Molekulare Onkologie Entstehung, Progression, klinische Aspekte Bearbeitet von Christoph Wagener, Oliver Müller erweitert, überarbeitet 2009. Buch. XIX, 424 S. Hardcover ISBN 978 3 13 103513 4 Format (B x L): 17 x 24 cm Gewicht: 1014 g Weitere Fachgebiete > Medizin > Klinische und Innere Medizin > Onkologie, Psychoonkologie Zu Inhaltsverzeichnis schnell und portofrei erhältlich bei Die Online-Fachbuchhandlung beck-shop.de ist spezialisiert auf Fachbücher, insbesondere Recht, Steuern und Wirtschaft. Im Sortiment finden Sie alle Medien (Bücher, Zeitschriften, CDs, eBooks, etc.) aller Verlage. Ergänzt wird das Programm durch Services wie Neuerscheinungsdienst oder Zusammenstellungen von Büchern zu Sonderpreisen. Der Shop führt mehr als 8 Millionen Produkte. Organisation epithelialer Zellverbände 9 Maligne Progression: molekulare Grundlagen und klinische Bedeutung 1 2 Zusammenfassung Bösartige Tumoren unterscheiden sich von gutartigen dadurch, dass Tumorzellen in ihre Umgebung eindringen und sich in entfernten Geweben und Organen absiedeln. Der Motor der Zellbewegung ist das Aktinzytoskelett, bei dessen Regulation Phosphatidylinositol-3-Kinasen (PI3-Kinasen) eine Schlüsselrolle spielen. Pharmaka, die auf die Hemmung der PI3-Kinasen abzielen, beeinflussen u. a. auch die Beweglichkeit der Zellen. Die Position von Epithelzellen in einem Zellverband wird wesentlich durch Moleküle bestimmt, die den Kontakt zu den benachbarten Zellen und zur Basalmembran herstellen. Wenn die Funktion dieser Moleküle gestört ist, können einzelne Zellen oder Zellverbände in die Umgebung eindringen. Das funktionell bedeutendste Zelladhäsionsmolekül von Epithelien ist E-Cadherin, dessen Verlust mit einer verstärkten Motilität und invasivem Wachstum von Tumorzellen einhergeht. Dies ist mit einer schlechten Prognose der Patienten verbunden. Proteinasen unterstützen die Tumorprogression auf vielfältige Weise. Sie können umgebende Bindegewebsstrukturen abbauen, Zellkontakte kappen und bioaktive Peptide aus ihrer Bindung an der Zellmembran oder an Bestandteile des Bindegewebes befreien. Um Proteinasen therapeutisch zu beeinflussen, muss deren Funktion zielgenau getroffen werden. Ein wachsender Tumor ist durch eine Unterversorgung mit Sauerstoff bedroht. Tumorzellen haben wirkungsvolle Mechanismen gegen einen möglichen Sauerstoffmangel entwickelt. ► Unter maligner Progression versteht man die Ausbreitung transformierter Zellen im Organismus. Während der malignen Progression verändert sich der Kontakt der Tumorzellen zueinander. Im weiteren Verlauf treffen die bösartigen Zellen auf Zellen und Strukturen, mit denen die Zellen des Gewebes oder Organs, aus dem der Tumor entstanden ist, im gesunden Organismus nicht in Berührung kommen. Die nicht malignen Zellen reagieren ihrerseits auf den Kontakt mit den Tumorzellen. Im Zentrum der Kapitel zur malignen Progression stehen daher die Auseinandersetzung der Tumorzelle mit ihrer Umgebung und die Auseinandersetzung der Umgebung mit der Tumorzelle. Um die molekularen und zellulären Grundlagen dieser Prozesse verstehen zu können, werden in diesem Kapitel zunächst einige grundlegende Zusammenhänge und Begriffe definiert und erläutert. Für Proteine, die während der malignen Progression eine wichtige Rolle spielen, werden Veränderungen der Struktur und Regulation in Tumoren dargestellt. Die zentrale Bedeutung dieser Moleküle legt nahe, sie in der Diagnose und als Zielstrukturen (engl. targets) für molekulare Therapien zu nutzen. Im Zusammenhang mit diesen Molekülen werden daher diagnostische Anwendungen und gezielte Therapieansätze beschrieben. Kap. 10 (S. 324) widmet sich den verschiedenen Phasen der malignen Progression im funktionellen Zusammenhang. 9.1 ► Organisation epithelialer Zellverbände 3 4 5 6 7 Die geordnete Struktur eines Epithels beruht wesentlich auf Kontaktstellen, die die Zellen untereinander sowie mit der extrazelluären Matrix und dem intrazellulären Zytoskelett verbinden (Abb. 9.1). Eine Kontaktstelle, die allen Epithelien gemeinsam ist, ist die Zonula occludens (engl. tight junction). Sie dient als selektive Permeabilitätsbarriere zwischen Lumen und Interzellulärraum. Adhärente Kontaktstellen (Zonula adherens, engl. adherens junctions) stellen den Kontakt von Epithelzellen untereinander und mit der extrazellulären Matrix einerseits und Aktinfilamenten in der Zelle andererseits her. In Epithelien hat die Zonula adherens häufig die Form sogenannter Adhäsionsgürtel 283 aus: Wagener, Müller, Molekulare Onkologie (ISBN 9783131035134), © 2009 Georg Thieme Verlag KG 8 9 10 Maligne Progression: molekulare Grundlagen und klinische Bedeutung Bestandteile der Basalmembran wie Laminin und Kollagen IV. Desmosomen sind interzelluläre Kontaktstellen, die in der Zelle die Verbindung zu Intermediärfilamenten herstellen. In Epithelzellen handelt es sich hierbei um Keratinfilamente. Desmosomen und Keratinfilamente bilden zusammen ein Netzwerk, das das ganze Epithel durchzieht und ihm Widerstand gegen Zugkräfte verleiht. Die wesentlichen Adhäsionsproteine von Desmosomen sind Desmogleine und Desmocolline, die zur Superfamilie der Cadherine gehören. Hemidesmosomen, die an der Grenze zur extrazellulären Matrix liegen und in denen ebenfalls Keratinfilamente verankert sind, unterscheiden sich strukturell und funktionell von Desmosomen (Gumbiner 1996). In Tab. 9.1 sind Funktionen und Bestandteile von Zell-Zell- und ZellMatrix-Kontakten zusammengefasst. Abb. 9.1 Schematische Darstellung epithelialer Kontaktstellen. Die Zonula occludens („tight junction”) trennt das Lumen vom Interzellulärraum. Der „Adhäsionsgürtel” verläuft um die Zelle herum und erlaubt so eine plastische Formgebung. Interzelluläre Interaktionen der Adhäsionsgürtel werden von E-Cadherin vermittelt. In Desmosomen und Hemidesmosomen sind Intermediärfilamente verankert. Hemidesmosomen binden an die Basalmembran. „Gap junctions” dienen dem Stoffaustausch. (engl. adhesion belt). Diese sind durch Bündel von Aktinfasern gekennzeichnet, die an der Innenseite der Zellen entlanglaufen. In adhärenten Kontaktstellen, die Epithelzellen miteinander verbinden, ist das Zelladhäsionsmolekül E-Cadherin von herausragender funktioneller Bedeutung. In adhärenten Kontaktstellen zwischen Epithelzellen und extrazellulärer Matrix sind Integrine die wichtigsten Zellmembranrezeptoren. Integrine binden hier an 9.2 ► Extrazelluläre Matrix Die extrazelluläre Matrix (ECM), die im Verlauf der malignen Progression von Karzinomzellen invadiert und abgebaut wird, besteht in der Regel aus zwei Kompartimenten, nämlich der Basalmembran und dem interstitiellen Bindegewebe. Lokalisation, Zusammensetzung und Funktion von Basalmembran und interstitiellem Bindegewebe weisen deutliche Unterschiede auf. Die Basalmembran ist eine bindegewebige Membran ohne Zellen, die Epithel- und Endothelzellen vom interstitiellen Bindegewebe trennt, Muskelzellen umgibt und in Nierenglomerula als Filter dient. Das interstitielle Bindegewebe enthält – je nach Gewebetyp Tabelle 9.1 Zell-Zell- und Zell-Matrix-Kontakte. Adhäsionsform Funktion adhäsive(s) Protein(e) Zonula occludens (Tight Junction) undurchlässiger Abschluss des Gewebeverbands Occludin, Claudin Zonula adherens (Adhesion belt) plastische Formgebung, gürtelförmige Zell-Zell-Verbindung E-Cadherin-E-Cadherin Macula adherens (Desmosom) punktförmige feste Zell-Zell-Verbindung Desmoglein-Desmocollin Gap Junction kommunizierende Zell-Zell-Verbindung Connexin fokale Adhäsion Zell-Matrix-Anheftung Integrin-Fibronectin, Laminine Hemidesmosom Verankerung auf Basalmembran Integrinα6β4-Laminin5 284 aus: Wagener, Müller, Molekulare Onkologie (ISBN 9783131035134), © 2009 Georg Thieme Verlag KG Extrazelluläre Matrix Abb. 9.2 Aufbau und Bestandteile des Bindegewebes unterhalb der Basalmembran von Epithelien und Endothelien. 1 2 3 – Fibroblasten, Osteoblasten, Chondrozyten, Makrophagen und Mastzellen, die in einer Matrix von Kollagenfasern, Glykoproteinen und Proteoglykanen eingebettet sind. Den prinzipiellen Aufbau von Epithel, Endothel, Basalmembran und Bindegewebsstroma zeigt Abb. 9.2. 9.2.1 Basalmembran ► Die Basalmembran reguliert Zellwachstum und Gewebearchitektur. Elektronenmikroskopisch lassen sich die an die Zellen angrenzende Lamina rara und die darunter liegende Lamina densa unterscheiden. Die Hauptbestandteile der Basalmembran sind in Tab. 9.2 wiedergegeben. Kollagen Typ IV macht mehr als die Hälfte der Basalmembranproteine aus. Im Gegensatz zu anderen Kollagentypen bildet Typ IV Kollagen keine Fibrillen, sondern ordnet sich zu einem maschenartigen Netzwerk an (Prockop u. Kivirikko 1995). In die durch das Kollagengerüst vorgegebene Struktur sind Glykoproteine und Proteoglykane integriert. Das funktionell bedeutsamste Glykoprotein ist Laminin, das mit Kollagen IV und Heparansulfat-Proteoglykanen interagiert (Abb. 9.3). Es kommen mindestens 15 Laminin-Isoformen vor, die im Folgenden als Laminin zusammengefasst werden. Laminin besteht aus drei Ketten, die, wie elektronenoptische Untersuchungen zeigten, in Form eines Kreuzes angeordnet sind. Das komplexe Glykoprotein bindet an Rezeptoren der Zellmembran und vermittelt Motilität, Wachstum und Differenzierung. An der Zellbindung sind Domänen im zentralen Bereich des Moleküls und im C-terminalen Abschnitt der A-Kette beteiligt (Martin u. Timpl 1987). Die Basalmembran enthält als weiteren Bestandteil das Heparansulfat-Proteoglykan Perlecan. Hauptanteil des Glykans sind sulfatierte repetitive Disaccharideinheiten aus N-Acetyl-Glukosamin und Glucuron- bzw. Iduronsäure. Die Heparansulfat-Seitenketten des Proteoglykans vermitteln Zelladhäsion und beeinflussen durch Bindung von Wachstumsfaktoren wie beispielsweise FGF 4 5 6 7 8 Tabelle 9.2 Hauptbestandteile der Basalmembran. Bestandteil Struktur Eigenschaften Typ IV Kollagen [α1(IV)]2α2(IV) Basalmembran-spezifisch, Hauptbestandteil, netzartige Struktur, Interaktion mit Heparansulfat-Proteoglykanen und Integrinen Laminin A-, B1-, B2-Untereinheiten Basalmembran-spezifisch, Bindung an Zellmembranprotein, Interaktion mit Proteoglykanen und Zellmembranrezeptoren Perlecan Core-Protein, 2–3 Heparansulfat-Seitenketten Interaktion mit Typ IV Kollagen und Laminin Entactin (Nidogen) Einzelkette Basalmembran-spezifisch, Interaktion mit Laminin 9 10 285 aus: Wagener, Müller, Molekulare Onkologie (ISBN 9783131035134), © 2009 Georg Thieme Verlag KG Maligne Progression: molekulare Grundlagen und klinische Bedeutung und Chemokinen aktiv Zellproliferation und -migration (Kjellen u. Lindahl 1991). 9.2.2 Interstitielles Bindegewebe ► Abb. 9.3 Strukturmodell von Laminin. Das Molekül besteht aus drei Untereinheiten (A-, B1- und B2-Kette). B1und B2-Ketten sind über eine Disulfidbrücke miteinander verknüpft (Quelle: Martin u. Timpl 1987). Das interstitielle Bindegewebe ist eine komplexe Matrix aus Kollagenfasern, Glykoproteinen und Proteoglykanen, in die Fibroblasten und weitere Zellen wie Makrophagen und Mastzellen eingebettet sind. Zusammensetzung und Verhältnis der verschiedenen Bindegewebskomponenten zueinander richten sich nach den unterschiedlichen funktionellen Anforderungen in verschiedenen Organen und Geweben wie beispielsweise in Knochen, Sehnen, Knorpel, Ligamenten, Faszien und Stroma. In Tab. 9.3 sind wichtige Bestandteile des interstitiellen Bindegewebes aufgeführt. Kollagenfasern. Sie machen bis zu 90 % der organischen Bestandteile des interstitiellen Bindegewebes und etwa ein Viertel der gesamten Proteinmasse des Körpers aus. Die häufigsten Kollagene des interstitiellen Bindegewebes sind die Typen I und III. In Tabelle 9.3 Hauptbestandteile des interstitiellen Bindegewebes. Bestandteil Struktur Eigenschaften Typ I Kollagen [α1(I)]2α2(I), Tripelhelix Strukturbildung, mechanische Festigkeit, Interaktion mit anderen Bestandteilen der ECM Typ III Kollagen [α1(III)]3, Tripelhelix Strukturbildung, mechanische Festigkeit, Interaktion mit anderen Bestandteilen der ECM Fibronectin 2 Untereinheiten, 210 kD und 250 kD Strukturbildung, Bindung an Kollagene, Heparansulfat und Zellen Elastin 72 kD, in Fibrillen kovalent vernetzt Elastizität Versican Chondroitinsulfat-Glykosaminoglykan, Hyaluronat-Bindungsdomäne, Lectindomäne Strukturbildung, Interaktion mit ECM-Komponenten und Zellen Decorin Chondroitinsulfat/DermatansulfatGlykosaminoglykan Kollagen-Fibrillogenese Biglykan Chondroitinsulfat/DermatansulfatGlykosaminoglykan Kollagen-Fibrillogenese Disaccharideinheiten aus Glukuronsäure und N-Acetylglukosamin, 500–5000kD Strukturbildung, Wasserretention, Interaktion mit Versican Proteoglykane Hyaluronsäure ECM: extrazelluläre Matrix. 286 aus: Wagener, Müller, Molekulare Onkologie (ISBN 9783131035134), © 2009 Georg Thieme Verlag KG