen Chemiker klar als blaues Kupfersulfat erkennbar, er könnte aber auch Kupfer(II)-sulfat-Pentahydrat (sprich: kupfer-zwei-sulfat-pentahydrat) sagen oder lediglich Kupfersulfat. Hier zeigt sich schon, dass die verbale Bezeichnung viele Formen annehmen kann, ohne falsch zu sein, aber eindeutig eine bestimmte Menge an Information verschweigt. Häufig genug sind in solchen Formeln auch Zeichen anderer Schriftsysteme (etwa griechische Buchstaben) enthalten, dies dient dann der Kennzeichnung von gewissen Stoffeigenschaften. Die Formel CuSO4• 5 H2O ist international verständlich. 27 4.3.2 Das Affixoid Das Affixoid ist ein Begriff, der häufig in der Literatur auftaucht und sehr umstritten ist. Bei einem Affixoid handelt es sich um gebundene Morpheme, die noch ein freies Pendant neben sich haben (z.B. -werk, -zeug). Allerdings haben sie sich in ihrer gebundenen Form semantisch schon weit von ihrem freien Pendant entfernt, ihre Bedeutung wird abstrakter. Elsen (2004) beschreibt Affixoide als dynamische Elemente, die sich dem Konfix gegenläufig entwickeln. Sie "entstehen durch Grammatikalisierung aus freien Stämmen" (Eisenberg 22004: 214) hin zu einer gebundenen Form. Donalies (2002: 25) erachtet den Begriff Affixoid als unnötig, da mit einer Übergangskategorie nichts gewonnen wird (vgl. besonders auch Schmidt 1987: 100f.). Das Affixoid erscheint als Begriff in einer diachronen Untersuchung als angebracht, aber nicht in einer synchronen, da wie Elsen (2004) sagt, der begriff Affixoid sich auf den Prozess bezieht. Dieser Prozess wird vor allem in einer diachronen Betrachtung etwa über den Wandel von beispielsweise werk und zeug sichtbar. 28 Exkurs: Die Grammatik der chemischen Nomenklatur In den Handbüchern zur Nomenklatur der IUPAC findet sich ein Kapitel mit dem Titel "Grammatik". Hier werden die Elemente, die zur Nomenklatur herangezogen werden, beschrieben. Es handelt sich zum einen um Formatierungskonventionen (vgl. Exkurs zur Formatierungskonventionen in der Fachsprache Chemie), zum anderen werden die Morpheme der Nomenklatur beschrieben. Dabei handelt es sich um multiplikative Präfixe (Di-, Tri-, Tetra-, Penta- etc.), Lokanten (arabische Ziffern oder Kleinbuchstaben, welche die räumliche Anordnung von beispielsweise Substituenten kennzeichnen, z.B. 1,4-Dimetylbenzol auch p-Xylol [4] [5] ) sowie Affixe. Diese werden wie folgt beschrieben: Jeder Name, der komplexer als ein einfacher Elementname ist, besteht aus einem Stamm mit Präfix oder Suffix. Das Suffix ist ein endständiger Vokal, oder eine Kombination von Buchstaben. Diese Endungen vermitteln Informationen, sind für die Verkürzung der Namen sehr zweckmäßig und haben einige spezielle Bedeutungen. (Liebscher 1995: 39) Zahlreiche Präfixe, Infixe und Suffixe sind in der chemischen Nomenklatur bekannt. Sie werden auch in Neumüller (2003) und in Römpp als Nomenklaturaffixe aufgeführt (z.B. Ox-, -oxy- , -id). 4.3.3 Das Konfix Konfixe sind keine "wortfähigen" Wortbildungsbasen, dennoch sind sie "eigenständige lexikalische Elemente" (Fleischer 1995: 65) und treten immer gebunden auf. Fleischer unterscheidet heimische von nichtheimischen Konfixen. Heimische Konfixe (z.B. stief in Stiefvater) beschreibt er als gebundene Morpheme, die in mehreren Konstruktionen vorkommen (im Gegensatz zu Unikalen). Die Unikalität verbietet die Qualifizierung als Konfix. Für nicht heimische Konfixe hält Fleischer fest, dass diese bewusst entlehnt werden, produktiv sind und sich damit genetisch, funktionell und quantitativ von den heimischen unterscheiden. 4 Hier wird zu Gunsten der chemischen Kursivschreibung von p für para auf die germanistische verzichtet. CH3 1 2 3 4 5 CH3 Die kleinen Ziffern zählen die Position ab an der CH3 gebunden ist. So kommen die Zahlen 1 und 4 zustande. Dies ist wichtig, da CH3 auch die Positionen 1 und 3 einnehmen könnte. 29 Mit dem Terminus Konfix ist die Wortbildungsbeschreibung in der Lage, dem besonderen Status dieser W[ort]b[ildungs-]Basen Rechnung zu tragen. (Fleischer 1995: 63) Konfixe können in der Konstruktion wieder zu einem Bestandteil weiterer Bildungen werden (z.B. Stiefvater stiefväterlich). Sie kommen als Konfix- komposita (z.B. Tankwart) oder als Konfixderivate (z.B. kniepig) vor. Dem Konfix fehlt die Abstraktheit eines Affixes, es ist noch nicht derartig semantisch entleert. Die Reihenbildung ist nicht so ausgeprägt wie bei einem Affix. Es stellt keine Variante einer "wortfähigen" Wortbildungsbasis dar (z.B. Variante: -erd(e)- und -ird-, -ird- ist nicht Konfix) und es handelt sich nicht um die Beschreibung einer kombinatorischen Derivation (Präfigierung in Kombination mit desubstantivischer bzw. deadjektivischer Konversion). Ein prototypisches Konfix hat an produktiven Wortbildungsmustern teil und besitzt in derselben Weise wie Stämme eine lexikalische Bedeutung. Wortfähig ist es nicht, d.h. es besitzt insbesondere keine Flexionskonfixform, die für sich vorkommt. (Ei2 senberg 2004: 243) Konfixe können nicht wie Stämme unmittelbar durch Flexionsaffixe syntaktisch nutzbar gemacht werden. Konfixe sind damit keine Wortformen, sie sind aber wie Wörter basisfähig, indem sie mit Wortbildungsaffixen wie z.B. -isch in geologisch Derivate bilden (vgl. dazu Donalies 2002: 21f.). Die Entstehung der Konfixe, erklärt Fleischer, beruhe darauf, dass das Konfix eine Art Relikt sei, welches eben nur noch in diesen gebundenen Formen enthalten ist. Der Gebrauch des selbstständigen Wortes zeigt weitestgehende Einschränkungen; es ist bisweilen noch lexikographisch fixiert, ohne daß die betreffenden 'freien' Einheiten im praktischen Gebrauch der Standardsprache überhaupt noch eine Rolle spielen. (Fleischer 1995: 62) Elsen (2004: 33) hält die Entstehung des Konfixes für einen der Affixoidentstehung entgegen gesetzten Prozess, bei dem aus einem freien Morphem ein gebundenes entsteht. Im Unterschied zu Affixoiden, die auf freie Lexeme zurückgehen und immer noch freie Pendants besitzen, sind Konfixe gebunden, aber frei in anderen Sprach(stuf)en. (Elsen 2004: 32) Dem widerspricht Eisenberg (22004: 244), indem er das Konfix "als gebundene morphologische Einheit" definiert. Besonders aus anglizistischen Präkonfixen (z.B. hard, home, allround) könnten jederzeit Stämme werden. Konfixe lateinischen oder griechischen Ur- 30 sprungs treten häufig mit der Fuge o oder i auf. Die Verbalisierung eines Wortbildungskonstrukts, welches auf ein Konfix endet, geschieht mittels -ieren (z.B. philosophieren, oxidieren, chromatographieren) (vgl. Eisenberg 2 2004: 244f.). Konfixe sind nicht platzfest wie Affixe (Elsen 2004: 31; Meibauer 2000: 31; Donalies 2002: 22), z.B. graf-/-graf- in Grafie, Biograf, phil-/-phil in Philosoph, bibliophil oder therm-/-therm in thermisch, endotherm. Dennoch kann man Konfixe finden, die eine Position bevorzugen. So unterscheidet Eisenberg (22004: 244) Präkonfixe (z.B. argo-, bio-, mini-) und Postkonfixe (z.B. -drom, -log, -therm). Bei Konfixen ist eine Konfix-Konfix-Verbindung möglich, bei Affixen nicht, z.B. Biograf (vgl. Meibauer 2000: 31). Die Postkonfixe sind wie Suffixe auch wortartmarkiert und sie heften sich nur an nicht-native Basen (vgl. Meibauer 2000: 51). Konfixe dienen als Derivationsbasis (Fleischer 1995: 66, Donalies 2000: 154) und kommen darüber hinaus besonders häufig in Konfixkomposita vor (Eisenberg 22004: 244). 4.3.4 Die Rekombination Die Rekombination liefert Wörter, die nicht als Ganzes entlehnt sind. So können sich Einheiten aus Lehnwörtern herauslösen und nun selbst als Wortbildungseinheit dienen. Das 'Herauslösen' morphologischer Einheiten aus komplexen Wörtern durch Reanalyse kommt bei Entlehnung immer wieder vor, und zwar nicht nur bei Komposita, 2 sondern bei allen Wortbildungstypen. (Eisenberg 2004: 242) Eisenberg führt als Beispiel an, dass sich aus der Reihe Personality, Publicity, Fidelity, Nobility und Austerity das Suffix -ity herauslöst und gleichzeitig damit auch die Wortbildungsstämme public, fidel, nobil etc. entstehen, die dann möglicherweise durch andere Wortbildungsaffixe nutzbar gemacht werden. In der Fachsprache Chemie kann das Nomenklatursuffix -id aus Oxid als eine solche Bildung angesehen werden. So entstehen unter Umständen neue Wortbildungseinheiten, die selbst nicht wortfähig sind, aber durch Affixe oder in Kombination mit andern Wortbildungsstämmen wortfähig gemacht werden. 31 4.3.5 Die Konversion Meibauer (2000: 32) bezeichnet die Konversion als den dritten wichtigen Typ der Wortbildung neben der Derivation und der Komposition. Die Konversion, auch Nullableitung, bildet ohne morphologische Merkmale neue Wörter, z.B. schau + en → Schau, Fisch → fisch + en, Säule → säul + en (Laborjargon für 'eine Substanz mittels Chromatographiesäule auftrennen'). Eisenberg (22004: 247) betrachtet die Konversion als einen Grenzfall der Derivation. 4.3.6 Die Komposition Die Komposition, auch Zusammensetzung, bildet komplexe Wörter, die aus zwei oder mehr Stämmen zusammengesetzt sind, z.B. Federmäppchen. Die Zusammensetzungen können dabei sehr komplex werden, z.B. Badewannenabflussrohrverstopfungsbeseitigungsgummistampfer. Solche Bandwurmwörter können dabei auch immer wieder selbst Kompositionsglied werden, z.B. Badewannenabflussrohrverstopfungsbeseitigungsgummistampfefabri- direktor. Die hier gezeigte "Substantivkomposition ist der am meisten verbreitete Worttyp des Deutschen überhaupt" (Eisenberg 22004: 226). Die Haupttypen der Substantivkomposita sind: N N+N (Computer + tisch) N A+N (Rot + licht) N V+N (Dreh + griff) N P+N (Auf + wind) N Adv + N (Links + drall) mit N für Nomen, A für das unsuffigierte Adjektiv, V für simplizische evt. präfigierte Verb, P für Präposition und Adv für Adverb. (vgl. Meibauer 2000: 48) Der Typ N Adv + N ist eher selten, kann jedoch beobachtet werden. Eisenberg (22004: 226) gibt an, dass weitere Typen möglich sind, diese dann allerdings sehr selten. Es gibt aber auch Einschränkungen für die Komposition, so etwa in der N + N - Komposition. So sind beispielsweise folgende Bildungen merkwürdig, 32 jedoch nicht völlig unmöglich: eine Kombination von Synonymen (z.B. *Damenweib), Selbstkomposita (z.B. *Frauenfrau) und die Möglichkeit, dass das Erstglied ein Oberbegriff zum Zweitglied darstellt (z.B. *Pflanzengras). Man unterscheidet innerhalb der Komposition verschiedene Typen, je nach (semantischem) Resultat. Dabei handelt es sich um Determinativkomposita, Possessivkomposita, Kopulativkomposita, verdeutlichende Komposita und Rektionskomposita. Elsen (2004: 28) behauptet, dass fachsprachliche Komposita durchsichtig seien. 4.3.6.1 Das Determinativkompositum Das Determinativkompositum ist binär strukturiert (vgl. Donalies 2002: 54) und es gilt "AB ist gleich B" (Donalies 2002: 59). Somit bestimmt das Erstglied das Zweitglied näher. Das Zweitglied ist der Kopf der Bildung und wird durch Modifikatoren (das Erstglied) näher bestimmt (z.B. Acrylbild, Härteprüfung). Die Einheiten in einem Determinativkompositum werden als Determi- nanz (Erstglied) und Determinatum (Zweitglied) bezeichnet. Sie sind nicht vertauschbar (Donalies 2002: 88). Gewisse Sonderkomposita werden in der Literatur häufig zu den Zusammenrückungen gezählt (ich beziehe mich hier besonders auf Elsen 2004: 24ff.). Es gibt, besonders im fachsprachlichen Gebrauch, Komposita in Verbindung mit Kürzungen (z.B. ACE-Hemmer), Verbindungen mit Einzelbuchstaben (z.B. C-Atom), Verbindungen mit Phrasen, auch Phrasenkomposita (z.B. Gute-Laune-Duft), Verbindungen mit gleichwertigen Einheiten (z.B. Ost-WestVertrag) und Konstruktionen mit Präfixen, welche präpositional gebraucht wird (z.B. Antiblockiersystem). 33 4.3.6.2 Das Possessivkompositum Das Possessivkompositum wird von Donalies (2002) und Eisenberg (22004) als eine Unterart der Determinativkomposita angesehen. Es ist wie diese aufgebaut, gibt aber eine Eigenschaft bzw. den Besitz einer nicht im Ausdruck erwähnten Person an (z.B. Rotschopf), also "nicht das Bezeichnete sind, sondern haben" (Donalies 2002: 62). Sie sind einem Pars pro toto vergleichbar: "Der Kopf des Kompositums ist die Bezeichnung eines Körperteils […], der durch das Determinans näher bestimmt wird" (Eisenberg 22004: 232). 4.3.6.3 Das Kopulativkompositum Das Kopulativkompositum setzt zwei gleichwertige Objekte, die in Opposition zu einander stehen, in Beziehung (z.B. nasskalt) bzw. "beide Glieder bezeichnen verschiedene Seiten eines Gegenstands: Strumpfhose, Nordost […] dabei ist der bezeichnete Gegenstand weder das eine noch das andere" (Eisenberg 22004: 232). Auch hier handelt es sich um einen Grenzfall des Determinativkompositums. Die Einheiten sind hier allerdings vertauschbar (Donalies 2002: 88). Es gibt auch chemische Kopulativkomposita (z.B. viskoelastisch aus viskos und elastisch, Viskoplastizität aus Viskosität und Plastizität [6] ), hier ist allerdings fraglich, ob eine Vertauschung der Einheiten möglich ist (*elastoviskos). Meist hat sich die eine Form eingebürgert. 4.3.6.4 Verdeutlichende Komposita So genannte verdeutlichende Komposita enthalten eine redundante Aussage, z.B. Einzelindividuum, Reduktionsreaktion (Reduktion alleine beschreibt schon eine Art von Reaktion). 6 Viskoelastisch und Viskoplastizität dienen besonders zu Beschreibung von Eigenschaften von Polymeren. Diese besonderen Polymere verhalten sich sowohl viskos als auch elastisch bzw. plastisch verformbar. 34 4.3.6.5 Das Rektionskompositum Ein weiterer Grenzfall des Determinativkompositums ist laut Eisenberg (22004: 230f.) das Rektionskompositum. Es steht den Zusammenbildungen nahe, z.B. Schwarzarbeiter vs. schwarzarbeiten Ableitung mit -er. Der Kopf einer solchen Bildung besitzt bestimmte Rektionseigenschaften und ist meistens selbst eine Ableitung. "Die Interpretation des Kompositums ist nicht beliebig, sondern sie wird rückbezogen auf die Valenz (d.h. syntaktische Rektionseigenschaften des Basisverbs) und die damit verbundenen semantischen Rollen" (Eisenberg 22004: 231). 4.3.6.6 Eponyme Komposita Geradezu typisch für die Fachsprache Chemie sind so genannte eponyme Komposita. In diesen speziellen Komposita wird ein Sachverhalt mit einem Personennamen verknüpft, etwa der Nachname der Person, die diesen Sachverhalt erstmalig beschrieben hat oder maßgeblich an dessen Erforschung beteiligt war (vgl. Wagner 1951: 6). Beispiele: Wagner-Meerwein-Umlagerung, Erlenmeyerkolben, Liebigkühler, Heisenbergsche Unschärferelation. Wagner hat dazu eigens ein Buch herausgebracht, in dem er alphabetisch sortiert gängige Begriffe nach den Bereichen "Theorien, Gesetze, Regeln, Gleichungen, Zahlen, Konstanten", "Methoden, Verfahren, Reaktionen, Proben", "Chemikalien, Reagenzien, Substanzen" und "Apparate, Geräte, Einrichtungen" ordnet (Wagner 1951). Der Vorteil solcher eponymen Komposita besteht darin, dass sie kurz und prägnant sind und somit "viele komplizierte Sachverhalte in Texten und Wörterbüchern 'handhabbar' " (Wenske 1998: 1947) machen. 35 4.3.7 Wortgruppenlexeme Die Wortgruppenlexeme, auch Mehrworttermini, sind stehende Begriffe, meist lexikalisierte feste Fügungen mindestens zweier getrennt geschriebener Wörter in der Nähe von Komposita (vgl. Elsen 2004). Entgegen Phraseologismen, deren Bedeutung erlernt werden muss (Beispiel aus Meibauer 2000: 19: das geht mir am Arsch vorbei) lässt sich bei Wortgruppenlexemen die Bedeutung aus den einzelnen Bestandteilen rekonstruieren (z.B. kinetische Energie, saure Oxidation). Die Wortgruppenlexeme können, entgegen den Phraseologismen, Basis einer Kürzung werden. Dabei können Wortgruppenlexeme verschiedene Formen annehmen. Eine Erweiterung des Bezugswortes durch eine Präpositionalphrase (z.B. Flachkopfschraube mit Schlitz), die Nachstellung eines attributiven Adjektivs oder einer Phrase (z.B. Forelle blau), die Nachstellung eines Buchstabens, eines Zahlwortes oder der Kombination davon (z.B. Coenzym A) und diverse weitere Kombinationen (z.B. Thermal S matt) sind möglich. Wahrscheinlich forciert die besondere Benennungssituation in den Fachsprachen Wortgruppenlexeme. Sie lassen weniger Interpretationsspielraum offen als Komposita und verbinden über verschiedene Attributierungsmöglichkeiten sehr viel Information. (Elsen 2004: 27) Die Schwierigkeit bei Wortgruppenlexemen ist die Abgrenzung von einem bloß häufigen Gebrauch bestimmter Wendungen. 4.3.8 Kontamination Die Kontamination, auch Wortdurchmischung, Kofferwort oder Wortkreuzung, verbindet Teile zweier Wörter zu einem Neuen, welches dann Bedeutungsaspekte beider besitzt. Bei Lexemen, die sich in Laut- bzw. Buchstabenwert überschneiden (vgl. Donalies 2002: 92), wird die Verknüpfung mittels eben jener Überschneidung realisiert (z.B. Feierabend + Abendstern Feier- abendstern). Die Wörter werden durch das gleiche Element miteinander "verschmolzen" (vgl. Meibauer 2000: 33). Es können auch Wortteile (Silben) (z.B. Kri + po, Büro + tel) oder Einzelbuchstaben und Silben (z.B. A + zubi) zur Bildung verwendet werden. 36 Die Kontamination kann laut Elsen (2004: 38f.) vielfältige Formen annehmen, so dass eine einheitliche Beschreibung schwierig ist. Da es sich nicht um ein allgemeines Schema handelt, wird die Kontamination nicht als Wortbildung im strengen Sinn gewertet. Die Kontamination wird oft als eine Sonderform der Komposition betrachtet oder in die Nähe der Wortschöpfung gestellt. Kontaminationen findet man häufig als Gelegenheitsbildungen oder als fachsprachliche Termini. Sie dient, entgegen der Kürzung, einer Erstbenennung von Dingen, ist aber nicht völlig willkürlich. Der Übergang zwischen Kontamination und Wortschöpfung ist fließend. 4.3.9 Kurzwörter Die Kurzwörter bilden keine neuen Wörter, sondern liefern nur Varianten zu bereits existierenden Lexem(grupp)en und lassen diese dann weniger komplex werden (vgl. Meibauer 2000: 33). Kurzwörter dienen also nicht der Erstbenennung, denn die Ausgangswörter bzw. -wortgruppen existieren weiter. Zu Kurzwörtern bzw. Kürzungen gibt es immer eine parallel existierende Langform (Donalies 2002: 142). Häufig verselbständigt sich die Kürzung und die zugehörige Langform ist nicht mehr bekannt. Basis der Kürzung sind meist Komposita oder Phrasen. Abkürzungen sind eigentlich zur Schreiberleichterung gedacht (Gallmann 1998: 297), häufig sind sie durch einen Punkt gekennzeichnet (z.B. z.B.). Maßangaben werden gewöhnlich durch Abkürzungen bezeichnet, hier allerdings ohne Punkt (z.B. N 'Newton: Einheit der Kraft', kg 'Kilogramm'). Die Kurzwörter lassen sich im Wesentlichen in drei Arten unterteilen (vgl. Donalies 2002: 142ff.): das unisegmentale Kurzwort, das multisegmentale Kurzwort und das partiell gekürzte Kurzwort. Das unisegmentale Kurzwort ist das Resultat einer Kürzung des Ursprungsworts um einen Teil. Dabei können so genannte Kopfwörter entstehen. Bei diesen bleibt der erste Teil des Ausgangswortes erhalten (z.B. Uni aus Universität, Mathe aus Mathematik). Es können aber auch so genannte Schwanzwörter entstehen, bei denen der hintere Teil erhalten bleibt (z.B. Sprit aus französisch Esprit, Bus aus Omnibus). Bleibt die Mitte eines Wortes 37 erhalten, so spricht man von einem Rumpfwort (z.B. Lisa aus Elisabeth). Dieser Typ kommt selten vor (vgl. Donalies 2002: 146). Auch Determinativkomposita können als Grundlage so genannter Klammerformen dienen. Dabei handelt es sich um eine Kürzung im Wortinneren. Es kann aus phonologischen oder sprachökonomischen Gründen gekürzt werden. Es bleiben die äußeren Glieder gleichsam einer Klammer erhalten (vgl. Elsen 2004: 35; Donalies 2002: 67; Bußmann 1990: 381) (z.B. Bier(glas)deckel. Ein Beispiel aus der Fachsprache Chemie ist Don(at)or, wobei bemerkt werden muss, dass in der Chemie bei solchen Klammerformen immer beide Varianten möglich sind und nebeneinander benutzt werden. Dass es sich dabei um ein echtes Synonym handelt, zeigt sich z.B. im Holleman/Wiberg(1011995), dem Lehrbuch der Anorganischen Chemie: Im Kapitel über Komplexliganden schreibt er in der Tabelle 99 Donoratom (S. 1207) und im Begleittext auf S. 1209 "Viele bekannte Donatoren". Es gibt von den Klammerausdrücken also immer eine Langform und eine gekürzte Form. Der Typ des multisegmentalen Kurzwortes wird in Buchstabenwörter und Kontraktionen unterteilt. Bei Buchstabenwörtern handelt es sich um die "klassischen Abkürzungen" wie z.B. THF 'Tetrahydrofuran', FCKW 'Fluorchlorkohlenwasserstoff', etc. Bei Buchstabenwörtern, die lautwertlich gesprochen und nicht in Buchstaben (Buchstabennamen) zerlegt werden, spricht man auch von Akronymen (z.B. DIN, AIDS, IUPAC, PISA). Kontraktionen liefern Silbenwörter wie z.B. Kripo, Persil. Bei einem partiell gekürzten Kurzwort wird ein Teil gekürzt und der andere bleibt erhalten (z.B. O-Saft). Darüber hinaus gibt es noch so genannte Mischtypen wie z.B. BAföG. Eine Unterscheidung in der Fachsprache Chemie zwischen Silben- und Mischkurzwörtern gestaltet sich laut Elsen (2004: 36) schwierig, da oft nur Silbenteile in die Kurzform gelangen. 38 5. Das Oxid und seine Wortbildung Als Beispiel eines typischen chemischen Begriffs sollen nun die Wortbildungsmöglichkeiten der Einheit oxid näher untersucht werden. 5.1 Schreibung Seit 1957 wird oxid in der Fachsprache Chemie "Oxid" geschrieben. Im Duden Rechtschreibung (211996) und anderen Wörterbüchern der Allgemeinsprache findet sich auch noch die ältere (mittlerweile zu vermeidende) Version "Oxyd". Dennoch sind Bildungen mit dem Infix -oxy-, welches sich aus Oxyd entwickelt hat, noch ein Bestandteil der chemischen Nomenklatur. So bezeichnet -oxy- in systematischen Präfixen von Gruppierungen ein Sauerstoffatom, welches zwei andere Atome verbindet (z.B. Methoxy-, Hydroxy-, Carboxy-, Phenoxy-, Hydroperoxy-, Ethylendioxy-, Epoxy-, Desoxy-) (vgl. Neumüller 2003; Römpp). 5.2 Entwicklung Etwa um 1770 wurde Sauerstoff als Element unabhängig voneinander von K. W. Scheele (schwedischer Chemiker) und J. Priestley (englischer Philosoph, Theologe und Naturforscher) entdeckt. A. L. de Lavoisier beschrieb den Sauerstoff und gab ihm den Namen oxygène (vgl. Brockhaus 1998). Da die meisten Sauerstoffverbindungen einen sauren Geschmack haben (die Geschmacksprobe von Chemikalien war seinerzeit üblich), leitete Lavoisier den Namen für das neue Element von griechisch óxos 'Essig' bzw. oxýs 'scharf, spitz, sauer, bitter, laut, heftig' und -genos 'erzeugend' ab. So entstand der neulateinische Begriff Oxygenium. Ins Deutsche wurde die Lehnübersetzung Sauerstoff für das neue Element übernommen (vgl. Neumüller 2003; Kluge 242002; Römpp). Oxid geht sprachhistorisch zurück auf das französische oxygène 'Sauerstoff' und lateinische acide 'sauer'. Damit ist Oxid eine Kontraktion. Es bezeichnet im Wesentlichen eine Verbindung von Sauerstoff mit anderen Elementen. Beide Bestandteile ox + id haben sich dann mit fortschreitender chemischer Forschung wieder auseinander entwickelt, so dass man nun drei Formen hat: 39 ox- : als Namensstamm in Namen von Sauerstoffverbindungen und abgeleiteten Begriffen (vgl. Neumüller 2003) -id : "in der Binärnomenklatur Suffix zur Benennung der elektronegativen Komponente einer Verb[indung]" (Neumüller 2003: 327) oxid : in mannigfacher Bedeutung (im Folgenden genaueres) 5.3 Wortbildungen mit oxid Im Folgenden muss zwischen dem germanistischen Affixbegriff und dem chemischen Affixbegriff unterschieden werden (vgl. Exkurs: Die Grammatik der chemischen Nomenklatur). Chemische Affixe werden im Folgenden als solche explizit gekennzeichnet. Zunächst folgt eine Beschreibung der Wortbildungen mit oxid. Eine genauere Einordnung in die germanistische Beschreibung erfolgt im Anschluss. 5.3.1 Derivation von oxid Zur Bildung des Verbs oxidieren wird das Suffix -ier-en angehängt. Dabei wird dem Oxid durch -ier-en die Bedeutung (1) 'etwas erzeugen, hervorbringen' und (2) 'zu etwas werden' angeheftet (vgl. Fleischer/Barz 1995: 312). Damit entspricht die Bildung oxidieren zwei der genannten drei Wortbildungsmustern von Fleischer/Barz. Beispiele: (1) Eisen oxidiert in Anwesenheit von Sauerstoff zu Eisenoxid. (2) Ein Reduktionsmittel oxidiert unter Elektronenaufnahme. Laut Altmann/Kemmerling (2000: 67) diente -ier(en) "ursprünglich zur Eindeutschung französischer Verben auf -er " später hat es sich auch an native Basen geheftet (oxidieren auf französisch: oxyder). Die nach Fleischer/Barz (1995: 174) zu erwartende Bildung von Oxidierung ist durch das vorhandene Substantiv Oxidation nicht blockiert (Beleg: Duden Rechtschreibung 1996 Oxidierung 'Vorgang, Ergebnis des Oxidierens'). Allerdings ist Oxidierung nicht im CD Römpp (1995a) und nicht bei Neumüller (2003) verzeichnet, was auf eine eher nicht fachsprachliche Verwendung hindeutet. 40 Das Derivationsprodukt Oxidation ist ein Substantiv mit dem Suffix -ation. Dieses zählt laut Fleischer/Barz zu den nicht-heimischen Suffixen der Substantivbildung (Fleischer/Barz 1995: 36). -ation heftet sich an transitive Verben auf -ieren und bildet "nomina instrumenti aus ornativen [7] Verben" (Alt- mann/Kemmerling 2000: 118). Chemisch gesehen hat Oxidation mehrere (sich überschneidende) semantische Bedeutungen: (1) Im ursprünglichen Sinn Bezeichnung für die Reaktion chemischer Elemente oder Verbindungen mit Sauerstoff zu Oxiden. Beispiele [8]: Kohlenstoff + Sauerstoff C +O2 CO2 Schwefel + Sauerstoff S + O2 Kohlenstoffdioxid [9] Schwefeldioxid SO2 Eisen + Sauerstoff 4 Fe + 3 O2 Eisenoxid 2 Fe2O3 [10] (2) Im späteren Sinn auch verwendet für den Wasserstoffentzug (Dehydrierung). (3) Im Bild der Elektronentheorie ist die Oxidation Bestandteil eines Redoxsystems, in dem der zu oxidierende Stoff (implizites Reduktionsmittel) Elektronen (eí) an das Oxidationsmittel abgibt (den während der Oxidation implizit reduziert werdenden Stoff). 7 Ornativum: Semantisch definierter Typ (meist aus Nomen) abgeleiteter Verben, deren Bedeutung jeweils durch 'versehen mit etwas' umschrieben werden kann: bekleiden, betonieren (Bußmann:1990: 549) 8 Hier handelt es sich um chemische Formeln, bei denen eine Kursivschreibung nicht angebracht ist, vgl. Exkurs zur Formatierungskonvention. 9 Zu den Symbolen siehe Periodensystem im Anhang unter 8.3. Sauerstoff kommt in der Natur immer als Molekül vor, also als Verband von zwei Atomen, deswegen die tiefgestellte zwei in der Reaktionsgleichung. 10 Zahlen vor Elementen in einer Reaktionsgleichung geben die benötigte Anzahl der Elemente in dieser Reaktion an. Es muss auf beiden Seiten einer Reaktionsgleichung immer dieselbe Anzahl an Atomen stehen. 41 Beispielsweise kann die (Redox-)Reaktion Fe + Cl2 Fe0 FeCl2 aus den Teilreaktionen FeII + 2eí (Oxidation) und Cl02 + 2eí 2ClíI (Reduktion) [11] zusammengesetzt formuliert werden. (vgl. Neumüller 2003, CD Römpp 1995) Oxidation kann selbst als Erstglied in einem Determinativkompositum dienen. Alle gefundenen Komposita verfügen über eine -s- Fuge. Beispiele: Oxidationsfarbstoff, Oxidationsinhibitor, Oxidationsmittel, Oxidationspotential, Oxidationsstufe, Oxidationswert, Oxidationszahl, Oxidationszone, Oxidationszustand Oxidation tritt auch in Wortgruppenlexemen auf (z.B. anodische Oxidation, Oxidations-Reduktions-Potential). Weit verbreitet sind eponyme Komposita mit Oxidation. Sie verdeutlichen die vielfältigen Möglichkeiten, die es gibt um Substanzen zu oxidieren. Wie schon angesprochen dienen diese zur Wiedergabe eines komplexen Sachverhalts. Das Muster NAME + OXIDATION ist sehr produktiv. Waren zwei Personen bei der Beschreibung dieser Oxidationsmöglichkeit beteiligt, so werden auch beide im Kompositum erwähnt. Beispiele: Baeyer-Villiger-Oxidation, Baschkirow-Oxidation (auch: BashkirovOxidation), Dakin-Oxidation, Gif-Oxidation, Jones-Oxidation, Oppenauer-Oxidation, Pfitzner-Moffatt-Oxidation, Riley-Oxidation, SarettOxidation Im Duden Fremdwörterbuch(82005) ist die Bildung Oxidator (auch: Oxydator) 'Sauerstoffträger als Bestandteil von [Raketen]treibstoffen, Verbindung, die 11 Die römischen Zahlen neben den Elementsymbolen sind die Oxidationszahlen, die bei der Oxidation zunehmen (0 í II, íIII íII) und bei der Reduktion abnehmen (0 í íI). 42 leicht Sauerstoff abgibt' verzeichnet. -(at)or heftet sich, wie -(at)ion an Verben auf -ieren und bildet nomina agentis bzw. instrumenti (vgl. Altmann/ Kemmerling 2000: 118). Oxidator ist allerdings weder bei Neumüller (2003) noch im Römpp (1995a/b) verzeichnet. Vermutlich handelt es sich um einen Ausdruck aus einer anderen Fachsprache. Die Adjektive oxidisch und oxidativ sind ebenfalls mit Mitteln der gängigen deutschen Derivation gebildet. -isch ist ein typisches Suffix der Adjektivderivation (vgl. Meibauer 2002: 30). Es heftet sich an fremdsprachliche Basen, um die "Integration substantivischer Fremdwörter in das morphologische System des Deutschen (mit Flexionserleichterung bei attributivem Gebrauch […])" (Fleischer/Barz 1995: 259) zu erleichtern. Oxidisch findet sich ebenfalls als Stichwort nur im Duden Rechtschreibung (1996) und im Duden Fremdwörterbuch (2005: 747: "oxidisch, auch: oxydisch: Oxid enthaltend"). Allerdings findet es sich auch in fachsprachlichen Texten (z.B. CD-Römpp "[…] von Metallen in oxidische Deckschichten durch anodische Oxidation […] " , "[…] heute meist in oxidischer Form vorliegenden Spaltstoffe […] " etc.). Oxidativ hingegen ist in Neumüller (2003) verzeichnet. Anhand Alt- mann/Kemmerling (2000: 148) lässt sich schließen, dass oxidativ ein Derivationsprodukt des Substantivs Oxidation ist. -iv kommt von lateinisch -ivus und weist einer nominalen Basis auf -ion die Kategorie Adjektiv zu. 5.3.2 Chemische Derivation Neben den in der deutschen Wortbildung auftretenden Suffixen zur Derivation kann sich oxid auch mit Suffixen aus der chemischen Nomenklatur verbinden und so einen Namen für eine Substanzklasse bilden. Das Nomenklatursuffix -an in Oxidan trägt die Bedeutung eines 'systematische[n] Suffix[es] in den Stammnamen von gesättigten linearen und cyclischen Kohlenwasserstoffen und anderen Stammhydriden (z.B. Methan, Cyclohexan, Boran, Silan, Azan, Sulfan)' (vgl. Neumüller 2003: 71). Oxidan kann mit dem Nomenklatursuffix -yl weiter zu Oxidanyl abgeleitet werden. -yl geht zurück auf griechisch hýle 'Wald, Holz, Stoff, Material, Mate- 43 rie' und dient als Nomenklatursuffix in den systematischen Namen zur Kennzeichnung von Radikalen und Radikal-Ionen (z.B. Hydroxyl oder Oxidanyl etc.). Das Nomenklatursuffix -ase hat sich verselbstständigt aus Diastase. Es ist ein fachsprachliches Suffix in den Namen von Enzymen mit Bezug entweder auf das zu spaltende Substrat (z.B. Amylase, Lipase, Protease) oder auf den Wirkungsmechanismus (z.B. Ligase, Hydrolase, Oxidoreduktase). Oxidase kann auch als Zweitglied in Determinativkomposita verwendet werden. Beispiele: Urat-Oxidase, Xanthin-Oxidase, Phenol-Oxidasen, Amin-Oxidase, Cytochrom-Oxidase, Diamin-Oxidase, Glucose-Oxidase, mischfunktionelle Oxidase Oxidaquat ist eine veraltete Form für Oxidhydrat. Es setzt sich zusammen aus Oxid + aqua + (a)t. Auch hier wird das a von -at zur Vermeidung der Vokalverdoppelung getilgt. Aqua- wurde als Nomenklaturpräfix für das WasserMolekül (H2O) als Ligand in Koordinationsverbindungen (z.B. [Cr(H2O)6]Cl3 Hexa-aquachrom(III)-chlorid [12] , vgl. auch 4.3.1) verwendet. Vermutlich han- delt es sich bei Oxidaquat aber um das "Bestimmungswort (auch Aquo-) von Zus[am-mensetzungen] mit der Bed[eutung] 'auf Wasser bezüglich', z.B. Aquamarin, Aquaplaning, Aquolumineszenz" (Neumüller 2003: 82). -at dient als Nomenklatursuffix in Namen von Molekülverbindungen mit Nebenvalenzbindungen (eine spezielle Art der chemischen Bindung) (z.B. Hydrat, Solvat, Clathrat, Kryptat). 12 Verzicht auf die germanistische Kursivschreibung zugunsten der chemischen Korrektheit. 44 Das Nomenklaturpräfix per- zeigt in Namen an, dass die Verbindung den höchstmöglichen Sauerstoffgehalt erreicht hat. Beispiele: Peroxid, Hydroperoxid, Kaliumperoxid, Natriumperoxid, Wasserstoffperoxid, Benzoylperoxid, Diacylperoxid, Dialkylperoxid, Dibenzoylperoxid, Dibutylperoxid, Endoperoxid, Ketonperoxid Das Nomenklatursuffix -peroxid ist darüber hinaus noch ein eher ungebräuchliches Synonym von -dioxidan. In der anorganischen Nomenklatur wird -peroxid als ein Suffix zur Benennung des Anions Ο 2− 2 in Namen von Verbindungen der allgemeinen Formel MI2O2 u. MIIO2 (mit M für Metall) verwendet. In der organischen Nomenklatur stellt es eine Funktionsbezeichnung in Namen acyclischer Verbindungen der allgemeinen Formel RýOýOýR (mit R für Kohlenwasserstoffgruppen). Super- und Hyper- tragen eine ähnliche Bedeutung wie per-, allerdings sind sie nun nicht mehr Bestandteil in systematischen Namen (vgl. Neumüller 2003: 659) (z.B. Superoxid, Kaliumsuperoxid, Wasserstoffsuperoxid, Superoxid-Dismutase, Hyperoxid, Kaliumhyperoxid). Durch so genannte multiplikative Präfixe kann das Oxid im Sinne der Derivation abgeleitet werden. Für einfache Einheiten lauten die multiplikativen Präfixe Di-, Tri-, Tetra- etc. und für komplexe Einheiten Bis-, Tris-, Tetrakis- etc. Bei oxid handelt es sich nur um ein Sauerstoffatom, also wird es mit Di- usw. abgeleitet um die Anzahl der Sauerstoffatome näher zu spezifizieren. So entstehen Dioxid 'die Verbindung enthält zwei Sauerstoffatome', Trioxid 'die Verbindung enthält drei Sauerstoffatome', etc. Diese können dann mittels eines Elementnamens oder Substanznamens zu einem Kompositum verbunden werden und tragen die semantische Information 'dieses Element ist mit zwei (drei) Sauerstoffatomen entsprechend verbunden'. 45 Beispiele: Chlordioxid, Chromdioxid, Hydrogendioxid, Mangandioxid, Schwefeldioxid, Selendioxid, Siliciumdioxid, Titandioxid, Zirconiumdioxid, Diethylendioxid, Epidioxid, Bortrioxid, Chromtrioxid, Schwefeltrioxid, Osmiumtetraoxid, Phosphorpentoxid, Diphosphorpentoxid, Chromsesquioxid Mono gehört ebenfalls zu den multiplikativen Präfixen. Hier ist die Schrei- bung von der IUPAC so geregelt, dass auch mon- stehen kann, wenn die nachfolgende Silbe mit einem Vokal beginnt (z.B. Monooxid, Monoxid, Stickstoffmonoxid). 5.3.3 Komposition mit Oxid Die im Folgenden erläuterten Bildungen können zunächst als Komposition mit oxid angesehen werden. Oxid tritt in Komposition als Erstglied mit i-Fuge (z.B. Oxidimeter, Oxidimetrie) und o-Fuge auf (z.B. Oxidoreduktase, Oxidoreduktions-) oder ohne Fuge (z.B. Oxidhalogenid, Oxidhydrat, Oxidkeramik, Oxidsalz). Bei dem Element Kohlenstoff tritt häufig eine Kürzung auf, so dass Kohlenstoff in Sauerstoffverbindungen für gewöhnlich als Kohlen auftritt (z.B. Kohlendioxid, Kohlenmonoxid, Kohlenoxid, Kohlensuboxid). Die Kürzung des Bestandteils stoff ist häufiger zu beobachten, etwa in Stickoxid. Gerade bei Stickoxid gibt es noch ein Synonym: Nitroxid. Dieses ist vermutlich zu dem englischen nitric oxide eine Lehnübersetzung. Es wird aber von Chemical Abstracts Service als bevorzugter Stammname für Radikale der Form R1R2NO·verwendet (z.B. [13] Bis(chlormethyl)nitroxid, Bis(chlormethyl)- aminoxyl). Oxid wird ebenfalls als Funktionsklassenname für Verbindungen mit dem Anion O2- verwendet (z.B. Dihydrogenoxid (H2O), Dimanganheptoxid 13 Hier wird auf die Kursivschreibung verzichtet. 46 (Mn2O7)). Liegt ein Salz [14] vor, in dem Sauerstoff ebenfalls als zweifach ne- gativ geladenes Ion vorkommt, so wird die Verbindung als Oxid bezeichnet. Es gibt viele dieser Salze, die Namen werden im Sinne der Komposition, genauer der Determinativkomposition, gebildet. Das Zweitglied und Kopf der Bildung ist Oxid. Es wird näher durch den Elementnamen des zweiten Salzbestandteils bestimmt. Beispiele: Aluminiumoxid, Antimonoxid, Aquoxid, Arsenoxid, Bleioxid, Cadmiumoxid, Calciumoxid, Ceroxid, Chromoxid, Cobaltoxid, Deuteriumoxid, Distickstoffoxid, Eisenoxid, Fluoroxid, Kupferoxid, Magnesiumoxid, Molybdänoxid, Nickeloxid, Phosphoroxid, Quecksilberoxid, Stickstoffoxid, Uranoxid, Vanadiumoxid, Wolframoxid, Zinkoxid, Zinnoxid Es ist auch möglich, dass ein Salz aus mehreren Kationen oder Anionen besteht, diese werden dann ebenfalls mit aufgezählt, so dass es zu einem dreigliedrigen bzw. mehrgliedrigen Kompositum kommen kann, z.B. Magnesiumaluminiumoxid, Bismutchloridoxid. In der organischen Nomenklatur ist Oxid eine mehrdeutige Funktionsbezeichnung, so kann -oxid in Namen von symmetrisch strukturierten Ethern (z.B. Diphenyloxid, Diphenylenoxid) und von Epoxiden (z.B. Ethylenoxid, Styroloxid, Arenoxid, Propylenoxid) das charakteristische Strukturelement be- zeichnen. Stickstoff- und schwefelhaltige organische Verbindungen mit am Heteroatom koordinativ gebundenen Sauerstoff-Atomen werden ebenfalls oxid genannt. Meist handelt es sich dabei um ganze Verbindungsgruppen (z.B. Aminoxide, Nitriloxide, Formonitriloxid, Azomethinoxid, Sulfoxide, Dimethylsulfoxid). Bei Azoxyverbindungen dient das Nomenklatursuffix -diazenoxid als Suffix in den systematischen Namen. 14 Bei einem Salz handelt es sich um eine kristalline Substanz, die sich in Wasser löst und dabei Ionen, d.h. geladene Teilchen freisetzt. 47 Aus historischen Gründen wurde -oxid in einigen Namen beibehalten. Es wirkt nun in unsystematischer Weise zur Benennung organischer Verbindungen, die Sauerstoff in irgendeiner Bindung enthalten, meist handelt es sich dabei um eine Gruppenbezeichnung. Beispiele: Metalloxid 'Verbindung eines Metalls mit Sauerstoff' Mesityloxid 'Keton' Polyphenylenoxid 'Polyphenylenether' Polyethylenoxid 'Polyethylenglykol' Linalooloxid historisch für 'Tetrahydrofuran' Diazooxid 'Chinondiazid' Phosphinoxid Rosenoxid historisch für 'Pyran' Moloxide Carbonyloxide 'Gruppenbezeichnung für organische dipolare Verbindungen der allgemeinen Formel R2Cíý O+=O Suboxide R2C=O+ýOí ' 'Sammelbezeichnung für Element-SauerstoffVerbindungen, in denen weniger O-Atome gebunden sind als die Wertigkeit des Elements erfordert, z.B. Cs4O, Cs11O3, CO, C3O2' Kohlensuboxid Peroxide Doppeloxid ist ein veraltetes Synonym für gemischte Oxide, außerdem stellt es eine Sammelbezeichnung für gemeinsam, oft als Mineral, auftretende Oxide verschiedener Metalle dar (z.B. Dialuminiummagnesiumtetroxid (MgAl2O4) ist ein Doppeloxid mit den beiden Metallionen Aluminium und Magnesium). Analog bezeichnet man AlLiMnO4(OH)4 als Tripeloxid mit den Metallionen Aluminium, Lithium und Mangan. 48 5.3.4 Klammerformen In der Komposition mit Alkoholen kann es zu einer Kürzung des mittleren Bestandteils -ohol- bzw. -(an)ol- kommen, so dass folgende Klammerformen entstehen: Alkoxid Butoxid Ethoxid Methoxid Isopropoxid Phenoxid Propoxid → → → → → → → Alkohol + oxid Butanol + oxid Ethanol + oxid Methanol + oxid Isopropanol + oxid Phenol + oxid Propanol + oxid Dieses Muster ist aber mittlerweile durch die Nomenklatur blockiert, da die bezeichneten Substanzen als Alkoholate (vormals Alkoxide) zu klassifizieren sind und die Nomenklatur deswegen folgende Benennungen vorsieht: SYSTEMATISCHER NAME FÜR DAS GRUNDGERÜST + OLAT. Bei Moloxid (aus Molekül + oxid), ebenfalls einer Klammerform, wurde -ekül gekürzt. Es ist nicht zu erwarten, dass sich dieses Muster auf andere Formen überträgt, da Moloxid eine veraltete Bezeichnung für eine organische Verbindung ist, die durch Autoxidation ein Molekül Sauerstoff (O2) aufgenommen hat (vgl. Neumüller 2003: 447). 49 5.3.5 Das Hydroxid Bei dem Begriff Hydroxid die Zerlegung in Morpheme folgendermaßen vorzunehmen, führt zu einem Irrtum: *Hydro Präfix + oxid Suffix . Die Zerlegung muss wie folgt aussehen: Hydroxid HydroxHydr(o)- -(i)d -ox(y)- Abbildung 6: Struktur von Hydroxid Das Suffix -id hat sich verselbstständigt aus oxid und dient der Benennung der elektronegativen Komponente einer Verbindung. Hydro- dient als Bestimmungswort von Zusammensetzungen mit der Bedeutung 'Wasserstoff, hydriert, reduziert'. -oxy- ist ein Nomenklaturinfix in systematischen Namen von Gruppierungen, in denen ein Sauerstoffatom zwei andere Atome verbindet, in diesem Fall verbindet das Sauerstoffatom ein Wasserstoffatom mit dem restlichen Molekül (z.B. NaOH Natriumhydroxid, Mg(OH)2 Magnesiumhydroxid). In der Zusammensetzung greifen zusätzlich noch Regeln der chemischen Orthographie (Vermeidung von Doppelvokalen). Hydroxid kann als Zweitglied in Determinativkomposita dienen. Beispiele: Aluminiumhydroxid, Bariumhydroxid, Calciumhydroxid, Eisenhydroxid, Kaliumhydroxid, Lithiumhydroxid, Magnesiumhydroxid, Natriumhydroxid, Ammoniumhydroxid, Ferrihämhydroxid Der Begriff Hydroxid-Ion ist eine feste Fügung und kann als Wortgruppenlexem aufgefasst werden, da seine Bedeutung sich aus den Einzelbestandteilen erschließen lässt. 50 Auch bei dem Nomenklaturinfix -oxido- muss in -ox(y)- und -ido- unterschieden werden. Dieses Infix bezeichnet das negativ geladene Ion -Oí in systematischen Benennungen von Alkoholaten und Phenolaten (z.B. Natrium-4oxidobenzoesäuremethylester (NaýOý ýC6H4ýCOOýCH3) das -oxido-Sauer- stoffatom wurde fett hervorgehoben). 5.4 Versuch eines Lexikoneintrags für oxid nach dem Vorbild von Fleischer/Barz Die Wortbildungskomponente oxid ist hauptsächlich in der Fachsprache Chemie produktiv. Es gibt einige Bildungen, die den Regeln der deutschen Wortbildung folgen. Oxid wurde aus französisch oxygène 'Sauerstoff' und lateinisch acide 'sauer' im Sinne einer Kontamination gebildet, und hat sich in seiner Wortbildung verselbstständigt. Das Verb oxidieren ist mit dem Suffix -ieren abgeleitet. Das kommt vermutlich daher, dass es auf das französische Verb oxyder zurück zuführen ist. Mit dem Suffix -ation wird das Substantiv Oxidation gebildet, welches mit dem Suffix -iv zu dem Adjektiv oxidativ abgeleitet werden kann, auch ist eine Ableitung mit -isch zu oxidisch möglich. In diesen Bildungen wird deutlich, dass es sich nicht um ein Präfix handeln kann, da Präfixe nicht mit Suffixen abgeleitet werden können. Oxid ist Stamm dieser Wortbildungen. In der Komposition mit oxid als Erstglied kann eine i- oder o-Fuge auftreten (z.B. Oxidimeter, Oxidoreduktase). Beide Fugen sind typisch für aus dem lateinischen bzw. griechischen entlehnte Konfixe (vgl. Donalies 2002: 43). Es gibt auch Komposita ohne Fugenelement (z.B. Oxidsalz). Die Komposition mit oxid als Zweitglied steht der Nomenklatur nahe (z.B. Eisenoxid). Oxid ist weder Präfix noch Suffix, da es keine Position bevorzugt und keines- falls semantisch entleert ist. Damit kann es als Konfix klassifiziert werden. Es tritt nicht nur gebunden, sondern auch frei auf. Es ist in der Komposition als Erst- und als Zweitglied produktiv. In der Fachsprache Chemie wird es neben den eben beschriebenen deutschen Mustern auch noch in der Nomenklatur als Suffix verwendet. Hier kann man fünf verschiedene Muster unterscheiden. 51 (1) Funktionsklassenname für Verbindungen mit dem Anion O2- (z.B. Dihydrogenoxid, Dimanganheptoxid). (2) In Namen von symmetrisch strukturierten Ethern (z.B. Diphenyloxid) und von Epoxiden (z.B. Styroloxid, Arenoxid). (3) Selten anstelle von -olat benutzt für Alkoholate (Alkoxide) (z.B. Butoxid) und Phenolate (z.B. Kaliumphenoxid). (4) In Namen von stickstoff- u. schwefelhaltigen organischen Verbindungen mit am Heteroatom (etwa Schwefel oder Stickstoff) koordinativ gebundenen O-Atomen (z.B. Aminoxide, Nitriloxide). (5) In Substanznamen dient es, aus historischen Gründen beibehalten in unsystematischer Weise, zur Benennung organischer Verbindungen, die Sauerstoff in irgendeiner Form enthalten (z.B. Mesityloxid, Linalooloxid) (vgl. Neumüller 2003: 494). Weiterhin kann es in der Fachsprache Chemie durch Suffixe abgeleitet werden und tritt in Bildungen, die eine Substanzklasse bezeichnen sowohl als Erst- als auch als Zweitglied auf (z.B. Diazooxid, Oxidan). 52 6. Chemie und Deutsch 6.1 Fachsprache Chemie als Gegensatz zum Deutschen? Die Fachsprache Chemie ist, wie sich in dieser Arbeit gezeigt hat, kein Gegensatz zu der Deutschen Sprache. Sie ist Bestandteil der deutschen Sprache und sie bedient sich der gleichen Wortbildungsmuster (vgl. 5.3 Wortbildungen mit Oxid und 5.4 Versuch eines Lexikoneintrags für oxid nach dem Vorbild von Fleischer/Barz). Dennoch leistet sie viel mehr. Sie ist und muss sehr viel korrekter sein, alleine schon wegen der Vielfalt an Sachverhalten, die sie zu beschreiben und zu benennen hat. Jedes noch so kleine Element, sei es nun eine Zahl oder eine Kursivschreibung (vgl. Exkurs zu Formatierungskonventionen in der Fachsprache Chemie), trägt seine ganz spezielle Bedeutung. In der Fachsprache kann eine Wortbildungseinheit also eine sehr viel speziellere Bedeutung tragen als in der Allgemeinsprache. Die Schwierigkeit liegt darin, sich diesen Unterschied bewusst zu machen und ständig zwischen der Alltagssprache und der Fachsprache umzuschalten (z.B. Gespräch Fachmann - Laie, Zeitungsbericht über Forschungsergebnisse, naturwissenschaftliche Reportage). Das mentale Lexikon eines Sprechers, der die Fachsprache Chemie gut beherrscht, enthält folglich neben den Regeln für die Allgemeinsprache auch die Regeln für die Fachsprache Chemie. Die Fachsprache Chemie besteht nicht nur aus Vokabeln, deren Bedeutung erlernt werden muss, sondern verfügt über ein komplexes System zur Wortbildung, der Nomenklatur (vgl. 5.3.2 Chemische Derivation). Auch muss der Sprecher der Fachsprache Chemie sein mentales Lexikon der Allgemeinsprache um die vielen Bedeutungserweiterungen und -verengungen erweitern. Unter Bedeutungserweiterung sind die zusätzlichen chemischen Konnotationen eines in der Allgemeinsprache existenten Wortes zu verstehen und unter Bedeutungsverengung die differenzierte Nutzung einzelner Fachbegriffe in unterschiedlichem Kontext (z.B. die fünf Bedeutungsebenen für das Nomenklatursuffix -oxid). Gerade diese Tatsache macht eine Verständigung zwischen Fachmann und Laien zum Problem. Der Fachmann meint einen kleinen Teilaspekt, der mit diesem Begriff bezeichnet wird und der Laie kennt nur die übergeordnete, nicht differenzierte Bedeutung. Eine weitere Schwie- 53 rigkeit kommt für den Laien auch deshalb dazu, da er meint, zu verstehen, was der Fachmann sagt, da dieser Wortbildungsmuster nutzt, die dem Laien aus der Allgemeinsprache her vertraut sind. Dieses Halb- bzw. Scheinwissen führt zwangsläufig zu Missverständnissen. Die enge Verknüpfung zwischen den Mustern in der Wortbildung erfordert ein hohes Maß an Disziplin und abstraktem Denkvermögen, etwa in der Kommunikation zwischen Fachmann und Laie. 6.2 Vorschläge zur Verbesserung der Verständigung Sprache wird zeitlebens von einem Individuum erworben. Ein guter Ort um auf die Schwierigkeiten beim Umgang mit einer Fachsprache hinzuweisen ist die Schule und dort besonders beim Einsetzen des Fachunterrichts. Gerade in der Schule besteht die Möglichkeit eine breite Masse für dieses Problem zu sensibilisieren. Ich habe am Anfang der zweiten Hälfte des Schuljahres 2004/2005 Schüler mittels Fragebogen (vgl. 8.6) zur Fachsprache Chemie befragt. Es handelte sich um Schüler eines Gymnasiums in Simmern. Der Fragebogen wurde an Schüler der 8., 10., 11. und 13. Jahrgangstufe verteilt. Die Schüler der 8. Klasse wurden in ihrer allerersten Chemiestunde befragt. Die Schüler der 13. Jahrgangsstufe hatten Chemie als Leistungskurs gewählt. Die exemplarisch dargestellte Auswertung des Fragebogens dient zur Untermauerung der aufgestellten Thesen zur Verbesserung der Verständigung zwischen Chemikern und Nicht-Chemikern. In der Befragung der Schüler kam besonders zu Tage, dass sie die Weitsicht für Bedeutungsunterschiede verloren hatten, je länger sie schon Chemie als Schulfach hatten. Schüler der höheren Klassen schienen die Sprache der "normalen Welt" vergessen zu haben. Sie scheinen zu meinen, dass nur eine chemisch korrekte Interpretation eines Wortes zulässig ist, meist in Form einer Definition. So waren typische Antworten auf die Frage: "An was denkst Du, wenn das Wort Oxid hörst?" • Produkt einer Reaktion mit Sauerstoff • Oxidation • Erhöhung der Oxidationszahl 54 Schüler im Anfangsunterricht hingegen versuchten alles durch ihre Alltagserfahrung zu erklären. Ihre Antworten auf die gleiche Frage lauteten z.B.: • Giftige Luft, Schmutz, Gift • An wasserstoff-blondes Haar • Es kommt eventuell von Oxidation Einige Schüler der zehnten Klasse brachten beide "Sprachen" heftig durcheinander. Sie antworteten: • Eine Verbindung mit Sauerstoff (häufigste Nennung) • Vanish Oxi-Action und Waschpulver Deutlicher wurde deren Verwirrung bei der zweiten Frage nach spontaner Assoziation zu Verseifung [15]: • Übermäßiger Gebrauch von Seife, zuviel Seife • Vermischung von Seife mit etwas anderem • Ich kenne nur einseifen Schüler der 8. Jahrgangsstufe antworteten hier überwiegend mit "Seifenlauge" und Schüler der 13. Jahrgangsstufe mit der chemisch korrekten Beschreibung (Reaktion von Estern mit Lauge). Die gemachten Beobachtungen lassen vermuten, dass die Schüler sich der Fachsprache und ihrer Bedeutung nicht bewusst sind. Erst mit dem Fortschreiten des Fachunterrichts erwerben die Schüler eine fachsprachliche Kompetenz, allerdings ohne, dass sie sich dessen bewusst sind. Schülern muss der Unterschied zwischen Fachsprache und Allgemeinsprache bewusst gemacht werden. So sollten in der Schule die Unterschiede bzw. die Gemeinsamkeiten zwischen Fachsprache und Allgemeinsprache im Rahmen eines fächerübergreifenden Unterrichts zwischen Deutsch und Chemie thematisiert werden (wobei Chemie hier als stellvertretend für alle Naturwissenschaften angesehen werden kann). Es bietet sich der Chemieunterricht besonders an, da die Wortbildung durch die Nomenklatur hier eine besondere Rolle spielt. Dies ist vom Lehrplan Deutsch für Rheinland-Pfalz auch gefordert, allerdings nur als Randnotiz, dass man Fachsprachen in dieser Art unterrichten könne (vgl. Lehrplan 1998: 228). Eine explizite Beschäftigung mit 15 Reaktion in der organischen Chemie, bei der Ester durch Laugen gespalten werden. 55 dem Thema Fachsprache sieht der Lehrplan nicht vor. Dies ist bedauerlich, da ein korrekter Umgang mit Fachsprachen (siehe PISA - Studie) dringend notwendig ist. Besonders wichtig wäre gerade für die Schüler der 8. Jahrgangsstufe ein solcher Deutschunterricht. Sie haben nun erstmals Chemieunterricht und ein Wissen über Wortbildung in der Fachsprache könnte den Chemieunterricht entlasten, insofern, als dass der Fachlehrer von vornherein die Fachsprache richtig nutzen kann und es nicht zu Missverständnissen durch didaktische Reduktion kommt. Ein solches fächerübergreifendes Vorgehen ist gegenwärtig im Unterricht nicht etabliert, wäre aber hinsichtlich der Anforderungen der PISA - Studie wünschenswert. 56 7. Literatur 7.1 Quellen Altmann, Hans / Kemmerling, Silke (2000): Wortbildung fürs Examen. Studien- und Arbeitsbuch. Wiesbaden: Westdeutscher Verlag. 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Düsseldorf: Schwann. 60 7.4 Verzeichnis der Abbildungen und Tabellen Alle Tabellen und Abbildungen wurden, wenn nicht anders angegeben, anhand eigener Daten erstellt. 7.4.1 Abbildungen Abbildung 1: Vergleich Korpus Duden Rechtschreibung (211996) mit Duden Grammatik (61998).................................................................................. 9 Abbildung 2: Vergleich Korpus Chemie nach Neumüller (2003) mit Duden Grammatik (61998)................................................................................ 12 Abbildung 3: Vergleich Chemie nach Neumüller (2003)mit Korpus Duden Rechtschreibung (211996) ..................................................................... 12 Abbildung 4: Graphische Darstellung der Positionen von Affixen ................ 22 Abbildung 5: Räumliche Darstellung eines Komplexes ................................ 24 Abbildung 6: Struktur von Hydroxid .............................................................. 49 7.4.2 Tabellen Tabelle 1: Duden Grammatik (61998) Wortartenfrequenz der deutschen Sprache................................................................................................... 7 Tabelle 2: Wortartenfrequenz im Korpus Duden Rechtschreibung (211996) .. 8 Tabelle 3: Wortartenfrequenz im Korpus Fachsprache Chemie nach Neumüller (2003) .................................................................................. 10 61 8. Anhang 8.1 Korpus aus Neumüller (2003) abdampfen Ablation absolut ac Aceton achiral Acrylnitril Adamantan Adenylsäure aeroBaader-Kolben BAL Bariumsulfat basisch Becquerel Benzidin Berthelot-Reaktion Betamethason bibiochemische Evolution Caerulein Calciumchlorid cAMP -carbaldehyd Carceplex Carrier Cbo Cellulosexanthogenat Cetrimoniumbromid Charge-Transfer-Komplex Darcy Debye def Dehydrogenierung Delta-Konvention Dephlegmator Desaminierung DesoxyDestillation DeuteroEcdyson Edelstein Egalisiermittel Einfachbindung Einschlussverbindung Eisen Elastin Elektroanalyse Element Elixier Faraday-Gesetz Fäulnis FenFerrichrom Ferulasäure Fettsäurealkanolamid FIA Filter Fixateur Flammpunkt Galaktosidase Gallussäure Gamon Gasdichte Gay-Lussac-Gesetz gefällt Gekrätz Gemisch Gentechnik gerben Hagen-Poiseuille-Gesetz halbsystematischer Name Halogenkohlenwasserstoff Hammett-Gleichung Harkins-Regel Härteprüfung Hassium hCS heiße Chemie Heliumkern Imbibition Immission Immunsuppressivum -inat Indikatorelektrode Induktion INH INN INS Intercalation KakodylKaliumcarbonat Kalk Kalottenmodell 62 Kapelle Karminsäure Katalyse kaustische Alkalien Kekulen Keratophyr Laccase Lacton Lambert-Beer-Gesetz Lanostan Latex Lawrencium LEC Leim Leuchtstoff Lewis-Base Magnesiumhydrogencarbonat Magnetquantenzahl Malaprade-Reaktion mancude Margarinsäure Martensit Massenzahl Maxwell-Verteilung Medizin Meitnerium Nachweis Napalm NaphthylNatriumbisulfit Nazarov-Reaktion nematisch Nephrit Netzmittel Neusilber Neutronenbeugung Ochratoxin OctiÖkosystem Olefin Oligomerisation Ommochrom Oolith optische Dichte organisches Mineral ORTEP PalmitPapierchromatographie Parakristall partikular Patulin PDGF Pektinase Penning-Effekt Pentanol Pepsinogen Racemat Radioaktivität Ramberg-Bäcklund-Reaktion Rauschmittel Reaktionsenthalpie reaktiv Redoxindikator reduzierte Größe Regenerat Reinecke-Salz Salpetersäureester Sammler Sarkosin Säure Schadt-Helfrich-Effekt Scheidewasser Schlackenstein Schmelzflusselektrolyse Schönberg-Reaktion schwache Wechselwirkung Tannase Tautomerie technische Chemie Teinochemie Temperatur Terephthalat Terpenoid Testosteron TetracycloTetramethylharnstoff Vanadin Van-Urk-Reaktion Vektor verdampfen Verfahrenstechnik Vermiculith Verstärker Vier-KomponentenKondensation VIP Viskosität Wagner-Meerwein-Umlagerung Wärmeübertragung Wasseraufbereitung weiche Base Wellenfunktion Wichte winterrisieren Wohl-Abbau Wollwachs Wz. 63 8.2 Korpus aus Duden Rechtschreibung (211996) Abbrand Achmed achtziger Adige Ägäis Agronom Akkompagnement aktiv Albrecht Alkazar Bagage baldowern Bambi bankrottieren Bärlapp Basis Bäuerchen beaten bedrucken begehbar Cachetero Canossa Caudillo Chagrin Charles Cherub Cholesterin chthonisch Cloqué COMECON dadurch Dalles dank darüber Daus Debatte Deformation Dekateur delinquent Demos Ecce-Homo Effekt Ehrabschneider eigen einbiegen Eklat Elektronik Elster Empfang Endothel Fact faktisch familiär Faselei fazial fein Fenster fest fett Fieber Galapagosinseln Gameshow Garde gattieren Gebirge gedunsen Gegenfahrbahn Gehenna geknüppelt gell? gelle? Hackepeter halb Halle Hämoglobin handsam Harde Hasenbraten Hauser Hebräer Heilbutt idg. Iler immediat Imprägnation indes indopazifisch infinit inhaftieren inkonziliant Innviertel Kaffeefahrt Kalb Kalmäuser Kamel Kamuffel Kanonik Kaper kaputt Kardätsche Karner laben Lägel Lambrie Landeskunde langschädelig Laschung lau Lavabel Leberegel Legion 64 madig Magnet Maja mal Malutensielien Manege Mannheit Marbel Mark Mars nachbleiben Nachtlicht Nahaufnahme Napf Natanael Nautik Nebukadnezar neoNetzflügler Neuordnung Obdach Oberstudiendirektor obstrulieren offen Ohrenarzt Ölalarm Omikron Operator Oranien Organkonserve Pacht paläoPamps Panpsychismus Papillon Parakinese Pardon parochial partial Passer Räbchen radioRakel Ranke Rassendiskriminierung Ratz rauscharm Realgymnasium Rechtsauslage reden Sabena Saft Salband salva venia Sana Sankt Sardine Satz Saussure schaden Tacho Taille Tamtam tarieren Tattersall Taxameter Teichpflanze Teleskop Tenuis Tesla v.J. Valeur Vater Ventil Verbene Verbzusatz vereinigen viel vier Virginia wachsen Wahn Walküre Wange waschaktiv wau, wau! weggucken Weichsel weiß weiterempfehlen 18 VIIIA Edelgase 02 H He 2 IIA Wasser- Erdalkalimetalle stoff 03 04 13 IIIA 05 06 Li Be B Lithium Beryllium Bor 11 12 Na Natrium 19 37 Ca 4 IVB 22 5 VB 23 Sc 38 39 Sr Rubidium Strontium 56 40 41 Nb Yttrium Zirconium Niob 73 26 Cr Mn Chrom Mangan 42 Zr 8 7 VIIB 25 V Y 72 6 VIB 24 Ti Calcium Scandium Titanium Vanadium Rb 55 3 IIIB 43 Mo 9 VIIIB 27 Fe Eisen 44 Tc 10 28 11 IB 29 30 Cobalt Nickel Kupfer Zink Gallium 46 Rh 47 Pd 48 Ag Molybdän Technet- Ruthenium Rhodium Palladium Silber ium 74 75 76 77 78 79 Ba Hf Ta W Re Os Ir Pt Au Cäsium Barium Hafnium Tantal Wolfram Rhenium Osmium Iridium Platin Gold 88 104 105 Fr Ra Rf Francium Radium Rutherfordium 57 Actinoide: Dubnium Seaborgium 58 59 La Ce Lanthan Cer 89 107 Sg 90 108 Hs Mt Bohrium Hassium Meitnerium 60 Pr 109 Bh 61 Nd 62 Pm 110 49 Ge 34 As Th Pa U Actinium Thorium Protactinium Uran Np Pu 18 Cl Ar Chlor Argon 35 36 Se German- Arsenic Selen ium 50 51 52 Br Kr Brom Krypton 53 54 Cd In Sn Sb Te I Xe Cadmium Indium Zinn Antimon Tellur Iod Xenon 80 81 Hg 82 Tl 83 QueckThallium Blei silber 112 113 114 Rg Uub 84 Pb Uut 85 86 Bi Po At Rn Bismut Polonium Astat Radon 115 Uuq 116 Uup 64 Eu 65 Gd 66 Tb 67 Dy 68 Ho 118 Uuh 69 Er Praseo- Neodym Prome- Samarium Europium Gadolin- Terbium Dyspros- Holmium Erbium dym thium ium ium 91 92 93 94 95 96 97 98 99 100 Ac S Neon Uuo Darm- Roentgenstadtium ium 63 Sm 111 Ds P Ne Am Neptunium Plutonium Americium Cm Curium Bk Cf Berkelium Californium Es Einsteinium Fm 70 Tm Thulium 101 Md 71 Yb Lu Ytterbium Lutetium 102 No 103 Lr Fermium Mendelev- Nobelium Lawrencium ium 65 Lanthanoide: 106 Db Si 33 Ga F Kohlen- Stickstoff Sauerstoff Fluor stoff 14 15 16 17 32 Zn 17 VIIA Helium Halogene 09 10 O 31 Cu 45 08 N Phosphor Schwefel Ni Ru 07 16 VIA Aluminium Silicium Co Cs 87 12 IIB 15 VA C Al Magnesium 20 21 K Kalium 13 Mg 14 IVA 8.3 Periodensystem der Elemente 1 IA Alkali Metall 01 66 8.4 Nomenklatur von Komplexen 1. Bei salzartigen Komplex-Verbindungen wird das Kation zuerst genannt, unabhängig davon, ob es ein Komplex-Ion ist oder nicht. 2. In einem Komplex werden die Liganden an erster Stelle und das Zentralatom an letzter Stelle genannt. Die Liganden werden in alphabetischer Reihenfolge genannt. Die Anzahl der Liganden einer bestimmten Art wird durch ein vorangestelltes griechisches Zahlwort bezeichnet: di (für zwei), tri (drei), tetra (vier), penta (fünf), hexa (sechs). Diese Präfixe werden bei der alphabetischen Einordnung nicht berücksichtigt; die Bezeichnung dichloro- wird alphabetisch unter c, nicht unter d, eingeordnet. Wenn die Zahlworte Bestandteil des Namens eines Liganden sind, werden sie bei der alphabetischen Einordnung berücksichtigt; zum Beispiel wird der Ligand Dimethylamin, (H3C)2NH, unter d eingeordnet. Namen für komplizierte Liganden werden in Klammern gesetzt und ihre Anzahl wird durch vorgesetzte griechische Multiplikativzahlen bis, tris, tetrakis, pentakis, hexakis usw. angegeben. 3. Anionische Liganden erhalten die Endung -o; in manchen Fällen werden abgekürzte Namen für die Liganden verwendet (z.B. Oxo-). Beispiele: F − Cl − Fluoro S Chloro CO − Br Bromo I lodo CN O 2− − Hydroxo Oxo Thio 2− − − − 2 Nitrato Nitro oder Nitrito Cyano Cyanato − H Thiocyanato CO 2− SO Sulfato 2− S 2 O3 Thiosulfato 4 NCO NCS 2 NO NO 3 Carbonato 3 − − OH 2− 2− 4 − Hydrido oder Hydro Oxalato 4. Die Namen von neutralen Liganden werden im allgemeinen nicht geändert und erhalten keine Endung. Ausnahmen: H2O Aquo NH3 Ammin CO Carbonyl NO Nitrosyl 5. Wenn der ganze Komplex ein Anion ist, erhält er die Endung -at und für das Zentralatom wird der lateinische Name verwendet Wenn der Komplex neutral oder kationisch ist, wird der unveränderte deutsche Name des Zentralatoms verwendet. 6. Die Oxidationszahl des Zentralatoms wird als römische Zahl in Klammern nach dem Namen des Komplexes angezeigt; im Falle der Oxidationszahl Null wird eine arabische Null verwendet. Beispiele für die Nomenklatur von Komplex-Verbindungen: [Ag(NH3)2] Cl [Co(NH3)3Cl3] K4 [Fe(CN)6] [Ni(CO)4] [Cu(en)2] SO4 [Pt(NH3)4] [PtCl6] [CoCl(NH3)4(H2O)] Cl2 Diamminsilber(I)chlorid Triammintrichlorocobalt(III) Kalium-hexacyanoferrat(II) Tetracarbonylnickel(0) Bis(ethylendiamin)kupfer(II)-sulfat Tetramminplatin(II)hexachloroplatinat(IV) Tetramminaquochlorocobalt(III)chlorid (Mortimer 61996: 516) 67 8.5 Korpora der Oxide Jedes der folgenden Korpora basiert auf Neumüller (2003), Duden Rechtschreibung (211996) und Duden Fremdwörterbuch (82005) in der jeweiligen CD-ROM-Ausgabe. 8.5.1 Wörter, die auf Oxid enden Alkoxid Aluminiumhydroxid Aluminiumoxid Aminoxid Ammoniumhydroxid Antimonoxid Aquoxid Arenoxid Arsenoxid Azomethinoxid Bariumhydroxid Benzoylperoxid Bismutchloridoxid Bleioxid Bortrioxid Butoxid Cadmiumoxid Calciumhydroxid Calciumoxid Carbonyloxid Ceroxid Chlordioxid Chromdioxid Chromoxid Chromsesquioxid Chromtrioxid Cobaltoxid Deuteriumoxid Diacylperoxid Dialkylperoxid -diazenoxid Diazooxid Dibenzoylperoxid Dibutylperoxid Diethylendioxid Dimethylsulfoxid Dioxid Diphenylenoxid Diphenyloxid Diphosphorpentoxid Distickstoffoxid Doppeloxid Eisenhydroxid Eisenoxid Endoperoxid Epidioxid Epoxid Ethoxid Ethylenoxid Ferrihämhydroxid Fluoroxid Formonitriloxid Hydrogendioxid Hydroperoxid Hydroxid Hydroxid-Ion Hyperoxid Isopropoxid Kaliumhydroxid Kaliumhyperoxid Kaliumperoxid Kaliumsuperoxid Ketonperoxid Kohlendioxid Kohlenmonoxid Kohlenoxid Kohlensuboxid Kupferoxid Lithiumhydroxid Magnesiumaluminiumoxid Magnesiumhydroxid Magnesiumoxid Mangandioxid Mesityloxid Metalloxid Methoxid Moloxid Molybdänoxid Monooxid Monoxid Natriumhydroxid Natriumperoxid Nickeloxid Nitriloxid Nitroxid Osmiumtetraoxid Oxid -oxid Peroxid -peroxid Phenoxid Phosphinoxid Phosphoroxid Phosphorpentoxid Polyethylenoxid Polyphenylenoxid Propoxid Propylenoxid Quecksilberoxid Schwefeldioxid Schwefeltrioxid Selendioxid Siliciumdioxid Stickoxid Stickstoffmonoxid Stickstoffoxid Suboxid Sulfoxid Superoxid Superoxid-Dismutase Titandioxid Trioxid -trioxid Tripeloxid Uranoxid Vanadiumoxid Wasserstoffperoxid Wasserstoffsuperoxid Wolframoxid Zinkoxid Zinnoxid Zirconiumdioxid 68 8.5.1 Wörter, die mit Oxid beginnen Amin-Oxidase anodische Oxidation Baeyer-Villiger-Oxidation Baschkirow-Oxidation Bashkirov-Oxidation Cytochrom-Oxidase Dakin-Oxidation Diamin-Oxidase Gif-Oxidation Glucose-Oxidase Jones-Oxidation mischfunktionelle Oxidase Oppenauer-Oxidation Oxid -oxid Oxidan Oxidanyl Oxidaquat Oxidase Oxidation Oxidationsfarbstoff Oxidationsinhibitor Oxidationsmittel Oxidationspotential Oxidations-Reduktions-... Oxidationsstufe, Oxidationswert Oxidationszahl Oxidationszone Oxidationszustand oxidativ Oxidator Oxidhalogenid Oxidhydrat oxidieren Oxidierung Oxidimeter Oxidimetrie oxidisch Oxidkeramik -oxidoOxidoreduktase OxidoreduktionsOxidsalz Pfitzner-Moffatt-Oxidation Phenol-Oxidasen Riley-Oxidation Sarett-Oxidation Urat-Oxidase Xanthin-Oxidase 69 8.6 Fragebogen Klassenstufe: _____ Das Fach Chemie gefällt mir: sehr gut □ □ gut □ mittel □ schlecht □ sehr schlecht Von folgenden Fachwörtern kenne ich (einfach ankreuzen): □ □ □ □ □ Haber-BoschVerfahren Lauge Oxid Elektronegativität Scheidetrichter □ □ □ □ □ Diels-AlderAddition titrieren Alkalimetall pH-Wert sublimieren □ □ □ □ □ Oxidation □ Makromoleküle Krypton Transurane Enthalpie □ □ □ □ Bürette Hybridisierung Fluoreszenz IUPAC Isotop An was denkst Du, wenn Du das Wort Oxid hörst (bitte einfach aufschreiben, was Dir spontan einfällt): ____________________________________________________________________ ____________________________________________________________________ An was denkst Du, wenn Du das Wort Verseifung hörst (bitte einfach aufschreiben, was Dir spontan einfällt): ____________________________________________________________________ ____________________________________________________________________ Zeichne ein Reagenzglas: Erlenmeyerkolben: Schreibe zu folgenden Wörtern ähnliche auf: destillieren Atom Ion Hydrat Substitution Bunsenbrenner: 70 Streiche - am besten mit Textmarker - im folgenden Text alle Wörter an, die Dir nichts sagen: HOMO-LUMO-Modell (Grenzorbitalkonzept) ( HOMO: highest occupied molecular orbital [= höchstes besetztes Molekülorbital] und LUMO: lowest unoccupied molecular orbital [= niedrigstes unbesetztes Molekülorbital] ) Ein Konzept, wonach die Grenzorbitale der Reaktanden wesentlich die Reaktivität bestimmen. Die Elektronendelokalisierung ist zwischen HOMO und LUMO im Allgemeinen der Hauptfaktor, der die Leichtigkeit einer chemischen Reaktion und ihre Stereoselektivität bestimmt. Dies gilt sowohl für intermolekulare als auch für intramolekulare Prozesse. Bei Rechnungen mit dem HOMO-LUMO-Modell wird von den Grenzorbitalen der ungestörten Reaktanden ausgegangen. Die HOMOLUMO-Wechselwirkung wird dann mit Hilfe der Störungstheorie berücksichtigt. Eine Erweiterung des HOMO-LUMO-Modell unterscheidet bei den die Reaktivität entscheidend beeinflussenden Faktoren zwischen Grenzorbitalkontrolle und Ladungskontrolle, bei der die Reaktivität durch die elektrostatische Wechselwirkung von Ladungen bestimmt wird. Liebe 10.-Klässler, Ihr habt am Schuljahresende die Möglichkeit Chemie abzuwählen oder zu behalten. Was wirst Du tun und warum? Bitte begründe möglichst detailliert. Danke!!! _______________________________________________________________________________ _______________________________________________________________________________ _______________________________________________________________________________ _______________________________________________________________________________ _______________________________________________________________________________ __________________________________________________________________ Erklärung Hiermit erkläre ich, dass die vorliegende Arbeit ohne weitere als die angegebenen Hilfsmittel nach eigenem Forschungsansatz selbstständig von mir verfasst worden ist. Ort Datum Unterschrift