Zurück zu den Wurzeln

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JÜDISCHE WELT
USA
Zurück zu den Wurzeln
Gärtnern als spirituelle Erfahrung: Jüdische
Landwirtschaftsinitiativen für Leib und Seele
25.04.2014 - von Daniela Breitbart
Welche jüdische Mutter wünscht sich nicht eine erfolgreiche Karriere für ihren Sohn – als Arzt,
Anwalt oder mindestens als Anlageberater. »Bio-Bauer« steht dabei nicht unbedingt auf der
mütterlichen Wunschliste. Doch genau das wollte der Student Daron Joffe werden, als er Mitte
der 90er-Jahre sein Studium an der Universität von Wisconsin nach nur einem Semester abbrach.
Ein Truthahnsandwich hatte ihm die Erleuchtung gebracht. »Ich habe mich gefragt, wo die
verschiedenen Zutaten wohl herkommen und ob es möglich wäre, sie alle selbst herzustellen«,
erzählt Joffe.
Heute produziert und verkauft Joffe als »Farmer D« in Atlanta Kompost, Düngemittel und
Hochbeete unter einer eigenen Produktlinie, sowohl im Internet als auch an Einzelabnehmer im
Laden und an Biosupermärkte. Daneben berät er städtische und private Grundbesitzer,
Krankenhäuser, Schulen und Resorts bei Planung, Errichtung und Pflege ihrer Grünanlagen und
Gemüsebeete. »Gärtnern ist das neue Golfen«, sagt Joffe und lacht.
APPELL Neben der Freude an der Arbeit in und mit der Natur will Joffe seinen Kunden aber vor
allem Gemeinschaftssinn, Geschäftstugenden und das Verständnis für soziale Gerechtigkeit und
umweltverträgliche Landwirtschaft vermitteln. Vor wenigen Wochen ist sein erstes Buch, Citizen
Farmers , erschienen, ein leidenschaftlicher Appell an jeden Einzelnen, einen Beitrag – ob in
Garten, Küche oder Klassenzimmer – für ein gesünderes, umweltverträglicheres
Ernährungssystem zu leisten.
Joffe versteht sich als Botschafter des »Urban Gardening«, das er auch für einen Weg hält, die
jüdische Identität zu stärken. »Viele Menschen fühlen sich von den Themen Anbau, Ernährung
und soziale Gerechtigkeit angesprochen und finden so zum Judentum mit seiner Tradition,
Geschichte und Religion zurück«, sagt Joffe.
© Jüdische Allgemeine - Wochenzeitung für Politik, Kultur und Jüdisches Leben
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Elaine Lupovitch, Mitbegründerin von »Garden Dreams Houston«, einer Kombination aus
Obstfarm und Marmeladenfabrik in Texas, kann das nur bestätigen. »Indem wir Bäume
pflanzen, Gärten anlegen und Gemüse anbauen, bringen wir uns wieder mit dem Ursprung
unserer Lebensmittel in Kontakt, stärken das Gefühl für uns selbst und vertiefen so unsere
Verbindung zu Gott«, sagt die Gymnasiallehrerin. »Das ist Tikkun Olam ›at its best‹.«
TIKKUN OLAM Am Jewish Community Center (JCC) in San Francisco, Kalifornien, lehrt
David Gardella, Spezialist für Landwirtschaft im städtischem Raum, in Workshops und
Exkursionen ein, wie er es nennt, »Tikkun Olam im Kleinformat – denn die meisten Bewohner
von San Francisco haben nicht viel Platz«. Mithilfe eines Dachgartens und eines Gewächshauses
lernen Gartenbaufreunde im Alter von zwei bis 86 Jahren zum Beispiel, dass man in San
Francisco wegen des Seeklimas statt Tomaten lieber Grünkohl pflanzen sollte und dass junge
Triebe nicht schneller wachsen, wenn man an ihnen zieht. »Gartenbau heißt auch, Geduld und
Vertrauen in die Natur haben und zu erkennen und zu akzeptieren, dass man nicht alles
beeinflussen kann«, sagt Gardella. Dies kann eine durchaus heilsame Selbsterkenntnis sein.
»Farming« ist nicht nur eine soziale und sinnliche, sondern auch eine zutiefst spirituelle
Erfahrung. »Das Verständnis für Landwirtschaft und Lebensmittelerzeugung verschafft innere
Klarheit und Stärke. Die Erkenntnis, Teil eines immerwährenden Lebenszyklus zu sein, kann den
Weg zur eigenen Spiritualität und Religiosität ebnen«, ist Shamu Sadeh vom Isabella Freedman
Retreat Center, einem Biohof in Connecticut, überzeugt.
Unter dem Schirm der gemeinnützigen Organisation Hazon mit Sitz in New York produziert das
Center je nach Saison Gemüse, Obst und Ziegenkäse, organisiert Ausflüge und Schul- sowie
Familienprogramme und vergibt das »Adamah Jewish Environmental Fellowship« für jüdische
Erwachsene zwischen 20 und 32 Jahren, ein Stipendium für ein dreimonatiges Training, das
biologischen Anbau mit dem Lernen von jüdischen Traditionen verbindet.
SUPPENKÜCHEN Ins Leben gerufen wurde das Stipendium von Adam Berman, früherer
Geschäftsführer des Isabella Freedman Jewish Retreat Center. Gewissermaßen als Ableger von
Adamah gründete Berman 2010 die ähnlich klingende Organisation Urban Adamah, die
Stipendien vergibt, Sommercamps und Workshops veranstaltet, ehrenamtliche Helfer an soziale
Projekte vermittelt und lokale Tafeln und Suppenküchen beliefert.
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Berman legt Wert darauf, dass jüdische Feiertage begangen werden. »An den Gebeten und
Ritualen, die voll von Natur und Ackerbau sind, zeigt sich, dass Landwirtschaft zu unserem Erbe
gehört.« In der Tat ist Seder »Zera’im« (Aussaat), eines der Kapitel der Mischna, der
Landwirtschaft gewidmet. »Es enthält eine kraftvolle Aussage über unsere Verantwortung
gegenüber den Bedürftigen und den Umgang mit unserem Eigentum«, sagt Rabbinerin Jill
Jacobs, geschäftsführende Leiterin von T’ruah: The Rabbinic Call for Human Rights in New
York.
Die jüdische Tradition und Lehre inspiriert auch die Mitarbeiter der Ekar Farm in Denver,
Colorado. »Aktuelle Statistiken zeigen, dass einer in sieben Haushalten in den USA und speziell in
Colorado unter Hunger oder Mangelernährung leidet«, sagt Aaron Ney, Ekars geschäftsführender
Leiter.
OBDACHLOSE Unter dem Motto »Vom Esser zum Erzeuger« bewirtschaftet Ekar seit über
fünf Jahren einen Community Garden sowie eine Farm, die 75 Prozent ihrer Erträge (jährlich
insgesamt mehr als 3600 Kilogramm) an Bedürftige in Obdachlosenunterkünften oder
Seniorenheimen vergibt. »So können wir über 4000 Menschen helfen«, berichtet Ney stolz.
Ursprünglich als Wohltätigkeitsprojekt gedacht, erweitert sich Ekar immer stärker zu einer
Bildungs- und Erziehungsstätte für Umweltschutz, gesunde Ernährung und soziales Engagement.
»Das Judentum schreibt Zedaka, die soziale Gerechtigkeit und die Beseitigung von Ungleichheit
durch Wohltätigkeit, sehr groß«, betont Ney. »Indem wir die Erde befruchten und den Nächsten
mit ihren Früchten versorgen, nähren wir unsere Seele.«
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