Quelle Staatsoper Hannover – www.staatstheater-hannover.de Jerry Bock Anatevka (Fiddler on the Roof) Musical in zwei Akten (1964) Buch von Joseph Stein nach dem Roman Tewje der Milchiger von Scholem Alejchem Gesangstexte von Sheldon Mayer Orchestration von Donald John Walker Deutsch von Rolf Merz und Gerhard Hagen Tradition ist alles in dem kleinen Dörfchen Anatevka. Tevje, der Milchmann, ist fest davon überzeugt, dass die Welt in Ordnung ist, so lange alles seinen geregelten Gang geht. Doch seine Töchter sehen das anders und beginnen, die altbewährten jüdischen Bräuche zu unterlaufen: Nicht die pragmatische Heiratsvermittlerin Jente soll die Ehen schmieden, sondern allein die Liebe: Zeitel verlobt sich ohne Einwilligung des Vaters mit einem armen Schneider, Hodel verliebt sich in einen revolutionären Studenten und Chava taucht mit dem Christen Fedja unter. Wie sehr Tevje auch hadert und vorwurfsvoll das Gespräch mit seinem Gott sucht - aufhalten kann er das Fortschreiten des Neuen nicht. Aber da ist noch etwas anderes, das Tevjes heile Welt bedroht und seinen Himmel zunehmend schwärzer färbt. Das Leben in Anatevka wird durch antisemtische Hetzparolen zerstört, die Gewalt gegen Juden nimmt zu, Pogrome werden initiiert, an deren Ende die Vertreibung aus der Heimat steht. "Vielleicht", so meint Tevje, als er Abschied nimmt von seinem Anatevka, "tragen wir deshalb immer einen Hut auf dem Kopf." Niemand hätte vor der Uraufführung 1964 damit gerechnet, dass die Dramatisierung jiddischer Geschichten nach Scholem Alejchem (1859-1916) für die Musicalbühne so begeistert aufgenommen werden würde. Doch die Mischung aus augenzwinkernder Chuzpe und ernsthaftem historischem Hintergrund, die Lebenswärme der Figuren, die farbig instrumentierte, von chassidischer Folklore inspirierte Musik und natürlich Songs wie "Wenn ich einmal reich wär", brachten Anatevka zahlreiche Auszeichnungen und einen langanhaltenden Erfolg auf den Bühnen dieser Welt ein. Ein packendes, melancholisch-heiteres Stück über die Auflösung einer jüdischen Dorfgemeinschaft, über das Abschiednehmen, aber auch über die Liebe zum Leben und den Kampf darum. Denn schließlich geht es allen Figuren in Anatevka wie Marc Chagalls berühmtem Geiger auf dem Dach, der sich auch in schwindelerregenden Lebenssituationen neuen Mut erspielt: "Jeder versucht, einen schönen Ton zu kratzen, ohne sich dabei das Genick zu brechen."