1968: Uraufführung von »Anatevka

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1968: Uraufführung von »Anatevka«
Unsere Serie über die Geschichte der Juden in Deutschland nach
1945: Folge 23
05.04.2013 - von Michael Brenner
Das Schicksal des osteuropäischen Schtetls war mit dem Einmarsch der deutschen Truppen in
Polen 1939 besiegelt. Alles, was sechs Jahre später übrig geblieben war, war ein großer Friedhof.
In der Literatur aber lebte das Schtetl, das jiddische Schriftsteller wie Mendele, Peretz und
Scholem Aleichem verewigt hatten, weiter.
Letzterer erlangte 1964 weltweite Berühmtheit, als die Musical-Adaption seiner Geschichte von
Tevje, dem Milchmann, den Broadway eroberte. Zehn Jahre lang blieb Fiddler on the Roof der
erfolgreichste Broadway-Hit. Im Februar 1968 dann kam das Stück in Deutschland unter dem
Titel Anatevka mit Shmuel Rodensky in der Hauptrolle auf die Bühne des Hamburger
Operettenhauses.
OSTBERLIN Das Musical wurde eine deutsch-deutsche Erfolgsgeschichte, als es 1971 in einer
Inszenierung von Walter Felsenstein auch unter dem Titel Der Fiedler auf dem Dach auf den
Spielplan der Komischen Oper in Ostberlin kam. Von 1971 bis 1988 wurde es dort 506-mal
aufgeführt und von mehr als einer halben Million Menschen gesehen. Doch nicht nur im Titel
unterschied sich die DDR-Fassung von den westdeutschen Aufführungen: Die antijüdische
Stimmung in Russland durfte im Bruderland DDR nicht zum Ausdruck kommen, der Pogrom
wurde daher zur »inoffiziellen Belästigung« verniedlicht, und auch die »Goldene Medine«
Amerika verschwand als Auswanderungsland.
Zum vielleicht beliebtesten Tevje-Darsteller zunächst in Frankreich, dann auch auf westdeutschen
Bühnen, wurde ein Deutscher: Ivan Rebroff, dessen eigentlicher Name Hans Rolf Rippert lautete
und der genauso russisch war wie Tevje Amerikaner. Rebroffs Bruder übrigens ist der ehemalige
ZDF-Sportreporter Horst Rippert, der vor wenigen Jahren angab, als Pilot der Luftwaffe im
Zweiten Weltkrieg das Flugzeug von Antoine Saint-Exupéry, dem Autor des Kleinen Prinzen,
abgeschossen zu haben.
© Jüdische Allgemeine - Wochenzeitung für Politik, Kultur und Jüdisches Leben
http://www.juedische-allgemeine.de/article/view/id/15626
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NORMALISIERUNG Mit Anatevka beziehungsweise Fiedler auf dem Dach nahm 1968, nach
einer langen Zeit der ungewissen Distanzierung, das Jüdische Einzug in die deutsche
Populärkultur. Vor allem Israelis, von Abi und Esther Ofarim über Daliah Lavi bis zu Ephraim
Kishon, trugen das ihre dazu bei.
Ob Schtetl-Romantik oder israelische Popmusik: Man hatte nun einen Zugang zur jüdischen
Kultur gefunden, der sich nicht auf die Bilder der Leichenberge von Bergen-Belsen und
Buchenwald und die Berichterstattung vom Eichmann- oder Auschwitzprozess reduzieren ließ. Es
durfte wieder gelacht und geklatscht werden. Der lange Weg der »Normalisierung« zwischen
Juden und Deutschen hat im ukrainischen Dorf Anatevka angefangen.
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