Erdbebenkatastrophen in Lateinamerika

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Universität Göttingen
Plattentektonik und geophysikalische Exploration
Erdbebenkatastrophen in Lateinamerika
Lokale Besonderheiten und Maßnahmen
Joscha Tabet
bei
Prof. Dr. Karsten Bahr
3. Februar 2016
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
3
2 Lokale Gegebenheiten
2.1 Plattentektonik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.2 Weicher Boden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.3 Messung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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3
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6
3 Fallbeispiele
3.1 Caracas 1967 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.2 Peru 1970 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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6
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4 Übersicht
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5 Empfehlungen
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1 Einleitung
Lateinamerika, eine Region von bedeutender geographischer Größe und kultureller Wichtigkeit mit einer großen Bevölkerungszahl, rückt aufgrund der expandierenden Wirtschaft
und der Verbreitung des Internets auch den Bürgern Europas immer näher. Eine Bewegung geschieht nicht nur im übertragenen Sinn. Tatsächlich gehört die südamerikanische
Kontinentalplatte zu den aktivsten der Welt.
Das hat zur Folge, dass die Region, zusätzlich zur politischen und ökonomischen, auch
einer natürlichen Bedrohung, in Form von Erdbeben, ausgeliefert ist.
Es sind jedoch nicht alle Regionen gleichermaßen gefährdet. Brasilien, der größte Staat
des Kontinents ist beispielsweise weitgehend sicher vor Beben.
Diese Arbeit beschäftigt sich zum einen mit den lokalen Eigenheiten einiger Gebiete
Lateinamerikas, die Einfluss auf Erdbebenkatastrophen haben.
Zum anderen wird anhand einer kurzen Darstellung zweier großer Erdbeben (in Caracas
und Peru), neben einer Skizzierung der Zerstörung, ein besonderes Augenmerk auf die
zeitliche Entwicklung des Umganges mit der Erdbebengefahr geworfen.
Den Abschluss bilden Empfehlungen von Heriberta Castaños und Cinna Lomnitz für
die Erdbebenprävention.
Als Vorlage der gesamten Arbeit diente ihr Werk Earthquake Disasters in Latin America.
A Holistic Approach [Cas].
2 Lokale Gegebenheiten
Lateinamerika hat geographische Charakteristika die in Verbindung zu Erdbeben von
großer Bedeutung sind.
2.1 Plattentektonik
An der Westküste Lateinamerikas trifft die Südamerikanische Platte auf die Nazca-Platte
An der Westküste Lateinamerikas wird die Südamerikanische Platte über die NazcaPlatte geschoben. Diese Subduktion ist die Ursache der meisten dortigen Erdbeben.
Hierbei ist die relative Geschwindigkeit der Platten durchschnittlich 8 cm/yr. Das ist im
Kontext der Plattenbewegung eine sehr großer Wert. Er hilft, die große Erdbebengefahr in
Lateinamerika zu erklären, denn die Bewegung ist nicht kontinuierlich, sondern geschieht
meist ruckartig und geht mit einem Erdbeben einher.
Vor der Küste Venezuelas und Kolumbiens trifft die südamerikanische Platte außerdem
auf die karibische. Die hier stattfindenden tektonischen Prozesse sind variabler als beim
oben genannten Paar, denn es kommt häufiger zu Blattverschiebungen.
Abbildung 2.1 gibt einen Überblick über die Anordnung.
1
http://pubs.usgs.gov/gip/dynamic/slabs.html, abgerufen am 1.2.2016
3
Abbildung 2.1: Die Lithosphäre der Erde.1
2.2 Weicher Boden
Im Jahr 1835 erlebte Charles Darwin während seiner ersten Reise nach Amerika das
große Erdbeben in Chile.
In einem Wald, 300 km vom Epizentrum entfernt, machte er einige interessante Beobachtungen und war der erste Wissenschaftler, der vorschlug, Erdbeben könnten Meereswellen
ähnlich sein.
Er verglich sein Erlebnis mit der Bewegung die ein Eisläufer empfindet, wenn er über
dünnes Eis fährt, das sich unter seinem Körpergewicht verbiegt. Tatsächlich weiß man
heute, dass starke Vibration das Verhalten eines weichen Bodens stark verändert. Seine
Eigenschaften sind nun dem einer Flüssigkeit sehr ähnlich. So bewegt sich die Erdoberfläche nicht mehr auf retrograden Ellipsen, wie für Festkörper üblich, sondern auf prograden,
wie Meereswellen. Große Teile Lateinamerikas erfüllen diese Bedingung, da sie weiche
Bodenbeschaffenheit aufweisen.
Eine Welle ist retrograd, wenn die Winkelgeschwindigkeit eines (beliebigen) Bodenabschnitts ω
~ mit der Propagationsgeschwindigkeit ~v und dem Tangentialortsvektor ~z der
Erde (nach außen) ein Rechtssystem bildet. Bilden sie ein Linkssystem, ist die Welle
prograd.
Abbildung 2.2 veranschaulicht, wie retrograde Wellen Häuser stabilisieren. Auf prograden Wellen dagegen kippen Gebäude in Propagationsrichtung. Der Übergang zwischen
4
beiden ist in höchstem Maße nicht-linear und kann daher besonders großen Schaden
verursachen.
Abbildung 2.2: (a) Retrograde Wellen (in Gestein) neigen dazu Gebäude zu stabilisieren. (b) Prograde Wellen (in weichem Boden) bringen Gebäude aus
dem Gleichgewicht.2
Die „Weichheit“ des Bodens lässt sich mithilfe der Poissonzahl ν quantisieren. Üblicherweise definiert als das Verhältnis der relativen Längenänderung
ν=−
ε⊥
,
εk
(1)
lässt sie sich auch als Funktion des Verhältnisses der Geschwindigkeiten
R=
vSchall
vScherwelle
(2)
ausdrücken:
ν=
1,5R2 − 1
.
3R2 + 1
(3)
ν verläuft asymptotisch gegen 0,5. Je näher es diesem Wert kommt, desto ähnlicher ist
das Verhalten des jeweiligen Bodens dem von Wasser (νWasser = 0,5).
Typisches Gestein hat R ≈ 1,76 und ν ≈ 0,35. Der Schlamm von Mexiko-Stadt hat
das Verhältnis R = 30 und ν = 0,499.
Der weiche Boden ist eine der entscheidenden Ursachen für die vielen Todesopfer bei
Erdbebenkatastrophen in Lateinamerika. Jedoch stürzen bei weitem nicht alle hohen
Gebäude unter diesen Bedingungen zusammen. Bei dem Beben 1985 in Mexiko waren es
16%.
2
Sofern nicht anders vermerkt, sind alle Abbildungen aus [Cas] entnommen.
5
2.3 Messung
Aufgrund der schlechten Abdeckung mit seismischen Stationen, fehlen bei der Vorbereitung auf und Analyse von Erdbeben in Lateinamerika oft viele Informationen. So
verändert sich die berechnete Lage des Epizentrums in den ersten Minuten bis Stunden
häufig. Erste Schätzungen weichen oft um 50 km vom späteren Wert ab. In der Regel
werden über 12 Datensätze benötigt, um die Größe eines Erdbebens abzuschätzen. Davor
tendieren die Einschätzungen dazu, zu klein zu sein.
Weitere wichtige Parameter sind der entstandene Schaden und die Energie E des Erdbebens. Sie ergibt sich aus der Integration aller Aufzeichnungen über die Erdoberfläche.
Wenn nur wenige Informationen bekannt sind, ist es daher praktischer, mit der Magnitude
M zu arbeiten. In der Richterskala ist ihr Zusammenhang zur Energie
log10 E = 1,5M + 4,8.
(4)
Bei allen Messungen kommt es zu einem systematischen Fehler, da Erdbeben zwischen
einer kontinentalen und einer ozeanischen Platte entstehen. Die Messstationen jedoch
sind alle auf der kontinentalen Platte und nicht auf der ozeanischen.
3 Fallbeispiele
Anhand von Fallbeispielen werden spezifische Probleme deutlich, die bei Erdbeben in
Lateinamerika auftreten.
So war in Caracas 1967 vor allem die Architektur im Zusammenspiel mit dem Beben
Fatal.
3.1 Caracas 1967
Entlang der Küste Venezuelas verläuft die Grenze zwischen der südamerikanischen und
der karibischen Platte. Das Epizentrum des Erdbebens von 1967 lag vor der Küste
Venezuelas, 30 km westlich von Caracas. An diesem Segment des Plattenrandes kommt
es typischerweise nur zu rechtshändiger Blattverschiebung. Somit geht von hier keine
Tsunamigefahr aus. Trotz der vergleichsweise niedrigen Magnitude von 6,5 waren die
Schäden verheerend (siehe Abbildung 3.1). Es starben 240 Menschen.
Als die Gebäude entwickelt und gebaut wurden, hatte Caracas keine modernen Gesetze
und Ordnungen, die die Seismik berücksichtigten. Die Architektur in Lateinamerika
wurde stets einfach aus dem jeweiligen Ursprungs-/Einflussland in Europa oder den USA
übernommen. Dies änderte sich erst nach dem großen Erdbeben.
Pancaking ist ein für Stahlbetonbauten charakteristisches Versagen. Es ist häufig für Todesopfer verantwortlich, denn selbst wenn Menschen den unmittelbaren Zusammensturz
3
auf http://www.el-nacional.com/caracas/anos-imagenes-impactantes-terremoto-Caracas_0_6737326
63.html sind dieses und weitere Bilder der Schäden, abgerufen am 28.1.2016
6
Abbildung 3.1: Schäden nach dem Erdbeben in Caracas 19673
überleben, lassen sich die Steinplatten nicht ohne Gefährdung der darunter Begrabenen
anheben.
Bei dem Ereignis klappen die Stahlbetonplatten, wie in Abbildung 3.2 zu sehen,
übereinander. Es tritt auf, wenn Vertikalständer eines Gebäudes versagen und das Haus
Stockwerk für Stockwerk der Reihe nach zusammenbricht.4 .
Architektonische Anomalien konnten für die Bewohner von Caracas zum Verhängnis
werden. In Palos Grandes, einem gehobenen Viertel von Caracas, stand beispielsweise
ein 12-stöckiges Gebäude. Es wirkte wie ein einziges Haus, bestand aber in Wahrheit aus
einem alten und einem neuen, die sich ein Treppenhaus teilen. Aufgrund der Bauweise
hatten beide Teile unter Einfluss des Erdbebens verschiedene Vibrationsfrequenzen. Da
zwischen den Gebäudeteilen im Ruhezustand kein Abstand war, schlugen sie bei ihrer
unsynchronen Schwingung immer wieder gegeneinander. Das neuere Gebäude gab unter
den Zusammenstößen nach und kollabierte. Derartige versteckte Gefahren wurden damals
häufig übersehen.
Dies änderte sich mit der Einführung der Failure Mode & Effect Analysis (FMEA),
denn sie greift bereits in der Planungsphase neuer Gebäude ein. Nach den Katastrophen
von Caracas 1967 und Mexiko 1985 konnten viele Beispiele für Pancaking beobachtet
werden. Aus diesen Beobachtungen konnte man ableiten, wie Häuser geplant werden
müssten, um diese Versagensart zu vermeiden.
Bei einer FMEA werden die Geschichte, der Ort und die Verwendung des Gebäudes
4
http://www.nist.gov/el/disasterstudies/wtc/faqs_wtctowers.cfm, abgerufen am 22.1.16
7
Abbildung 3.2: Pancaking in der Stadt Ahmedabad nach dem Erdbeben von Gujarat,
Indien 2001
berücksichtigt. Das oben genannte Gebäude hätte an einem anderen Ort, wie etwa Buenos
Aires, sicheren Schutz geboten. Es gibt viele Möglichkeiten die seismische Belastbarkeit
eines bereits bestehenden Gebäudes zu vergrößern. So würde man bei dem oben genannten
Gebäude beispielsweise eine Flüssigkeitsdämpfung an den Stützstellen nachrüsten.
Man hat aus der Vergangenheit gelernt. Heutzutage sorgen in Caracas strenge Bauvorschriften dafür, dass alle Gebäude gegen Erdbeben gewappnet sind. Insbesondere wird die
Wichtigkeit dieser Maßnahmen von der Bevölkerung anerkannt, sodass ihre Einhaltung
nicht bloß auf dem Papier, sondern auch in der Realität gewährleistet ist.
1976 waren die Gebäude in Caracas Todesfallen. Wer hat dem Gesetz nach Schuld?
Betrachten wir einige typische Rechtsstreitigkeiten zwischen einem erdbebengeschädigten Kläger und einem Angeklagten (meist ein Bauunternehmer, Immobilienmakler,Konstrukteur oder sonstiger Ingenieur).
Die USA, welche mit ihren Urteilen und ihrer Gesetzgebung vielen amerikanischen
Ländern ein Vorbild sind, machten bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts den Angeklagten
nur haftbar, falls zwischen dem Kläger und dem Beschuldigten ein direkter Vertrag
bestand (es sei denn, ein Menschenleben war in unmittelbarer Gefahr).
Im Jahr 1916 sorgte die Entscheidung von Richter Benjamin Cardozo (MacPherson
gegen Buick Motor Co.) für eine Verschärfung zukünftiger Urteile. Sie besagte, dass
ein Hersteller haftpflichtig ist, wenn ihm bewusst ist, dass sein Produkt von anderen
Personen als dem Käufer ohne weitere Tests benutzt werden wird. Der Richter machte
jedoch die Einschränkung „There must be knowledge of a danger, not merely possible,
8
but probable“5 .
Im Allgemeinen wurde weiterhin die Verantwortung bei dem Geschädigten gesehen:
Es hieß, die gesetzliche Annehmbarkeit der technischen Gestaltung und Umsetzung
hänge von den lokalen Standards ab („that level or quality of service ordinarily provided by
other normally competent practitioners of good standing in that field, contemporaneously
providing similar services in the same locality and under the same circumstances.“)
(Paxton gegen County of Alameda).
Auch berechtige die Einstellung eines Ingenieurs nicht zu Schadensersatzleistungen
bei Nichterfüllung der Erwartungen („[when we hire an engineer] we purchase service,
not insurance.“). Im Urteil wurden Bauvorschriften nicht einmal erwähnt (Gagne gegen
Bertran).
Dieses vorherrschende System wird von Dennis Mileti kritisiert:
Pitting such hazard reduction adjustments against other, often conflicting,
powerful societal forces...[constrains] a more effective natural hazard adjustment [by allowing for] the decentralized character of the American system
with its long list of involved actors, the low salience of natural hazards on
most people’s agenda until a disaster happens, the limited resources available
for mitigation, and legal and economic constraints regarding restrictions on
land use... The prevailing paradigm foretells increasing frustration because
we have the knowledge to guide effective societal adjustment to natural hazards and we are informed about the societal constraints that impede our
action, but dollar losses continue to increase. A shift in perspective is needed.
Mileti, D. (1996) On the current U. S. natural hazards paradigm. In: Hassol,
S.; Katzenberger, J. (eds) Natural hazards and global change. Aspen, USA.
3.2 Peru 1970
Das Erdbeben von 1970 in Peru ist die größte Naturkatastrophe in der Geschichte
Lateinamerikas. Die Anzahl der Todesopfer ist unbekannt. Schätzungen gehen von bis
zu 100 000 aus. Es wurden 80% (186 000) aller Gebäude in der Region zerstört oder
unbewohnbar gemacht. Es wird vermutet, dass der Klimawandel für die Destabilisierung
des bei dieser Katastrophe zentralen Gletschers verantwortlich ist.
Am 31. Mai 1970 um 15:24 Uhr traf das Erdbeben mit Magnitude 7,9 Nordperu. Das
Epizentrum lag vor der Küste von Chimbote.
Der größte Schaden entstand im Tal des Río Santa, 100 km landeinwärts. Der Fluss
verläuft parallel zur Küstenlinie zwischen zwei Bergketten. Teil dieser Kette ist der Nevado
Huascarán. Mit etwa 6700 m Höhe ist er der höchste Berg Perus und der fünfthöchste
Südamerikas. Ein großer Teil des Berges wird von einem Gletscher bedeckt. Aufgrund
seiner extremen Höhe und Nähe zum Äquator, ist dieser instabil. So löste sich während des
5
Zitate in englischer Sprache belassen, um die Präzision zu wahren
9
Erdbebens ein über 1500 m langer Eisblock und begrub Yungay und Teile von Ranrahirca
(auf ca. 2500 m Höhe). Allein hier gab es über 18 000 Tote.
Die 50 bis 100 Millionen m3 Eis, Fels, Schnee und Erde legten, mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von ca. 300 km/h, 15 km auf dem Weg nach Yungay zurück [Pla].
Abbildung 3.3 zeigt einen der größten erhaltenen Felsen der Lawine.
Abbildung 3.3: Ein Fels aus Granodiorit, der mit der Gerölllawine vom Huascarán an
den westlichen Rand der Stadt Ranrahirca transportiert wurde. Der
Stab vor dem Fels ist 4 m hoch.
Die Nachbebenverteilung und das Fehlen eines Tsunamis lassen vermuten, dass das
Erdbeben durch Bewegung an einer oder mehreren Verwerfungen, 45 bis 65 km unter der
Erdoberfläche, verursacht wurde.
Abbildung 3.4(a) zeigt den Weg der Gerölllawine vom Gletscher bis nach Yungay. Auf
dem Bild wird deutlich wie das Eis eine so hohe Geschwindigkeit erreichen konnte.
(b) Hier traf die Lawine auf eine existierende Moräne. Ein Teil blieb zurück.
(c) Das Bild zeigt die Überreste von Yungay. Fast alles ist zerstört und von gelb
braunem Dreck überzogen. Die Überreste der Opfer konnten nicht geborgen werden.
Daher entschloss sich die Regierung, den Standort als Friedhof und Gedenkstätte zu
bewahren.
In dieser Gegend gab es schon früher verheerende Gerölllawinen.
Am 6. Januar 1725 forderte eine Lawine, die möglicherweise von einem Erdbeben
verursacht wurde, 1500 Todesopfer in Yungay.
6
Servicio Aerofotográfico del Perú und U.S Geological Survey
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Abbildung 3.4: (a) Luftaufnahme des Huascarán Gletschers. (b) Die Lawine staute sich und überströmte die Moräne (links) und überdeckte Yungay
(Vordergrund). (c) Die Stadt Yungay nach der Katastrophe.6
Eineinhalb Jahrhunderte später, am 12. Januar 1962, floss Geröll vom Nevado Huascarán und verfehlte Yungay nur knapp. Dieses Mal tötete die Lawine ca. 3000 Menschen
im benachbarten Ranrahirca.
4 Übersicht
Die folgende Liste (Abbildung 4.1) gibt einen Überblick über die Erdbebengefahr in
Lateinamerika.
Sie zeigt 19 signifikante Erdbeben aus der Zeit von 1906 bis 2010.
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Abbildung 4.1: Signifikante Erdbeben in Lateinamerika, 1906-2010
Die Tabelle ist nicht mustergültig, denn die Definition von „signifikanten Erdbeben“
variiert von Land zu Land. Es wird deutlich, dass Lateinamerika eine vielfältige Region
mit großem seismischen Risiko ist.
Die folgenden 20 Länder bzw. Regionen sind gefährdet und müssen sich aktiv auf
Erdbeben vorbereiten: Argentinien (Westen), Bolivien, Chile, Kolumbien, Costa Rica,
Kuba (Osten), Dominikanische Republik, Ecuador, El Salvador, Französisch-Guayana,
Guadeloupe, Guatemala, Haiti, Martinique, Mexiko (Westen und zentral), Nicaragua,
Panama, Peru, Puerto Rico, und Venezuela (Norden).
Einige bedeutende Länder bzw. Regionen fehlen in dieser Aufzählung: Argentinien
(Osten), Brasilien, Paraguay, Uruguay, und Venezuela (Süden). Das heißt jedoch nicht,
dass hier keinerlei Erdbebenrisiko besteht, denn in ganz Lateinamerika gibt es Intraplattenaktivität. Allerdings liegt das Innere der südamerikanischen Platte zu großen Teilen
auf Kraton.
Kraton ist die Bezeichnung für die Kerngebiete der Kontinente aus dem Präkambrium.
Sie sind sehr stabil und wirken demnach als eine Art tektonischer Schild. Abbildung 4.2
zeigt die geologischen Provinzen Amerikas. Das Kraton ist orange hinterlegt.
7
bearbeitet nach http://earthquake.usgs.gov/data/crust/maps.php, abgerufen am 1.2.2016
12
Abbildung 4.2: Karte der geologischen Provinzen Amerikas7
5 Empfehlungen
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sich seit den Erdbebenkatastrophen des letzten
Jahrhunderts in der Prävention bereits viel verbessert hat. Insbesondere die neuen
Bauvorschriften tragen sehr zur Sicherheit bei. Allerdings ist der Umgang mit Erdbeben
in Lateinamerika noch verbesserungsfähig.
Diesbezüglich legen Heriberta Castaños und Cinna Lomnitz [Cas] folgende Empfehlungen vor:
Trotz ihrer Seltenheit sollten megaquakes die Bevölkerung nicht unvorbereitet treffen. Bei
ihrer Erforschung solle erfinderischer vorgegangen werden. Etwa könne eine Beobachtung
aus der Luft wenige Stunden nach der Auslösung zu neuen Erkenntnissen führen.
Ferner heißt es, die internationale Unterstützung sei ausbaufähig. Einst organisierte
und sponserte die UNESCO Notfall-Missionen nach dramatischen Erdbeben in Lateinamerika. Es gab eine Zusammenarbeit mit lokalen Experten und nach Absprache mit
den jeweiligen Regierungen konnte in zwei bis drei Tagen Hilfe ankommen. Heutzutage
fehle ein so gut organisiertes Programm.
Beim Bau hoher Stahlbetongebäude solle darauf geachtet werden, dass der Boden nicht
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zu weich ist. Sie sollten stets im Ortstein verankert sein.
Interdisziplinäre Studien von Katastrophen sollten an den größten Universitäten Lateinamerikas eingerichtet werden. Es bestehe ein großer Bedarf dafür. Die Zusammenarbeit
zwischen Regierungen, der Geschäftswelt, der höheren Bildung und ideenreicher Forschung solle vor allem zu einer guten Beratung der Entscheidungsträger führen.
In diesem Zusammenhang beklagen sie auch die Vernachlässigung der Sozialwissenschaften
bei der Entscheidungsfindung. Diese könnten als Bindeglied zwischen den Geowissenschaften und der Gesellschaft fungieren, auch, indem sie den Einfluss neuer Gesetze und
Vorgaben auf die Bevölkerung untersuchen, und in jedem Fall zu einer hollistischeren
Perspektive führen.
Im Rahmen der Physik weicher Materie sollten transelastische Phänomene untersucht
werden. Wenn, wie in Kapitel 2 angesprochen, die Erde - ein granulares Material - stark
vibriert, nehmen die bindenden Kräfte ab und die Gravitation nimmt die Rolle der
wiederherstellenden Kraft bei der Wellenausbreitung an. Dieser Übergang könne auf
weichem Grund zu großen Schäden führen und müsse tiefgründiger erforscht werden.
Literatur
[Cas] Castaños, H. und Lomnitz, C. (2012). Earthquake disasters in Latin America.
Dordrecht: Springer.
[Pla] Plafker, G. et. al. (1971). Geological Aspects of the May 31, 1970 Peru Earthquake.
Bulletin of the Seismological Society of America Vol. 61.
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