Afamelanotid

Werbung
Pharmazeutische Chemie – Afamelanotid
Afamelanotid (Scenesse®)
Das synthetische Peptidhormon Afamelanotid (= Melanotan I, früher CUV1647)
(Scenesse®) ist der erste Arzneistoff, der zur Prävention einer Fototoxizität bei
Erwachsenen mit erythropoetischer Protoporphyrie (EPP) zugelassen ist. Die Primärund Sekundärstruktur des Afamelanotids ist in Abbildung 1 aufgeführt.
Abbildung 1:
Afamelanotid: Primär- und Sekundärstruktur
Die EPP ist eine seltene Erberkrankung, die im frühen Kindesalter nach erster
Sonneneinstrahlung
beginnt
und
deren
Hauptsymptom
eine
extreme
Unverträglichkeit gegenüber Licht ist. Bereits nach kurzem Aufenthalt in der Sonne
bekommen Betroffene starke Schmerzen oftmals begleitet von Jucken, Brennen,
Rötungen und Schwellungen der Haut. Die unmittelbare Reaktion auf das Licht stellt
nur den Beginn zahlreicher nachfolgender Effekte mit oft tagelangen massiven
Schmerzen dar. Zusätzlich können Menschen mit EPP unabhängig vom Sonnenlicht
eine Vielzahl hepatobiliärer Komplikationen entwickeln, so z.B. die Neigung bereits in
jungen Jahren zu Gallensteinen, die teils aus Protoporphyrin bestehen. Zusätzlich
kann Protoporphyrin in seltenen Fällen in den Hepatozyten und den Gallengängen
auskristallisieren, den Gallenfluss beeinträchtigen und zu einer Schädigung der
Leber bis hin zu einer Zirrhose führen. Die verschiedenen Porphyrien werden in der
Regel in akute und nicht-akute, chronische Porphyrien eingeteilt. Innerhalb der
Porphyrien zählt die EPP zu den nicht-akuten, chronisch Porphyrien.
Die Porphyrien sind dadurch gekennzeichnet, dass ein Enzymmangel vorliegt und
zwar ein Mangel eines Enzyms, das in die Biosynthese des Häms involviert ist.
Ursächlich für die EPP ist eine nicht in genügender Menge hergestellte
Ferrochelatase hervorgerufen durch Mutationen im für die Ferrochelatase
codierenden Gen Fech. Die Ferrochelatase ist das finale Enzym in der HämBiosynthese, sie katalysiert die Bildung des Häms durch den Einbau des Eisens in
den Protoporphyrin-Ring. Findet dieser Einbau nicht ausreichend statt, akkumuliert
das nicht umgesetzte Substrat Protoporphyrin im Blut, den Erythrozyten und
1
CA 29.2.2016
Pharmazeutische Chemie – Afamelanotid
Geweben und führt zur oben ausgeführten schmerzhaften Fotosensitivität (Lecha et
al. 2010, Casanova-Gonzalez et al. 2010, Besur et al. 2014).
Afamelanotid (Scenesse®) ist nun als erste Substanz zur Prävention der Fototoxizität
bei EPP in Form eines Implantats als „controlled-release“-Formulierung
(stäbchenförmig, Länge 1,7cm und Durchmesser 1,5mm) im Handel. Das Implantat
enthält 16mg Afamelanotid und wird von einem geschulten Arzt subkutan appliziert.
Alle zwei Monate wird ein Implantat eingesetzt, vor der voraussichtlichen
Sonneneinstrahlung sowie bei verstärkter Sonneneinstrahlung (z.B. vom Frühjahr bis
zum Frühherbst. Es werden dabei aber - je nach Dauer des erforderlichen Schutzes nur drei Implantate pro Jahr empfohlen. Maximal sollten nur vier Implantate pro Jahr
eingesetzt werden. Die Gesamtbehandlungsdauer liegt im Ermessen des
behandelnden Arztes, jedoch liegen keine klinischen Daten für einen
Behandlungszeitraum von über zwei Jahren vor. Die Pharmakokinetik des
Afamelanotids ist noch nicht vollständig untersucht, z.B. liegen keine Daten über
pharmakologisch wirksame bzw. unwirksame Metaboliten vor. In einer Studie aus
dem Jahr 1997 wurde für Afamelanotid nach subkutaner Injektion eine Halbwertszeit
von 0,07 bis 0,79 Stunden ermittelt (Ugwu et al. 1997). Nach subkutanem Einbringen
des Implantats wird innerhalb der ersten 48 Stunden der größte Teil des Wirkstoffes
freigesetzt, an Tag 5 nach Implantateinsetzung sind mehr als 90% des
Afamelanotids freigesetzt. Die Plasmaspiegel bleiben einige Tage konstant, wobei
die Plasmakonzentration ab Tag 10 in den meisten Studien unterhalb der
Quantifizierungsgrenze lag. (Minder 2010, Fachinformation Scenesse® 2016).
Die mit Scenesse® behandelten Patienten sollten unbedingt ihre routinemäßigen
Sonnenschutzmaßnahmen beibehalten. Bereits pigmentierte Hautareale können
durch Afamelanotid dunkler werden. Alle sechs Monate sollte die Haut am gesamten
Körper unter einer Afamelanotid-Therapie untersucht werden, um Pigmentläsionen
und Hautanomalien zu überwachen (Fachinformation Scenesse® 2016).
Afamelanotid als synthetisches Analogon des endogenen α-Melanozytenstimulierenden Hormons (α-MSH) ist kein neuer Arzneistoff, sondern schon seit den
1980er Jahren bekannt (Sawyer et al. 1980). Das Peptidhormon α-MSH zählt neben
β-MSH und -MSH zu den Melanotropinen (Melanozyten-stimulierende Hormone),
die die fünf Melanocortin-Rezeptoren aktivieren (MC1R bis MC5R). α-MSH bindet
nichtselektiv mit verschiedenen Affinitäten an die Rezeptoren MC1R, MC3R, MC4R
und MC5R (De Luca et al 1993). Für den fotoprotektiven Effekt und die
Auswirkungen auf die Pigmentierung ist die Aktivierung des MC1-Rezeptors durch αMSH verantwortlich. In den Keratinozyten der Haut wird α-MSH gebildet, es wirkt
parakrin als Agonist an MC1-Rezeptoren auf Melanozyten, was über verschiedene
Reaktionen ohne zusätzlich nötige UV-Strahlung zur Produktion des braunschwarzen, fotoprotektiven Hautpigments Eumelanin in der Epidermis führt. Melanin
in der Form des Eumelanins absorbiert und zerstreut UV- und sichtbares Licht, wirkt
dabei als Filter und wirkt als Radikalfänger für freie Radikale und reaktive
Sauerstoffspezies (Langendonk et al. 2015).
Die Primärstruktur des α-MSH ist in Abbildung 2 angegeben. α-MSH ist ein
Tridecapeptid. Das N-terminale Serin1 ist N-acetyliert, die Carboxyl-Gruppe des Cterminalen Valins13 liegt als Carbonsäureamid (Valinamid) vor. Ansonsten liegen nur
physiologische Aminosäuren mit klassischen Peptidbindungen vor, was den leichten
Angriff und Abbau durch Peptidasen und damit die sehr kurze Halbwertszeit des αMSH erklärt. Afamelanotid als synthetisches α-MSH-Analogon ist ebenfalls ein
Tridecapeptid mit demnach 13 Aminosäuren. Allerdings wurden zwei Aminosäuren
2
CA 29.2.2016
Pharmazeutische Chemie – Afamelanotid
des endogenen α-MSH ausgetauscht (s. Abbildung 1 und 2). Anstelle des Methionins
an Position 4 des α-MSH liegt beim Afamelanotid an Position ein
nichtphysiologisches L-Norleucin (Nle) vor. Das physiologische L-Phenylalanin an
Position 7 des α-MSH ist durch das nichtphysiologische D-Phenylalanin ersetzt.
Dementsprechend wird Afamelanotid in einer Kurzform auch als Nle 4-D-Phe7-α-MSH
bezeichnet.
Abbildung 2:
Vergleich der Primärstrukturen des endogenen α-MSH sowie seinen
synthetischen, metabolisch stabileren Analogons Afamelanotid
Afamelanotid ist wie das natürliche α-MSH ein Melanocortin-Rezeptor-Agonist.
Allerdings bindet Afamelanotid vorwiegend nur an den MC1-Rezeptor auf den
Melanozyten und besitzt eine längere Bindungsdauer als das natürliche α-MSH, was
u.a. darauf zurückgeführt werden kann, dass es im Plasma aufgrund seiner zwei
nichtphysiologischen Aminosäuren L-Norleucin und D-Phenylalanin langsamer durch
Peptidasen abgebaut wird und so eine längere Halbwertszeit besitzt (Halbwertszeit
etwa 30 Minuten) (Sawyer et al. 1980, Fabrikant et al. 2013, Fachinformation
Scenesse® 2016). Somit ist der Wirkmechanismus des Afamelanotids identisch zum
natürlichen α-MSH, was die Aktivierung des MC1-Rezeptors und die nachfolgende
von der Sonneneinstrahlung unabhängige Bildung des Eumelanins betrifft
(Langendonk et al. 2015, Minder Schneider-Yin 2015)
Literatur:
Besur, S. et al. Metabolites 2015, 4, 977
Casanova-Gonzalez, M.J. et al. World J Gastroenterol 2010, 16, 4526
De Luca, M. et al. J Cell Sci 1993, 105, 1079
Fabrikant, J. et al. J Drugs Dermatol 2013, 12, 775
Fachinformation Scenesse® 2016, Clinuvel (UK) Limited
Langendonk, J.G. et al. N Engl J Med 2015, 373, 48
Lecha, M. et al. Orphanet J Rare Dis 2009, 4, 19
Minder, E.I. Expert Opin Investug Drugs 2010, 19, 1591
Minder, E.I. und Schneider-Yin, X. Expert Rev Clin Pharmacol 2015, 8, 43
Sawyer, T.K. et al. Proc Natl Acad Sci USA 1980, 77, 5754
Ugwu, S.O. et al. Biopharm Drug Dispos 1997, 18, 259
3
CA 29.2.2016
Herunterladen