Piano 5 GrauSchumacher Piano Duo Mittwoch 28. März 2012 20:00 12534_KM_28-03-12_c.indd U1 22.03.12 15:09 Bitte beachten Sie: Ihr Husten stört Besucher und Künstler. Wir halten daher für Sie an den Garderoben Ricola-Kräuterbonbons bereit und händigen Ihnen Stofftaschentücher des Hauses Franz Sauer aus. Sollten Sie elektronische Geräte, insbesondere Handys, bei sich haben: Bitte schalten Sie diese zur Vermeidung akustischer Störungen aus. Wir bitten um Ihr Verständnis, dass Bild- und Tonaufnahmen aus urheberrechtlichen Gründen nicht gestattet sind. Wenn Sie einmal zu spät zum Konzert kommen sollten, bitten wir Sie um Verständnis, dass wir Sie nicht sofort einlassen können. Wir bemühen uns, Ihnen so schnell wie möglich Zugang zum Konzertsaal zu gewähren. Ihre Plätze können Sie spätestens in der Pause einnehmen. Sollten Sie einmal das Konzert nicht bis zum Ende hören können, helfen wir Ihnen gern bei der Auswahl geeigneter Plätze, von denen Sie den Saal störungsfrei (auch für andere Konzertbesucher) und ohne Verzögerung verlassen können. 12534_KM_28-03-12_c.indd U2 22.03.12 15:09 Piano 5 GrauSchumacher Piano Duo Götz Schumacher Klavier Andreas Grau Klavier Mittwoch 28. März 2012 20:00 Pause gegen 20:50 Ende gegen 21:50 19:00 Einführung in das Konzert durch Christoph Vratz Das Konzert im Radio: Donnerstag 29.03.2012, Deutschlandradio Kultur, 20:03 12534_KM_28-03-12_c.indd 1 22.03.12 15:09 PROGRAMM Johannes Brahms 1833 – 1897 Walzer op. 39 (1865) Fassung für Klavier zu vier Händen Nr. 1 H-Dur Tempo giusto Nr. 2 E-Dur Nr. 3 gis-Moll Nr. 4 e-Moll Poco sostenuto Nr. 5 E-Dur Nr. 6 Cis-Dur Vivace Nr. 7 cis-Moll Poco più andante Nr. 8 B-Dur Nr. 9 d-Moll Nr. 10 G-Dur Nr. 11 h-Moll Nr. 12 E-Dur Nr. 13 C-Dur Nr. 14 a-Moll Nr. 15 A-Dur Nr. 16 d-Moll 2 12534_KM_28-03-12_c.indd 2 22.03.12 15:09 Wolfgang Rihm *1952 Mehrere kurze Walzer (1979/88) für Klavier zu vier Händen Nr. 1 d-Moll Nr. 2 d-Moll Nr. 3 cis-Moll (languido, con tenerezza) Nr. 4 C-Dur Nr. 5 C-Dur Nr. 6 D-Dur (un poco elegante) Nr. 7 c-Moll (feroce) Nr. 8 g-Moll (schnell) Nr. 9 e-Moll (très lent) Nr. 10 F-Dur Nr. 11 G-Dur Nr. 12 c-Moll (zögernd, schwankend) Nr. 13 C-Dur Nr. 14 fis-Moll Nr. 15 F-Dur Nr. 16 a-Moll (très lent) Nr. 17 F-Dur Nr. 18 F-Dur (Ohr- und Wurmwalzer) Nr. 19 b-Moll Pause 3 12534_KM_28-03-12_c.indd 3 22.03.12 15:09 Peter Iljitsch Tschaikowsky 1840 – 1893 Walzer aus dem Ballett »Schwanensee« op. 20 Bearbeitung für zwei Klaviere von Victor Babin Frank Martin 1890 – 1974 Ouverture et foxtrot (1924) für zwei Klaviere André Jolivet 1905 – 1974 Hopi Snake Dance (1948) für zwei Klaviere Maurice Ravel 1875 – 1937 La Valse. Poème chorégraphique (1919 – 20) Bearbeitung für zwei Klaviere 4 12534_KM_28-03-12_c.indd 4 22.03.12 15:09 ZU DEN WERKEN DES HEUTIGEN KONZERTS Johannes Brahms: Walzer op. 39 Als Blütezeit des geselligen Musizierens im Freundeskreis gilt das Wiener Biedermeier und als ihr Inbegriff die sogenannte Schubertiade. Bei gemeinsamen Landpartien, im Wirtshaus oder im intimen häuslichen Ambiente spielte Schubert am Klavier mit Vorliebe zu Tanz und Unterhaltung auf – Fantasien und Variationen, Walzer und Ländler, oft auch vierhändig mit Josef von Gahy oder Karl Maria von Bocklet, seinen liebsten Duopartnern. Diese Tradition blieb in Wien bis ins späte 19. Jahrhundert ungebrochen erhalten und auf sie ausdrücklich berief sich Johannes Brahms, der große Schubert-Verehrer. 1862 war er erstmals nach Wien gereist, zehn Jahre später ließ er sich endgültig dort nieder. Wie Schubert wurde Brahms als blendender Walzerspieler gerühmt, der bei Abendgesellschaften die Zuhörer unwiderstehlich in seinen Bann zog. Und eines der frühesten kompositorischen Zeugnisse dieser geselligen Praxis sind seine Walzer op. 39, die 1865 bei Rieter-Biedermann in Leipzig erstmals gedruckt erschienen, zum Teil aber schon früher, während der 1850er Jahre entstanden sind. Die Widmung trug Brahms dem Wiener Kritiker Eduard Hanslick mit folgenden Worten an: »… Ich dachte an Wien, an die schönen Mädchen, mit denen Du vierhändig spielst, an Dich selbst, den Liebhaber von derlei, den guten Freund – kurz, ich fühlte die Notwendigkeit, Dir es zuzuschreiben«. Und Hanslick bedankte sich artig mit einer ausführlichen Rezension: »… Die Walzer von Brahms sind eine Frucht seines Wiener Aufenthalts, und wahrlich von süßester Art. Nicht umsonst hat dieser feine Organismus sich Jahr und Tag der leichten, wohligen Luft Österreichs ausgesetzt – seine ›Walzer‹ wissen nachträglich davon zu erzählen. Fern von Wien müssen ihm doch die Straußschen Walzer und Schuberts Ländler, unsere Gstanzel und Jodler, selbst Farkas‹ Zigeunermusik nachgeklungen haben, dazu die hübschen Mädchen, der feurige Wein, die waldgekrönten Höhen und was sonst noch. Welch reizende, liebenswürdige Klänge! Wirkliche Tanzmusik wird natürlich niemand erwarten: Walzer-Melodie und Rhythmus sind in künstlerisch freier Form behandelt und durch vornehmen Ausdruck gleichsam nobilitiert.« Im Brief an Hanslick hatte Brahms die sechzehn Tanzminiaturen als »kleine unschuldige Walzer in Schubertscher Form« annonciert, 5 12534_KM_28-03-12_c.indd 5 22.03.12 15:09 doch sind neben dem Vorbild Schuberts – manifest in Form und Harmonik wie auch in der charakterstückartigen Ausprägung – manche weiteren Allusionen und Reminiszenzen erkennbar: So erinnert Nr. 1 deutlich an Schumanns Papillons und in Nr. 11, noch prononcierter aber in Nr. 13 und 14, spielt Brahms virtuos mit ungarischen Färbungen und Csárdás-Rhythmen. Besonders auffällig erscheint die Vorliebe für geschmeidige Terzen- und Sextengänge (Nr. 10, 12 und 15), überraschend im Gesamtgefüge wirken nicht zuletzt die häufigen Moll-Sätze (Nr. 3, 4, 7, 9, 11 und 16). Brahms hat den Zyklus op. 39 auch in zwei Fassungen für Klavier zweihändig vorgelegt, die im späteren 19. Jahrhundert, nicht nur in Wien, überaus populär wurden. Wolfgang Rihm: Mehrere kurze Walzer Seit seinem spektakulären Debüt als 22jähriger beim Festival in Donaueschingen 1974 hat Wolfgang Rihm, der nunmehr 60jährige, sein Publikum immer wieder überrascht und verführt. Wie kein anderer Komponist in Deutschland hat er zudem die musikalische Fachwelt stets in Atem gehalten und zu kontroversen Diskussionen provoziert. Konnte man ihn noch in den siebziger Jahren der neuen »Postmoderne«, den Neo-Spätromantikern und Neo-Expressionisten zurechnen, so zeichnete sich seit den achtzigern eine kontinuierliche Abkehr von solchen Traditionen, eine zunehmend experimentelle Haltung ab, die sich oft auch in verschärfter Diktion und formaler Verdichtung artikuliert. Sein opulentes, inzwischen auf annähernd fünfhundert Kompositionen angewachsenes Œuvre ist von beispielloser Vielseitigkeit, umfasst Lieder, Klavier- und Kammermusik der unterschiedlichsten Besetzung (darunter allein zwölf Streichquartette), Konzertstücke für einen und mehrere Solisten, acht abendfüllende Bühnenwerke und eine fast unübersehbare Zahl großer orchestraler und vokal-orchestraler Werke. Der Akzent liegt auf groß, und damit sind nicht nur Partiturumfang, Aufführungsdauer und Interpretenaufwand gemeint, vielmehr vor allem der großgedachte, der hochgreifende, oft grenzüberschreitende Entwurf. 6 12534_KM_28-03-12_c.indd 6 22.03.12 15:09 Umso verblüffender – und doch nur folgerichtig – erscheint es, den Komponisten, der sonst so gern die »Pranke des Löwen« schwingt, hier nun als Meister der kleinen Form, des geistreichen Aperçus, der poetischen Marginalie zu entdecken. Mehrere kurze Walzer lautet der Titel einer Sammlung von neunzehn vierhändigen Klavierminiaturen, die zwischen 1979 und 1982 entstanden sind – die meisten kaum mehr als 16 Takte umfassend, der längste gerade einmal 87 Takte lang. Es sind Finger- und Entspannungsübungen der vergnüglichsten Art, kapriziös und verspielt, tiefgründig und sarkastisch, auf kunstvolle Weise kunstlos und voller Anspielungen auf die große Wiener Tradition der nobilitierten Unterhaltungsmusik von Schubert über Strauß und Brahms bis Mahler und Berg. Nur die wenigsten Walzer hat Rihm durch Charaktertitel (»Ohr- und Wurmwalzer« bei Nr. 18) oder Vortragsanweisungen (»quasi ›Böser Wolf‹ / quasi ›Rotkäppchen‹« bei Nr. 8) näher bezeichnet. Allesamt aber sind sie Gelegenheitswerke im wörtlichsten Sinn, wie der Komponist uns in einem kurzen Vorwort verrät, das in seiner durchtriebenen Mischung von Selbstbewusstsein und Selbstironie für ihn durchaus typisch ist: »Diese kleinen Walzer schrieb ich mit einer der beiden freien linken Hände, meist zwischen Tür und Angel oder zwei Mahlzeiten – oder währenddessen oder während gar nichts. Oft fastend auch, jawohl. Sie sind meist als Mitbringsel gemeint. Oder wurden zur Degustation soeben eingetroffener komponierender Gäste gereicht. Fast alle entstanden 1979 in Rom, als ich als Stipendiat die Villa Massimo beglückte. Einige Nachzügler verdanken sich gänzlich ähnlicher ephemerer Entstehungsweisen und erwähnensunwerter Anlässe. Wobei mir jedesmal große Lust daraus erwuchs, mit Kunstverstand und dennoch nichtig zu gestalten. Das hat man selten, nicht wahr!?« Peter Iljitsch Tschaikowsky: Walzer aus dem Ballett Schwanensee Tschaikowskys Ballett Schwanensee, das bald nach der Premiere 1894 im Petersburger Marijnsky-Theater seinen Siegeszug über die internationalen Bühnen antrat, dem Liebhaber klassischer 7 12534_KM_28-03-12_c.indd 7 22.03.12 15:09 Musik vorstellen zu wollen, hieße Eulen nach Athen tragen. Und das gilt namentlich für das berühmte Tempo di Valse aus dem ersten Akt, musikalisch eine der Schlüsselszenen, die in mannigfachen Reprisen die gesamte Partitur durchwirkt. In unzähligen Arrangements avancierte dieser Walzer zum unverwüstlichen Evergreen des populären Klassikrepertoires. Nützlich sein mag hier ein Hinweis auf den Autor der vorliegenden Bearbeitung für zwei Klaviere Victor Babin (1908 – 72). Der aus Moskau gebürtige Künstler studierte zunächst in Riga, dann in Berlin bei Franz Schreker (Komposition) und Arthur Schnabel (Klavier). Bekannt wurde Babin primär als Duo-Pianist mit Vitya Vronsky, ebenfalls einer Schnabel-Schülerin, die er 1933 heiratete. Das Paar machte rasch Karriere in Europa und übersiedelte 1937 in die USA, wo Babin sich auch als Kammermusiker und Pädagoge (u. a. in Aspen, Tanglewood und Cleveland) große Verdienste erwarb. Als Komponist, der zeitlebens ein postromantisches Idiom bevorzugte, hat Babin vor allem für »sein« Instrument geschrieben, Solo- und Duowerke, darunter zwei große Konzerte für zwei Klaviere und Orchester. Frank Martin: Ouverture et foxtrot Frank Martin, ein Generationsgenosse Milhauds und Honeggers, hatte auf Wunsch seiner Eltern zunächst Mathematik und Physik studiert, bevor er sich definitiv der Musik zuwandte. Erst relativ spät, während der 1930er Jahre, entwickelte er in der Auseinandersetzung mit Impressionismus und Neoklassik, mit asiatischen Musikkulturen und vor allem mit Schönbergs Zwölftontechnik eine höchst eigenwillige »synthetische« Musiksprache, geprägt von gestischer Präsenz, zartfarbener Poesie und einer eigentümlich schwebenden Tonalität – Charakteren, die sich besonders nachdrücklich in Meisterwerken wie den Oratorien Le vin herbé (1938 – 41) und Golgotha (1945 – 48), dem Cornet nach Rilke (1943) und der Petite Symphonie Concertante (1945) manifestieren. Gewiss untypisch für diesen so persönlich formulierten Stil Martins ist hingegen sein heute abend gespieltes Stück – ein Frühwerk aus dem Jahr 1924 und zugleich seine erste Klavierkomposition, die er später auch in zwei Bearbeitungen, als Konzert für Klavier und 8 12534_KM_28-03-12_c.indd 8 22.03.12 15:09 Bläser und als orchestrale Ballettpartitur (Entr’acte) vorgelegt hat. Sie spiegelt etwas von der wildbewegten Aufbruchsstimmung der Jahre nach dem Ersten Weltkrieg, die auch für Martin unstete Lehr- und Wanderjahre waren – mit Stationen in Zürich, Rom und Paris. Und in Paris, der europäischen Hochburg des Enthusiasmus für amerikanische Jazz- und Tanzmusik, schrieb Martin die beiden Sätze seines Klavierduos nieder: eine flott synkopierte ›Ouverture‹ (Allegro) und einen als elegischen Blues stilisierten ›Foxtrot‹ mit der Vortragsbezeichnung »dolce e languido«. Unter dem Einfluss seines Pariser Freundeskreises beschäftigte er sich damals intensiv mit »rhythmischen Verfahren verschiedener Epochen und Länder«, was zwei Jahre später in dem Orchesterwerk Rythmes seinen stärksten Niederschlag fand. Spuren davon finden sich freilich schon in Ouverture et foxtrot. Denn bei allem Flirten mit dem Zeitgeist wirkt die Musik durchaus authentisch – überzeugend durch Frische, Pointenreichtum und Klangsinnlichkeit. André Jolivet: Hopi Snake Dance Neben dem wenig jüngeren Freund und Mitstreiter Olivier Messiaen war André Jolivet wohl der profilierteste Vertreter der Gruppe »La Jeune France«, die ab Mitte der 1930er Jahre in Paris Furore machte und ihre kompositorische Ästhetik aus der dezidierten Abkehr vom Neoklassizismus entwickelte. Wie Messiaen begeisterte sich Jolivet für Mystik und Naturmagie, für modale Skalen und komplexe Rhythmen, generell für die faszinierende Klangwelt außereuropäischer Musikkulturen. Entscheidende Impulse für sein eigenes Komponieren verdankte er jedoch vor allem Edgard Varèse, den er 1929 anlässlich einer Pariser Aufführung von Amériques kennengelernt hatte und dessen einziger europäischer Schüler er wurde. Auf Varèse geht auch die Idee zu Hopi Snake Dance zurück, wie Hilda Jolivet in ihrem Erinnerungsbuch Avec – André Jolivet notierte. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs unternahm Varèse auf der Suche nach neuen Inspirationsquellen eine Reise in den »wilden Westen« der USA und schilderte den Freunden in Paris auf farbigen Ansichtspostkarten begeistert seine Eindrücke aus dem geheimnisvollen Land der Indianer. Von einer der Fotopostkarten, die mit Schlangen 9 12534_KM_28-03-12_c.indd 9 22.03.12 15:09 tanzende Indianer zeigte, war Jolivet so fasziniert, dass er sich spontan entschloss, eine Komposition für zwei Klaviere zu skizzieren, die den Titel der Postkarte erhielt. Hopi Snake Dance, eine Art Tondichtung en miniature, zeigt in ihrer Verbindung von rhapsodisch freizügiger Rhythmik, virtuosem Klangraffinement und farbig suggestiven Bewegungsmustern durchaus charakteristische Züge für Jolivets Stil. Die 1948 ausgearbeitete Partitur schickte der Komponist nach Kalifornien, mit einer Widmung an den Freund Darius Milhaud, der am Mills College in Oakland unterrichtete und das sommerliche Musikfestival in Tanglewood leitete. Dort wurde Hopi Snake Dance am 10. August 1948 zum ersten Mal aufgeführt. Maurice Ravel: La Valse Die Entstehung von La Valse geht auf eine Anregung Sergej Diaghilews, des berühmten Impresarios der Pariser Ballets Russes, zurück. Er bat Ravel 1919 um Musik für ein neues Ballett, das er – zusammen mit Strawinskys Pulcinella – in der folgenden Saison herausbringen wollte. Im Winter 1919 – 20 entwarf Ravel zunächst zwei Versionen für Klavier solo und für zwei Klaviere und arbeitete dann bis zum Frühjahr die Orchesterpartitur aus. Im April 1920 fand im Pariser Salon der Misia Sert (der La Valse gewidmet ist) eine Voraufführung in Anwesenheit Diaghilews, Massines, Poulencs und Strawinskys statt, wobei Ravel und Marcelle Meyer die Fassung für zwei Klaviere spielten. Nach der Aufführung, so berichtet Poulenc in seinen Memoiren, habe Diaghilew geäußert, La Valse sei »ein Meisterwerk … aber kein Ballett; es ist das Portrait eines Balletts, das Gemälde eines Balletts«. Die Ablehnung kränkte den Komponisten tief; es kam zum Bruch zwischen Ravel und Diaghilew, der nie mehr gekittet werden konnte. So wurde La Valse, mit dem Untertitel »choreographische Dichtung für Orchester«, im Dezember 1920 zunächst konzertant uraufgeführt, die szenische Premiere brachte erst Ida Rubinstein mit ihrer Truppe 1929 in der Pariser Oper heraus. Bei der Komposition griff Ravel auf alte Pläne einer Verherrlichung des Wiener Walzers zurück – Skizzen zu einem Tongemälde mit dem Titel »Wien« hatte er bereits 1906 entworfen. In Briefen aus 10 12534_KM_28-03-12_c.indd 10 22.03.12 15:09 den ersten Kriegsjahren notierte er indes, ihm sei die Lust an seinem »Wien«-Projekt, das man ja nicht einfach in »Petrograd« umtaufen könne, gründlich vergangen. Das Nachkriegsstück La Valse geriet dann zu einer »Apotheose des Wiener Walzers« mit durchaus tragischen Untertönen. Ravels eigener Kommentar lässt daran keinen Zweifel: Es handle sich, so schrieb er, um einen »fantastischen, schicksalhaft unabwendbaren Wirbel«, und der Schauplatz sei »ein kaiserlicher Hof um 1855«. Musikalisch ist La Valse, ähnlich wie der acht Jahre jüngere Boléro, eine Crescendo-Studie, freilich mit mehrfach angesetzten, dynamisch gestaffelten Steigerungsprozessen. Aus dunklem, geräuschhaftem Nebelklang schälen sich in der Introduktion allmählich Walzermelodien heraus, zunächst wie flüchtige Erinnerungsbilder vorüberziehend, dann immer klarer und intensiver hervortretend. Ein Crescendo von Bewegung und Dynamik, von rhythmischer und harmonischer Komplizierung wird zunächst ganz behutsam, dann immer steiler und aggressiver angesetzt und entfaltet sich – nach einem Intermezzo der Suspension vor dem Höhepunkt – mit unerbittlicher Konsequenz zu einem rasenden, keuchenden Taumel, in dem auch die letzten Reste von nobler Ballatmosphäre und nostalgischer Walzerseligkeit untergehen. Monika Lichtenfeld 11 12534_KM_28-03-12_c.indd 11 22.03.12 15:09 Vom Eigenwert der zweiten Partitur Diskographische Anmerkungen zu Brahms’ Klavierwerken zu vier Händen Er liebte alte Formen und Tanzrhythmen. Die Ungarischen Tänze zeugen davon, oder auch die Liebeslieder und deren Nachfolger Neue Liebeslieder. Der 1866 entstandene Zyklus der Walzer op. 39 ist Brahms‘ erster kompletter Walzer-Zyklus: sechzehn kleine Schmankerl, die man in erster Linie vor zu viel Sirup, zu viel Süße bewahren muss. Brahms hat gleich drei Versionen angefertigt: für Klavier zu zwei und zu vier Händen sowie – in einer Auswahl von sechs Walzern – für zwei Klaviere. Die Solo-Version ist oft genug auf Platte dokumentiert, in erster Linie natürlich innerhalb der Zyklen von Gerhard Oppitz Ende der 80er Jahre (RCA) und von Julius Katchen in den 60er Jahren (Decca), eine Aufnahme, die bis heute nichts von ihrem Zauber, ihrer Anschlagsfinesse, ihrem leidenschaftlichen Zugriff verloren hat. Aus der Zahl einzelner Brahms-Alben seien die frühe WilhelmBackhaus-Aufnahme (Urania, Naxos oder M&A), die Einspielung mit Leon Fleisher Ende der 50er Jahre (Sony) und die Fassungen der jungen Pianisten Antti Siirala von 1994 (Ondine) und Cédric Tiberghien von 2008 (harmonia mundi) erwähnt. Vor zwei Jahren schließlich hat Ragna Schirmer diese Walzer aufgenommen (Berlin Classics) und sich dabei einen kleinen chirurgischen Eingriff erlaubt: sie hat einige Noten der vierhändigen Fassung in ihre Version für zwei Hände übernommen; so klingt dieser Brahms etwas fülliger, orchestraler, ohne seine tänzerische Leichtigkeit aufzugeben. Kurios, dass gerade einige Klavier-Duos, deren Repertoire sich scheinbar auf eine überschaubare Zahl von Kernstücken beschränkt, diese Walzer nur in Auswahl aufgenommen haben: Martha Argerich und Alexandre Rabinovitch beispielsweise haben sich auf fünf Titel beschränkt (Warner) – ein Jammer! Auch die Schwestern Güher und Süher Pekinel haben sich in ihrer Produktion von 2003 ebenfalls auf eine kleine Kollektion beschränkt (Warner). Komplette Zyklen hält die Einspielung des Duo Crommelynck 12 12534_KM_28-03-12_c.indd 12 22.03.12 15:09 bereit (Claves), dessen Brahms-Affinität auch in Aufnahmen der Sinfonien Nr. 1 und 4 glänzend eingefangen ist. Eine Sonderstellung nehmen Silke-Thora Matthies und Christian Köhn ein. Dieses Duo hat nicht nur die Walzer-Fassungen für vier Hände und für zwei Klavier eingespielt, sondern gleich alle Brahms-Werke für diese Besetzungen (Naxos). Dieses Œuvre ist keineswegs so schmal, wie es scheinen mag. Brahms hat einen Großteil seiner Werke für Klavier zu vier Händen bearbeitet, darunter die vier Sinfonien, die beiden Serenaden und Klavierkonzerte, das Triumphlied, Ein Deutsches Requiem sowie die Streichquartette, -quintette und -sextette. Bereits in jungen Jahren hat Brahms, um seine Finanzen aufzubessern, zahlreiche Klavierarrangements geschrieben: Opernmelodien, Potpourris, Märsche, Walzer etc. Nahezu vergessen sind etwa die Bearbeitungen von Werken Joseph Joachims, die Brahms zwischen 1853 und 1856 vornahm – wahrscheinlich um dem Freund und viel beschäftigten Geigen-Virtuosen den Rücken freizuhalten. Dazu zählen die Ouvertüren zu Shakespeares Hamlet und Heinrich IV. sowie die Ouvertüre zu Hermann Grimms Demetrius. Im Frühjahr 1854 beginnt Brahms mit einem Werk, das die klanglichen und gestalterischen Dimensionen einer ›normalen‹ Klaviersonate rasch übersteigen sollte. Dies erkennend, entscheidet er sich für eine Umarbeitung für zwei Klaviere. Aus dieser Sonate erwächst schließlich das erste Klavierkonzert. Die Klavier-Version liegt gleich in mehreren Versionen auf CD vor: neben der packenden Lesart durch Matthies/Köhn mit den italienischen Pianisten Stefania Redaelli und Sergio Lattes (Warner, 2000), in der ungleich dichteren Aufnahme mit Lilya Zilberstein und Cord Garben (hänssler, 2001) sowie in der geradezu brillanten Einspielung mit Yaara Tal und Andreas Groethuysen (Sony, 2009). Auch das »Deutsche Requiem« hat Brahms in mehreren Fassungen hinterlassen: neben der bekannten Orchesterversion auch in einer Klavierfassung mit Sängern (›Londoner Version‹; hier die Aufnahme mit Brigitte Engerer und Boris Berezovsky sowie accentus unter Laurence Equilbey / naïve) sowie in einer reinen Klavierversion (Matthies/Köhn). Markant, dass es ihm dabei nicht um ein Surrogat ging, sondern – vor allem im Hinblick auf die 13 12534_KM_28-03-12_c.indd 13 22.03.12 15:09 zusätzlich einzuarbeitenden Chorstimmen – um eine möglichst vollständige und die mikrokosmischen Stimm-Strukturen adäquat widerspiegelnde zweite Partitur. Brahms hatte sich (spätestens jetzt) vom Übertragungskünstler aus Geldnot zu einem Bearbeitungsspezialisten mit fast hohem Kunstanspruch entwickelt. Christoph Vratz 14 12534_KM_28-03-12_c.indd 14 22.03.12 15:09 BIOGRAPHIE GrauSchumacher Piano Duo Klug zusammengestellte Programme sind das Markenzeichen, mit dem sich Andreas Grau und Götz Schumacher als eines der international renommiertesten Klavierduos profiliert haben. Mit ihrem weit reichenden Spektrum an Ausdrucksmöglichkeiten sind sie regelmäßig bei diversen Festivals und in namhaften Konzerthäusern zu hören, so unter anderem in der Kölner Philharmonie, der Berliner Philharmonie, der Cité de la Musique Paris, bei den Schwetzinger Festspielen, den Salzburger Festspiele, in der Tonhalle Zürich und beim Klavierfestival La Roque d’Anthéron. Sie arbeiteten mit Dirigenten wie Michael Gielen, Lothar Zagrosek, Emanuel Krivine, Heinz Holliger, Kent Nagano, Bertrand de Billy, Andrej Boreyko, Georges Prêtre und Zubin Mehta zusammen. Zu den jüngeren Projekten gehören Konzerte mit dem Deutschen Symphonie-Orchester, dem Konzerthausorchester Berlin, dem Radio-Sinfonieorchester Stuttgart und dem Bayerischen Staatsorchester München, dem Radiosymphonieorchester Wien und 15 12534_KM_28-03-12_c.indd 15 22.03.12 15:09 dem Orchestre National de Lyon sowie Auftritte beim Lucerne Festival, im Wiener Konzerthaus, in der Cité de la Musique, im Gewandhaus Leipzig und im Concertgebouw Brügge. In die Saison 2011/12 starteten Andreas Grau und Götz Schumacher mit der erfolgreichen Aufführung von Peter Eötvös‘ Konzert für zwei Klaviere und Orchester beim Eröffnungskonzert der Biennale di Venezia mit dem SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg unter der Leitung des Komponisten. Weitere Konzerte führen die beiden Pianisten unter anderem in das Beethovenhaus Bonn, die Philharmonie Krakau und zu Festivals wie dem Rheingau Musik Festival, dem Feldkirch Festival oder dem Festival Musica Strasbourg. Den Hang zu ausgefeilten Programmkonzepten dokumentieren auch die CD-Einspielungen des Duos. Ihre Aufnahme von Stockhausens Mantra wurde von Le monde de la musique und Diapason ausgezeichnet. The Gramophone kürte die CD Visions de l’Amen mit Werken von Messiaen und Schütz/Kurtág zur Editor’s Choice. Innerhalb der letzten Jahre erschienen die CDs mehrere kurze walzer (Schubert, Brahms, Grieg, Hindemith, Rihm), variations and fugues (Mozart, Reger, Beethoven), Fantasia contrappuntistica (Bach, Kurtág, Busoni), Ligeti-Schubert-Ligeti, Grand Duo (Schubert, Schostakowitsch) sowie La musique creuse le ciel (Wolfgang Rihm). Produktionen mit Orchesterwerken von Luciano Berio und Strawinskys Le Sacre du printemps wurden von der Kritik euphorisch aufgenommen. In der Saison 2010/11 erschienen unter anderem die CD Schrift-Um-Schrift (Bartók, Rihm) und die mit dem Deutschen Symphonie-Orchester Berlin produzierte Aufnahme Concerti I mit Konzerten für zwei Klaviere und Orchester von Mozart und Bartók, die dem Concerto Pathétique von Franz Liszt gegenübergestellt werden. In der Kölner Philharmonie war das GrauSchumacher Piano Duo zuletzt im November 2008 zu Gast und wird in wenigen Wochen, am 5. Mai – im Rahmen des Festivals ACHT BRÜCKEN | Musik für Köln – wieder bei uns zu hören sein. 16 12534_KM_28-03-12_c.indd 16 22.03.12 15:09 Maurice Ravel Konzert für Klavier und Orchester G-Dur Gustav Mahler Sinfonie Nr. 4 G-Dur Sonntag 13. Mai 2012 20:00 Riccardo Chailly Dirigent Hélène Grimaud Klavier Gewandhausorchester Leipzig Luba Orgonášová Sopran »Die himmlischen Freuden« Erstmalig gastiert Hélène Grimaud gemeinsam mit dem Gewandhausorchester Leipzig in der Kölner Philharmonie. Dass nun Grimaud als Pianistin, die auch für ihren Eigensinn berühmt ist, das Ravel’sche Klavierkonzert spielt, passt besonders gut. So wurde die Uraufführung 1932 auch von einer eigensinnigen Pianistin übernommen: Marguerite Long. Mit dieser Darbietung brachte sie ihre frauenfeindlichen Widersacher am Pariser Konservatorium endgültig zum Verstummen. Riccardo Chailly, seit 2005 Chefdirigent des Orchesters, dirigiert in der zweiten Hälfte Gustav Mahlers 4. Sinfonie. Das Werk, dem das Publikum bei seiner Uraufführung vor 80 Jahren nur wenig Respekt zollte, wurde nicht allein wegen seines letzten Satzes später zu einem der beliebtesten Mahlers. Beachten Sie auch das Kombiangebot Kurt Masur – Riccardo Chailly mehr dazu unter: koelner-philharmonie.de/paket/62/ 12534_KM_28-03-12_c.indd 17 22.03.12 15:09 KÖLNMUSIK-VORSCHAU IHR NÄCHSTES ABONNEMENT-KONZERT März DO 10 Mai 20:00 MI 28 Murray Perahia Klavier 20:00 Filmforum Ludwig van Beethoven Sonate für Klavier Nr. 14 cis-Moll op. 27,2 (1801) »Sonata quasi una Fantasia« (»Mondscheinsonate«) Friedrich Wilhelm Murnau City Girl (USA 1930) Stummfilm mit Live-Musik von Wilfried Kaets Klavier Robert Schumann Faschingsschwank aus Wien op. 26 (1839 – 1840) für Klavier Präsentiert von Choices Karten an der Kinokasse KölnMusik gemeinsam mit Kino Gesellschaft Köln Franz Schubert Sonate für Klavier A-Dur op. 120 D 664 (1819 oder 1825) SA Frédéric Chopin Polonaise cis-Moll aus: Deux Polonaises op. 26 (1835) für Klavier 31 20:00 Martin Grubinger Schlagzeug Martin Grubinger sen. Schlagzeug Slavik Stakhov Schlagzeug Benjamin Schmid Violine Clemens Hagen Violoncello Ferhan Önder Klavier Prélude fis-Moll aus: 24 Préludes op. 28 (1836?/39) für Klavier Mazurka cis-Moll aus: Mazurken op. 63 (1846) für Klavier Maki Ishii Thirteen Drums op. 66 (1985) für Percussion Solo Scherzo h-Moll op. 20 (1835) für Klavier 19:00 Einführung in das Konzert durch Christoph Vratz Zoltán Kodály Duo für Violine und Violoncello op. 7 Piano 6 Dmitrij Schostakowitsch / Viktor Derevianko Sinfonie Nr. 15 A-Dur Op. 141 Bearbeitung für Violine, Violoncello, Klavier/Celesta und drei Schlagzeuger Gefördert durch das Kuratorium KölnMusik e.V. Philharmonie für Einsteiger 5 Portrait Martin Grubinger 3 18 12534_KM_28-03-12_c.indd 18 22.03.12 15:09 12534_KM_28-03-12_c.indd 19 22.03.12 15:09 Philharmonie-Hotline 0221.280 280 koelner-philharmonie.de Informationen & Tickets zu allen Konzerten in der Kölner Philharmonie! Kulturpartner der Kölner Philharmonie Herausgeber: KölnMusik GmbH Louwrens Langevoort Intendant der Kölner Philharmonie und Geschäftsführer der KölnMusik GmbH Postfach 102163, 50461 Köln koelner-philharmonie.de 12534_KM_28-03-12_c.indd 20 Redaktion: Sebastian Loelgen Corporate Design: hauser lacour kommunikationsgestaltung GmbH Textnachweis: Die Texte von Monika Lichtenfeld und Christoph Vratz sind Originalbeiträge für dieses Heft. Fotonachweis: Dietmar Scholz S. 15 Gesamtherstellung: adHOC Printproduktion GmbH 22.03.12 15:09 Grażyna Bacewicz Quintett für Klavier und Streichquartett Nr. 1 Leoš Janáček Streichquartett Nr. 1 Robert Schumann Quintett für Klavier und Streichquartett Es-Dur op. 44 Krystian Zimerman Hagen Quartett Foto: Joachim Ladefoged / VII Klavier koelner-philharmonie.de Roncalliplatz, 50667 Köln direkt neben dem Kölner Dom (im Gebäude des RömischGermanischen Museums) 12534_KM_28-03-12_c.indd U4 Neumarkt-Galerie 50667 Köln (in der Mayerschen Buchhandlung) Donnerstag 14.06.2012 20:00 Philharmonie-Hotline 0221-280 280 22.03.12 15:09