Kapitel 29 Bellsche Ungleichung Hannes Badertscher In diesem Kapitel betrachten wir ein Gedankenexperiment von Albert Einstein genauer. Wie Randall Munroe von xkcd in Abbildung 29.1 illustriert, hat sich die Intuition von Einstein als sehr zuverlässig herausgestellt. Theorien wie die allgemeine Relativitätstheorie zeugen von der Genialität Einsteins. Natürlich ist das etwas überspitzt formuliert und auch Einstein war nicht unfehlbar. In diesem Kapitel gehen wir auf ein Paper von Albert Einstein ein und versuchen seine Intuition bezüglich der Quantenmechanik kritisch zu beleuchten. Im Mai 1935 verö↵entlichten Albert Einstein, Boris Podolsky und Nathan Rosen ein Gedankenexperiment mit welchem sie erklärten, wieso die Quantenmechanik nicht vollständig sein kann. Als Alternative sollten zusätzliche, verborgene Variablen eingefügt werden, welche das zugrunde liegende Verhalten logisch erklären können. Während Niels Bohr die bisherige (Kopenhagen-) Interpretation der Quantenmechanik verteidigte, befassten sich diverse Physiker mit der Suche nach solchen verborgenen Variablen. In vielen Bereichen der Quantenmechanik wurden tatsächlich Teilchen, zusätzliche Quantenzahlen und Variablen entdeckt, welche das Verständnis der heutigen Quantenphysik prägten. Zur Lösung des Paradoxons von Einstein, Rosen und Podolsky konnten jedoch Abbildung 29.1: xkcd Comic, welches darauf anspielt, dass sich sich die physikalische Intuition von Albert Einstein in den meisten Fällen als korrekt erwiesen hat [15]. 321 Bellsche Ungleichung Das Einstein-Podolsky-Rosen Paradoxon bisher keine zusätzlichen Variablen gefunden werden. Wir betrachten das Gedankenexperiment von Einstein, indem wir zuerst die grundlegenden Annahmen der Lokalität und des Realismus betrachten. Danach gehen wir auf das von Einstein, Rosen und Podolski verö↵entlichte Paradoxon ein und kommen auf die darauf basierende Bellsche Ungleichung, welche 1961 von John Bell verö↵entlicht wurde. Zuletzt betrachten wir die Experimente, mit welchen die Bellsche Ungleichung überprüft wurde. 29.1 Definitionen Zuerst stellt sich die Frage der Anforderungen an die Theorie der Quantenmechanik. In diesem Abschnitt werden diese Anforderungen kurz definiert und besprochen, sodass diesbezüglich keine Unklarheiten entstehen. Albert Einstein stellte dabei die folgenden beiden Anforderungen an eine Theorie: 1. Lokalität 2. Realismus Die zentrale Eigenschaft ist die Lokalität. Diese besagt, dass jegliche Vorgänge nur einen Einfluss auf ihre direkte Umgebung haben können. Definition 29.1. Eine physikalische Theorie ist lokal, wenn zwei örtlich getrennte Systeme keinen sofortigen Einfluss aufeinander haben können. “Spooky actions at a distance” [9, S. 158] konnte sich Einstein nicht vorstellen. Zum Beispiel war klassische Newtonsche Gravitationstheorie eine nicht-lokale Theorie. Eine Masse hat in der Gravitation sofort, ohne zeitliche Verzögerung, einen Einfluss auf andere Massen – unabhängig von der räumlichen Distanz zwischen den beiden Massen. Die Gravitationstheorie konnte jedoch so erweitert werden, dass sie die in der speziellen Relativitätstheorie geforderte Lokalität erfüllt. Einstein war sich deshalb sicher, dass sich auch für die Quantenmechanik eine Theorie herleiten lässt, in welcher sich jegliche Ereignisse höchstens mit Lichtgeschwindigkeit ausbreiten können. Mit der Forderung des Realismus wird verlangt, dass die Theorie eine physikalische Realität beschreibt. Das heisst dass eine Messung immer einen vorbestimmten Wert hat, und dieser gültig ist und existiert, ob die Messung durchgeführt wird oder nicht. Definition 29.2. Eine physikalische Theorie ist realistisch, wenn das Ergebnis jeglicher Messungen vorbestimmt ist. In einem Gespräch mit Abraham Pais verdeutlichte Albert Einstein diese Forderung mit dem bekannten Spruch “Do you really believe that the moon exists only when you look at it?”[16] 29.2 Das Einstein-Podolsky-Rosen Paradoxon Das Einstein-Podolsky-Rosen Paradoxon (EPR Paradoxon) ist ein Gedankenexperiment, welches 1935 im Paper [11] “Can quantum-mechanical description of physical reality be considered complete?” von Albert Einstein, Boris Podolsky und Nathan Rosen publiziert wurde. Einstein et al. beginnen das Paper mit zwei Fragen zur Quantenmechanik: 1. Ist die Theorie korrekt? 322 Bellsche Ungleichung Das Einstein-Podolsky-Rosen Paradoxon eDetektor A e+ Quelle Detektor B Abbildung 29.2: Messaufbau des Gedankenexperiments von EPR 2. Ist die Beschreibung durch die Theorie vollständig? Nur wenn beide diese Fragen mit “ja” beantwortet werden können, ist die Theorie eine zufriedenstellende Beschreibung der Realität. Ob eine Theorie als korrekt bezeichnet werden kann, wird definiert mit: Definition 29.3. Die Korrektheit einer Theorie wird anhand des Grades der Übereinstimmung zwischen den Vorhersagen einer Theorie und den entsprechenden praktischen Messungen und Experimenten überprüft. Diese Frage kann einfach geprüft werden, indem die Resultate von Experimenten mit den Vorhersagen der Theorie verglichen werden. Die Quantenmechanik konnte dabei, wie wir in diesem Buch in zahlreichen Anwendungen nachvollziehen konnten, die Wirklichkeit korrekt vorhersagen. Um die zweite Frage zu diskutieren, definieren wir die Vollständigkeit einer Theorie wie folgt: Definition 29.4. Jedes Element der physikalischen Realität muss durch die Theorie genau beschrieben werden können. Einstein, Podolsky und Rosen gehen in ihrem Paper genauer auf die Frage der Vollständigkeit der Quantenmechanik ein. Dazu präsentieren sie ein Gedankenexperiment, anhand welchem bewiesen werden soll, dass die Quantenmechanik nicht vollständig ist. Während Einstein et al. das Gedankenexperiment sehr allgemein hielten, diskutieren wir hier ein anschaulicheres Beispiel, welches 1957 von David Bohm und Yakir Aharonov [7] präsentiert wurde. 29.2.1 Das Gedankenexperiment Wir betrachten zwei quantenmechanische Systeme, I und II, welche von t = 0 bis zu einem Zeitpunkt t = T miteinander interagieren können. Darauf ist keine Interaktion mehr möglich. Realisiert wird das Gedankenexperiment durch eine Quelle, welche Elektron-Positron Paare emittiert. Dabei wird das Elektron (System I) zu einem Detektoren A und das Positron (System II) zu einem Detektoren B gesandt. Diese sind physikalisch getrennt, sodass kein Informationsaustausch zwischen den Detektoren möglich ist. Der Messaufbau ist in Abbildung 29.2 abgebildet. Diese zwei Partikel werden so generiert, dass sie einen komplementären Spin-Zustand besitzen. Durch das Gesetz der Drehimpulserhaltung ist dies einfach möglich, da der Gesamtdrehimpuls eines Elektron-Positron Paares + 12 12 = 0 beträgt. Wenn also bei Detektor A der Spin des Elektrons entlang der z-Achse gemessen wird und das Messresultat +z ist, so ist sofort klar, dass das Positron bei Detektor B den Spin z besitzen muss. Ebenso wird, falls bei Detektor A der Spin entlang der x-Achse als +x gemessen wird, das Positron bei Detektor B den Spin x besitzen. Wie im Kapitel der Heisenbergschen Unschärferelation (Kapitel 7) erklärt wird, sind die Messungen des Spins in verschiedenen Dimensionen komplementäre Operatoren. Damit ist es unmöglich, 323 Bellsche Ungleichung Das Einstein-Podolsky-Rosen Paradoxon gleichzeitig beide Eigenschaften eines Teilchens beliebig genau zu kennen. Wird nun jedoch bei Detektor A der Spin des Elektrons in z-Richtung als +z gemessen, so ist bekannt dass das Positron den Spin z besitzt. Da jedoch noch keine Messung am Positron ausgeführt wurde, kann bei Detektor B der Spin in x-Richtung gemessen werden. Es ist also möglich für das Positron gleichzeitig die exakten Werte des Spins in x-, wie in z-Richtung zu kennen. Mit der uns bekannten Beschreibung der Quantenmechanik mit Wellenfunktionen kann dieser E↵ekt nicht beschrieben werden, womit wir zu der logischen Schlussfolgerung Einsteins kommen: Satz 29.1. Die quantenmechanische Beschreibung der physikalischen Realität mittels Wellenfunktionen ist keine vollständige Theorie. 29.2.2 Mathematische Herleitung Dass EPR Paradoxon kann mithilfe der Notation des Spins aus Kapitel 13 einfach mathematisch formuliert werden. Wie in den Gleichungen (13.1)–(13.2) hergeleitet wird der Spin-Operator durch die Pauli-Matrizen Sx = ~ 0 2 1 ! 1 , 0 Sy = ~ 0 2 i ! i 0 und Sz = ~ 1 2 0 ! 0 1 (29.1) beschrieben. Wie bereits in Abschnitt 29.2.1 betrachten wir den Spin in x- und z-Richtung. Die Eigenvektoren der entsprechenden Pauli-Matrizen sind ! 1 1 |+xi = p , 2 1 1 1 | xi = p 2 1 ! und |+zi = ! 1 , 0 | zi = ! 0 . 1 (29.2) Der Spin-Zustand | i entlang der z-Achse eines Elektron-Positron Paares kann durch alle möglichen Kombination der beiden Spins von Elektron und Positron beschrieben werden. Diese umfassen +z für das Elektron und z für das Positron, sowie z für das Elektron und +z für das Positron. Zur Notation dieser kombinierten Zustände wird das Tensorprodukt verwendet. Definition 29.5. Das Tensorprodukt von zwei Vektoren A, B 2 C2 wird geschrieben als A⌦B und entspricht der Abbildung C2 ⇥ C2 ! C4 , bei welcher jedes Element von A mit jedem Element von B multipliziert wird. Seien ! ! a1 b1 A= und B= , a2 b2 so ist das Tensorprodukt 1 A⌦B= a1 b1 a2 b1 ! a1 b2 . a2 b2 1 Diese Definition des Tensorprodukts ist nur für Vektoren A, B 2 C2 gültig. Auf eine allgemein gültige Definition des Tensorprodukts wird an dieser Stelle verzichtet. 324 Bellsche Ungleichung Das Einstein-Podolsky-Rosen Paradoxon Damit ist der Zustand des Systems | i definiert als 1 ⇣ | i = p |+zi ⌦ | zi 2 und somit ! ! ! !! ! 1 1 1 0 1 0 0 1 | i= p ⌦ ⌦ = p 1 1 0 2 0 2 0 0 ! ! ! 1 1 1 1 1 1 1 1 = p p ⌦ p ⌦ p p 1 1 1 2 2 2 2 2 ⌘ 1 ⇣ = p |+xi ⌦ | xi | xi ⌦ |+xi . 2 | zi ⌦ |+zi 0 1 1 1 !! ⌘ (29.3) !! 1 1 0 = p 0 2 2 1 1 ! 1 1 1 2 1 1 !! 1 1 (29.4) Wir haben also gezeigt, dass der Spin-Zustand | i des Elektron-Positron Paares gleichermassen in Abhängigkeit des z-, sowie des x-Spin Zustands geschrieben werden kann. Wird nun bei Detektor A der Spin des Elektrons in z-Richtung gemessen, so findet eine Projektion des Zustands | i auf entweder |+zi oder | zi statt. Da |+zi und | zi orthogonal sind, reduziert sich der Zustand auf | 1i = |+zi ⌦ | zi bzw. | 2i = | zi ⌦ |+zi. Damit ist der Spin in z-Richtung für das Positron bei Detektor B ohne eine Messung vorbestimmt, nämlich als z im ersten Fall bzw. +z im zweiten Fall. Wenn nun bei Detektor B der Spin des Positrons in x-Richtung gemessen wird, so wird der ursprüngliche Spin-Zustand | i ebenfalls reduziert auf | ai = |+xi ⌦ | xi bzw. | bi = | xi ⌦ |+xi. Wir erhalten damit zwei Wellenfunktionen, z.B. | 1 i und | a i, welche gleichzeitig die gleiche physikalische Realität beschreiben. Um zu prüfen ob dies im Fall des Spin-Zustands überhaupt möglich ist, wenden wir Hilfssatz 7.1 an. Der Kommutator [S x , S z ] ist [S x , S z ] = i~S y , 0. (29.5) Da die Operatoren S x und S z also nicht vertauschen, ist nach der Theorie der Quantenmechanik die gleichzeitige Kenntnis der beiden Messungen nicht möglich. Dass dies jedoch hier der Fall ist, haben wir in Abschnitt 29.2.1 hergeleitet und mathematisch in diesem Abschnitt beweisen können. Damit müssen wir zur Schlussfolgerung kommen, dass entweder (1) eine sofortige Kommunikation zwischen dem Elektron und dem Positron stattfindet, was jedoch durch die Lokalität ausgeschlossen wird, oder (2) dass die Beschreibung der Quantenmechanik mittels der Wellenfunktion nicht vollständig ist und ein fundamentaler, nicht messbarer, Mechanismus bestimmt welches Ergebnis eine Messung des Spins ergeben wird. 29.2.3 Die Theorie der verborgenen lokalen Variablen Besinnen wir uns zurück auf die beiden initialen Fragen: (1) “Ist die Theorie korrekt?” und (2) “Ist die Beschreibung durch die Theorie vollständig?” Dabei mussten wir feststellen, dass zwar die Frage (1) dank diverser Experimente mit “ja” beantwortet werden kann, doch die Frage (2) durch das besprochene Gedankenexperiment nur mit “nein” beantwortet werden kann. Damit stellt sich 325 Bellsche Ungleichung Die Bellsche Ungleichung z -+ ++ x -- +- Abbildung 29.3: Visualisierung der verborgenen Variable des Spin-Zustands die Frage, um welches Element die Theorie der Quantenmechanik erweitert werden muss, sodass die Beschreibung vollständig wird. Eine mögliche Lösung des Paradoxons wurde bereits in Abschnitt 29.2.2 kurz beschrieben: Es könnte ein verborgener Mechanismus existieren, welcher das Resultat unseres Experiments, also den Spin von Elektron und Positron, vorausbestimmt. Um einen solchen Mechanismus mathematisch zu beschreiben wird eine Variable eingeführt. Da diese nicht direkt messbar ist, wird sie als verborgene Variable bezeichnet. Um keine unnötigen Einschränkungen einzuführen, wird keine Annahme über gemacht - weder in der Anzahl Dimensionen, noch ob sie diskret oder kontinuierlich ist. Wir definieren lediglich, dass die Variable zufällig aus dem Raum ⇤ aller möglicher Werte von gezogen wird. Zur Visualisierung betrachten wir eine 2-dimensionale Variable 2 R2 , welche den Zusammenhang zwischen dem Spin in x- und z-Richtung beschreibt. Die damit möglichen Werte sind in Abbildung 29.3 dargestellt. Liegt die Variable im ersten Quadranten des Diagramms, so ist unabhängig von der Messung A eindeutig bestimmt, dass der Spin des Elektrons sowohl in x-, wie in z-Richtung positiv sein wird. Damit ist auch klar, dass der Spin des Positrons in x- und in z-Richtung negativ sein wird. Die Variable ist lokal, da sie in der Quelle auf einen Wert gesetzt wird, und alle möglichen Spin-Messungen an den beiden Teilchen von da an definitiv bestimmt sind. Sie ist verborgen, da nicht direkt messbar ist, sondern nur anhand von zwei Spin-Messungen bei den Detektoren A und B bestimmt werden kann. Mit dieser Theorie lassen sich die beiden Forderungen Einsteins, die Lokalität und der Realismus, erfüllen und die um verborgene lokale Variablen erweiterte Quantenmechanik wäre vollständig. Die Herausforderung, eine solche Variable wirklich zu entdecken und messen zu können, bleibt jedoch bestehen. 29.3 Die Bellsche Ungleichung Nach der Verö↵entlichung des EPR Paradoxons gingen verschiedene bekannte Physiker auf das Paradoxon ein. Niels Bohr, Mitbegründer der Kopenhagen Interpretation der Quantenmechanik, antwortete bereits 1935 mit einer eher schwammigen Widerlegung Einsteins [8]. Bohr ging dabei gar nicht auf die Unvollständigkeit der Quantenmechanik ein, sondern argumentierte dass die Quantenmechanik konsistent sein muss – was Einstein zu diesem Zeitpunkt gar nicht infrage stellte. Im Nachhinein betrachtet musste Bohr 1949 sogar selbst zugeben, dass seine Reaktionen auf Einstein “ineffizient” waren und “es schwierig machten darauf zu antworten”. Erwin Schrödinger hingegen zweifelte nicht am EPR Paradoxon selbst, sondern äusserte Zweifel daran, dass diese Beschreibung für örtlich getrennte quantenmechanische Systeme ebenfalls gilt und 326 Bellsche Ungleichung Die Bellsche Ungleichung damit ob der E↵ekt auch messbar ist [18]. David Bohm entwickelte in [6] eine Theorie auf Basis lokaler verborgener Variablen in Anlehnung an Einsteins Gedankenexperiment. Dabei betrachtete er nicht Position und Drehmoment, wie im Paper von EPR, sondern den Spin zweier Partikel. Dieses Gedankenexperiment ist einfacher zu analysieren (weshalb wir im Abschnitt 29.2 das Experiment von Bohm, und nicht das originale von Einstein betrachtet haben). Als sich John Bell noch als Student mit dem EPR Paradoxon und insbesondere der Arbeit von David Bohm zu beschäftigen begann, kamen ihm insbesondere Zweifel an der Lokalität dieser verborgenen Variablen. In seinem berühmten Paper “On the Einstein Podolsky Rosen Paradox” [5] gelang es ihm zu beweisen, dass eine Theorie der verborgenen Variablen – sollte eine solche existieren – nicht lokal sein kann. Als erstem Physiker gelang es ihm, die Frage umzudrehen, und nicht nach solchen Variablen bzw. Teilchen zu suchen, sondern gleich deren Nicht-Existenz zu beweisen. Wir betrachten das Paper von Bell, indem wir uns erneut das Gedankenexperiment nach Abbildung 29.2 befassen. Dazu verallgemeinern wir das Experiment etwas und betrachten zuerst die Vorhersage mittels der Quantenmechanik. Da diese ja korrekt, aber noch nicht vollständig ist, führen wir darauf eine lokale, verborgene Variable ein und berechnen deren Vorhersage. Auf Basis dieser beider Resultate leiten wir die Bellsche Ungleichung, und darauf eine verallgemeinerte Version, die BCHSH-Ungleichung her. 29.3.1 Vorhersage der Quantenmechanik Der Spin eines Teilchens in einer beliebigen Richtung ~a, wobei ~a ein Einheitsvektor ist, wird durch die Projektion der Spin-Matrix des Teilchens A auf die Richtung ~a gemessen. ~ˆ A · ~a (29.6) Dies kann mithilfe der Pauli-Matrizen (29.1) geschrieben werden als ! ! 0 1 0 i 1 ~a · ~ˆ A = a1 ˆ x + a2 ˆ y + a3 ˆ z = a1 + a2 + a3 1 0 i 0 0 ! a3 a1 ia2 = . a1 ia2 a3 0 1 ! (29.7) (29.8) Der Spin-Zustand | i des Elektron-Positron Paares kann mit (29.6) und ~ˆ B · ~b für das Teilchen B als Superposition der beiden Spin-Zustände bei A und B geschrieben werden: ⇣ ⌘ ⇣ ⌘ | i = ~ˆ A · ~a ⌦ ~ˆ B · ~b (29.9) Der Erwartungswert der Quantenmechanik E QM des Produkts der zwei Spin-Messungen ist daher ⌧ ⇣ ⌘ ⇣ ⌘ ~ˆ A · ~a ⌦ ~ˆ B · ~b E QM = . (29.10) Da die Messung jeweils entweder |+i oder | i ergibt, kann dies analog zu (29.3) umgeformt werden zu ⌧ ⇣ ⌘ ⇣ ⌘ ~ˆ A · ~a ⌦ ~ˆ B · ~b E QM = = "⌧ ⌧ ⌧ ⌧ 1 ~ˆ B · ~b ~ˆ B · ~b + + ~ˆ A · ~a + + ~ˆ A · ~a (29.11) 2 A B A B # ⌧ ⌧ ⌧ ⌧ ~ˆ A · ~a + ~ˆ A · ~a + ~ˆ B · ~b + + ~ˆ B · ~b + , A B A 327 B Bellsche Ungleichung Die Bellsche Ungleichung was mit (29.8) vereinfacht werden kann zu 1⇥ E QM = a3 b3 (a1 ia2 )(b1 + ib2 ) 2 ⇥ ⇤ = a1 b1 + a2 b2 + a3 b3 = ~a · ~b. (a1 + ia2 )(b1 ib2 ) a3 b3 ⇤ (29.12) Da ~a und ~b Einheitsvektoren sind, gilt ~a · ~b = cos(✓ab ) für |~a| = |~b| = 1 (29.13) cos(✓ab ). (29.14) mit dem Winkel ✓ab zwischen ~a und ~b. Somit wird der quantenmechanische Erwartungswert zu E QM (~a, ~b) = ~a · ~b = Da angenommen werden kann, dass die Quantenmechanik korrekt ist, muss eine Theorie verborgener Variablen den Erwartungswert E QM reproduzieren können. Um dies zu prüfen leiten wir den Erwartungswert mithilfe einer verborgener Variable her. 29.3.2 Vorhersage mittels verborgener Variablen Wir nehmen nun also an, dass eine Theorie der verborgenen Variablen vorliegt und eine Variable 2 ⇤ existiert. Die Wahrscheinlichkeitsverteilung dieser Variable sei ⇢( ), womit gilt Z ⇢( )d = 1. (29.15) 2⇤ Damit diese Theorie die Quantenmechanik erweitern kann, muss sie die Vorhersage der Quantenmechanik mit dem Erwartungswert E QM (~a, ~b) = ~a·~b ebenfalls für alle Richtungen ~a und ~b produzieren. Wir definieren nun die Messung bei Detektor A als A(~a) mit 8 > > <+1 Spin Up A(~a) = > (29.16) > : 1 Spin Down. Die Messung bei Detektor B wird gleichermassen als B(~b) geschrieben. Da der Spin, wie in 29.2.3 beschrieben, von der verborgenen Variablen abhängt, sind A und B ebenfalls von abhängig: A(~a, ) und B(~b, ). Aus (29.15) und (29.16) lässt sich nun der Erwartungswert des Produkts der beiden Spin-Messungen bestimmen als Z E(~a, ~b) = ⇢( )A(~a, )B(~b, )d . (29.17) 2⇤ Durch (29.14) ist für ~a = ~b der quantenmechanische Erwartungswert E QM = 1. Somit muss, damit die Theorie der verborgenen Variablen zutri↵t, auch Z 1= ⇢( )A(~a, )B(~a, )d 2⇤ gelten. Da ⇢( ) eine Wahrscheinlichkeitsverteilung ist, kann dies nur zutre↵en, falls A(~a, ) = B(~a, ). Damit wird (29.17) vereinfacht zu E(~a, ~b) = Z 2⇤ ⇢( )A(~a, )A(~b, )d . Aus dieser vereinfachten Gleichung lässt sich nun die Bellsche Ungleichung herleiten. 328 (29.18) (29.19) Bellsche Ungleichung 29.3.3 Die Bellsche Ungleichung Herleitung der Bellschen Ungleichung Zur Herleitung der Bellschen Ungleichung wird neben den beiden Richtungen ~a und ~b eine dritte, unabhängige Richtung ~c betrachtet. Aufgrund von (29.16) gilt, dass |A(~b, )| = 1 ist. Wir betrachten nun die Di↵erenz zweier Erwartungswerte E(~a, ~b) E(~a, ~c): Z h i ~ E(~a, b) E(~a, ~c) = ⇢( ) A(~a, )A(~b, ) A(~a, )A(~c, ) d Z 2⇤ (29.20) h i = ⇢( ) A(~a, )A(~c, ) A(~a, )A(~b, ) d 2⇤ Um die Bellsche Ungleichung herleiten zu können, wird der folgende Hilfssatz 29.1 benötigt. Hilfssatz 29.1. Sei Z eine auf dem Intervall ⌦ integrierbare Funktion, so gilt Z Z Z dµ | Z | dµ ⌦ ⌦ Beweis. Beweis nach [19]. Es wird ↵ 2 C mit |↵| = 1 gewählt, sodass Z Z ↵· Z dµ = Z dµ . ⌦ Damit ist Z ⌦ Z dµ = Re Z ⌦ ⌦ ! Z Z Z ↵Z dµ = Re(↵Z) dµ | ↵Z | dµ = | Z | dµ. ⌦ ⌦ ⌦ Die Di↵erenz (29.20) wird nun mithilfe von Hilfssatz 29.1 geschrieben als Z h i |E(~a, ~b) E(~a, ~c)| = ⇢( ) A(~a, )A(~c, ) A(~a, )A(~b, ) d Z 2⇤ h i ⇢( ) A(~a, )A(~c, ) A(~a, )A(~b, ) d . 2⇤ Der Term auf der rechten Seite wird nun mithilfe von |A(·, )| = 1 weiter vereinfacht zu Z = ⇢( ) A(~a, )A(~c, ) A(~a, )A(~b, ) d Z 2⇤ = ⇢( ) A(~a, ) · A(~c, ) A(~b, ) d , 2⇤ durch Multiplikation mit |A(~b, )| = 1 zu Z h = ⇢( ) A(~b, )A(~c, ) 2⇤ und da A(~b, )A(~c, ) = ±1 zu Z = 2⇤ h ⇢( ) 1 i 1 d i A(~b, )A(~c, ) d 329 ⇤ (29.21) Bellsche Ungleichung Die Bellsche Ungleichung c b a Abbildung 29.4: Visualisierung der Messrichtungen, welche eine Verletzung der Bellschen Ungleichung durch die Quantenmechanik ergeben. = Z 2⇤ ⇢( )d Z 2⇤ ⇢( )A(~b, )A(~c, )d . Damit sind wir wieder bei einem Erwartungswert der Form von (29.19) und können die erste Form der Bellschen Ungleichung [5, (15)] aufstellen: E(~a, ~b) E(~a, ~c) 1 + E(~b, ~c) (29.22) Diese Ungleichung muss, wenn eine Theorie lokaler, verborgener Variablen vorliegt, für alle Richtungen ~a, ~b und ~c gelten. Betrachten wir als Beispiel die Messrichtungen ](~a, ~b) = 45°, ](~b, ~c) = 45° und ](~a, ~c) = 90°, welche in Abbildung 29.4 dargestellt sind. Werden die Erwartungswerte der Quantenmechanik nach (29.19) berechnet und in die Bellsche Ungleichung eingesetzt, folgt 1 p ⌦1 2 1 p . 2 Mit den gewählten Orientierungen ergibt sich also ein Widerspruch. Die Quantenmechanik verletzt die Bellsche Ungleichung, welche für jede Theorie mit lokalen verborgenen Variablen gelten muss. Daraus kann geschlossen werden, dass das EPR Gedankenexperiment von keiner Theorie lokaler verborgener Variablen erklärt werden kann, und sich Albert Einstein damit getäuscht hat. Die Bellsche Ungleichung (29.22) lässt sich experimentell jedoch nur schwer überprüfen, da unter anderem in (29.18) eine perfekte Antikorrelation der Messungen gefordert wird, was in der Praxis nur schwer realisiert werden kann. 29.3.4 Herleitung der BCHSH Ungleichung Um reale experimentelle Bedingungen nachbilden zu können, passten John Clauser, Michael Horne, Abner Shimony und Richard Holt [10] die Bellsche Ungleichung so an, dass die perfekte Korrelation nicht notwendig ist. Ihr Resultat wird als CHSH-Ungleichung bezeichnet, war aber ebenfalls noch nicht für reale Experimente geeignet. Erst John Bell, der sich von den Fortschritten von Clauser et al. anspornen liess und nach sieben Jahren sich wieder mit dem Thema beschäftigte, konnte eine prüfbare Version der Bellschen Ungleichung herleiten, die so genannte “Bell-Clauser-HorneShimony-Holt (BCHSH) Ungleichung” [4]. 330 Bellsche Ungleichung Experimente a' b' b a Abbildung 29.5: Visualisierung der Messrichtungen, welche eine Verletzung der BCHSH Ungleichung durch die Quantenmechanik ergeben. Dabei wird berücksichtigt, dass die Korrelation nicht perfekt ist, sondern um ein weichen kann: E(~a, ~b) = 1 + mit 0 1 für |~a| = |~b| = 1 von 1 ab- Weiter wird (29.16) so erweitert, dass die Nicht-Detektion eines Teilchens möglich ist: 8 > > +1 Spin Up > > > < A(~a, ) = > 1 Spin Down > > > > :0 nicht detektiert (29.23) (29.24) Als weiteres Zugeständnis an reale Messbedingungen werden nicht mehr einzelne Messungen A(~a, ) betrachtet, sondern mehrere Messungen zu Ā(~a, ) gemittelt. Damit wird (29.16) zu Ā(~a, ) 1 und B̄(~b, ) 1. Nun werden statt der 3 Messrichtungen ~a, ~b und ~c insgesamt 4 Richtungen eingeführt: ~a, a~0 , ~b, b~0 und die Di↵erenz E(~a, ~b) E(~a, ~b0 ) betrachtet: Z h i E(~a, ~b) E(~a, ~b0 ) = ⇢( ) Ā(~a, ) B̄(~b, ) Ā(~a, ) B̄(b~0 , ) d (29.25) 2⇤ Diese wird analog zur Herleitung der Bellschen Ungleichung (29.22) umgeformt und vereinfacht, und wir erhalten schlussendlich Z h i 0 ~0 0 ~ 0 ~ ~ E(~a, b) E(~a, b ) ± E(~a , b ) + E(~a , b) + 2 ⇢( )d , 2⇤ was wir mit einem letzten Schritt zur BCHSH-Ungleichung 2 E(~a, ~b) E(~a, b~0 ) + E(a~0 , ~b) + E(a~0 , b~0 ) 2 umformen können. Betrachten wir nun die in Abbildung 29.5 abgebildeten Messrichtungen ](~a, ~b) = 45°, Das Einsetzen der Werte ergibt ](~b, ~a0 ) = 45° und p 2 2 ⌦ 2, womit die Quantenmechanik die BCHSH Ungleichung ebenfalls verletzt. 331 ](~a0 , ~b0 ) = 45°. (29.26) Bellsche Ungleichung 29.4 Experimente Experimente Zur experimentellen Überprüfung der Bellschen Ungleichung werden meist nicht Elektron-Positron Paare verwendet, sondern Photonen mit identischer Polarisation. Dabei können die Photon entweder vertikal (+) oder horizontal ( ) polarisiert sein. Es ergibt sich der folgende Polarisationszustand ⌘ 1 ⇣ | i = p |+i ⌦ |+i + | i ⌦ | i . 2 (29.27) Wird nun die Polarisation der beiden Photonen in der gleichen Richtung gemessen, sind die Messergebnisse perfekt korreliert. Bei Richtungen mit einem Winkel von 45° wird das Resultat unkorreliert, also komplett zufällig, sein. Wird in einem Winkel von 90° gemessen, sind die Messergebnisse antikorreliert. Die Erwartungswerte werden nun geschätzt indem gezählt wird, wie häufig die möglichen Resultate ++, + , + und vorkommen (N++ , N+ , N + , N ). Der Erwartungswert E(~a, ~b) einer Detektor-Einstellung (~a, ~b) wird nun berechnet durch E= N++ + N N++ + N N+ N + N+ + N + . (29.28) + Die Bellsche Ungleichung wird überprüft, indem die vier Einstellungen (~a, ~b), (~a, ~b0 ), (~a0 , ~b) und (~a0 , ~b0 ) gemessen und deren Erwartungswerte berechnet werden. Diese Werte werden in die Bellsche Ungleichung eingesetzt: S = E(~a, ~b) E(~a, b~0 ) + E(a~0 , ~b) + E(a~0 , b~0 ) (29.29) Wenn das gemessene S die Ungleichung (29.26) 2 S +2 verletzt, so stützt das Experiment die Ergebnisse der Quantenmechanik. Kann nicht mit ausreichender statistischer Signifikanz belegt werden, dass die Bellsche Ungleichung verletzt wird, so kann die Existenz verborgener lokaler Variablen nicht ausgeschlossen werden. Aus dem Gedankenexperiment von EPR konnte also nach über 35 Jahren eine messbare Zahl S entwickelt werden, anhand welcher die Bellsche Ungleichung und damit die Intuition Einsteins bezüglich der Quantenmechanik getestet werden konnte. 29.4.1 Mögliche Probleme Es gibt zahlreiche Herausforderungen bei der Entwicklung und der Durchführung solcher Experimente. Die wichtigsten Probleme sind Effizienz der Detektoren: Die Entwicklung eines Detektoren, welcher einzelne Photonen detektieren muss, gestaltet sich nicht als einfach, und die optimale Effizienz von ⌘ = 1 wird nicht erreicht. Je höher die Effizienz der verwendeten Detektoren ist, desto grösser ist die Konfidenz in das Resultat der Messung. Sicherstellen der Lokalität: Im Experiment muss sichergestellt sein, dass die beiden Teilchen keine Informationen über die Messung austauschen können. Dazu müssen die Detektoren so räumlich getrennt werden, dass der gesamte Messprozess bei beiden Detektoren beendet ist, bevor Informationen, welche sich mit Lichtgeschwindigkeit ausbreiten, beim anderen Teilchen ankommen können. 332 Bellsche Ungleichung Experimente p p Quelle Detektor A Detektor B Abbildung 29.6: Sind die Photonen räumlich nur schwach korreliert, so können nicht notwendigerweise beide detektiert werden. 3d 4p 1 P1 21 4p S0 1 4p 4s 1 P1 2 4s2 1 S0 Abbildung 29.7: Atomare Kaskade im Kalzium-Atom, welche zwei Photonen mit gegensätzlicher Polarisation erzeugt. [12] Räumliche Korrelation: Neben der Anforderung, dass ein Photonenpaar mit gleicher Polarisation erzeugt werden muss, müssen die Photonen ebenfalls räumlich so korreliert sein, dass diese wirklich zum Detektor gelangen. Dazu müssen Betrag und Richtung des Impulses beider Photonen stark korreliert sein. Dies wird in Abbildung 29.6 illustriert. 29.4.2 1. Generation – Freedman Clauser (1972) Das erste Experiment, welches die Bellsche Ungleichung überprüfte, wurde 1972 von Stuart Freedman und John Clauser an der UC Berkeley in Kalifornien durchgeführt [12]. Dazu wurden Kalzium40 Atome in den Zustand 3d 4p 1 P1 angeregt. Wie in Abbildung 29.7 dargestellt wird ein Teil der angeregten Atome direkt in den Grundzustand 4s2 1 S0 übergehen, während etwa 7 % der Atome über die Kaskade via 4p2 1 S0 und 4p 4s 1 P1 in den Grundzustand übergehen. Dabei werden zwei Photonen mit einer Wellenlänge von 551.3 nm bzw. 442.7 nm freigesetzt. Da der Drehimpuls des Kalzium Atoms J = 0 beträgt, müssen die Photonen eine entgegengesetzte Polarisation haben. Mit diesem Experiment konnten Freedman und Clauser erstmals die Bellsche Ungleichung testen und konnte eine klare Verletzung der Bellschen Ungleichung messen. Aufgrund einer sehr tiefen Detektor-Effizienz und nur schwacher räumlicher Korrelation der Photonen konnte jedoch, trotz Bestätigung in mehreren ähnlichen Experimenten, die Existenz verborgener lokaler Variablen nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden. 333 Bellsche Ungleichung 29.4.3 Experimente 2. Generation – Alain Aspect (1980–1985) Anfang der 1980er Jahre wurde an der Université Paris-Sud in Orsay von Alain Aspect im Rahmen seiner Dissertation eine Serie neuer Experimente zur Prüfung der Bellschen Ungleichung entwickelt und durchgeführt [3, 2, 1]. Aspect verwendete dazu dieselbe atomare Kaskade wie Freedman Clauser, jedoch wurden die Kalzium-Atome anders angeregt. Das Problem der Lokalität wurde mittels eines optischen Schalters, welcher innerhalb von 10 ns zwischen den zu messenden Polarisationsrichtungen umschalten konnte, behandelt. Damit wurde erst während die Photonen bereits auf dem Weg zum Detektor waren definiert, welche Messung stattfinden soll. Durch eine räumliche Trennung von 13 m zwischen den Detektoren sollte dieses Problem also behandelt werden. Obwohl Aspect in allen Experimenten die Verletzung der Bellschen Ungleichung bestätigen konnte, blieben durch die weiterhin geringe Detektor-Effizienz, sowie die geringe Distanz zwischen Detektoren Zweifel, ob die Bellsche Ungleichung damit tatsächlich bestätigt werden kann. 29.4.4 3. Generation Die Experimente der dritten Generation basieren auf einem neuen Verfahren zur Erzeugung von Photonenpaaren, der parametrischen Fluoreszenz. Dabei wird mittels eines Pumpstrahls mit Frequenz ! p ein nichtlinearer optischer Kristall angeregt. Es entstehen durch den Satz der Energieerhaltung und E ph = ~! zwei Photonen mit Frequenzen !1 und !2 , sodass !1 + !2 = ! p . Damit lassen sich zwei Photonen mit derselben Polarisation erzeugen. Mithilfe der Methode der parametrischer Fluoreszenz werden räumlich stark korrelierte Photonen erzeugt, was ein deutlicher Vorteil gegenüber der Methode mit atomaren Kaskaden darstellt. Dank der Einkopplung der Photonen in Glasfaserkabel konnten diverse neue Experimente entwickelt werden. Weihs, Innsbruck 1998 Das Problem der Lokalität konnte zum ersten Mal 1998 von einem Team um Gregor Weihs in Innsbruck gelöst werden [20]. Die Detektoren wurden dabei 400 m voneinander getrennt platziert. Damit bleibt eine Zeit von tc = s 400 m = c 2.998 ⇥ 108 m s 1 ⇡ 1.3 µs zur Messung. Weihs entwickelte einen elektro-optischen Modulator, welcher die Polarisationsrichtung eines Photons um 45° drehen konnte und mittels eines Zufallsgenerators gesteuert wurde. Damit konnte sichergestellt werden, dass die Messrichtung wirklich zufällig ist. Die gesamte Verzögerung im Messsystem betrug etwa tm = 100 ns, also deutlich unter tc = 1.3 µs. Damit war das Team um Weihs das erste, welches das Problem der Lokalität beheben konnte. Ihr Ergebnis, S (0°, 45°, 22.5°, 67.5°) = 2.73 ± 0.02 ⌦ 2, konnte die Existenz einer Theorie der lokalen verborgenen Variablen klar ausschliessen. Die Detektoreffizienz lag bei Weihs jedoch immer noch bei etwa 5 %, womit nicht alle Zweifel am Resultat des Experiment behoben werden konnten. Rowe, Boulder 2001 Das erste Experiment, in welchem die Detektoreffizienz genügend hoch war um alle Teilchen korrekt erkennen zu können, wurde von Rowe et al. in Boulder, Colorado durchgeführt [17]. Durch die Verwendung von Beryllium-Ionen anstatt von Photonen konnte die Detektoreffizienz auf über 90 % erhöht werden. Auch Rowe kam in seinem Experiment mit S ( 22.5°, 67.5°, 22.5°, 67.5°) = 2.25 ± 0.03 ⌦ 2 334 Bellsche Ungleichung Fazit auf eine klare Verletzung der Bellschen Ungleichung. Da die Beryllium-Ionen im Experiment jedoch nur 3 µm entfernt platziert werden konnten, wurden bereits behobene Probleme in diesem Experiment wieder eingeführt. Aktuelle Forschung Noch in keinem Experiment konnten gleichzeitig alle Probleme behandelt werden. Obwohl der Einfluss aller beschriebener E↵ekte jeweils einzeln experimentell ausgeschlossen werden konnte, kann noch nicht mit Sicherheit nachgewiesen werden, dass die Bellsche Ungleichung durch die Quantenmechanik verletzt wird. Die Existenz einer Theorie lokaler verborgener Variablen kann also noch nicht ausgeschlossen werden. Aktuell wird daran geforscht, alle diese Probleme mit einem einzigen Experiment beheben zu können. Marissa Giustina (Wien, 2013) [13] konnte mit demselben Aufbau jegliche Zweifel ausräumen – jedoch nicht gleichzeitig, sondern in mehreren Experimenten. Es wird erwartet, dass in den nächsten Jahren ein Experiment durchgeführt werden kann, welches jegliche Zweifel beseitigt und endgültig nachweisen kann, dass die Intuition von Einstein falsch war und keine verborgenen lokalen Variablen existieren können. 29.5 Fazit In diesem Kapitel haben wir das Gedankenexperiment Einsteins genauer betrachtet und feststellen müssen, dass Einstein mit seiner Intuition zur Quantenmechanik falsch lag. Obwohl noch kein Experiment alle Zweifel beseitigen konnte, müsste man fast an eine “Verschwörung der Natur” (A. J. Leggett, [14]) glauben um die Bellsche Ungleichung noch infrage zu stellen. Der Traum Einsteins, eine physikalische Beschreibung der Realität, welche sich sowohl an die Lokalität, wie auch an den Realismus hält, kann somit nicht erfüllt werden. Es existieren nun zwei mögliche Auswege aus dieser Situation: (i) Die Welt ist nicht-lokal. Damit wird das grundlegende Prinzip der Relativität in Frage gestellt. (ii) Es existiert keine objektive Realität. Damit können wir keine gesicherten Aussagen über weit entfernte Ereignisse machen. Welche dieser Annahmen das geringere Übel ist, lässt sich nicht abschliessend beurteilen – fest steht nur, dass die Quantenmechanik nicht lokal und realistisch sein kann. Literatur [1] Alain Aspect, Jean Dalibard und Gérard Roger. “Experimental Test of Bell’s Inequalities Using Time-Varying Analyzers”. In: Physical Review Letters 49 (25 Dez. 1982), S. 1804– 1807. [2] Alain Aspect, Philippe Grangier und Gérard Roger. “Experimental Realization of EinsteinPodolsky-Rosen-Bohm Gedankenexperiment: A New Violation of Bell’s Inequalities”. In: Physical Review Letters 49 (2 Juli 1982), S. 91–94. [3] Alain Aspect, Philippe Grangier und Gérard Roger. “Experimental Tests of Realistic Local Theories via Bell’s Theorem”. In: Physical Review Letters 47 (7 Aug. 1981), S. 460–463. [4] John S. Bell. “Introduction to the hidden-variable question”. In: Foundations of quantum mechanics (1971), S. 171–181. 335 Bellsche Ungleichung Fazit [5] John S. Bell. “On the Einstein Podolsky Rosen Paradox”. In: Physics 1 (3 Nov. 1964), S. 195– 200. [6] David Bohm. “A Suggested Interpretation of the Quantum Theory in Terms of ”Hidden”Variables”. In: Physical Review 85 (2 Jan. 1952), S. 166–179. [7] David Bohm und Yakir Aharonov. “Discussion of Experimental Proof for the Paradox of Einstein, Rosen, and Podolsky”. In: Phyical Review 108 (4 Nov. 1957), S. 1070–1076. [8] Niels Bohr. “Can Quantum-Mechanical Description of Physical Reality be Considered Complete?” In: Physical Review 48 (8 Okt. 1935), S. 696–702. [9] Max Born. The Born-Einstein Letters. The Macmillan Press Ltd, 1971. [10] John F. Clauser u. a. “Proposed Experiment to Test Local Hidden-Variable Theories”. In: Physical Review Letters 23 (15 Okt. 1969), S. 880–884. [11] Albert Einstein, Boris Podolsky und Nathan Rosen. “Can quantum-mechanical description of physical reality be considered complete?” In: Physical Review 47 (10 März 1935), S. 777– 780. [12] Stuart J. Freedman und John F. Clauser. “Experimental Test of Local Hidden-Variable Theories”. In: Physical Review Letters 28 (14 Apr. 1927), S. 938–841. [13] Marissa Giustina u. a. “Bell violation using entangled photons without the fair-sampling assumption”. In: Nature 497 (7448 2013), S. 227–230. [14] A. J. Leggett. “Nonlocal Hidden-Variable Theories and Quantum Mechanics: An Incompatibility Theorem”. In: Foundations of Physics 33.10 (2003), S. 1469–1493. [15] Randall Munroe. xkcd: Einstein. 2015. url: http://xkcd.com/1206/ (besucht am 25. 04. 2015). [16] Abraham Pais. “Einstein and the quantum theory”. In: Reviews of Modern Physics 51 (4 Okt. 1979), S. 863–914. [17] M. A. Rowe u. a. “Experimental violation of a Bell’s inequality with efficient detection”. In: Nature 409 (6822 Feb. 2001). [18] Erwin Schrödinger. “Discussion of Probability Relations between Separated Systems”. In: Mathematical Proceedings of the Cambridge Philosophical Society 31 (04 Okt. 1935), S. 555– 563. issn: 1469-8064. [19] PhoemueX (http://math.stackexchange.com/users/151552/phoemuex). Triangle inequality for integrals with complex valued integrand. url: http://math.stackexchange. com/q/842745 (besucht am 10. 05. 2015). [20] Gregor Weihs u. a. “Violation of Bell’s Inequality under Strict Einstein Locality Conditions”. In: Physical Review Letters 81 (23 Dez. 1998), S. 5039–5043. 336