Konstruktive Geometrie auf dem TI-83 Urs Handschin Andere „selbstgebastelte“Zeichenmethoden Einleitung Zur konstruktiven Lösung geometrischer Probleme stehen TM dem Benutzer des Voyage 200 die beiden Programme „Cabri Geometry“ und „Sketchpad“ zur Verfügung. Diese erlauben ihm gleichzeitig, die Eigenschaften der dabei aufgebauten Figuren auch rechnerisch zu verfolgen, indem er sich Koordinaten, Längen, Winkel etc. anzeigen lässt. Dies ist auf dem TI-83/84 unmittelbar nicht möglich. In den folgenden Zeilen soll gezeigt werden, wie sich hier ein wenig Abhilfe schaffen lässt. Zeichenbefehle des TI-83/84 Plus/SE Zunächst sei erwähnt, dass auch ein TI-83/84 Benutzer mit Hilfe von Befehlen im Menü [DRAW] ( ) Strecken und Kreise zeichnen kann. Eine Strecke ist dabei durch ihre beiden Endpunkte E und F, ein Kreis durch Angabe von Mittelpunkt M und Radius r festzulegen. Die zugehörigen Befehle Line( und Circle( funktionieren dabei etwas anders, je nachdem ob man sich bei ihrem Aufruf auf dem Hauptbildschirm oder im Menü befindet. Im ersten Fall wird nach Eingabe von Line( oder Circle( die Eingabe der Koordinaten von E und F beziehungsweise der Koordinaten von M und des Wertes für r erwartet. Im zweiten Fall sind E und F graphisch durch Verschieben des Graphikcursors an die gewünschten Positionen festzulegen. Beim Kreis hat man entsprechend M sowie einen Punkt P auf der Peripherie zu wählen. Es ist ein Nachteil der zweiten Methode, dass die möglichen Positionen von E und F bzw. M und P dabei auf die durch Drücken der Pfeiltasten erreichbaren Lagen, also auf die durch die Fenstereinstellung festgelegten „Pixels“, eingeschränkt sind. Löschen lassen sich übrigens einzelne so gezeichnete Strecken oder Kreise nicht, vielmehr können sie nur in ihrer Gesamtheit (durch den Befehl ClrDraw) zum Verschwinden gebracht werden. Weiter stehen die so erzeugten Strecken und Kreise anschließend zwar als Bilder zur Verfügung. Man kann sie aber nachträglich weder verändern noch in dem Sinne exakt „ver[CALC] 1:value werten“, dass man z.B. mittels oder 2:zero einzelne ihrer Punkte anzielt oder sie mittels 5:intersect miteinander zum Schnitt bringt. Durch Verschieben des Graphikcursors ist eine ungefähre Ermittlung derartiger Punkte natürlich möglich; man ist dabei aber wiederum auf die jeweils erreichbaren Pixels eingeschränkt. Seite 1 / 3 Eine Alternative besteht nun darin, die einfachsten Grundgebilde der Geometrie als Graphen von Funktionen aufzufassen. Bei den Grundgebilden handelt es sich zunächst um Geraden. Um den Funktionsterm zur Verbindungsgeraden von E(e1|e2) und F(f1|f2) aufzufinden, verwendet man den Befehl [CALC] 4:LinReg(ax+b). Genauer: Nach dem Erstellen der Listen L1={e1;f1} und L2={e2;f2} gibt man LinReg(ax+b)L1,L2,Y1 ein. Nach ist der gewünschte Y Term dann in 1 gespeichert. (Selbstverständlich ist statt Y1 auch Y2, Y3, ... möglich.) Der Ausnahmefall von Geraden, welche zur y-Achse parallel sind, lässt sich auf diese Weise exakt natürlich nicht behandeln, wohl aber näherungsweise: Für die Gerade x = 4 etwa kann man E = ( 4-H | -G) und F = ( 4+H | G) setzen, wobei man für H eine kleine und für G eine große Zahl zu nehmen hat, z.B. H = 0,001 und G = 1000. Einfacher ist die direkte Eingabe des Terms y = M·(x-4) mit einem großen Wert für M, welcher die Steigung der Geraden darstellt. Ein Kreis mit Zentrum (u|v) und Radius r muss bei dieser Methode aus Halbkreisen zusammengesetzt werden. Um die zugehörigen Funktionsterme aufzufinden, hat man die Kreisgleichung 2 x u y v 2 r2 nach y aufzulösen. Man erhält so für den oberen bzw. unteren Halbkreisbogen y v r2 x u 2 bzw. y v r2 x u 2 . Wer dies ausprobiert, wird bald feststellen, dass diese Halbkreisbögen in der Regel als Halbellipsen erscheinen, da die Einheiten auf den beiden Koordinatenachsen auf dem Display im allgemeinen nicht als gleich lange Strecken wiedergegeben werden. Um dies zu erreichen, müssen die Fenstereinstellungen speziell gewählt werden. Es ist eine reizvolle Aufgabe, sich einmal im Einzelnen zu überlegen, wie man dabei vorzugehen hat. Man kann sich diese Mühe jedoch auch ersparen, indem man die zugehörige Operation 5:ZSquare ausführt. Sie bewirkt, dass das aktuelle Fenster derart vergrößert wird, dass achsenparallele Quadrate als solche und somit unsere Kurven als wirkliche Halbkreise erscheinen. Anmerkung: Vielleicht fällt uns erst bei dieser Gelegenheit ein merkwürdiger Unterschied auf: Beim Aufrufen des Zeichenbeheraus wird fehls [DRAW]9:Circle( aus den Menü ein Kreis stets als Kreis gezeichnet, ohne Rücksicht auf die aus: TI – Nachrichten 2 / 05 Konstruktive Geometrie auf dem TI-83 Urs Handschin aktuellen Fenstereinstellungen. Er passt somit in der Regel nicht zum Koordinatensystem! Dies ist jedoch der Fall, wenn man [DRAW]9:Circle( vom Hauptbildschirm aus aufruft! Bei dieser Art des Zeichnens ist man nun in der Lage, z.B. Schnittpunkte zwischen Geraden und Kreisen zu ermitteln. [CALC] Ihre Koordinaten lassen sich (mittels 5:intersect) in sehr anschaulicher Weise (d.h. insbesondere ohne Aufstellung von Gleichungssystemen!) und mit Taschenrechnergenauigkeit bestimmen und anschließend in Variabeln speichern, wodurch sie zur weiteren Verwendung zur Verfügung stehen. Auf eine dabei gelegentlich auftretende Schwierigkeit sei noch hingewiesen: Unsere Halbkreisbögen erscheinen in der Nähe ihrer Endpunkte oft ungenau oder eventuell stückweise überhaupt nicht. Man hilft sich dann durch Verkleinern des Fensterausschnittes (am bequemsten 1:ZBox). mit Abb. 1 Ferner seien die Längen WG und WH mit a und b bezeichnet. Man gewinnt dann zunächst a als Differenz der yKoordinaten von G und W und daraus als tan 1 a , womit Einige Beispiele von Anwendungen man schließlich zu b 1. Beispiel: Die Aufgabe „SSS“ Gesucht sind die Winkel , und eines Dreiecks, dessen Seiten a, b und c gegeben sind; Beispiel: a = 4, b = 8 und c = 9. der Punkt H bekannt, der zusammen mit Z die gesuchte Gerade h festlegt. Mit unseren Zahlen ergibt sich: Z = (4|3), W = (5|3); a = 0,37, = 20,304°, b = 0,942, H = ( 5 | 3,942) und als Term für h folgt dann schließlich: y = 0,942·x - 0,770. Lösung: Wir wollen der Einfachheit halber annehmen, dass c die längste Seite ist, was sich durch eventuelles Umbenennen stets erreichen lässt. Man legt die Ecken A und B des Dreiecks an die Positionen (0|0) und (c|0). Dann lässt sich die Ecke C (die oberhalb der x-Achse liegen soll) konstruktiv finden, indem man zwei (obere) Halbkreise miteinander schneidet. Ihre Zentren und Radien sind natürlich A und b, bzw. B und a. Ihre Funktionsterme lauten: y1 b2 x 2 und y 2 a2 x c 2 tan 23o gelangt. Damit ist auch 3. Beispiel: Vorwärtseinschnitt Gegeben seien die Punkte P(104|389) und Q(895|207) sowie die beiden Winkel = 70,4° und = 58,16°. . Bei Verwendung der oben vorgeschlagenen Zahlenwerte ergibt sich so für C der Punkt mit den Koordinaten u und v, deren ungefähre Werte 7,167 und 3,555 sind. Für das Folgende sind jedoch u und v ungerundet zu speichern. Mit ihrer Hilfe gewinnt man dann tan 1 v , u tan 1 v c u und 180o Im Zahlenbeispiel sind ihre Werte gleich 26,384°, 62,720° und 90,895°. 2. Beispiel: Drehen einer Geraden Gegeben sei die Gerade g durch ihre Gleichung y Abb. 2 . 0,37 x 1,52 . Gesucht wird das Bild h von g bei der Rotation mit dem (auf g liegenden) Zentrum Z(4|3) und dem Drehwinkel +23°. Gesucht wird dann die Position des Punktes U. Lösung: Nach der Methode des zweiten Beispiels ermittelt man durch Drehen der Geraden (PQ) die Geraden (PU) und (QU) und bringt dieselben anschließend zum Schnitt. Man findet so: U = ( 578,540 | 1132,230 ). Zusatz: Als zweites Beispiel für dieselbe Aufgabe sei angegeben: P = (-8|7), Q = (-5|-3), = 50°, = 75°. Lösung: U = ( 3,307 | 2,130 ). Lösung: Es sei w die durch Z gehende Parallele zur x-Achse, W der um eine Längeneinheit nach rechts verschobene Punkt Z und weiter G bzw. H die über W liegenden Punkte, welche den Geraden g bzw. h angehören. Seite 2 / 3 aus: TI – Nachrichten 2 / 05 Konstruktive Geometrie auf dem TI-83 Urs Handschin 4. Beispiel: Rückwärtseinschnitt (Aufgabe von Snellius und Pothenot) metrisch auf Grund der Länge der Strecke PQ und des Winkels ermitteln. Damit findet man sein Zentrum M durch Schneiden der Kreise mit den Zentren P und Q und dem Radius r. Entsprechend gewinnt man den Ortsbogen über QR. Das Resultat ist: T = ( 258,444 | -800,192 ). Schlussbemerkungen: Abb. 3 Hier ist aus den bekannten Punkten P, Q und R sowie den Winkeln und die Position von T zu ermitteln. Als Beispiel sei gegeben: P = (-700|700); Q = (200|500); R = (700|800) sowie = 30° und = 18°. Abb. 4 Lösungsweg: Auch hier bildet man die konstruktive Lösung mit Hilfe unserer „rechnerischen Graphik“ nach: T liegt auf dem Schnittpunkt der beiden Ortsbögen, welche zu den Sehnen PQ bzw. QR und den Peripheriewinkeln bzw. gehören. Der Radius r des Ortsbogens über PQ lässt sich trigono- Seite 3 / 3 Wie man sieht, eröffnet die beschriebene Graphik neue Möglichkeiten zur Lösung geometrischer Probleme, die normalerweise mit klassischen trigonometrischen Methoden behandelt werden. Zur Lösung von Beispiel 1 wird normalerweise der Cosinussatz herangezogen, bei Nummer 3 der Sinussatz, während Beispiel 4 unter den bekannten Vermessungsaufgaben wohl die schwierigste ist, weil zu ihrer konventionellen Lösung eine gehörige Portion an Trigonometrie herangezogen werden müsste. Arbeitet man dagegen mit den oben beschriebenen graphischen Methoden, so werden alle vier Aufgaben (wie viele andere auch) im Grunde genommen äußerst einfach: Die Lösungswege sind sehr anschaulich und infolgedessen auch leicht zu entdecken. Weiter sind aus der Trigonometrie nur die Formeln zur Berechnung des rechtwinkligen Dreiecks erforderlich! Es zeigt sich hier, wie übrigens in anderen Gebieten der Schulmathematik auch, dass manche oft als unentbehrlich angesehene Hilfsmittel (wie hier Sinus- und Cosinussatz) ihre „Monopolstellung“ einbüßen, wenn man sich neue Wege einfallen lässt. Autor: Urs Handschin, Riehen (bei Basel) E-Mail: [email protected] aus: TI – Nachrichten 2 / 05