Erfolg im digitalen Zeitalter

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Rupert Stadler
Walter Brenner
Andreas Herrmann
Erfolg im
digitalen Zeitalter
Strategien von
17 Spitzenmanagern
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation
in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische
Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Herausgeber:
Rupert Stadler
Walter Brenner
Andreas Herrmann
Erfolg im digitalen Zeitalter
Strategien von 17 Spitzenmanagern
F.A.Z.-Institut für Management-,
Markt- und Medieninformationen GmbH
Mainzer Landstraße 199
60326 Frankfurt am Main
Geschäftsführung: Volker Sach und Dr. André Hülsbömer
Frankfurt am Main 2012
ISBN 978-3-89981-300-5
Copyright
Umschlag
Satz
Druck
F.A.Z.-Institut für Management-,
Markt- und Medieninformationen GmbH
60326 Frankfurt am Main
Anja Desch
Jan Hofmann
Kösel GmbH & Co. KG, Am Buchweg 1, 87452 Altusried-Krugzell
Alle Rechte, auch des auszugsweisen Nachdrucks, vorbehalten.
Printed in Germany
Inhalt
Über dieses Buch
7
Das Modell des Managements in der digitalen, vernetzten Welt
Walter Brenner, Andreas Herrmann, Universität St.Gallen
13
Serendipity als Innovationsstrategie
Miriam Meckel, Universität St.Gallen
35
B2C – Business-to-Consumer
Kunden- und Produktbeziehungen für die individuelle Mobilität
der Zukunft
Rupert Stadler, AUDI AG
57
„Like“ oder „Fail“? – Kundenbeziehungen mit der Generation
Facebook87
René Obermann, Deutsche Telekom AG
Den digitalen Gigantismus herausfordern und beherrschen –
Revolution der digitalen Kommunikation
Herbert Hainer, adidas AG
Intelligent vernetzt im Haus der Zukunft – Der Umbau des
Energiesystems verändert die Rolle der Verbraucher und der
Unternehmen grundlegend
Johannes Teyssen, E.ON AG
97
109
Hybride mehr als nur ein Hype? Der Kunde in der
Versicherungswirtschaft von morgen
Markus Hofmann, AXA Konzern AG
123
Follow the orange Lion – Wie eine Bank erfolgreich anders ist und
welchen Herausforderungen sie sich dabei stellen muss
Roland Boekhout, ING-DiBa AG
135
Wie die Touristik die neuen sozialen Netzwerke nutzen kann
Michael Frenzel, TUI AG
Leser- und Kundenorientierung in einer digitalisierten
Medienwelt – Eine Zwischenbilanz
Mathias Döpfner, Axel Springer AG
151
167
B2B – Business-to-Business
The Social Revolution – Wie Sie aus Ihrer Firma ein aktiv
vernetztes Unternehmen und aus Ihren Kunden Freunde fürs
Leben machen
Marc Benioff, salesforce.com, inc.
185
Der zersplitterte Markt – Dienstleistungen im Zeichen der
Digitalisierung205
Rolf Buch, arvato AG
„We create chemistry“ – Strategische Weiterentwicklung der
Kundeninteraktion bei der BASF
Michael Heinz, BASF SE
223
Chancen und Möglichkeiten der Vernetzung für höhere
industrielle Produktivität
Siegfried Russwurm, Siemens AG
237
Die Märkte der Zukunft erschließen – Wie die modernen
Informations- und Kommunikationstechnologien das B2BGeschäft verändern
Heinrich Hiesinger, ThyssenKrupp AG
249
B2A – Business-to-Administration
Kundenbeziehungen zwischen Private und Public Value
Thomas Bieger, Michael Lorz, Universität St.Gallen
265
Epilog284
Danksagung an die Koautoren und Mitwirkenden
287
Glossar288
Über dieses Buch
Kunden sind nach einem chinesischen Sprichwort „der eigentliche Schatz
– und die Ware nur das Stroh“. Folgt man dieser alten Weisheit aus einem
der am schnellsten wachsenden Weltmärkte, gilt es vor allem, den
Kundenschatz zu vermehren. Innovative Produkte und Dienstleistungen würden sich dieser Denkweise zufolge stets dem Kunden unterordnen. In voller Konsequenz könnten die Daten, die von Kunden bewusst
oder unbewusst erzeugt werden, neben ihren explizit verbal geäußerten Wünschen in der Tat einen Schatz der Zukunft darstellen. Somit
ergibt sich die grundlegende Frage, welche Rolle ein Unternehmen
den Daten seiner Kunden beimisst.
Wer Geschäftsmodelle für die digitalisierte Welt entwirft, kommt um
Nutzerprofile nicht herum, um maßgeschneiderte Produkte und
Dienste anbieten zu können: Wer mit wem? Wo? Wann wurde was benötigt, gesucht oder genutzt? Kunden, die heute physische oder virtuelle Produkte nutzen, personalisieren diese in der Regel auf ihre Bedürfnisse und produzieren allein durch deren Gebrauch eine Menge
von Daten. Wer auf Anbieterseite wiederum die besten Daten besitzt,
kann auch die besten Dienste bieten. Das hat Google zum Beispiel vor
Jahren erkannt. Heute ist das kalifornische Unternehmen zur größten
Suchmaschine der Welt avanciert und hat seinen Datenschatz in rasanter Geschwindigkeit vermehrt. Darauf aufbauend sind inzwischen
Dutzende von Diensten neben der klassischen Websuche entstanden.
Gleichzeitig gilt es, mit den Daten seiner Kunden verantwortungsvoll
umzugehen und keine persönlichen Informationen ohne Einwilligung
der betroffenen Personen zu sammeln.
Die Kunst, aus Daten Mehrwert zu generieren, ist auch außerhalb der
digitalen Welt, im klassischen B&M-Business (Brick and Mortar Business: in dem Gebäude noch aus Stein und Mörtel und Menschen noch
aus Fleisch und Blut sind) gefragt. Auf diese Weise entstehen heute
schon technisch anspruchsvolle Produkte und Dienstleistungen, die
uns täglich staunen lassen. Doch auch noch so ausgefeilte Angebote
scheitern, wenn die Kunden sie nicht so annehmen, wie sich das deren
Entwickler und Produzenten erhoffen. Was also fasziniert die Kunden
von morgen?
Eines steht wohl fest: Kein Unternehmen kann sich auf dem Erfolg von
heute ausruhen. Wie schnell sich die Gewichte in jeder Branche verschieben können, zeigt die rapide Revolution in der IT-Welt. Die Rechenleistung der Industriecomputer der ersten Generationen stieg
zwar gewaltig an. Doch sie konnten nicht mit parallel dazu entstande7
nen Personal Computern mithalten, die drei Jahrzehnte später mit
tausendfacher Rechenleistung aufwarteten. Viele Kunden stiegen aus
der zentralen Datenverarbeitung aus und wandten sich dezentralen
und vernetzten Lösungen zu. Heute vollzieht sich eine ähnliche Marktverschiebung bei den PCs zugunsten von Tablets und mobilen Multitalenten der Informationstechnik, die wir unter dem Namen Smartphones
kennen.
Und die Vernetzung geht weiter. Die rasche Verbreitung des Internets
und der mobilen Kommunikation stellt für alle Lebensbereiche, auch
für die moderne Unternehmensführung, eine der größten Veränderungen dar. Intelligente Funktionen können heute in Produkte und
Dienstleistungen integriert werden, sei es durch Verbindung mit dem
Internet oder zum Beispiel durch Mini-Transponder, die Produkte über
Funkfrequenzen identifizier- und lokalisierbar machen. Lösungen der
Informations- und Kommunikationstechnik, wie man sie sich vor einigen Jahren kaum vorstellen konnte, verändern unseren Arbeits- und
Lebensalltag und bilden die Grundlage für neue Geschäftsmodelle des
Business in einer digitalen, vernetzten Welt. Die Veränderung geht dabei so rasant vonstatten, dass sie zu Recht als Revolution bezeichnet
werden kann. Die Umwälzung erfasst alle Branchen und jeden Einzelnen sowie die Gesellschaft als Ganzes.
Die drei Herausgeber dieses Buchs kamen im Laufe eines langen Gesprächs in St.Gallen über den Unterschied zwischen Kundenzufriedenheit und Kundenbegeisterung auf die Idee, sich mit diesem komplexen
Themenfeld zu befassen und Antworten auf die folgenden Fragen zu
finden: Wie lässt sich eine dauerhafte Beziehung zwischen einer Marke, deren Kunden und Produkten etablieren? Und wie verändern sich
die Kunden- und Produktbeziehungen der Zukunft im Zeitalter der
neuen Technologien und der allgemeinen Vernetzung? Die Antworten
wurden, in Zusammenarbeit mit 17 CEOs, Top-Managern und führenden Wissenschaftlern, nach spannender und intensiver Recherche in
diesem Buch zusammengetragen.
Die Beiträge der einzelnen Autoren beleuchten dabei ganz unterschiedliche Ansätze. Sie zeigen, wie sich global agierende Unternehmen auf veränderte Kunden- und Produktbeziehungen einstellen und
diese aktiv gestalten. Der Kunde spielt, wie sollte es anders sein, die
Hauptrolle. Denn dass er sich in sozialen Netzen bewegt und dass diese
nicht nur real, sondern auch virtuell geknüpft und gepflegt werden
können, prägt auch die Interaktion zwischen dem Unternehmen der
Zukunft und dem Kunden der Zukunft.
Die Chance eines neuartigen Umgangs mit Kunden und Mitarbeitern
liegt vor allem in neuen Sichtweisen begründet. Die Autoren dieses
8
Buchs lassen die Leser daher am Erkenntnisgewinn aus ihren Sichtweisen teilhaben und legen ihre individuellen Vorstellungen dar, wie Vernetzung in Zukunft aussehen könnte.
In diesem Buch treffen die Vorstellungen von Finanzwelt, Dienstleistern, IT und Telekommunikation, Medien, Energiewirtschaft, Chemie
und diverser Industriezweige aufeinander. Der rote Faden, der sich
durch alle Beiträge zieht, ist der „Faktor Mensch“.
Die Beiträge aus der Praxis werden in diesem Buch der wissenschaftlichen Perspektive gegenübergestellt. So wird unter anderem deutlich,
dass die Gesellschaft im 21. Jahrhundert eine der größten sozialen Revolutionen der Menschheitsgeschichte erlebt. Ein Unternehmen tut
gut daran, sein Management an die Bedürfnisse dieser neuen Welt anzupassen, um nicht den Anschluss zu verlieren. Neue Beziehungssysteme und Datenströme werden Strukturen und Prozesse verändern und
lassen den Ruf nach einem neuen Management-Modell in der digitalen, vernetzten Welt aufkommen, in dem der Kunde, das Unternehmen und seine Produkte oder Dienstleistungen miteinander in Beziehung stehen. Aus dieser Beziehung erwachsen Daten. Darüber hinaus
tauschen Kunden mit anderen Kunden, Produkte mit anderen Produkten, Dienste mit anderen Diensten und Unternehmen mit anderen Unternehmen Daten aus. Die Beziehungsebenen und Datenströme innerhalb dieses Dreiecks bilden den Kern des Management-Modells (siehe
Abbildung1), das darüber hinaus auch die Veränderungen beschreibt,
die aufgrund der Digitalisierung und Vernetzung entstehen.
Das Modell des Managements in der digitalen, vernetzten Welt
1 Das Management-Modell wird im nachfolgenden Beitrag der Autoren Brenner und Herrmann ausführlicher vorgestellt.
9
Neue soziale Netzwerke, in denen sich reale und virtuelle Welten vermischen, rufen nach neuen Führungsmodellen. Heute sprechen viele
Menschen über die junge „Generation Y“. Die ihr nachfolgende „Generation Z“ wird wieder Akzente setzen und noch einmal andere Erwartungen und Ansprüche formulieren, als wir das heute tun. Die Rede ist
deshalb bereits vom „Social Management“, das auf den Führungsetagen Einzug halten muss.
Wie unser Leben und Arbeiten im Jahr 2030 oder 2050 tatsächlich aussehen wird, können wir heute allenfalls erahnen. Doch fest steht, dass
Kunden- und Produktbeziehungen der Zukunft in besonderem Maße
durch kollaborative Innovationen geprägt sein werden. Also findet die
Kreationsleistung nicht mehr nur auf Anbieterseite statt. Kollaborative
Innovationen entstehen, wenn Mitarbeitern, Partnern und Kunden der
nötige Raum gegeben wird, wenn sie die Chance erhalten mitzugestalten, wenn sie gehört werden.
Die Herausgeber danken an dieser Stelle allen Autoren für ihre Bereitschaft, an diesem Buch mitzuarbeiten. Außerdem wäre das Projekt
nicht möglich gewesen ohne den unermüdlichen Einsatz zahlreicher
Mitwirkender, die wir am Ende des Buchs aufführen, allen voran
Saskia Zelt vom Institut für Wirtschaftsinformatik der Universität St.
Gallen und Dietmar Scherer von Audi. Und wir möchten Ihnen, unseren Lesern, schon im Voraus für Ihre aktive Rolle danken. Denn wir
wären nicht konsequent, wenn wir zu diesem Buch über die Folgen der
digitalen Revolution nicht auch eine Website eingerichtet hätten, auf
der Sie im buchbegleitenden Blog ihre kritischen Impulse und Anregungen für eine Neuauflage hinterlassen und weiterdiskutieren können: www.erfolg-im-digitalen-zeitalter.de
Ingolstadt und St.Gallen, im Oktober 2012
Die Herausgeber
Rupert Stadler, Walter Brenner, Andreas Herrmann
10
Die Autoren
Prof. Dr. Walter Brenner, geb. 1958, ist seit 1. April 2001
Professor für Wirtschaftsinformatik an der Universität
St. Gallen und geschäftsführender Direktor des Instituts für Wirtschaftsinformatik. Davor hatte er Professuren an der Universität Essen und der TU Bergakademie Freiberg inne. Seine Forschungsschwerpunkte
sind Industrialisierung des Informationsmanagements, Management von IT-Service-Providern, Customer Relationship Management, Einsatz neuer Technologien und Design Thinking; daneben ist er freiberuflich als Berater in Fragen des Informationsmanagements und der Vorbereitung von
Unternehmen auf die digitale, vernetzte Welt tätig.
Prof. Dr. Andreas Herrmann, geb. 1964, war von 1991 bis
1993 für die AUDI AG tätig. Danach absolvierte er sein Habilitationsstudium bis 1996 an der Universität Mannheim. Er
war ab 1997 Inhaber des Lehrstuhls für Marketing an der
Universität Mainz. Seit 2002 lehrt er an der Universität
St. Gallen, zunächst als Direktor am Institut für Medien- und Kommunikationsmanagement. Ab 2005 leitete
er das Zentrum für Business Metrics und seit 2009 ist
er gemeinsam mit Prof. Dr. Torsten Tomczak Direktor
des Zentrums für Customer Insight. Prof. Dr. Herrmann
ist zudem Gründer und Beirat der beiden Unternehmensberatungen 2hm und 4hm. Er hat bislang 15 Bücher und mehr als 250 Zeitschriftenartikel veröffentlicht.
Die Autoren danken Saskia Zelt und Christophe Vetterli für ihre Mitarbeit.
Das Modell des Managements in der digitalen,
vernetzten Welt
Walter Brenner, Andreas Herrmann, Universität
St.Gallen
Mit jedem Kontakt mit dem Waldboden bewegt sich ein Läufer einen
Schritt weiter in Richtung Ziel, um eine beabsichtigte Distanz oder
Zeit zu erreichen. Trotz der scheinbar technologiefreien Aktivität des
Läufers im Wald wird die Strecke nicht mehr mit einer Karte und die
Zeit nicht mehr mit einer Stoppuhr gemessen, zumindest nicht im ursprünglichen – man möchte fast sagen altertümlichen – Sinne. Inmitten des Waldes befindet sich der Läufer in der digitalen, vernetzten
Welt. Distanz, Höhenmeter, Zeit, aktuelle und durchschnittliche Geschwindigkeit, Herzfrequenz und Kalorienverbrauch werden mittels
Sensoren im Schuh, in der Pulsuhr und im Smartphone erfasst, ins
Netz hochgeladen und mit hinterlegten Profildaten verknüpft. Im
Smartphone steckt ein digitaler Trainer. Über die Kopfhörer gelangt
längst nicht nur Musik ins Ohr des Läufers, sondern auch Anweisungen zum optimalen Absolvieren des Trainings. Nach einem Lauf kann
der Sportler seine Resultate mit früheren Trainingsergebnissen vergleichen und Trainingspläne individuell auf seine Bedürfnisse abstimmen, um sich zu verbessern. Auch passende Ernährungspläne aus dem
Web können zu neuen sportlichen Erfolgen beitragen. Wer Erfolge hat,
teilt diese mit Freunden auf Social-Media-Plattformen wie Facebook
und erhält dafür wohlwollende „Likes“ oder Kommentare. Das private
Training wird zur öffentlichen Angelegenheit, mit virtuellen „Trainern“ und Fans. Ein prominentes Beispiel ist der Ironman Zürich, ein
Langstrecken-Distanz-Triathlon. Die Teilnehmer tragen einen Chip am
Fußgelenk, der beim Laufen über eine Zeitmessmatte ein Signal sendet. Diese Daten sind nicht nur für Veranstalter und Triathleten einsehbar, sondern werden in Echtzeit der ganzen Welt über die offizielle
Homepage zugänglich gemacht.
Auch das Fußballfeld der Zukunft steht immer stärker im Zeichen von
Digitalisierung und Vernetzung. Die Schuhe der Spieler sind mit Sensoren ausgestattet, die alle Bewegungen, die gelaufene Distanz, die Geschwindigkeit und die Kraft beim Toreschießen erfassen. Aber nicht
nur die Schuhe der Spieler, sondern auch die Tore werden in Zukunft
13
mit modernster Technologie versehen sein. So verkündete der Weltfußballverband FIFA jüngst den geplanten Einsatz von Torlinientechnologie (FIFA.com 2012). Der Schiedsrichter erhält so eine zuverlässige
Entscheidungsgrundlage, und die Fans stehen virtuell mitten auf dem
Spielfeld und können alles detailgenau mitverfolgen. Trainern und
Sportkommentatoren ermöglichen die Daten neue Wege zur Analyse
von Partien und Spielresultaten. Offen bleiben Fragen wie zum Beispiel: Wem gehören die Daten letztendlich? Wer darf sie verwenden?
Gehören die Daten dem Spieler, dem Verein, dem Veranstalter, dem
Medienpartner, dem Sponsor, dem Hersteller der Sportartikel oder
sind diese Daten von öffentlichen Personen sogar ein öffentliches Gut?
Während sich die Geister darüber noch streiten, ist die neue Technik
längst beim Hobbyfußballer angekommen, dessen Schuhe Freunde in
sozialen Netzen über jede vermeintlich wichtige Bewegung auf dem
Laufenden halten.
Aber nicht nur beim Sport, sondern auch im Alltag halten Vernetzung
und Digitalisierung Einzug. Ein Beispiel hierfür ist die neueste Generation von Fernsehern, sowohl technisch als auch von den Diensten her
gesehen. Das TV-Gerät wird zum überdimensionalen Bildschirm, der
als Steuerzentrale in der digitalen, vernetzten Welt zur Interaktion
animiert. Surfen im Internet, Skype-Konferenzen und das Sortieren
von Fotos aus dem letzten Urlaub sind dadurch vom Sofa aus möglich.
Smartphones können nicht nur Fernseher, sondern auch eine Reihe
von Funktionen im privaten Haushalt steuern. Onlinedienste ermöglichen das Abspielen und Aufzeichnen von TV-Sendungen und Filmen.
Apple TV erlaubt beispielsweise die Anzeige von Inhalten wahlweise
auf dem iPad oder auf dem TV-Bildschirm. Auch Apps von mobilen
Endgeräten können auf der vollen Größe des TV-Bildschirms genutzt
werden. Soziale Netzwerke und Dienste wie Facebook und YouTube integrieren sich ebenfalls in den Fernsehschirm.
Im digitalen, vernetzten Zeitalter angekommen, müssen Unternehmen lernen, die Chancen und Potentiale der sozialen Revolution des
21. Jahrhunderts optimal zu nutzen. Denn die Digitalisierung und Vernetzung hat gerade erst begonnen. Die folgenden Ausführungen beschäftigen sich damit, welche Auswirkungen dies auf die Beziehungen
von Kunden, Unternehmen sowie Produkten und Dienstleistungen
hat. Nach aktuellen Trends und Entwicklungslinien wird das Modell
des Managements in der digitalen, vernetzten Welt vorgestellt. Anschließend werden die Beziehungen, die in dem Modell bestehen, systematisiert und anhand von Beispielen veranschaulicht.
14
Trends und Entwicklungslinien der digitalen,
vernetzten Welt
Unterschiedliche Trends und Entwicklungslinien wie Vernetzung, Individualisierung, Echtzeit, Datennutzung und -auswertung, Dienstleistungsorientierung sowie eine anhaltende rechtliche Unsicherheit lassen sich innerhalb
der digitalen, vernetzten Welt erkennen und sollen im Folgenden betrachtet werden.
Vernetzung
Das Internet ist zu einem Kommunikationsmedium geworden, das
durch Interaktion auf vielfältige Weise Produkte, Kunden und Unternehmen miteinander verbindet. Individuen vernetzen sich mittels Social Media, und die Grenzen zwischen physischer und virtueller Welt
verschwimmen. Mit 845 Millionen aktiven Nutzern im Januar 2012 ist
Facebook gemessen an seiner „Einwohnerzahl“ das drittgrößte Land
der Welt. Die digitale Welt erlaubt eine „Rund um die Uhr“-Vernetzung,
und zeitliche sowie geografische Grenzen heben sich auf. Doch Social
Media Plattformen wie Facebook sind längst nicht mehr nur auf die
Vernetzung von Individuen im privaten Bereich beschränkt. Unternehmen sind ihren Kunden näher als je zuvor, und Geschäftsmodelle wie
ondango.com, die den Vertrieb von Produkten in die Plattform einbinden, verwandeln Facebook in die größte Shopping Mall der Welt. Mit
Begriffen wie „das Internet der Dinge“1 wird die intelligente Vernetzung von physischen Objekten mit der digitalen Welt beschrieben. Der
Computer geht in den Dingen auf und Produkte werden um künstliche
Intelligenzen angereichert (Fleisch & Friedemann 2005). Unternehmen
nutzen diese Vernetzung, indem sie etwa Lieferanten, Partner, aber
auch Kunden in den Produktentstehungsprozess einbinden. Diese Verzahnung wird forciert durch die Verfügbarkeit von Informationen
über mobile Geräte wie Smartphones. Heute kann jeder nahezu überall Zugang zum Internet erhalten.
Individualisierung
Veränderungen der digitalen Welt werden nicht mehr von Hierarchien
und somit Organisationen geprägt, sondern von Individuen. Noch nie
zuvor war der Einzelne in der Lage, einen so großen Einfluss auf das
Wirtschaftsgeschehen, auf die Gesellschaft und die Politik zu nehmen
1 Dieser Begriff hat seinen Ursprung in der Forschung am Auto ID Lab am Massachusetts Institute of Technology (MIT)
(http://autoid.mit.edu/CS).
15
wie heute (Tapscott & Williams 2006). Über Social Media wie Facebook,
Twitter, YouTube, Blogs oder Foren ist jeder in der Lage, seiner Stimme
Gehör zu verleihen. Dieses neu erlangte Selbstbewusstsein führt auch
dazu, dass Kunden immer stärker nach einer Individualisierung der
Produkte und Dienste verlangen. Der Konsumstil wandelt sich von einem passiven hin zu einem aktiven und lässt Kunden selbst zu Produzenten werden. Dies führt dazu, dass Kunden individuelle Angebote
beziehen und in das Design oder sogar in den Entwicklungsprozess
von Produkten eingebunden sind. Beim Einkauf auf amazon.com wird
der Kunde über die sogenannten „Amazon recommendations“ auf Produkte hingewiesen, die auf sein individuelles Kaufverhalten abgestimmt sind. Das Bestellen eines neuen Autos kann heute über Konfiguratoren vom Smartphone aus individuell vorgenommen werden,
und mit „mi adidas“ kann jeder Sportler seinen eigenen Sportschuh
designen. So gleicht kein Auto und kein Schuh mehr dem anderen.
Echtzeit
Daten stehen zunehmend in Echtzeit zur Verfügung und werden auf
unterschiedlichste Weise genutzt. So ist beispielsweise die Verfolgung
eines Einkaufs bei Amazon in Echtzeit längst zum Standard geworden.
Ebenso können Kunden mit der Premier Inn App mittels GPS-Technologie das nächstgelegene Hotel finden, in Echtzeit die Verfügbarkeit freier Zimmer prüfen und, falls gewünscht, auch direkt ein Zimmer über
die App buchen. Auch die Vernetzung erfolgt in der digitalen Welt in
Echtzeit. So können sich beispielsweise auf motilo.com FacebookFreunde beim Real-Time-Shopping in einem digitalen Raum treffen,
gemeinsam Outfits zusammenstellen und erwerben. Auch die Bearbeitung von Dokumenten findet trotz geografischer Entfernung in Echtzeit statt, so dass ein geteiltes Dokument bei Google Docs von mehreren Personen gleichzeitig bearbeitet werden kann. Genauso ermöglicht es die Zukunft der Echtzeitkommunikation zwischen Autos und
ihrer Umgebung (auch Car-to-X Communication genannt), Staus zu
verhindern, indem Autos in Echtzeit Informationen zur Verkehrslage
unter Einbezug von Umweltdaten, wie dem Wetter oder der Verkehrsinfrastruktur, austauschen.
Datennutzung und -auswertung
Aufgrund der Vernetzung entstehen Daten, die für Unternehmen
wichtige Informationen über die Bedürfnisse und das Nutzungsverhalten von Kunden enthalten. Die Daten werden zum einen bewusst von
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den Kunden erstellt oder zum anderen unbewusst durch die Nutzung
des Internets oder der Produkte innerhalb der Vernetzung erfasst. Lösungen wie Radian6 von salesforce.com ermöglichen die Identifikation
von Beiträgen in sozialen Netzwerken oder Blogs über das eigene Unternehmen (sogenanntes Social Media Monitoring) und erlauben es,
auf Reaktionen der Kunden reagieren zu können.
Mittlerweile gibt es Geschäftsmodelle, die das Verhalten von Nutzern
im Internet analysieren und diese Informationen für den Werbemarkt
verfügbar machen (Biermann 2010). Unternehmen wie Google sammeln eine Vielzahl von Daten über ihre Kunden, indem sie über ihre
Services, wie GoogleMail, GoogleCalendar, GoogleDocs oder Google+,
direkt in das Leben der Kunden eingebunden sind. Heute nutzt Google
diese Daten vor allem zur Schaltung von zielgerichteter Onlinewerbung.
Dienstleistungsorientierung
Die Nachfrage nach Dienstleistungen rund um Produkte nimmt zu.
Diese Dienste können zur Differenzierung gegenüber Wettbewerbern
eingesetzt werden und schaffen einen zusätzlichen Mehrwert für den
Kunden. Der klassische Produzent wird zum Dienstleister und muss
sein Geschäftsmodell überdenken. So verkauft adidas heute nicht nur
Sportbekleidung, sondern unterstützt den Sportler mit der App „miCoach“ beim Erstellen von Trainingsplänen und begleitet ihn bei seinen Wettkämpfen, indem alle Trainingsergebnisse aufgezeichnet werden. Die vernetzten Häuser der Zukunft werden über Kühlschränke
verfügen, die nicht nur zur Temperierung der Lebensmittel beitragen,
sondern auch den Einkauf fehlender Produkte im Kühlschrank anstoßen können. Heidelberger Druck ergänzt den Verkauf von Druckmaschinen um Services, welche die Qualität und Verfügbarkeit der Maschinen verbessern. Jede Druckmaschine verfügt über mehr als 2500
Sensoren, die über eine Internetverbindung Daten an das Unternehmen senden und somit die Planung sowie das Auslösen von anstehenden Wartungs- und Serviceleistungen aus der Ferne erlauben, wodurch
das eigentliche Produkt um zusätzliche Dienstleistungen erweitert
wird.
Anhaltende rechtliche Unsicherheit
Die Digitalisierung und die damit verbundene Vernetzung sind heute
zudem mit einer anhaltenden rechtlichen Unsicherheit verbunden.
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Das Grundrecht auf Datenschutz ist in der digitalen Welt nur noch
schwer umsetzbar, was unter anderem auf das Fehlen übergreifender
Lösungen für den Schutz der digitalen Privatsphäre zurückzuführen
ist. Daten entstehen heute nicht mehr in geschlossenen Systemen, sondern sind im Netz und somit immer und überall verfügbar. Die Vernetzung ermöglicht die Kollaboration und die Fernsteuerung und somit
auch das ungewollte Eindringen in die Privatsphäre der Nutzer. Doch
geht es hierbei nicht nur um die drohende Gefahr krimineller Attacken, sondern durchaus auch um die Grenzen, die Ermittlungsbehörden und Geheimdiensten gesetzt werden. Ein populäres Beispiel ist die
in Deutschland anhaltende Diskussion rund um den sogenannten
Bundestrojaner. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts schränkt
die Überwachung auf Daten einer laufenden Kommunikation ein. Die
Praxis hat jedoch gezeigt, dass die Funktionen des Trojaners sogar das
Aufspielen beliebiger Daten und Programme ohne Zutun des Nutzers
sowie Raumüberwachung mittels Mikrofon und Kamera des Computers erlauben. Somit könnten Ermittlungen beliebig manipuliert und
digitale Beweismittel verfälscht werden. Die Grenzen der digitalen Privatsphäre sind demnach nicht klar gesetzt.
Auch der Speicherort der Daten variiert, so dass Daten, die zwar mit
einem Gerät innerhalb nationaler Grenzen erfasst wurden, unter Umständen auf Server an unterschiedlichen Orten der Welt gespeichert
werden. Die Daten unterliegen somit der in dem Land der Datenspeicherung geltenden Rechtsprechung. Es bleibt offen, ob die virtuelle
Welt eine Gesetzgebung benötigt, die sich nicht an nationalen Grenzen orientiert, sondern eigene Rechte innerhalb der digitalen Grenzen
definiert. Hinzu kommt, dass Nutzer beispielsweise innerhalb des sozialen Netzwerks Facebook die Verfügungsgewalt über die persönlichen
Daten komplett an Facebook übertragen, ohne eine Zusage der Verpflichtung zum Schutz dieser Daten zu erhalten. Es scheint, als wäre
der Nutzen des sozialen Netzwerks höher einzustufen als die Risiken
des Kontrollverlusts über die eigenen Daten.
Das Modell des Managements in der digitalen,
vernetzten Welt
Die Welt wandelt sich von einer Industrie- zu einer Informationsgesellschaft. In den letzten Jahren ist eine digitale, vernetzte Welt entstanden, welche die Beziehungen sämtlicher Objekte der physischen und
virtuellen Welt umfasst. Kunden hinterlassen einen digitalen „Fingerabdruck“ bei der Nutzung des Internets zur Suche von Informationen
oder zur Abwicklung von Transaktionen. Der „digitale Mensch“ ist
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kein anonymes Subjekt einer statistischen Teilmenge, sondern ein Abbild eines realen Individuums, beschrieben durch einzelne Datenpunkte (Negroponte 1995). Kunden und potentielle Kunden erstellen
bewusst und unbewusst Daten in offenen oder geschlossenen Systemen, die vermehrt in Echtzeit zur Verfügung stehen. Diese Daten eröffnen Unternehmen neue Informationsquellen für das Erkennen von
Kundenbedürfnissen. Der Besitz und die Fähigkeit der Nutzung dieser
Daten ist entscheidend für die Sicherung von Markt- und Wettbewerbsvorteilen. Die stetig steigende Menge an Daten eröffnet jedoch nicht
nur dem Unternehmen neue Möglichkeiten der Datenauswertung. Der
Kunde von heute ist selbstbewusst und informiert. Er baut sich sein
eigenes Netzwerk auf, das verschiedene Lebensbereiche miteinander
verknüpft und seinen Alltag verbessert. Er erwartet zunehmend die
direkte Interaktion mit Produkten und dem Unternehmen sowie eine
individuelle Abstimmung der abgerufenen Leistung auf die eigenen
Bedürfnisse. Durch die neue Vernetzung von Kunden, Produkten und
Unternehmen resultieren neue Formen von Beziehungen, die für Unternehmen eine Chance und Herausforderung zugleich darstellen.
Diese Herausforderung ist keine mehr, mit der sich lediglich das Marketing befasst, sondern eine, die zur Chefsache geworden ist.
Das Modell des Managements in der digitalen, vernetzten Welt stellt,
wie in der Einleitung diese Buches beschrieben wurde, die Beziehungen der drei Objekte Kunde, Unternehmen sowie Produkt und Dienstleistung in den Vordergrund. Abbildung 1 zeigt, wie sich die drei Objekte in die Umwelt einbetten. Das Modell verdeutlicht, wie Daten zwischen den Objekten erfasst, ausgetauscht und ausgewertet werden
und die Daten aus der Umwelt als integraler Bestandteil in die Beziehungen einfließen.
Das Modell basiert auf dem St. Galler Management Modell (RüeggStürm 2003; Ulrich & Krieg 1972), welches das Unternehmen als komplexes System begreift und dessen Management unter den Gesichtspunkten Integration und Ganzheitlichkeit versteht. Im St. Galler Management Modell bilden die Entwicklungen in den Umweltsphären, in
Summe in diesem Modell Umwelt genannt, bestehend aus Gesellschaft,
Natur, Technologie und Wirtschaft, den Rahmen für unternehmerische Entscheidungen. So befasst sich die Umweltsphäre Natur beispielsweise mit klimatischen Bedingungen und Entwicklungen sowie
deren Auswirkung auf das Unternehmen. Das vorliegende Modell erweitert den Umweltgedanken um die Daten der Umwelt und deren
Austausch mit Kunden, Produkten und Unternehmen. Beispiele für
solche Daten sind aktuelle Temperaturdaten, GPS-Koordinaten oder
Daten aus der Infrastruktur wie Standortdaten von Bankautomaten
oder Daten aus Verkehrsleitsystemen. Diese Daten helfen, die Nutzung
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von Produkten und Dienstleistungen zu optimieren, und machen gewisse Produkte und Dienstleistungen, wie das Messen der Distanz
durch den Laufschuh, erst möglich beziehungsweise nutzenstiftend.
Ohne Einbezug der GPS-Daten würde der Sensor im Laufschuh nicht
denselben Mehrwert für den Läufer bieten. Somit ist die Umwelt nicht
mehr nur ein Rahmen für Entscheidungen im Unternehmen, sondern
vielmehr integraler Bestandteil von Produkten und Dienstleistungen
und steht in direkter Interaktion mit dem Beziehungskonstrukt Kunde–Produkt–Unternehmen. Die Einbindung der Umweltdaten wird in
Zukunft von zentraler Bedeutung sein und weitere Innovationen im
Produkt- und Unternehmensumfeld ermöglichen.
Abbildung 1: Das Modell des Managements der digitalen, vernetzten Welt
Die Beziehungen im Modell lassen sich in zwei Kategorien einteilen.
Zum einen stehen die Objekte des Modells mit Komponenten der eigenen Gruppe in Beziehung, so dass Kunden zum Beispiel über soziale
Netzwerke oder Communities mit anderen Kunden in Verbindung stehen. Zum anderen stehen die Objekte in Interaktion zueinander, so
dass ein Austausch zwischen dem Kunden, dem Unternehmen und
dem Produkt beziehungsweise der Dienstleistung stattfindet. So
tauscht sich der Kunde heute zum Beispiel über Social Media mit einem Unternehmen aus und vernetzt sich via Smartphone mit unterschiedlichen Produkten und Dienstleistungen. Diese Beziehungen
sind geprägt durch den Austausch von Daten unter Bezugnahme von
Daten aus der Umwelt.
Die Beziehungen innerhalb des Dreiecks Kunde, Produkt/Dienstleistung und Unternehmen haben sich über die Zeit verändert. Die Vernet20
zung von Kunden, Produkten und Unternehmen über das Internet
führt dazu, dass vermehrt Daten in den Beziehungen anfallen, die
über den klassischen Austausch von Daten, wie zum Beispiel die Abwicklung des Kaufs eines Produkts bei einem Unternehmen, hinausgehen. Diese neuen Daten ermöglichen zum einen die Interaktion zwischen Kunden, Produkten und Unternehmen und können zum anderen
zur Auswertung und Gestaltung neuer beziehungsweise verbesserter
Leistungen herangezogen werden.
Auch innerhalb eines Unternehmens entsteht eine Vielzahl von Daten,
so zum Beispiel über die Qualität innerhalb der Produktion und die
entstehenden Kosten in Produktionsprozessen sowie unterstützenden
Prozessen. Moderne Business-Intelligence-Systeme kommen in Zukunft daher verstärkt zum Einsatz, um diese Daten auf unterschiedlichen Ebenen für Analysen zur Verfügung zu stellen. Heute ist es bereits möglich, in Echtzeit mit Hilfe von Business-Intelligence-Systemen
Entscheidungen zu treffen. Die Produktion kommt heute ohne die Erstellung, Auswertung und den Austausch von Daten nicht mehr aus. So
findet Kommunikation über Konstruktions- oder Produktionspläne
zwischen Abteilungen, Mitarbeitern und auch Maschinen statt. Daneben existiert eine Vielzahl von Daten, die durch die Kommunikation
der Mitarbeiter entsteht. Neben der klassischen Kommunikation per
E-Mail gibt es eine Reihe von Plattformen für den Austausch in der digitalen Welt. In Blogs und Foren tauschen sich Mitarbeiter zu unterschiedlichen Themen aus. Ein internes Wiki ermöglicht es ihnen, auf
eine breite Wissensbasis des Unternehmens zuzugreifen. Des Weiteren
kommt es durch Informations- und Kommunikationstechnologie vermehrt zur sogenannten „Machine-to-Machine Communication“, die
als eine Datenübertragung zwischen technischen Endgeräten ohne
menschliches Eingreifen beschrieben werden kann. Sie schließt sowohl die Kommunikation von technischen Endgeräten wie Produktionsmaschinen, Fahrzeugen oder Smartphones untereinander, als auch
die Kommunikation von Endgeräten mit einer Steuerzentrale ein
(Fleisch & Friedemann 2005). Somit kann ein Datenaustausch zwischen
Produkten und Unternehmen ohne bewusste Interaktion des Kunden
stattfinden.
Auch als zentrale Quelle für Innovation lassen sich diese neuen Formen der Beziehungen sowie die dabei entstehenden Daten über den
Kunden nutzen. Das Institut für Wirtschaftsinformatik der Universität
St. Gallen hat mit Audi auf Basis der Methode Design Thinking (http://
dthsg.com; Brenner & Witte 2011; Kelley 2001) drei Projekte durchgeführt. Im ersten Projekt wurde eine neue Möglichkeit zur Kundenbindung unter Nutzung von Fahrzeugdaten entwickelt. Die Lösung „Audi
IMA“ adressiert globale Verkehrssicherheitsbedürfnisse. Mit der Ent21
wicklung einer präventiven Wartungslösung als mobile Applikation
ist der Nutzer rund um die Uhr in der Lage, den Zustand des Fahrzeugs
zu überwachen. Diese Lösung wird durch einen Austausch von Daten
zwischen dem Fahrzeug und Audi garantiert. Das zweite Projekt beschäftigte sich mit zwei entscheidenden Defiziten in bisherigen Peerto-Peer-Carsharing-Ansätzen – Vertrauen und Annehmlichkeit. Mit
„Flemo“ (Flexible Mobility) wird die Vermietung des eigenen Fahrzeugs
innerhalb eines auf Einladung basierenden, restriktiven Teilnehmerkreises ermöglicht. Der Fahrzeugbesitzer konfiguriert somit seine eigene Car Sharing Community, und die Teilnehmer können mittels
FlemoBox das Fahrzeug öffnen und starten oder den automatischen
Zahlungsabwicklungsprozess aktivieren. Das dritte Projekt wurde vor
dem Hintergrund des sich stetig verändernden Mobilitätsbedürfnisses
ins Leben gerufen. Der Prototyp „Seamless Mobility“ verbindet eine
transportmittelübergreifende Reiseplanung mit einem Belohnungssystem, welches zum Beispiel das Vertreten der Markenwerte von Audi
mit Love Points vergütet. Die Love Points können innerhalb des in sich
geschlossenen Systems zu einem späteren Zeitpunkt, beispielsweise
beim Leistungsupgrade für das Auto, eingelöst werden.
Diese Beispiele verdeutlichen die Bedeutung von Daten. Ihre Qualität
spielt bei der Nutzung eine zentrale Rolle. Daten entstehen unter anderem aufgrund der Vernetzung und der veränderten Beziehung der Objekte zueinander. Es wird daher wichtiger, sie in den richtigen Kontext
zu setzen, sie intelligent auszuwerten und zu nutzen. Aus der Perspektive des Unternehmens bedeutet dies, dass „die klassischen Grenzen
der Unternehmung beginnen zu verschwimmen, sich nach innen und
nach außen zu verändern, teilweise sich auch aufzulösen“ (Picot et al.
2003). Dies hat Veränderungen auf allen Ebenen, von der Strategie
über Prozesse bis hin zu den Systemen des Unternehmens, zur Folge.2
Die Unternehmen müssen ihr Management an die Bedürfnisse der
neuen Welt anpassen, um den Wechsel von der einen in die andere
Welt rechtzeitig zu schaffen.
Beziehungen in der digitalen, vernetzten Welt
Kunden in der digitalen, vernetzten Welt
Informationen sind über das World Wide Web frei zugänglich. Sie führen zu einer kritischen Betrachtung von angebotenen Produkten und
2 Weitere Ausführungen zu dem Thema Business Engineering sind unter Österle und Winter (2003) zu finden und
nicht explizit Teil des Betrachtungsrahmens des Artikels.
22
konfrontieren Hersteller mit immer besser informierten Verbrauchern. Die Gruppe der Digital Natives, der Definition folgend Personen, die nach 1980 geboren wurden und somit mit digitalen Technologien wie dem Internet aufgewachsen sind (Prensky 2001), steigt stetig
an. Für Digital Natives ist die physische mit der virtuellen Welt verbunden und eine hybride Lebensweise in ständiger Vernetzung zur Selbstverständlichkeit geworden (Palfrey & Gasser 2008). Kunden chatten,
posten, taggen, tweeten, poken, liken und kommunizieren somit auf
unterschiedliche Weise in verschiedenen Gruppen. Plattformen, wie
Foren und Bewertungsportale, sind zum Teil direkt von Kunden organisiert und teilweise von Unternehmen initiiert, um den Austausch
der Kunden untereinander zu ermöglichen. So können Kunden in dem
Bewertungsportal Holidaycheck Hotels bewerten, Urlaubsbilder hochladen und Reiseangebote vergleichen. Unternehmen wie Bazaarvoice
bieten Lösungen zur Ausschöpfung des Potentials aus diesem Kundenfeedback an. Diese Lösungen schaffen soziale Netzwerke, in denen sich
Kunden über die Marke austauschen können und somit helfen, den
Markenwert auf authentische Weise mit Meinungen und Geschichten
rund um die Produkte zu steigern. Unternehmen wie die LEGO Gruppe
schaffen ein eigenes Netzwerk für ihre Kunden. Im LEGO Club findet
neben der Informationsbereitstellung zu Produkten durch das Unternehmen unter den Mitgliedern des Clubs ein Austausch über Modelle
mittels Videos, Bildern und Kommentaren statt. Während dieses Austauschs entsteht eine Vielzahl von Daten über das Konsumverhalten
von Kunden, über ihre Präferenzen und Bedürfnisse. Doch auch der
Kunde hat einen Mehrwert aus den Daten und nutzt diese zur Meinungsbildung und zum Treffen von Kaufentscheidungen. Die „W3b“Analyse von Fittkau und Maaß (2009) zeigt, dass Kundenbewertungen
bei mehr als der Hälfte der befragten User als Informationsquelle vor
einem Kaufentscheid genutzt werden. Darüber hinaus zeigt eine Studie aus dem Jahre 2009 des E-Commerce Center Handel (ECC) unter 200
Online-Shoppern, dass die Integration von Kundenbewertungen in
Webshops zu einer um durchschnittlich 38,7 Prozent höheren Kaufwahrscheinlichkeit führt (ECC Handel 2010).
Der Kunde in Beziehung zum Produkt
Kunden gebrauchen und verbrauchen Produkte des alltäglichen Lebens nicht mehr nur, sondern vernetzen Produkte sowie Dienstleistungen mit der digitalen Welt und stehen in ständigem Datenaustausch.
Neue Technologien erlauben beispielsweise die Fernsteuerung von Produkten. Der Programm Manager von T-Entertain, dem Fernsehen via
Internet der Deutschen Telekom, ermöglicht eine Steuerung des Recei23
vers im Wohnzimmer über eine App oder den Zugriff via Webbrowser.
Die HomeControl-App von Siemens ermöglicht die Steuerung von ausgewählten Produkten und den Zugriff auf Heizung, Klimaanlage, Lüftung und Licht über das Smartphone. Unter Nutzung von Near Field
Communication (NFC) können Lipton-Kunden mit ihrem Smartphone
direkt am Getränkeautomat das konsumierte Produkt auf Facebook
empfehlen. Das Smartphone selbst stellt hierbei für viele Kunden eine
zentrale „Steuerungseinheit“ des Alltags dar. Damit beschafft sich der
Kunde Informationen aus der Umwelt, wie Wettervorhersagen, Verkehrslage oder Standorte von Bankautomaten, und steuert andere Produkte mittels Apps. Über den Datenaustausch zwischen Kunde und
Produkt kann das Produkt mit dem Kunden interagieren. Dabei werden unter anderem Daten des Kunden während der Nutzung erhoben.
Apps wie Smart Alarm nutzen schon heute das iPhone zur Messung
des Schlafzyklus anhand von Bewegungen, die während des Schlafes
durch das iPhone unter dem Kopfkissen gemessen werden, mit dem
Ziel, den Zeitpunkt des Weckens optimal auf die individuellen Schlafphasen abzustimmen. Fenster der neuen Generation sind mit Griffen
ausgestattet, die über eine spezielle Sensorik den Öffnungs- und Neigungswinkel sowie den Verriegelungszustand des Fensters per Funk
ermitteln. Mit dem Konzept „smart floor“ stellt Vorwerk einen Teppichboden vor, der mittels RFID Technik die intelligente Steuerung von
Service-Robotern ermöglicht.
Der Kunde und seine Beziehungen zum Unternehmen
Die Information zur Kaufentscheidung und relevante Faktoren der
Kundenbindung sind nicht mehr allein vom Unternehmen steuerbar,
wie die Beispiele von Bewertungsportalen und der Austausch innerhalb von Social Media zeigen. Die Ansprache des Kunden geschieht
mittels unterschiedlicher Kanäle. Es ist jedoch ein Trugschluss anzunehmen, dass der physische Kontakt mit dem Kunden aufgrund der
digitalen Welt entfällt. Gerade im Zeitalter der unbegrenzten Kommunikationsmöglichkeiten wird deutlich, dass der persönliche Kontakt in
der Kundenbindung nicht zu ersetzen ist. Schon Tante Emma wusste,
wie sie ihren Laden zum zentralen Austauschort ihrer Kunden machte
und somit optimale Voraussetzungen zum Aufbau langfristiger Kundenbeziehungen schaffen konnte. Physische Ladenkonzepte erlangen
neue Beliebtheit. So genießt die Kinderbetreuung im Apple Store zunehmend die Aufmerksamkeit einkaufender Eltern, und auch die
Deutsche Bank hat erkannt, dass neueste Tablettechnik den Dialog mit
jungen Kunden in den Filialen attraktiv gestaltet. Dabei dürfen die Ereignisse und Kundenbindungsmöglichkeiten mittels neuer Medien
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keinesfalls außer Acht gelassen werden, da Unternehmen hier die
Chance haben, any-time-and-anywhere mit dem Ohr am Kunden zu
sein. Bezogen auf den Bankkunden bedeutet dies, dass dieser, neben
einer Betreuung in der Filiale, die Interaktion über Internet und Telefon mit der Bank voraussetzt. Die Unternehmen müssen sich deshalb
mehrerer Kanäle gleichzeitig bedienen und diese komplementär im
Sinne des jeweiligen Kanals einsetzen. Ein Unternehmen, das nicht im
Internet sichtbar ist, existiert in der Welt der neuen Medien nicht. Eine
Unternehmensseite auf Facebook, ein Twitter-Account oder ein eigener Blog sind für Unternehmen zum Standard geworden und längst
kein Differenzierungsmerkmal mehr.
Neue Vertriebswege jenseits des etablierten Onlineshoppings, das mittlerweile einen erheblichen Teil des Konsums ausmacht, werden durch
neue Technologien ermöglicht und verbinden Ladenkonzepte mit dem
Onlineshopping. Ein Beispiel hierfür ist das Homeplus-Subway-VirtualStore-Konzept von Tesco, das in U-Bahn-Stationen in Südkorea zum Einsatz kommt. Plakate an den Wänden der Stationen dienen als originalgetreue Abbilder der Ladenregale. Mittels einer App auf dem Smartphone können die Barcodes der Produkte auf den Plakaten eingelesen
und die Waren in den virtuellen Warenkorb gelegt werden. Nach Abschluss des Einkaufs werden die Waren verpackt und an den Kunden
verschickt, so dass dieser seine Ware, zu Hause angekommen, entgegennehmen kann. Somit wird eine U-Bahn-Station zum Supermarkt,
und der Kunde nutzt den Heimweg für die Erledigung von Einkäufen.3
Nutzer der Spielekonsole XBox nehmen via Twitter inzwischen direkten Kontakt mit dem Supportteam auf. Die Lösung für das Problem
erfolgt ebenfalls über Twitter und ist für andere Nutzer einsehbar.
Auch Unternehmen wie Samsung haben einen Kundensupport über
Twitter eingerichtet.
Des Weiteren binden Unternehmen ihre Kunden aktiv in die Weiterentwicklung oder die Erweiterung des Serviceangebots ein. Immer
mehr Kunden wirken in den Innovationsprozessen der Unternehmen
mit, um von Anfang an ihre Bedürfnisse und Ideen einzubringen (Gassmann, Enkel & Chesbrough 2010). Über Internetseiten wie myStarbucks Ideas oder Dell Ideastorm können Kunden neue Produktinnovationen und Ideen zur Weiterentwicklung veröffentlichen. Die Community stimmt über die Ideen ab und entscheidet, welche ausgearbeitet
und entwickelt werden. Somit greifen Unternehmen auf eine viel breitere Wissensbasis zurück, als sie diese in den Grenzen des eigenen Unternehmens je erlangen könnten, und erfahren aus erster Hand, welche Bedürfnisse ihre Kunden haben. Der Kunde wiederum befriedigt
sein gesteigertes Bedürfnis nach Individualisierung und Mitbestim3 Video zum Homeplus-Subway-Virtual-Store-Konzept: www.youtube.com/watch?v=nJVoYsBym88
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mung. Unternehmen haben heute nicht nur Kunden, sondern auch
Anhänger, die zu richtigen Fans auf den Seiten von Social-Media-Plattformen werden.
Darüber hinaus werden Daten aus der Umwelt einbezogen, sofern ein
Kunde beispielsweise physisch in Filialen eintritt und virtuell auf Facebook „eincheckt“. Somit teilt der Kunde seine Präferenzen mit anderen Nutzern. Unternehmen wie Starbucks verbinden das virtuelle Einchecken in einer Filiale mittels Ortserkennung mit Gutscheinaktionen
für Freigetränke, um die Visibilität von Starbucks in Social Media zu
erhöhen. Andere Unternehmen wie Apple bauen ein geschlossenes System rund um die Produkte iPhone, iPad, MacBook und Co. in der virtuellen Welt auf und schaffen somit Markteintrittsbarrieren für Mitbewerber.
Doch nicht nur die Daten, die der Kunde bewusst an vom Unternehmen definierten Orten in der digitalen Welt erstellt, sind von Bedeutung. So nutzt das Logistikunternehmen FedEx eine Software zum
Social-Media-Monitoring, um beispielsweise indirekte Kundenbeschwerden auf Social-Media-Plattformen zu identifizieren und darauf
reagieren zu können. Oben aufgeführte Beispiele wie Radian6 oder
Predictive Behavioral Targeting zeigen, wie unstrukturierte Daten
strukturiert und sinnvoll genutzt werden können.
Produkte als integrativer Bestandteil der Digitalisierung und Vernetzung
Produkte vernetzen sich jedoch auch mit anderen Produkten. Diese
Vernetzung schafft über den Austausch von Daten einen Mehrwert für
den Kunden. So kann durch die Vernetzung des iPhones mit dem Auto
die gespeicherte Musik des iPhones im Fahrzeug abgespielt oder auf
Kontakte im iPhone zur Navigation zugegriffen werden. Das Konzept
Smart TV von Samsung bringt Apps auf das Fernsehgerät und verwandelt dieses in einen interaktiven Bildschirm. Des Weiteren werden Inhalte von Social-Media-Netzwerken auf dem Bildschirm wiedergegeben
und unterschiedliche Geräte via Wi-Fi mit dem Fernsehgerät verbunden. Bei der Systemlösung Miele@home kommunizieren Miele-Geräte
miteinander und tauschen so permanent Informationen aus, um sich
zum Beispiel bezüglich des Energieverbrauchs abzustimmen. Um
Miele-Hausgeräte miteinander zu vernetzen, werden sie mit entsprechenden Kommunikationsmodulen ausgestattet. In der Welt des Automobils eröffnet die sogenannte Car-to-X Communication eine Kommunikation von „Auto zu Auto“ und „Auto zu Umgebung“. So werden sich
Fahrzeuge in Zukunft gegenseitig vor Staus warnen und Fahrassistenzsysteme in Kommunikation mit der Umwelt kontinuierlich verbessert
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werden. Schon heute warnt das Auto seinen Fahrer vor Geschwindigkeitsüberschreitungen, indem Straßenschilder erkannt werden, und
vor dem Abkommen von der Fahrbahn, falls die Fahrbahnbegrenzungen überschritten werden. So kann Datenaustausch ganz konkret dabei helfen, Unfälle zu vermeiden, und sogar Leben retten.
Die Beziehung von Produkt und Unternehmen
Unternehmen und Produkte tauschen Daten aus. So können Updates
aufgespielt, aber auch Fehlermeldungen direkt über das Produkt an
das Unternehmen gesendet werden. Beim Programmabsturz eines Microsoft-Produkts wird über das Internet eine Fehleranalyse durchgeführt, die Informationen zur Verbesserung der Software liefert. Durch
den Gebrauch von Produkten werden Daten gesammelt, die Auskunft
über die tatsächliche Verwendung eines Produkts geben. So sammeln
die Produkte der Serie Nike+ Daten über die Nutzung des Produkts, die
mit den Daten, die der Kunde bei der Registrierung angegeben hat,
verknüpft werden können. Apple steht in ständiger Kommunikation
mit den Apple-Geräten und ruft Daten wie Standortkoordinaten ab.
Welche Daten noch zu welchem Zweck abgerufen werden, ist nicht immer transparent. Die Möglichkeiten sind schier grenzenlos. Auch Daten der direkten Nutzung eines Produkts, wie das Fahrverhalten oder
die gefahrenen Kilometer, können zum Beispiel Versicherungen helfen, individuelle und verbrauchsgerechte Versicherungsmodelle anzubieten. Dabei ist die Versicherung nicht Produzent des Produkts, sondern muss die Erfassung der Daten mittels weiterer Geräte oder
Schnittstellen zum Auto ermöglichen.
Unternehmen in der digitalen, vernetzten Welt
Innovationen kommen oft in Kooperation mit anderen Unternehmen
zustande. Hier helfen neue Möglichkeiten der Vernetzung über Kommunikationsplattformen bis hin zur Vernetzung der Produktionsprozesse über Unternehmensgrenzen hinweg. Genau wie im Austausch
mit dem Kunden helfen Kommunikationsplattformen in offenen und
geschlossenen Systemen, Ideen zu entwickeln und Verbesserungen sowie Innovationen voranzutreiben. So steht im SAP Community Network (SCN) das Unternehmen nicht nur mit Kunden im Austausch,
sondern auch mit Partnern, Mitarbeitern und Experten. Auch die Zusammenarbeit von Unternehmen entlang der Wertschöpfungskette
hat sich durch die digitale Welt verändert. Unternehmen aus dem Bereich der Logistik kommt mit steigendem Konsum, der über Online27
shopping abgewickelt wird, eine größere Bedeutung zu. Ebenso wie im
Endkundenbereich vernetzen sich Unternehmen im Geschäftsbereich
mit ihren Kunden. So bietet BASF mit der Plattform WorldAccount ihren Kunden einen Zugang zur Welt von BASF. Mittels Informationstechnologie verbinden sich Unternehmen wie Siemens digital mit
Partnern innerhalb des Produktionsprozesses. Somit hat sich vor allem
der Betrachtungsraum der Unternehmen ausgeweitet. Denn es wird
nicht nur die eigene Wertschöpfungskette betrachtet, sondern es werden auch die Bedürfnisse des Endkunden erfasst, um in Zukunft bessere Vorprodukte anbieten zu können. So bindet ThyssenKrupp Endkunden beispielsweise in den Innovationsprozess mit ein. Außerdem gibt
es entlang der Wertschöpfungskette viele Datenpunkte. Auch Unternehmen, die nicht direkt an der Produktion des Produkts beteiligt
sind, können in Zukunft diese Daten nutzen.
Die Bedeutung von Daten und deren Möglichkeit der
Auswertung
Im Jahr 2010 wurde erstmals die 1 Zettabyte-Grenze (das entspricht
1.000.000.000.000.000.000.000 Gigabytes) für die Menge an Daten, die
innerhalb eines Jahres erstellt und repliziert wurde, überschritten.
2011 war die Datenmenge bereits auf 1,8 Zettabyte angestiegen (Enriquez 2011). Grundsätzlich wird zwischen strukturierten und unstrukturierten Daten unterschieden: Strukturierte Daten sind Daten
mit gleichartiger Struktur, wie sie beispielsweise in Datenbanken zu
finden sind. Unter unstrukturierten Daten werden alle Daten ohne
gleichartige Struktur, wie Textdokumente, Bilddateien, Audio- oder Videodateien, zusammengefasst. Vor allem die Menge der unstrukturierten Daten steigt stetig an, insbesondere im Bereich der Audio- und Videodateien. So werden aktuell jede Minute auf YouTube 48 Stunden
Videomaterial hochgeladen (Bonset 2011).
Die Menge an Daten, die von Individuen durch das Hochladen von Dokumenten, Fotos, Musik und Video geschaffen wird, ist jedoch wesentlich geringer als die Menge an Informationen, die über diese Individuen im digitalen Universum erfasst werden. So verfügt jeder Internetnutzer über einen sogenannten „digitalen Schatten“ (Gantz & Reinsel
2011). Die Daten liegen meist in unstrukturierter Form vor, und auch
Unternehmen sehen sich mit einer Vielzahl von Daten konfrontiert,
dem Big-Data-Phänomen. Neue Werkzeuge zur Erfassung, Suche und
Auswertung dieser Daten ermöglichen es, sie zu strukturieren und dadurch einen Mehrwert für das Unternehmen zu generieren.
28
Daten werden auch in Produktkonfiguratoren und Vertriebsunterstützungssystemen erfasst (Stadler et al. 2012). Solche Systeme generieren
Daten über die Wahrnehmung von Produkten durch Kunden, deren
Präferenzen für einzelne Erzeugnisse oder über das tatsächliche Wahlverhalten. Diese Daten waren bislang nicht verfügbar oder konnten
nur mit enormen marktforscherischen Anstrengungen erhoben werden.
Der zentrale Wert dieser Systeme liegt darin, dass sie Verhaltensdaten
von Kunden liefern. Sei es das Klickverhalten in Produktkonfiguratoren oder das Suchverhalten im Internet, alle diese Daten reflektieren
tatsächliche Informationsbedarfe und Produktentscheidungen von
Kunden. Damit spiegeln diese Daten reales Verhalten wider und nicht
nur Meinungen und Stimmungen, die zumeist politisch und sozial gefärbt sind.
Ein zentrales Problem klassischer Marktforschung besteht darin, dass
zumeist nur Intentionen über zukünftiges Verhalten abgefragt werden
können. Diese Intentionen sind vage, da sich das jeweilige Verhalten
häufig erst in der konkreten Kauf- und Konsumsituation herausbildet.
Zudem zielt der Marktforscher häufig darauf ab, Emotionen von Kunden zu erfassen, die jedoch nur gefiltert wiedergegeben werden. Darüber hinaus geben Individuen meist nicht ihre wahren Beweggründe
an, sondern nennen Argumente, die sozial oder politisch akzeptiert
sind. Insofern ermöglichen diese Systeme einen direkten Durchgriff
auf das reale Verhalten, was viele Probleme in der klassischen Marktforschung löst.
Hinzu kommt, dass solche Daten keine Kosten im Rahmen der Erhebung verursachen. In vielen Fällen laufen diese Verhaltensdaten in den
Systemen der Hersteller oder Händler auf und müssen lediglich einer
Analyse zugeführt werden. Dies führt einerseits zu einer deutlichen
Reduktion der Erfassungskosten, andererseits können solche Daten
sehr viel schneller als bisher beschafft werden. Im Grunde ist eine
Marktforschung in Echtzeit möglich, was neue Chancen für den Test
von Produkten und Dienstleistungen eröffnet. Darüber hinaus können
auch Prozessdaten erfasst werden. Beispielsweise kann das Klickverhalten für Individuen in Produktkonfigurationen rekonstruiert werden,
und mit spezieller Software lassen sich die Mausbewegungen erfassen.
Diese Klick-Stream-Analysen liefern viele wertvolle Informationen
über das Denken und Reflektieren der Kunden zu einzelnen Angeboten der Hersteller oder Händler. Häufig wandert die Maus zu jenen Angeboten, über die der Kunde gerade nachdenkt. Damit spiegelt die
Wanderungsbewegung des Cursors auf dem Bildschirm letztlich den
Argumentationsweg des Kunden wider.
29
Untersuchungen zeigen, dass Prozessdaten dazu beitragen können,
ein tieferes Verständnis über die Entscheidungen der Kunden zu erlangen. Prozessdaten vermitteln Einsichten in die Auseinandersetzung
der Kunden mit Produkten und Dienstleistungen. Damit liefern sie einen Beitrag für eine Aufhellung all jener Prozesse, die zwischen der
Auseinandersetzung mit einem Produkt und der Entscheidung für
oder gegen eine Alternative auftreten. Gerade die neuen Informationssysteme generieren hierzu wertvolle Informationen, welche die Marktforschung in Zukunft erheblich anreichern werden.
Die Auswirkungen auf das Verhalten von Individuen aufgrund der Ausnutzung dieser Daten und die Möglichkeiten der Entscheidungssteuerung sind heute noch nicht greifbar. Immer wieder entstehen Diskussionen, inwieweit beispielsweise personalisierte Suchanfragen die
Kontrolle über Entscheidungen des Nutzers an Algorithmen übertragen. Heute genügen bereits 20 Datenpunkte, um den Lebensraum eines Individuums berechnen zu können. Informationen wie Einkaufsgewohnheiten, Reiseziele, Kommunikationsverhalten und weitere Details sind bereits in Vernetzung verfügbar und machen eine
Verhaltensvorhersage und Beeinflussung von Entscheidungen möglich. Der Kunde von heute verlässt sich immer stärker auf Empfehlungen und läuft somit durchaus Gefahr, die Entscheidungen gänzlich
einem Algorithmus zu überlassen (Meckel 2011).
Zusammenfassung und Ausblick
Der Wandel von der Industrie- zur Informationsgesellschaft stellt Unternehmen vor neue Herausforderungen, die dazu führen, dass Geschäftsmodelle überdacht werden müssen. Die Grenzen der eigenen
Organisation verschwimmen, so dass es auch zu Veränderungen des
Managements von Unternehmen und zur Anpassung von Strategien,
Prozessen und Systemen kommt. Die Welt vernetzt sich und die physische und virtuelle Welt verschmelzen in der digitalen Welt zu einer
Einheit. Nicht nur Individuen und Unternehmen sind Teil dieser Vernetzung, sondern auch Produkte und Dienstleistungen vernetzen sich.
Diese Verbindung in der digitalen Welt schafft für den Kunden einen
Mehrwert, so dass zum Beispiel ein Auto mit Internetdiensten eines
Tages zum Standard wird.
Innerhalb der digitalen Welt entstehen vermehrt Daten an unterschiedlichen Punkten, die sowohl in strukturierter als auch unstrukturierter Form vorliegen. Neben Daten, die von Kunden aktiv, beispielsweise über Onlineprofile, zur Verfügung gestellt werden, hinterlässt
jeder Kunde im Netz einen digitalen „Fingerabdruck“ durch Transakti30
onen oder auch die Äußerung von Meinungen. Zusätzlich entstehen
bei der Nutzung von Produkten und Dienstleistungen, die in die digitale Welt integriert sind, auch Daten über die Lebensgewohnheiten
von Kunden. Sowohl der Besitz als auch die Fähigkeit der Auswertung
dieser Daten können zu einem entscheidenden Wettbewerbsvorteil für
ein Unternehmen werden. Daten stehen zunehmend in Echtzeit zur
Verfügung, und der Einsatz von Informationstechnologie erlaubt die
Überwindung von geografischen und zeitlichen Grenzen. Aufgrund
der durch Technik ermöglichten Mobilität, und somit der Verfügbarkeit von Informationen über unterschiedliche Geräte, kann jeder das
Internet mit sich „in der Hosentasche“ herumtragen.
Der Kunde steht heute mehr denn je im Fokus. Kunden verstehen sich
nicht mehr nur als Konsumenten, sondern streben immer stärker nach
Mitbestimmung bei der Gestaltung von Produkten und Dienstleistungen. Über Social-Media-Netzwerke verschaffen sie sich Gehör und gestalten das Wirtschaftsgeschehen aktiv mit. Sie vernetzen sich mit anderen Kunden, Produkten und Dienstleistungen sowie Unternehmen.
Sie bewerten Produkte und legen somit über soziale Netzwerke die
Basis für Kaufentscheidungen anderer Kunden. Einkaufen im Web
muss nicht mehr allein erlebt werden, da Plattformen das gemeinsame Real-Time-Shopping über die Verknüpfung mit Social-Media-Netzwerken ermöglichen. Der Kundenkontakt findet sowohl physisch im
Laden als auch online in Chats statt, weshalb es wichtig ist, dass Unternehmen beide Möglichkeiten zur Verfügung stellen. Neue Vertriebswege verwandeln eine U-Bahn-Station mit Postern von Produkten und einem Barcode, der von Smartphones ausgelesen werden kann, in einen
Supermarkt.
Produkte interagieren mit Kunden und anderen Produkten und schaffen über den Austausch von Daten einen Mehrwert. So lässt sich das
Lieblingsprogramm vom Smartphone aus auf dem heimischen Receiver programmieren. Das Auto ist nicht mehr nur ein Fortbewegungsmittel, sondern ein Navigator durch die digitale Welt. Und mittels neuer Informationstechnologie wird das Fahren sicherer denn je. Die Kommunikation von Fahrzeugen untereinander oder mit der Umgebung
wird in Zukunft die Fahrt mit einem Auto grundlegend verändern.
Unternehmen tauschen sich über Social Media über Produkte und
Dienstleistungen mit Kunden aus und sind somit am Puls der Kundenbedürfnisse. Aber auch Unternehmen untereinander eröffnen sich
neue Möglichkeiten der Kollaboration. Innovationen entstehen heute
nicht mehr im Stillen, sondern gemeinsam mit Partnern und Kunden.
Dabei ist es wichtig, dass Beziehungen, respektive Aspekte der Beziehungen, die heute noch nicht genügend beachtet werden, unter Umständen einer Prüfung unterzogen und ausgebaut werden.
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2011.
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32
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als Navigationshilfen in Produktkonfiguratoren – ein Beispiel aus der Automobilindustrie.
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Ulrich, Hans; Krieg, Walter: Das St. Galler Managementmodell. Bern: Haupt Verlag, 1972.
Die Lehrstühle
Lehrstuhl Prof. Dr. Walter Brenner
Das Institut für Wirtschaftsinformatik ist Teil der Universität St.Gallen und beschäftigt sich
mit der Schnittstelle zwischen Unternehmen und Informationstechnologie. Der Lehrstuhl
von Prof. Dr. Walter Brenner forscht in den Bereichen Informationsmanagement und Innovation. Im Mittelpunkt des Informationsmanagements stehen Fragen, die den Verantwortlichen für Informatik betreffen, sowie Aspekte zur Unternehmensführung und zum Einsatz
von Informations- und Kommunikationstechnologie. In der Innovationsforschung kommt
insbesondere die Methode Design Thinking zum Einsatz. Die Methode basiert auf starker
Kundenorientierung und dem Bau von Prototypen. Viele der Projekte gehen weit über die
Grenzen der klassischen Wirtschaftsinformatik hinaus und führen zu Produkt- und Dienstleistungsinnovationen.
Siehe weiter http://www.iwi.unisg.ch
Lehrstuhl Prof. Dr. Andreas Herrmann
Die Forschungsstelle für Customer Insight gehört zur Universität St.Gallen und umfasst
vier Lehrstühle, die sich allesamt mit dem Kauf-, Konsum- und Entscheidungsverhalten von
Kunden befassen. Am Lehrstuhl von Prof. Dr. Andreas Herrmann wird darüber geforscht, wie
Kunden das Design von Produkten erleben, an welchen Facetten sie bestimmte Nutzenversprechen festmachen oder welche Anmutungen von Designelementen ausgehen. Darüber
hinaus zielen weitere Projekte darauf ab, das Entscheidungsverhalten von Kunden in
Mass-Customization-Systemen zu verstehen. Immer mehr Produkte werden online konfiguriert, so dass das Produkterlebnis quasi virtuell vermittelt werden muss. Zudem sind vom
Kunden eine Vielzahl von Entscheidungen über einzelne Produktfacetten zu treffen, was
ganz neue Herausforderungen an die Vermittlung von Produktinformationen stellt.
Siehe weiter http://www.fci.unisg.ch
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Die Autorin
Prof. Dr. Miriam Meckel, geb. 1967. Studium der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft, Sinologie,
Politikwissenschaft und Jura an den Universitäten
Münster und Taipei, Taiwan. Nach dem Studium zehn
Jahre für öffentlich-rechtliche und private Sender
(ARD, VOX, RTL) als Moderatorin, Reporterin und Redakteurin in Nachrichten- und Magazinformaten tätig. 1999 Professorin für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft an die Universität Münster. 2001
Staatssekretärin beim Ministerpräsidenten des Landes Nordrhein-Westfalen, zunächst als Regierungssprecherin, dann als Staatssekretärin für Europa, Internationales und Medien. Seit 2005 Professorin für Unternehmenskommunikation und Direktorin am Institut für Medien- und Kommunikationsmanagement der Universität St.Gallen sowie Faculty Associate am Berkman Center for Internet
& Society, Harvard University, USA.
Serendipity als Innovationsstrategie
Miriam Meckel, Universität St.Gallen
„It‘s the customer, stupid“ – mit dieser Abwandlung des geflügelten
Wortes von Ex-US-Präsident Bill Clinton ist beschrieben, was sich in der
Unternehmensausrichtung seit Jahren getan hat: Der Kunde rückt ins
Zentrum und wird in immer mehr Unternehmensprozesse integriert.
Dabei sind seine Wünsche dem Unternehmen strategische Herausforderung und operative Anforderung zugleich. Das Internet, insbesondere das Social Web, hat es möglich gemacht, sie immer genauer zu erfassen und zu berücksichtigen. Aber lässt sich dieser Prozess endlos fortsetzen, oder liegt es auch im Interesse des Kunden, vom Unternehmen
überrascht und inspiriert zu werden? „It‘s serendipity, stupid“, so
könnte der neue Leitspruch für das algorithmisch getriebene, soziale
Internet der Big Data Analysen lauten – die Überraschung als Kundenvorteil. Schauen wir genauer, was sich in den Kundenbeziehungen getan hat, welche Rolle das Internet dabei spielt und wie es vom Unternehmen genutzt, aber auch immer wieder neu definiert werden muss,
um am Puls der Zeit und der Kunden zu bleiben.
Kundenbeziehung 2.0: Zuhören und verstehen
Es sind vier Faktoren, die wesentlich zu einer konsequenten Kundenfokussierung beitragen:
1. Die Rahmenbedingungen der Kommunikation werden flexibilisiert im
Sinne der Offenheit, Partizipation und Dezentralisierung. Modulare Prozesse lösen feste Systeme ab und entwickeln neue Kommunikationsstandards. Nutzer übernehmen teilweise die Kontrolle über
die Kommunikationsprozesse und verändern damit sogar die Identität des Unternehmens.
2. Die Inputs finden zunehmend als User Generated Content Eingang
in alle Prozesse des Unternehmens. Informationen sind in ein Netzwerk von sozialen Verbindungen eingebettet, das über die Bewertung und Bedeutung der Informationen befindet.
3. Die Mechanismen sind im Wesentlichen technologiegetrieben und
basieren auf der Zusammenarbeit einer unbegrenzten Zahl von Be35
teiligten im Internet und unter stetiger Erweiterung durch neue
technologische Innovationen (Open Innovation, Augmented Reality,
3D-printing und dergleichen). In diesen Kollaborationsprozessen
werden Informationen (zukünftig auch materielle Komponenten)
beliebig rekombiniert, durch eine oft große Zahl von Nutzern taxiert (Folksonomy) und katalogisiert.
4. Die emergenten Resultate entstehen durch das Zusammenspiel von
Nutzern und werden durch sie jeweils aktuell in ihrer Nützlichkeit
und Relevanz bewertet und bestimmt.
Web 3.0
Der Kunde bestimmt alles und kann bei (fast) allem mitwirken. Das
war das Geheimnis des Web 2.0. Womöglich müssen wir für die Generation Web 3.0 Erweiterungen dieser Idee vornehmen.
Bislang existiert keine klare und einheitliche Definition von Web 3.0.
Aber wir können es als dritte Evolutionsstufe des World Wide Web interpretieren, in der die Technologie die Informationen „versteht“ (Semantic Web) und logische Verbindungen herzustellen vermag, wie der
Mensch dies auch kann. Zum Web 3.0 gehört auch, dass den Kunden
aus dem Web alles automatisch geliefert wird, was sie mögen, wollen
und brauchen, analysiert aus ihrer generationellen Daten-, Such- und
Verhaltenshistorie im Web 2.0 als personalized Web (siehe auch Colomo-Palacios, Varajão, Soto-Acosta 2012). Und schließlich wird unser Leben zunehmend technisiert und vernetzt: Wir kommunizieren nicht
nur mit dem Smartphone, sondern auch mit unserer Heizungs- und
Sicherheitsanlage zuhause, oder mit dem Auto, und wir können unsere Brille fragen „Wo bist du wieder?“, und die Brille meldet sich mit
Ortsangabe (Ubiquitous Computing, Internet der Dinge).
Zur Bedeutung des Wandels von Web und digitalen
Technologien für die Kundenbeziehungen
Peer2Peer und Crowdsourcing: Die Ökonomie der Kollaboration
Die neuen Kommunikationsformen des Internets bringen Veränderungen in der vernetzten Gesellschaft und all ihren Teilsystemen – Wirtschaft, Politik, Kultur – mit sich. Die Entwicklung hin zur Netzwerkgesellschaft steht für einen veränderten Zugriff auf Informationen, ver36
änderte Wissensstrukturen und neue Handlungsoptionen: Lineare
Strukturen werden durch reflexive ersetzt, Hierarchien weichen Netzwerken. Die Vernetzung ist damit weit mehr als eine technische Verbindung zwischen zahlreichen Computern überall auf unserer Welt.
Sie bezeichnet vielmehr eine andere Form der prozeduralen Selbstorganisation. Die Kommunikation in Netzwerken weist einen höheren
Komplexitätsgrad auf als in Hierarchien. Verbindungen und Kombinationen werden zahlreicher und variantenreicher, kurzum, für die
Netzwerkgesellschaft gilt ganz besonders: Alle Prozesse werden komplexer und sind kontingent.
Manuel Castells (2001) macht die Leistungen eines Netzwerks von zwei
fundamentalen Eigenschaften abhängig: Zum Einen von seinem Verknüpfungsstatus, das heißt seiner Fähigkeit, störungsfreie Kommunikation zwischen seinen einzelnen Komponenten zu ermöglichen, zum
anderen von seiner Konsistenz, also von dem Ausmaß, in dem es eine
Gemeinsamkeit von Interessen zwischen den Zielen des Netzwerks
und den Zielen seiner Komponenten gibt. „Wirtschaftsunternehmen
und zunehmend auch Organisationen und Institutionen sind in Netzwerken mit variabler Geometrie organisiert, deren Verflechtung die
traditionelle Unterscheidung zwischen Konzern und Kleinunternehmen ersetzt, sich quer durch alle Sektoren erstreckt und sich entlang
unterschiedlicher geografischer Konzentrationen ökonomischer Einheiten ausbreitet.“ (Castells 2001, S. 259) In diesem Sinne ändert sich
nicht nur unser Wirtschaftssystem, sondern unsere ganze Gesellschaft.
Die treibende Kraft ist dabei die technologische Entwicklung, die uns
diese Vernetzung ermöglicht.
Die im Prozess der Vernetzung angelegten Koordinationsmechanismen sind nicht auf Kommunikationsverhältnisse beschränkt. Sie charakterisieren auch die veränderten Bedingungen für Märkte und Unternehmen in der Netzwerkgesellschaft. Bislang unterscheiden wir
grundsätzlich zwei Organisationsmodi: das Unternehmen und den
Markt. Beide wirken zusammen, wenn auch über unterschiedliche Koordinationsansätze. Unternehmen koordinieren Ressourcen (wie beispielsweise Mitarbeiter, Kapital) in der Regel in hierarchischen Strukturen und über Führung durch das Management. Märkte koordinieren
Angebot und Nachfrage über den Preis.
Das Web 2.0 hat einen neuen Koordinationsmechanismus ins Spiel gebracht: Communities koordinieren die Herstellung informations- und
kommunikationsbasierter Güter in einem selbstorganisierenden und
emergenten Prozess über Crowdsourcing (Howe 2006). Diese Güter
sind nutzerbasiert und folgen dem Open-Source-Prinzip. Yochay Benkler (2006) beschreibt die Netzwerk-Ökonomie als „the rise of nonmar37
ket production to much greater importance“, in der „every […] effort is
available to anyone connected to the network, from anywhere, [which]
has led to the emergence of coordinate effects, where the aggregate
effect of individual action […] produces the coordinate effect of a new
and rich information environment“ (S. 4 f.). Die neueren Entwicklungen der Netzwerkgesellschaft reichen folglich über die Frage der Teilhabe an Märkten durch technische Anschlussfähigkeit weit hinaus: Es
geht um die Teilnahme am Herstellungsprozess dieser Informationsund Kommunikationsgüter in einer „culture of participation“ (Schonfeld 2005).
Der Netzphilosoph David Weinberger (2002) hat einen wichtigen Aspekt in die Diskussion eingeführt, der Unternehmen vor besondere
Schwierigkeiten stellt: Indem die zentralen Kontrollpunkte für die Verwaltung von Inhalten entfernt wurden, entsteht im Web eine locker
verbundene Sammlung von Inhalten und Verbindungen (Links oder
Netzwerkknoten) in einem Ausmaß, das bislang einmalig ist. In diesem Web finden sich unzählige Einzeldokumente („small pieces loosely joined“), die beliebig verbunden und zusammengesetzt werden können. Was das Web zunächst mit den Inhalten gemacht hat, das macht
es nun auch mit unseren Institutionen und Strukturen – und mit uns
selbst: „We are the true ,small pieces‘ of the Web, and we are loosely
joining ourselves in ways that we’re still inventing“ (S. X).
Für Unternehmen stellt diese Entwicklung eine Herausforderung dar,
die etablierte Parameter, zum Beispiel Hierarchien, funktionale Zuständigkeiten, top-down definierte Prozesse und die Geschlossenheit
des Unternehmens als Organisation, in Frage stellen. Auch der Kunde
wird in seiner Rolle flexibel. Er ist immer noch Käufer, aber zuweilen
auch Produzent, Dienstleister oder auch Innovator.
Dies wird auch darin deutlich, dass die Ökonomie der Peer Production
sich durch drei Parameter auszeichnet, die alle einen offensichtlichen
Bezug zu Kundenorientierung und Kundenintegration in wesentliche
Unternehmensprozesse signalisieren (vgl. Meckel 2008):
1. Partizipation: Jeder kann sich an allen Kommunikationsprozessen
beteiligen – unabhängig von Hierarchien oder institutionellen Anbindungen. Für viele Macher und Nutzer des Netzes bedeutet das
die Demokratisierung der Informations- und Angebotswelt.
2. Emergente Vernetzung: Jeder verändert mit seinem Beitrag Inhalt und
Qualität des gesamten Angebots. Nach dem Motto: Meine Produktivität wächst, wenn du in mein Netzwerk gehst. Deine Produktivität
wächst, wenn ich in dein Netzwerk gehe.
38
3. Transparenz: All diese Prozesse der Herstellung und Bereitstellung
von Informationen und Meinungen im Netz sind absolut transparent, also nachvollziehbar. Jeder Beitrag kann diskutiert, in seinen
Einzelteilen überprüft, bestätigt oder in Frage gestellt werden.
Dieser Wandel durch Vernetzung birgt erhebliches Innovationspotential, aber auch Probleme. Es sind vor allem folgende Trends, die Unternehmen und Institutionen herausfordern und Anpassungen, Unternehmensstrategie und Umsetzungsinstrumente verlangen:
1.Beschleunigung: In der viralen Kommunikation (Langner 2005) bietet
die beschleunigte Informationsverbreitung im Netz die Möglichkeit, eine wichtige Information, zum Beispiel eine Produktlancierung durch einen Werbespot und vieles mehr, über die Plattformen
des Social Networking (zum Beispiel YouTube, Facebook und dergleichen) in wenigen Sekunden mehreren Millionen Menschen zugänglich zu machen. Apple hat diese Möglichkeiten immer wieder
zur konsequenten viralen Kommunikation bei der Einführung neuer Produkte genutzt (Maisch & Meckel 2009). Unternehmen können
diese beschleunigten Prozesse allerdings nicht nur nutzen, um aktiv ihre Interessen im Markt zu vertreten, sie müssen ebenso schnell
auch auf Anforderungen aus dem Markt reagieren. Ein Beispiel:
Nachdem das Langnese-Produkt „Nogger Choc“ 2001 vom Markt genommen worden war, wurde es nach heftigen Internetprotesten
wieder eingeführt (http://www.rp-online.de/digitales/internet/
nogger-choc-ist-zurueck-1.2186774).
2. Unordnung und Restrukturierung: Schon in der Welt des Web 2.0 gehört – wiederum nach Ansicht des Internetphilosophen Weinberger (2007) – jede Information und jedes digitale Etwas erst einmal
zur Kategorie „Verschiedenes“. Dadurch entsteht für den an die
zweidimensionalen Ordnungen der analogen Welt gewöhnten
Menschen zunächst einmal Chaos, das es neu zu strukturieren gilt.
In der digitalen Welt kann jede Information, jedes digitale Produkt
seine kategoriale Zuordnung und Wichtigkeit in Relation zum jeweiligen Nutzer oder Kunden im Sekundentakt ändern. Das Netz
offeriert also Chaos, das stetig in neue Ordnungsstrukturen überführt werden muss und doch immer kontingent bleibt. Nur wer diese Fluktuation versteht und gestalten kann, vermag daraus auch
Innovationspotential und Geschäftsvorteile abzuleiten.
3. Information als kollektives und kollaboratives Gut: Während Information gerade im Unternehmenszusammenhang bislang als Asset begriffen wurde, das es zu nutzen, aber auch zu schützen, womöglich
gar gegen unbefugte Nutzer außerhalb des Unternehmens abzuschirmen galt, unterliegt Information in der Peer Production des
39
Web zunehmend dem Open-Source-Prinzip. Ein Unternehmen
muss seine Informationen (mit Ausnahmen zum Beispiel im Patentschutz) als dynamisches, emergentes Gut begreifen, das nützlicher
und produktiver wird, je offener es gehandhabt wird und je mehr
Menschen darauf zugreifen können. Kreativität und Innovation
entstehen bevorzugt dort, wo Informationen mit anderen Informationen verbunden werden können (zum Beispiel durch mash ups
oder Tagging), um etwas Neues, Unbekanntes hervorzubringen.
„Ein Unternehmen, das schlau ist, überträgt das Recht, seine Bestände zu organisieren und zu kommentieren, an seine Kunden“,
sagt David Weinberger (Heuer 2007, S. 88). Angesichts der tradierten
Vorstellungen von Eigentums- und Urheberrechten ist dieser Paradigmenwechsel im Umgang mit Informationen sicher eine der
größten Herausforderungen für die Unternehmenspraxis.
Alle drei Entwicklungstrends stellen Unternehmen vor neue Herausforderungen. Social Networking im weiteren Sinne verändert die Rolle
und Bedeutung von Informationen als Treiber wesentlicher Unternehmensfunktionen: von der Forschung und Entwicklung über die Produktion bis hin zu Wertschöpfungsketten und ganzen Geschäftsmodellen. „Peer production in some cases threatens to decimate the information advantage of companies and markets.“ (Schonfeld 2005) Vor
allem aber bedroht sie die Interpretationshoheit von Unternehmensinformationen. Wir werden später sehen, wo das Unternehmen womöglich neue Leitfunktionen gewinnen kann.
Big Data: Was wir alles über den Kunden wissen
In Verbindung mit den neuen Gesetzmäßigkeiten der Peer Production
über Crowdsourcing erscheint eine neue Möglichkeit, die sich unter
dem Begriff Big Data versteckt und die Kundenorientierung auf eine
zuvor nie dagewesene Grundlage quantitativ-empirischer Analysemöglichkeiten stellt. Auch hier haben wir es mit sich wandelnden Definitionen zu tun, können aber grundlegend feststellen, dass Big Data ein
Datenset beschreibt, „whose size is beyond the ability of typical database software tools to capture, store, manage and analyze“ (McKinsey
Global Institute 2011, S. 1). Die zu analysierenden Datensets zeichnen
sich durch die vier V aus:
Volume (Datenmenge),
Variety (Datentypologien von Rohdaten über strukturierte und unstrukturierte Daten bis zu Social Media Analytics),
40
Velocity (Schnelligkeit der Generierung neuer Daten und der damit
notwendig verbundenen Analyseprozesse) und schließlich
Value (Wie lässt sich ein tatsächlicher Mehrwert aus den Daten für das
eigene Unternehmen, seine Prozesse, Angebote und Produkte generieren?) (Zikopoulos et al. 2012).
Big Data beschreibt als übergeordnetes Konzept einen neuen Umgang
mit Daten, der bislang vor allem von IT- und Internetunternehmen,
zum Beispiel Amazon, Facebook, Google, immer konsequenter eingesetzt wird. Dabei geht es um die Auswertung der auf Basis millionenfacher individueller Informations-, Kommunikations- und Verhaltensweisen im Internet generierten Daten, die es möglich macht, durch
Datenanalyse die Präferenzstrukturen und Verhaltensweisen noch so
kleiner Communities und Zielgruppen zu destillieren. Auf dieser umfassenden Datenbasis lässt Big Data auch zu, die Ergebnisse dieser Auswertungen im Sinne der Präferenzentwicklungen, Kaufentscheidungen und Verhaltensprognosen vorausschauend auszuwerten und zu
nutzen. So werden beispielsweise bereits erfolgreiche Versuche unternommen, auf Basis genügend großer Datenmengen das Wetter als
Kontextvariable für Kaufverhalten verlässlich zu bewerten.
Die Möglichkeiten von Big Data halten eine Reihe von Optionen für
Unternehmen bereit, diese Analysekapazitäten in ihre Geschäftsstrategien zu implementieren und dabei dem Gebot der Kundenfokussierung besonders konsequent gerecht zu werden. Dazu zählen nach den
ersten Explorationen des McKinsey Global Institute (2011) vor allem
fünf Aspekte:
1. Daten müssen im gesamten Unternehmen durchgehend zugänglich gemacht werden, um sie für die konsequente Auswertung
durch die unterschiedlichen Unternehmensfunktionen zu öffnen,
indem sie in standardisierten Formaten prozessiert und auf entsprechenden Plattformen gespeichert werden;
2. Unternehmen müssen sich experimentell mit den Möglichkeiten
der Analyse unter Bedingungen von Big Data auseinandersetzen,
um die besten Anwendungsbereiche zu identifizieren und für das
Unternehmen zu nutzen;
3. durch Big Data lassen sich Kunden und andere Stakeholdergruppen
weiter segmentieren, so dass noch so kleine Interessengemeinschaften konsequent in ihren Bedürfnissen analysiert und entsprechend
adressiert werden können;
4. Unternehmen werden sich zunehmend mit dem Einsatz automatisierter, algorithmengestützer Analyseverfahren vertraut machen
41
müssen, die es erlauben, in verschiedenen Unternehmensfeldern
(vom Risk Management über Pricing und Sales bis zu Marketing
und datenbasierten Empfehlungssystemen) die Entscheidungen
vom Menschen auf die Maschine respektive die Software zu übertragen;
5. das Konzept Big Data muss schließlich in die Entwicklung neuer
Produkte, Service- und sogar Geschäftsmodelle eingebracht werden. Die Erkenntnisse, die sich aus großformatigen Datenanalysen
(Kunden-, Nutzungs-, Response-, Location-based Daten) gewinnen
lassen, geben dem Unternehmen zahlreiche Signale für neue Möglichkeiten und strategische Herausforderungen einer notwendigen
Anpassung oder Veränderung.
Diese Entwicklung wird unterschiedliche Branchen unterschiedlich
schnell treffen. Während die IT-, Informations- und Technologiesektoren längst umfänglich in Big Data engagiert sind, wird es beispielsweise in der Immobilien- und der Baubranche oder im Großhandel sicher
noch dauern, bis die Potentiale gehoben werden. Letztlich geht es jedoch darum, eines zu verstehen: Wenn Big Data im Unternehmensalltag angekommen ist, könnten Intuition und auf begrenzter Rationalität basierendes Entscheidungshandeln beim Management zu den
aussterbenden Formen der Unternehmensführung gehören. Was sich
im Hinblick auf den Unternehmenserfolg genau berechnen lässt, das
will sich mit Intuition oder einem unvollständigen Informationsstand
nicht mehr zufrieden geben.
Zwei Aspekte müssen dabei berücksichtigt werden, die bei jedem
Schritt der Implementierung von Big-Data-Strategien mitbedacht werden sollten und langfristig weitreichende Folgen zeitigen können, beispielsweise bis hin zum Ende der Top-Down-Innovationsprozesse:
1. Konsequent zu Ende gedacht, reduziert die umfassende Analyse
mit Prognosekapazität beim Management schrittweise die Entscheidungsspielräume. Irgendwann in ferner Zukunft können wir
uns vorstellen, dass selbst ein CEO dann lediglich noch Erfüllungsgehilfe der Datenanalyse ist, indem er das umsetzt, was auf Basis
von Analysen komplexer Datenbestände durch Algorithmen zutage
gefördert wurde.
2. Es wird Gegenbewegungen von Kundinnen und Kunden geben –
und das zeichnet sich bereits deutlich ab –, die nicht bereit sind,
den Unternehmen vollständige Transparenz ihrer persönlichen Daten zu gewähren oder dem nur unter klaren Policies zustimmen.
Das Thema Datenschutz wird folglich ein Begleitthema sein, dass
die weitere Entwicklung von Big Data mitprägen wird.
42
Digital Manufacturing: Die dritte industrielle Revolution
Bislang sind wir davon ausgegangen, dass die Gesetzmäßigkeiten von
Peer Production und Crowdsourcing sowie die Analysekapazitäten von
Big Data sich allesamt auf informationelle Produkte und Bestände beziehen. Der Kunde kommuniziert, wo seine Präferenzen und Interessen liegen, oder das Unternehmen analysiert diese auf Basis von Big
Data – aber die Umsetzung in materielle Produkte bleibt als Output
einer oft aufwändigen industriellen Infrastruktur beim Unternehmen.
Der technologische Fortschritt in der Digitalisierung der industriellen
Fertigung in Verbindung mit Nanotechnologie und flexibleren Grundstoffen macht es möglich. Längst werden hochkomplexe und spezialisierte Produkte oder Produktbestandteile, wie Hörgeräte, Dentalimplantate, Flugzeug- oder Autoteile, im Verfahren des dreidimensionalen Materialdrucks (3D-Printing) hergestellt. Tatsächlich lässt sich
alles über das 3D-Printing herstellen, das in seinen Materialien aus
modernen Fasern (zum Beispiel Carbonfaser) gefertigt und am Computer durch Software modelliert werden kann (Business Week 9.1.2012).
Bislang hat dieses Verfahren einen noch überschaubaren globalen Umsatz von 1,4 Milliarden US-Dollar im Jahr 2011 generiert und wird
hauptsächlich für die Herstellung von Prototypen genutzt. Doch die
Potentiale der „dritten industriellen Revolution“ (Economist 21.4.2012)
gehen weit darüber hinaus.
Während Kostenvorteile in der Herstellung – selbst bei kleinen Produktionsmengen mit entsprechenden Margen – auf der Hand liegen und
damit die Anwendung des Longtail-Prinzips (Anderson 2006) auch auf
materielle Produkte vorstellbar wird, offenbart das Verfahren auf den
zweiten Blick einige weitere spannende Möglichkeiten, die eng mit der
neuen Ökonomie der Kollaboration und Datenauswertung zusammenhängen. Wenn der Produktionsprozess in Form eines 3D-Druckers zukünftig immer häufiger beim Kunden selbst stattfindet, wird sich die
volkswirtschaftliche Bedeutung von Arbeitslöhnen ebenso verändern
wie die Antwort auf die Frage nach Outsourcing ganzer Produktionsreihen. Es hat dann keine Bedeutung mehr, ob das Produkt in Ingolstadt, Shanghai oder Dhaka hergestellt wird. Viele sich typischerweise
wiederholende Produktionsschritte werden obsolet oder durch Menschen per Computer gesteuert und im 3D-Printingverfahren umgesetzt
werden. Das Design neuer Produkte nahe an den Kundenbedürfnissen,
im stetigen Austausch mit dem Kunden und in Abstimmung auf die
neuen viralen Produktionsprozesse wird über den Marktvorteil eines
Unternehmens entscheiden. In diesem Zusammenhang werden allerdings auch die Probleme des Copyright, die bislang vor allem die digi-
43
tale Wirtschaft treffen, die materielle Wirtschaft intensiver beschäftigen.
Für das Thema der Innovationsstrategie ist ein Aspekt besonders spannend: Theoretisch wird sich das Geschäftsmodell vieler Unternehmen
oder ganzer Branchen vom Herstellen einzelner Produkte oder Produktreihen zur Entwicklung und Vermarktung spezieller Designs hin verschieben. Ein Beispiel: Stellen wir uns den 3D-Printer der Zukunft als
transportables oder an jedem Ort vorhandenes und nutzbares Gerät
vor. Wo immer wir hinreisen, wird es kaum mehr nötig sein, vorher zu
überlegen, welche Kleidungsstücke wir mit auf die Reise nehmen. Im
Hotelzimmer angekommen, kann ich die für den Abend benötigte Krawatte und die passenden Schuhe einfach ausdrucken, nachdem ich
das entsprechende Design ausgewählt und heruntergeladen habe.
Der Kunde wird hier zu einem Mitarbeiter ganz anderer Dimension.
Letztlich bündelt sich unter diesen Bedingungen ein Großteil der Prozesse (inklusive bislang konsequent beim Unternehmen liegender Teile der Zulieferkette) direkt bei ihm. Er kann am Design ebenso mitwirken wie an der Entscheidung über Akzeptanz oder Ablehnung einer
Produktidee, was natürlich auch manchen überfordern könnte. Er
kann im kollaborativen Prozess eine Produktidee entwickeln und sie
schnell und einfach in einen Prototypen verwandeln. Mit den Worten
von Grant Rochelle, Senior Director Manufacturing Industry Marketing beim 3D-Design-Unternehmen Autodesk: „the factory of the future could be me, sitting in my home office“ (Economist 21.4.2012,
S. 17).
Serendipity als Innovationsstrategie
In der Gewohnheitsschleife: Das Problem der Over-Customization
Das alles sind unglaublich spannende Entwicklungen, die beim unternehmerischen Denker die Synapsen kitzeln, wenn es denn gelingt, traditionelle Strukturen, Denkweisen und Gewohnheiten zu durchbrechen. Und damit sind wir bei einem Thema, das unter den beschriebenen Bedingungen der neuen Kontexte für Kundenorientierung neu
beleuchtet werden muss.
Im Rückblick scheint es fast erstaunlich, wie Unternehmen über mehr
als ein Jahrzehnt mit den Herausforderungen des Customer-Relationship-Managements oder seiner Sonderform des One-to-One-Marketing
laboriert haben. Der als „Heilsweg“ präsentierte Vierschritt (erst den
44
Kunden identifizieren, dann die Kunden differenzieren, mit ihnen interagieren und die Unternehmensstrategien an diese Vorgaben anpassen, siehe auch Peppers, Rogers & Dorf 1999) zielte immer darauf, den
Kunden die Möglichkeiten zu geben, ihre Wünsche, Bedürfnisse und
Interessen besser an das Unternehmen zurückzuspielen, um passgenauere Ansprachen und Angebote zu bekommen. Das ist durch die
neuen technologischen Entwicklungen immer besser möglich. Der
Kunde kann inzwischen (fast) alles selbst machen: Customer Integration
at its best.
Nach mehr als einem Jahrzehnt der Perfektionierung dieser Strategie
geraten wir durch die Perfektionierung der Technologie plötzlich an ein
neues Problem: Over-Customization. Während das Problem bislang
nur am Rande für die Seite des Unternehmens, beispielsweise im Enterprise Ressource Planning, als Kostenproblem diskutiert wurde, kann
durchaus auch auf Seiten des Kunden ein Problem entstehen.
Der Kunde findet die Berücksichtigung all seiner Wünsche auf Basis
seiner kollaborativen Integration in immer mehr Unternehmensprozesse, der umfassenden Analyse seiner Vorlieben und Verhaltensweisen über Big Data und seiner individuellen Ausgestaltung von Produktangeboten, die vom Unternehmen nunmehr als Designtemplates geliefert, aber vom Nutzer eigenhändig materiell produziert werden
können. Und so wird langfristig ein Parameter aus der Gleichung herausgerechnet, der für Innovation ebenso wie für eine dauerhafte Kundenzufriedenheit relevant ist: der Zufall.
Wenn einzelne Nutzungsverhaltensweisen, alle Präferenzstrukturen,
alle Entscheidungs- und Handlungsprognosen verlässlich ausgewertet,
berechnet, vorhergesagt und entsprechend bedient werden können,
bleibt der Zufallsentdeckung die Luft weg. Sie wird schlichtweg aus
dem Prozess herausgerechnet. Für Unternehmen liegt darin eine Gefahr, die ganz allgemein mit dem Satz „success breeds failure“ beschrieben werden kann und in speziellerer Perspektive ein Erlahmen
ungerichteter Innovationsprozesse beschreibt, die über bislang Gemochtes, Gewünschtes und Bekanntes im Angebotsportfolio des Unternehmens hinausgehen.
45
Selection 3
ff. ...
Selection 2
Preference a
Output
Ego Loop
Preference a –
x/a
Selection 1
Preference x ...
Preference x
Input
Preference a
Preference ∞
Algorithmic
Funnel
Input
[Preference x =
Customization x]
Input
Abbildung 1: Die Mechanismen der Over-Customization durch den „Algorithmic
Funnel“
Für den Kunden liegt das Problem woanders: Er kann es sich in seinen
perfekt berechneten Präferenzgehegen gemütlich machen, fühlt sich
wohl und bestens vom Unternehmen bedient. Erste Anzeichen dieses
an individuellen Präferenzen ausgerichteten und auf umfängliches
Data Mining aufsetzenden Verengungsprozesses finden wir bereits im
personalisierten Internet. Dabei bieten Suchmaschinen oder Internethändler den Nutzern immer öfter nur noch das, was ihren Wünschen
und Vorlieben entspricht, und blenden andere Informationen und Angebote zunehmend aus (Pariser 2011).
Als Ergebnis eines solchen durch Over-Customization geprägten Beziehungsmanagements lebt der Kunde zunehmend in seiner berechneten
Präferenzwelt. Und der Selbstverstärkungsmechanismus, der dem algorithmischen Auswertungstrichter auf Basis von Big Data Customization zugrunde liegt, führt bei ihm zu einer gewissen „Weltkurzsichtigkeit“, die ferner oder außerhalb seiner Präferenz- und BedürfnisMuster liegende Optionen ausblendet (Meckel 2011) und irgendwann
vermutlich auch Langeweile im perfekten Zuschnitt des Gewünschten
entstehen lässt: Success breeds boredom.
Serendipity: Die komplementäre Innovationskraft des
Unerwarteten
Dagegen hilft die ungeplante, glückliche Entdeckung, im Englischen
„Serendipity“ (wörtlich Spürsinn oder Glück als Verstand) genannt
46
(Merton & Barber 2004). Sie kann nicht nur für Innovationen maßgeblich sein, sondern auch für die Etablierung neuer Kundenverhaltensmuster und Produktangebote sorgen. So kann ein missglücktes Experiment mit mangelhaftem Klebstoff ein neues Erfolgsprodukt hervorbringen, beispielsweise Post-it. Der New Yorker Teehändler Thomas
Sullivan verschickte zu Beginn des 20. Jahrhunderts Tee in Seidensäckchen, weil die gewöhnlichen Blechdosen zu teuer waren. Die Empfänger übergossen die Säckchen mit heißem Wasser im Glauben, dies sei
so gedacht gewesen – schon war der Teebeutel geboren (siehe auch
Gassmann & Friesike 2012, S. 91 ff.).
Das mögen einfache Beispiele sein, die dennoch belegen, wie bedeutsam der glückliche Zufall im Innovationsprozess sein kann. Was längst
ein zumindest partiell auch in der Wissenschaft diskutiertes Problem
darstellt (Deschamps 1995, Holbrook 2003, Snowden 2003), wird durch
die beschriebenen Mechanismen, die durch technologische Innovation
freigesetzt werden, zu einer zentralen neuen Herausforderung. Gerade
für komplexe, lernfähige Systeme kann der Zufall oder auch das Moment der Überraschung eine besondere Bedeutung erlangen. Ohne
dass dies hier ausreichend ausgeführt werden kann, lässt sich die Frage stellen, wie die Berechenbarkeit und Prognostizierbarkeit von Entscheidung und Verhalten dauerhaft mit den neueren Erkenntnissen
aus verschiedenen Disziplinen einhergehen wird, dass hochgradig vernetzte und komplexe Systeme Ergebnisse produzieren, die weder linear noch vorhersagbar sind (Holbrook 2003).
Begreifen wir dies als inhärenten Widerspruch, so könnten die beschriebenen Trends entweder doch nur in Subsystemen und Organisationen mit geringerem Komplexitätsgrad greifen. Oder sie würden aus
einem komplexen, vernetzten System letztlich ein simpleres Konstrukt
hervorgehen lassen. Beides ist in unseren Zeiten kaum mehr vorstellbar und führt uns wieder zu der Einwendung zurück, dass das Herausrechnen des Zufalls in Kundenbeziehungen nach dem Prinzip der
Over-Customization keine gute Idee sein kann. Denn in beiden Fällen
bedeutete dies einen Rückschritt in der strategischen Finesse und Entwicklung des Beziehungsmanagements zu Kunden (und anderen Stakeholdern): Das umfassend Erwartbare und Prognostizierbare ruft Langeweile hervor und widerspricht der menschlichen Vorstellung einer
grundsätzlichen Wahl- und Entscheidungsfreiheit.
Rethinking the firm: Das Unternehmen als Impulsgeber im Digitalen
Was resultiert nun daraus für das Unternehmen in Zeiten perfektionierter digitaler Kundenbeziehungen? In all den Möglichkeiten von
47
Customization und Kundenintegration, die das Unternehmen als Organisationsform der Entwicklung, Fertigung und Lieferung der vom
Kunden gewünschten Produkte immer weiter in den Hintergrund zu
rücken scheint, liegt doch eine neue Rolle des Unternehmens verborgen: die des Impulsgebers in einer durchgerechneten und durchanalysierten Lebenswelt, in der die anderen in der Regel immer schon vor
mir selbst wissen, was ich möchte und tun werde.
1892 sagte der amerikanische Psychologe William James in einer Rede
vor Lehrern in Cambridge, Massachusetts, „all our life, so far as it has
definite form, is but a mass of habits“. In einem anderen Werk über die
„Macht der Gewohnheit“ verglich James dieselbe mit dem Medium
Wasser: „Water, in flowing, hollows out for itself a channel, which
grows broader and deeper; and, after having ceased to flow, it resumes,
when it flows again, the path traced by itself before.“ (James 1890) Das
war damals eine negative Analyse, denn diejenigen, in deren „Kanälen“ das Wasser immer wieder dieselben Wege nahm, waren unbewusst um die Abweichung betrogen. Es ging darum, den Menschen aus
der unverantworteten Unmündigkeit seiner Selbststeuerung durch die
Kraft der Gewohnheiten (Duhigg 2012) zu befreien.
Heute zweifeln wir unter Rückgriff auf Ergebnisse der Hirnforschung
daran, ob es überhaupt so etwas wie einen freien Willen des Menschen
und freie Entscheidungen geben kann (Geyer 2004). Andererseits forcieren wir die Berechenbarkeit und Prognostizierbarkeit menschlichen Entscheidens und Handelns mit Methoden des One-to-one-Marketings, des Neuromarketings, der personalisierten Empfehlungssysteme
und vielem mehr. Wir sind also längst in der Lage, das Wasser bewusst
zu lenken. Manchmal weiß der Kunde das auch. Das Wasser ist vielleicht schneller, geschmeidiger, bunter geworden, aber es ist immer
noch Wasser. Es lässt sich, mit Ausnahme zutiefst verankerter Gewohnheiten, gelegentlich umleiten. Oder es können Elemente mitschwimmen im Strom, die doch auffallen. Dafür braucht es einen Impuls, der
heute bewusst gesetzt werden muss, denn alles andere läuft weitgehend automatisiert.
Wenn der Kunde irgendwann so sehr zum Herrscher über die und Realisator der eigenen Wünsche geworden ist, dass es tatsächlich prinzipiell keinen Zufall und keine Überraschung mehr gibt, kann es Aufgabe
des neuen Beziehungsmanagements werden, den Zufall wieder zu einem Bestandteil zu machen. Das kann auf verschiedenen Wegen geschehen:
1. Das Unternehmen muss dazu Elemente der Intuition und Überraschung in die eigene Organisation reintegrieren, um festgelegte
48
Prozesse, und seien sie noch so komplex, störungsanfällig zu machen.
2. Menschliche Empfehlungen, zum Beispiel über direkte Kundenkontakte, werden dann eine besondere Form des Kundenmanagements
sein, die extrem wertvoll sind, dem Kunden Alternativen aufzeigen
und dafür eine hohe Loyalität gewährleisten.
3. Unternehmen werden sich regelmäßig mit den automatisierten
Analyse- und Berechnungsprozessen in ihrer IT-Infrastruktur beschäftigen müssen, unter dem Gesichtspunkt der Integration randomisierter Elemente, die geplanten Zufall einrechnen und somit
einen Customization Overkill vermeiden helfen.
Gelingt das, kann das Unternehmen eine neue Funktion in den Beziehungen zum Kunden einnehmen: die des Zufallsgenerators in einer
durchgerechneten und durchprognostizierbaren Lebenswelt. Dann
geht es darum, den Menschen aus der selbst verantworteten Unmündigkeit seiner Selbststeuerung durch die allumfassende Berechnung
von Wollen und Wirken auf Basis von Big Data zu befreien. Hätten wir
gedacht, dass wir über so etwas einmal nachdenken?
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50
Der Lehrstuhl
Das Institut für Medien und Kommunikationsmanagement (MCM) in St.Gallen wurde im
Januar 1998 mit Unterstützung der Bertelsmann Stiftung und der Heinz-Nixdorf Stiftung
gegründet und konzentriert sich auf das Management neuer Medien. Die Forschungsaktivitäten beziehen sich auf das Management der Medienindustrie, Electronic Commerce (Business Media), Knowledge Management (Knowledge Media), Corporate Communications
und Computational Media.
Siehe weiter http://www.mcm.unisg.ch
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