Jahrbuch 2004/2005 | Geiger, Jörg | Regulation der Signalübertragung an glutamatergen Synapsen in der Großhirnrinde Regulation der Signalübertragung an glutamatergen Synapsen in der Großhirnrinde Regulation of signal transmission at glutamatergic synapses in the cerebral cortex Geiger, Jörg Max-Planck-Institut für Hirnforschung, Frankfurt am Main Korrespondierender Autor E-Mail: [email protected] Zusammenfassung Die Großhirnrinde der Säuger ist aus zw ei Grundformen von Nervenzellen aufgebaut: aus erregenden Projektionsneuronen und hemmenden Interneuronen. Die erregende bzw . hemmende W irkung w ird maßgebend durch den freigesetzten Transmitter Glutamat bzw . γ-Aminobuttersäure (GABA) bestimmt. Die Transmitterfreisetzung findet an den Synapsen, den Kommunikationstellen zw ischen Nervenzellen, statt. Nur das balancierte Zusammenw irken von Erregung und Hemmung in neuronalen Netzw erken ermöglicht die Verarbeitungsleistung der Großhirnrinde. Dabei ist die Regulation der Übertragungsstärke an den Synapsen ein zentrales Element der neuronalen Signalverarbeitung. Die selbstständige Nachw uchsgruppe „Synaptische Regulation und Funktion“ untersucht Regulationsmechanismen an glutamatergen Synapsen mit zw ei Schw erpunkten: die Rolle elektrischer Signalprozesse an den präsynaptischen Endigungen für die Transmitterfreisetzung und die Langzeitplastizität der glutamatergen Erregung hemmender Interneurone. Diese Fragestellungen w erden unter Einsatz der Patch-Clamp-Technik in Hirnschnittpräparaten von Nagern bearbeitet. Summary The cerebral cortex of mammals consists of tw o main types of nerve cells: excitatory projection neurons and inhibitory interneurons. The excitatory or inhibitory action is mainly determined by the released transmitter glutamate or γ-amino-butyric acid (GABA). Transmitter release takes place at synapses, the communication sites betw een nerve cells. The balanced interplay of excitation and inhibition allow s for the computational pow er of the cerebral cortex. A central element of neuronal signal processing is the regulation of transmission strength at synapses. The independent research group “Synaptic regulation and function” studies regulatory mechanisms at glutamatergic synapses w ith tw o focal points: the role of electrical signaling at presynaptic nerve endings for transmitter release and long-term plasticity of glutamatergic excitation of inhibitory interneurons. These questions are addressed by use of the patch-clamp technique in brain slices of rodents. Regulation synaptischer Übertragung durch präsynaptische elektrische Signalprozesse © 2005 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 1/6 Jahrbuch 2004/2005 | Geiger, Jörg | Regulation der Signalübertragung an glutamatergen Synapsen in der Großhirnrinde Die zelluläre Neurow issenschaft hat große Fortschritte erzielt, einerseits beim Verständnis der Signalverarbeitungsprozesse in den dendritischen Ausläufern, die die Empfangsregionen der Nervenzellen darstellen, und andererseits im Verständnis des molekularen Apparates der Transmitterfreisetzung an Synapsen. Man geht im Allgemeinen davon aus, dass Signale an den Nervenfasern, den Axonen, in diskrete Impulse (Aktionspotenziale) übersetzt w erden. Die Aktionspotenziale vermitteln die Kommunikation zw ischen dem Zellkörper und den Synapsen entlang der Axone. Über eine zusätzliche Rolle unterschw elliger Membranpotenzialschw ankungen zur Regulation synaptischer Übertragung, beispielsw eise hervorgerufen durch axonale oder präsynaptische Rezeptoren, ist bisher w enig bekannt. Untersuchungen des präsynaptischen Membranpotenzials setzten einen unmittelbaren elektrischen Zugang voraus. In der Großhirnrinde kommt bisher für solche Studien nur ein Modellsystem in Frage, nämlich die Moosfaser-CA3Pyramidenzellsynapse im Hippokampus, da hier die synaptischen Endigungen mit 3-5 µm Durchmesser relativ groß sind. Durch die Optimierung und W eiterentw icklung der Patch-Clamp-Technik in akuten Gehirnschnitten ist es möglich, direkte Ableitungen von den präsynaptischen Elementen der Moosfaser-CA3-Pyramidenzellsynapse vorzunehmen [1] [2]. Durch diesen methodischen Ansatz konnte Henrik Alle in der Nachw uchsgruppe zeigen, dass die elektrische Kommunikation zw ischen dem Zellkörper und der Synapse nicht auf Aktionspotenziale beschränkt ist. Vielmehr w erden unterschw ellige Membranpotenzialschw ankungen am Zellkörper in einer langsam abklingenden Weise fortgeleitet, sodass sie noch in präsynaptischen Endigungen, 1 mm vom Zellkörper entfernt, nachw eisbar sind. Diese durch Fortleitung hervorgerufenen, präsynaptischen Membranpotenzialänderungen lösen für sich alleine keine Transmitterfreisetzung aus, aber sie modifizieren die durch ein Aktionspotenzial freigesetzte Transmittermenge. Es kommt zu einer Verstärkung der synaptischen Übertragung. Dies bedeutet, dass an der Moosfaser-CA3 Pyramidenzellsynapse ein neues Kodierungsprinzip gilt (Abb. 1). Die Vorgeschichte der unterschw elligen Änderungen des Membranpotenzials beeinflusst nun den Informationsgehalt der überschw elligen Impulse. Die Ausgangsinformation einer Nervenzelle ist nun nicht mehr ausschließlich durch Aktionspotenziale kodiert [3]. Der Befund einer w eit reichenden, passiven axonalen Signalpropagation w irft die Frage auf, ob diese Signale im Axon oder im präsynaptischen Element w eiter verarbeitet w erden. Henrik Alle konnte direkt zeigen, dass GABAA-Rezeptoren in präsynaptischen Endigungen vorkommen und geeignet sind, durch Kurzschlussströme die propagierten Signale zu reduzieren. Diese präsynaptischen Rezeptoren können durch spezifische Interneurone aktiviert w erden [4]. Somit findet elektrische Signalverarbeitung auf dem gesamten Weg von der Eingangssynapse einer Nervenzelle bis zur Ausgangssynapse statt. Die Anw endbarkeit dieses neuen Kodierungsprinzips auf andere Synapsentypen in der Großhirnrinde muss noch untersucht w erden. Sollte dieses Prinzip verbreitet sein, w ürde den in der Literatur beschriebenen Membranpotenzialoszillationen am Zellkörper von Projektionsneuronen eine völlig neue Funktion für die synaptische Regulation und damit für die Verarbeitungsleistung des Gehirns zugeordnet w erden können [5]. Daraus ergeben sich direkte Konsequenzen für theoretische Konzepte der neuronalen Informationsverarbeitung. © 2005 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 2/6 Jahrbuch 2004/2005 | Geiger, Jörg | Regulation der Signalübertragung an glutamatergen Synapsen in der Großhirnrinde Ana loge a x ona le Signa lve rm ittlung. A, Kla ssische s Konze pt de r Signa lübe rtra gung zwische n Ze llk örpe r und Syna pse . Ak tionspote nzia le , a usge löst na ch de m Alle s-ode r-NichtsP rinzip, ve rm itte ln die Inform a tion. Es k om m t zur prä syna ptische n Tra nsm itte rfre ise tzung und de r Auslösung e le k trische r Signa le in de r na chge scha lte te n Ze lle . B, Ana loge Signa lve rm ittlung. Zusä tzlich zu de n Ak tionspote nzia le n we rde n unte rschwe llige Signa le a m Ze llk örpe r in a bk linge nde r W e ise zur Syna pse propa gie rt. Die s führt je doch nicht zur Tra nsm itte rfre ise tzung. C , Modula tion de r Tra nsm itte rfre ise tzung durch a na loge a x ona le Signa le . Ge he n unte rschwe llige Signa le de n Ak tionspote nzia le n vora us, k om m t e s zu e ine r Ve rstä rk ung de r Tra nsm itte rfre ise tzung und da durch zu e ine r Ve rgröße rung de r e le k trische n Signa le in de r na chge scha lte te n Ze lle . © Ma x -P la nck -Institut für Hirnforschung/Ge ige r, Alle Langzeitplastizität der Erregung GABAerger Interneurone Den zw eiten Übertragung Schw erpunkt auf GABAerge der Nachw uchsgruppe Interneurone im bildet das Hippokampus Studium der erregenden und Neokortex. GABAerge synaptischen Interneurone kontrollieren durch die hemmende W irkung des Neurotransmitters GABA die Aktivität des Gesamtnetzw erkes. Über die Physiologie erregender synaptischer Transmission auf GABAerge Interneurone ist noch sehr w enig bekannt. Eine Schw ierigkeit liegt in der erheblichen Diversität von Subtypen GABAerger Interneurone begründet. Deshalb konzentrieren w ir uns auf einen Haupttypen, die Korbzelle. Dieser Zelltyp kontrolliert die Ausgangsaktivität der Projektionsneurone durch hemmende, perisomatische Synapsen. Neurologische Erkrankungen w ie Epilepsie, Dystonien und auch Schizophrenie w erden mit Veränderungen bzw . Störungen in diesem spezifischen inhibitorischen Schaltkreis in Verbindung gebracht. Bisher w urde in der Literatur davon ausgegangen, dass glutamaterge Synapsen auf Korbzellen keine Langzeitpotenzierung aufw eisen können und vielmehr eine statische Netzw erkkomponente darstellen. Dies liegt daran, dass molekulare Mechanismen, die für die Langzeitplastizität an Projektionsneuronsynapsen notw endig sind, in diesen Interneuronen nicht ausgeprägt w erden [6]. In der Vergangenheit konnten w ir jedoch zeigen, dass langanhaltende Veränderungen der Transmissionsstärke an erregenden Synapsen auf Korbzellen im Gyrus dentatus vorkommen [7]. Frank Tennigkeit in der Nachw uchsgruppe ist es nun gelungen, Langzeitpotenzierung an erregenden Synapsen auf © 2005 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 3/6 Jahrbuch 2004/2005 | Geiger, Jörg | Regulation der Signalübertragung an glutamatergen Synapsen in der Großhirnrinde Korbzellen im Neokortex von adulten Nagern nachzuw eisen und damit zu zeigen, dass es sich hierbei um eine generelle Eigenschaft der glutamatergen Erregung von Korbzellen in der Großhirnrinde handelt. Diese neue Form der kortikalen Plastizität kann mindestens zw eieinhalb Stunden anhalten. In Zusammenarbeit mit Takaichi Fukuda von der Universität Kyushu in Japan konnte ein großer Teil der Zellen anhand morphologischer und immunhistochemischer Analysen zw eifelsfrei als Korbzellen identifiziert w erden (Abb. 2). Es gibt Hinw eise darauf, dass diese Form von Plastizität im adulten Tier sogar stärker ausgeprägt ist als am jungen Tier [8]. Insgesamt erlauben diese Befunde nun, das vorherrschende Paradigma der fehlenden Interneuronplastizität zu überw inden und den Weg für die Aufklärung der Interneuron-spezifischen molekularen Mechanismen dieser Form der neuronalen Plastizität frei zu machen. Diese Mechanismen sind mögliche Ansatzpunkte für Neuropharmaka, die selektiv bestimmte Interneuron-Schaltkreise beeinflussen und in der Therapie neurologischer Erkrankungen eingesetzt w erden könnten. © 2005 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 4/6 Jahrbuch 2004/2005 | Geiger, Jörg | Regulation der Signalübertragung an glutamatergen Synapsen in der Großhirnrinde La ngze itpote nzie rung de r gluta m a te rge n Erre gung von Korbze lle n im Ne ok orte x . A, Epifluore sze nzda rste llung e ine r Korbze lle a us Schicht II/III de s Motork orte x e ine r 6 W oche n a lte n Ma us. B, La ngze itpote nzie rung (LTP ) e rre ge nde r postsyna ptische r Ström e (EP SC s) in e ine r Korbze lle a us Schicht II/III de s Motork orte x e ine r 9 W oche n a lte n Ma us. Die EP SC s wurde n durch e x tra ze llulä re R e izung gluta m a te rge r Fa se rn im Ne ok orte x a usge löst. Die LTP -Induk tion be sta nd a us e ine m hochfre que nte n Stim ula tionsprotok oll (300 Stim uli, 30 Hz), be i de m sim ulta n zur Fa se rre izung in de r Korbze lle Ak tionspote nzia le a usge löst wurde n. © Ma x -P la nck -Institut für Hirnforschung/Ge ige r, Te nnigk e it Originalveröffentlichungen Nach Erw eiterungen suchenBilderw eiterungChanneltickerDateilisteHTML- Erw eiterungJobtickerKalendererw eiterungLinkerw eiterungMPG.PuRe-ReferenzMitarbeiter Editor)Personenerw eiterungPublikationserw eiterungTeaser (Employee mit BildTextblockerw eiterungVeranstaltungstickererw eiterungVideoerw eiterungVideolistenerw eiterungYouTubeErw eiterung © 2005 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 5/6 Jahrbuch 2004/2005 | Geiger, Jörg | Regulation der Signalübertragung an glutamatergen Synapsen in der Großhirnrinde [1] Geiger, J.R.P. and Jonas, P. Dynamic control of Ca2+ inflow by inactivating K+ channels in hippocampal mossy fiber boutons. Neuron 28, 927-939 (2000) [2] Geiger, J.R.P., Bischofberger, J., Vida, I., Fröbe, U., Pfitzinger, S., Weber, H. J., Haverkampf, K. and Jonas, P. Patch-clamp recording in brain slices with improved slicer technology. Pflügers Arch. - Eur. J. Physiol. 443, 491- 501 (2002) [3] Geiger, J.R.P. and Alle H. Propagated presynaptic potentials modulate transmitter release at a cortical synapse. Pflügers Arch. - Eur. J. Physiol. 449, S. 88 (2005) [4] Alle H. and Geiger, J.R.P. GABAA receptors at hippocampal mossy fiber boutons. Pflügers Arch. - Eur. J. Physiol. 449, S. 21 (2005) [5] Petersen C.C., Hahn T.T., Mehta M., Grinvald A. and Sakmann B. Interaction of sensory responses with spontaneous depolarization in layer 2/3 barrel cortex. Proc Natl Acad Sci U S A. 100, 13638-13643 (2003) [6] McBain C.J., Freund T.F. and Mody I. Glutamatergic synapses onto hippocampal interneurons: precision timing without lasting plasticity. Trends Neurosci. 22, 228-235 (1999) [7] Alle, H., Jonas, P. and Geiger, J.R.P. PTP and LTP at a hippocampal mossy fiber - interneuron synapse. Proc. Natl. Acad. Sci. USA 98, 14708-14713 (2001) [8] Tennigkeit F., Fukuda T. and Geiger, J.R.P. Long-term potentiation in neocortical basket cells. Pflügers Arch. - Eur. J. Physiol. 449, 22 (2005) © 2005 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 6/6