ChristinaStraussDissertation.

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Evaluation der Messmethoden für die Größenbestimmung von
Vestibularis - Schwannomen. Korrelation der präoperativen Volumetrie mit
den operativen Therapieergebnissen.
Der Medizinischen Fakultät aus der Abteilung für Neuroradiologie
des Universitätsklinikums Erlangen
der Friedrich – Alexander - Universität
Erlangen – Nürnberg
zur Erlangung des Doktorgrades Dr. med.
Vorgelegt von
Catharina Strauss
aus
Erlangen
Als Dissertation genehmigt von der
Medizinischen Fakultät der Friedrich-Alexander-Universität
Erlangen-Nürnberg
Vorsitzender des Promotionsorgans: Prof. Dr. med. Dr. h.c. Jürgen Schüttler
Gutachter:
Prof. Dr. med. Tobias Engelhorn
Gutachter:
Prof. Dr. med. Oliver Ganslandt
Tag der mündlichen Prüfung:
04. Oktober 2013
Inhaltsverzeichnis
1. Zusammenfassung ............................................................................................... 1
1.1
Deutsche Fassung .......................................................................................... 1
1.1.1
Hintergrund und Ziele .............................................................................. 1
1.1.2
Methoden (Patienten, Material, Untersuchungsmethoden) ...................... 1
1.1.3
Ergebnisse .............................................................................................. 1
1.1.4
Schlussfolgerungen ................................................................................. 2
1.2
Englische Fassung ......................................................................................... 3
1.2.1
Purpose ................................................................................................... 3
1.2.2
Materials and methods ............................................................................ 3
1.2.3
Results .................................................................................................... 3
1.2.4
Conclusion............................................................................................... 4
2.
Einleitung .............................................................................................................. 5
3.
Fragestellung ........................................................................................................ 9
4.
Patienten und Methoden ..................................................................................... 10
4.1
Patienten ...................................................................................................... 10
4.2
Klinische Untersuchungsmethoden............................................................... 10
4.2.1
Facialis-Funktion ................................................................................... 10
4.2.2
Funktion der kranial und kaudal gelegenen Hirnnerven ......................... 11
4.2.3
Audiometrie ........................................................................................... 11
4.3
5.
Bildgebende Verfahren ................................................................................. 11
Ergebnisse .......................................................................................................... 24
5.1
Klinische Ergebnisse .................................................................................... 24
5.1.1
Facialis-Ergebnisse ............................................................................... 24
5.1.2
Hörergebnisse ....................................................................................... 27
5.1.3
Beteiligung anderer Hirnnerven ............................................................. 30
5.2
Radiologische Ergebnisse ............................................................................ 32
5.2.1
Volumetrie ............................................................................................. 32
5.2.2
Volumenschätzung/ 3 ............................................................................ 40
5.2.3
Volumenschätzung/ 2 ............................................................................ 42
5.2.4
Zusammenfassung Volumenschätzung ................................................. 43
6.
Diskussion .......................................................................................................... 44
7.
Literaturverzeichnis ............................................................................................. 52
8.
Abkürzungsverzeichnis ....................................................................................... 57
9.
Anhang ............................................................................................................... 58
9.1
Abbildungsverzeichnis .................................................................................. 58
9.2
Tabellenverzeichnis ...................................................................................... 59
10. Danksagung ........................................................................................................ 60
1
1.
Zusammenfassung
1.1
1.1.1
Deutsche Fassung
Hintergrund und Ziele
Hintergrund: Vestibularis-Schwannome (VS) sind benigne Tumore, die von den
Schwann'schen Zellen des vestibulären Anteils des VIII. Hirnnerven ausgehen. Diese
können operativ, strahlentherapeutisch oder konservativ („wait and scan“) behandelt
werden. Chirurgische und radioonkologische Ergebnisse werden anhand funktioneller
Hirnnervenresultate bei entsprechenden Tumorgrößen evaluiert. Beide Verfahren sind
nur unzureichend vergleichbar, da bislang keine einheitlichen fachübergreifenden
Kriterien für die Größenangabe der Tumoren erarbeitet sind.
Ziel: Die Bedeutung der Volumetrie für das Abschätzen des postoperativen
funktionellen Outcomes bei Vestibularis-Schwannomen soll im Vergleich mit der
chirurgisch verwendeten Klassifikation nach Koos ausgearbeitet werden. Zudem soll
untersucht werden, ob sich die Formeln nach Gebel und Huttner dazu eignen, das
Tumorvolumen abzuschätzen. Beide Formeln werden primär verwendet, um das
Ausmaß einer intrakraniellen Blutung volumetrisch zu erfassen.
1.1.2
Methoden (Patienten, Material, Untersuchungsmethoden)
Es wurde eine retrospektive Studie mit 100 Patienten durchgeführt. Mithilfe von MRTSequenzen wurde der intra- und extrameatale Tumoranteil nach Koos klassifiziert,
volumetriert und die maximale Ausdehnung des Tumors in drei Ebenen vermessen.
Das Tumorvolumen wurde mithilfe der von Gebel et al. ABC/2-Formel [19] und der
ABC/3-Formel [27] geschätzt. Die Funktion des N. facialis wurde anhand der HouseBrackmann-Skala prä-und postoperativ nach sechs Monaten bewertet.
1.1.3
Ergebnisse
Koos-Klassifikation und Volumetrie korrelieren sehr gut miteinander (r=0,91, p<0,01**).
Zudem unterscheiden sich die Volumina der einzelnen Koos-Grade signifikant
voneinander (p<0,05*) mit Ausnahme von Koos 1 gegen Koos 2. VS Grad 1 nach Koos
umfassen Werte von 0,132 bis 0,392 cm³ (Median 0,210 cm³). Diese Tumoren erzielen
zu 100% House-Brackmann-Grad 1. Bei VS Grad 2 finden sich Volumina zwischen
0,107 bis 1,104 cm³ (Median 0,406 cm³). Die Facialisergebnisse erreichen in 71,4%
der Fälle Grad 1 und in 28,6% Grad 2. Grad 3 VS erreichen Volumina von 0,737 bis
4,640 cm³ (Median 1,565 cm³). 50% dieser Tumoren erzielen postoperativ Grad 1,
35,7% Grad 2 und 14,3% Grad 3 nach der House-Brackmann-Klassifikation. VS Grad
4 nach Koos zeigen Werte zwischen 2,960 und 33,244 cm³ (Median 7,526 cm³). Das
2
funktionelle Outcome des Nervus facialis beträgt bei 37,5% der Patienten Grad 1, bei
25% Grad 2, bei 27,5% Grad 3 und bei 10% Grad 4.
Die geschätzten Volumina korrelieren sehr gut mit den tatsächlich gemessenen
Volumina (r=0,96, p<0,01**). Die Formel ABC/2 eignet sich dabei marginal besser als
die Formel ABC/3 (r=0,95, p<0,01**).
Das Tumorvolumen kann als prädiktiver Faktor für das postoperative Facialis-Ergebnis
verwendet werden. Volumina >5,6 cm³ erzielen schlechtere Facialis-Ergebnisse als
kleinere Tumore.
1.1.4
Schlussfolgerungen
Die Volumenschätzung mittels der ABC/2 Formel eignet sich sehr gut, um das
Tumorvolumen zu bestimmen. Diese Schätzung ist klinisch einfach und schnell
durchzuführen und ermöglicht eine rasche und zuverlässige Vergleichbarkeit der
strahlentherapeutischen und chirurgischen Behandlungsergebnisse. Patienten können
mittels der Volumetrie individuell auf ihre zu erwartenden Facialis-Ergebnisse
vorbereitet werden. Die Einführung von Publikations-Standards ist unverzichtbar, um
die verschiedenen therapeutischen Optionen beim Vestibularis-Schwannom endlich
ergebnisorientiert vergleichen zu können. Die von Bassim et al vorgeschlagenen
Standards für Publikationen über Vestibularis-Schwannome [5] sollten eingeführt
werden.
3
1.2
1.2.1
Englische Fassung
Purpose
Vestibular schwannomas (VS) are benign tumors emerging from the glia cells which
cover the vestibular part of the 8th cranial nerve. These tumors can be treated
surgically, stereotactically or be managed conservatively (“wait and scan”). Treatment
results are evaluated by the functions of the cranial nerves. Surgical and radiation
treatment can not be easily compared with each other as there do not exist standard
ways of measuring the volume of these tumors.
The purpose of this study is to evaluate the meaning of volumetry concerning the
functional outcome in comparison to the surgical classification system of Koos. In
addition the formulas of Gebel and Huttner are tested to estimate the volume of these
tumors. Both formulas are normally used to detect the extent of an intracranial
haemorrhage.
1.2.2
Materials and methods
In a retrospective study the MRIs of 100 patients with a vestibular schwannoma were
analyzed. The intra- and extrameatal extent of the tumor was evaluated as well as the
maximum extent of the tumor in all three dimensions. The tumors were also classified
according to the Koos classification.
The tumor volume was estimated with the ABC/2 formula of Gebel et al. and with the
formula ABC/3. The function of the 7th cranial nerve was pre- and six months
postoperatively evaluated according to the House- Brackmann classification system.
1.2.3
Results
The correlation between the Koos classification and the volumetry is significant (r=0.91,
p<0.01**). The single categories of the classification differ significantly except for
category Koos 1 versus category Koos 2. VS Koos 1 reach from 0.132 to 0.392 cm³
(median 0.210 cm³). These tumors have an excellent postoperative outcome (100%
House-Brackmann level 1). VS Koos 2 show volumes between 0.107 cm³ to 1.104 cm³
(median 0.406 cm³). The facial nerve function gains level 1 in 71.4% and level 2 in
28.6% of the cases. The volume of VS Koos 3 is found between 0.737 and 4.640 cm³.
50% of these patients showed level 1 facial function, 35.7% level 2 and 14.3 % level 3
of the House- Brackmann classification. VS Koos 4 have a volume of 2.960 to 33.244
cm³ (median 7.526 cm³). The facial nerve function is level 1 in 37.5%, level 2 in 25%,
level 3 in 27.5% and level 4 in 10% of the cases.
The estimated volumes correlate significantly with the real volume (r=0.96, p<0.01**).
The formula ABC/2 is slightly better than the formula ABC/3 (r=0.95, p<0.001**). The
4
volume of the tumor can be used as a predictive factor for the postoperative function of
the facial nerve. A volume > 5.6 cm³ results in significantly worse facial nerve outcome
compared to a smaller volume.
1.2.4
Conclusion
The estimation of the tumor volume via the ABC/2 formula is reliable, can be done
easily and quickly and enables a trustworthy comparison of the different treatment
options. Based on the results of the volumetry patients can be prepared for their
individual risk of potential facial nerve damage. The implementation of publications
standards is essential to finally enable a result orientated comparison of the different
therapeutic options concerning vestibular schwannomas. The standards claimed by
Bassim et al should be introduced.
5
2.
Einleitung
Vestibularis-Schwannome sind benigne, intrakranielle Tumore, die von den NeurogliaZellen des vestibulären Anteils des VIII. Hirnnerven, dem N. vestibulocochlearis,
ausgehen. Diese Tumore wachsen verdrängend im Meatus acusticus internus und im
Kleinhirnbrückenwinkel und bestehen histologisch aus Neuroglia, den Schwann‘schen
Zellen. Der Begriff Akustikusneurinom hat sich im alltäglichen Klinikgebrauch etabliert,
da die Patienten häufig über Hörbeeinträchtigungen klagen, ist aber streng genommen
nicht korrekt. Deswegen wird in dieser Arbeit der anatomisch korrekte Terminus
„Vestibularis-Schwannom“ (VS) verwendet.
In den meisten Fällen treten Vestibularis-Schwannome einseitig auf, bilaterale Tumoren
gelten als typische Manifestation einer Neurofibromatose Typ II.
Die Inzidenz von Vestibularis-Schwannomen wird aktuell mit 19,4 pro Million
Einwohner angegeben [43]. Damit zählen diese Tumore zu den häufigsten
Hirntumoren. Die Inzidenz ist in den letzten Jahren angestiegen [47] und es wird
diskutiert, ob dabei der zunehmende Gebrauch von Mobiltelefonen eine Rolle spielen
könnte [21]. Auch die weit verbreitete Verfügbarkeit der modernen MRT-Bildgebung
wird als mögliche Ursache der erhöhten Inzidenz diskutiert.
Vestibularis-Schwannome äußern sich mit folgenden typischen Leitsymptomen:
−
rezidivierende Hörstürze
−
asymmetrische und zunehmende Hörminderung
−
Tinnitus
−
Schwankschwindel (mit Fallneigung zur betroffenen Seite)
−
Drehschwindel.
Als Zeichen der Beeinträchtigung anderer Hirnnerven treten vor allem FacialisParesen, Parästhesien der Hautäste des N. trigeminus sowie Schluckstörungen bei
Kompression der weiter kaudal gelegenen N. glossopharyngeus und N. vagus auf.
Bildgebende Verfahren sind seit jeher der Goldstandard in der Diagnostik eines
Vestibularis-Schwannoms. Seit den 70er Jahren können diese Tumoren mithilfe eines
CT und intravenöser Kontrastmittelgabe direkt dargestellt werden. Rein intrameatale
Tumoren waren jedoch mit diesem Verfahren kaum abbildbar. Den entscheidenden
Durchbruch in der Diagnostik brachte die Einführung der Bildgebung mittels
Magnetresonanztomographie (MRT). Mithilfe von hochauflösenden Sequenzen können
die Tumoren in ihrer Ausdehnung exakt dargestellt werden. Zudem stellt dieses
strahlenfreie Verfahren eine nebenwirkungsarme diagnostische Maßnahme für den
Patienten dar.
Seit über einem Jahrhundert versuchen Ärzte Patienten mit einem VestibularisSchwannom zu therapieren. Bereits 1894 wurde erstmals über eine operative Therapie
mit einer Mortalität von 80% berichtet [4]. 1917 gelang es Cushing die Mortalitätsrate
6
dieser Operation auf 11% zu senken [11].
Aktuell bestehen bei der Therapie der Vestibularis-Schwannome drei etablierte
Behandlungsoptionen:
−
konservativer „wait and scan“ Therapieansatz, vor allem bei älteren Patienten
−
chirurgische Tumorentfernung
−
radiotherapeutische Behandlung (Radiochirurgie, stereotaktische Bestrahlung).
Das Wissen um die Unterschiede dieser Therapieoptionen stellt für den Patienten eine
wichtige Entscheidungsgrundlage dar und wird im Folgenden kurz erläutert.
Das sogenannte „wait and scan“-Verfahren hat sich aus der flächendeckenden
Einführung der MR- Diagnostik ergeben. Mehrere Langzeitstudien belegen, dass viele
Vestibularis- Schwannome ein nur langsames (1 mm/Jahr) oder auch über Jahre kein
Wachstum zeigen und somit keiner Behandlung bedürfen [42], [7], [3]. Zunächst
werden halbjährlich Hörtests und MR-Untersuchungen durchgeführt. Im späteren
Verlauf wird der Kontrollzeitraum auf ein Jahr ausgedehnt. Die Methode eignet sich vor
allem für inoperable Patienten, Patienten mit Komorbiditäten, sehr kleine Tumore oder
Tumore mit geringer Wachstumstendenz. Auch für Patienten mit Neurofibromatose Typ
II wird dieses Verfahren gehäuft angewendet, da die Gefahr des Hörverlusts durch das
bilaterale Tumorauftreten deutlich erhöht ist.
Seit
Mitte
der
90er
Jahre
haben
sich
Bestrahlungsverfahren
als
Behandlungsalternative vor allem bei kleinen Tumoren und/ oder inoperablen Patienten
etabliert.
Eine
Radiatio
kann
einmalig
(radiochirurgisch)
oder
mehrmalig
(radiotherapeutisch) mit konventionellen Röntgenstrahlen oder Gamma Strahlen
erfolgen.
Die chirurgische Tumorentfernung weist unbestreitbare Vorteile wie beispielsweise
lange Beobachtungszeiträume und niedrige Rezidivraten vor. Es stehen drei
verschiedene Zugangswege zur Option:
−
translabyrinthär
−
transtemporal
−
suboccipito-lateral/ retrosigmoidal.
Der translabyrinthäre Zugang wird vor allem in der HNO-Chirurgie bei Patienten mit
präoperativer Taubheit genutzt, da das Hören nicht erhalten werden kann. Der Vorteil
dieses Zugangs besteht darin, dass der Fundus des inneren Gehörganges vollständig
einsehbar ist und somit ein geringeres Risiko für eine Subtotalresektion und ein Rezidiv
besteht.
Die Hörfunktion kann hingegen bei den transtemporalen und suboccipitalen
Zugangswegen erhalten werden. Beide Zugänge bieten dem Patienten zudem eine
hohe Wahrscheinlichkeit für ein gutes Facialis-Ergebnis [24]. Unterstützt werden die
7
funktionellen
Bemühungen
durch
den
Einsatz
des
intraoperativen
neurophysiologischen Monitoring.
Im
Vergleich
zwischen
Operation
und
Radiotherapie
ist
das
Rezidivrisiko
beziehungsweise eine Wachstumsprogression bei operativer Entfernung geringer [45],
[36], da operative Verfahren grundsätzlich einen kurativen Ansatz verfolgen, während
radiotherapeutische Verfahren nur den Anspruch auf Tumorkontrolle erheben können.
Neben der Art des Zugangs spielt für den Erfolg der Operation auch die Erfahrung des
Operateurs eine große Rolle. Zudem ist auch die Größe des Tumors von Bedeutung
für das funktionelle postoperative Outcome der Hirnnerven. Veröffentlichungen zufolge
ist bei kleineren Tumoren ein besseres postoperatives Ergebnis für Komorbiditäten wie
Facialis-Paresen wahrscheinlich [15]. Die Autoren ermittelten einen Grenzwert für
Vestibularis-Schwannome, jenseits dessen die Facialis-Ergebnisse deutlich schlechter
(House-Brackmann-Grad 4 bis 6) werden. Tumore, die im maximalen extrameatalen
Durchmesser >2cm umfassen, zeigen schlechtere Ergebnisse.
Zu den häufigsten perioperativen Komplikationen zählen Liquorrhoe, Facialis-Parese,
Parese der kaudalen Hirnnerven, Hydrozephalus und bakterielle Meningitis [8]. Die
Mortalität wird inzwischen unter 1% angesetzt. Durch Monitoring und bessere
perioperative Überwachung findet sich auch bei größeren Tumoren ein sehr geringes
Morbiditätsrisiko. Die Größe des Tumors korreliert dabei mit dem postoperativem
Outcome der Hirnnerven VII und VIII [40].
Seit den 90er Jahren ermöglichen die technischen Fortschritte der Radioonkologie eine
dritte Behandlungsoption gegenüber der operativen Tumorentfernung und des „wait
and scan“-Verfahrens. Vestibularis-Schwannome können auch bestrahlt werden.
Entweder
erfolgt
die
Bestrahlung
in
mehreren
Sitzungen
(stereotaktische
Radiotherapie) oder einmalig (gamma-knife-Verfahren).
Prinzipiell ist bei dieser Art der Behandlung ein Hörerhalt möglich. Bei der
Radiochirurgie wird die gesamte Strahlendosis einmalig auf den Tumor appliziert.
Diese hochdosierte Applikation kann entweder aus mehreren Kobalt-Quellen (gammaknife) erfolgen oder aus einem Linearbeschleuniger.
Die Strahlendosis wird bei der stereotaktischen Radiotherapie auf mehrere Sitzungen
verteilt. Von dieser Aufteilung der Gesamtdosis erhofft man sich geringere
Nebenwirkungen
vor
allem
bezüglich
vorübergehender
nervaler
Funktionseinschränkungen. Eine Reduktion der Gesamtdosis auf < 13 Grey ermöglicht
in 51% der Fälle einen Hörerhalt, wie eine umfangreiche Metaanalyse ergab [50].
Bei den Bestrahlungsverfahren finden sich unter den Komplikationen vor allem
Hörminderung, Facialis-Paresen, Trigeminus-Neuropathie und Hydrozephalus [34].
8
Zudem sind verspätete Hirnnervenausfälle beschrieben worden [46] und insbesondere
eine transiente, zum Teil über Jahre anhaltende, Volumenvermehrung mit den
entsprechenden psychischen Folgen für den Patienten [35].
Der größte Nachteil der Strahlentherapie besteht zweifelsohne darin, dass aktuell noch
keine Langzeitdaten über die fragliche Entwicklung von Zweitmalignomen aufgrund von
Radiotoxizität existieren.
Bei Patienten mit Neurofibromatose Typ II wird aktuell der Einsatz von monoklonalen
Antikörpern gegen VEGF (vascular endothlial growth factor) als Therapiealternative
getestet [33].
Aktuell liegen keine belastbaren Daten für die Therapie der Wahl bei der Behandlung
eines Vestibularis-Schwannoms vor. Nicht einmal für die Entscheidung zwischen einem
operativen Eingriff oder einer radiotherapeutischen Behandlung stehen Richt- oder
Leitlinien zur Verfügung. Diese Entscheidung wird zudem dadurch erschwert, dass
radiotherapeutische und chirurgische Therapieansätze kaum miteinander vergleichbar
sind, da sich Radiotherapeuten primär am Tumorvolumen, Chirurgen eher an der
anatomischen Ausbreitung des Tumors orientieren. Somit ist der Vergleich der
funktionellen Ergebnisse bei sich entsprechenden Tumorgrößen nicht möglich. Dazu
kommt, dass selbst die funktionellen Ergebnisse für den Hörerhalt sowohl intra- also
auch interdisziplinär nach unterschiedlichen Klassifikationen erfolgt. Lediglich die
Funktion des VII. Hirnnervens, des N. facialis, wird mittlerweile weitgehend einheitlich
nach der House-Brackmann-Klassifikation bewertet, wobei keine Übereinstimmung
bezüglich eines guten oder eines unzufrieden stellenden Ergebnisses besteht [5].
Forderungen
nach
Einführung
von
einheitlichen
Bewertungskriterien
in
Veröffentlichungen über Vestibularis-Schwannome sind somit nur zu berechtigt [5].
Die vorliegende Arbeit versucht eine solche Vergleichbarkeit zwischen den Angaben
und Ergebnisse von Strahlentherapeuten und Chirurgen zu erarbeiten, denn die
Ergebnisse der verschiedenen Therapieverfahren müssen vergleichbar sein, um die
Entscheidung für oder gegen eine Therapieform zu begründen.
9
3.
Fragestellung
Vestibularis-Schwannome können sowohl operativ als auch strahlentherapeutisch
behandelt werden. Von chirurgischer Seite aus werden die Tumoren nach den
Klassifikationen von Koos und/oder Samii eingeteilt, während die Radiotherapeuten
sich vor allem am Tumorvolumen orientieren.
Der Erfolg der Behandlung misst sich bei beiden Verfahren am funktionellen Outcome
der Hirnnerven. Hierbei werden sowohl die Funktionsfähigkeit des N. vestibularis und
des N. facialis evaluiert als auch die Funktion der kranial und kaudal vom Tumor
gelegenen V., VI., IX. und X. Hirnnerven.
Durch die unterschiedliche Größeneinteilung ist es aber dennoch kaum möglich, die
beiden Verfahren und deren Outcome miteinander zu vergleichen und objektiv zu
beurteilen.
Dabei sollen insbesondere die folgenden Fragen geklärt werden:
1. Kann mithilfe der volumetrischen Erfassung von Vestibularis- Schwannomen
ein Maßstab gefunden werden, der den Einteilungen nach Koos ein
volumetrisches Äquivalent zuordnet und somit beide Therapieverfahren
vergleichbar macht?
2. Lassen sich volumetrische Grenzwerte herausarbeiten, die eine Aussage über
die potentielle postoperative Facialis-Funktion treffen können?
3. Eignen sich die Formeln zur Volumen-Schätzung von intrakraniellen Blutungen
auch zur zuverlässigen Volumen-Schätzung von Vestibularis- Schwannomen?
10
4.
Patienten und Methoden
4.1
Patienten
Es wurde eine retrospektive Studie durchgeführt, in die Patienten aufgenommen
wurden, die im Zeitraum von Juni 2001 bis Juni 2010 an einem VestibularisSchwannom von einem Operateur behandelt wurden und bei der entsprechende, für
die Tumorgrößenbestimmung notwendigen, MRT-Untersuchung und funktionelle
Ergebnisse vorlagen. Der postoperative Beobachtungszeitraum betrug bei allen
Patienten mindestens sechs Monate. Vorbehandelte (bestrahlte und/oder operierte)
Patienten wurden von der Studie ausgeschlossen.
Insgesamt wurden 100 Patienten in das Studienkollektiv aufgenommen:
Geschlecht:
58 weiblich, 42 männlich
Durchschnittsalter:
50,39 (20-75 Jahre)
Tumorlokalisation:
44 linker Kleinhirnbrückenwinkel
56 rechter Kleinhirnbrückenwinkel
Bei 2 der 100 Patienten lag eine Neurofibromatose Typ II vor.
4.2
Klinische Untersuchungsmethoden
4.2.1
Facialis-Funktion
Der Funktionsverlust des siebten Hirnnervens stellt eine häufige Komorbidität von
Vestibularis-Schwannomen dar. Die Funktion des Nervus facialis wird nach der HouseBrackmann-Klassifikation (HB) [26] eingeteilt:
Grad I
normale Funktion
Grad II
normaler Ruhetonus, diskrete Synkinesien, bei Innervation minimale
Asymmetrie
Grad III
normaler Ruhetonus, sichtbare Synkinesien, Kontraktur, hemifacialer
Spasmus, bei Innervation deutliche, nicht entstellende Asymmetrie
Grad IV
normaler Ruhetonus, bei Innervation ausgeprägte, entstellende
Asymmetrie, Augenschluss nicht möglich
Grad V
verminderter Ruhetonus, ohne Innervation Asymmetrie, mit Innervation
minimale Bewegung, Augenschluss nicht möglich
Grad VI
Paralyse
11
4.2.2
Funktion der kranial und kaudal gelegenen Hirnnerven
Vestibularis-Schwannome können auch Hirnnerven, die kranial (N.V, N. VI) und kaudal
(N.IX, N.X) des Kleinhirnbrückenwinkels ihren Ursprung haben, in ihrer Funktion
beeinträchtigen. So finden sich Hypästhesien des trigeminalen Komplexes, AbducensParese, Schluckstörungen (N.vagus und N.glossopharyngeus).
Die Funktion dieser Nerven wurde präoperativ, postoperativ und bei jeder
Kontrolluntersuchung klinisch ohne Klassifikationsmerkmale erfasst.
4.2.3
Audiometrie
Die audiologischen Untersuchungen wurden an der Hals-Nasen-Ohren-Klinik der
Universität Erlangen-Nürnberg (Direktor: Prof. Dr. med. H. Iro) und an der Hals-NasenOhren-Klinik des Universitätsklinikums Halle (Saale) (Direktor: Prof. Dr. med.habil.
Stefan Plontke) durchgeführt. Bei der Einteilung der Patienten in die Hörklassen A-D
und Surditas folgte man einem modifizierten Schema der American Academy of
Otolaryngology- Head and Neck Surgery (AAO-HNS) [1].
Hörklasse
Tonhörvermögen
Sprachdiskrimination
A
<30 dB
>70%
B
>30 dB <50 dB
>50%
C
> 50 dB
>50%
D
jedes Niveau
<50%
Ds
surditas
0
Tabelle 1: Hörklassen nach der modifizierten Einteilung der American Society of
Otolaryngology- Head and Neck Surgery
D s wurde bei jeder vollständigen Ertaubung vergeben (z.B. bei intraoperativer
Durchtrennung des N. vestibularis).
Berechnung des Ton-Hörvermögens: Die Hörverlustwerte in dB bei den Frequenzen
500, 1000, 1500 und 2000 Hz werden addiert und durch 4 dividiert, um den
Durchschnittswert und somit den PTA zu erhalten (PTA = pure tone average).
4.3
Bildgebende Verfahren
Die Bildgebung mit MRT in Kombination mit intravenöser Kontrastmitttelgabe
(Gadolinium) gilt bei der Diagnostik von Vestibularis-Schwannomen als Goldstandard
[25], (vergleiche Abbildung 3, S.14 als Beispiel).
Für die Planung operativer oder radiotherapeutischer Verfahren spielt die genaue Lage
12
des Tumors und die Lagebeziehung zu den angrenzenden kranial beziehungsweise
kaudal gelegenen Hirnnerven im Kleinhirnbrückenwinkel eine wichtige Rolle.
Für diese Darstellung bietet sich die 3D-CISS-Sequenz (3-D-constructive interference
in steady state-Sequenz) an [23]. Hierbei handelt es sich um eine T2 gewichtete 3DDünnschicht-Sequenz, mit der nicht nur anatomische Details besonders gut darstellbar
sind, sondern auch die Volumenberechnung exakter möglich ist. Die standardisierte
Schichtdicke bei Rekonstruktionen betrug 0,4 mm. Sofern eine 3D-CISS-Sequenz
vorhanden war, wurde diese für die Datenauswertung genutzt.
Lag keine 3D-CISS-Sequenz vor, wurde alternativ eine T1 gewichtete VIBE-Sequenz
(volumetric interpolated breath-hold examination) verwendet, die dieser bezüglich
Sensitivität und Spezifität von Kleinhirnbrückenprozessen ebenbürtig ist [16]. Bei
diesen Sequenzen wird zunächst intravenös Kontrastmittel (KM) verabreicht und dann
zu vorher festgelegten Zeitpunkten MR-Bilder aufgenommen (t=x nach KM-Gabe).
Insgesamt wurde stets die Sequenz mit der geringsten Schichtdicke gewählt (maximale
Schichtdicke 3mm). Patienten mit einer darüber hinausgehenden Schichtdicke wurden
nicht in das Kollektiv eingeschlossen.
t2ciss0,4mm
t1vibe1mm
t1seTraFS3mm
SL
0,4mm
1mm
3mm
TR
790
9,8
541
TE
26
4,9
15,0
FoV
201*230mm
130*160mm
175*200mm
Tabelle 2: Die am häufigsten verwendeten Sequenzen und ihre Matrices
Die MR-Sequenzen wurden sowohl an der Universität Erlangen-Nürnberg als auch an
der Universität Halle-Wittenberg mit einem 1.5 Tesla Gerät (Magnetom Sonata,
Siemens Medical Solutions, Erlangen, Deutschland) und einem identischen Protokoll
erzeugt.
Für die Erhebung der Messdaten wurden an der Universität Erlangen-Nürnberg die
Bild-/N-Software von Siemens verwendet und an der Universität Halle-Wittenberg das
iPlanCranial 2.6 der Firma BrainLAB.
Um falsche Berechnungen durch die Verwendung unterschiedlicher Software zu
vermeiden, wurden die Daten von zehn Patienten mit beiden Programmen erhoben
und miteinander verglichen. Hierfür wurden sowohl Patienten mit kleinen, mittelgroßen
und sehr großen Tumoren ausgewählt (Volumen von 0,624 bis 7,450 cm³, Mittelwert
3,503 cm³, Standardabweichung 2,995 cm³). Da die Ergebnisse sehr gut miteinander
korrelieren (r=0,9), wurden beide Programme verwendet.
Folgende Daten wurden erhoben:
−
maximales Tumorvolumen
−
intrameatales Tumorvolumen
13
−
extrameatales Tumorvolumen
−
maximale Ausdehnung cranio-caudal (im coronaren Schnitt)
−
maximale Ausdehnung axial
−
maximale Ausdehnung anterior-posterior
−
Tumorausdehnung im meatus acusticus internus (intrameatal)
−
Tumorausdehnung Richtung Hirnstamm (extrameatal).
Abbildung 1: T2 gewichtete MRT, VS links
Abbildung 2: T2 gewichtete MRT, VS links volumetriert
Abbildung 2 zeigt die Vermessung der einzelnen Tumorvolumina. Intra- und
extrameatale Anteile wurden getrennt erfasst (grün= intrameataler Anteil, gelb=
extrameataler Anteil) und dann über alle Schichten zum maximalen Tumorvolumen
addiert.
14
Anschließend wurden die Volumina jeder Schicht addiert und das Ergebnis mit der
jeweiligen Schichtdicke multipliziert.
Zudem wurde die maximale Ausdehnung des Tumors in drei Ebenen (kranio-kaudal,
(siehe Abbildung 3) saggital (siehe Abbildung 4), anterior-posterior (siehe Abbildung
6, S.15) und im Bereich des meatus acusticus internus (siehe Abbildung 7, S.16)
sowie des Hirnstamms (siehe Abbildung 8, S.16) vermessen.
Abbildung 3: T2 gewichtete MRT, kraniokaudaler Durchmesser eines VS rechts
Die Vermessung des kraniokaudalen Durchmessers erfolgte in der vertikalen Achse,
circa 90° zur horizontalen Achse.
Abbildung 4: axialer Durchmesser, T2 gewichtete MRT, VS rechts
Der axiale Durchmesser wurde in der axialen Schnittführung, von medial nach lateral
15
erfasst. Es existiert keine Richtlinie, die die Vermessung des axialen Durchmessers
festlegt.
Abbildung 5: maximaler extrameataler Durchmesser, T2 gewichtete MRT, VS links
Die maximale extrameatale Ausdehnung des Tumors wurde wiederum im axialen
Schnitt, möglichst genau in der Horizontalen, erfasst.
Abbildung 6: Durchmesser anterior- posterior, T2 gewichtete MRT, VS rechts
Die anteriore- posteriore Tumorausdehnung wurde möglichst streng parallel zur
Vertikalen vermessen.
16
Abbildung 7: intrameataler Durchmesser, T1 gewichtete MRT nach Gadolinium- Gabe, VS
links
90° ausgehend vom Verlauf des meatus acusticus internus wurde der intrametale
Durchmesser erhoben.
Abbildung 8: maximaler Durchmesser, T2 gewichtete MRT, VS rechts
Der maximale Durchmesser wurde stets im 90° Winkel zum meatus acusticus internus
vermessen.
Anschließend wurden die Tumore zusammen mit einem Facharzt für Neurochirurgie
nach der Klassifikationen von Koos eingeteilt [30] (siehe Abbildung 9, S.17).
17
Abbildung 9: Einteilung von Vestibularis- Schwannomen nach Koos
Diese Einteilung orientiert sich an anatomischen Leitstrukturen wie Hirnstamm, mittlere
und kaudale Hirnnerven-Gruppe, deren Kompression durch den Tumor die
chirurgischen Herausforderungen widerspiegelt. Primär handelt es dabei sich um eine
intraoperative Evaluation von Vestibularis-Schwannomen, die sich bereits im Rahmen
der präoperativen Bildgebung relativ gut anwenden lässt. Zusätzlich nimmt diese
Tumoreinteilung
nach
Koos
eine
Sonderstellung
innerhalb
der
Vielzahl
an
Klassifikationen für Vestibularis-Schwannome ein, da sie die älteste und zugleich
etablierteste Klassifikation ist.
Abbildung 10 (siehe S.18) zeigt einen intrameatalen Tumor im Kleinhirnbrückenwinkel,
der Kontrastmittel homogen aufnimmt. Ein Tumor Grad 1 wird von Koos als rein
intrameatal definiert.
18
Abbildung 10: Beispiel für VS Grad 1 nach Koos, T1 gewichtete MRT nach GadoliniumGabe
Abbildung 11: VS rechts Grad 2 nach Koos, T1 gewichtete MRT nach Gadolinium- Gabe
Abbildung 11 und Abbildung 12 (S.18 und S.19) zeigen Tumore Grad 2 nach Koos.
Gemäß der Definition besitzen sie einen intra- und extrameatalen Tumoranteil.
19
Abbildung 12: VS links Grad 2 nach Koos, T1 gewichtete MRT nach Gadolinium- Gabe
Definitionsgemäß müssen Tumore Grad 3 nach Koos zwei der drei folgenden Kriterien
erfüllen:
•
tangiert kranial den Nervus trigeminus
•
berührt kaudal die Nerven der Vagusgruppe (N. IX, X, XI)
•
reicht an den Hirnstamm heran.
Abbildung 13 und Abbildung 14 (siehe S.20) sind Beispiele für Grad 3 Tumore nach
Koos.
Abbildung 13: VS Grad 3 nach Koos, T2 gewichtete MRT
20
Abbildung 14: VS Grad 3 nach Koos, T1 gewichtete MRT nach Gadolinium- Gabe
Vestibularis-Schwannome Grad 4 sind in Abbildung 15 und Abbildung 16 (vergleiche
S.21) dargestellt. Nach Koos definieren sie sich als außerordentlich große Tumore, die
sowohl kranial als auch kaudal die angrenzenden Hirnnerven und den Hirnstamm
erreichen und imprimieren.
Abbildung 15: VS Grad 4 nach Koos, T1 gewichtete MRT nach Gadolinium- Gabe
21
Abbildung 16: VS Grad 4 nach Koos, T1 gewichtete MRT nach Gadolinium- Gabe
In Abbildung 17 erreicht der Tumor (extrameataler Anteil gelb, intrameataler Anteil grün
markiert) - neben dem Hirnstamm - auch den N. trigeminus. Bereits dieses Bild ist
ausreichend um den Tumor als Koos Grad 3 einzustufen.
Abbildung 17: Fragestellung: Tumorausdehnung bis zu den kranialen Hirnnerven (Pfeil
kennzeichnet N. trigeminus), T2 gewichtete MRT
Die Beurteilung der kranialen und kaudalen Tumorausdehnung ist in den Abbildungen
Abbildung 17 und 18 (S.22) dargestellt. Der blaue Pfeil weist jeweils auf die kranialen
beziehungsweise kaudalen Hirnnerven hin.
22
Abbildung 18: Fragestellung: Tumorausdehnung bis zu den kaudalen Hirnnerven (Pfeil
kennzeichnet kaudale Hirnnervengruppe), T2 gewichtete MRT
Im Anschluss an die Erhebung der volumetrischen Befunde wurden diese der
Tumorklassifikation nach Koos zugeordnet.
Neben der Koos-Klassifikation existieren zahlreiche andere chirurgische Einteilungen
des Vestibularis-Schwannoms, unter anderem von Samii [38]. Diese werden in der
vorliegenden Arbeit nicht behandelt, da sich die Koos-Klassifikation in internationalen
Publikationen und im klinischen Bereich durchgesetzt hat und zudem die älteste und
etablierteste Klassifikation darstellt.
Für die graphische Darstellung wurden für jeden Tumorgrad nach der Koos-Einteilung
(1-4) Mittelwert, Median, Minimum und Maximum des Gesamtvolumens berechnet.
Des Weiteren wurden diese Werte auch für alle anderen Volumen beziehungsweise
Ausdehnungen
erhoben
(intrameatales
kraniokaudale
Ausdehnung,
Volumen,
anteriore-posteriore
extrameatales
Ausdehnung,
Volumen,
maximaler
mediolateraler Tumordurchmesser).
Zudem
wurden aus den Parametern „kraniokaudale Ausdehnung“, „sagittale
Ausdehnung“ und „maximaler Tumordurchmesser“ jeweils zwei Volumenschätzungen
erstellt. Hierbei wurden die drei Parameter miteinander multipliziert und anschließend
durch 2 bzw. 3 geteilt [19] [27]. Diese Formeln wurden ursprünglich für die
Volumenschätzung von intrakraniellen Blutungen und für deren Prognoseabschätzung
entwickelt. Sie werden in der vorliegenden Arbeit zum ersten Mal zur schnellen
Volumen-Schätzung von Tumoren verwendet.
Diese Volumenschätzungen können für die Therapieplanung von Nutzen sein, vor
allem da im Klinikalltag selten Zeit für eine exakte Volumenbestimmung bleibt. Gerade
das Tumorvolumen gilt als prädiktiver Faktor bei der Frage nach dem potentiellen
23
funktionellen Nervenerhalt [20].
Nach Erhebung der Messwerte wurden diese statistisch ausgewertet. Für die
statistische Auswertung wurden die Programme Exel2003 von Microsoft Office sowie
MedCalc for Windows, version 9.5.0.0 (MedCalc Software, Mariakerke, Belgium)
verwendet.
Folgenden Fragen waren Gegenstand der Auswertung:
•
Unterscheiden
sich
die
einzelnen
Koos-Grade
hinsichtlich
ihrer
Volumenverteilung?
•
Existiert ein Zusammenhang zwischen dem präoperativ erfassten Volumen und
dem
postoperativ
erzielten
Facialis-Ergebnis?
Unterscheiden
sich
die
postoperativen House-Brackmann-Gruppen hinsichtlich ihres Tumorvolumens?
•
Kann das Volumen als prädiktiver Faktor verwendet werden? Lässt sich ein
Grenzwert herausarbeiten, ab dem die Ergebnisse schlechter werden?
•
Erreichen Tumore mit präoperativer Beeinträchtigung anderer Hirnnerven
postoperativ schlechtere Facialis-Ergebnisse?
•
Besteht eine Korrelation zwischen geschätztem und gemessenem Volumen?
Welche der beiden Formeln ist für die Volumenschätzung besser geeignet?
Signifikanz wurde für alle Tests definiert als p<0,05 (gekennzeichnet mit *),
Hochsignifikanz als p<0,01 (gekennzeichnet mit **).
Korrelationskoeffizienten gelten für Werte von r>0,6 als signifikant.
Die Koos-Gruppen wurden mit einem Kruskal-Wallis-Test gegeneinander getestet.
Der
Zusammenhang
zwischen
präoperativ
erfasstem
Tumorvolumen
und
postoperativen Facialis-Ergebnissen wurde mittels der Berechnung des RangKorrelationskoeffizienten nach Spearman untersucht.
Die Frage nach einem volumetrischen Grenzwert, ab dem die Facialis-Ergebnisse
signifikant schlechter werden, wurde anhand einer ROC-Kurve untersucht. Hierbei
wurden die House-Brackmann-Grade 1 und 2 als gute Facialis-Ergebnisse
zusammengefasst, die Grade 3 und höher als schlechte Facialis-Ergebnisse. Die
Einteilung in einzelne Grade (Grad 1-6) wurde aus statistischen Gründen ignoriert.
Die Bedeutung einer präoperativen Trigeminus-Beteiligung
auf das postoperative
Facialis-Ergebnis wurde mithilfe eines Chi-Quadrat-Test geprüft.
Die Korrelation zwischen geschätztem und tatsächlich gemessenem Volumen wurde
durch die Berechnung des Korrelationskoeffizienten nach Pearson berechnet.
24
5.
Ergebnisse
5.1
Klinische Ergebnisse
5.1.1
Facialis-Ergebnisse
Klinisch wurde die Funktion des VII. Hirnnervens präoperativ, postoperativ und bei
regelmäßigen Kontrolluntersuchungen (3, 6 und 12 Monate postoperativ) beurteilt. Bei
allen
Patienten
lag
ein
Mindest-Beobachtungszeitraum
von
sechs
Monaten
postoperativ vor. Durch den Mindest-Beobachtungszeitraum von sechs Monaten
können die Ergebnisse besser in ihrer Endgültigkeit erfasst werden. Patienten, die
nach den ersten sechs Monaten keine weitere Follow-Up-Untersuchung hatten, wurden
mit dem Facialis-Wert dieser Kontrolluntersuchung in die Studie aufgenommen, da
nach einem halben Jahr keine substantiellen Verbesserungen der Funktion mehr zu
erwarten sind. Bei Patienten mit längeren Beobachtungszeiträumen wurde der Wert
der letzten Kontrolluntersuchung erhoben.
5.1.1.1 Präoperative Facialis- Ergebnisse
Eine Beeinträchtigung des Nervus facialis gilt als die häufigste Komorbidität eines
Vestibularis-Schwannoms. Bei 31% der Patienten war bereits präoperativ eine
Beeinträchtigung des Nervus facialis durch den Tumor vorhanden (siehe Abbildung 19,
S.25).
In der Eingangsuntersuchung wurde bei 29% der Patienten eine diskrete FacialisParese (Grad 2) diagnostiziert. Diese Beeinträchtigung trat bei Tumoren des 2., 3. und
4. Grades nach Koos auf. 2% der Patienten hatten einen Parese Grad 3. Diese
Patienten zeigten alle einen Tumor Grad 4. Das Volumen bei Patienten mit FacialisSymptomen ist größer als das der Patienten ohne Beeinträchtigung (4,127 cm³ vs.
7,861 cm³), der Unterschied ist signifikant (p<0,05*). Facialis-Paresen können also
bereits in der klinischen Eingangsuntersuchung einen größeren Tumor vermuten
lassen.
25
100
90
80
70
60
50
40
30
20
10
0
69
29
2
Grad 1
Grad 2
Grad 3
0
Grad 4
Abbildung 19: präoperative Facialis-Funktion, eingeteilt nach der House-BrackmannKlassifikation
5.1.1.2 Postoperative Facialis- Ergebnisse
Abbildung 21 demonstriert die Verteilung der postoperativen Facialis-Ergebnisse. Im
vorliegenden Kollektiv trat bei insgesamt 49% der Patienten eine Parese des Nervus
facialis auf. In 29% handelte es sich hierbei um eine sehr diskrete Parese (Grad 2 nach
der House-Brackmann-Klassifikation). In vielen Studien werden Grad 1 und Grad 2 als
Ergebnis zusammengefasst [6], da die Grad 2 Parese sehr diskret ist und den
Patienten weder sozial stigmatisiert noch funktionell einschränkt. Auch in der
vorliegenden Arbeit werden House-Brackmann Grad 1 und Grad 2 zusammengefasst.
Somit ergeben sich für 80% der Patienten sehr gute funktionelle Facialis-Ergebnisse.
Bei 17% der Patienten trat eine Parese Grad 3 auf, bei 3% eine Parese Grad 4. Weder
Parese- Grad 5 noch Grad 6 kamen im Studienkollektiv vor.
100 %
90 %
80 %
70 %
60 %
50 %
40 %
30 %
20 %
10 %
0%
51 %
29 %
17 %
3%
Grad 1
Grad 2
Grad 3
Grad 4
Abbildung 20: postoperative Facialis-Ergebnisse, eingeteilt nach House-BrackmannKlassifikation
26
Insgesamt
nimmt
bei
steigender
postoperativer
Facialis-Beeinträchtigung
das
Gesamtvolumen des Tumors zu (vergleiche Tabelle 3), dennoch unterscheiden sich die
Gruppen nach der House-Brackmann-Klassifikation einzeln betrachtet nicht signifikant
voneinander (p>0,05). Fasst man jedoch die Tumorvolumina von House- Brackmann
Grad 1 und Grad 2 zusammen gegen die Volumina von Grad 3 und 4, so ist der
Größenunterschied signifikant (p<0,05*), (siehe Kapitel 5.2.1 Abbildung 30, S.38). Das
Tumorvolumen kann somit als Einflussfaktor auf das postoperative funktionelle
Outcome betrachtet werden und auch für die Prognose des Nervenerhalts genutzt
werden.
HB Grad 1
HB Grad 2
HB Grad 3
HB Grad 4
n
51
29
17
3
Gesamtvolumen [cm³]
4,024
5,366
7,459
13,737
intrameatales Volumen [cm³]
0,283
0,292
0,330
0,361
extrameatales Volumen [cm³
3,740
5,074
7,129
13,376
Tabelle 3: Facialis - Ergebnisse nach House-Brackmann mit Volumen [cm³]
Bei der anatomisch orientierten Einteilung nach Koos (siehe Abbildung 21, S,27)
erzielten die kleineren Tumore (Koos Grad 1 und 2) funktionell sehr gute funktionelle
Ergebnisse (House–Brackmann Grad 1 und 2). 100% dieser Tumore erreichten
postoperativ Grad 1 und 2 nach House-Brackmann.
Auch bei Grad 3 Tumoren haben knapp 86 % der Patienten ein ausgezeichnetes
Outcome. Die restlichen 14% in dieser Gruppe weisen einen Grad 3 nach HouseBrackmann auf, schwerere Parese-Grade traten nicht auf (vergleiche auch Tabelle 4,
S.27).
Bei Patienten mit Grad 4 Tumoren konnte in 65% der Fälle sehr gute FacialisFunktionen erreicht werden. Bei einem Viertel der Patienten trat eine Parese Grad 3
auf und bei 7,5% (n=3) eine Parese Grad 4.
Das
Tumorvolumen
dieser
Patienten
mit
schlechterem
Outcome
war
mit
durchschnittlich 13,737 cm³ größer als das Tumorvolumen der Grad 4 Tumore (10,791
cm³) (vergleiche Tabelle 3, sowie Kapitel 5.2.1, Tabelle 10, S.37).
Dieser Größenunterschied war nicht signifikant (p>0,05).
27
100,00%
Facialis postOP HB 1
80,00%
60,00%
Facialis postOP HB 2
40,00%
Facialis postOP HB 3
20,00%
Facialis postOP HB 4
0,00%
Koos 1
Koos 2
Koos 3
Koos 4
Abbildung 21: postoperative Facialis- Ergebnisse der einzelnen Koos- Grade
Koos 1
Koos 2
Koos 3
Koos 4
HB Grad 1
100,0%
71,4%
50,0%
37,5%
HB Grad 2
0
28,6%
35,7%
27,5%
HB Grad 3
0
0
14,3%
27,5%
HB Grad 4
0
0
0
7,5%
Tabelle 4: Facialis - Ergebnisse der einzelnen Koos - Grade in %
5.1.2
Hörergebnisse
Parallel zur Facialisfunktion wird das Hörvermögen präoperativ, postoperativ und bei
regelmäßigen
Nachuntersuchungen
(3,6
und
12
Monate)
erfasst.
Der
Mindestbeobachtungszeitraum postoperativ betrug sechs Monaten. Da sich das Hören
bei manchen Patienten im Verlauf wieder verbessert, wurden jeweils die Ergebnisse
der letzten Kontrolluntersuchung in die Studie aufgenommen.
5.1.2.1 Präoperative Hörergebnisse
Die Beeinträchtigung des Hörvermögens ist im vorliegenden Kollektiv die häufigste
präoperative Manifestation des Vestibularis-Schwannoms:
Wie Abbildung 22 auf S.28 zeigt, litten 69% der Patienten bereits vor der Operation
unter einer Einschränkung des Hörvermögens:
Bei 22% kam es zu geringfügigen Einschränkungen (Hörklasse B). 9% zeigten in der
audiometrischen Untersuchung Hörklasse C. Hörreste (Hörklasse D) fanden sich bei
28% der Patienten. 10% waren bereits präoperativ ertaubt (surditas).
Nur 31% der Patienten waren vor der Operation bezüglich des Hörens subjektiv
beschwerdefrei (Hörklasse A).
28
10%
31%
A
28%
B
C
D
D surditas
22%
9%
Abbildung 22: Präoperatives Hören, Einteilung modifiziert nach AAO- HNS
5.1.2.2 Postoperative Hörergebnisse
Bei einem Großteil der Patienten (79%) konnte das Hören nicht erhalten werden. Bei
21% konnte das Hören teilweise erhalten werden:
5% haben postoperativ keine Einschränkungen bezüglich des Hörens (Hörklasse A).
Ebenfalls 5 % weisen Hörklasse B auf. 4% werden Hörklasse C zugeteilt und 7% der
Patienten zeigen Hörreste.
5%
5%
4%
7%
A
B
C
D
D surditas
79%
Abbildung 23: Postoperatives Hören, Einteilung modifiziert nach AAO- HNS
Betrachtet man die Verteilung der Hörfunktion nach den Koos-Graden (siehe
29
Abbildung 24), so zeigt sich für die Tumore Grad 1 in 50% der Fälle Surditas, je 25%
weisen Hörklasse C beziehungsweise D auf.
Bei Grad 2 Tumoren finden sich in 21,43% ein Hörerhalt der Klasse A, in 14,27%
Hörklasse B und in je 7,14% Hörklasse C und D. Die restlichen 50% dieser Gruppe
sind auf der operierten Seite ertaubt.
In der Gruppe der Grad 3 Tumoren werden die Ergebnisse schlechter. 4,8% der
Patienten haben ein uneingeschränktes Hörvermögen (Hörklasse A). Bei 7,4%
ergeben die audiometrischen Untersuchungen Hörklasse B. 2,4% der Patienten haben
postoperativ Hörklasse C, 4,8% zeigen Hörklasse D. Die verbleibenden 80,6% sind
ertaubt.
Patienten mit Grad 4 Tumoren zeigen postoperativ in 2,5% der Fälle Hörklasse C,
Hörreste (Hörklasse D) finden sich bei 7,5% der Patienten. Insgesamt 90% haben
keine Hörfunktion.
Koos 1
D surditas
Koos 2
D
C
Koos 3
B
A
Koos 4
0
20
40
60
80
100
Abbildung 24: Hörergebnisse nach der modifizierten Einteilung der AAO-HNS,
aufgeschlüsst nach Koos-Gruppen
Mit zunehmender Beeinträchtigung des Hörens finden sich auch zunehmende TumorGesamtvolumen. Der Unterschied zwischen den Gesamtvolumen der einzelnen
Hörklassen ist nicht signifikant (p>0,05).
Zusammenfassend kann man sagen, dass der Hörerhalt prinzipiell bei Tumoren jeder
Größe möglich ist, vor allem aber bei kleinen Tumoren realistisch erreicht werden kann.
Bei größeren Tumoren ist die Entfernung des Tumors das vorrangige Ziel, um eine
weitere Größenzunahme und eventuelle Hirnstamm-Kompression mit daraus folgender
30
Symptomatik zu verhindern.
5.1.3
Beteiligung anderer Hirnnerven
5.1.3.1 Präoperative Ergebnisse der Hirnnerven VI, IX, X, XI
Bei 21 von 100 Patienten zeigte sich eine Beteiligung des trigeminalen Komplexes.
Bei einem Patienten lag zudem eine Beteiligung des IX. und X. Hirnnerven vor, welche
sich klinisch in Form eines Kulissenphänomens und als abgeschwächter Würgereflex
präsentierte.
5.1.3.2 Postoperative Ergebnisse der Hirnnerven VI, IX, X, XI
Es fanden sich (in absteigender Häufigkeit):
•
Beeinträchtigung des N.trigeminus (9%)
•
Schluckstörung (2%)
•
Beteiligung des N. glossopharyngeus (1%)
Bei einem Patienten trat direkt postoperativ eine Abducens-Parese auf, diese war
jedoch transient und vermutlich ödematös bedingt.
Die Beeinträchtigung des N. trigeminus ist im vorliegenden Patientenkollektiv neben
der Facialis-Parese prä- und postoperativ die häufigste Begleitmorbidität (21%
beziehungsweise 9%). Bei 3% der Patienten manifestierte sich eine Beeinträchtigung
nur postoperativ und ist hier als perioperative Komplikation zu werten. 16 Patienten
waren nach der OP bezüglich des trigeminalen Komplexes beschwerdefrei.
Insgesamt trat eine Trigeminus-Beteiligung bei 6% der Patienten sowohl prä- als auch
postoperativ auf.
Auch die kaudalen Hirnnerven können durch den Tumor komprimiert und in ihrer
Funktion beeinträchtigt sein. Im vorliegenden Studienkollektiv war der N. vagus einmal
bei einem großen Tumor (Gesamtvolumen 12, 826 cm³) betroffen, der Patient zeigte
klinisch sowohl prä- wie auch postoperativ einen reduzierten Würgereflex sowie eine
Hypästhesie des N. trigeminus.
Eine
präoperative
Trigeminusaffektion
beeinträchtigt
das
postoperative
Facialisergebnis. Im Vergleich zu den Patienten ohne Beeinträchtigung des
trigeminalen Komplexes waren die postoperativen Facialisergebnisse schlechter
(vergleiche Tabelle 5, S.31).
31
Tabelle 5: Facialis- Ergebnisse bei präoperativer Trigeminus-Beteiligung beziehungsweise ohne
präoperative Trigeminus- Beteiligung
Um die präoperative Trigeminus- Beeinträchtigung als potentiellen Einflussfaktor auf
das postoperative Facialis-Ergebnis zu testen, wurden die prozentualen Verteilungen
der erzielten Facialis-Ergebnisse mithilfe eines Chi-Quadrat-Tests gegeneinander
getestet. Die Gruppe mit präoperativer Trigeminus-Beteiligung unterscheidet sich in der
prozentualen Verteilung ihrer Facialis-Ergebnisse signifikant von der Verteilung der
Gruppe ohne präoperative Trigeminus-Beteiligung (p<0,05*).
Die Größe spielt bei der Trigeminusbeteiligung eine eher untergeordnete Rolle: Das
Gesamtvolumen bei diesen Patienten ist zwar größer als in der Vergleichsgruppe
(Mittelwert 6,302 cm³ vs. 5,019 cm³), der Größenunterschied ist dabei aber nicht
signifikant (p>0,05).
Zudem treten Hypästhesien des N. trigeminus auch bei kleinen Tumoren auf, die den
Hirnstamm nicht erreichen (Volumina von 0,132; 0,250; 0,374 cm³, nach KoosKlassifikation Grad 2). Bei diesen Patienten erfolgte eine erneute Sequenzanalyse
gemeinsam mit einem erfahrenen Neuroradiologen:
Bei einem der Patienten fand sich eine Asymmetrie des N. trigeminus im
Seitenvergleich. Der Nerv zeigte eine deutliche Atrophie und war nicht signalalteriert.
Ätiologisch bleibt die Hypästhesie ungeklärt. In der MRI-Analyse des zweiten Patienten
präsentierte sich eine neurovaskuläre Kompression der N. trigeminus durch die A.
cerebelli superior. Die Bildsequenz des dritten Patienten bietet keine schlüssige
Erklärung für dessen klinische Symptomatik.
Auch in Hinblick auf kraniokaudale und anteriore-posteriore Ausdehnung unterscheiden
sich die beiden Gruppen nicht signifikant voneinander (p>0,05). Warum manche
Tumore schon bei kleinen Volumina eine Trigeminus-Beteiligung hervorrufen ist bisher
nicht nachvollziehbar. Eventuell kann diese Frage mit dem Tumorursprung (N.
32
vestibularis inferior/ N. vestibularis superior) oder auch mit individuellen Anatomie des
N. facialis beantwortet werden. Diese Aspekte wurden in der vorliegenden Arbeit nicht
untersucht.
5.2
5.2.1
Radiologische Ergebnisse
Volumetrie
Ziel der Arbeit ist es der Tumor-Einteilung nach Koos für jeden Grad (I-IV) einen
volumetrischen Wert zuzuordnen.
Dafür wurden Mittelwert, Median, Minimum und Maximum des Gesamtvolumens für
jeden Tumorgrad einzeln bestimmt.
Nach Erhebung der Messwerte wurden diese statistisch ausgewertet. Hierbei wurde
zunächst
untersucht,
ob
sich
die
einzelnen
Koosgraden
hinsichtlich
ihrer
Volumenverteilung signifikant voneinander unterscheiden. Mithilfe eines Kruskal-WallisTests wurden die Gruppen gegeneinander getestet.
Es zeigen sich unterschiedliche Volumen-Werte für die verschiedenen Tumor-Grade
nach Koos (siehe Tabelle 6, S.33). Die Volumenverteilungen der Koosgruppen
unterscheiden sich signifikant voneinander (p<0,01**), mit Ausnahme von Koos 1
gegenüber Koos 2 (p>0,05). Dieser P-Wert wurde mittels Mann-Whitney-U-Test
berechnet.
Die fehlende Signifikanz in der Volumenverteilung zwischen Koos 1 und Koos 2 ist
aufgrund der geringen Fallzahl der Gruppe Koos 1 zu erklären (n=4). Eventuell ist das
Ergebnis auch durch die Koos-Klassifikation bedingt: Koos 2 unterscheidet sich nur
durch einen zusätzlichen extrameatalen Anteil von Koos 1, unabhängig von der Größe
dieses Anteils. Daher liegen die beiden Gruppen volumetrisch eng beieinander
(durchschnittlich 0,338 cm³ versus 0,508 cm³).
Betrachtet man die Boxplots, die sich aus der Volumenverteilung der Koos-Grade
ergeben (siehe Abbildung 25, S.33), so fällt auf, dass sich Volumetrie und KoosGruppen direkt proportional zueinander verhalten: Bei steigenden Volumenwerten
steigt auch der Koos-Grad (Koos 1: 0,338 cm³, Koos 2 0,508 cm³, Koos 3 2,113 cm³,
Koos 4 10,791 cm³).
33
Koos
1
4
2
14
3
42
4
40
n
Gesamtvolumen [cm³]
Mittelwert+Mittelabw.
Minimum
Maximum
Median
0,338 (+/- 0,231) 0,508 (+/- 0,247) 2,113 (+/- 0,868) 10,791 (+/- 4,597)
0,132
0,107
0,737
2,960
0,800
1,104
4,640
33,244
0,210
0,406
1,565
7,526
Volumen intrameatal [cm³]
Mittelwert+Mittelabw
Minimum
Maximum
Median
0,338 (+/- 0,231) 0,205 (+/- 0,106) 0,271 (+/- 0,124) 0,350 (+/- 0,171)
0,132
0,051
0,104
0,098
0,800
0,747
0,695
1,778
0,210
0,148
0,210
0,270
Volumen extrameatal [cm³]
Mittelwert+Mittelabw.
Minimum
Maximum
Median
0 0,301 (+/- 0,179)
1,842 (+/- 0,843) 10,440 (+/- 4,568)
0
0,047
0,529
3,479
0
0,996
4,536
32,768
0
0,247
1,549
9,241
Tabelle 6: Volumenverteilung der einzelnen Koos- Grade (alle Volumina - Angaben in cm³)
Diese Beobachtung bestätigt sich, wenn man den Zusammenhang zwischen
ansteigendem Koosgrad und der Volumenverteilung untersucht. Hier ergab sich ein
Korrelationskoeffizient r=0,91 nach Spearman (p<0,01**). Hier besteht ein stark
positiver
Zusammenhang.
Die
beiden
Klassifikationssysteme
verhalten
sich
proportional zueinander, was die Vergleichbarkeit vereinfacht. Beide Verfahren sind
somit vergleichbar.
35
30
Volumen
25
20
15
10
5
0
1
2
3
Koos
Abbildung 25: Volumenverteilung der Koos- Grade in [cm³]
4
34
Abbildung 26: Volumenverteilung Koos 1
Koos 1 (n=4) umfasst Volumina von 0,132 cm³ bis 0,391 cm³ (siehe Abbildung 26 und
Tabelle 7). Per Definition sind diese Volumina rein intrameatal (vergleiche Abbildung 9,
S.17).
Koos 1
Mittelwert
0,236 cm³
Standardabweichung
0,101 cm³
Minimum
0,132 cm³
Maximum
0,392 cm³
Median
0,210 cm³
Tabelle 7: Volumenverteilung Koos Grad 1
35
1,2
Volumen [cm³]
1,0
0,8
0,6
0,4
0,2
0,0
Koos 2
Abbildung 27: Volumenverteilung Koos 2
Koos 2 Volumina (n=14) bewegen sich von 0,107 cm³ bis zu 1,104 cm³ (siehe
Abbildung 27). Durchschnittlich beinhaltet ein Tumor dieser Größenordnung 0,508 cm³
Tumormasse. Das minimale Tumorvolumen (0,107 cm³), das noch unter dem Minimum
des Koos 1-Grades zurückbleibt, zeigt sich bei einem sehr kleinen Tumor, der aber
unbestreitbar auch einen extrameatalen Anteil umfasst und den Fundus nicht erreicht.
Diese Tumore werden mediale Vestibularis-Schwannome genannt (für Werte siehe
auch Tabelle 8).
Koos 2
Mittelwert
0,508 cm³
Standardabweichung
0,247 cm³
Minimum
0,107 cm³
Maximum
1,104 cm³
Median
0,406 cm³
Tabelle 8: Volumenverteilung Koos Grad 2
36
Abbildung 28: Volumenverteilung Koos 3
Koos 3 umfasst Werte zwischen 0,737 cm³ und 4,640 cm³ (siehe Abbildung 28). Im
Durchschnitt beträgt das Volumen 2,113 cm³ (vergleiche Tabelle 9). Mit zunehmenden
Koos-Graden nimmt die prozentuale Standardabweichung kontinuierlich ab. Das erklärt
sich vermutlich dadurch, dass Tumore, die die Klassifikatoren der Koos-Grade 3 und 4
erfüllen, dafür ein gewisses Tumorvolumen benötigen. Je mehr anatomische
Strukturen
der
Tumor
erreicht,
desto
geringer
ist
unterschiedlichen Wachstumsmuster.
Koos 3
Mittelwert
2,113 cm³
Standardabweichung
0,868 cm³
Minimum
0,737 cm³
Maximum
4,640 cm³
Median
1,565 cm³
Tabelle 9: Volumenverteilung Koos Grad 3
die
Bandbreite
seiner
37
35
30
Volumen [cm³]
25
20
15
10
5
0
Koos 4
Abbildung 29: Volumenverteilung Koos 4
Abbildung 29 zeigt Koos 4 Tumore mit Volumina zwischen 2,960 cm³ und 33,244 cm³.
Im Durchschnitt beträgt das Volumen 10,791 cm³. Das Maximum an Tumorvolumen
fand sich mit 33,244 cm³ bei einer schwangeren Patientin, die aufgrund ihrer
Schwangerschaft nicht schon früher operiert werden konnte (vergleiche Tabelle 10).
Koos 4
Mittelwert
10,791 cm³
Standardabweichung
4,597 cm³
Minimum
2,960 cm³
Maximum
33,244 cm³
Median
7,526 cm³
Tabelle 10: Volumenverteilung Koos Grad 4
38
5.2.1.1 Zusammenhang Volumen und Facialis-Ergebnis
Es existiert ein schwach positiver Zusammenhang zwischen präoperativ gemessenem
Volumen und dem postoperativ erhobenen Grad der Facialis-Parese nach der HouseBrackmann-Klassifikation (r=0,32, p<0,01*). Große Tumoren bedeuten also nicht
zwangsläufig ungünstige Facialisergebnisse. Dieses Ergebnis lässt zudem darauf
schließen, dass perioperative Maßnahmen wie Neuromontitoring, vasoaktive Therapie
und besonders vorsichtiges Präparieren des Tumors den Erfolg der Operation positiv
beeinflussen. Betrachtet man die Volumenverteilung der einzelnen House-BrackmannGrade gegeneinander, fällt auf, dass sich Grad 1 und 2, die als gute Ergebnisse gelten,
bezüglich ihrer Volumina nicht voneinander unterscheiden (p>0,05). Dasselbe Ergebnis
findet sich für die Paresegrade 3 und 4 (p>0,05). Testet man aus statistischen
Interessen gute Facialisergebnisse (Grad 1 und 2) gemeinsam gegen ungünstige
Ergebnisse (Grad 3 und 4) getestet, so unterscheiden sich die Volumina hoch
signifikant voneinander (p<0,01**). Die Auswertung mittels ROC-Kurve (siehe
Abbildung 30) demonstriert diese Werte.
Volumen
100
Sensitivity
80
Sensitivity: 70.0
Specif icity: 77.5
Criter ion : >5.622
60
40
20
0
0
20
40
60
100-Specificity
80
100
Abbildung 30: ROC-Kurve zur Demonstration des Zusammenhanges zwischen Volumen und
postoperativem Facialis-Ergebnis
70% der Tumore mit Volumina >5,622 cm³ erzielen postoperativ ein schlechteres
39
Outcome (House-Brackmann Grad 3 oder 4) als kleinere Tumore. 30% der Patienten
mit Tumoren <5,622 cm³ erreichen postoperativ ein schlechteren Facialisergebnis als
erwartet (Anteil der falsch Negativen).
In 77,5% der vermuteten schlechten Ergebnisse trifft die Vorhersage eines schlechten
postoperativen Outcomes (House-Brackmann-Grad 1 oder 2) ein. Somit werden bei
22,5% der Patienten fälschlicherweise schlechte Ergebnisse erwartet (Anteil der falsch
Positiven).
5.2.1.2 Zusammenhang Koos-Grad und Facialis-Ergebnis
Zudem wurde der Zusammenhang zwischen Koos-Graden und postoperativen HouseBrackmann-Ergebnissen
untersucht.
Da
ein
Zusammenhang
zwischen
Koos-
Klassifikation und Volumetrie besteht, würde man hier wiederum ein ähnliches
Ergebnis wie bei Volumetrie und Facialisergebnis erwarten (r=0,39). Tatsächlich
bestätigt sich diese Erwartung mit einem Korrelationskoeffizienten von r=0,34 nach
Spearman (p<0,01**).
Das Volumen eignet sich als Klassifikator für eine Vorhersage über den postoperativ zu
erwartende Facialis-Ergebnis. Bietet sich auch die Einteilung nach Koos dafür an?
Wie im vorangegangenen Test wurden die House-Brackmann-Grade 1 und 2 als gute
Facialis-Ergebnisse und die Grade 3 und 4 als schlechte Facialis-Ergebnisse gewertet.
Die Auswertung mittels ROC-Kurve (siehe Abbildung 31, S.40) demonstriert, dass für
einen Tumor Koos-Grad >3 mit einer Sensitivität von 70% und einer Spezifität von
67,5% schlechte Facialis-Ergebnisse zu erwarten sind. 30% der Patienten mit Tumoren
< Koos 3 erzielen postoperativ ein schlechteres Facialis-Ergebnis als erwartet (=Anteil
der falsch Negativen). Bei 67,5% der Patienten mit Tumoren > Koos 3 tritt das
erwartete
schlechtere
Facialis-Ergebnis
ein.
Bei
32,5%
der
Patienten
wird
fälschlicherweise ein schlechteres Facialis-Ergebnis erwartet (=Anteil der falsch
Positiven).
40
Koos
100
Sensitivity
80
Sensitivity: 70.0
Specif icity: 67.5
Cr iterion : >3
60
40
20
0
0
20
40
60
100-Specificity
80
100
Abbildung 31: ROC-Kurve zur Demonstration des Zusammenhanges zwischen FacialisErgebnis und Koos-Grad
Zusammenfassend ergibt sich, dass das Tumorvolumen sich im direkten Vergleich von
Sensitivität und Spezifität besser als Prädiktor für das postoperative Facialis-Outcome
eignet.
5.2.2
Volumenschätzung/ 3
Die geschätzten Volumina berechnen sich nach folgender Formel:
kranio-kaudale Ausdehnung x anterior-posteriore Ausdehnung x sagittale Ausdehnung
3.
Insgesamt korrelieren die real gemessenen Volumina sehr gut mit den geschätzten
Volumina,
Korrelationskoeffizient
Abbildung 32, S.41).
nach
Pearson
r=0,95
(p<0,01**)
(vergleiche
41
Volumen_gesamt in cm³
35
30
25
20
15
10
5
0
0
5
10
15
20
25
Volumenschätzung/3 in cm³
30
35
Abbildung 32: Korrelation zwischen Gesamtvolumen und Volumenschätzung/3
Betrachtet man den Korrelationskoeffizient für die einzelnen Koos-Grade, so ergeben
sich folgende Werte:
Das geschätzte Volumen von Grad 1 Tumoren korreliert nur schwach mit dem real
gemessenen Volumen (r=0,35). Das könnte an der geringen Anzahl an Grad 1
Tumoren liegen (n=4), aber auch an den schwierig präzise zu erfassenden
Durchmesser solch kleiner Tumore.
Für Grad 2 Tumore errechnet sich der Korrelationskoeffizient r=0,87.
Auch bei Koos Grad 3 Tumoren korrelieren die gemessenen Werte mit den
geschätzten Werten (r=0,74). Der Zusammenhang ist im Vergleich zu den anderen
Koos-Graden weniger stark. Das ist damit zu erklären, dass in dieser Gruppe eine
große Streubreite der Werte (Volumen von 0,737 cm³ bis 4,460 cm³) auftritt.
Koos Grad 4 Tumore wiederum lassen sich mit der Formel sehr gut in ihrer
Ausdehnung abschätzen. Der Korrelationskoeffizient beträgt r=0,92.
42
5.2.3
Volumenschätzung/ 2
Mithilfe der Formel
kranio-kaudale Ausdehnung x anterior-posteriore Ausdehnung x sagittale Ausdehnung
2
berechnen sich für die real gemessenen und die geschätzten Volumina sehr gut
vergleichbare Ergebnisse: Der Korrelationskoeffizient nach Pearson ergibt r= 0,96.
Abbildung 33 demonstriert diesen Zusammenhang.
Volumen_gesamt in cm³
35
30
25
20
15
10
5
0
0
10
20
30
40
Volumenschätzung/2 in cm³
50
Abbildung 33: Zusammenhang zwischen Gesamtvolumen und Volumenschätzung/2
In der Gruppe der Grad 2 Tumore beträgt der Korrelationskoeffizient r=0,87.
Bei den Grad 3 Tumor errechnet sich der Wert r=0,76. Für die Gruppe dieser Tumore
ist also der Zusammenhang, der mit der Teilung durch 2 einhergeht, stärker.
Auch Grad 4 Tumore lassen sich mit dieser Formel etwas besser abschätzen als mit
der ersten Formel: Der Korrelationskoeffizient beträgt hier r=0,93.
Das tatsächliche Volumen von Grad 1 Tumoren korreliert nur schwach (r=0,34) mit
dem geschätzten Volumen. Das kann zum einen an der geringen Patientenanzahl
liegen (n=4), oder auch daran, dass die präzise Erhebung der Durchmesser bei diesen
kleinen Tumoren sehr schwierig ist.
43
5.2.4
Zusammenfassung Volumenschätzung
Beide Formeln bieten sich aufgrund der Korrelationskoeffizienten dafür an, das
Tumorvolumen anhand der Ausdehnung des Tumors im dreidimensionalen Raum
abzuschätzen. Insgesamt ist hierfür die Formel ABC/2 marginal besser geeignet, da sie
bei allen Tumorgraden bessere Korrelationskoeffizienten und damit auch exaktere
Schätzungen abliefert (vergleiche Tabelle 11, S.43):
Koos - Grad
Grad 1
Grad 2
Grad 3
Grad 4
Volumen/3
0,35
0,87
0,74
0,92
Volumen/2
0,34
0,87
0,76
0,93
Tabelle 11: Korrelationskoeffizienten (geschätztes versus gemessenes Volumen) für
die einzelnen Koos –Grade
Das Volumen rein intrameataler Vestibularis-Schwannome (Koos Grad 1) lässt sich
kaum abschätzen. Gemessenes und geschätztes Volumen korrelieren nur schwach
miteinander. Die exakte Abmessung des Tumors in den drei Raumebenen gestaltet
sich bei so kleinen Tumoren schwierig. Zudem ist die Gruppe dieser Tumore im
vorliegenden Patientenkollektiv mit n=4 sehr klein, was die Ergebnisse zusätzlich
verzerren dürfte. Es empfiehlt sich daher der Volumenschätzung bei rein intrameatalen
Tumoren keine allzu große Bedeutung beizumessen, bis der Korrelationskoeffizient für
eine größere Anzahl an Patienten bestimmt werden kann.
44
6.
Diskussion
Operation und Strahlentherapie als konkurrierende Behandlungsverfahren bei
Vestibularis-Schwannomen
Bei der Behandlung von Vestibularis-Schwannomen konkurrieren mehrere operative
und nicht-operative Verfahren. Bis zu den 90er Jahren galt die mikrochirurgische
Tumorentfernung durch Neurochirurgen und HNO-Ärzte als Goldstandard. Seit Mitte
der 90er Jahren werden vermehrt strahlentherapeutische Optionen, wie die ein- oder
mehrzeitige stereotaktische Bestrahlung und die sogenannte
„Radiochirurgie“ mit
Gammastrahlen, diskutiert. Zudem hat sich durch das Wissen um das langsame
Wachstum [7] [3] das „wait and scan“- Verfahren gerade bei asymptomatischen, älteren
oder multimorbiden Patienten als zusätzliche Alternative für das Management von
Vestibularis-Schwannomen etablieren können.
Bei allen drei Modalitäten stehen neben der erfolgreichen Behandlung insbesondere
die Funktionen der beteiligten Hirnnerven – im Wesentlichen des N. VII und des N.VIIIim Vordergrund der Bemühungen (intraoperatives neurophysiologisches Monitoring
[10], adjuvante Therapie mit Calciumanatogonisten [44], hypofraktionierte Bestrahlung,
Reduzierung der Strahlendosis [50]).
Umso erstaunlicher ist es, dass es keine allgemeinen akzeptierten Kriterien gibt,
anhand derer die Verfahren in ihrer Effizienz und Morbidität miteinander verglichen
werden können.
Dies wird erstmals auch in einer 2010 erschienen Metaanalyse der House- Gruppe
angesprochen und problematisiert [5]. Zahlreiche Arbeiten konnten nicht in diese
Analyse aufgenommen werden, da sie den Mindestanforderungen an sinnvollen
Bewertungsmaßstäben wie Hirnnerven-Funktionen nicht gerecht wurden. Die Analyse
kritisiert
das
Fehlen
einheitlicher
Bewertungsmaßstäbe
für
Facialis-Funktion,
Hörergebnisse und Tumorkontrolle in radiotherapeutischen Arbeiten. So sind diese
Publikationen, die die verschiedenen Verfahren der Strahlentherapie und deren
Ergebnisse präsentieren, bereits untereinander kaum vergleichbar. Hier gibt es große
Unterschiede bezüglich der Präsentation von Tumorgröße (Volumetrie versus
maximale Durchmesser), Hörfunktion, Facialisfunktion, Tumorkontrolle, Follow-UpZeitraum. Diese Kritikpunkte können eins zu eins auch auf chirurgische Publikationen
übertragen werden.
Schon die Bestimmung der Tumor-Größe wird sowohl interdisziplinär als auch
intradisziplinär nicht einheitlich gehandhabt (Tumorgrad nach Koos, Tumor-Grad nach
Samii,
mediolateraler
Durchmesser,
maximaler
Durchmesser,
Volumen).
Die
Ausmessung von Tumoren wird in radiotherapeutischen Arbeiten meist mit Volumen
(49,2%) oder auch anhand des maximalen axialen Durchmessers (23,7%) angegeben
[5]. Ein Vergleich mit Veröffentlichungen aus dem neurochirurgischen oder HNO-
45
Bereich, die die Tumorgröße in der Regel meist nur indirekt über die Koos-Grade (1-4)
oder mit dem maximalen Durchmesser angeben, ist faktisch nicht möglich. Auch
untereinander sind chirurgische Arbeiten anhand der Tumorgröße schwer vergleichbar,
da der maximale Durchmesser auf sehr unterschiedliche Art und Weise vermessen
wird:
Einige Autoren geben den maximalen anterioren- posterioren Durchmesser [48] an,
andere messen den maximalen mediolateralen Durchmesser – mit [48] und ohne
meatus acusticus internus [28]. Und selbst diese Messungen folgen keinen
anatomischen Strukturen oder festgelegten Messwinkeln, sondern nur der maximalen
Tumorausdehnung und sind dadurch nicht reproduzierbar. Zusammenfassend
existieren keine standardisierten Messverfahren.
Diese
fehlenden
Standards
Größenvergleichbarkeit
und
erschweren
die
daraus
zuverlässige
resultierende
Rückschlüsse
mangelnde
bezüglich
größenabhängiger funktioneller Ergebnisse.
Auch die Angabe funktioneller Hirnnerven-Ergebnisse unterliegt keinen festgelegten
Bewertungsmaßstäben. So finden sich beispielsweise für die Präsentation der
Hörfunktion die Einteilung der American Academy of Otolaryngology- Head and Neck
Surgery (AAO-HNS) (A-D) [41], [9], die Gardner-Robertson-Klassifikation (Grad 1-5)
[31] [29], sowie die Einteilung nach Samii (H1-H5) [39] und andere [14].
Zweifelsohne zählt auch der Erhalt der Hörqualität zu den wesentlichen Parametern bei
der Therapie des Vestibularis-Schwannoms, an denen sich der Erfolg der Intervention
misst. Aktuell existieren vielfältige Klassifikationssysteme und auch auf längere Sicht ist
keine einheitliche Bewertungsskala absehbar. Das kritisieren auch Maier et. al in ihrer
2011
erschienenen
Metaanalyse,
die
sich
mit
den
unterschiedlichen
Behandlungsoptionen für Vestibularis- Schwannome auseinander setzt [32].
Die Hörfunktion wurde aufgrund dieser Überlegungen bewusst nicht in die Analyse der
Volumenbedeutung miteinbezogen.
Lediglich im Bereich der Facialis-Funktion konnte sich die Klassifikation nach HouseBrackmannn fächerübergreifend etablieren, auch wenn einige strahlentherapeutische
Veröffentlichungen (11,9%) die recht unpräzise und subjektive Einteilung in „normale
beziehungsweise abnormale Funktion“ benutzen [5].
Konsequenterweise stehen daher für die Therapieentscheidung keine interdisziplinären
Richtlinien zur Verfügung. Die IRSA (International RadioSurgery Association)
veröffentlichte zwar 2006 einen Therapie-Algorithmus, der die Entscheidung zwischen
Radiochirurgie und Mikrochirurgie erleichtern soll [2], ohne allerdings tatsächlich
vergleichbare Daten als Grundlage für den Algorithmus nennen zu können.
46
Die vorliegende Arbeit vergleicht anhand der funktionellen Facialisergebnisse einer
größeren
operativen
Größenbestimmung.
Serie
die
Verglichen
unterschiedlichen
werden
Volumetrie,
Messverfahren
mediolateraler
zur
axialer
Durchmesser und die Koos-Klassifikation. Das funktionelle Outcome der Hirnnerven
wurde isoliert und beispielhaft am N. Facialis-Ergebnis gemessen, da dies der einzige
Funktionsparameter ist, für den im Gegensatz zur N. cochlearis Funktion eine
interdisziplinär etablierte Klassifikation (House-Brackmannn-Klassifikation) existiert.
Die Auswertung der erhobenen Daten zeigt, dass Volumetrie und Tumor-Klassifikation
nach Koos gut miteinander korrelieren (r=0,91, siehe Kapitel 5.2.1, S.32). Beide
Einteilungen sind in ihren jeweiligen Disziplinen etablierte Methoden zur Erfassung des
Tumorvolumens und können einander nun direkt zugeordnet werden (siehe auch
Abbildung 25, S.33).
Die Gruppe der Vestibularis-Schwannome Grad 1 nach Koos umfasst Volumina von
0,132 cm³ bis 0,391 cm³ bei einem Mittelwert von 0,236 +/- 0,101 cm³
Standardabweichung (Median 0,210 cm³). Die Facialis-Ergebnisse sind mit 100%
House- Brackmann- Grad 1 sehr gut.
Koos 2 Tumore reichen von 0,107 cm³ bis 1,104 cm³ (Mittelwert 0,508 cm³ +/- 0,247
cm³, Median 0,406 cm³). Die Facialisergebnisse waren mit 71,43% Grad 1 und 28,57%
Grad 2 ebenfalls sehr gut.
Die volumetrische Erfassung von Vestibularis-Schwannomen Grad 3 nach Koos ergibt
Werte von 0,737 cm³ bis 4,640 cm³ bei einem Mittelwert von 2,113 cm³ mit einer
Standardabweichung von +/- 0,868 cm³ (Median von 1, 565 cm³). 50% dieser Tumoren
erzielen postoperativ Grad 1, 35,71% Grad 2 und 14,27% Grad 3 nach der HouseBrackmann-Klassifikation.
Die größte Spannweite an Volumina findet sich bei Vestibularis-Schwannomen Grad 4
nach Koos: 2,960 cm³ bis 33,244 cm³. Der Mittelwert beträgt 10,791 cm³ bei einer
Standardabweichung von +/- 4,597 cm³ (Median 7,526 cm³). Das funktionelle Outcome
des Nervus facialis beträgt bei 37,5% der Patienten Grad 1, bei 25% Grad 2, bei 27,5%
Grad 3 und bei 10% Grad 4.
Mit ansteigendem Volumen und Koos-Grad nimmt die Anzahl der Patienten mit
Facialis-Beeinträchtigung zu.
Die prozentuale Standardabweichung der einzelnen Koos-Grade um ihren jeweiligen
Mittelwert beträgt teilweise fast 50% (Koos 3 und 4). Zudem finden Überschneidungen
zwischen den einzelnen Klassifikationsgraden. So kann beispielsweise ein Tumor des
Volumens 2,5 cm³ sowohl Grad 3 als auch Grad 4 nach Koos zugeordnet werden. Die
definitive Einteilung orientiert sich an der anatomischen Ausdehnung des Tumors
Richtung Kleinhirnbrückenwinkel und den angrenzenden kaudalen und kranialen
47
Hirnnerven. Diese Schwankungen entstehen durch die individuelle Anatomie der
Patienten, die nicht alle über das gleiche Schädelvolumen verfügen. Zudem orientiert
sich
die
Klassifikation
nach
Koos
nahezu
ausschließlich
an
anatomischen
Begleitstrukturen und nicht am reinen Volumen eines Tumors. Diese Einteilung
orientiert sich eng am Patienten, da die Berücksichtigung anatomischer Strukturen
zugleich auch individuelle funktionelle Risiken beurteilt. Ihr großer Nachteil besteht
aber darin, dass sie kaum Rückschlüsse auf die tatsächliche Größe des Tumors
zulässt. Ein Grad 3 Tumor nach Koos kann sowohl 0,737 cm³ (Minimum) als auch
4,640 cm³ (Maximum) umfassen. Bei einem chirurgischen Eingriff bedeutet ein solcher
Größenunterschied einen anderen Schwierigkeitsgrad und völlig andere potentielle
postoperative
Komplikationen. Auch
im
Mittelwert
(2,113
cm³)
und
in
der
Standardabweichung (0,868 cm³ beziehungsweise 41,1%) spiegeln sich diese
enormen Größenunterschiede wieder. Ergänzend sollte erwähnt werden, dass der
Mittelwert von Ausreißern verzerrt wird. Ein verlässlicherer, jedoch kaum etablierter,
Wert wäre der Median. Dieser Wert beträgt in Fall von Koos 3 1,565 cm³.
Da im klinischen Alltag selten Kapazität für eine komplette volumetrische Erfassung
vorhanden ist und nicht alle MRT Datensätze für eine Volumetrie ausreichend sind,
kann man die ABC/2 Formel nach Huttner [27] verwenden, um das Volumen
abzuschätzen. Diese etablierte Formel wird zur Prognoseabschätzung intrakranieller
Hämatome verwendet und wurde nun erstmals zur volumetrischen Erfassung von
Tumoren verwendet. Das geschätzte Volumen korreliert sehr gut mit dem tatsächlich
gemessenen Volumen (r=0,96) und kann daher analog zu diesem verwendet werden.
Die Volumenschätzung ist ohne zusätzlichen apparativen Aufwand schnell und einfach
verfügbar und somit gut in den klinischen Alltag integrierbar.
Dadurch ergibt sich die Möglichkeit des direkten Größenvergleichs zwischen
chirurgischen und radiotherapeutischen Verfahren.
Die Arbeit konnte zeigen, dass die maximale Ausdehnung des Tumors in der axialen
Achse mit dem tatsächlichen Tumorvolumen gut korreliert (r=0,79). Interessanterweise
ist dieser Parameter in chirurgischen Publikationen gut etabliert, aber in keinster Weise
definiert. Es existieren die unterschiedlichsten Messmethoden zur Erfassung dieser
Größe:
Manche Autoren messen
den maximalen Durchmesser
in der
horizontalen
Ausdehnung des Tumors [48], andere nehmen den tatsächlichen maximalen
Durchmesser [13] [6] und halten sich nicht an zusätzliche Festlegungen, die eine
Vergleichbarkeit ermöglichen würden [15].
Varughese et al. verglichen in einer 2010 erschienenen Publikation die Verlässlichkeit
48
und Genauigkeit von verschiedenen Messverfahren, die für VS gängig sind und stuften
den maximalen Durchmesser als den unverlässlichsten Messwert ein [49]. Aufgrund
der variablen Erfassung spielt diese Größe in vorliegender Arbeit keine tragende Rolle.
Die Volumenschätzung ist am besten geeignet, um auf das tatsächliche TumorVolumen zu schließen.
Van de Langenberg et al. vergleichen in ihrer 2009 erschienen Publikation
zweidimensionale Messungen mit volumetrischen Werten in Hinsicht auf Aussagekraft
bezüglich des Wachstums von Vestibularis- Schwannomen [48]. Sie kamen zu dem
Ergebnis, dass die Volumetrie im Vergleich zu zweidimensionalen Messungen
diesbezüglich exaktere Aussagen liefert. Vestibularis- Schwannome folgen keinem
typischen
Wachstumsmuster,
daher
kann
die
Volumetrie
die
tatsächlichen
Tumorausmaße besser erfassen.
Interessanterweise bietet auch eine präoperative Trigeminus-Beteiligung Hinweise auf
eine postoperative Facialis-Parese. Die statistische Auswertung ergab einen
signifikanten Unterschied in der prozentualen Verteilung der Facialis-Grade nach
House-Brackmann zwischen den Gruppen mit beziehungsweise ohne präoperative
Trigeminus-Beteiligung (p<0,05*, vergleiche Tabelle 5, S.31). Die Tumorgröße spielt bei
der Trigeminusbeteiligung eine eher untergeordnete Rolle: Das Gesamtvolumen bei
diesen Patienten ist zwar größer als in der Vergleichsgruppe (Mittelwert 6,302 cm³ vs.
5,019cm³), doch der Größenunterschied ist nicht signifikant (p>0,05).
Warum manche Tumore schon bei kleinen Volumina eine Trigeminus-Beteiligung
hervorrufen ist bisher nicht nachvollziehbar. Eventuell kann diese Frage mit dem
Tumorursprung (N. vestibularis inferior/ N. vestibularis superior) beantwortet werden.
Rachinger et al. berichteten 2011 von einem Zusammenhang zwischen Tumorursprung
und Hörerhalt [37]. Je nach Tumorursprung variieren die Chancen auf postoperativen
Hörerhalt.
Eventuell
findet
sich
solch
ein
Zusammenhang
auch
für
Trigeminusbeteiligung und Tumorursprung. Diese Aspekte wurden in der vorliegenden
Arbeit nicht untersucht
Eignet sich das Volumen für die Risikoabschätzung der Funktion des VII. Hirnnervens?
Die Rolle des Tumorvolumens als prädiktiver Faktor für das funktionelle Outcome nach
der Operation wird kontrovers diskutiert. Immer wieder erscheinen Arbeiten, die das
Tumorvolumens als unverlässlichen Parameter einschätzen [18], während andere das
Tumorvolumen als maßgeblichen Einflussfaktor auf das postoperative Outcome
interpretieren [[15], [17], [6], [12], [40]. Doch selbst große Tumore können gute FacialisErgebnisse erzielen. Die Tumorgröße verrät nicht zwingend etwas über den
potentiellen Hör- und Facialis-Erhalt. Sowohl das tatsächliche Volumen des Tumors als
49
auch die eindimensionale mediolaterale Größe korrelieren nur schwach mit dem
postoperativem Facialis-Outcome (r=0,32 beziehungsweise r=0,38). Diese Ergebnisse
lassen bereits erwarten, dass auch die Volumenschätzung anhand der Ausdehnung
des Tumors im dreidimensionalen Raum nur schwach mit den postoperativen FacialisErgebnissen korreliert (r=0,36).
Diese
Ergebnisse
demonstrieren,
dass
perioperative
Strategien
für
die
Funktionsoptimierung des Nervus facialis wie zum Beispiel intraoperatives HirnnervenMonitoring und die Gabe vasoaktiver Substanzen die funktionellen Ergebnisse
möglicherweise ebenfalls günstig beeinflussen können.
Dennoch bietet das Tumorvolumen einen guten Anhalt für die postoperative FacialisFunktion, da sich die Volumina der Gruppe mit guten Facialis-Ergebnissen (Grad 1 und
2
nach
House-Brackmann)
signifikant
von
denen
mit
ungünstigen
Funktionsergebnissen (Grad 3 und 4 nach House-Brackmann) unterscheiden
(p<0,05*). Der Median beträgt 4,511 cm³ beziehungsweise 8,401 cm³.
Man kann das Tumorvolumen tatsächlich als Prognosefaktor für das Facialisergebnis
verwenden. Untersucht man mittels ROC-Kurve (siehe Abbildung 30, S.38) die
Messdaten nach einem Volumen-Wert, ab dem die Facialis-Ergebnisse signifikant
schlechter werden, so finden sich für Volumina >5,662 cm³ ein erhöhtes Risiko für
schlechtere Facialis-Funktionen postoperativ (HB Grad 3 und 4). Wie in Kapitel 5.2.1.1
(S.38) dargelegt, wurden die House-Brackmannn-Grade 1 und 2 als gute FacialisErgebnisse und die Grade 3 und 4 als schlechte Facialis-Ergebnisse gewertet, wobei
klar ist, dass zwischen Koos 3 und 4 nochmals ein großer qualitativer Unterschied
besteht.
Die Sensitivität dieses Tests beträgt 70%, das heißt 70% der Tumore mit Volumina
>5,622 cm³ erzielen also postoperativ ein schlechteres Outcome (House-Brackmann
Grad 3 oder 4) als kleinere Tumore.
30% der Patienten mit Tumoren <5,622 cm³ erreichen postoperativ ein schlechteres
Facialisergebnis als erwartet (= Anteil der falsch Negativen).
Die Spezifität des Tests beträgt 77,5%, das heißt in 77,5% der vermuteten schlechten
Ergebnisse trifft damit die Vorhersage eines schlechten postoperativen Outcomes
(House-Brackmann-Grad 1 oder 2) ein. Somit werden bei 22,5% der Patienten
fälschlicherweise schlechte Ergebnisse erwartet (=Anteil der falsch Positiven).
Patienten können somit individuell besser auf ihre zu erwartenden Ergebnisse
vorbereitet werden.
Diese Ergebnisse wurden unter optimalen Bedingungen erzielt: intraoperatives
Neuromonitoring, Gabe vasoaktiver Substanzen, ein erfahrener Operateur. Es ist daher
durchaus möglich, dass diese Ergebnisse unter anderen Voraussetzungen nicht
reproduzierbar sind.
50
Auch andere Autoren beschäftigten sich mit der Frage nach einem volumetrischen
Grenzwert, ab dem die Facialis- Ergebnisse signifikant schlechter werden. So
veröffentlichten Friedman et al 2006 eine Studie über LINAC-Bestrahlung, in der sie
einen Zusammenhang zwischen Volumen und Facialis-Ergebnis nachwiesen [17].
2011 ermittelten Falcioni et al. einen Grenzwert von > 2cm im maximalen
extrameatalen Durchmesser ermittelten [15]. Oberhalb dieses Grenzwertes fanden sich
signifikant häufiger Facialisgrade 4 bis 6 nach der House-Brackmann-Klassifikation.
Allerdings ist der maximaler extrameatale Durchmesser nicht standardisiert. Zudem
erscheint es fragwürdig, dass in dieser Arbeit Grad 3 nach House-Brackmann noch als
zufriedenstellendes Ergebnis gewertet wird (Definition Grad 3: normaler Ruhetonus,
sichtbare Synkinesien, Kontraktur, hemifacialer Spasmus, bei Innervation deutliche,
nicht entstellende Asymmetrie, [26]).
Hayhurst et al geben in ihrer, ebenfalls 2011 veröffentlichten, Arbeit ein erhöhtes Risiko
für adverse radiation effects für Volumen > 5cm³ an [22].
Aktuell beschäftigen sich somit einige Arbeiten mit der Frage nach volumetrischen
Grenzen,
jenseits
derer
das
Facialis-Ergebnis
selbst
durch
optimale
Rahmenbedingungen (Operationsvorbereitung, peri-und postoperatives Monitoring,
geringere Strahlendosis, gezielte Strahlenverteilung) kaum noch positiv beeinflusst
werden kann.
Ein weiteres Anliegen besteht darin, prätherapeutische Prognosefaktoren zu
identifizieren, um das individuelles Risiko eines jeden Patienten besser abschätzen zu
können. 2009 erschien eine Arbeit von Greganov et al, die besagt, dass Patienten mit
Kopfschmerzen, Schwindel oder Facialis-Parese zum Zeitpunkt der Diagnosestellung
postoperativ signifikant schlechtere Facialis-Ergebnisse zu erwarten haben [20].
Unsere Arbeit zeigt zudem, dass auch Patienten mit präoperativer Trigeminus-Affektion
ein schlechteres Outcome zu erwarten haben.
Die Einführung von Veröffentlichungs-Standards, wie sie Bassim et al fordern sind
unerlässlich,
um
dem
betroffenen
Patienten
die
Grundlage
für
seine
Therapieentscheidung zu liefern. In einem Bereich der Medizin, in dem keine
Richtlinien oder Leitlinien für die Therapieentscheidung existieren und solch
unterschiedliche
Therapieansätze
angeboten
werden,
sollten
wenigstens
die
ABC/2-Formel
zur
konkurrierenden Verfahren vergleichbar sein.
Dies
wird
mit
vorliegender
Arbeit,
die
erstmals
die
Volumenschätzung im Bereich von Tumoren implementiert, nun ermöglicht. Die
Ergebnisse konkurrierenden Verfahren sind interpretierbar und können auf den jeweils
eigenen Fachbereich übertragen werden.
Zusätzlich kann über das ermittelte Volumen das Risiko des Patienten für eine FacialisParese erstmals an konkreten Zahlenwerten festgemacht werden.
51
Fazit
Präoperative Paresen des VII.Hirnnerven lassen einen Rückschluss auf das
Tumorvolumen zu. Mit zunehmendem Parese-Grad nimmt auch der Tumor an Volumen
zu.
Patienten, die vor der Operation eine Parese des V. Hirnnerven aufweisen, müssen
postoperativ mit einem schlechteren Facialis-Ergebnis rechnen. Eine Parese des V.
Hirnnerven lässt keinen Rückschluss auf das tatsächliche Tumorvolumen zu, da auch
kleine Tumoren den N. trigeminus beeinträchtigen können.
52
7.
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8.
Abkürzungsverzeichnis
3-D-CISS
3-D- constructive interference in steady state
AAO- HNS
American Academy of Otolaryngology, Head and Neck
Surgery
HB
House-Brackmann
FoV
Field of view
IRSA
International RadioSurgery Association
KM
Kontrastmittel
MR
Magnet-Resonance
MRI
Magnet-Resonance-Imaging
MRT
Magnet-Resonanz-Therapie
N.
Nervus
PTA
pure tone average
S.
Seite
SL
Slice length
TE
echo time
TR
repetition time
VIBE
volumetric interpolated breath hold examination
VS
Vestibular Schwannoma, Vestibularis- Schwannom
58
9.
9.1
Anhang
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: T2 gewichtete MRT, VS links .................................................................. 13
Abbildung 2: T2 gewichtete MRT, VS links volumetriert .............................................. 13
Abbildung 3: T2 gewichtete MRT, kraniokaudaler Durchmesser eines VS rechts ........ 14
Abbildung 4: sagittaler Durchmesser, T2 gewichtete MRT, VS rechts ......................... 14
Abbildung 5: maximaler extrameataler Durchmesser, T2 gewichtete MRT, VS links ... 15
Abbildung 6: Durchmesser anterior- posterior, T2 gewichtete MRT, VS rechts ............ 15
Abbildung 7: intrameataler Durchmesser, T1 gewichtete MRT nach Gadolinium- Gabe,
VS links ...................................................................................................................... 16
Abbildung 8: maximaler Durchmesser, T2 gewichtete MRT, VS rechts ....................... 16
Abbildung 9: Einteilung von Vestibularis- Schwannomen nach Koos .......................... 17
Abbildung 10: Beispiel für VS Grad 1 nach Koos, T1 gewichtete MRT nach GadoliniumGabe........................................................................................................................... 18
Abbildung 11: VS rechts Grad 2 nach Koos, T1 gewichtete MRT nach GadoliniumGabe........................................................................................................................... 18
Abbildung 12: VS links Grad 2 nach Koos, T1 gewichtete MRT nach Gadolinium- Gabe
................................................................................................................................... 19
Abbildung 13: VS Grad 3 nach Koos, T2 gewichtete MRT .......................................... 19
Abbildung 14: VS Grad 3 nach Koos, T1 gewichtete MRT nach Gadolinium- Gabe .... 20
Abbildung 15: VS Grad 4 nach Koos, T1 gewichtete MRT nach Gadolinium- Gabe
20
Abbildung 16: VS Grad 4 nach Koos, T1 gewichtete MRT nach Gadolinium- Gabe .... 21
Abbildung 17: Fragestellung: Tumorausdehnung bis zu den kranialen Hirnnerven (Pfeil
kennzeichnet N. trigeminus), T2 gewichtete MRT ....................................................... 21
Abbildung 18: Fragestellung: Tumorausdehnung bis zu den kaudalen Hirnnerven (Pfeil
kennzeichnet kaudale Hirnnervengruppe), T2 gewichtete MRT .................................. 22
Abbildung 19: präoperative Facialis-Funktion, eingeteilt nach der House-BrackmannKlassifikation............................................................................................................... 25
Abbildung 20: postoperative Facialis- Ergebnisse, eingeteilt nach der HouseBrackmann- Klassifikation........................................................................................... 25
Abbildung 21: postoperative Facialis- Ergebnisse der einzelnen Koos- Grade............ 27
Abbildung 22: Präoperatives Hören, Einteilung modifiziert nach AAO- HNS ............... 28
Abbildung 23: Postoperatives Hören, Einteilung modifiziert nach AAO- HNS .............. 28
Abbildung 24: Hörergebnisse nach der modifizierten Einteilung der AAO-HNS,
aufgeschlüsst nach Koos-Gruppen ............................................................................. 29
Abbildung 25: Volumenverteilung der Koos- Grade in [cm³] ........................................ 33
59
Abbildung 26: Volumenverteilung Koos 1.................................................................... 34
Abbildung 27: Volumenverteilung Koos 2.................................................................... 35
Abbildung 28: Volumenverteilung Koos 3.................................................................... 36
Abbildung 29: Volumenverteilung Koos 4.................................................................... 37
Abbildung 30: ROC-Kurve zur Demonstration des Zusammenhanges zwischen
Volumen und postoperativem Facialis-Ergebnis ......................................................... 38
Abbildung 31: ROC-Kurve zur Demonstration des Zusammenhanges zwischen
Facialis-Ergebnis und Koos-Grad ............................................................................... 40
Abbildung 32: Korrelation zwischen Gesamtvolumen und Volumenschätzung/3 ......... 41
Abbildung 33: Zusammenhang zwischen Gesamtvolumen und Volumenschätzung/2 42
9.2
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Hörklassen nach der modifizierten Einteilung der American Society of
Otolaryngology- Head and Neck Surgery .................................................................... 11
Tabelle 2: Die am häufigsten verwendeten Sequenzen und ihre Matrices ................... 12
Tabelle 3: Facialis - Ergebnisse nach House-Brackmann mit Volumen [cm³] .............. 26
Tabelle 4: Facialis - Ergebnisse der einzelnen Koos - Grade in % .............................. 27
Tabelle 5: Facialis- Ergebnisse bei präoperativer Trigeminus-Beteiligung
beziehungsweise ohne präoperative Trigeminus- Beteiligung ..................................... 31
Tabelle 6: Volumenverteilung der einzelnen Koos- Grade (alle Volumina - Angaben in
cm³) ............................................................................................................................ 33
Tabelle 7: Volumenverteilung Koos Grad 1 ................................................................. 34
Tabelle 8: Volumenverteilung Koos Grad 2 ................................................................. 35
Tabelle 9: Volumenverteilung Koos Grad 3 ................................................................. 36
Tabelle 10: Volumenverteilung Koos Grad 4 ............................................................... 37
Tabelle 11: Korrelationskoeffizienten (geschätztes versus gemessenes Volumen) für die
einzelnen Koos –Grade .............................................................................................. 43
60
10. Danksagung
Mein ganz besonderer Dank gilt
Professor Dr. med. Tobias Engelhorn für die freundliche Überlassung des Themas, die
hervorragende Betreuung und die Erstellung des Erstgutachtens.
Professor Dr. med. Arnd Dörfler für die Möglichkeit in der Abteilung für Neuroradiologie
des Universitätsklinikums Erlangen promovieren zu dürfen.
Dr. med. Stefan Rampp für die anleitende Unterstützung bei der statistischen
Auswertung.
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