Erschienen in: Forum Flusskrebse Heft 15 / 2011, S. 18 - 30 Untersuchungen zur Überwindbarkeit von fischpassierbaren Barrieren durch Signalkrebse (Kurzfassung) Susanne Vaeßen und Harald Groß 1. Einleitung Der starke Rückgang heimischer Flusskrebsarten ist neben der allgemeinen Biotopzerstörung zu einem Großteil auf das Eindringen gebietsfremder Flusskrebsarten zurückzuführen, welche neben allgemeiner ökologischer Konkurrenz insbesondere durch die Übertragung der Krebspest (Aphanomyces astaci), einer für heimische Flusskrebse tödlichen Pilzinfektion, die Bestände stark dezimiert haben. Zunehmender Schiffsverkehr und gewässerverbindende Kanalbauten haben dabei noch zusätzlich zur Verbreitung der Fremdarten beigetragen, so dass sich die Artenzahl der wirbellosen Neozoen im Rhein seit der Jahrhundertwende verfünffacht hat (Boye 2003). Die letzten Rückzugsgebiete des häufigsten heimischen Flusskrebses, dem Edelkrebs (Astacus astacus) liegen heute in isolierten Gewässern wie Kleinseen, Stauteichen, Talsperren, wassergefüllten Kiesgruben und vor allem auch in Oberläufen von Fließgewässern (Blanke 1998, Blanke & Schulz 2002), während die Unterläufe gerade größerer Wasserstraßen bereits mit nicht heimischen Flusskrebsarten – hier insbesondere mit dem Amerikanischen Kamberkrebs (Orconectes limosus ) - verseucht sind (Momot 1988, Troschel & Dehus 1993, Dehus et al. 1999). Dem Nordamerikanischen Signalkrebs (Pacifastacus leniusculus) kommt bei der stattfindenden Invasion eine besondere Bedeutung zu, da er – im Gegensatz zum Kamberkrebs – auch in der Lage ist, bis in die Oberläufe der Fließgewässer vorzudringen. Dabei stellen selbst krebspestfreie Populationen dieser besonders großen Art eine Gefahr für die heimischen Krebse dar, da sie aggressiver und fruchtbarer sind und schneller wachsen. Selbst ohne die Übertragung der Krebspest wird daher ein in ein Gewässer einwandernder Signalkrebsbestand, eine dort vorhandene Edelkrebspopulation auf Dauer verdrängen (Söderbäck 1991, Westman et al. 2002). Am 22. Dezember des Jahres 2000 trat die Wasserrahmenrichtlinie der Europäischen Gemeinschaft in Kraft. Diese fordert einen "guten ökologischen Zustand" der europäischen Binnengewässer, der bis zum Jahr 2015 erreicht werden soll. Dabei soll unter anderem auch die größtmögliche Durchgängigkeit eines Fließgewässers bewerkstelligt werden. Künstliche Hindernisse wie Wehre, Dämme und Verrohrungen, die nicht unbedingt benötigt werden, sollen hierzu entfernt und die übrigen so weit wie möglich passierbar gemacht werden (Richtlinie 2000/60/EG). Obwohl diese Zielsetzungen zunächst sicher positiv zu bewerten sind, bringen sie zu Zeiten biologischer Invasionen allerdings auch Probleme mit sich. Die geographische Isolation von Fließgewässerabschnitten durch Wehre und Dämme stellt nämlich vielerorts den letzten wirksamen Schutz der darin vorkommenden heimischen Krebsbestände dar (Bohl 1987, Gross 2003). Dass aber nicht nur Fische, sondern auch nicht heimische Krebsarten die neu erworbene Durchgängigkeit von Fließgewässern nutzen werden, liegt auf der Hand. Entsprechend wäre es optimal, Fremdpopulationen von Flusskrebsen selektiv zu isolieren, so dass die 2 Durchgängigkeit des Gewässers für andere Spezies – insbesondere für Fische – erhalten bleibt. Versuche zur Entwicklung einer solchen selektiven Barriere hat es bereits anderenorts gegeben. Besonders möchte ich an dieser Stelle auf die Untersuchungen von Ellis (2005) verweisen. Auch in dieser Studie wurde eine physikalische Barriere erprobt, die Restpopulationen des stark bedrohten ShastaFlusskrebses (Pacifastacus fortis) in den Oberläufen eines Fließgewässersystems in Kalifornien vor einem einwandernden Signalkrebsbestand schützen sollte. Das einzige Modell, das sich in dieser Studie als passierbar für Fische, jedoch nicht für Krebse erwies, bestand in einer vertikalen Barriere mit Überhang (Abb. 1, Ellis 2005). Water Surface >5 inch (~130mm) open drop Barrier apron extends 3+ ft Barrier headwall ~3 ft deep Anchoring “Footer” Boulders Abbildung 1: Flusskrebsbarriere mit Überhang und vertikaler Wand (Ellis 2005) Diese Barriere war allerdings nur für Freiwasserfische wie Regenbogenforellen (Oncorhynchus mykiss) passierbar. Bodenfische wie Groppen konnten sie nur überwinden, wenn sie mit einem Netz gejagt wurden. Sie überquerten die Barrieren in den Versuchsreihen niemals aus eigenem Antrieb. Die Barrieren schienen für die Tiere eine Verhaltensbarriere darzustellen (Ellis 2005). In derselben Studie wurde auch das Schwimmverhalten von Signalkrebsen zur Sperrenüberwindung untersucht, indem 44 Tiere für mehrere Wochen in einem Becken untergebracht wurden, von dem die eine Hälfte, in der sich die Tiere befanden, durch eine in sich geschlossene Aluminium-Bande abgegrenzt wurde (siehe Abb. 2). Weder Futter, noch ein durch eine Pumpe erzeugter Sauerstoffgradient, oder Störungen wie vom Menschen geworfene Schatten oder Aufschrecken der Tiere mit einem Netz oder einer Fischattrappe konnte diese zum Überschwimmen der Barriere bringen, sodass davon ausgegangen wurde, dass 3 Krebse diese Methode nicht zur Barrierenüberwindung nutzen (Ellis 2005). Grundsätzlich deckten sich Ellis' Befunde somit mit den Aussagen von Wine und Krasne (1972), Webb (1979), Holdich und Reeve (1988), Holdich (2002) und Light (2002), laut denen der Schwimmreflex eines Flusskrebses durch einen anterioren visuellen Stimulus ausgelöst und nur selten und dann sehr kurz spontan gezeigt wird. Webb (1979) ermittelte erreichbare Schwimmgeschwindigkeiten von Roten Amerikanischen Sumpfkrebsen (Procambarus clarkii) zwischen 0,4 und 0,8 m/s. Die Tiere schwammen in seiner Studie aber niemals länger als 1 s mit dieser hohen Geschwindigkeit, was für die Überwindung einer Barriere nicht ausreichen würde. Ellis' Studie zeigte außerdem, dass jede noch so kleine Unebenheit in Barrieren – sowohl in Fließrinnen- als auch Stillwasserversuchen – eine Überwindung der Barriere durch Überklettern ermöglichte, die Barriere also vollkommen glatt sein muss, um überhaupt für einen erfolgreichen Rückhalt der Tiere in Frage zu kommen. Abbildung 2: 12 Zoll hohes, in sich geschlossenes Aluminiumblech als Flusskrebsbarriere im Stillwasserversuch (Ellis 2005) Die vorliegende Arbeit sollte einen ersten Versuch unternehmen, Neigungswinkel von glatten Flächen zu erkunden, die die Passage von Flusskrebsen gerade noch verhindern, um so letztlich zur Entwicklung einer selektiven, fischpassierbaren Krebssperre, wie sie später in festen wasserbaulichen Strukturen wie z. B. Fischtreppen eingebaut werden könnte, beizutragen. Dabei wurde davon ausgegangen, dass eine sanft ansteigende Barriere die Überwindung für Bodenfische im Vergleich zu einer vertikalen Barriere erleichtern könnte. Zusätzlich sollten die Verhaltensstrategien der Krebse beobachtet werden – insbesondere das Schwimmverhalten. Außerdem wurde auch die Bedeutung der Sperrenrauheit noch einmal experimentell untersucht. Diese Untersuchungen wurden im Rahmen des Pilotprojekt „Maßnahmen zum nachhaltigen Schutz der heimischen Flusskrebsbestände vor invasiven gebietsfremden Flusskrebsarten“ vorgenommen. Initiator dieses mit EFF-Mitteln der 4 EU geförderten Pilotprojektes ist der Fischereiverband NRW. Mit der Durchführung des dreijährigen Projektes (2010 – 2012) wurde das Edelkrebsprojekt NRW betraut. 2. Material und Methode Die Versuche fanden in der Versuchshalle des Instituts für Wasserbau und Wasserwirtschaft an der RWTH Aachen unter biologischer Betreuung des Lehrstuhls für Ökosystemanalyse statt. In einer 30 m langen, 1 m hohen und 1 m breiten Fließrinne wurden zwei Versuchskammern mit einer Länge von jeweils 3 m durch Trenngitter voneinander und vom restlichen Rinnenvolumen abgegrenzt. In jeder Versuchskammer wurde eine im Anstellwinkel verstellbare, an den Wänden dicht abschließende Barriere aus PVC (1,5 cm stark, 35 cm hoch) installiert, welche die Kammern nochmals in je einen Start- und Zielbereich unterteilten. Der 1 m² große Startbereich wurde mit Krallmatten ausgelegt, um den Tieren Halt zu gewähren, wie er auch in einem natürlichen Bachbett gegeben wäre. Der 2 m lange Zielbereich wurde mit Köderkörbchen (Frolic Hundefutter) für die Tiere noch attraktiver gemacht, ansonsten jedoch nicht weiter verändert. Ebenso wie der übrige Rinnenboden war er mit eingeklebten PVC-Platten eingeebnet worden. Abbildung 3 zeigt eine Skizze des Versuchsaufbaus und Abbildung 4 den tatsächlichen Versuchsaufbau in der Fließrinne mit Fokus auf dem Startbereich. Abbildung 3: Skizze des Versuchsaufbaus (vereinfacht) In den Versuchen wurden bei unterschiedlichen Strömungsgeschwindigkeiten und Abflusswerten jeweils in 8°-Schritten ansteigende Sperrenneigungswinkel von 0° (flach aufliegend) bis 48° erprobt. Jeder Versuch lief jeweils 48 Stunden, wenn es den Tieren nicht bereits vorher gelang, die Sperre zu überwinden. In diesem Fall wurde der Versuch vorzeitig abgebrochen. Wie bereits in Abbildung 4 zu erkennen, wurden alle Versuche durchgehend mit Infrarotkameras überwacht und abschließend ausgewertet. 5 Abbildung 4: Startbereich einer Versuchskammer Zusätzlich zur Hauptversuchsreihe wurden auch noch einige Messreihen mit einer aufgerauten Sperrenplatte absolviert, die durch das flächige Aufkleben von Schmirgelpapier auf der den Krebsen zugewandten Seite konstruiert wurde. Ebenso fanden noch einige Stillwasser-Versuche in einem Aquarium mit gerasterter Bodenscheibe (cm²) statt, bei denen die Tiere gezielt über Fluchtreaktionen zum Schwimmen gebracht und die erreichten Geschwindigkeiten gemessen wurden. Die Auswertung erfolgte hier anhand von Videoaufnahmen, über die sich die zurückgelegte Wegstrecke pro Sekunde feststellen ließ. Als Versuchstiere kamen Signalkrebse (Pacifastacus leniusculus) ab einer Körpergröße von 9,5 cm (Spitze des Rostrums bis Ende des Schwanzfächers) zum Einsatz. Diese konnten aus einem nahe gelegenen Bach in großer Zahl entnommen werden. Es wurden sowohl körperlich intakte als auch Tiere mit fehlenden Gliedmaßen in den Versuchen genutzt. 3. Ergebnisse und Diskussion Wie erwartet ergab sich eine deutliche Korrelation zwischen Abfluss/Strömungsgeschwindigkeit und erforderlichem Sperrenneigungswinkel. Bei stärkeren Strömungsverhältnissen reichte schon ein geringer Neigungswinkel aus, um eine Überwindung der Sperre durch Flusskrebse zu verhindern. So war bei einer Strömungsgeschwindigkeit von 0,531 m/s (gemessen unmittelbar über der Barriere) bereits eine flach aufliegende glatte Sperrenplatte ein wirksames Hindernis. Bei extrem langsamen Geschwindigkeiten von 0,070 m/s war dagegen selbst eine 48° 6 steile Sperre noch überlaufbar. Tabelle 1 gibt die Ergebnisse der unterschiedlichen Strömungs- und Neigungsverhältnisse wieder. Abfluss (l/s) Sperrenneigungswinkel (°) Fließgeschwindigkeit unmittelbar über der Sperre (m/s) 10 24,0 32,0 40,0 48,0 Nicht detektierbar Nicht detektierbar 0,056 0,070 35 1,0 8,4 17,1 25,0 32,0 40,0 47,8 0,098 0,116 0,151 0,177 0,263 0,309 0,383 56 -0,3 8,2 16,0 24,3 32,4 0,273 0,295 0,348 0,437 0,502 106-118 6,0 10,0 0,500 0,462 135-140 1,0 8,4 0,480 0,442 160-170 0,0 12,0 0,531 0,567 Tabelle 1: Fließgeschwindigkeiten gemessen unmittelbar über der Barriere in Korrelation zum Sperrenneigungswinkel bei den verschiedenen Abflussklassen (grün: Sperre überwunden, rot: Sperre wirksam) Bei einer Aufrauung der Sperrenplatte mit Schmirgelpapier verschoben sich wirksame Strömungs- und Winkelverhältnisse zugunsten der Krebse, was in Abbildung 5 deutlich wird, in der die Versuche mit rauer Sperrenoberfläche hell hervorgehoben wurden. Hier konnten sowohl höhere Strömungsgeschwindigkeiten als auch steilere Sperrenwinkel überwunden werden. Dies verdeutlicht die Notwendigkeit einer regelmäßigen Wartung und Reinigung der Sperrenoberfläche in der Praxis, da auch hier durch Biofilme und Algenwuchs eine Aufrauung auftreten kann. Das überraschendste Ergebnis der Versuchsreihen stellte wohl das Verhalten der Signalkrebse dar, die – im Gegensatz zu der amerikanischen Studie – hier das eigentlich als Fluchtreaktion bekannte Schwimmverhalten gezielt einsetzten, um über die Sperre zu schwimmen. Zwar wurde stets erst einmal kletternd versucht, an der Sperrenwand hoch zu kommen, doch wenn dies nicht zum Erfolg führte, brachen die 7 Sperrenneigungswinkel (°) Tiere die Kletterversuche ab, drehten sich mit dem Schwanz zur Sperre und beförderten sich in die Wassersäule darüber und auf die andere Seite. Abbildung 6 zeigt ein Beispiel für diese Vorgehensweise. 50,0 47,5 45,0 42,5 40,0 37,5 35,0 32,5 30,0 27,5 25,0 22,5 20,0 17,5 15,0 12,5 10,0 7,5 5,0 2,5 0,0 -2,5 0,000 0,050 0,100 0,150 0,200 0,250 0,300 0,350 0,400 0,450 0,500 0,550 0,600 0,650 0,700 0,750 0,800 Fließgeschwindigkeit unmittelbar über Sperrenrand (m/s) Abbildung 5: Korrelation von Sperrenneigungswinkel und Fließgeschwindigkeit am Sperrenrand (grün: Sperre überwunden, rot: Sperre wirksam – Versuche mit aufgerauter Sperrenplatte hell hervorgehoben) Abbildung 6: Schwimmender Flusskrebs bei erfolgreicher Barrierenüberwindung 8 Bis zu Strömungsgeschwindigkeiten von 0,437 m/s wurde in den Versuchen erfolgreiches Schwimmverhalten gezeigt. Inwieweit ein Überschwimmen auch oberhalb dieses Wertes noch möglich ist, kann nicht mit Sicherheit gesagt werden. In den Aquarien-Versuchen zur Schwimmgeschwindigkeit, bei denen die Tiere aufgeschreckt und schwimmend über einen gerasterten Bodengrund getrieben wurden, wurden lediglich Geschwindigkeiten von maximal 0,375 m/s erreicht, womit die Tiere weit hinter den in der Fließrinne gezeigten Leistungen zurück blieben. Abbildung 7 fasst die Ergebnisse noch einmal zusammen. Bei den eingezeichneten Linien handelt es sich um Schätzungen. Es wird deutlich, dass das Schwimmverhalten eine weitaus größere Rolle spielt, als zunächst angenommen. Bei Strömungsgeschwindigkeiten, die ein Überschwimmen der Sperre zulassen, ist der Winkel der Sperre praktisch irrelevant. Zwar kam es unterhalb dieses Wertes auch zum erfolgreichen Rückhalt der Krebse, dies sagt aber letztlich nur aus, dass die Tiere in diesen Versuchen keinen erfolgreichen Schwimmversuch unternahmen. Ist die kritische Strömungsgeschwindigkeit dagegen überschritten, sind bereits sehr geringe Anstellwinkel der Sperre wirksam, was aus dem sehr kleinen dunkelgrünen Bereich in der Abbildung hervorgeht. Somit kommt der Strömungsgeschwindigkeit über der Sperrenkante letztlich eine größere Bedeutung zu als dem Anstellwinkel der Sperre, sofern nicht zusätzliche Strukturen vorhanden sind, die die Überquerung durch Schwimmen verhindern. Abbildung 7: Zusammenfassung der Ergebnisse (Grenzen geschätzt, Quadrate: blau = Sperre überschwommen, grün = Sperre überklettert, rot = Sperre wirksam) 4. Literaturverzeichnis • • Blanke, D. (1998) Flußkrebse in Niedersachsen. Informationsdienst Naturschutz Niedersachsen 18: 146-147. Blanke, D., Schulz, H. K. (2002) Situation des Edelkrebses (Astacus astacus L.) sowie weiterer Flusskrebsarten in Niedersachsen. In: DGL e. V. (ed.) DGL/SIL Jahrestagung 2002. Eigenverlag der DGL, Werder, Braunschweig, S. 385-389. 9 • • • • • • • • • • • • • • • Bohl, E. 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