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Funktionelle Anatomie des Menschen
Lehrbuch der makroskopischen Anatomie nach funktionellen Gesichtspunkten
Bearbeitet von
Johannes W. Rohen, Elke Lütjen-Drecoll
11., überarb. u. erw. Aufl. 2005. Taschenbuch. 416 S. Paperback
ISBN 978 3 7945 2440 2
Format (B x L): 17 x 24,5 cm
Weitere Fachgebiete > Medizin > Vorklinische Medizin: Grundlagenfächer > Anatomie
Zu Inhaltsverzeichnis
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242
Nervensystem
Rechte Großhirnhemisphäre
Gyrus
precentralis
Motorische
Hirnnervenkerne
Lobus
frontalis
Capsula int.
III
IV
V
VI
VII, VIII
IX, X, XI
Kleinhirn
XII
12
Medulla oblongata
Kreuzung der
Pyramidenbahn
Abb. 198 a. Verlauf der Pyramidenbahnen im Gehirn.
Die linken Groß- und Kleinhirnhälften wurden (teilweise)
entfernt. Die Pyramidenbahn (hellrot) kreuzt im Bereich
des verlängerten Marks (Medulla oblongata) zur anderen
Seite und verläuft dann im Seitenstrang des Rückenmarks
(2) (Tractus corticospinalis lat.). Ein kleiner Teil der Bahn
bleibt jedoch auf derselben Seite (1) (Tractus cortico-
Klinischer Hinweis. Fällt, z. B. durch eine
Verletzung, das den Muskel versorgende
Motoneuron aus, ist der Muskel gelähmt
(schlaffe Lähmung), fällt jedoch eines der
übergeordneten Systeme aus, z. B. durch
einen Schlaganfall, bleibt die periphere
Innervation zunächst noch erhalten, anfangs sogar überschießend und verkrampft
(spastische Lähmung), kann sich später
aber, wenn die zentralen Bahnen wieder
funktionstüchtig geworden sind, wieder
normalisieren.
Bei der Muskelinnervation muss berücksichtigt werden, dass jeder größere Mus-
spinalis ant.). Die zu den motorischen Hirnnervenkernen
ziehenden Fasern kreuzen im Hirnstamm (Tractus corticonuclearis) (dunkelrot). Die Größe der zugehörigen
Areale im Gyrus precentralis, die von der funktionellen
Wertigkeit der zu versorgenden Muskelgruppen abhängt,
ist schematisch links unten dargestellt (motorischer Homunkulus). III – XII = Hirnnerven.
kel immer von Motoneuronen mehrerer
Rückenmarkssegmente, damit also plurisegmental, versorgt wird.
Klinischer Hinweis. Ein Ausfall rückenmarksnaher Nerven, z. B. der vorderen
Wurzelfäden (Radix ant. der Spinalnerven) (radikuläre Lähmung), ist daher
nicht so schwer wiegend wie ein Ausfall
der innervierenden Nerven selbst, die
ja immer Axone von Motoneuronen aus
mehreren Segmenten enthalten (periphere
Lähmung).
Zentrales Nervensystem
Gekreuzte Pyramidenbahn
(Tractus corticospinalis lat.)
243
Ungekreuzte Pyramidenbahn
(Tractus corticospinalis ant.)
Bahnen des
Hirnstamms
Hinterstrangbahnen
3
2
1
Motorische Vorderhornzelle
Abb. 198 b. Verlauf der pyramidalen und extrapyramidalen Bahnen im Rückenmark. Die vordere Pyramidenbahn (Tractus corticospinalis ant.) endet an den Motoneuronen der Zone 1, die hauptsächlich die Muskelgruppen
von Hand und Fuß versorgen. Die im Seitenstrang des
Rückenmarks verlaufenden pyramidalen Bahnen (Tractus
corticospinalis lat.) (rot) sowie die vom Hirnstamm
kommenden »extrapyramidalen« Bahnen (rot gestrichelt)
(z. B. Tractus rubrospinalis, Tractus reticulospinalis, Tractus vestibulospinalis) enden an den Motoneuronen von
Zone 2 und 3, die die Muskulatur des Rumpfes und der
Extremitäten versorgen. Die afferenten Bahnen (blau) verlaufen im Hinterstrang des Rückenmarks (Goll- und Burdach-Strang), aber auch im Vorderseitenstrang (Tractus
spinothalamici).
IV. Zentrales Nervensystem
temporalis), die ganz unterschiedliche Aufgaben erfüllen (Abb. 197). Vor dem Sulcus
centralis liegt der Gyrus precentralis, von
dem die Pyramidenbahn (Tractus corticospinalis) ausgeht – ein langes Bahnsystem,
das durch die innere Kapsel (Capsula int.)
und den Hirnstamm direkt (d. h. ohne Unterbrechung) bis zu den motorischen Vorderhornzellen der jeweiligen Rückenmarkssegmente verläuft, allerdings im Bereich des
verlängerten Marks (Medulla oblongata)
jeweils auf die andere Seite kreuzt (Abb.
198 a u. b). Dadurch innervieren die den
einzelnen Muskelgruppen zugeordneten
Areale im Gyrus precentralis (sog. somatomotorischer Kortex) immer die gegenüberliegende Körperhälfte. Diese Zuordnung ist
aber nicht punktuell, sondern funktionell,
d. h. Muskelgruppen, die vielfältige, differenzierte Bewegungen ausführen können, wie
z. B. die Handmuskeln, sind auf der Großhirnrinde durch größere Areale repräsen-
Die Reflexsysteme des Rückenmarks stehen letztlich unter der Kontrolle des zentralen Nervensystems, d. h. spezifischer Kerngebiete im Bereich der Großhirnrinde und
subkortikaler Kerngruppen. Von diesen
Kernen bzw. Zentren gehen lange Bahnen
aus, die an den Motoneuronen des Rückenmarks oder speziellen Interneuronen enden
(Abb. 195 b, 198 b, 199 b).
Die mit der Willkürmotorik befassten
Areale des Gehirns liegen vor allem im
Stirnlappen des Großhirns, worunter man
den ganzen vor dem Sulcus centralis gelegenen Hirnabschnitt versteht. Die drei großen
Furchen (Sulcus centralis, Sulcus lateralis
und Sulcus parietooccipitalis) teilen das
Großhirn, das sich bilateral-symmetrisch in
zwei Hälften (Hemisphären) gliedern lässt,
jederseits in vier Lappen (Lobus frontalis,
Lobus parietalis, Lobus occipitalis und Lobus
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Nervensystem
Frontallappen
Nucleus caudatus
Raum für Capsula int.
Putamen
Thalamus
Mandelkern
Cauda nuclei
caudati
Mittelhirn
Fossa rhomboidea
Kleinhirnstiele
Abb. 199 a. Dreidimensionale Darstellung der großen
subkortikalen Kerne. Die Großhirnrinde ist durchsichtig
gezeichnet, das Kleinhirn im Bereich der drei Kleinhirnstiele abgetrennt. Das unter dem Putamen gelegene Pallidum bildet mit diesem zusammen den Linsenkern (Nucleus
lentiformis). Zwischen Nucleus caudatus und Linsenkern
ziehen die Projektionsbahnen von und zur Großhirnrinde
hindurch und bilden die innere Kapsel (Capsula int.)
(aus J.W. Rohen, Funktionelle Neuroanatomie, 6. Aufl.,
Schattauer, 2001).
tiert als Muskeln ohne größere Bewegungsmöglichkeiten (z. B. Gesäßmuskulatur). In
ein Bild gebracht, würde der »motorische
Mensch« auf der somatomotorischen Rinde
des Gyrus precentralis ein sehr verzerrtes
Abbild seiner selbst zeigen, wenn man sich
an dem anatomischen Körperbild orientiert
(sog. motorischer Homunkulus) (Abb. 198 a).
Eine vergleichbare projektive Beziehung
zwischen der Körpermuskulatur und der
Großhirnrinde besteht bei den vor dem Gyrus
precentralis gelegenen Rindengebieten des
Frontallappens nicht mehr. Hier liegen
»Zentren«, die mehr mit übergeordneten
motorischen Funktionen zu tun haben, wie
z. B. Blickbewegungen (Augenmuskulatur),
Sprach- und Tonbildung (Kehlkopfmuskulatur) (motorisches Sprachzentrum nach
Broca, das allerdings nur auf einer Hirnhälf-
te differenziert ist, nämlich bei Rechtshändern links). Fällt das Sprachzentrum aus, ist
Sprechen nicht mehr möglich, obwohl die
Kehlkopfmuskeln selbst noch innerviert und
damit nicht gelähmt sind (die Zentren des
Gyrus precentralis sind ja noch intakt).
Die hinter dem Sulcus centralis gelegenen Rindenareale des Lobus parietalis haben keine motorischen, sondern sensorische
Funktionen. Im Gyrus postcentralis enden
die langen, sensiblen (afferenten) Bahnen
des Rückenmarks (z. B. Hinterstrangbahnen
oder Vorderseitenstrangbahnen), deren Zuflüsse aus den Hautsinnesorganen (Oberflächensensibilität) oder den Muskeln selbst
(Tiefensensibilität) stammen und über die
hinteren Wurzeln das Rückenmark erreichen.
Auch diese Bahnen kreuzen im Bereich des
Hirnstammes am Boden der Rautengrube
Zentrales Nervensystem
245
Nucleus caudatus
Inselrinde
Linsenkern
Capsula int.
Thalamus
Roter Kern
(Nucleus ruber)
Vestibulariskerne
Nucleus dentatus
Kleinhirn
Rautengrube
2
1
3
4
Labyrinthorgan
Abb. 199 b. Dorsalansicht des Hirnstamms nach Entfernung der Großhirnrinde und eines Teils des Kleinhirns.
Die efferenten Impulse des Kleinhirns laufen über den
Nucleus dentatus zu den motorischen Kernen des Mittelhirns (z. B. Nucleus ruber) und zum Thalamus (rote Linien).
Vom Mittelhirn und von der Retikularisformation gehen
die »extrapyramidalen« Bahnen zum Rückenmark (z. B.
Tractus rubrospinalis, rot gestrichelt, 1). Von den Vestibulariskernen am Boden der Rautengrube gehen Bahnen
zum Rückenmark (2), die der Gleichgewichtsregulation
dienen. Afferente Informationen erhält das Kleinhirn
durch aufsteigende Bahnen des Rückenmarks (spinozerebellare Bahnen, blau, 3) sowie vom Labyrinthorgan über
den VIII. Hirnnerven (4).
(mediale Schleife, Lemniscus med.), sodass
auch der »sensorische Homunkulus« das
Körperbild jeweils auf der gegenüberliegenden Hemisphäre repräsentiert. Der Gyrus
postcentralis ist damit ähnlich wie der Gyrus
precentralis ein somatosensorisches Projektionsfeld, hier für die gesamte Körpersensibilität. Die anschließenden Rindenfelder des
Scheitellappens (Lobus parietalis) dienen
wiederum übergeordneten sensorischen
Funktionen und sind nicht mehr direkt einzelnen Körperregionen zugeordnet. Hier spielen
dann umfassendere Leistungen, wie Kinästhetik, Körperschema, Raumgefühl, Bilderkennen (»Lesezentrum«) usw., eine Rolle.
Der Hinterhauptslappen (Lobus occipitalis) beherbergt schließlich die Projektions-
zentren des visuellen Systems sowie auch
die zugehörigen übergeordneten visuellen
Rindenfelder (Sehsystem), der Schläfenlappen (Lobus temporalis) die entsprechenden
Rindenareale des auditiven Systems (Hörzentren).
Alle diese Rindenfelder sind durch –
beim Menschen besonders zahlreiche –
Assoziationsfasersysteme untereinander verbunden. Dadurch können sich die aus den
Sinnessystemen einlaufenden Informationen auch auf die sensomotorischen kortikalen Areale und damit auf die Willkürmotorik
insgesamt auswirken.
Die Pyramidenbahn stellt einen direkten
Weg vom Gyrus precentralis zum Rückenmark dar. Sie ermöglicht die Verwirklichung
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