Tid i sprog, 3. forskningskollokvium Statsbiblioteket i Århus, 29.11.2002 Tempus als drei unabhängige Merkmale Sten Vikner Institut für Englisch, Universität Aarhus, DK-8000 Århus C, Dänemark [email protected] • www.hum.au.dk/engelsk/engsv 1. Einführung, 1 2. Sechs Tempora, 2 3. Neun Tempora, 2 4. Acht Tempora, 3 5. Drei Zeitpunkte auf einer Zeitlinie, 5 6. Drei Zeitpunkte und zwei Relationen, 7 7. Vier Zeitpunkte und drei Relationen, 9 8. Zusammenfassung, 10 Bibliographie, 11 Abstract Erstens werde ich dafür argumentieren, dass acht Zeitformen für die Analyse des Tempus in der Sprache relevant sind, besonders was die temporalen Relationen betrifft, die durch die Zeitformen ausgedrückt werden. Zweitens werde ich mit Ausgangspunkt in Reichenbach (1947) versuchen zu zeigen, dass es sich lohnt, für jede Zeitform nicht nur eine Sprechzeit und eine Ereigniszeit, sondern auch zwei verschiedene Betrachtzeiten anzunehmen, weil die Analyse dann eine vollständige Kopplung zwischen morphologischen und semantischen Eigenschaften jeder Zeitform herstellen kann. 1. Einführung Thieroff (1992:80): Seit Reichenbach [1947] besteht in der Tempusliteratur ein breiter Konsens dahingehend, daß zur adäquaten Beschreibung der Tempora mehr als zwei Zeitpunkte erforderlich sind; die Mehrzahl der seither zum Thema Tempus erschienenen Arbeiten basieren auf Reichenbachs Tempustheorie. Klein (1994:25): Reichenbach’s account turned out to be extremely fruitful, and it is not exaggerating to say that most modern treatments of tense adopt - in one way or another - the notion of a ‘reference point’. Steedman (1997:905): There is one early modern piece of insightful descriptive work which most theories build upon, and which those who ignore seem doomed to reconstruct. This work is contained in two short [...] sections in Reichenbach (1947). Stechow (1995:2): All this is nice and suggestive, but it is no semantics. 1 2. Sechs Tempora (1) Deutsch gab Präteritum Plusquamperfekt gegeben hatte gibt Präsens gegeben hat Perfekt geben wird Futur I gegeben haben wird Futur II Past Past perfect Present Present perfect Future Future perfect Englisch gave had given gives has given will give will have given “Klassische” Analyse des deutschen Tempussystems (z.B. Bäuerle & Stechow 1980:375, Ballweg 1997: 1688, Eisenberg 1999:110, Flämig 1981:510, Gelhaus 1998:155 u.v.a., inkl. Hornstein 1990:15 für das Englische) Zu (1): Im System haben nicht nur die Zeitformen gibt und gegeben hat ihre Plätze, sondern auch deren präteritale Varianten (d.h. gab und gegeben hatte). Die entsprechenden präteritalen Varianten von geben wird und gegeben haben wird (d.h. geben würde und gegeben haben würde) sind aber nicht Teile des Systems. 3. Neun Tempora (2) Deutsch Englisch (Bauer 1830:53, nach Thieroff 1992:48 zitiert) (Reichenbach 1947:297) Präteritum der Vergangenheit Präsens der Vergangenheit Futurum der Vergangenheit Präteritum der Gegenwart Präsens der Gegenwart Futurum der Gegenwart Präteritum der Zukunft Präsens der Zukunft Futurum der Zukunft gegeben hatte Anterior past had given gab geben wollte hat gegeben gibt geben wird/will gegeben haben wird geben wird geben werden will Simple past Posterior past Anterior present Simple present Posterior present Anterior future Simple future Posterior future gave would give has given gives will give will have given will give will be going to give (Madvig 1895:128 schlägt ähnliches für Latein vor) Zu Reichenbachs (2): Die Formen des posterior present sind mit den Formen des simple future identisch. Die Formen des posterior future (will be going to give) verwenden ganz andere morphologische Mittel als die anderen Formen des Systems. Im System hat nicht nur will give seinen Platz, sondern auch seine präteritale Variante (d.h. would give). Die entsprechende präteritale Variante von will have given (d.h. would have given) ist aber nicht Teil des Systems. 2 4. Acht Tempora (3) Präsens Präteritum Perfekt Plusquamperfekt Futur Futur Präteritum Futur Perfekt Futur Plusquamperfekt Deutsch gibt gab gegeben hat gegeben hatte geben wird geben würde gegeben haben wird gegeben haben würde Englisch gives gave has given had given will give would give will have given would have given Dänisch giver gav har givet havde givet vil give ville give vil have givet ville have givet Diese Analyse wird z.B. in Mikkelsen (1911:431-443), Jørgensen (1964), Weinrich (1964), Erben (1972), Vikner (1985), Thieroff (1992:59), Kamp & Reyle (1993:601) u.v.a. vertreten. In Gegensatz zu (2) und zum Teil auch zu (1) hat (3) ein sehr systematisches morphologisches Fundament: (4) a. b. (5) a. b. (6) a. b. Es gibt vier präteritale Zeitformen (Präteritum, Plusquamperfekt, Futur Präteritum, Futur Plusquamperfekt). Hier ist das finite Verb eine Präteritumsform. Es gibt vier nicht-präteritale (d.h. präsentische) Zeitformen (Präsens, Perfekt, Futur, Futur Perfekt). Hier ist das finite Verb keine Präteritumsform (sondern eine Präsensform). Es gibt vier Futur-Zeitformen. Hier ist das finite Verb will/werden/ville, und das Verb unmittelbar darunter ist ein Infinitiv. Es gibt vier nicht-Futur-Zeitformen. Hier ist das finite Verb nicht will/werden/ ville. Es gibt vier Perfekt-Zeitformen. Hier ist das unterste Verb ein Perfektpartizip, und das Verb unmittelbar darüber ist have/haben~sein/ have~være. Es gibt vier nicht-Perfekt-Zeitformen. Hier ist das unterste Verb kein Perfektpartizip. Die Analyse in (4)-(6) entspricht eigentlich einer Einführung von drei binären Merkmalen. Um ständige Verwechslung zwischen Zeitformen und Merkmalen zu vermeiden, nenne ich die Merkmale [±PRÄT], [±POST] und [±PERF]: (7) Präsens Präteritum Perfekt Plusquamperfekt Futur Futur Präteritum Futur Perfekt Futur Plusquamperfekt PRÄT POST PERF gibt gab gegeben hat gegeben hatte geben wird geben würde gegeben haben wird gegeben haben würde gives gave has given had given will give would give will have given would have given (4) – + – + – + – + (5) – – – – + + + + (6) – – + + – – + + 3 Morphologische Regelmäßigkeiten, die (4)-(6) ähnlich sind, gibt es auch außerhalb der germanischen Sprachen (Albanisch nach Hetzer 1978, Türkisch nach Kornfilt 1997): (8) Präsens Präteritum Perfekt Plusquamperfekt Futur Futur Präteritum Futur Perfekt Futur Plusquamperfekt Französisch donne donnait a donné avait donné donnera donnerait aura donné aurait donné Rumänisch d d dea a dat d duse va da ar da va fi dat ar fi dat Albanisch jep jepte ka dhënë kishte dhënë do të japë do të jepte do të ketë dhënë do të kishte dhënë Türkisch verir verir-ti verir-mi verir-mi -ti verir-ecek verir-ecek-ti verir-mi ol-acak verir-mi ol-acak-tI (Der türkische Unterschied zwischen verir-ti und verir-mi wird meistens eher als ein Unterschied zwischen ‘definite past’ und ‘reported past’ gesehen, als ein zwischen Präteritum und Perfekt. Alle anderen Formen mit -mi werden aber immer als Perfekt-Zeitformen gesehen.) Es gibt auch Sprachen, die einen von den drei möglichen Unterschieden in (4)-(6) nicht ausdrücken. Laut Bull (1960:30) unterscheidet z.B. Yoruba nicht zwischen [±PRÄT]: (9) Präsens Präteritum Perfekt Plusquamperfekt Futur Futur Präteritum Futur Perfekt Futur Plusquamperfekt Yoruba n-korin ti korin yio korin iba-ti korin Deutsch singt sang gesungen hat gesungen hatte singen wird singen würde gesungen haben wird gesungen haben würde Laut Karlsson (2000) und Weber (1948) unterscheiden sowohl Finnisch als auch Zürichdeutsch nicht zwischen [±POST]: (10) Präsens Futur Präteritum Futur Präteritum Perfekt Futur Perfekt Plusquamperfekt Futur Plusquamperfekt Finnisch antaa antoi on antanut oli antanut Zürichdeutsch Deutsch git gibt geben wird ggëë hät gab geben würde ggëë hät gegeben hat gegeben haben wird ggëë ghaa hät gegeben hatte gegeben haben würde 4 Dies macht Zürichdeutsch besonders kompliziert, indem es noch dazu [+PRÄT] und [+PERF] mit demselben morphologischen Mittel ausdrückt, und zwar mit einem Perfektpartizip und haa oder sy (der sog. Präteritumsschwund). Die Form des Plusquamperfekts, das gleichzeitig sowohl [+PRÄT] als auch [+PERF] realisiert, ist deswegen "gegeben gehabt hat", die oft als “Doppeltperfekt” bezeichnet wird. Dasselbe findet man im Jiddischen (nach Weissberg 1988 und Lockwood 1995), das aber alle drei Unterschiede ausdrückt: (11) Präsens Präteritum Perfekt Plusquamperfekt Futur Futur Präteritum Futur Perfekt Futur Plusquamperfekt Jiddisch git hot gegebn hot gegebn hot gehat gegebn vet gebn volt gegebn vet hobn gegebn volt gehat gegebn Deutsch gibt gab gegeben hat gegeben hatte geben wird geben würde gegeben haben wird gegeben haben würde Maximal einfach ist laut Bull (1960:30) das Hawaiianische, das nur einen Unterschied ausdrückt, [±PERF]: (12) Hawaiianisch himeni ana Präsens Futur Präteritum Futur Präteritum ua himeni Perfekt Futur Perfekt Plusquamperfekt Futur Plusquamperfekt Deutsch singt singen wird sang singen würde gesungen hat gesungen haben wird gesungen hatte gesungen haben würde Auch wenn dieser Überblick der verschiedenen Tempussysteme sehr kurz bleiben muss, zeigt er eine gewisse Variation. Am wichtigsten ist hier, dass die z.T. sehr unterschiedlichen Systeme sich relativ leicht entweder in dem Acht-Tempora-System, (7), (8), (11), oder als Vereinfachung davon, (9), (10), (12), erfassen lassen. 5. Drei Zeitpunkte auf einer Zeitlinie Wie die Zitate in Abschnitt 1 belegen, ist besonders eine Idee von Reichenbach (1947) sehr einflußreich gewesen, nämlich dass die Bedeutungsunterschiede zwischen den Zeitformen nicht mittels zwei, sondern mittels drei Typen von Zeitpunkten beschrieben werden können: (13) a. b. c. Sprechzeit (S): Betrachtzeit (B): Ereigniszeit (E): der Zeitpunkt, zudem die Äußerung gemacht wird der Zeitpunkt, von dem aus das Ereignis betrachtet wird der Zeitpunkt, zudem das Ereignis stattfindet 5 Dass eine Betrachtzeit (Reichenbachs point of reference) hier eine Rolle spielt, wird auch von Paul (1886:228) vorgeschlagen: “Die Kategorie des Tempus beruht [...] auf dem zeitlichen Verhältnis, in dem ein Vorgang zu einem bestimmten Zeitpunkt (meine Hervorhebung) steht. Als solcher kann zunächst der Augenblick genommen werden, in dem sich der Sprechende befindet [...]. Statt der Gegenwart kann nun aber ein in der Vergangenheit oder in der Zukunft gelegener Punkt genommen werden [...]”. Die Betrachtzeit ist also “als temporale Lokalisierung der Bezugssituation zu deuten, von der aus die Denotatsituation gesehen wird” (Ehrich & Vater 1989:124, Ehrich 1992:85), und sie kann durch sogenannte rahmenbildende Adverbiale (Fabricius-Hansen 1986:172) näher spezifiziert werden, z.B. heute, vor zwei Stunden, danach, im Juli 2002. Zuerst möchte ich Reichenbach darin folgen, dass es drei Möglichkeiten gibt, wie sich zwei von diesen Zeitpunkten zueinander verhalten können: X kann vor Y kommen, X und Y können sich überschneiden und X kann nach Y kommen. Die Bedeutungen von Präsens, Präteritum, Perfekt und Plusquamperfekt können somit wie in (15) illustriert werden, basiert auf einer Zeitlinie wie (14): (14) S = Sprechzeit Vergangenheit (15) a. Gegenwart Präsens: Er frühstückt gerade Zukunft B, S E b. Präteritum: Er frühstückte um sieben Uhr B S E c. Perfekt: Er hat schon gefrühstückt S E d. Plusquamperfekt: Er hatte schon gefrühstückt B B S E Dass der Unterschied zwischen Präteritum und Perfekt in der Position der Betrachtzeit liegt, findet man bei Reichenbach (1947:289) und laut Klein (1992:527) auch bei Paul (1886), und sie ist häufig wieder aufgenommen worden, z.B. bei Hamann (1987), Ehrich & Vater (1989:121), Ehrich (1992:87ff) und Eisenberg (1999:111). Gemeinsam für (15b) und (15c) ist, dass E (das Frühstücken) vor S (Sprechzeit) liegt. In (15b) wird E (das Frühstücken) von einer vor S (Sprechzeit) liegenden B (Betrachtzeit) aus gesehen (spezifiziert durch um sieben Uhr), die sich mit E überschneidet. In (15c) dagegen wird E von einer sich mit S überschneidender B aus gesehen, die nach E liegt. 6 Bei Plusquamperfekt, (15d), sind alle drei Zeiten getrennt: E wird von einer B aus gesehen, die zwischen E und S liegt. Auch Futur läßt sich auf diese Weise analysieren: E liegt nach sowohl S als auch B. (16) Futur: Er wird frühstücken S B E Futur Perfekt ist aber problematisch, indem diese Zeitform drei verschiedene Analysen hat (Reichenbach 1947:297), je nachdem ob E vor S liegt, sich mit S überschneidet oder nach S liegt: (17) a. Futur Perfekt: Er wird gefrühstückt haben S B E b. S oder B E c. S oder B E (18) a. Danach, so hofft der gelernte Chirurg, wird sich manches geglättet haben (Mannheimer Morgen, 03.07.1989, IDS-Korpus, Mannheim) b. In a few days you will have recovered from your fatigues (A. Conan Doyle, 1887: A Study in Scarlet) c. 40% af alle de piger, som i dag er 14 år, vil have født mindst én gang, før de fylder 20 år (Korpus DK 87-90 von Henning Bergenholtz) 6. Drei Zeitpunkte und zwei Relationen U. a. Comrie (1981:26, 1985:70) und Vikner (1985:89) schlagen unabhängig voneinander folgendes vor (später wiederholt u.a. in Hornstein 1990:110, Klein 1994:129, Thieroff 1992:207 und Giorgi & Pianesi 1997:28), wodurch vermieden wird, dass Futur Perfekt drei verschiedene Analysen hat: Was (17a,b,c) gemein haben ist, dass E vor B liegt (E — B) und dass B nach S liegt (S — B). Wie sich S und E direkt zueinander verhalten, wird von der Zeitform ganz einfach nicht festgelegt: (19) Futur Perfekt: Er wird gefrühstückt haben S—B E—B Bei Futur Perfekt sind S und E also nicht direkt miteinander verbunden, und die Frage ist, ob dies tatsächlich der Fall bei den anderen fünf oben besprochenen Zeitformen ist. 7 Ich möchte deswegen vorschlagen, dass die Verbindung zwischen S und E immer nur durch die Relationen zu B zu Stande kommt, entweder weil E und S auf verschiedenen Seiten von B sind (Plusquamperfekt) oder weil B sich mit einem der Punkte überschneidet (Präsens, Präteritum, Perfekt, Futur): (20) Präteritum Präsens Futur Plusquamperfekt Perfekt Futur Perfekt Wenn es aber alle drei logisch möglichen Relationen zwischen B und S gibt (S — B / S,B / B — S), warum sind dann zwischen B und E nur E — B und E,B möglich und nicht B — E? (21) S & B: B & E: Wenn B — E aber möglich wäre, wären wieder neun Zeitformen möglich, wie in den Systemen in (2). Dazu kommt, dass anscheinend B — E möglich sein muss, um Futur Präteritum zu analysiseren: (22) Futur Präteritum: Er würde später frühstücken B—S B—E (23) a. Ihr Brief, den sie so eilig abschicken wollte, würde niemals ankommen (Frankfurter Rundschau , 24.07.1999, S. 10, IDS-Korpus, Mannheim) b. I had a presentiment that you would come this evening (A. Conan Doyle, 1893: The Yellow Face) c. Dengang vidste man ikke, at underskuddene i 1985 og 1986 ville blive 29 og 35 mia. kr. (Korpus DK 87-90 von Henning Bergenholtz) Jetzt gibt es also folgendes Dilemma: • Wenn B — E möglich ist, gibt es neun mögliche Zeitformen, und dies ist eine zuviel, nämlich S — B — E, d.h. posterior future / Futurum der Zukunft. • Wenn B — E nicht möglich ist, gibt es keine adäquate Analyse von Futur Präteritum. Dazu kommt noch , dass Futur Plusquamperfekt sowieso noch keine Analyse erhalten hat. 8 7. Vier Zeitpunkte und drei Relationen Die folgende Analyse von Futur Plusquamperfekt mit zwei Betrachtzeiten wird unabhängig voneinander von Comrie (1981:27, 1985:76) und von Vikner (1985:92) vorgeschlagen, und später von u.A. Thieroff (1992:208) und Cinque (1999:85) wiederaufgenommen. B1 — S B1 — B2 E — B2 (24) Futur Plusquamperfekt: Er würde später gefrühstückt haben (25) a. Vor fünf Jahren konnten wir nicht voraussehen, daß die Welt 1993 sich so nachhaltig gewandelt haben würde (Computer Zeitung, 23.12.1993, S. 19, IDS-Korpus, Mannheim) b. Five years ago we could not foresee that the world would have changed so completely in 1993 (Übersetzung von (25a)) c. For fem år siden kunne vi ikke forudse at verden i 1993 ville have ændret sig så fuldstændigt (Übersetzung von (25a)) Erstens geht B1 (vor fünf Jahren) sowohl S als auch B2 (1993) voraus. Zweitens geht E (das Wandeln) B2 (1993) voraus. Dies heißt, dass E (das Wandeln) weder im Verhältnis zu S noch im Verhältnis zu B1 (vor fünf Jahren) eingeordnet werden kann. Mit anderen Worten, das Wandeln wird vor 1993 stattfinden/stattgefunden haben, aber ob es zur Sprechzeit stattgefunden hat oder nicht, ist nicht bekannt, und es ist auch nicht bekannt, ob das Wandeln vor der Zeit vor fünf Jahren schon stattgefunden hat oder nicht. Dazu kommt, dass B2 (1993) nicht im Verhältnis zu S eingeordnet werden kann. Mit anderen Worten, dieser Satz kann vor oder nach 1993 geäußert worden sein. Obwohl Comrie (1981:27, 1985:76) und ich (Vikner 1985:92) beide diese Analyse vorschlagen, ziehen wir unterschiedliche Schlüsse daraus. Comrie (1981:30) meint, dass die Betrachtzeiten nur da Verwendung finden sollen, wo man ohne sie nicht auskommt, d.h. zwei B gibt es nur bei Futur Plusquamperfekt; bei Präteritum, Präsens und Futur gibt es überhaupt keine B. Im Gegensatz hierzu meine ich (Vikner 1985:93), wie später auch Cinque (1999:133), dass alle acht Zeitformen mit zwei Betrachtzeiten analysiert werden sollen: 9 (26) Präteritum Präsens Futur Präteritum Futur Plusquamperfekt Futur Plusquampf. Futur Perfekt Perfekt Hiermit wird nämlich ein einheitliches System erreicht, wo Futur Plusquamperfekt zwar sämtliche Zeitverschiebungsmöglichkeiten ausnutzt, aber nicht wirklich exzeptionell ist. Dies ist auch ein System, wo es immer nur zwei Möglichkeiten gibt: B1 kann entweder S vorausgehen oder die zwei können sich überschneiden. S kann aber nicht B1 vorausgehen. Mit anderen Worten, wir hätten ein System mit drei Relationen (zwischen S und B1, zwischen B1 und B2 und zwischen B2 und E), die alle binär sind: (27) [–PRÄT]: [+PRÄT]: [–POST]: [+POST]: [–PERF]: [+PERF]: 10 8. Zusammenfassung Jetzt kann ein enger Zusammenhang zwischen (27)+(28) und den drei binären, morphologisch fundierten Merkmalen in (7), vgl. (29), festgestellt werden (Vikner 1985:94): (28) a. b. Bei [+PRÄT] geht die Betrachtzeit 1 der Sprechzeit voraus Bei [–PRÄT] überschneiden sich die Betrachtzeit 1 und die Sprechzeit c. d. Bei [+POST] geht die Betrachtzeit 1 der Betrachtzeit 2 voraus Bei [–POST] überschneiden sich die Betrachtzeit 1 und die Betrachtzeit 2 e. f. Bei [+PERF] geht die Ereigniszeit der Betrachtzeit 2 voraus Bei [–PERF] überschneiden sich die Ereigniszeit und die Betrachtzeit (29) a. b. c. d. e. f. Bei [+PRÄT] ist das finite Verb eine Präteritumsform Bei [–PRÄT] ist das finite Verb keine Präteritumsform (sondern eine Präsensform) Bei [+POST] ist das finite Verb will/werden/ville, und das Verb unmittelbar darunter ist ein Infinitiv Bei [–POST] ist das finite Verb nicht will/werden/ville Bei [+PERF] ist das unterste Verb ein Perfektpartizip, und das Verb unmittelbar darüber ist have/haben~sein/have~være. Bei [–PERF] ist das unterste Verb kein Perfektpartizip Hiermit ist eine gewisse Einheit zwischen Form (29) und Inhalt (28) der verschiedenen Zeitformen hergestellt. (Ein weiterer Vorteil wäre, dass Präsens als das am wenigstens markierte Tempus dasteht, mit dreimal –, d.h. alle drei Zeitpunkten überschneiden sich, und Futur Plusquamperfekt als das markierteste, mit dreimal +, d.h. keine von den Zeitpunkten überschneiden sich.) Weitere Perspektiven in Richtung Syntax: Cinque (1999:83, (14)) schlägt vor, dass drei funktionale Köpfe in der Satzstruktur die drei oben vorgeschlagenen temporalen Merkmale realisieren: (30) [CP ... C ... [TP ... T(PRÄT) ... [TP ... T(POST) ... [TP ... T(PERF) ... [VP ... V ... ]]]]] Andere Analysen lassen einen funktionalen Kopf sowohl [±PRÄT] als auch [±POST] ausdrücken, z.B. Stowell (1995), Giorgi & Pianesi (1997) und Demirdache & UribeEtxebarria (2000), vgl. dazu die Kritik in Cinque (1999:200, n4). 11 Bibliographie Ballweg, Joachim: 1997, "Tempus", in Gisela Zifonun, Ludger Hoffmann, & Bruno Strecker (Hg.), Grammatik der deutschen Sprache, de Gruyter, Berlin, pp. 1684-1721. Bauer, Heinrich: 1830, Vollständige Grammatik der neuhochdeutschen Sprache, Berlin. Bäuerle, Rainer & Arnim von Stechow: 1980, "Finite and Non-finite Temporal Constructions in German", in Christian Rohrer (Hg.), Time, Tense and Quantifiers, Niemeyer, Tübingen, pp. 375-421. Bull, William E.: 1960, Time, Tense and the Verb, University of California Press, Berkeley. Cinque, Guglielmo: 1999, Adverbs and Functional Heads, A Cross-Linguistic perspective, Oxford University Press, New York. Comrie, Bernard: 1981, "On Reichenbach's Approach to Tense", CLS 17, 24-30. Comrie, Bernard: 1985, Tense, Cambridge University Press, Cambridge. 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