Irak – „Wiege der Zivilisation“

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Irak – „Wiege der Zivilisation“
Im Irak herrscht Krieg. Seit 20.
März. Der Boden, auf dem amerikanische und britische Panzer rollen
und Marschflugkörper einschlagen,
ist uraltes Kulturland, in dem die
reichhaltigsten bekannten archäologischen Stätten der Welt beheimatet
sind. Jahrtausendelang im Zeitalter
der Sumerer, Babylonier und Assyrer
und noch einmal für mehrere Jahrhunderte unter dem Kalifat der
Abbassiden bildete der Irak den
Mittelpunkt der zivilisierten Alten
Welt.
Die erste Hochkultur im Vorderen Orient entsteht auf irakischem
Boden. Als die „neolithische Revolution“ – die Domestizierung von Tieren und die Züchtung von Kulturpflanzen vor über 10 000 Jahren –
die Sesshaftwerdung der Menschen
zur Folge hat, finden diese in Mesopotamien ideale natürliche Voraussetzungen: nahezu unbegrenzt vorhandenen fruchtbaren Boden und
ausreichende, ganzjährig verfügbare
Wasserressourcen.
Die Gegebenheiten erlauben eine
fast uneingeschränkte Vermehrung
der Siedler, verlangen aber gleichzeitig kollektive, organisierte Anstrengungen, um Bewässerungssysteme anzulegen, Landwirtschaft und
Viehzucht im Großmaßstab zu betreiben und Städte aufzubauen: Die
Hochkultur der Sumerer entsteht.
Erfindung der Schrift
Eine Glanzleistung besteht in der Erfindung der Schrift (um 3200 v.
Chr.), auf der die über 3000-jährige
Geschichte der Keilschriftliteratur
aufbaute. Die hochentwickelte Arbeitsteilung und der weitreichende
Handelsaustausch vom Mittelmeerraum bis Indien verschaffen der
„Wiege der Zivilisation“ immense
Vorteile, so dass sich das Alte Mesopotamien jahrtausendelang als
Mittelpunkt der zivilisierten Welt behaupten kann.
Die Metropole der sumerischen
Kultur ist die Stadt Uruk, Heimat
des legendären Königs Gilgamesch.
Schon vor über 5000 Jahren ist
Uruk die mit Abstand größte Stadt
der damaligen Welt – mit etwa 600
Hektar Stadtfläche, einer neun Kilometer langen Stadtmauer und ungefähr 50 000 Einwohnern zehnmal
größer als jede andere zeitgenössische Stadt und erst 2500 Jahre spä4
Foto: dpa
Wo derzeit gekämpft wird, bestand über viele Jahrhunderte ein Zentrum von Hochkulturen
Kadhimiyah-Moschee in Bagdad – einige der wichtigsten schiitischen Moscheen im Irak
ter, in der Mitte des 1. Jahrtausends
v. Chr., übertroffen von Babylon.
Nachdem um 2000 v. Chr. der
sumerische Süden Mesopotamiens
unter großen Umweltproblemen leidet (Nahrungsmittelknappheit durch
Flussbettverlagerungen und Bodenversalzung), wandert die Bevölkerung ab, und die Sumerer werden im
Laufe der Zeit von Völkerwanderungen absorbiert. Der Mittelpunkt des
Landes verschiebt sich in den Zentralirak: Zuerst ist für 200 Jahre Isin
die Hauptstadt, ab ca. 1800 wird
dann Babylon für 1500 Jahre das
Zentrum.
Im Norden des heutigen Irak setzen sich die semitischen Assyrer
durch, in der Mitte und im Süden die
Babylonier; sie werden später „Chaldäer“ genannt. Sie entwickeln die
Naturwissenschaften (vor allem Mathematik, Astronomie, Medizin),
schaffen viele neuartige Technologien (z. B. erfinden die Assyrer
2700 Jahre vor Gutenberg den
Druck mit beweglichen Lettern, der
allerdings bald wieder aufgegeben
wurde) und bauen komplexe Sozialund Rechtssysteme auf, unter denen
das erste kodifizierte Recht des Königs Hammurabi (1792–1750) berühmt geworden ist. Auch verschrif-
ten sie ihr gesamtes Wissen und
sammeln es in Bibliotheken.
10 000 Ruinenhügel zeugen von
der Blüte dieser Hochkulturen
Im 1. Jahrtausend v. Chr. schaffen
die Assyrer (883–612) und danach
der Babylonier Nebukadnezar
(604–562) erstmalig Imperien, die
überwiegende Teile der damals bekannten Welt kontrollieren. Nebukadnezar setzt die Ressourcen seines
Weltreichs ein, um dessen Hauptstadt Babylon zur glanzvollen Metropole mit schätzungsweise einer Million Einwohnern aufzubauen. Er vollendet den über 100 Meter hohen
„Turm von Babel“ (den Hochtempel
des Landesgottes Marduk), baut das
bekannte Ischtar-Tor (jetzt im Pergamon-Museum in Berlin) und verschafft der Stadt einen unvergänglichen Mythos. Auch die legendären
Hängenden Gärten der Königin Semiramis, eines der Sieben Weltwunder
der Antike, haben zusammen mit
den Berichten der Bibel bis heute für
den Ruhm der Stadt gesorgt, die wie
kaum eine andere in der Welt Macht
und Reichtum verkörpert – aber
auch Größenwahn und Verfall.
Etwa 10 000 registrierte, zum
allergrößten Teil noch nicht ausgegrabene Ruinenhügel im heutigen
Irak zeugen von der langen Blütezeit dieser vergangenen Hochkulturen.
Als in der Mitte des 1. Jahrtausends v. Chr. neue Völker und Kulturen aufstreben – im benachbarten
Iran die indogermanischen Meder
(aus denen die späteren Kurden hervorgehen) und die Perser sowie im
Mittelmeerraum die Griechen –, ist
Mesopotamien nicht wandlungsfähig
genug, um ein selbständiges und
gleichwertiges Gegengewicht bilden
zu können, und so wird es von den
konkurrierenden Mächten vereinnahmt.
Weisheit aus dem Morgenland
Den letzten Höhepunkt von Bedeutung erlebt Mesopotamien unter Alexander dem Großen, der Babylon zur
Hauptstadt seines Weltreichs machen will, wo er 323 stirbt. Alexander führt in seinem Begleittross zahlreiche griechische Experten mit, die
die sprichwörtliche Gelehrsamkeit
der Chaldäer – der „Weisen aus dem
Morgenland“ – aufnehmen und nach
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Fotos: Sommerfeld
Literatur blühen und regen nachhaltig auch die abendländische Zivilisation an.
In beispiellos zerstörerischen Eroberungsfeldzügen dringen die Mongolen aus Zentralasien bis in den
Vorderen Orient vor. 1258 erobern
sie Bagdad, töten den letzten abbassidischen Kalifen und die gesamte
gelehrte, künstlerische und religiöse
Elite. Sie zerstören die Infrastruktur
– vor allem die Städte und Kanalsysteme – so vollständig, dass das Gebiet des heutigen Irak sich davon
über Jahrhunderte nicht erholen
kann und zu einer wirtschaftlich
schwachen und politisch unbedeutenden Region herabsinkt. Erst im
20. Jahrhundert kann der Irak – begünstigt durch die reichen Öleinnahmen – die Entwicklung forcieren und
zu einer wichtigen Macht im Vorderen Orient aufsteigen.
Deutsche Forschungen im Irak
Ausgrabung im Bereich des Haupttempels von Isin 1988
Die Kulturen der Sumerer, Babylonier und Assyrer zu erforschen, ist
früh die Grabungslizenzen für einige
der wichtigsten antiken Städte Mesopotamiens. Bekannt wurden die
Ausgrabungen von Robert Koldewey
in Babylon (1898–1917), von Walter
Andrae in Assur (1903–1914) und
diejenigen des Deutschen Archäologischen Instituts in Uruk (seit 1912).
In Assur und Uruk konnten deutsche Expeditionen die Forschungen
in den letzten Jahren begrenzt wieder aufnehmen, wenn auch nur unter
großen Schwierigkeiten, mit denen
aufgrund des 1990 verhängten Wirtschaftsembargos jede praktische Organisation im Irak zu kämpfen hat. In
Assyrien befinden sich die Ausgräber in einem Wettlauf mit der Zeit,
denn als Reaktion auf einen dramatischen Wassermangel – bedingt
durch die zahlreichen Staudammprojekte in der Osttürkei – wird ein im
Bau befindlicher Großstaudamm in
wenigen Jahren die ganze Region
überfluten und Assur mitsamt etwa
70 weiteren noch unerforschten antiken Stätten unter sich begraben.
Eine weitere wichtige deutsche
Grabung wurde 1973 in Isin unter
Leitung des Münchener Archäologen
Professor Barthel Hrouda begonnen.
In den letzten Kampagnen habe ich
selbst dort als Epigraphist mitgearbeitet, und nach der Pensionierung
von Professor Hrouda ist die Lizenz
auf mich übergegangen. Nach langwierigen Vorbereitungen und mühsamen Verhandlungen sieht die Planung vor, zusammen mit dem Team
des Archäologen Professor Dietrich
Sürenhagen (Universität Konstanz)
die Ausgrabungen im Herbst 2003
wieder aufzunehmen. Ob dies tatsächlich zu realisieren ist, ist allerdings gegenwärtig völlig offen.
Edition unveröffentlichter
Keilschriften
Heute ist die Gegend um Isin von Raubgräbern wie eine Mondlandschaft durchpflügt – mit bis zu zehn Meter tiefen Löchern
Europa transportieren, wo sie die
abendländischen Wissenschaften inspiriert und in sie einfließt.
Mesopotamien verliert den Rang
als führende Kulturnation und bleibt
unter der Vorherrschaft der Perser
(539–331), Griechen (330–127),
Parther (126 v. – 227 n. Chr.) und
der iranischen Sassaniden (227–
636) eine unselbständige, an Einfluss und Wohlstand stark reduzierte
Provinz.
Erster Niedergang durch die
Feldzüge der Mongolen
Die islamische Kultur erreicht ihren
Höhepunkt unter dem Kalifat der Abbassiden (750–1258), die Bagdad
zum Zentrum ihres Weltreiches machen. In dieser zweiten großen Ära
seiner langen Geschichte ist der Irak
wiederum für Jahrhunderte die führende Kulturnation der Alten Welt.
Wissenschaften, Philosophie und
zentrale Aufgabe der Altorientalistik,
einer Disziplin, die in Deutschland
mit etwa einem Dutzend Instituten an
fast allen Traditionsuniversitäten gut
etabliert ist, die allerdings durch eine
Hochschulpolitik, die sich zunehmend
an kurzfristigen Planungsdaten und
oberflächlichen Effizienzkriterien
orientiert, auch akut bedroht ist.
Bedingt durch die Orientbegeisterung von Kaiser Wilhelm II. sicherte sich die deutsche Wissenschaft
Während die Feldarchäologie im Irak
vor großen Hindernissen steht, waren Projekte in der Hauptstadt Bagdad bislang leichter zu verwirklichen.
Ich habe in den letzten beiden Jahrzehnten eine enge Kooperation mit
dem Department of Archaeology der
dortigen Universität und mit dem
Iraq Museum, das eine der reichsten
Kollektionen weltweit besitzt, aufgebaut. Der Schwerpunkt liegt dabei
auf der Edition von unveröffentlichten Keilschrifttexten, von denen das
Iraq Museum Zehntausende hütet.
In der antiken Stadt Sippar, die –
ca. 40 km westlich von Bagdad gelegen – jahrtausendelang ein wichtiges Kulturzentrum des Alten Orients
war, gelang 1988 den irakischen Archäologen ein „Jahrhundertfund“:
Sie fanden die einzige unversehrt er5
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Verwaltung geschwächt hat, seit
1992 eine beispiellose Konjunktur
erfahren. Bewaffnete und mit moderner Technik ausgestattete Banden
organisieren die Raubgrabungen
vom Ausland aus, die ortsansässigen Bauern werden als Arbeitskräfte
angeheuert und die Funde dann
nach Übersee verschoben.
Unersetzbares Kulturgut wird
unwiederbringlich zerstört
Jahrhundertfund von 1988: In den insgesamt 30 Fächern dieser unversehrt erhaltenen Bibliothek wurden fast 400
zweieinhalbtausend Jahre alte Keilschrifttafeln im Originalzustand entdeckt
haltene Bibliothek des Altertums in
ihrem Originalzustand auf; die fast
400 Keilschrifttafeln standen noch
nach 2500 Jahren in der ursprünglichen Anordnung in den Regalen.
Die Bibliothek enthält zahlreiche Werke der Literatur, darunter Mythen,
die bislang nicht bekannt waren, und
einen Querschnitt altorientalischer
Wissenschaft – vor allem Medizin
und Astronomie – wie auch viele
zweisprachige sumerisch-babylonische Wörterbücher. Diese Bibliothek
wird jetzt in Zusammenarbeit zwischen der Universität Bagdad und
der Marburger Altorientalistik herausgegeben.
Insgesamt konnte ich in den letzten 15 Jahren im Iraq Museum Tausende Tontafeln dokumentieren, die
als Grundlage für die in Marburg
durchgeführte Forschung dienen und
auch von den Doktoranden und Habilitanden ausgewertet werden. Weltweit führend in der Bearbeitung aller
Keilschrifttexte des 3. Jahrtausends
v. Chr. – ein Korpus von ungefähr
120 000 Inschriften – ist die University of California in Los Angeles mit
ihrem Projekt „Cuneiform Digital Library Initiative“ (CDLI). Im November
2002 hat deren Team meine Fotosammlung eingescannt, die jetzt im
Internet zugänglich gemacht und von
einer internationalen Forschergruppe
bearbeitet werden soll (http://www.
cdli.ucla.edu).
Aus der langen Tradition der
Keilschriftliteratur sind annähernd eine Million Inschriften wieder aufge6
funden wurden, von denen erst etwa
ein Viertel für die Forschung erschlossen ist. Jedes Jahr kommen
zahllose neue Quellen hinzu. Die vollständige Edition wird noch Generationen von Forschern beschäftigen
und Jahrhunderte in Anspruch nehmen. Schätzungen besagen, dass
im Boden des Vorderen Orients noch
bis zu 100 Millionen Keilschrifttexte
liegen könnten, die auf ihre Wiederentdeckung harren.
Das Schreibmaterial – also Ton –
war sehr billig und leicht zu beschreiben; also wurde die Keilschrift für eine große Bandbreite von Dokumenten angewandt, die fast alle Aspekte
des Alltagslebens ebenso wie die
Welt der Künste und der Wissenschaften erfassen. Das Erbe der
Keilschrifttafeln umfasst eine riesige
Zahl von Wirtschafts- und Verwaltungsurkunden, Briefe, Königsinschriften und Literatur jeder Art,
aber auch Witze, Kochrezepte, Musiknoten oder Anweisungen zur Pferdezucht. 800 Jahre lang hat die
Sternwarte von Babylon Tag für Tag
systematische Beobachtungen über
die Wetterlage und astronomische
Phänomene angefertigt. Diese Tagebücher liefern so exakte Daten, wie
sie erst von der modernen Wissenschaft seit dem 19. Jahrhundert wieder ermittelt werden konnten.
Die Verfügbarkeit einer solchen
Fülle von höchst detaillierten Informationen über die Welt des Alten
Orients macht die Altorientalistik zu
einer Kulturwissenschaft im breites-
ten Sinne: Sie behandelt alle Bereiche der Geschichte, Wirtschaft und
Gesellschaft, Religion, Wissenschaften und Schönen Künste des Alten
Mesopotamien.
Eldorado für Raubgräber
Welche Bedingungen treffen Ausgräber im Irak heute an?
Anfang Januar 2003 fuhr ich zuletzt nach Isin, um mir ein Bild der
aktuellen Verhältnisse zu verschaffen. Isin liegt etwa 200 Kilometer
südlich von Bagdad, mitten im ländlichen Stammesgebiet, 40 Kilometer
von der nächsten Stadt Diwaniyah
entfernt, und ist nur von Ortskundigen mit geländegängigen Fahrzeugen auf schlechten Pisten zu erreichen. Der Kommandeur der Garnison von Diwaniyah gab mir einige
Soldaten mit, die mit ihren Kalaschnikows in der Hand auf dem Pick-up
vorneweg fuhren und den Weg sicherten zum Schutz vor Überfällen
und Entführungen.
Die Wiege der Zivilisation ist inzwischen ein Eldorado für Raubgräber, und der internationale Antikenhandel betreibt weltweit ein blühendes Geschäft mit illegal erworbenen
Kulturgütern. Während in den letzten
Jahrzehnten vor dem Krieg von
1990 die Raubgrabungen im Irak
fast völlig unterbunden werden konnten, haben sie unter dem Embargo,
das die Bevölkerung des Landes ins
Elend gebracht und die staatliche
In Isin rücken nach Auskunft der Bevölkerung Nacht für Nacht mehr als
20 Autos an, und die Räuber nehmen mit Baumaschinen die Ruine
auseinander. Die Schäden haben
meine schlimmsten Befürchtungen
übertroffen – die Stätte ist wie eine
Mondlandschaft durchpflügt von
zahllosen großen Baugruben, die bis
zu zehn Meter tief reichen, und zusätzlich werden mit Tunneln die tiefen Schichten durchwühlt.
So wie Isin sind im gesamten
Irak zahllose antike Städte von Raubgrabungen betroffen. Jahrtausendealte unersetzbare Kulturgüter werden unwiederbringlich zerstört. Der
irakische Antikendienst kann dieser
Raubgrabungen kaum Herr werden,
dazu ist das Land zu groß und auch
zu unwegsam, die Zahl der historischen Orte zu hoch, die inneren Probleme sind in der allgemein kritischen Lage insgesamt kaum beherrschbar. Je schwächer die staatliche Verwaltung ist, desto einfacher
haben es die Raubgräber.
Folglich ist es sehr leicht, sich
traumhafte Sammlungen von Fundstücken auf dem Antikenmarkt zusammenzukaufen, da dieser seit
1991 mit Antiquitäten, die aus dem
Irak geraubt wurden, geradezu überschwemmt wird. Hochburgen dieses
Marktes sind London und die USA.
Einige Privatsammler besitzen inzwischen Kollektionen, die mit denen
großer öffentlicher Museen mithalten
können.
Auch Folgendes ist möglich: Ein
bekannter amerikanischer Sammler
kauft en gros mesopotamische Antiquitäten zu Großmarktpreisen auf
und stellt Fachleute an, die einen detaillierten Katalog mit Taxierung jedes Einzelstückes erstellen; auf diese Weise wird der Buchwert deutlich
gesteigert, die Kollektion dann einer
Universität gestiftet, die voll Dankbarkeit eine steuerlich abzugsfähige
Quittung ausstellt, die den Ankaufspreis um ein Mehrfaches übertrifft –
ein herrliches Geschäft zur großen
Befriedigung aller Beteiligten. Die
internationale Gemeinschaft unternimmt so gut wie nichts, um den illegalen Antikenhandel zu unterbinden,
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da der Irak als der „Schurkenstaat“
schlechthin keine Lobby hat.
Handelssanktionen haben
dem Kulturerbe sehr geschadet
4000 Jahre alte Königsinschrift aus Isin. Texte dieser Art werden in der Marburger Altorientalistik ausgewertet.
waren im ersten Irakkrieg nicht übermäßig. Zwar wurde 1991 auch das
Iraq Museum in Bagdad – es liegt in
unmittelbarer Nähe zum Hauptbahnhof und zu wichtigen Kommunikationseinrichtungen – getroffen und
ein Teil der Objekte beschädigt. In
den Aufständen und Wirren nach
Kriegsende wurden mehrere Provinzmuseen zerstört und einige tausend
Exponate geplündert, die dann ins
Ausland verschoben wurden oder
verschollen sind. Die eigentlichen
Schäden, deren Umfang dramatische Dimensionen hat, sind indirekt
entstanden: durch den ungehinderten Handel mit Antiquitäten und die
so finanzierten großflächigen Raubgrabungen sowie durch den allgemeinen Verfall des Landes unter
dem 13-jährigen Embargoregime.
Perspektive der Marburger
Altorientalistik
Wie andere „kleine Fächer“ muss
sich auch die Altorientalistik angesichts veränderter Koordinaten in
der Bildungspolitik neu orientieren.
In Anbetracht des außerordentlich
reichhaltigen Erbes, das das Alte
Mesopotamien hinterlassen hat, sind
die Forschungsaufgaben immens
und prägen den Berufsalltag des Altorientalisten.
Die Herausforderung, neue Wege zu gehen, ist allerdings unübersehbar. Im Sinne eines interdisziplinären Innovationsprojekts ist an der
Philipps-Universität deshalb der Aufbau eines geoarchäologischen Forschungsverbundes geplant, in dem
Methoden und Inhalte der Fächer Alte Geschichte, Klassische Archäologie, Altorientalistik, Vor- und Frühgeschichte mit modernen geowissenschaftlichen, physisch-geographischen sowie kulturgeographischen
Arbeitsweisen zusammenfinden. In
Addition kultur- und naturwissenschaftlicher Quellen und Methoden
soll zunächst die Entwicklung von
Foto: Graßmann
Auch die strikten Handelssanktionen,
die den Import jeder Art von Dualuse-Gütern unterbinden, haben dem
Kulturerbe insgesamt sehr geschadet.
Was ist in der heutigen Welt
nicht alles Dual-use? Beispielsweise
die Klimaanlage des Iraq Museum,
die 1990 gekauft und bezahlt wurde
und seitdem verpackt in einem japanischen Hafen lagert, aber nicht ausgeliefert werden darf, da sie auch
zur Kühlung von militärischen Anlagen verwendet werden könnte. Die
Folge ist, dass in dem nicht klimatisierten Museum empfindliche wertvolle Funde schwere Schäden erleiden bis hin zum völligen Zerfall. Die
großen Schwankungen zwischen
kühlen Temperaturen im Winter und
extremer Hitze im Sommer sind der
sichere Ruin für viele Objekte. Ich habe selber viele Inschriften in der
Hand gehabt, die zum Zeitpunkt ihrer Ausgrabung in einem guten Zustand waren, aber nach einigen Jahren solcher unsachgemäßer Lagerung zu Staub zerfallen sind. Die
Möglichkeiten des Antikendienstes
zur Konservierung sind gering.
Zerstörung und Verfall des Kulturerbes im Irak sind nur ein Aspekt
des allgemeinen Niedergangs. Dem
Office of the Humanitarian Coordinator in Iraq sind diese Probleme wohlbekannt. Das von ihm verwaltete humanitäre Oil-for-Food-Programm hat
beispielsweise im Zeitraum von
1996 bis 2002 von den Beträgen,
die durch irakische Ölverkäufe auf
ein Treuhandkonto der UNO eingezahlt wurden, für den Sektor Education (dazu gehört auch der Kulturbereich) insgesamt 810 Millionen Dollar reserviert, davon hat der Sanktionsausschuss allerdings nur 46,7
Millionen Dollar (5,8 %) freigegeben,
der Rest wurde von den USA blockiert. Fachzeitschriften zum Beispiel für Physik, Biologie oder Chemie sind untersagt, denn Kenntnisse
in diesen Bereichen könnten – so die
Begründung – auch für die Entwicklung von ABC-Waffen nützlich sein.
Früher verfügte der Irak über ein
ausgezeichnetes Bildungswesen, inzwischen ist durch diese Auszehrung
die Alphabetisierungsrate um 15 bis
20 Prozent gesunken, und der Standard in den Universitäten ist infolge
der internationalen Isolation und des
Mangels an Ausstattung tief gefallen.
Die Schäden am kulturellen Erbe
durch direkte Kriegseinwirkungen
Stadt und Umland unter sich wandelnden Umweltbedingungen bearbeitet werden.
Der hier beteiligte Geograph Professor Helmut Brückner ist ebenfalls
im Irak tätig: Er hat vor einem Jahr
in Uruk Bohrungen durchgeführt, um
tiefe Schichten, die durch Grabungen bisher nicht erreicht werden
konnten, zu explorieren. Spannendste Fragestellung ist dabei, ob meterdicke Schwemmschichten, die an
manchen Stellen des Irak gefunden
wurden, nur punktuell oder großflächig verbreitet sind, welchen realen
Hintergrund also die Berichte von
der „Sintflut“ haben.
In der Lehre wird die Marburger
Altorientalistik gemeinsam mit benachbarten Fächern wie beispielsweise der Semitistik, der Vergleichenden Sprachwissenschaft, der
Religionsgeschichte und der Ägyptologie einen neuen Studiengang
Orientwissenschaften aufbauen, dessen Ziel es ist, neben der Kompetenz in mindestens einer orientalischen Sprache einen breiten Überblick zu vermitteln über Geschichte,
Kultur und Religion des Orients von
der frühen Hochkultur bis zur Moderne.
Obwohl gerade aktuell die Defizite deutlich werden, die im Westen an
Kenntnissen über die orientalische
Welt bestehen, gibt es einen Studiengang dieser Art in Deutschland
bisher nicht. Er soll den Absolventen
ermöglichen, sich auf der Basis eines breiten Hintergrundwissens
schnell in ein vielfältiges Spektrum
von Fragestellungen einzuarbeiten
und deren Zusammenhänge zu verstehen – praxisnahe Kenntnisse, wie
sie bei vielen Institutionen, insbesondere auch den Medien, nur von Vorteil sein können. Mit diesem Fach
sollte es gelingen, vermehrtes Interesse an der Welt des Orients zu erwecken, somit die Studierendenzahlen zu steigern und zur Attraktivität
des Studienortes Marburg beizutragen.
Walter Sommerfeld
Der Autor ist Vorsitzender der
Deutsch-Irakischen Gesellschaft
Prof. Dr. Walter Sommerfeld
Fachgebiet Altorientalistik
Fachbereich Fremdsprachliche
Philologien
Wilhelm-Röpke-Straße 6 F
35032 Marburg
Tel.: (0 64 21) 28-2 46 16
E-Mail:
[email protected]
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