Gedächtnis im Alter - hilft Bewegung? Gliederung 1. Gehirn und Gedächtnis 2. Normales Lernen und Behalten 3. Wie massiv ist der Abbau kognitiver Funktionen im Alter? 4. Kann man das Gedächtnis trainieren? 5. Können „Alte“ (75 - 85 Jahre) ihr Gedächtnis trainieren? 6. Strategien der Gedächtnisstärkung Literatur am Ende des Vortrags Mark Twain (1835 – 1910) My Autobiography: Chapters from the North American Review, 1906- 1907 „When I was younger I could remember anything, whether it happened or not, but I am getting old, and soon I shall remember only the latter“. „Als ich jünger war, konnte ich mich an alles erinnern, ob es passierte oder nicht; aber nun werde ich allmählich alt, und bald werde ich nur noch letzteres erinnern.“ Das Gehirn und das Gedächtnis (1) Patient H.M.(1926 – 1992) und die Gedächtnisforschung seit 1953 Beidseitige Resektion des medialen Temporallappens mit Entfernung von Teilen des Hippocampus, des Mandelkerns und inferotemporaler CortexMasse Patient H.M. lernt am PursuitRotor trotz anterograder Amnesie Zweikammersystem: KZG, LZG mit Transfer inneres Wiederholen Kurzzeitgedächtnis Informationseingang - Zwischenlager Langzeitgedächtnisse Verdrängung „Multiples GeGedächtnis“ dächtnis“ J.P.Pinel BioBiopsychopsychologie 1999 S. 392 Sechs Langzeitgedächtnissysteme mit elf Abteilungen (L.R. Squire, Psy. Rev., 99, 1992) Memory declarative nondeclarative SemanEpiso-- Skills Seman- Episo dic (2) (3) tic (1) Disposi-Priming Disposi (4) tions (5) NonassoNonassociative (6) events motor perceppercepclassical tual conditioning semantic habituation sensitization facts percepperceptual cognitive operant conditioning (2) Wie funktionieren normales Lernen, Behalten und Erinnern? Rhönradlernen J. Mewes 1994 Aufgabe der Rhönradturner Christian und Joachim Mewes Die ideale Bahn des Rhönrades während der Übung Zoneneinteilung des Rhönrades zur Bewertung des Parcours, der auf einem Rad abgefahren wird. Unten: Tabelle der Strafpunkte; maximale Punktzahl: 140; minimale: Null K = Kippeln A = Aufstellen P = Plattgehen / = fehlendes Überkippen, fehlendes In-den-Stand-Führen 5 6 K A P / Zone/ Fehler 0 1 2 3 4 Fehlerpunkte 0 2 5 9 14 20 27 20 35 35 20 Verlaufsdiagramm der Fehleranzahl pro Versuchsdurchgang beim Blindrollen der Vp J.M. Parcours wurde 448 mal sehend, danach blind abgefahren. Zeitreihe Vpn A blind Lineare & logarithmische Anpassung Veränderung der manuellen Fertigungsdauer von Zigarren innerhalb von sieben Jahren: in Minuten Logarithmischer Lernverlauf (n. Crossman, 1959) (3) Wie massiv ist der Abbau kognitiver Funktionen im Alter? Die biologische Entwicklung ist keine Freundin des Alters Gradienten der Lebensentwicklung Leistungspotentiale in % nach P.B. Baltes 1997 100 biologische Plastizität 80 60 40 ProthesenBedarf 20 0 b is 2 0 b is 4 0 b is 6 0 b is 8 0 Le be ns ve rlauf b is 1 0 0 Seattle-Langzeit-Studie 1956 – 1991: Intelligenzleistungen bei Erwachsenen Solide Langzeitstudie über die intellektuelle Entwicklung von Erwachsenen mit über 5000 Pbn in einem Zeitraum von 35 Jahren (K.W. Schaie, Amer. Psycholo., 1994, 49) Negativer Zusammenhang von Alter und kognitiven Funktionen: Pearson-Korrelation (r) (Verhaeghen & Salthouse, 1997, Psy. Bulletin, 122,) Korrelation zwischen Alter und k N r Verarbeitungsgeschwindigkeit 50 11044 Kurzzeitgedächtnis 34 6831 Semantisches Gedächtnis (LZG) 29 5871 Denken und Schließen Raumorientierung 38 9342 36 10942 -0.50 -0.30 -0.35 -0.40 -0.40 Folgerungen: Alter und Kognition • • • • • Das Alter verlangsamt ab 50 graduell alle Prozesse der Kognition und Informationsverarbeitung. Ab dem 40. Lebensjahr beträ beträgt der körperliche Abbau pro Jahr etwa 1%. Alterungseffekte vor dem 50. findet man in Funktionen der Wahrnehmung (Sehen, Hö Hören). Im 70. Lebensjahr beträ beträgt die Kapazitä Kapazität des Kurzzeitgedächtnisses etwa 70% eines 3030-Jährigen. Ab dem 75. hä häufen sich dementielle Symptome. Man rechnet mit ca. 20% Demenzen zwischen 80 bis 100 Jahren. (4) Kann man das Gedächtnis trainieren? Gedächtnistraining durch mentale Aktivitäten wie WiederWiederholung ÜberÜberlernen MemoMemorieren BezugsBezugssystem positive Gefühle Reim Sinn OrganiOrganisation RhythRhythmus Metaanalyse zur Wirkung von Mnemotechniken im Alter (Verhaeghen et al., Psychol. & Aging, 1992, 7) • 33 Studien mit 1540 normalen, gesunden Pbn im Alter zwischen 61 bis 78 Jahren. • VorherVorher-nachhernachher-Vergleich zur Wirkung von Mnemotechniken und von körperkörperlichen Aktivitäten auf Gedächtnisleistungen. • Kontrollgruppen: inaktiv, nur TestwiederTestwiederholung ohne Übung. Effektstärken (d) zum Gedächtnistraining von Pbn zwischen 61 und 78 (im Schnitt 69) Jahren N = 1540 d Gedächtnistrategie: Loci; Name & Gesicht; Organisation in Einheiten 49 0.65 – 0.82 (0.73) Kontrollbedingungen: nur 10 0.16 – 0.60 (0.38) Leibesübungen oder PMR 8 0.12 – 0.60 (0.37) Abschlußtest hat keine Ähnlichkeit hat große Ähnlichkeit mit Trainingsaufgaben 10 10 0.05 – 0.45 (0.24) 0.43 – 0.84 (0.65) Bedingungen Testwiederholung Nutzen des Gedächtnistrainings • • • • Erfolgreich bei wenigstens zweimal pro Woche je 30 Minuten Übung. Guter Erfolg beim Merken von „Listen, Namen & Gesichter, Telefonziffern“, sofern Lern- und Abschlusstests sehr ähnlich. Kaum erfolgreich, wenn keine Ähnlichkeit zwischen Trainingsaufgaben und neuartiger Merkaufgabe (Prinzip identischer Elemente). Elemente). Körperliche Aktivitäten bringen das KZG auf „Betriebstemperatur“. Effekte des Sporttreibens im Alter (Janina Möller, Kiel 1998) •Metaanalyse über 28 Studien mit Kontrollgruppen, 2675 Pbn zwischen 50 und 90 Jahren. •Wirkung von 3 Monaten sportlichen Trainings auf Variablen der „Befindlichkeit, Kognition, Motorik und physiologischen Leistungsfähigkeit“ wird geprüft. •Kontrollgruppen: ohne Leibesübung, jedoch mit Lese- oder Basteltätigkeiten. Wirkungen des Sportes im Alter: gewogene Effektstatistiken (rg) N k rg Wohlbefinden, Zufriedenheit 1776 14 0.31 weniger negative Emotionen, keine Depression Konzentration, Reaktionszeit, Wechsler Memory Scale (KZG) Hf, Blutdruck, VO2max, Vitalkapazität 189 2 0.47 319 8 0.53 1068 17 0.73 628 13 0.43 Variablen Kraft, Ausdauer, Schnelligkeit, Koordination, Balance Wirkungen regelmäßiger Leibesübungen im Alter regelmäßige Leibesübungen begünstigen sehr stark körperliche Leistungsfähigkeit stark Konzentration Arbeitsspeicher mittelmittelmäßig Zufriedenheit Stimmung (5) Können „Alte“ ihr Gedächtnis trainieren? Selbständigkeit im Alter: Die SimA-Studie (Oswald et al. 2006, Nürnberg) Aufbau der SimA-Studie Alter: 7777- 93 Jahre, Schnitt 80 Jahre • • • • SimA wurde vom Herbst 1990 bis zum April 1993 mit 375 Pbn in Erlangen durchgeführt. Ziel war die Erhaltung und Förderung von Selbständigkeit im höheren Lebensalter. Es wurden Kompetenz-, Gedächtnis- (GT) und Psychomotorik-Programme (PT) in verschiedener Kombination eingeübt; es gab eine Kontrollgruppe ohne Programm. Das Gedächtnistrainingsprogramm (GT) umfasste 20 Trainingseinheiten von je 120 Minuten Dauer, insgesamt 40 Stunden. Das Training fand in einer Gruppe unter Leitung eines Trainers 1x pro Woche statt. Pflicht: zu Hause 1x pro Woche selbständige Übungen. Kognitive Leistungen der aktiven GT& GT&PTPT-Gruppe und der inaktiven Kontrollgruppe (Oswald 2006) Gesundheitszustand im Alter von 80 und mehr Jahren (Oswald et al. 2006) z-Werte zum Ausgangswert Gesundheitszustand der aktiven Trainingsgruppe (rot) vs. Kontrollgruppe (blau) 0,5 0,4 0,3 0,2 0,1 0 -0,1 bis 1992 bis 1993 bis 1994 bis 1995 bis 1996 -0,2 -0,3 -0,4 Sechs Jahre des SimA-Projektes bis1997 SimASimA-Studie: nichtnicht-protektive Tätigkeiten im Alter Routinetätigkeiten TVTV-Konsum lesen Gesellschaftsspiele Kreuzworträtsel lösen immer die gleichen Musikstücke spielen passive Mitgliedschaft in einer SeniorenSeniorenGruppe pro Tag weniger als zwei Km laufen SimASimA-Studie: protektive Tätigkeiten im hohen Alter Fordernde Tätigkeiten Reisen, schwieriges Stricken, anspruchsvolle Gartenarbeit, Vereinsarbeit im Vorstand, Schach, Backgammon, Bridge oder Skat, üben neuer Stücke für ein Musikinstrument, pro Tag drei Km oder mehr laufen. Janssen: Golf spielen, schwimmen, Rad fahren, Auto fahren, nordic walking, Kraftübungen im Fitness-Studio Ergebnisse der SimA-Studie Im Vergleich zur Kontrollgruppe, welche die Kontrolltests immer nur wiederholt hatte, zeigten sich bei den Trainingsgruppen Verbesserungen: 1. in den Funktionen Konzentration (+), (+), AufmerksamAufmerksamkeit (+) und InformationsverarbeitungsgeschwinInformationsverarbeitungsgeschwindigkeit (+) bis zu einer Standardabweichung; 2. im logischen Denken (+) sowie bei DemenzDemenzsymptomen ( - ) . 3. Eine Kombination des GT mit dem PT steigerte Funktionsbereiche wie KZG sowie Funktionen des Abrufens aus dem LZG; zudem Verbesserung der Gesundheit; optimalste ProgrammProgramm-Kombination! 4. Alle Trainingsgruppen waren nach vier weiteren Jahren ohne ProfiProfi-Training in allen Leistungen besser als die Kontrollgruppe; sie waren auch gesü gesünder. Zerebrale Ursachen mentaler Verbesserungen im Alter • • • • Dendritenbildungen und Verstärkungen von Zellenverknüpfungen durch motorische Aktivitäten. Inaktive Zellen-Cluster werden stimuliert und mit Sauerstoff versorgt. Normaler Zellenuntergang wird verzögert. Belege: (a) Colcombe et al. (2003). Aerobic fitness reduces brain tissue loss in aging humans. The Journal of Gerontology Series A: Bio.Sci. & Med.Sci., 58, 176- 180. (b) Kramer et al. (2006). Exercise, cognition, and the aging brain. Journal of Applied Physiology, 101, 1237- 1242. (6) Welche Strategien der Verbesserung von Gedächtnisleistungen werden empfohlen? Gedächtnisstrategien Bedeutung: Bedeutung: eigene eigene Begriffe Begriffe Gesichter: Gesichter: Bilder, Be Bilder,BeBeBe- sonderheiten sonderheiten Bilder Bilder Loci Loci Kontext Kontext Emotion Emotion GeGe GeGe-dächtdächt dächtdächt-nis nis Organisation: Organisation: Mnemonics: Mnemonics Mnemonics: Mnemonics: : Muster Muster Chunks Chunks Rhythmus Rhythmus Reime Reime Strategien der Gedächtnisstärkung 1. Mnemotechniken: Grundprinzip „Nutze Kenntnisse und Wissen als Anker oder Kontext für Neues.“ Außerdem: regelmäßige Übung. 2. Vielseitige Aktivitä Aktivitäten und Leibesü Leibesübungen: (a) Anregende geistige Aktivitäten wie Theater, Konzerte, Museen, Reisen, Lesen, Schreiben; (b) Kontakte zum „Leben“: soziale Pflichten, Vermeidung von Isolierung, viel Kommunikation; (c) regelmäßige körperliche Aktivitäten aller Art wie Sport, Spazierengehen etc. (Einfluß auf KZG). Ja, Bewegung hilft ! Literatur, Ratgeber • K. Gose & G. Levi: Wo sind meine Schlüssel? – Gedächtnistraining in der zweiten Lebenshälfte. Reinbeck: Rowohlt, 1994; neu: 2004 (Großdruck), € 7,90 • H.J. Markowitsch: Dem Gedächtnis auf der Spur. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgemeinschaft, 2002 (2.Aufl. 2005) • www.lebensstilaenderung.de • B.F. Skinner (1983): Intellectual self-management in old age. American Psychologist, Band 38, S. 239- 244 [Skinner ist der bekannteste Lernpsychologe in den USA gewesen] • W.D. Oswald (2004). SimA-basic-Gedächtnistraining und Psychomotorik. Göttingen: Hogrefe Verlag, € 19,95 • www.sima-akademie.de Also bewegt Euch, Leute!