Mathematische Probleme, SS 2015 Donnerstag 30.4 $Id: dreieck.tex,v 1.19 2015/04/30 15:52:39 hk Exp $ $Id: trig.tex,v 1.7 2015/04/30 15:51:57 hk Exp hk $ §1 Dreiecke 1.6 Einige Sätze über Kreise In der letzten Sitzung hatten wir begonnen uns mit Kreisen zu beschäftigen und insbesondere den Satz von Thales bewiesen. Dieser beschreibt die Winkel über den Durchmessern eines Kreises, und ergibt insbesondere das alle Winkel über einem solchen Durchmesser gleich sind, nämlich 90◦ . Betrachtet man anstelle eines Durchmessers eine Sekante des Kreises, so müssen die Winkel über dieser Sekante zwar nicht mehr gleich 90◦ sein, aber sie sind zumindest noch alle gleich. Streng genommen tritt hier noch eine kleine Komplikation ein, man muss zwischen Winkeln oberhalb und unterhalb der Sekante unterscheiden und erhält den folgenden Satz: Satz 1.23 (Perepheriewinkelsatz) Seien k ein Kreis mit Mittelpunkt M und AB ein Sekante in k die nicht durch M geht. Weiter sei ψ der Mittelpunktswinkel der Sekante AB, d.h. der Winkel des Dreiecks ABM bei M . C C φ φ k k M ψ B B A A θ C’ Perepheriewinkel über AB Perepheriewinkel unter AB (a) Ist C ein Punkt auf k über AB, also auf derselben Seite von AB wie M , und bezeichnet φ den Perepheriewinkel von AB bei C, also den Winkel des Dreiecks ABC bei C, so gilt ψ = 2φ und insbesondere φ < π/2. (b) Ist C 0 ein Punkt auf k unter AB und θ der Perepheriewinkel von AB bei C 0 , so ist φ + θ = π und insbesondere θ > π/2. Beweis: Wir verwenden die folgenden Figuren zum Beweis: 6-1 Mathematische Probleme, SS 2015 Donnerstag 30.4 C k φ γ M δ β α A k B B α β A C’ θ C’ Vorbemerkung Teil (a) 0 Zunächst sei C ein Punkt auf k unter AB und betrachte den Perepheriewinkel θ von AB bei C 0 . Da A, B, C 0 auf k liegen sind die beiden Dreiecke M AC 0 und M C 0 B beide bei M gleichschenklig, nach Aufgabe (4.a) hat also M AC 0 bei A und C 0 denselben Winkel α und M C 0 B hat bei B und C 0 denselben Winkel β. Weiter bezeichne γ den Winkel von M AC 0 bei M und δ den Winkel von M C 0 B bei M . Dann setzen sich γ und δ zum Mittelpunktswinkel ψ zusammen und α und β sind zusammen der Perepheriewinkel θ, es gelten also ψ = γ + δ und θ = α + β. Außerdem gelten 2α + γ = 2β + δ = π, also ist insgesamt γ+δ ψ π−γ π−δ + =π− =π− . θ =α+β = 2 2 2 2 (a) Nach der Vorbemerkung sind alle Perepheriewinkel von AB unter AB gleich θ = π − ψ/2, wir können also durch eventuelles Abändern von C 0 annehmen das CC 0 ein Durchmesser von k ist. Nach dem Satz von Thales Satz 21 haben die Dreiecke AC 0 C bei A und C 0 BC bei B rechte Winkel. Mit Lemma 22 angewandt auf das Viereck AC 0 BC folgt π ψ 2π = 2 · + θ + φ = π + θ + φ = 2π + φ − also ψ = 2φ 2 2 und insbesondere ist φ = ψ/2 < π/2. (b) Die Vorbemerkung und Teil (a) liefern ψ ψ φ + θ = + π − = π, 2 2 und insbesondere ist θ = π − φ > π/2. Fassen wir den Satz von Thales und den Perepheriewinkelsatz zusammen, so sind die Perepheriewinkel bezüglich einer beliebigen Sekante des Kreises unter und über der Sekante jeweils zueinander gleich und durch Vergleich mit einem rechten Winkel kann man auch sehen ob die Winkel unter oder über der Sekante gebildet werden. Korollar 1.24: Seien k ein Kreis und AB eine Sekante von k. Dann sind alle Perepheriewinkel von k auf derselben Seite von AB einander gleich. Beweis: Dies folgt aus dem Satz von Thales Satz 21 wenn AB ein Durchmesser von k ist und aus dem Perepheriewinkelsatz Satz 23 wenn AB kein Durchmesser von k ist. 6-2 Mathematische Probleme, SS 2015 Donnerstag 30.4 C C C’ φ C γ B γ k D φ D θ c γ M M A B A c B A Perepheriewinkel Umkreisradius, Fall 1 Umkreisradius, Fall 2 Als eine weitere Anwendung des Perepheriewinkelsatzes wollen wir jetzt eine zweite Methode zur Berechnung des Unkreisradius R eines Dreiecks ∆ = ABC vorführen. Bezeichne hierzu k den Umkreis von ∆ und sei AD der Durchmesser von k durch A. Nach dem Satz von Thales Satz 21 ist das Dreieck ABD bei D rechtwinklig und nach dem Perepheriewinkelsatz Satz 23 angewandt auf die Sekante AB von k ist sein Winkel bei D gleich dem Winkel γ von ∆ bei C wenn C und D auf derselben Seite von AB liegen beziehungsweise gleich dem Winkel θ = π − γ wenn C und D auf verschiedenen Seiten von AB liegen. Ist c = |AB| so folgt in beiden Fällen sin γ = sin(π − γ) = c c , d.h. R = 2R 2 sin γ da |AD| = 2R ist. Wir wollen den Perepheriewinkelsatz auf den Umkreis eines Dreiecks anwenden. Haben wir ein Dreieck ABC und einen weiteren Punkt P , so kann es recht schwer sein zu entscheiden ob der Punkt P auf dem Umkreis k des Dreiecks liegt, der naheliegende Weg macht es erforderlich den Schnittpunkt der Mittelsenkrechten und den Abstand von P zu diesem Punkt zu berechnen. Wir wollen hierfür jetzt ein besser handhabbares Kriterium ausarbeiten in dem zum einen der Mittelpunkt des Umkreises gar nicht vorkommt und zum anderen auch keine Abstände sondern nur Winkel betrachtet werden müssen. Korollar 1.25 (Charakterisierung des Umkreises durch Winkel) Sei ∆ = ABC ein Dreieck mit Winkel γ bei C und bezeichne k seinen Umkreis. Weiter sei P ein Punkt nicht auf der Geraden AB. Dann gelten: (a) Ist P auf derselben Seite von AB wie C so ist P genau dann auf k wenn der Winkel des Dreiecks ABP bei P gleich γ ist. (b) Ist P auf der anderen Seite von AB wie C so ist P genau dann auf k wenn der Winkel des Dreiecks ABP bei P gleich π − γ ist. Beweis: Beachte das AB eine Sekante von k ist und damit gelten die Implikationen von links nach rechts in (a) und (b) nach dem Satz von Thales Satz 21 mit γ = π/2 6-3 Mathematische Probleme, SS 2015 Donnerstag 30.4 wenn AB ein Durchmesser von k ist und nach dem Perepheriewinkelsatz Satz 23 wenn AB kein Durchmesser von k ist. Nun zeigen wir die Rückrichtungen in (a) und (b) simultan. Bezeichne k 0 hierzu den Umkreis des Dreiecks ABP . Angenommen es wäre k 6= k 0 . Wegen sin(π − γ) = sin γ haben k und k 0 nach Satz 18 beide den Radius R = |AB|/(2 sin γ), d.h. sind M der Mittelpunkt von k und M 0 der Mittelpunkt von k 0 , so muss M 6= M 0 gelten. M R R B A M’ Andererseits liegen M und M 0 beide auf den beiden Kreisen vom Radius R mit Mittelpunkt A beziehungsweise B, müssen also die beiden verschiedenen Schnittpunkte dieser Kreise sein. Wie oben gezeigt liegen M und M 0 damit auf verschiedenen Seiten von AB, und AB geht weder durch M noch durch M 0 , d.h. AB ist weder ein Durchmesser von k noch ein Durchmesser von k 0 . Andererseits behaupten wir jetzt das M und M 0 doch auf derselben Seite von AB liegen müssen. Sind wir nämlich in der Situation von (a), so sind die Winkel von ABC in C und von ABP in P beide gleich γ, also liegen M und M 0 nach dem Perepheriewinkelsatz Satz 23 für γ < π/2 beide auf derselben Seite von AB wie P und C und ist γ > π/2 so liegen M und M 0 beide auf der anderen Seite von AB als C und P . Im Fall (b) liegen M und M 0 wieder nach dem Perepheriewinkelsatz für γ < π/2 beide auf derselben Seite von AB wie C und für γ > π/2 beide auf derselben Seite von AB wie P . Damit haben wir einen Widerspruch erhalten. Dieser Widerspruch zeigt k = k 0 und insbesondere liegt P auf k. Als letzte Anwendung unserer Sätze über Kreise wollen wir den sogenannten Satz von Lehmus und Steiner beweisen, dieser besagt das ein Dreieck ∆ das zwei Winkelhalbierende gleicher Länge hat bereits gleichschenklig ist. Dieser Satz wurde 1840 von Lehmus mit rechnerischen Methoden gefunden und er teilte dieses Ergebis Jacob Steiner in einem Brief mit der Bitte um einen geometrischen Beweis mit. Der von Steiner gefundene Beweis war allerdings recht kompliziert und wir wollen hier einen vergleichsweise einfachen Beweis anschauen der 1963 von Gilbert und MacDonnel veröffentlicht wurde. Wir beginnen mit einem vorbereitenden Lemma. Lemma 1.26 (Sekantenlänge und der spitze Perepheriewinkel) Sei k ein Kreis von Radius r. Dann gelten: 6-4 Mathematische Probleme, SS 2015 Donnerstag 30.4 (a) Sei AB eine Sekante von k der Länge a und φ < π/2 ein spitzer Perepheriewinkel von AB. Dann gilt a2 = 2r2 (1 − cos(2φ)). (b) Sind AB und CD zwei Sekanten von k der Länge a := |AB| beziehungsweise b := |BD| und sind φ < π/2 ein spitzer Perepheriewinkel von AB sowie ψ < π/2 ein spitzer Perepheriewinkel von CD so entspricht der größere spitze Perepheriewinkel der größeren Sekante und umgekehrt, d.h. wir haben a < b ⇐⇒ φ < ψ. Beweis: (a) Sei M der Mittelpunkt von k. Nach dem Perepheriewinkelsatz Satz 23 hat AB den Mittelpunktswinkel ψ = 2φ, also liefert der Cosinussatz Satz 4 angewandt im Dreieck ABM auch a2 = 2r2 − 2r2 cos ψ = 2r2 (1 − cos(2φ)). (b) Dies ist klar nach (a) da der Cosinus streng monoton fallend ist. Man kann die Aussage in (b) des obigen Lemmas, dass also eine Sekante eines Kreises genau dann kürzer als eine andere Sekante dieses Kreises ist wenn der spitze Perepheriewinkel der ersten Sekante kleiner als derjenib ge der zweiten Sekante ist, auch weniger rechnerisch bea gründen. Eine Sekante unseres Kreises ist umso kürzer je M φ weiter sie vom Mittelpunkt des Kreises entfernt ist und dann wird der gegenüberliegende Perepheriewinkel ebenψ falls kleiner. Dies ist allerdings eher eine Intuition als ein echter Beweis. Für einen solchen können wir die Aussage beispielsweise auf die entsprechende Tatsache für Dreiecke zurückführen. Beachte zunächst das es nach (a) für die beiden Perepheriewinkel nur auf die Länge der Sekante nicht aber auf ihre genaue Lage ankommt, wir können also annehmen das die beiden Sekanten einen gemeinsamen Punkt auf dem Kreis haben und das der Mittelpunkt des Kreises zwischen ihnen liegt. Die beiden spitzen Perepheriewinkel sind dann die der jeweiligen Sekante gegenüberliegenden Winkel im von den beiden Sekanten gebildeten Dreieck. In einem Dreieck liegt aber nach Aufgabe (1) die größere Seite dem größeren Winkel gegenüber und umgekehrt, dass heißt auch bei unseren Sekanten hat die größere Sekante den größeren spitzen Perepheriewinkel und umgekehrt. Damit können wir jetzt den Hauptschritt zum Beweis des Satzes von Lehmus und Steiner durchführen und beweisen das zum kleineren Winkel in einem Dreieck die längere Winkelhalbierende gehört. 6-5 Mathematische Probleme, SS 2015 Donnerstag 30.4 Lemma 1.27 (Winkel und die Länge der Winkelhalbierenden) Sei ∆ = ABC ein Dreieck mit Winkeln α, β, γ in den Standardbezeichnungen. Weiter bezeichne tA die Länge der Winkelhalbierenden von α in ∆ sowie tB die Länge der Winkelhalbierenden von β in ∆. Ist dann α < β, so gilt auch tA > tB . C E D F α/2 α/2 β/2 A B k Beweis: Bezeichne D den Schnittpunkt der Winkelhalbierenden von ∆ in A mit der Seite BC und E den Schnittpunkt der Winkelhalbierenden von ∆ in B mit der Seite AC. Dann sind tA = |AD| und tB = |BE|. Wegen α/2 < β/2 gibt es einen Punkt F zwischen A und D so, dass der Winkel von EBF bei B gleich α/2 ist. Wir behaupten das die vier Punkte A, B, E, F auf einem Kreis k liegen. Hierzu sei k der Umkreis des Dreiecks EBF dessen Winkel bei B nach Wahl von F gleich α/2 ist. Weiter liegen A und B auf derselben Seite von EF und der Winkel des Dreiecks EAF bei A ist ebenfalls α/2 da die Halbgerade AF = AD die Winkelhalbierende von α ist. Nach Korollar 25 ist damit auch A ∈ k und diese Zwischenbehauptung ist bewiesen. Damit sind BE und AF zwei Sekanten des Kreises k. Der Perepheriewinkel von AF bei B ist α β α+β α+β+γ π + = < = , 2 2 2 2 2 und dieser ist damit auch der spitze Perepheriewinkel der Sekante AF . Der Perepheriewinkel von BE bei A ist dagegen α= α α α β π + < + < , 2 2 2 2 2 6-6 Mathematische Probleme, SS 2015 Donnerstag 30.4 also ist auch dies der spitze Perepheriewinkel von BE und er ist kleiner als der spitze Perepheriewinkel der Sekante AF . Nach Lemma 26.(b) ist damit tB = |BE| < |AF | < |AD| = tA wie behauptet. Durch Kontraposition ergibt sich hieraus der angekündigte Satz über die Winkelhalbierenden. Satz 1.28 (Satz von Lehmus und Steiner) Sei ∆ ein Dreieck dessen Winkelhalbierende an zwei seiner Ecken dieselbe Länge in ∆ haben. Dann ist ∆ in der dritten Ecke gleichschenklig. Beweis: Wir zeigen die Kontraposition, d.h. ist ein Dreieck ∆ = ABC in C nicht gleichschenklig, so sind die Längen der Winkelhalbierenden von A und B in ∆ verschieden. Nach Aufgabe (4.a) sind nämlich die Winkel von ∆ in A und B verschieden, also ist der eine echt kleiner als der andere und nach Lemma 27 ist die Winkelhalbierende in diesem in ∆ echt länger als die Winkelhalbierende in ∆ im anderen Eckpunkt. Insbesondere habe diese beiden damit verschiedene Längen. §2 Trigonometrische Formeln In diesem kurzen Kapitel wollen wir einige Formeln für die trigonometrischen Funktionen besprechen, und insbesondere geometrische Herleitungen einiger Additionstheoreme vorführen. Bei den Dreiecksberechnungen des vorigen Kapitels sind die trigonometrischen Funktionen schon in einer wichtigen Rolle aufgetaucht, man brauchte aber eigentlich keinerlei Formeln für sie zu kennen. Nur die Formel sin2 φ + cos2 φ = 1, also letztlich der Satz des Pythagoras, wurde einige Male angewandt. Wir beginnen mit einem Abschnitt über die verschiedenen Additionstheoreme. 2.1 Die Additionstheoreme Die grundlegenden Additionstheoreme für den Sinus und den Cosinus sind die Formeln sin(α + β) = sin α cos β + cos α sin β und cos(α + β) = cos α cos β − sin α sin β. 6-7 Mathematische Probleme, SS 2015 Donnerstag 30.4 Wenn diese Formeln für alle reellen Argumente α, β nachgewiesen sind kann man aus ihnen durch Ersetzen von β durch −β auch die Formeln für Winkeldifferenzen sin(α − β) = sin α cos β − cos α sin β und cos(α − β) = cos α cos β + sin α sin β herleiten, bei den geometrischen Herleitungen der Additionstheoreme muss man die Additions- und Subtraktionsformeln dagegen oftmals getrennt voneinander behandeln. Das Additionstheorem des Tangens tan(α + β) = tan α + tan β 1 − tan α tan β kann man algebraisch aus den Additionstheoremen fur Sinus und Cosinus herleiten tan(α + β) = sin(α + β) sin α cos β + cos α sin β tan α + tan β = = cos(α + β) cos α cos β − sin α sin β 1 − tan α tan β wobei im letzten Schritt mit 1/(cos α cos β) erweitert wurde. Auch das Additionstheorem des Tangens läßt sich alternativ geometrisch herleiten, darauf wollen wir aber verzichten. 6-8