Leseprobe - beck

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Neurologische Leitsyndrome und Leitsymptome
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9.4 Spinale Syndrome
Tabelle 9.13 · Wichtige Ursachen amnestischer Störungen
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akut ⫹ meist persistierend
posttraumatisch, Ischämien (Thalamus, Hippokampus, Versorgungsgebiet der A. cerebri ant.), Aneurysmablutung A. communicans anterior, CO-Intoxikation, zerebrale Hypoxie
akut ⫹ transient
amnestische Episode (transitorische globale Amnesie = TGA
s. u.), Epilepsie (Temporallappenanfälle), Commotio cerebri
subakut ⫹ meist persistierend
Wernicke-Korsakow-Syndrom (S. 471), Enzephalitis (v. a. Herpes-Enzephalitis, S. 422)
langsam progredient
Morbus Alzheimer und andere Demenzen (S. 450 ff.), zerebrale
Raumforderungen
왘
Transitorische globale Amnesie (TGA):
Definition/Kriterien: Akut einsetzende amnestische Episode von maximal 24 h
Dauer; keine begleitende Bewusstseinsstörung, keine fokalen Ausfälle oder epileptische Symptome; eventuell ausgelöst durch Stresssituationen.
앫 Pathogenese: Unbekannt. Es bestehen keine sicheren Hinweise auf eine Assoziation mit zerebrovaskulären Risikofaktoren oder Erkrankungen.
앫 Klinik:
– Wacher, desorientiert und ratlos wirkender Patient mit anterograder und
(wechselnd ausgeprägter) retrograder Amnesie, Störung des Langzeitgedächtnisses.
– Typischerweise stereotyp wiederkehrende Fragen („wo bin ich“, „was ist
los“...).
– Keine Zeichen einer sonstigen Persönlichkeits- oder Verhaltensstörung.
앫 Diagnostik: Unauffälliges EEG, CCT, MRT; im Hirnperfusions-SPECT eventuell
Minderperfusion im medialen Temporallappen.
왘 Hinweis: Bei typischer Anamnese und Klinik sind Zusatzuntersuchungen entbehrlich!
앫 Differenzialdiagnose:
– Vaskulär bedingte transitorische Amnesie bei Hirnmstamm-TIA (weitere Hirnstammzeichen als wegweisende Begleitsymptomatik).
– Commotio cerebri (initiale Bewusstseinsstörung, Trauma-Anamnese).
– Intoxikationen (pathologisches EEG, Begleitsymptomatik).
– Korsakow-Syndrom (Amnesie plus Frontalhirnsyndrom mit Konfabulationen).
– Psychogene Amnesie.
앫 Therapie: Keine gesicherte Therapie bekannt.
앫 Prognose: Rezidivgefahr um 25%.
9.4 Spinale Syndrome
Querschnittsyndrom
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .–. . Komplettes
. . . . . . . . . . . . . . . .Querschnittsyndrom
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왘
왘
Definition: Klinisches Syndrom nach akuter kompletter Schädigung des Rückenmarks.
Ätiologie: Trauma, Ischämie, Entzündung, Raumforderung.
Klinik des akuten Querschnittsyndroms 씮 „spinaler Schock“ (reduzierte Erregbarkeit spinaler Motoneurone; Dauer bis zu 6 Wochen, danach Übergang in chronisches Querschnittsyndrom [s.u.]):
앫 Motorik, Reflexe: Es besteht eine schlaffe Plegie unterhalb des Ortes der Schädigung, die Muskeleigenreflexe und Fremdreflexe sind erloschen.
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Grehl, Reinhardt, Checkliste Neurologie (ISBN 3131262737), 䊚 2005 Georg Thieme Verlag KG
Funiculus posterior
Tractus semilunaris
(Schultze-Komma)
Fasciculus Fasciculus
cuneatus gracilis
(Burdach) (Goll)
SL
Th
C
I– III L
IV
V Th
VI
C
S
in
f
Be
p
m
Ru
m
Ar
Substantia gelatinosa
Tractus dorsolateralis
(Lissauer-Traktus)
Tractus spinocerebellaris
posterior
Tractus
corticospinalis lateralis
Nucleus thoracicus
Formatio reticularis
Tractus
rubrospinalis
Tractus
spinocerebellaris
anterior
Tractus
spinothalamicus
lateralis
Tractus spinotectalis
Tractus olivospinalis
Tractus spino-olivaris
Tractus spinothalamicus
anterior
Tractus vestibulospinalis
Tractus reticulospinalis
Tractus tectospinalis
X
VII
VIII
IX
C
Th L S
IX
Temperatur
Schmerz
Druck
Berührung
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Neurologische Leitsyndrome und Leitsymptome
9.4 Spinale Syndrome
Fasciculus sulcomarginalis
Tractus corticospinalis anterior
Abb. 9.1 · Querschnitt durch das Rückenmark mit Topographie von Bahnen und Laminae
(nach Duus)
왘
앫 Sensibilität:
– In Läsionshöhe bandförmige Hyperalgesie (s. Abb. 1.3 S. 18).
– Die Begrenzung der Sensibilitätsstörung kann einige Segmente unterhalb der
Läsion liegen (s. Abb. 1.3 S. 18).
– Autonome Funktionen: Parese der glatten Blasen- (씮 Detrusorareflexie) und
Mastdarmuskulatur mit Harnretention und Überlaufblase (S. 257).
Klinik des chronischen Querschnittsyndroms:
앫 Motorik, Reflexe: Spastische Parese/Plegie, gesteigerte Muskeleigenreflexe mit
verbreiterten Reflexzonen (u. U. Kloni), pos. Pyramidenbahnzeichen. Abgeschwächte Fremdreflexe.
앫 Sensibilität: u. U. Reizerscheinungen.
앫 Autonome Funktionen: Übergang zu einer Detrusorhyperreflexie mit UrgeInkontienz, Detrusor-Sphinkter-Dyssynergie (S. 257), Störungen der Mastdarm- (cave
ebenfalls Dyssynergie mit mangelnder Stuhlentleerung!) und Sexualfunktion sowie der Schweißsekretion.
앫 Spinale Automatismen: Exterozeptive (z. B. Berührung, Lagewechsel) und enterozeptive (z. B. Blasenfüllung) Stimuli lösen unterhalb der Läsion Beuge- und
Strecksynergien aus (nicht zu verwechseln mit Willkürbewegungen!).
왘 Cave: Autonome Dysreflexie mit hypertensiver Entgleisung (mit entsprechenden
Begleitsymptomen) bei mangelnder Blasen- und/oder Darmentleerung. Notfalltherapie ist hier 1) Katheterisierung/Rektumentleerung und 2) antihypertensive
Therapie.
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Grehl, Reinhardt, Checkliste Neurologie (ISBN 3131262737), 䊚 2005 Georg Thieme Verlag KG
Neurologische Leitsyndrome und Leitsymptome
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9.4 Spinale Syndrome
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Höhenlokalisation:
앫 Zervikalmark:
– Oberes Zervikalmark: Spastische Tetraparese, u. U. Atemlähmung (Phrenikuslähmung).
– Mittleres/unteres Zervikalmark: Spastische Paresen der Beine ⫹ periphere Paresen der Arme möglich, Wurzelreizerscheinungen. Das klinisch angegebene
sensible Niveau kann dabei einige Segmente unterhalb der Läsion lokalisiert
sein.
앫 Thorakalmark: Spastische Parese der Beine, Blasen- /Mastdarmstörungen (s.o.).
Hyperalgetische Zone einige Segmente unter der Läsion.
앫 Lumbalmark, Conus medullaris, Cauda equina: s. S. 211.
Klinik des inkompletten Querschnittsyndroms: Nachweis erhaltener motorischer oder sensibler Funktion distal der Höhe des Traumas (beachte: Erhaltene sakrale Reflexe werden nicht gewertet!). Die Verteilung der Ausfälle richtet sich nach
dem Ort der Rückenmarkläsion und entspricht eventuell typischen Rückenmarkssyndromen (s.u.).
Allgemeine Diagnostik und Therapie s. S. 579.
.Brown-Séquard-Syndrom
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Ätiologie: Halbseitige Läsion des Rückenmarks durch Trauma, Raumforderung (z. B.
Blutung, Tumor), Entzündung (Myelitis), Ischämie.
Klinik:
앫 Auf Höhe der Läsion: Periphere (schlaffe) Paresen, Hyperalgesie.
앫 Distal ⫹ ipsilateral der Läsion:
– Motorik: Initial schlaffe Parese/Plegie mit erloschenen spinalen Reflexen, später Übergang in spastische Parese/Plegie.
– Sensibilität: Störung von Lage-/Vibrationsempfindung sowie der taktilen Diskrimination. Berührungsempfindung erhalten.
– Vegetativum: Initial Rötung/Überwärmung, evtl. fehlendes Schwitzen.
앫 Distal ⫹ kontralateral der Läsion: Störung der Schmerz- und Temperaturempfindung (Durchtrennung der segmental kreuzenden Fasern des Tractus spinothalamicus 씮 dissoziierte Sensibilitätsstörung).
Allgemeine Diagnostik und Therapie s. S. 579.
.Zentromedulläres
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .Syndrom
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Ätiologie: Läsion des Rückenmarkzentrums durch z. B. Syringomyelie, Blutung,
Ischämie, Trauma, Stiftgliom, Myelitis (z. B. Multiple Sklerose). Betroffen sind vor allem die kreuzenden Fasern des Tractus spinothalamicus.
Klinik:
앫 Sensibilität: Typischerweise bilaterale dissoziierte Sensibilitätsstörungen. d. h.
Störung von Schmerz- und Temperaturempfindung bei erhaltenen anderen sensiblen Qualitäten. Die Patienten schildern schmerzlose Verletzungen oder Verbrennungen, die sie nicht bemerkt haben.
앫 Motorik, Reflexe:
– Auf Läsionshöhe bilaterale schlaffe Parese mit abgeschwächten Reflexen.
– Unterhalb der Läsion spastische Parese mit gesteigerten Reflexen und autonomen Störungen (s.o.).
앫 Vegetative und trophische Störungen:
– Schweißsekretionsstörungen, Hypothermie, Zyanose, Ödeme.
– Nagelveränderungen, Schwielen, schlechte Wundheilung.
– Neurogene Arthropathie: Schmerzlose Gelenkschwellung (Schulter ⬎ Ellenbogen ⬎ Handgelenk ⬎ Hüftgelenk ⬎ Sprunggelenke) mit Entwicklung von
Osteolysen und Auftreibungen des Knochens.
Allgemeine Diagnostik und Therapie s. S. 579.
Grehl, Reinhardt, Checkliste Neurologie (ISBN 3131262737), 䊚 2005 Georg Thieme Verlag KG
Tabelle 9.14 · Klinische Differenzierung zwischen Konus- und Kaudasyndrom
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Konus-Syndrom
Kauda-Syndrom
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Sensibilitätsstörung
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– Reithosenanästhesie
– bilateral, symmetrisch
– eher früh im Verlauf
–
–
–
–
Reithosenanästhesie
u.U. dissoziiert
eher asymmetrisch
eher spät im Verlauf
.......................................................................................
Schmerzen
.......................................................................................
– meist mäßig
– bilateral, symmetrisch
– perineal ⫹ Hüftregion
– meist stark
– eher asymmetrisch
– radikulär
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schlaffe Paresen
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– untypisch
–
–
–
–
entsprechend Läsionshöhe
eher asymetrisch
mittel- bis hochgradig
Atrophie
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Neurologische Leitsyndrome und Leitsymptome
9.4 Spinale Syndrome
Reflexe
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– ASR ⫹ PSR meist normal
– Anal- ⫹ Bulbokaverkonusreflex abgeschwächt oder ausgefallen
– MER abgeschächt oder ausgefallen
(ASR ⬎ PSR)
– Anal- ⫹ Bulbokaverkonusreflex abgeschwächt oder erloschen
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Sphinkterstörung
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– früh ⫹ hochgradig
– meist spät ⫹ weniger schwer
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Sexualfunktionsstörung
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– Erektions- ⫹ Ejakulationsstörung
– Erektions- ⫹ Ejakulationsstörung
.Spinalis-anterior-Syndrom
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Ätiologie: Durchblutungsstörung im Versorgungsgebiet der A. spinalis anterior.
Klinik: Paraspastik der Beine, dissoziierte Sensibilitätsstörung kaudal der Läsionshöhe. Berührungs- und Lageempfinden (Tiefensensibilität) normal. Blasen-/Miktionsstörungen (s.o.).
Allgemeine Diagnostik und Therapie s. S. 579.
.Konus. . . . . . . . .und
. . . . . .Kauda-Syndrom
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Ätiologie: Medialer Bandscheibenvorfall in Höhe des Conus medullaris bzw. der
Cauda equina, andere Raumforderung (z. B. Tumor, Wirbelfraktur).
Klinik und klinische Differenzierung s. Tab. 9.14.
Allgemeine Diagnostik und Therapie s. S. 579.
Cave: Ein Konus- und/oder Kauda-Syndrom ist ein Notfall 씮 neurochirurgisches
Konsil (씮 ggf. OP-Vorbereitung).
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Grehl, Reinhardt, Checkliste Neurologie (ISBN 3131262737), 䊚 2005 Georg Thieme Verlag KG
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