obsessive-compulsive inventory revised (oci-r)

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OBSESSIVE-COMPULSIVE INVENTORY
REVISED (OCI-R)
Deutsche Adaptation
Sascha Gönner, Willi Ecker, Rainer Leonhart
Manual
OBSESSIVE-COMPULSIVE INVENTORY REVISED (OCI-R)
Deutsche Adaptation
Copyright © 2009 Pearson Assessment & Information GmbH, Frankfurt am Main
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Vorwort
Das Obsessive-Compulsive Inventory-Revised (OCI-R; Foa et al., 2002) ist ein Selbstbeurteilungsinstrument zur Erfassung der Schwere von Zwangssymptomen. Es wurde
von Edna Foa und ihren Mitarbeitern am Center for the Treatment and Study of Anxiety an der University of Pennsylvania in Philadelphia entwickelt. Es erfasst die sechs
wichtigsten Symptombereiche der Zwangsstörung: Kontaminationsbefürchtungen
und Waschzwänge, Kontrollzwänge, Symmetriepräferenzen und Ordnungszwänge,
Zwangsvorstellungen, zwanghaftes Horten und mentales Neutralisieren. Seit seiner
Veröffentlichung 2002 wurde es in zahlreiche Sprachen übersetzt und rasch zu einem
der international am häufigsten eingesetzten Zwangsinventare. Für keines der bisher
vorliegenden Zwangsinstrumente wurden die psychometrischen Eigenschaften und die
Validität so differenziert untersucht wie für das OCI-R. Seine Faktorenstruktur konnte
in verschiedenen kulturellen Kontexten repliziert werden. Zwangssymptome können
durch das OCI-R weitgehend unabhängig von Ängstlichkeit, pathologischer Besorgnis und Depressivität gemessen werden. Neben seinen exzellenten psychometrischen
Eigenschaften besticht das Verfahren auch dadurch, dass es mit nur 18 Items sehr kurz
und ökonomisch ist. Jede Subskala umfasst drei Items, sodass die Symptomschwere in
einzelnen Zwangsdimensionen einfach und direkt miteinander vergleichbar ist.
Das OCI-R ist ein effektives Screening-Instrument, mit dem Zwangspatienten zuverlässig von Gesunden, aber auch von Patienten mit depressiven oder Angststörungen
unterschieden werden können. Sein Einsatz ist zudem im Rahmen der Behandlungsplanung sinnvoll, um die Hauptsymptombereiche eines Zwangspatienten zu identifizieren und entsprechende subtypspezifische Behandlungsmaßnahmen abzuleiten.
Ebenso kann es zur Abbildung von Veränderungsprozessen und Behandlungseffekten
in der klinischer Praxis und Forschung verwendet werden.
Das OCI-R wurde Anfang 2005 von zwei der Autoren dieses Manuals ins Deutsche
übersetzt (s. Gönner, Leonhart & Ecker, 2007). Die psychometrischen Eigenschaften
und die Validität der deutschsprachigen Fassung wurden zunächst in einer großen
Patientenstichprobe untersucht. Zur Datenerhebung konnte die Forschungsinfrastruktur des Psychologischen Routinelabors (z.B. Gönner & Bischoff, 2006) der Psychosomatischen Fachklinik Bad Dürkheim genutzt werden. Dadurch war es möglich,
die Entwicklung des OCI-R gänzlich ohne Drittmittel voranzutreiben. Unser besonderer Dank gilt daher dem Chefarzt der Psychosomatischen Fachklinik Bad Dürkheim,
Klaus Limbacher, ohne dessen Unterstützung die Durchführung dieses Projektes nicht
möglich gewesen wäre, aber auch vielen anderen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern
der Psychosomatischen Fachklinik. Wir bedanken uns bei den Leitenden Psychologen
Claus Bischoff und Andreas Dehmlow, den Projektmitarbeiterinnen der Abteilung für
Psychodiagnostik und Therapieforschung Dorit Benoit, Nadine Flegel, Isabel Kahl,
Martina Prajitno, Britta Schmidt und Iris Weber und bei allen Psychotherapeuten, die
die Interviews zur klinischen Diagnostik der Patienten mit großer Sorgfalt durchgeführt haben. Weitere Datensätze von Zwangspatienten wurden in vier Schwerpunktpraxen zur Behandlung von Zwängen gewonnen, neben der von Willi Ecker auch in
den Praxen von Nicolas Hoffmann, Birgit Hofmann und Michael Foltys. Auch ihnen
gilt unser Dank für die Unterstützung unserer Entwicklungsarbeiten.
Zu besonderem Dank sind wir auch Sonja Hahn und Nina Tödter verpflichtet, die im
Rahmen ihrer Diplomarbeiten in der Abteilung für Sozialpsychologie und Methodenlehre am psychologischen Institut der Universität Freiburg mit viel Engagement einen
großen Datensatz gesunder Vergleichspersonen erhoben haben. Auch gilt unser Dank
Ralf Horn von Pearson Clinical & Talent Assessment, der mit seiner Erfahrung die
Entstehung dieses Manuals begleitet und unterstützt hat.
Nicht zuletzt wollen wir den vielen hundert Menschen danken, die an unseren Untersuchungen zur deutschen Version des OCI-R teilgenommen haben und deren Daten
wir verwenden durften.
Abschließend möchten wir darauf hinweisen, dass in diesem Manual alle Personenbezeichnungen (z. B. Patient, Therapeut etc.) grundsätzlich geschlechtsunspezifisch zu
verstehen sind, sofern nicht explizit eine andere Bedeutung benannt wurde.
Januar 2009
Sascha Gönner, Willi Ecker, Rainer Leonhart
Inhalt
Vorwort
.................................................................................................................................... 3
1.Einleitung..........................................................................................7
2.
Entwicklung und Beschreibung des OCI-R.......................................11
3. Reliabilität und Validität in internationalen Studien........................13
3.1 Faktorielle Validität................................................................................................................... 13
3.2 Interne Konsistenz..................................................................................................................... 13
3.3Retest-Reliabilität....................................................................................................................... 16
3.4Skaleninterkorrelationen.......................................................................................................... 16
3.5 Konvergente und diskriminante Validität............................................................................. 16
3.6 Diagnostische Diskriminationsfähigkeit................................................................................ 23
3.7 Änderungssensitivität............................................................................................................... 23
3.8Zusammenfassung.................................................................................................................... 24
4. Entwicklung, psychometrische Eigenschaften und Validität der
deutschsprachigen Fassung des OCI-R............................................25
4.1 Deutschsprachige Stichproben................................................................................................ 25
4.2 Skalenwerte und Werteverteilungen...................................................................................... 26
4.3 Objektivität................................................................................................................................. 28
4.4 Faktorielle Validität................................................................................................................... 28
4.5 Interne Konsistenz und Trennschärfe..................................................................................... 29
4.6 Skaleninterkorrelationen.......................................................................................................... 31
4.7 Konvergente und diskriminante Validität............................................................................. 32
4.8 Diagnostische Diskriminationsfähigkeit................................................................................ 38
4.9 Zusammenhänge mit Geschlecht und Schulbildung........................................................... 38
4.10Zusammenfassung.................................................................................................................... 38
5.Testdurchführung...........................................................................39
5.1 Testvoraussetzungen................................................................................................................. 39
5.2Bearbeitungszeit......................................................................................................................... 39
5.3Testinstruktion........................................................................................................................... 39
5.3.1 Schriftliche Durchführung....................................................................................................... 39
5.3.2 Mündliche Durchführung........................................................................................................ 40
6.Testauswertung..............................................................................41
7.Testinterpretation...........................................................................43
7.1 Referenzwerte............................................................................................................................. 43
7.2 Kategoriale Diagnostik: Unterscheidung von Patienten mit Zwangsstörungen,
anderen Störungen und Gesunden......................................................................................... 43
7.3 Identifikation der Hauptsymptombereiche........................................................................... 48
7.4 Normwerte für Zwangspatienten und Gesunde................................................................... 49
7.5 Anwendungsbereiche............................................................................................................... 50
Literatur
.........................................................................................53
1. Einleitung
Zwangsstörungen sind eine chronische, stark beeinträchtigende Erkrankung. In Deutschland
sind etwa 2-3 % der Gesamtbevölkerung von ihr betroffen, gleichermaßen Männer und Frauen, damit gehört sie zu den häufigsten psychischen Störungen (Zaudig, 2002). Trotzdem sind
Zwänge in der Öffentlichkeit nach wie vor kaum bekannt (Lakatos & Reinecker, 2007). Meist
führen sie zu starken Einschränkungen der sozialen, familiären, schulischen und beruflichen
Funktionsfähigkeit (Koran, Thienemann & Davenport, 1996).
Die beiden Hauptmerkmale der Zwangsstörung sind nach dem DSM-IV (American Psychiatric Association, 2000) Zwangsgedanken und Zwangshandlungen: Zwangsgedanken sind
wiederkehrende, als aufdringlich, ungewollt und unangemessen erlebte, ich-dystone Gedanken, Impulse oder Vorstellungen, die Angst oder Unbehagen hervorrufen, obwohl sie als irrational und unrealistisch erkannt werden. Beispiele für häufige Inhalte von Zwangsgedanken sind die Befürchtung, sich mit Krankheitserregern zu kontaminieren, Zweifel, dass eine
Handlung korrekt ausgeführt wurde, z.B. das Verriegeln einer Tür oder das Ausschalten des
Herdes, und die damit verbundene Befürchtung, sich selbst/ andere zu schädigen oder aggressive Vorstellungsbilder/ Impulse, die gegen die eigenen Moralvorstellungen verstoßen. Die
Betroffenen versuchen diese Gedanken zu ignorieren, zu unterdrücken oder zu neutralisieren.
Zwangshandlungen sind stereotype oder regelhafte Handlungswiederholungen oder Verhaltensrituale, zu denen sich die Betroffenen häufig infolge eines Zwangsgedankens gezwungen
fühlen, um diesen zu neutralisieren, d.h. um die mit dem Gedanken verbundenen Befürchtungen oder potentiellen Katastrophen oder das erlebte Unbehagen abzuschwächen oder zu
verhindern. Verbreitete Zwangshandlungen sind beispielsweise wiederholtes Händewaschen,
Kontrollieren oder Zählen.
Die Betroffenen sind sich bewusst, dass ihre Gedanken oder Handlungen übertrieben und
wenig sinnvoll sind, allerdings kann die Einsicht in die Störung interindividuell und situativ
erheblich variieren. In Phasen, in denen Einsicht vorhanden ist, besteht ein Bedürfnis, dem
Zwang zu widerstehen. Die Zwangsrituale führen in der Regel nur zu einer vorübergehenden
Erleichterung. Die Handlungswiederholungen tragen letztendlich selbst zu einer Aufrechterhaltung der Störung bei (z.B. Deacon & Abramowitz, 2005).
Obwohl die Zwangsstörungen im DSM-IV (American Psychiatric Association, 2000) und im
ICD-10-GM (Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information, 2008) als
eine nosologische Einheit betrachtet werden, handelt es sich bei ihnen im Vergleich zu anderen
Angststörungen um eine heterogenere Störungskategorie. Die Betroffenen zeigen eine Vielzahl unterschiedlicher Symptominhalte (z.B. Mataix-Cols, Rosario-Campos & Leckman, 2005;
McKay et al., 2004). Bis heute wurde kein genereller Konsens darüber erzielt, welche Symptome zu welchen und zu wie vielen Unterklassen zusammengefasst werden. In der Literatur
werden am häufigsten die Kategorien Kontaminationsbefürchtungen/ Waschzwänge, Schadensbefürchtungen/ Kontrollzwänge, Symmetriepräferenzen/ Ordnungszwänge, Zwangsgedanken, zwanghaftes Horten und Neutralisierungsrituale genannt (Huppert et al., 2007).
Die Komorbidität von Zwangsstörungen mit anderen psychischen Erkrankungen ist hoch, insbesondere mit Angst- und depressiven Störungen (Antony, Downie & Swinson, 1998; Brown,
Campbell, Lehman, Grisham & Mancill, 2001), und die Differenzialdiagnostik ist oft schwierig
(z.B. Clark, 2004), insbesondere die Abgrenzung zu anderen Angst-, affektiven oder neurologischen Störungen. Dies führt dazu, dass Zwangsstörungen häufig nicht richtig diagnostiziert werden (Heyman et al., 2003). Auch Angst- und Schamgefühle der Betroffenen, über ihre
Symptome zu berichten, die oft als peinlich, unsinnig, abnorm oder sogar als regelrecht absto-
7
ßend erlebt werden, und das Bedürfnis, diese möglichst zu verbergen, tragen dazu bei, dass
Zwangsstörungen nicht erkannt werden (Grabill et al., 2008). Häufig können die Betroffenen
selbst ihr Problem nicht als behandlungsbedürftige Krankheit einordnen und treffen, sofern
sie Kontakt zu professionellen Helfern aufnehmen, auch hier nicht selten auf Unkenntnis (Lakatos & Reinecker, 2007). Im Durchschnitt nehmen Zwangspatienten erst zwischen 7 und 10
Jahren nach Beginn der Erkrankung erstmals Kontakt zu therapeutischen Einrichtungen auf
(Zaudig, 2002). Ohne adäquate Behandlung ist der Verlauf von Zwangsstörungen in den meisten Fällen chronisch, nur selten kommt es zu Spontanremissionen. Die Beeinträchtigung durch
Zwangssymptome nimmt über die Zeit häufig zu, auch wenn Symptomintensität und -inhalte
episodisch variieren können (z.B. Grabill et al., 2008; Lakatos & Reinecker, 2007). Mittlerweile
stehen wirksame kognitiv-verhaltenstherapeutische Behandlungsverfahren zur Verfügung,
deren Einsatz die Prognose wesentlich verbessert (im Überblick: Bossert-Zaudig, Zaudig &
Simon, 2002). Eine Voraussetzung für ihre Anwendung ist jedoch, dass die Störung überhaupt
erkannt wird. Hierfür sind Screening-Instrumente geeignet. Ihr Einsatz kann zur Verbesserung der Diagnostik und somit auch der Versorgung von Zwangspatienten beitragen.
Verschiedene Typen von diagnostischen Verfahren haben unterschiedliche Zielsetzungen:
Während strukturierte diagnostische Interviews, wie beispielsweise das Strukturierte klinische
Interview für DSM-IV, Achse I (SKID-I; Wittchen, Wunderlich, Gruschwitz & Zaudig, 1997)
und das Diagnostische Interview bei Psychischen Störungen, DIPS für DSM-IV-TR (Schneider
& Margraf, 2006) oder Diagnosechecklisten wie die Internationalen Diagnosen Checklisten für
DSM-IV und ICD-10 (IDCL; Hiller , Zaudig & Mombour, 1995) derzeit als Standard angesehen
werden, um die Diagnose einer Zwangsstörung abzusichern, werden Selbstbeurteilungsinstrumente eingesetzt, um in der klinischen Praxis und Forschung potentielle Zwangspatienten
zu selektieren, um die Schwere einer Zwangsstörung und die Beeinträchtigung in verschiedenen Symptombereichen zu beurteilen und um Behandlungseffekte abzubilden (im Überblick: Grabill et al., 2008; Hoyer & Margraf, 2003).
Seit Mitte der 70er-Jahre des letzten Jahrhunderts wurden zahlreiche mehrdimensionale
Selbstbeurteilungsinstrumente zur Messung der Schwere von Zwangssymptomen publiziert.
Die meisten Verfahren der ersten Generation zeigen inhaltliche und/ oder psychometrische
Schwachstellen (Taylor, 1995, 1998). Hierzu gehören nach Gönner et al. (2007):
•
Unbefriedigende Spezifität für Zwangssymptome bzw. schwache divergente Validität (Zwangssymptome werden häufig nicht unabhängig von Angst, Besorgnis oder
Depressivität erfasst)
•
Wichtige Zwangssymptome werden durch die Subskalen nicht erfasst, beispielsweise Zwangsgedanken, Symmetriepräferenzen und Ordnungszwänge oder zwanghaftes Horten
•
Unbefriedigende psychometrische Eigenschaften
•
Hohe Interkorrelationen und damit fehlende Unabhängigkeit der Subskalen
•
Die Skalen wurden oft an nicht-klinischen Stichproben entwickelt, die Faktorenstruk-
tur wurde bei Zwangspatienten häufig nicht untersucht oder nicht repliziert, wo-
durch ihr Einsatz bei Zwangspatienten nicht gerechtfertigt erscheint
•
Eingeschränkte Änderungssensitivität aufgrund dichotomer Antwortformate
In den vergangenen fünfzehn Jahren bemühten sich verschiedene Forschergruppen darum,
alternative Instrumente zu entwickeln, die diese Schwachstellen nicht mehr aufweisen. Hierzu
gehören die beiden Revisionen (Burns, Keortge, Formea & Sternberger, 1996; Oppen, Hoekstra
& Emmelkamp, 1995) des Padua Inventory (Sanavio, 1988), das Vancouver Obsessional Compulsive Inventory (Thordarson et al., 2004) als Weiterentwicklung des Maudsley Obsessional
Compulsive Inventory (MOCI; Hodgson & Rachman, 1977) und die Schedule of Compulsions,
Obsessions, and Pathological Impulses (Watson & Wu, 2005). Auch das Obsessive-Compulsive
8
Inventory-Revised (OCI-R; Foa et al., 2002) und seine Vorversion (OCI; Foa, Kozak, Salkovskis,
Coles & Amir, 1998) wurden von Foa und ihren Mitarbeitern mit dieser Intention entwickelt
(s. Kapitel 2; Gönner et al., 2007).
Um zu überprüfen, ob sich anhand eines Messinstrumentes Zwangspatienten von Patienten
mit anderen psychischen Erkrankungen oder Gesunden unterscheiden lassen und es insofern
als Screening-Instrument geeignet ist, werden Sensitivität und Spezifität des Verfahrens bei
verschiedenen Cut-Off-Werten bestimmt. Üblicherweise werden heterogene Stichproben von
Zwangspatienten mit Vergleichsgruppen anhand der Gesamtskalenwerte verglichen. Für zwei
der neueren Zwangsinstrumente, das OCI-R und das VOCI, konnte jeweils gezeigt werden,
dass Zwangspatienten anhand der Gesamtskalenwerte zuverlässig von Patienten mit anderen psychischen Erkrankungen und von Gesunden unterschieden werden können (s. Kapitel
3.6 und 7.2). Allerdings wird bei einer ausschließlichen Berücksichtigung des Gesamtskalenwertes das diagnostische Potential eines mehrdimensionalen Instruments noch nicht vollständig ausgeschöpft (s. ausführlich: Gönner et al., 2009). Die Hauptsymptome eines Patienten
bleiben undiagnostiziert, auch besteht das Risiko, dass insbesondere monosymptomatische
Zwangspatienten fehldiagnostiziert werden. Erst durch eine Bestimmung subskalenspezifischer Cut-Off-Werte werden Kriterien festgelegt, anhand derer auch einzelne Subtypen von
Zwangspatienten voneinander, von klinischen Vergleichsgruppen und von Gesunden unterschieden und die Hauptsymptombereiche identifiziert werden können, d.h. Kriterien, anhand
derer beurteilt werden kann, ob Defiziten in spezifischen Symptombereichen Krankheitswert
zugeschrieben werden sollte und daher die Durchführung subtypspezifischer Behandlungsmaßnahmen indiziert ist (vgl. Gönner, Hahn et al., submitted). Das OCI-R ist gegenwärtig das
einzige Zwangsinstrument, für das subskalenspezifische Cut-Off- oder Normwerte vorliegen
und für das nachgewiesen werden konnte, dass es verschiedene Untergruppen von Zwangspatienten (Subtypen) auf den korrespondierenden Subskalen sehr zuverlässig voneinander, von
Patienten mit Angst- und depressiven Störungen und von Gesunden trennen kann (s. ausführlich: Kapitel 7.3 und 7.4; Gönner, Hahn, Leonhart, Ecker & Limbacher, submitted). Daher ist
das OCI-R geeignet, um den spezifischen Subtyp/die Hauptsymptombereiche eines Patienten
zu identifizieren und dadurch die Behandlungsplanung entscheidend zu unterstützen.
Gerade in einer zuverlässigen Identifikation der wichtigsten Symptome eines Zwangspatienten sehen wir künftig einen besonders wichtigen Anwendungsbereich von mehrdimensionalen Zwangsinventaren, da angenommen werden kann, dass sich die Behandlungskonzepte bei Zwangspatienten noch weiter subtypspezifisch ausdifferenzieren werden. Bereits in
der vergangenen Dekade wurden verschiedene effektive kognitiv-verhaltenstherapeutische
Konzepte für die spezifische Behandlung einzelner Subtypen entwickelt, beispielsweise für
Wasch-, Kontroll- und Hortzwänge und für Zwangsgedanken ohne offene Rituale (im Überblick: Abramowitz, McKay & Taylor, 2008; Fricke et al., 2006).
9
10
2. Entwicklung und Beschreibung des OCI-R
Die Arbeitsgruppe um Edna Foa publizierte 1998 das Obsessive-Compulsive Inventory (OCI;
Foa et al., 1998). Im Rahmen der Fragebogenkonstruktion verfolgten die Autoren das Ziel,
ein Instrument zu entwickeln, das nicht die psychometrischen Schwächen früherer Verfahren aufweist und der inhaltlichen Heterogenität und Symptomvielfalt von Zwangsstörungen
besser gerecht wird. Das OCI erfasst mit 42 Items sieben Symptomdimensionen: Waschen,
Kontrollieren, Zweifeln, Ordnen, Horten, gedankliches Neutralisieren und Zwangsgedanken.
Die Skalen erfassen die Symptome, die im DSM-IV-Feldversuch (Foa et al., 1995) als die häufigsten Inhalte der Zwangsstörung identifiziert worden sind. Für jedes Item wird auf einer
fünfstufigen Antwortskala eingeschätzt, wie häufig ein Symptom auftritt und in welchem
Ausmaß es Leidensdruck verursacht.
Obwohl das OCI sehr zufriedenstellende psychometrische Eigenschaften besitzt, entschieden
sich Foa und Mitarbeiter schon bald für eine Revision, insbesondere weil das OCI für den
Routineeinsatz in der klinischen Praxis zu lang und aufgrund der beiden OCI Gesamtskalen
(Häufigkeit; Leidensdruck) und der unterschiedlichen Länge der Subskalen etwas schwierig
durchzuführen, auszuwerten und zu interpretieren ist (vgl. Grabill et al., 2008). Darüber hinaus korrelierten die beiden OCI Gesamtskalen (Häufigkeit; Leidensdruck) hoch miteinander
(r = .92), worin sich eine gewisse Redundanz beider Skalen ausdrückt. Um diese praktischen
Nachteile des OCI zu beheben, entwickelten Foa et al. (2002) eine Kurzversion des Instrumentes, das Obsessive-Compulsive Inventory-Revised (OCI-R)1 . In einem ersten Schritt wurde die
Häufigkeitsskala eliminiert, da sie im Vergleich zu der anderen Gesamtskala (Leidensdruck)
eine geringere diskriminante Validität aufwies. In einem zweiten Schritt wurde für jede Subskala die Itemzahl faktorenanalytisch auf drei reduziert. Alle OCI-Skalen konnten repliziert
werden, mit Ausnahme der Subskala Zweifeln, die eine starke Konstruktüberlappung mit der
Skala Kontrollieren zeigte. In der abschließenden Hauptkomponentenanalyse mit PromaxRotation klärten die 18 Items des OCI-R 81% der Varianz auf. Das OCI-R besteht aus sechs
Subskalen, die jeweils mit 3 Items gemessen werden:
•
•
•
•
•
•
Waschen
Kontrollieren
Ordnen
Zwangsgedanken
Horten
Mentales Neutralisieren
Das OCI-R ist wesentlich kürzer und ökonomischer als das OCI, ohne dessen gute psychometrische Qualität einzubüßen. Jede Subskala umfasst drei Items, sodass die Symptomschwere in
einzelnen Zwangsdimensionen einfach und direkt miteinander vergleichbar ist. Ergebnisse
aus Untersuchungen zu den psychometrischen Eigenschaften und zur Validität aus internationalen Studien zum OCI-R werden in Kapitel 3 ausführlich dargestellt.
Die englischsprachige Version des OCI-R wurde durch zwei der Autoren (S.G., W.E.) ins
Deutsche übersetzt. Diese Übersetzung wurde von zwei weiteren Experten auf ihre Stimmigkeit hin überprüft. Eine unabhängige Rückübersetzung der deutschen Version ins Englische
wurde wiederum von den Autoren des englischsprachigen Originals autorisiert (vgl. Gönner,
Leonhart & Ecker, 2007). Auf fünf-stufigen Likertskalen (0 = gar nicht, 1 = wenig, 2 = mittel,
3 = stark und 4 = sehr stark) wird eingeschätzt, wie stark im vergangenen Monat die Beein1 Die Originalstichprobe bestand aus 97 Zwangspatienten, 57 Patienten mit generalisierter sozialer Phobie, 40 Patienten mit
posttraumatischer Belastungsstörung und 126 Kontrollpersonen ohne Angststörung.
11
trächtigung oder der Leidensdruck durch ein bestimmtes Zwangssymptom war. Ergebnisse
aus Untersuchungen zu den psychometrischen Eigenschaften und zur Validität der deutschen
Fassung des OCI-R werden in Kapitel 4 berichtet.
Im Folgenden sind die einzelnen Subskalen und die zugehörigen Items der deutschen Fassung
des OCI-R aufgelistet:
Waschen
Item 5 Es fällt mir schwer, einen Gegenstand anzufassen, wenn ich weiß, dass er schon
von Fremden oder von bestimmten Personen berührt wurde.
Item 11 Manchmal muss ich mich waschen oder reinigen, einfach weil ich glaube, verunreinigt oder verseucht zu sein.
Item 17 Ich wasche meine Hände öfter und länger als nötig.
Kontrollieren
Item 2Ich kontrolliere Dinge öfter als notwendig.
Item 8 Ich kontrolliere wiederholt Türen, Fenster, Schubladen etc.
Item 14 Ich kontrolliere wiederholt Gas-/Wasserhähne und Lichtschalter, nachdem
ich sie zu-/ ausgemacht habe.
Ordnen
Item 3
Item 9
Item 15
Ich werde unruhig, wenn Gegenstände nicht korrekt (an)geordnet sind.
Ich werde unruhig, wenn andere etwas daran ändern, wie ich die
Dinge (an)geordnet habe.
Für mich müssen Dinge in einer bestimmten Weise geordnet sein.
Zwangsgedanken
Item 6 Es fällt mir schwer, meine eigenen Gedanken zu kontrollieren.
Item 12 Ich fühle mich durch unangenehme Gedanken beunruhigt, die mir gegen
meinen Willen in den Sinn kommen.
Item 18 Ich bekomme häufig abscheuliche Gedanken und es fällt mir schwer, sie
wieder los zu werden.
Horten
Item 1
Item 7
Item 13
Ich bewahre so viele Gegenstände auf, dass sie mich behindern.
Ich sammle Dinge, die ich nicht brauche.
Ich vermeide es, Sachen wegzuwerfen, da ich Angst habe, ich könnte sie
vielleicht später noch brauchen.
Mentales Neutralisieren mit Zahlen2
Item 4 Bei vielen Aktivitäten fühle ich mich zum Zählen gezwungen.
Item 10 Ich fühle mich gezwungen, bestimmte Zahlen zu wiederholen.
Item 16 Ich glaube, dass es gute und schlechte Zahlen gibt.
2 Die Items dieser Subskala erfassen nicht das gesamte Spektrum mentaler Neutralisierungsverhaltensweisen, daher haben wir
uns entschieden, in der deutschen Fassung des OCI-R für diese Subskala die Bezeichnung „Mentales Neutralisieren mit Zahlen“
zu verwenden, die nach unserem Ermessen den Skaleninhalt präziser beschreibt (s. ausführlich Gönner et al., 2007).
12
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