Skript der Vorlesung vom SS2012

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Theoretische Mechanik
David Heider
8. Mai 2013
Zusammenfassung
Dies ist eine Mitschrift zur Vorlesung Theoretische Mechanik, T1p, gehalten von
Dr. Michael Haack im SS 2012
Inhaltsverzeichnis
1 Grundprinzipien der Newtonschen Mechanik
1.1 Bezugssysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1.2 Newtons Axiome . . . . . . . . . . . . . . . . .
1.3 Dynamik eindimensionaler Bewegungen . . . .
1.3.1 Schwingungen . . . . . . . . . . . . . . .
1.3.2 Energie-Erhaltung . . . . . . . . . . . .
1.4 Dynamik dreidimensionaler Bewegungen . . . .
1.4.1 Energie-Erhaltung . . . . . . . . . . . .
1.4.2 Weitere Erhaltungssätze . . . . . . . . .
1.4.3 Systeme von Massenpunkten . . . . . .
1.4.4 Zwei-Körper-Problem . . . . . . . . . .
1.4.5 Keplersche Gesetze . . . . . . . . . . . .
1.5 Bezugssysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1.5.1 Inertialsysteme . . . . . . . . . . . . . .
1.5.2 Rotierende Bezugssysteme . . . . . . . .
1.6 Dynamik eines starren Körpers . . . . . . . . .
1.6.1 Drehung um feste Drehachse . . . . . .
1.6.2 Drehungen im Raum . . . . . . . . . . .
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32
35
39
46
49
49
50
54
55
63
2 Lagrange-Formalismus
68
2.1 Zwangsbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77
2.2 Noether-Theorem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89
3 Hamilton-Formalismus
99
3.1 Poisson-Klammer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104
4 Spezielle Relativitätstheorie
4.1 Zeitdilatation und Längenkontraktion
4.2 Lorentz-Transformationen . . . . . . .
4.3 Zwei Paradoxa . . . . . . . . . . . . .
4.4 Relativistische Dynamik . . . . . . . .
1
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Einordnung der Mechanik
in die Physik
Aufgabe der Mechanik: Die Mechanik beschäftigt sich allgemein mit dem
Verständnis und der Beschreibung materieller Körper unter dem Einfluss von
inneren und äußeren Kräften. Grundsätzlich hat die Mechanik, wenn man diese
‘Definition’ von Mechanik zugrunde legt, zwei wesentliche Aufgaben:
• Zum einen muss die Mechanik Gesetzmäßigkeiten bei der Beschreibung
von den oben angesprochenen Körper erkennen. Andererseits muss sie
aber auch in der Lage sein, Gestaltungsprinzipien von neuen (physikalischen) Theorien festzulegen. Insbesondere zählen hierzu die sogenannten
Erhaltungssätze.
• Die zweite Aufgabe der Mechanik liegt darin, die Bewegung von Körpern
unter dem Einfluß von Kräften vorherzusagen.
Newtonsche Mechanik: Die Newtonsche Mechanik ist alleine schon aus historischen Gründen der Startpunkt für die Entwicklung der Mechanik als Ganzes
gewesen. Deswegen erscheint es plausibel, diese historische Entwicklung mitzutragen und einen intuitiven, für einige weiterführende Fälle aber ungeeigneten Apparat einzuführen, anstatt gleich einen Zugang zur Mechanik vermittels Lagrange- und Hamilton-Formalismus zu suchen. Um aber vorab gleich die
Grenzen der Mechanik im Sinne Newtons aufzuzeigen seien die folgenden drei
Probleme aufgeführt:
• Spezielle Relativitätstheorie: Der 1905 von Albert Einstein (18791955) veröffentlichte Artikel - der Startpunkt der sogenannten speziellen
Relativitätstheorie (SRT) - zeigt zum ersten Mal in stringenter Form die
Grenzen der Newtonschen Mechanik auf und zeigt, dass die Newtonsche
Mechanik nicht für sehr schnell bewegte Objekte gilt (die sich mit Geschwindigkeiten nahe der Lichtgeschwindigkeit bewegen).
• Atomare Abstände: Experimentell hat sich herausgestellt, dass es auch
auf atomarer Ebene Vorgänge gibt, die sich nicht vermittels der klassischen, will heißen Newton’schen, Mechanik erklären lassen. Die Quantenmechanik schafft hier Abhilfe. Allerdings ist bereits das mathematische
Fundament der Quantenmechanik wesentlich vielschichtiger als das der
Newtonschen Mechanik, so dass eine ausführliche Darstellung der Quantenmechanik erst später erfolgen kann.
2
• Allgemeine Relativitätstheorie: 1915/1916 formulierte wiederum Albert Einstein die Allgemeine Relativitätstheorie (ART), die eine Verallgemeinerung der Newtonschen Gravitationstheorie darstellt. Wenn man es
mit sehr großen Massen- bzw. Energiedichten zu tun hat, ist das Newtonsche Gravitationsgesetz nicht ausreichend für eine akkurate Beschreibung
und man muß die Gesetze der ART heranziehen. Dies ist z.B. der Fall
bei der Beschreibung des frühen Universums oder des Endstadiums von
Sternen.
3
Kapitel 1
Grundprinzipien der
Newtonschen Mechanik
1.1
Bezugssysteme
Einführung: Diese Sektion soll die Verwendung und Bedeutung von Bezugssystemen insbesondere in der Mechanik deutlich machen. Hierzu wird gesondert auf Bezugssysteme in krummlinig-orthogonalen Koordinaten eingegangen.
Abschließend wird auch der Fall von zwei-dimensionalen Koordinatensystemen
(KS) diskutiert werden. Dies ist wichtig, wenn die Freiheitsgrade eines physikalischen Systems eine Reduktion auf ein zwei-dimensionales Problem erlauben.
Motivation von und Definition der Bezugssysteme in der
Physik
Motivation: Die zweite Hauptaufgabe der Mechnaik ist es, Bewegung von
Körpern unter dem Einfluss von Kräften in eine (möglichst) quantitative Form
zu gießen. Zu diesem Zwecke muss der Raum, in dem eine Bewegung stattfindet
dergestalt abstrahiert werden, dass eine sinnvolle Zeit- und Längenmessung1
möglich wird. Hierzu stellt die Mathematik den Begriff des Koordinatensystems
bereit. Wir stellen die Erläuterung dieses Begriffs zuerst einmal hinten an, und
wollen uns mit der Erläuterung eines Bezugssystems beschäftigen.
Bezugssysteme: Bezugssysteme sind als Systeme aufzufassen, relativ zu denen
sich ein Körper bewegt. Dabei muss das System als solches abstrahiert werden.
Dies gelingt, indem man Bezugssysteme als Koordinatensysteme auffasst, in denen die Orte und Zeiten von Ereignissen beschrieben werden können.
Erläuterung: Der Begriff Ereignis bedarf einer kurzen Erläuterung. Als Ereignis ist hierbei bereits aufzufassen, dass sich der Körper bereits in seiner Position
in der Zeit, gegebenenfalls auch in seiner Position im Ort verändert hat. Symbolisch kann man also ein Bezugssystem wie folgt darstellen: (s. Abb. 1.1.)
1 ...gegebenenfalls auch die Messung anderer für den Sachverhalt relevanter physikalischer
Größen...
4
Abbildung 1.1: Schematische Darstellung eines Bezugssystem.
Merksatz: Bewegungen hängen immer vom Bezugssystem ab!
Bemerkung: Man kann Bezugssysteme natürlich zuerst beliebig wählen. Allerdings sollte man tunlichst Wert darauf legen, ein für das Problem angemessenes
Bezugssystem zu wählen. Dies schließt insbesondere die richtige Wahl von Zeit
und Länge mit ein.
Zeitmessung: Grundsätzlich ist zur Zeitmessung, das heißt zur Festsetzung
einer Zeiteinheit, ein jeder Vorgang geeignet, der zeitlich periodisch verläuft.
Ein naheliegendes Beispiel hierfür wäre ein Pendel, das keinerlei Energieverlusten unterworfen ist. Heutzutage allerdings benötigt man präzisere Angaben.
Aus diesem Grund verwendet man für die Definition der Einheit 1s atomare
Vorgänge:
Eine Sekunde ist das 9.192.631.770-fache der Periodendauer der dem Übergang
zwischen den beiden Hyperfeinstrukturniveaus des Grundzustandes von Atomen
des Nuklids 133Cs entsprechenden Strahlung.2
Längenmessung: Die Messung von Längen ist genauso wie die Zeitmessung
zuerst einmal eine Frage der zugrundeliegenden Basisgröße. Es hat sich hier
der Meter (1m) etabliert. Ursprünglich war das Ur-Meter ein metallener Stab,
der in Paris gelagert wurde. Mit der zunehmenden Popularität der Speziellen
Relativitätstheorie gelangte man zu einer neuen Definition des Meters. Dies
liegt daran, dass eines der - bisher noch nicht in seiner Gültigkeit widerlegten - Postulate der Speziellen Relativitätstheorie die Konstanz der (Vakuum)Lichtgeschwindigkeit annimmt. Bislang hat diese Annahme allen experimentellen Prüfungen Stand gehalten. Da man aber nun die Vakuum-Lichtgeschwindig2 Entnommen aus: Bureau International des Poids et Mesures (Hrsg.): The International
System of Units (SI).
5
Abbildung 1.2: Kartesische Koordinaten.
keit sehr genau messen kann3 , kommt man durch die Relation,
∆l
,
(1.1)
∆t
durch Einsetzen des Wertes von c anstelle von v und durch Einsetzen von 1s
für ∆t und durch Umformung nach ∆l zu folgendem Ergebnis:
v=
1m ist die Strecke, die das Licht im Vakuum in (299792458)−1 s zurücklegt.4
Für den physikalischen Alltag allerdings ist eine Kenntnis der genauen Definiton irrelevant, denn es genügt, sicher mit den Größen umgehen zu können.
Bemerkung: Bislang haben wir uns mit der Frage nach Längen- und Zeitmessung beschäftigt. In den nächsten Unter-Sektionen wollen wir verschiedene,
bereits bekannte Koordinatensysteme vorstellen, die sich für die Bearbeitung
von physikalischen Problemen als sinnvoll etabliert haben.
Kartesische Koordinaten
Historie: Der Begriff kartesisches Koordinatensystem, der noch aus der Schule
bekannt sein sollte, geht zurück auf den französischen gelehrte Descartes (15961650). Es handelt sich hierbei um das verbreitetste Koordinatensystem. Dies
liegt daran, dass sich viele geometrische Sachverhalte sehr intuitiv in kartesischen Koordinaten ausdrücken lassen. Für eine schematische Darstellung des
kartesischen Koordinatensystems siehe Abb. 1.2.
Wichtige Eigenschaften: Die Bahnkurve eines Massenpunktes ist in kartesischen Koordinaten gegeben durch:
~r(t) = x1~ex1 + x2~ex2 + x3~ex3 ,
3 Der
299792458 m
.
s
(1.2)
Wert beträgt: c =
aus: Bureau International des Poids et Mesures (Hrsg.): The International
System of Units (SI).
4 Entnommen
6
Abbildung 1.3: Kugelkoordinaten.
wobei R 3 xi = xi (t), i = 1, 2, 3.
Einschub: Wir müssen noch den Begriff des Massenpunktes einführen, bevor
wir ihn verwenden dürfen. Ein Massenpunkt ist ein Körper, für dessen Bewegung
nur sein Ort, nicht aber seine Ausdehnung, relevant ist. Beispiele für Massenpunkte sind Elektronen in der Elektronenhülle und Planeten auf der Umlaufbahn um die Sonne.
Es seien noch zwei für spätere Zwecke wichtige Größen in kartesischen Koordinaten genannt:
• Wegelement:
d~r = dx1~ex1 + dx2~ex2 + dx3~ex3 .
(1.3)
dV = dx1 dx2 dx3 .
(1.4)
• Volumenelement:
Kugelkoordinaten
Motivation: Für viele Phänomene muss man nur die Entfernung eines Punktes
vom Bezugspunkt berücksichtigen, nicht aber, in welchem Winkel der Ortsvektor des Punktes bezüglich der Koordinatenachsen liegt. Man spricht dann von
sogenannter Radial- oder Kugelsymmetrie. In kugelsymmetrischen Situationen
bietet sich die die Verwendung von Kugelkoordinaten an. Eine Darstellung der
Kugel-Koordinaten findet man in Abb. 1.3.
Man nennt den Winkel θ Polarwinkel und den Winkel φ Azimutwinkel. Der
7
Radius r ist gegeben durch den Satz von Pythagoras:
v
u 3
uX
r=t
x2i
(1.5)
i=1
Die Koordinatentransformation von Kartesischen Koordinaten in Kugelkoordinaten ist gegeben durch:

 

x1
r sin θ cos φ
 x2  =  r sin θ sin φ  .
(1.6)
x3
r cos θ
Es seien noch zwei weitere wichtige Größen angeführt:
• Wegelement:
d~r = dr~er + rdθ~eθ + r sin θdφ~eφ .
(1.7)
dV = r2 sin θdrdθdφ.
(1.8)
• Volumenelement:
Bemerkung: Im Gegensatz zu den kartesischen Koordinaten ist die Parametrisierung einer Bahnkurve in Kugelkoordinaten (formal) einfacher:
~r(t) = r(t)~er (t).
(1.9)
Man beachte, dass im Allgemeinen der Einheitsvektor ~er nicht zeitlich konstant
ist, sondern sich zeitlich verändern kann. Dies wurde in der Notation explizit
deutlich gemacht.
Zylinderkoordinaten
Motivation: Eine andere Symmetrie im dreidimensionalen Raum ist die sogenannte Axialsymmetrie. Darunter versteht man die Rotationsinvarianz eines
Problems bezüglich einer räumlich und zeitlich fixierten Achse. Für solche Probleme ist es sinnvoll, Zylinderkoordinaten einzuführen. Schematisch lassen sich
diese wie in Abb. 1.4 dargestellt verbildlichen.
Man bezeichnet den Winkel φ wie bei den Kugelkoordinaten als Polarwinkel.
Der Radius ρ ist hierbei der Radius der Projektion des Vektors ~r auf die x − yEbene, berechnet sich also nach dem Satz von Pythagoras in zwei Dimensionen
zu:
p
(1.10)
ρ = x2 + y 2 .
Wichtige Größen: Es seien zwei wichtige Größen der Zylinderkoordinaten
aufgeführt:
• Wegelement:
d~r = dρ~eρ (t) + ρdφ~eφ (t) + dz~ez .
(1.11)
Man beachte hierbei, dass der Einheitsvektor ~ez nicht von der Zeit abhängt,
sondern zeitlich konstant bleibt. Dies ist nicht der Fall für die beiden Einheitsvektoren ~eρ , ~eφ . Deswegen wurde auch in der Notation die Zeitabhängigkeit explizit deutlich gemacht.
8
Abbildung 1.4: Zylinderkoordinaten
• Volumenelement:
dV = ρdρdφdz.
(1.12)
Bemerkung: Die Bahnkurve eines Teilchens in Zylinderkoordinaten lässt sich
formal wie folgt schreiben:
~r(t) = ρ(t)~eρ (t) + z(t)~ez .
(1.13)
Man beachte wieder die Zeitabhängigkeiten!
Zwei-Dimensionale Koordinatensysteme
Motivation: Es können Fragestellungen dergestalt gestellt sein, dass sie eine
Reduktion von drei räumlichen Koordinaten (Freiheitsgraden) auf zwei räumliche
Koordinaten (Freiheitsgrade) erlauben. In diesem Fall führt man ein planares
Koordinatensystem ein. Im Folgenden sollen die zwei wichtigsten Koordinatensysteme für physikalische Berechnungen kurz vorgestellt werden.
• Kartesische Koordinaten: Die Standardkoordinaten im zweidimensionalen sind die kartesischen Koordinaten. Die Definition der kartesischen
Koordinaten in zwei Dimensionen ist komplett analog zu der in drei Dimensionen. Eine schematische Darstellung findet man in Abbildung 1.5.
• Polarkoordinaten: Die Polarkoordinaten sind das zweidimensionale Äquivalent zu Kugelkoordinaten und können aus Zylinderkoordinaten durch
Weglassen der z-Koordinate erhalten werden. Eine schematische Darstellung findet man ebenfalls in Abbildung 1.5.
9
Abbildung 1.5: Schematische Darstellung von Kartesischen und Polarkoordinaten in zwei Dimensionen.
1.2
Newtons Axiome
Das erste Axiom
Newtons 1. Axiom: Es gibt Bezugssysteme, in denen die kräftefreie Bewegung
durch eine konstante Geschwindigkeit charakterisiert ist.
⇔
d2~r ~ ¨
= 0 ≡ ~r.
dt2
(1.14)
Bemerkung: Man bezeichnet Bezugssysteme im Sinne von Newtons erstem
Axiom als Inertialsysteme. Als Warnung sei aber angemerkt, dass es durchaus
Bezugssysteme gibt, in denen eine kräftefreie Bewegung nicht durch eine konstante Geschwindigkeit gekennzeichnet ist. Beispielsweise wird bei der Transformation einer in einem kartesischen Bezugssystem kräftefrei verlaufenden Bewegung mit konstanter Geschwindigkeit in ein Bezugssystem, das selbst relativ
zum ersten Bezugssystem beschleunigt ist, die Geschwindigkeit zeitlich nicht
konstant sein (s. später).
Experimentell: Experimentell sind Inertialsysteme Bezugssysteme, die gegenüber dem Fixsternhimmel ruhen, oder sich mit konstanter Geschwindigkeit
(relativ zum Fixsternhimmel) bewegen. Dies führt aber automatisch zu dem
Problem, dass auf der Erde an sich, gar kein Inertialsystem existieren kann,
da die Erde z.B. eine Rotationsbewegung um die eigene Achse vollführt. Allerdings kann in guter Näherung ein Labor auf der Erde bei hinreichend kleiner
Experimentendauer als Inertialsystem angesehen werden.
Das zweite Axiom
Newtons 2. Axiom: In einem Inertialsystem gilt:
d~
p
= F~ ,
dt
wobei p~ := m~v der Impuls ist und m die träge Masse des Körpers.
10
(1.15)
Warnung: Obwohl experimentell nachgewiesen wurde, dass die träge Masse
eines Körpers und die schwere Masse eines Körpers zusammenfallen, muss man
a priori zwischen den beiden Begriffen eine strikte Unterscheidung treffen. Die
träge Masse ist ein Maß dafür, wie sehr der Körper einer Bewegungsänderung
entgegenwirkt (s. Newtons 2. Axiom). Die schwere Masse hingegen taucht im
Newtonschen Gravitationsgesetz, das wir weiter unten behandeln wollen, auf
und ist ein Maß für die Stärke der Gravitationskraft, die ein Objekt auf ein
anderes Objekt in einem festen Abstand ausübt.
Bemerkung: Betrachte den Spezialfall m = const.. Dann gilt:
p~ = m~v
= m~r˙
d ˙
m~r
⇒ p~˙ =
dt
dm ˙
=
~r + m~r¨
dt
= 0 + m~r¨
= m~r¨
N ewton2
=
F~ .
(1.16)
(1.17)
(1.18)
(1.19)
(1.20)
(1.21)
(1.22)
Die letzten beiden Zeilen drücken eine spezielle Formulierung des zweiten Newtonschen Axioms aus:
m~r¨ = F~ .
(1.23)
Es sei angemerkt, dass das Bezugssystem als Inertialsystem vorausgesetzt ist
und ferner, dass tatsächlich m = const. gelten muss.
Ausblick: Wir werden im Verlauf des Texts noch auf so genannte Scheinkräfte
zu sprechen kommen. Dies sind Kräfte, die an sich keine physikalischen Kräfte
sind, da sie sich nicht in einem Inertialsystem nachweisen lassen, aber andererseits in Nicht-Inertialsystemen auf Objekte zu wirken scheinen. Das prominenteste Beispiel ist die sogenannte Coriolis-Kraft, die auch auf der Erde zu spüren
ist. Sie bewirkt unter anderem, dass sich Zyklone auf der Nordhalbkugel der
Erde gegen den Uhrzeigersinn drehen, auf der Südhalbkugel hingegen im Uhrzeigersinn. Ein weiteres wichtiges Beispiel ist die sogenannte Zentrifugalkraft,
auf die wir ebenfalls später detailliert eingehen werden.
Gegenbeispiel: Wir wollen bereits hier ein Beispiel für Scheinkräfte behandeln. Man betrachte die Abbildung 1.6. Dargestellt ist ein Inertialsystem IS, und
ein gegenüber IS linear beschleunigtes Bezugssystem BS. Der (zeitabhängige)
Abstand der beiden Koordinaten-Ursprünge sei gegeben durch den Vektor d~ =
~
d(t).
Da nach Voraussetzung eine lineare Beschelunigung vorliegen soll, machen
wir den Ansatz;
~
~ = b1 t2 + ~b2 t + ~b3 ,
d(t)
2
11
(1.24)
Abbildung 1.6: Ein Inertialsystem (IS) und ein linear dazu beschleunigtes Bezugssystem (BS).
wobei ~bi , i = 1, 2, 3 konstante Vektoren sein sollen. Durch zweimaliges Ableiten
~ erhalten wir,
von d(t)
~¨ = ~b1 = const.,
~
d(t)
(1.25)
wie gefordert war (lineare Beschleunigung). Ein Körper habe nun im Inertialsystem IS eine Bahnkurve ~r = ~r(t). Im Bezugssystem BS hingegen, sei die
Bahnkurve des Körpers gegeben durch r~0 (t). Aus Abbildung 1.6 wird die Beziehung zwischen ~r, r~0 ersichtlich. In der Tat gilt:
~
~r(t) = r~0 (t) + d(t),
(1.26)
gemäß der Addition von Vektoren. Es wird nun das zweite Newtonsche Axiom angewendet. Für den Körper im Inertialsystem IS gilt nach dem zweiten
Newtonschen Axiom:
m~r¨(t) = F~ (t).
(1.27)
Vermittels der Relation (1.26) erhalten wir im Bezugssystem BS (!!!) die folgende
Relation:
¨
mr~0 = F~ − m~b1 .
(1.28)
Dies ist aber keine Kraft im Sinne des 2. Axioms von Newton!
Das dritte Axiom
Newtons 3. Axiom: Der Kraft, mit der die Umgebung auf einen Massenpunkt
wirkt, entspricht eine betragsmäßig gleich große Kraft, die aber entgegengesetzt
gerichtet ist, und mit der der Massenpunkt auf die Umgebung zurückwirkt.
⇔ F~actio = F~reactio .
(1.29)
Bemerkung: Das dritte Newtonsche Axiom ist gemeinhin auch als das Gesetz
von ’Aktio = Reaktio’ bekannt. Es drückt ein gewisses ’Symmetrieprinzip’ bei
12
der Betrachtung von Kräften aus und motiviert auf diese Weise auch den Begriff
’Wechselwirkung’.
Beispiel: Wir wollen den Spezialfall von zwei miteinander wechselwirkenden
Massenpunkten betrachten. Dazu bezeichne F~ij die Kraft, die der Massenpunkt
j auf den Massenpunkt i ausübt, wobei i, j = 1, 2. Dann gilt nach dem dritten
Newtonschen Axiom also:
F~12 = −F~21 .
(1.30)
Beispiel: Wir wollen das Newtonsche Gravitationsgesetz betrachten. Für einen
Körper 1, auf den durch den Körper 2 eine Kraft ausgeübt wird, berechnet sich
eben diese Kraft zu:
~r2 − ~r1
~
F~12 = Gm1 m2
3 = −F21 .
|~r2 − ~r1 |
(1.31)
Hierbei bezeichnen m1 , m2 die schweren Massen der beiden Körper 1 und 2,
und ~r1 , ~r2 seien die Positionsvektoren der beiden Körper. Die Größe G ist die
sogenannte universelle Gravitationskonstante, deren Wert sich experimentell zu
G = 6.67 · 10−11
m3
kg · s2
(1.32)
bestimmen ließ.
Experimentell: Durch die experimentelle Prüfung des Newtonschen Gravitationsgesetzes hat sich gezeigt, dass die schwere Masse eines Körpers äquivalent zur
trägen Masse des Körpers ist. Dies rechtfertigt, dass wir im folgenden zumeist
nur von der Masse eines Körpers sprechen werden.
Kommentare zu den Axiomen und Beispiele für Kräfte aus
der Physik
Zusätzliche Annahmen: Die drei Newtonschen Axiome sind noch nicht ausreichend für Newtons mechanisches Weltbild gewesen. Er traf die folgenden
zusätzlichen Annahmen:
• 1. Annahme: Kräfte zwischen zwei Massenpunkten wirken entlang der
Verbindungslinie der beiden Punkte, d.h.
(~r1 − ~r2 ) × F~ = 0.
• 2. Annahme: Es gilt das Superpositionsprinzip:
X
F~ges =
F~i ,
(1.33)
(1.34)
i
d.h. dass sich Kräfte wie Vektoren addieren!
• 3. Annahme: Es gibt eine für alle Bezugssysteme universelle Zeit.
• 4. Annahme: Der räumliche Abstand von zwei zeitgleichen Ereignissen
ist unabhängig vom Bezugssystem.
13
Bemerkung: Es hat sich im Zuge der Entwicklung der Elektrodynamik herausgestellt, dass Newtons weitere Annahmen nicht ganz richtig sind. Weil historisch
gesehen Newton als unangefochten und unanfechtbar galt, suchte man den Fehler zuerst in den Maxwell-Gleichungen aus der Elektrodynamik.
• SRT: Die spezielle Relativitätstheorie hat gezeigt, dass das zweite Newtonsche Axiom nicht mehr für sehr große Geschwindigkeiten gilt. Ferner
sind auch die 3. und 4. Annahme nur für kleine Geschwindigkeiten gültig,
wie die spezielle Relativitätstheorie vermittels Lorentz-Transformationen
zeigen kann.
• E-Dynamik: Auch die Elektrodynamik liefert ein Beispiel dafür, dass die
Annahme 1 nicht für alle Kräfte gültig ist. Da die Elektro-Dynamik nicht
Gegenstand des vorliegenden Textes ist, sei schlicht das Wort LorentzKraft genannt, und auf das Buch Elektrodynamik von Griffiths (Kapitel
8.2.1.) verwiesen.
Kräfte: Bislang blieb unsere Darstellung von Kräften noch relativ abstrakt,
so dass wir nun einige konkrete Beispiele von wichtigen Kräften in der Physik
einerseits, und von für diese Vorlesung wichtigen Kräften andererseits anführen
wollen. Die fundamentalen Kräfte, die man in der Physik kennt, sind:
• Gravitation: Die Gravitationskraft stellt eine der vier fundamentalen
Kräfte in der Physik dar. Fundamentale Kräfte sind - grob gesprochen
- Kräfte, aus denen sich theoretisch gesehen alle anderen auftretenden
Kräfte herleiten lassen (mit einigem Aufwand). Die moderne Physik kennt
vier fundamentale Kräfte.
• Elektromagnetische Kraft: Mit der Vereinigung von Elektrizitätstheorie
und Magnetismus war eine der ersten großen Vereinheitlichungstheorien
geschaffen. Die zugrundeliegende Kraft ist, gemäß dem Superpositionsprinzip, die Summe aus elektrischer und Lorentz-Kraft. Genauer gilt:
~ r, t) + q~r˙ × B(~
~ r, t).
F~el (~r, ~r˙, t) = q E(~
(1.35)
• Starke Wechselwirkung: Die Starke Wechselwirkung ist für den inneren
Zusammenhalt von Protonen und Neutronen verantwortlich. Dazu werden
sogenannte Farbladungen von Quarks postuliert (die sich aus sehr fortgeschrittenen Gleichungen ergeben), die von ’Klebeteilchen’, sogenannten
Gluonen, zusammengehalten werden.
• Schwache Wechselwirkung: Die Schwache Wechselwirkung ist die vierte fundamentale Wechselwirkung. Sie spielt unter anderem beim radioaktiven Zerfall eine Rolle. Dabei werden sogenannte W- und Z-Bosonen als
Vermittler-Teilchen angesehen. Auch hier gilt, dass die mathematische Beschreibung äußerst kompliziert ist, so dass wir an dieser Stelle nicht näher
auf die schwache Wechselwirkung eingehen wollen.
Es seien nun noch ein paar für diese Vorlesung interessante Kräfte aufgeführt.
Alle diese Kräfte bezeichnet man als effektive Kräfte. Sie lassen sich im Prinzip
mit viel Mühe aus den vier fundamentalen Kräften ableiten.
14
• harmonische Federkraft: Als harmonische Federkraft wird die Rückstellkraft bezeichnet, die bei Auslenkung eines harmonischen Oszillators
wirkt. Sie nimmt die Form
F~ = −k~x, k > 0
(1.36)
an. Man bezeichnet k als Federkonstante.
• Reibungskräfte: Reibungskräfte umgeben uns in der Realität immer.
Es seien zwei wichtige Reibungskräfte im Folgenden aufgeführt. Erstens
werden Schwingungen gedämpft. Die dazugehörige Reibungskraft nimmt
die Form
F~r = −α~r˙, α > 0,
(1.37)
an. Sie ist ein Beispiel für eine lineare Reibungskraft. Diese Form der Reibungskraft gilt auch bei Bewegungen in viskosen (=zähen) Flüssigkeiten.
Als zweites Beispiel sei der Luftwiderstand angeführt, dessen Reibungskraft nicht linear in ~r˙ ist, sondern (in einer Dimension) die folgende Form
aufweist:
Fr (ẋ) = −ρ|ẋ|ẋ, ρ > 0.
(1.38)
• Aufgeprägte Kraft: Man kann einen harmonischen Oszillator auch von
außen (periodisch) antreiben. Dabei übt man eine Kraft aus, die man
als aufgeprägt bezeichnet. Für den oben genannten periodischen Vorgang
könnte die Kraft im Falle des eindimensionalen harmonischen Oszillators
z.B. die folgende Form annehmen:
F (t) = F0 · sin(Ωt).
(1.39)
Hinweis: Allgemein werden wir in diesem Text nur solche Kräfte betrachten,
die von ~r, ~r˙, t abhängen!
Schwingungsgleichung: Die Gleichung für den eindimensionalen harmonischen Oszillator nimmt die folgende, allgemeine Form an:
mẍ = −kx − αẋ − F0 sin(Ωt).
1.3
(1.40)
Dynamik eindimensionaler Bewegungen
In diesem Abschnitt wollen wir die Dynamik eindimensionaler Bewegungen untersuchen.
1.3.1
Schwingungen
Freie ungedämpfte Schwingung
Motivation: Betrachte die Abbildung 1.7 Dargestellt ist eine Massekörper, den
wir als Punktmasse idealisieren wollen, der von zwei Federn in der horizontalen gehalten wird. Die Federkraft kann als lineare Kraft angenommen werden.
15
Abbildung 1.7: Zur freien ungedämpften Bewegung
Dies ist der Inhalt des sogenannten Hooke’schen Gesetzes. Nach dem zweiten
Newtonschen Axiom lässt sich die Bewegungsgleichung für die Punktmasse also
schreiben als:
mẍ = −kx, k > 0.
(1.41)
Man nennt k die Federkonstante. Durch Umformen der vorangehenden Gleichung erhalten wir:
ẍ + ω 2 x = 0,
(1.42)
k
≡ ω2 .
m
(1.43)
wobei gesetzt wurde:
Die allgemeine Lösung dieser Differentialgleichung ist gegeben durch:
x(t) = C1 cos(ωt) + C2 sin(ωt), C1 , C2 ∈ R.
(1.44)
Die beiden Konstanten C1 , C2 sind aus den Anfangsbedingungen wie folgt zu
bestimmen: Sei der Ort des Massekörpers zum Zeitpunkt t = 0, x(0), vorgegeben. Ferner sei die Anfangsgeschwindigkeit ẋ(t = 0) = ẋ(0) des Massepunkts
bekannt. Dann muss die oben genannte Lösung der Differentialgleichung dem
folgenden linearen Gleichungssystem genügen:
x(0) = C1
(1.45)
ẋ(0) = −ωC1 sin(ω0) + ωC2 cos(ω0) = ωC2
(1.46)
Hieraus folgt, dass für die genannten Anfangsbedingungen die Lösung der Bewegungsgleichung für eine freie ungedämpfte Schwingung die folgende Form
annimmt:
x(t) = x(0) cos(ωt) +
ẋ(0)
sin(ωt).
ω
(1.47)
Bemerkung: Man zeigt in der Theorie der gewöhnlichen Differentialgleichungen, dass eine homogene lineare Differentialgleichung der Ordnung n genau n
frei wählbare Integrationskonstanten C1 , ..., Cn enthält.
16
Physik: In der Physik nennt man eine Lösung der Differentialgleichung (1.42)
eine harmonische Schwingung. Ihre Frequenz f ist gegeben durch:
ω
f=
.
(1.48)
2π
ω wird meistens als Kreisfrequenz bezeichnet.
Amplitude: Aus der experimentellen Mechanik ist bekannt, dass jede Schwingung auch eine Amplitude A besitzt, d.h. sich in der Form
x(t) = A sin(ωt + φ)
(1.49)
schreiben lässt. Wir wollen im folgenden den Wert der Phasenverschiebung φ
und der Amplitude A bestimmen. Dies soll in einer Weise geschehen, dass die
Lösungen (1.44) und (1.49) der Differentialgleichung (1.42) äquivalent zueinander sind. Indem wir das Additionstheorem für den Sinus bemühen,
sin(α + β) = sin(α) cos(β) + sin(β) cos(α),
(1.50)
erhalten wir das folgende Gleichungssystem:
x(0) = A sin(φ)
(1.51)
ẋ(0)
= A cos(φ)
ω
(1.52)
Unter Anwendung des trigonometrischen Satzes von Pythagoras,
sin2 x + cos2 x = 1,
erhalten wir zunächst für die Amplitude A:
s
2
ẋ(0)
2
A = x(0) +
.
ω
(1.53)
(1.54)
Unter Benutzung der Definition des Tangens als Quotient aus Sinus und Cosinus
erhalten wir ferner für die Phasenverschiebung φ:
x(0)
φ = arctan ω
.
(1.55)
ẋ(0)
Beispiel: Wir wollen nun ein nicht-mechanisches Beispiel behandeln, welches
auch auf eine Schwingungsgleichung, d.h. eine Differentialgleichung der Form
(1.42), führt. Betrachte die Abbildung 1.8. Dargestellt ist ein sogenannter Schwingkreis. Dieser besteht aus einem Plattenkondensator (unten) und einer Spule
(oben). Der Strom, der im Schwingkreis fließt genügt der Differentialgleichung:
LI¨ + C −1 I = 0.
(1.56)
Hierbei ist L die sogenannte Selbstinduktivität der Spule und C die Kapazität
des Plattenkondensators. I bezeichnet den Strom. Es gilt:
U = −L
C=
Q
.
U
17
dI
dt
(1.57)
(1.58)
Abbildung 1.8: Schwingkreis
Die erste der beiden Gleichungen von oben ist die Lenzsche Regel. Durch Vergleich der Gleichung (1.56) mit der Schwingungsgleichung (1.42) stellen wir fest,
dass für die Kreisfrequenz gilt:
ω2 =
1
.
LC
(1.59)
Bemerkung: Mathematisch genauso zu handhaben wie die Gleichung (1.42)
ist die folgende Differentialgleichung:
ẍ − ω 2 x = 0.
(1.60)
x(t) = eλt ,
(1.61)
Durch Annahme der Lösung als
was man als Exponentialansatz bezeichnet, findet man die Lösung der Differentialgleichung (1.60) zu:
x(t) = C1 eωt + C2 e−ωt
= C˜1 cosh(ωt) + C˜2 sinh(ωt).
(1.62)
(1.63)
Dabei bedeutet cosh(...) den Cosinus Hyperbolicus und sinh(...) den Sinus Hyperbolicus. Diese beiden, sogenannten hyperbolischen Funktionen, sind wie folgt
über die Exponentialfunktion definiert:
cosh(ωt) =
eωt + e−ωt
,
2
(1.64)
sinh(ωt) =
eωt − e−ωt
.
2
(1.65)
Freie gedämpfte Schwingung
Bewegungsgleichung: Man spricht von einer freien, gedämpften Schwingung,
wenn die das System beschreibende Schwingungsgleichung die folgende Form
18
annimmt:
mẍ + αẋ + mω 2 x = 0; α ∈ R+ .
(1.66)
Es handelt sich hierbei um eine homogene lineare Differentialgleichung zweiter
Ordnung in einer Veränderlichen. Homogen bedeutet, dass die Funktion x(t) = 0
die Differentialgleichung löst.
Lösung: Um die Differentialgleichung (1.66) zu lösen, machen wir den folgenden
Ansatz (Exponentialansatz ):
x(t) = eλt , λ ∈ C
(1.67)
λt
(1.68)
2 λt
(1.69)
⇒ ẋ(t) = λe
⇒ ẍ(t) = λ e .
Dies setzen wir in (1.66) ein und erhalten:
(λ2 +
α
λ + ω 2 )eλt = 0.
m
(1.70)
Da die Exponentialfunktion nirgends verschwindet, muss also der erste Faktor
(der polynomiale Ausdruck, der λ involviert) identisch verschwinden:
λ2 +
α
λ + ω 2 = 0.
m
(1.71)
Dies stellt aber eine quadratische Gleichung für λ dar. Durch Anwendung der
p-q-Formel erhält man:
√
α
α2 − 4m2 ω 2
λ+ = −
+
,
(1.72)
2m √
2m
α2 − 4m2 ω 2
α
−
.
(1.73)
λ− = −
2m
2m
Da nach Annahme λ ∈ C, müssen wir drei Fälle untersuchen:
• Kriechfall: Falls gilt,
α > 2m · ω,
(1.74)
spricht man von einem Kriechfall. Aus (1.72) und (1.73) erkennen wir,
dass in diesem Fall R 3 λ+ , λ− < 0 für beide λ’s gilt. Demzufolge nimmt
die Lösung (man beachte, dass wir den Exponentialansatz gewählt haben),
die folgende Form an:
x(t) = C+ eλ+ t + C− eλ− t .
(1.75)
In Abbildung 1.9 ist die Lösung grafisch dargestellt.
• aperiodischer Grenzfall: Falls gilt
α = 2mω,
19
(1.76)
Abbildung 1.9: Grafische Darstellung der Lösung für den Kriechfall.
so spricht man vom aperiodischen Grenzfall. Tatsächlich gilt, siehe (1.72)
und (1.73), dass
λ+ = λ− = −
α
= −ω =: λ.
2m
(1.77)
Es ist allerdings ein bekanntes Resultat aus der Theorie gewöhnlicher Differentialgleichungen, dass eine (lineare) gewöhnliche Differentialgleichung
zweiter Ordnung zwei linear unabhängige Lösungen erlaubt, deren Linearkombination die Gesamtheit aller Lösungen der DGL repräsentiert. Da
eine Lösung der DGL gegeben ist durch,
x = Ceλt ,
(1.78)
benutzt man eine Technik, die man Variation der Konstanten nennt. Dabei setzt man formal C = C(t) und bestimmt die Funktion C(t) durch
Einsetzen in die Differentialgleichung.
x = C(t)eλt .
(1.79)
Setzt man dies in die DGL (1.66) ein, so sieht man, dass man eine Lösung
bekommt, falls C̈ = 0, d.h.
C(t) = C2 t + C1 ; C1 , C2 ∈ R.
(1.80)
Demzufolge lässt sich die Lösung der DGL schreiben als:
x(t) = (C2 t + C1 )eλt .
(1.81)
Die Abbildungen 1.10 und 1.11 stellen grafisch die Lösung für ausgewählte
ω, C1 , C2 dar.
20
Abbildung 1.10: Lösung im aperiodischen Grenzfall für C1 = C2 = 1 und ω = 1.
Abbildung 1.11: Lösung im aperiodischen Grenzfall für C1 = 1, C2 = 10 und
ω = 1.
21
• Schwingungsfall: Falls gilt
α < 2mω,
(1.82)
so ist,
=:ω̃
zp
}|
{
(2mω)2 − α
α
λ± = −
±i
∈ C.
2m
2m
(1.83)
Dann gilt ferner, unter Benutzung der Tatsache, dass wir den Exponentialansatz zur Lösung der DGL (1.66) verwendet haben,
α
eλ± = e− 2m t e±iω̃t
=e
α
− 2m
t
(cos(ω̃t) ± i sin(ω̃t)).
(1.84)
(1.85)
Wir haben also zwei komplexe Lösungen! Wir sind aber aus physikalischen
Gründen nur an reellen Lösungen interessiert sind. Diese erhalten wir,
wenn wir jeweils den Real- bzw. Imaginärteil der komplexen Lösungen
nehmen. Diese stellen ebenfalls Lösungen dar, weil die Koeffizienten in
der DGL (1.66) reell sind. A priori gibt uns dies vier Funktionen, aber
nur zwei davon sind linear unabhänging. Folglich ist die allgemeine reelle
Lösung der DGL im Schwingungsfall gegeben durch:
α
x(t) = e− 2m t (C1 cos(ω̃t) + C2 sin(ω̃t)) .
(1.86)
Die Lösung der DGL (1.66) im Schwingungsfall ist in Abbildung 1.12
verbildlicht.
Bemerkung: Ein typisches nicht-mechanisches Beispiel für eine (gedämpfte)
Schwingung ist der elektrische Schwingkreis. Dieser wird durch die Differentialgleichung,
LI¨ + RI˙ + C −1 I = 0,
(1.87)
modelliert. Dabei ist R der Widerstand, der definiert ist als:
R=
U
.
I
(1.88)
Erwungene Schwingung
Bewegungsgleichung: Wirkt man auf ein gedämpft schwingfähiges System
von außen mit einer (periodischen) Kraft, so wird das komplette System durch
die folgende Differentialgleichung modelliert:
mẍ + αẋ + mω 2 x = F0 sin(Ωt).
(1.89)
Man spricht in diesem Fall von einer inhomogenen linearen Differentialgleichung
zweiter Ordnung. Inhomogen bedeutet, dass die Funktion x(t) = 0 keine Lösung
der Differentialgleichung (1.89) ist. Aus der Theorie gewöhnlicher Differentialgleichungen ist bekannt, dass die allgemeine Lösung des inhomogenen Problems
(1.89) gegeben ist durch:
xallg. (t) = xhom (t) + xinh (t),
22
(1.90)
Abbildung 1.12: Lösung der Schwingungsgleichungen für einen freien,
gedämpften harmonischen Oszillator im Schwingungsfall (Gestrichelt:
Einhüllende der exponentiell abklingenden Schwingung).
23
Abbildung 1.13: Resonanzkurve.
wobei xhom (t) die Lösung des inhomogenen Problems und xinh (t) eine Lösung
des inhomogenen Problems darstellt. Beispielsweise gilt für α > 0, ω 6= Ω:
xinh (t) = F0
m(ω 2 − Ω2 ) sin(Ωt) − αΩ cos(Ωt)
.
α2 Ω2 + m2 (ω 2 − Ω2 )2
(1.91)
Für t → ∞ ist die Lösung des homogenen Problems (1.86) schon weitestgehend
abgeklungen, so dass man sie, ohne nennenswerte Fehler zu produzieren, vernachlässigen darf. Dann findet die komplette Schwingung mit der Frequenz Ω
statt.
Amplitude: Tatsächlich hängt die Amplitude nach dem Einschwingvorgang
von der Frequenz Ω der anregenden Kraft ab. Dies sieht man ein, wenn man die
Dämpfung α → 0 lässt. In diesem Fall geht nämlich (1.91) über in:
α→0
xinh (t) −→
F0
sin(Ωt).
m(ω 2 − Ω2 )
(1.92)
Die Amplitude ist also gegeben durch:
A = A(Ω) =
F0
.
m(ω 2 − Ω2 )
(1.93)
Grafisch ist die Situation in Abbildung 1.13 dargestellt. Man spricht von Resonanz, falls Ω → ω. Dann geht nach (1.93) die Amplitude formal gegen unendlich
(Resonanzkatastrophe).
24
1.3.2
Energie-Erhaltung
Bemerkung: In dieser Unter-Sektion wollen wir davon ausgehen, dass die Kraft
F = F (x) lediglich vom Ort x abhängt. Damit vereinfacht sich die aus dem zweiten Newtonschen Axiom folgende Bewegungsgleichung für eine eindimensionale
Bewegung zu,
mẍ = F (x).
(1.94)
Trick: Unser Ziel soll es sein, die Gleichung (1.94) dergestalt umzuformen, dass
wir einen totales (zeitliches) Differential erhalten. Dazu bemerken wir zunächst,
F =−
dV (x)
= −V 0 (x).
dx
(1.95)
R
Dies gilt für alle hier betrachteten Kräfte, da man immer V = − dxF (x)
definieren kann. Einsetzen von (1.95) in (1.94) liefert dann,
mẍ = −V 0 (x)
(1.96)
0
(1.97)
⇔ mẍ + V (x) = 0.
Multiplikation beider Seiten von (1.97) mit ẋ liefert dann,
mẍẋ + V 0 (x)ẋ = 0
d
d mẋ2
+
(V (x)) = 0
⇔
dt
2
dt
d mẋ2
⇔
+ V (x) = 0.
dt
2
(1.98)
(1.99)
(1.100)
Definieren wir,
E :=
m 2
ẋ + V (x),
2
(1.101)
so wird (1.100) zu,
dE
= 0 ⇔ E = const..
dt
(1.102)
Damit ist die Größe E eine Erhaltungsgröße.
Energie: Wir definieren nun die folgenden Energien:
• Kinetische Energie: Die kinetische Energie T ist definitionsgemäß gegeben durch,
T :=
mẋ2
.
2
(1.103)
• Potentielle Energie: Die potentielle Energie V ist definitionsgemäß gegeben durch,
V := V (x) .
25
(1.104)
• Gesamtenergie: Die Gesamtenergie E ist definitionsgemäß gegeben durch,
E := T + V =
m 2
ẋ + V (x) .
2
(1.105)
Beispiel: Betrachte den ungedämpften freien harmonischen Oszillator, der durch
die Differentialgleichung,
=F (x)
z }| {
mẍ =−mω 2 x,
(1.106)
beschrieben wird. Gemäß der Definition der potentiellen Energie V über (1.95)
ist V gegeben durch,
V =
mω 2 x2
.
2
(1.107)
Nach (1.103) ist die kinetische Energie gegeben durch,
T =
mẋ2
.
2
(1.108)
Wir wollen nun überprüfen, ob die Gesamtenergie E (1.105) für den freien ungedämpften harmonischen Oszillator tatsächlich eine Erhaltungsgröße ist, wie
(1.102) behauptet. Dazu setzen wir die Lösung der Bewegungsgleichung (1.106),
die gegeben ist durch (s. vorangehende Unter-Sektion),
x = A sin(ωt + φ),
(1.109)
in (1.105) ein, mit V, T aus (1.107) und (1.108). Es ergibt sich, unter Ausnutzung
des trigonometrischen Satzes von Pythagoras,
sin2 x + cos2 x = 1,
(1.110)
sofort,
E=
Amω 2
.
2
(1.111)
Dieser Ausdruck ist zeitlich konstant, so dass wir für den freien ungedämpften
harmonischen Oszillator den Energie-Erhaltungssatz (1.102) bestätigt haben.
Bemerkung: Die Energie erlaubt eine qualitative Beschreibung der Bewegung
die eine Punktmasse im Sinne des 2. Newtonschen Axioms durchführt. Wir
wollen dies skizzieren. Betrachte die Abbildung 1.14. Dargestellt ist ein ortsabhängiges Potential V , aufgetragen gegen den Ort x. Aufgrund der quadratischen Abhängigkeit von T von ẋ muss immer gelten,
T = E − V ≥ 0.
(1.112)
Also muss die Bewegung beschränkt sein auf diejenigen x mit
E − V (x) ≥ 0.
(1.113)
In Abbildung 1.14 sind zwei Beispielenergien E1 , E2 eingetragen. Wir wollen die
Bewegungen, die mit diesen Energien stattfinden, untersuchen.
26
Abbildung 1.14: Zum Energie-Erhaltungssatz.
• E1 : Es findet eine ungebundende Bewegung statt. Es gilt,
x ≥ x1
(1.114)
• E2 : Es findet eine gebundende Bewegung statt für,
x3 ≥ x ≥ x2 .
(1.115)
Es findet eine ungebundene Bewegung statt für,
x ≥ x4 .
(1.116)
Bei der Betrachtung von E2 zeigt sich, dass es vom Anfangsort der Bewegung
abhängt, ob eine gebundene oder eine ungebundene Bewegung stattfindet.
Beispiel: Wir betrachten wieder den freien ungedämpften harmonischen Oszillator. Qualitativ sieht die potentielle Energie wie in Abbildung 1.15 aus.
Aufgrund der quadratischen Abhängigkeit der potentiellen Energie V vom Ort
x, findet für jede Energie E eine gebundene Bewegung statt.
Bemerkung: Es sei darauf hingewiesen, dass für eindimensionale Bewegungen die Energie-Erhaltung nicht immer gelten muss. Ein Gegenbeispiel ist der
freie gedämpfte harmonische Oszillator, der durch die Bewegungsgleichung,
mẍ = −kx − αẋ,
(1.117)
charakterisiert wird. Multiplikation mit ẋ und Umstellen liefert dann,
d mẋ2
mω 2 x2
+
= −αẋ2 .
(1.118)
dt
2
2
27
Abbildung 1.15: Potentielle Energie für den freien ungedämpften harmonischen
Oszillator, V , aufgetragen gegen die Auslenkung aus der Ruhelage, x.
Die linke Seite ist aber gerade die zeitliche Ableitung der Gesamtenergie E. Die
rechte Seite hingegen ist nach der Unter-Sektion 1.3.1 immer kleiner als Null,
da α > 0 per Definition. Dies bedeutet insgesamt,
Ė < 0.
(1.119)
Also nimmt die Gesamtenergie E zeitlich ab. Dies ist konsistent mit der physikalischen Modellvorstellung des gedämpften harmonischen Oszillators, denn die
(lineare) Reibungskraft F = −αẋ bewirkt einen Abfluss von Energie in Wärme.
1.4
1.4.1
Dynamik dreidimensionaler Bewegungen
Energie-Erhaltung
Wir wollen in dieser Unter-Sektion den Energie-Erhaltungssatz für dreidimensionale Bewegungen herleiten und untersuchen. Dazu sind zunächst einige Vorbereitungen notwendig.
Arbeit: Die infinitesimale Arbeit dA ist definiert als,
dA := dF~ · d~r,
(1.120)
wobei der Punkt, ·, das Skalarprodukt kenntlich machen soll. Die makroskopische
Arbeit ist definiert als die Summe der infinitesimalen Arbeiten die entlang eines
Weges C von ~r1 nach ~r2 geleistet wird (s. Abbildung 1.16). Es gilt also,
Z
Z
A :=
dA =
F~ · d~r.
(1.121)
C
C
28
Abbildung 1.16: Zur Definition der Arbeit.
Bemerkung: (i) Die Arbeit A hängt von ~ri , i = 1, 2 und im Allgemeinen auch
vom Weg C ab.
(ii) Hat man eine Parametrisierung ~r = ~r(t) des Weges C gegeben, so lässt sich
die Gleichung (1.121) schreiben als,
Z t2
F~ · ~r˙ dt,
(1.122)
A=
t1
mit,
~r(t1 ) := ~r1 ,
(1.123)
~r(t2 ) := ~r2 .
(1.124)
Leistung: Die Leistung N ist definiert als,
dA
dt
~
= F · ~r˙
= m~r¨ · ~r˙
(1.125)
N :=
=
d
dt
(1.126)
(1.127)
˙2
m~r
2
!
=: Ṫ ,
(1.128)
(1.129)
wobei T die kinetische Energie bezeichnet. Die vorangehende Überlegung eingesetzt in Gleichung (1.122) liefert,
A = T (t2 ) − T (t1 ),
(1.130)
d.h. die Arbeit ist die Änderung der kinetischen Energie!
Konservativität: Eine Kraft F~ heißt konservativ, wenn
dV (~r(t))
F~ · ~r˙ = −
.
dt
29
(1.131)
Setzen wir dies in die Gleichung (1.126) = (1.128) ein, dann erhalten wir,
E = T + V = const..
(1.132)
Das heißt, für konservative Kräfte F~ gilt die Energie-Erhaltung entlang der
Lösung der Bewegungsgleichung.
Bemerkung: Im Allgemeinen lassen sich Kräfte wie folgt zerlegen,
F~ = F~kons + F~diss ,
(1.133)
wobei der erste Term auf der rechten Seite die konservativen Kräfte beschreibt
und der zweite Term die dissipativen Kräfte. Einsetzen in (1.126) = (1.128)
liefert dann,
dE
= F~diss · ~r˙.
dt
(1.134)
Kriterium für Konservativität: Die Definition der Konservativität von Kräften (1.131) lässt sich in der Regel nur umständlich nachprüfen. Es wird nun ein
anderes Kriterium zum Testen auf Konservativität vorgestellt.
3
X ∂V
dxi
d
~ · ~r˙.
V (~r(t)) =
(~
r
(t))
= ∇V
i
dt
∂x
dt
i=1
(1.135)
~
F~ = −∇V,
(1.136)
Falls also,
dann ist F~ konservativ, d.h. unabhängig von ~r˙, t. Man bezeichnet dies auch als
Konservativität im engeren Sinne.
Beispiel: Wir wollen nun einige Beispiele für konservative Kräfte (im engeren
Sinne) angeben.
• Gravitationskraft:
m1 m2 ~r
F~ = −G 2
r
r
m1 m2
⇒ V = −G
.
r
(1.137)
(1.138)
• Erdoberflächen-Näherung: Speziell für die Näherung der Gravitationskraft nahe der Erdoberfläche ergibt sich,
F~ = −mg~ez
⇒ V = mgz.
(1.139)
(1.140)
• Coulomb-Kraft:
q1 q2 ~r
F~ =
4π0 r3
q1 q2 1
⇒V =
.
4π0 r
30
(1.141)
(1.142)
Bemerkung: Im weiteren Sinne ist auch die Lorentz-Kraft,
~
F~ = q~r˙ × B,
(1.143)
konservativ (d.h. Energie-erhaltend), da
F~ · ~r˙ = 0
(1.144)
und somit E ≡ T konstant ist. Allerdings gibt es kein V , so dass
~
F~ = −∇V.
(1.145)
Damit kann die Lorentzkraft nicht konservativ (im engeren Sinne) sein.
Konservativitätskriterium: Das Kriterium (1.136) für die Konservativität
von Kräften kann noch weiter vereinfacht werden. Das Ergebnis der Berechnungen sei hier ohne Beweis aufgeführt.
~ ⇔∇
~ × F~ = ~0.
F~ = −∇V
(1.146)
Bemerkung: (i) Für konservative Kräfte F~ ist die Arbeit A wegunabhängig.
Denn
Z t2
A=
F~ · ~r˙ dt
(1.147)
t1
t2
Z
=−
t1
Z t1
=−
t1
~ · ~r˙ dt
∇V
(1.148)
dV
dt
dt
(1.149)
= V (~r1 ) − V (~r2 ).
(1.150)
Damit hängt A nur vom Anfangspunkt ~r1 und vom Endpunkt ~r2 nicht aber vom
Weg C dazwischen ab!
(ii) Man kann auch eine explizite Formel für die Bestimmung des Potentials V
angeben, welches äquivalent zur Differentialgleichung (1.136) ist,
Z
~
r
V =
F~ · dr~0 ,
(1.151)
~
r0
wobei ~r0 beliebig ist (beim Ableiten fällt eine additive Konstante weg.). Die
Bedingung ist hierbei, dass F~ konservativ ist.
Beispiel: Betrachte die Coulomb-Kraft,
~ r) = −q ∇Φ(~
~ r) = −∇V
~ (~r).
F~ = q E(~
(1.152)
V = qΦ.
(1.153)
Hierbei ist,
31
Man bezeichnet Φ als elektrisches Potential. Für die Gesamtenergie E gilt damit,
E=
m~r˙ 2
+ qΦ(~r).
2
(1.154)
Angenommen, das elektrische Potential Φ besäße eine Zeitabhängigkeit, d.h.
z.B.
Φ = Φ(~r, t) ≈ Φ0 (~r) + Φ1 (~r)t,
(1.155)
~ r, t) 6= −∇V
~ (~r),
F~ = −q ∇Φ(~
(1.156)
dann wäre,
da V nun eine Funktion der Zeit sein müsste. Physikalisch gesehen ist es aber
~ zu definieren als,
immer noch sinnvoll, die Gesamtenergie E
E=
m~r˙ 2
+ qΦ(~r, t).
2
(1.157)
Allerdings ist E nun nicht mehr erhalten! Denn,
dT
= F~ · ~r˙
dt
~ r, t)) · ~r˙
= −q(∇Φ(~
=−
d(qΦ(~r, t))
∂Φ
+q
(~r, t),
dt
∂t
(1.158)
(1.159)
(1.160)
so dass,
dE
∂Φ
=q
= qΦ1 .
dt
dt
(1.161)
Dies ist nur ein Beispiel für die Frage ’Was ist die Definition der Energie E?’,
die im Rahmen der Mechanik nach Newton nicht elegant beantwortet werden
kann. Eine Antwort wird uns aber später im Lagrange-Formalismus begegnen.
1.4.2
Weitere Erhaltungssätze
Motivation: Bereits der Energierhaltungssatz erlaubt eine qualitative Beschreibung der Bewegung eines Teilchens. Damit wird das zu untersuchende physikalische Problem greifbarer und einfacher zu lösen. Die Mechanik kennt noch weitere Erhaltungssätze, von denen hier die zwei bekanntesten (und nützlichsten)
vorgestellt werden sollen, nämlich
• der Impulserhaltungssatz,
• und der Drehimpulserhaltungssatz.
Impulserhaltung
Das zweite Newtonsche Axiom besagt,
p~˙ = F~ ,
32
(1.162)
d.h. gilt für einen Einheitsvektor ~n, daß ~n · F~ = 0 (so daß die Komponente der
Kraft in Richtung ~n verschwindet), so folgt
d~
p
d
~n · F~ = 0 ⇒ ~n ·
=0⇔
(~n · p~) = 0.
dt
dt
(1.163)
Dies ist äquivalent zu,
~n · p~ = const.. ,
(1.164)
Dies ist gerade der Impuls-Erhaltungssatz (in Richtung ~n).
Beispiel: Setze ~n = ~ej , j = 1, 2, 3. Dann ist,
Fj = 0 ⇒ pj = const., j = 1, 2, 3.
(1.165)
Das heißt, dass die Impulse in ~ej , j = 1, 2, 3 Richtung erhalten sind.
Bemerkung: Sei F~ eine konservative Kraft im engeren Sinne, und Fj = 0.
Dann lässt sich schreiben,
Fj = −
∂V
= 0,
∂xj
(1.166)
so dass V unabhängig von xj ist. Dies bedeutet aber nichts anderes als, dass
V invariant unter Translationen in xj -Richtung ist. Das war ein Beispiel für
den Zusammenhang zwischen Symmetrien und Erhaltungssätzen, den wir im
Rahmen des Lagrange-Formalismus noch genauer untersuchen werden.
Drehimpulserhaltung
Drehimpuls: Der Drehimpuls ist definiert als,
~ := ~r × p~.
L
(1.167)
~ hängt explizit von der Wahl eines KoordiBemerkung: (i) Der Drehimpuls L
natenursprungs ab.
~ lässt sich komponentenweise eleganter mittels der soge(ii) Der Drehimpuls L
nannten Tensorschreibweise angeben,
Lj =
3
X
jkl xk pl .
(1.168)
k,l=1
Hierbei ist (jkl )1≤j,k,l≤3 das sogenannte Levi-Civita-Symbol, das definiert ist
durch,

für (j, k, l) gerade Permutationen von (1, 2, 3)
 +1
−1 für (j, k, l) ungerade Permutationen von (1, 2, 3) . (1.169)
jkl =

0
sonst
Diese Schreibweise kann beim Bestätigen von Rechenregeln, die das Kreuzprodukt involvieren, oftmals hilfreich sein.
33
~
Drehmoment: Wir wollen nun die zeitliche Ableitung des Drehimpulses L
berechnen.
~˙ = ~r˙ × p~ + ~r × p~˙
L
= ~r × p~˙
= ~r × F~
~.
=: M
(1.170)
(1.171)
(1.172)
(1.173)
~ = ~r × F~ das Drehmoment. Es gilt,
Man nennt M
Mj = 0 ⇔ Lj = const..
(1.174)
Beispiel: Für die z−Komponente des Drehimpulses, Lz gilt dann beispielsweise,
Lz = const. ⇔ Mz = xFy − yFx = 0.
(1.175)
Die Interpretation wird insbesondere ersichtlich, wenn wir in Zylinder-Koordinaten transformieren. Um den Zusammenhang mit dem Potential ersichtlich zu
machen, nehmen wir an, dass F~ eine konservative Kraft sei, die das Potential
V besitze. Dann gilt,
Lz = const. ⇔ x
∂V
∂V
∂V
−y
=0⇔
= 0,
∂y
∂x
∂φ
(1.176)
wobei im letzten Schritt auf Zylinder-Koordinaten transformiert wurde. φ ist zur Erinnerung - der Polarwinkel. Geometrisch bedeutet die obige Gleichung,
dass das Potential V invariant unter Rotationen um die z-Achse ist.
Bemerkung: Die Komponenten Lx , Ly des Drehimpulses sind analog zu behan~ erhalten ist, d.h. alle Komponenten des Drehimpulses, Lx , Ly , Lz
deln. Falls L
zeitlich konstant sind, dann ist das Potential V invariant bezüglich beliebiger
Rotationen um eine durch den Koordinatenursprung verlaufende Drehachse.
Das Potential V lässt sich in diesem Fall schreiben als,
V = V (~r) = V (r),
(1.177)
r = |~r|.
(1.178)
wobei,
Radialsymmetrie: Man nennt Potentiale V , die lediglich vom Betrag des Richtungsvektors, r, abhängen, radialsymmetrisch.
Beispiel: Es seien zwei prominente Beispiele für radialsymmetrische Potentiale
genannt.
• Coulomb-Potential:
V =
q1 q2 1
.
4π0 r
(1.179)
• Gravitationspotential:
V = −G
34
m1 m2
.
r
(1.180)
1.4.3
Systeme von Massenpunkten
Motivation: Wir wollen nun die Erhaltungssätze für einen Massenpunkt auf
ein System von N Massenpunkten verallgemeinern. Bezeichne dazu die Massen
der einzelnen punktförmig angenommenen Massenpunkte als mi und deren momentanen Aufenthaltsort als ~ri (t), wobei i = 1, 2, ..., N .
Kräfte-Analyse: Die Anwendung des zweiten Newtonschen Axioms auf den
Massenpunkt i zeigt,
N
X
mi~r¨i = F~i =
F~ij + F~ia .
(1.181)
j=1,i6=j
Dabei sind die F~ij die inneren Kräfte, die die Wechselwirkungen zwischen den
einzelnen Teilchen beschreiben, und F~ia bezeichnen die auf den i-ten Massenpunkt wirkenden äußeren Kräfte. Hierbei wird angenommen, dass das dritte
Newtonsche Axiom und der erste Zusatz zu den Axiomen (s. Sektion 2.2.) gilt.
Erhaltungssätze: Wir werden nun den Impulserhaltungssatz, den Drehimpulserhaltungssatz und den Energieerhaltungssatz auf das obige System von N
Massenpunkten verallgemeinern.
Schwerpunktimpuls
Schwerpunkt: Der Schwerpunkt eines Systems von N Teilchen besitzt den
Ortsvektor,
PN
PN
~ := Pi=1 mi~ri = i=1 mi~ri ,
R
N
M
i=1 mi
(1.182)
mit M (=Gesamtmasse) gegeben durch,
N
X
M=
mi .
(1.183)
i=1
Schwerpunktbewegung: Der Schwerpunkt bewegt sich nach dem zweiten
Newtonschen Axiom gemäß der folgenden Bewegungsgleichung,
N
X
~¨ =
MR
mi~r¨i
(1.184)
i=1
=
N
X
i,j=1,i6=j
=
N
X
F~ia .
F~ij +
N
X
F~ia
(1.185)
i=1
(1.186)
i=1
Die Wechselwirkungen zwischen den einzelnen Teilchen des System tragen also
nicht zur Bewegung für den Schwerpunkt des Systems bei. Dies sieht man wie
35
folgt:
F~ij =
X
i,j;i6=j
X
F~ji
(1.187)
F~ji
(1.188)
j,i;i6=j
X
=
i,j;i6=j
=−
X
F~ij .
(1.189)
i,j;i6=j
Hierbei wurden in der ersten Zeile einfach die Indizes umbenannt von i nach
j und von j nach i, in der zweiten Zeile wurde die Summationsreihenfolge der
(endlichen) Summe vertauscht und in der dritten Zeile wurde das dritte Newtonsche Axiom bemüht.
Abgeschlossenes System: Wirken auf ein System von Massenpunkten keine äußeren Kräfte, so folgt aus den obigen Überlegungen, dass,
~˙ = const..
P~ := M R
(1.190)
Dies ist der Satz von der Erhaltung des Schwerpunktimpulses.
Drehimpuls
Der Gesamtdrehimpuls eines Systems von N Massenpunkten (mit Drehimpulsen
~ i ), L,
~ berechnet sich zu,
L
~ =
L
N
X
~i
L
(1.191)
mi~ri × p~i .
(1.192)
i=1
=
N
X
i=1
Für die zeitliche Ableitung des Drehimpulses folgt dann,
N
X˙
~i
~˙ =
L
L
(1.193)
i=1
=
N
X
~ri × (mi~r¨i )
(1.194)
i=1
=
N
X
~ri × F~ia +
i=1
=
N
X
N
X
i=1
~ri × F~ia

~ri × 
N
X

F~ij 
(1.195)
j=1;i6=j
(1.196)
i=1
~ a.
=: M
(1.197)
36
~ a beitragen
Dass die Wechselwirkungskräfte nicht zum äußeren Drehmoment M
sieht man hierbei wie folgt ein:
X
X
~ri × F~ij =
~rj × F~ji
(1.198)
i,j;i6=j
i,j;i6=j
~rj × F~ji
X
=
(1.199)
i,j;i6=j
X
=−
~rj × F~ij
(1.200)
~ri × F~ij .
(1.201)
i,j;i6=j
X
=−
i,j;i6=j
Hierbei wurden in der ersten Zeile die Indizes genauso umbenannt, wie es schon
bei der Schwerpunktimpulserhaltung geschehen ist, in der zweiten Zeile wurde
die Summationsreihenfolge der (endlichen) Summe vertauscht und in der dritten
Zeile wurde wieder das dritte Newtonsche Axiom angewendet. In der vierten
Zeile haben wir den ersten Zusatz zu den Newtonschen Axiomen benutzt,
(~ri − ~rj ) × F~ij = ~0,
(1.202)
um das ~rj in ein ~ri überführen zu können.
Abgeschlossenes System: In einem abgeschlossenen System (=System, auf
~ also zeitlich konstant,
das keine äußeren Kräfte wirken) ist der Drehimpuls L
da - nach Definition der Abgeschlossenheit - die Summe der äußeren Kräfte verschwindet.
Bemerkung: Während bei der Herleitung des Satzes von Erhaltung des Schwerpunktimpulses der erste Zusatz zu den Newtonschen Axiomen noch nicht benötigt
wird, ist die Drehimpulserhaltung für ein System, bestehend aus N Massenpunkten, ohne diese zusätzliche Annahme i.a. nicht gegeben!
Energie
Energie-Erhaltung: Sind alle Kräfte F~i konservativ, d.h. gilt für alle Kräfte
F~i
~ i V (~r1 , ..., ~rn ),
F~i = −∇
(1.203)
dann ist die Gesamtenergie
E=
N
X
mi~r˙ 2
i
2
i=1
+V
(1.204)
~ andeuten, dass nach
erhalten. Hierbei soll der Index ’i’ beim Nabla-Operator ∇
den drei Komponenten des i-ten Ortsvektors (=dem Ortsvektor des i-ten Teilchens) abgeleitet wird. Man beachte, dass wir nur ein Potential V verwenden
müssen und annehmen, daß sowohl die inneren als auch die äußeren Kräfte konservativ sind.
37
Beispiel: Für das in der nächsten Sektion behandelte Zwei-Körper-Problem
im allgemeinen und die Keplerschen Gesetze im speziellen ist es wichtig, noch
einmal auf das Idealisierungsprinzip von ausgedehnten Körpern auf Punktmassen einzugehen. Bezeichne MS die Masse der Sonne. Wir wollen zeigen, dass
wir die Auswirkungen der Gravitationskraft der Sonne auf die Erde dadurch
einfangen können, dass wir die Erde als Massenpunkt idealisieren. Dazu beachten wir zuerst, dass die Erde an sich aus N Teilchen besteht, auf die als äußere
Kraft die Gravitationskraft wirkt. Wir numerieren diese Teilchen mit dem Index
i, i ∈ {1, 2, ..., N } durch.
Gmi MS
~ri ,
F~ia = −
|~ri |3
(1.205)
wobei mi die Masse des i-ten Teilchens und ~ri den Abstandsvektor vom Schwerpunkt der Sonne zum i-ten Teilchen angibt. Für die gesamte äußere Kraft ergibt
sich nun:
X
F~ a =
F~ia
(1.206)
i
= −GMS
X mi~ri
i
≈ −GMS M
|~ri |3
~
R
.
~ 3
|R|
(1.207)
(1.208)
Die Gültigkeit der Approximation in der letzten Umformung wird aus den folgenden empirischen Daten ersichtlich: Der Erdbahnradius beträgt im Mittel
1.5 · 108 km, wohingegen der mittlere Erdradius in etwas 6 · 103 km ist. Zwischen
diesen beiden Größen liegen 5 Zehnerpotenzen Unterschied! Der Fehler bei der
Idealisierung der Erde als Massenpunkt ist also sehr gering und darf in Kauf
genommen werden!
Beispiel: Betrachte nun 3 geladene Teilchen mit Ladungen q1 , q2 , q3 und Massen
m1 , m2 , m3 jeweils im homogenen Schwerefeld (Gravitationsfeld nahe der Erdoberfläche). Wir haben bereits gesehen, dass es sich bei der Coulomb-Kraft, die
die elektrische Wechselwirkung beschreibt, und der Näherung der Gravitationskraft nahe der Erdoberfläche um konservative Kräfte handelt, d.h. Kräfte für die
ein Potential existiert. Aufgrund der Linearität bei der Superposition der Kräfte,
und der Tatsache, dass der Sachverhalt lediglich Zwei-Körper-Wechselwirkungen
(höchstenfalls) einschließt, können wir deduzieren, dass das Potential für das
System, bestehend aus den oben genannten Teilchen, die folgende Form aufweist,
1
q1 q2
q1 q3
q2 q3
V (~r1 , ~r2 , ~r3 ) =
+
+
(1.209)
4π0 |~r1 − ~r2 | |~r1 − ~r3 | |~r2 − ~r3 |
+ g(m1 z1 + m2 z2 + m3 z3 ).
(1.210)
Bemerkung: Hängt ein Potential für ein Mehr-Körper-Problem nur von den
Differenzen der Ortsvektoren der sich im System befindlichen Teilchen ab, gilt
automatisch das dritte Newtonsche Axiom!
38
1.4.4
Zwei-Körper-Problem
Annahmen: Wir gehen von einem abgeschlossenen System von zwei Massenpunkten aus, zwischen denen nur innere Kräfte wirken, die konservativ sind
und deren Potentiale lediglich vom Relativabstand der beiden Punktmassen
abhängen. Beispiele für solche Kräfte sind die Gravitationskraft und die CoulombKraft.
Bewegungsgleichungen: Gemäß des dritten Newtonschen Axioms haben wir
die folgenden Bewegungsgleichungen,
dV
~ 1 V (|~r1 − ~r2 |) = − ~r1 − ~r2
(|~r1 − ~r2 |),
m1~r¨1 = −∇
|~r1 − ~r2 | d(|~r1 − ~r2 |)
dV
~ 2 V (|~r1 − ~r2 |) = + ~r1 − ~r2
m2~r¨2 = −∇
(|~r1 − ~r2 |).
|~r1 − ~r2 | d(|~r1 − ~r2 |)
(1.211)
(1.212)
Die Addition dieser beiden (vektorwertigen) Gleichungen liefert
~¨ = 0 ⇔ P~˙ = 0 ⇔ P~ = const.,
MR
(1.213)
d.h. der Schwerpunktimpuls ist erhalten. Die Integration der Bewegungsgleichung für den Schwerpunkt liefert daher
~
~
~˙
R(t)
= R(0)
+ tR(0).
(1.214)
Wir behandeln nun die Relativbewegung der beiden Punktteilchen zueinander.
Zu diesem Zweck führen wir den Relativabstand ~r wie folgt ein,
~r = ~r1 − ~r2 ,
(1.215)
r = |~r|.
(1.216)
Wir dividieren nun die Gleichung (1.211) durch m1 , und die Gleichung (1.212)
durch m2 . Dann Subtrahieren wir die neue Form der Gleichung (1.212) von der
neuen Form der Gleichung (1.211). Es ergibt sich,
µ~r¨ = −
~r dV
.
r dr
Der Parameter µ heißt reduzierte Masse,
1
1
m1 m2
µ :=
+
=
.
m1
m2
m1 + m2
(1.217)
(1.218)
Dieser Wert für µ ergibt sich, indem man die oben genannte Subtraktion explizit
ausführt,
1
=: µ
=~
r¨
z }| {
dV ~r
~r¨1 − ~r¨2 = −
dr r
z
}|
{
1
1
+
.
m1
m2
(1.219)
Damit haben wir das Zwei-Körper-Problem auf ein Ein-Körper-Problem für den
Schwerpunkt und ein Ein-Körper-Problem für die Relativbewegung reduziert,
39
Abbildung 1.17: Die Relativbewegung verläuft in einer Ebene senkrecht zum
Drehimpuls der Relativbewegung ~l.
die unabhängig voneinander gelöst werden können.
Bemerkung: Die Lösungen für den Schwerpunkt und für die Relativbewegung legen zusammen die Lösungen der ursprünglichen Gleichungen (1.211)
und (1.212) wie folgt fest,
m2
~r(t),
m1 + m2
m1
~ −
~r2 (t) = R(t)
~r(t),
m1 + m2
~ +
~r1 (t) = R(t)
(1.220)
(1.221)
wie man durch eine einfache Rechnung feststellt.
Relativbewegung: Wir wollen nun die Bewegungsgleichung für die Relativbewegung lösen, d.h. die Gleichung (1.217). Da das Potential V radialsymmetrisch
ist, ist der Drehimpuls der Relativbewegung, ~l, eine Erhaltungsgröße. Die Nomenklatur wurde bewusst gewählt, um den Drehimpuls der Relativbewegung
klar vom Gesamtdrehimpuls des Systems abzugrenzen! Es gilt,
~l = µ~r × ~r˙ = const..
~
(1.222)
Also muss die Bewegung in einer Ebene, die durch den Ursprung des Koordinatensystem geht, verlaufen. Diese Ebene muss nach der obigen Überlegung
ferner senkrecht auf dem Drehimpulsvektor für die Relativbewegung, ~l, stehen,
s. Abbildung 1.17.
Koordinaten-Transformation: Führe nun Zylinder-Koordinaten ein, so dass
40
~l k ~ez . Dann gilt für den Relativabstandvektor ~r,
~r = ρ~eρ
~r˙ = ρ̇~eρ + ρφ̇~eφ
(1.223)
(1.224)
~r¨ = (ρ̈ − ρφ̇2 )~eρ + (ρφ̈ + 2ρ̇φ̇)~eφ
1 d 2
= (ρ̈ − ρφ̇2 )~eρ +
(ρ φ̇)~eφ .
ρ dt
(1.225)
(1.226)
Indem wir dies in (1.217) einsetzen, erhalten wir die beiden folgenden Gleichungen (Wir wissen ja bereits, dass z = const. sein muss!),
µ(ρ̈ − ρφ̇2 ) = −
dV
,
dρ
1 d 2
(ρ φ̇) = 0,
ρ dt
(1.227)
(1.228)
indem wir die Koeffizienten der Basis-Vektoren in Zylinderkoordinaten vergleichen. Wir erhalten für die Energie und den Betrag des Relativ-Drehimpulsvektors,
l = |~l|, die folgenden Ausdrücke:
µ 2
(ρ̇ + ρ2 φ̇2 ) + V (ρ),
2
l = µρ2 φ̇.
E=
(1.229)
(1.230)
Man kann den Ausdruck für die Energie erhalten, indem man den in Sektion
1.3.2 hergeleiteten Ausdruck für die Energie (in kartesischen Koordinaten) explizit in Zylinder-Koordinaten transformiert. Indem wir die Gleichung (1.230)
nach φ̇ umstellen,
φ̇ =
l
,
µρ2
(1.231)
und in die Gleichung (1.227) für die Relativbewegung einsetzen, erhalten wir,
µρ̈ =
l2
dV
0
−
=: −Vef
f (ρ),
µρ3
dρ
(1.232)
mit Vef f gegeben durch,
Vef f =
l2
+ V (ρ).
2µρ2
(1.233)
Man nennt Vef f das effektive Potential und den ersten Term in der obigen
Gleichung Zentrifugal-Potential. Für die Gesamtenergie E der Relativbewegung
ergibt sich durch Einsetzen von (1.230) in (1.229) mit dem effektiven Potential
(1.233),
E=
µ 2
ρ̇ + Vef f (ρ).
2
(1.234)
Beispiel: Im Folgenden werden wir uns auf die Betrachtung des Potentials
1
V (ρ) = −α ; α > 0
ρ
41
(1.235)
Abbildung 1.18: Effektives Potential aufgetragen gegen den Abstand ρ. Eingezeichnet sind verschiedene Gesamtenergien Ei .
beschränken. Beispielsweise ist dies die Form eines Gravitationspotentials. Wir
wollen ferner annehmen, dass der Drehimpulsbetrag, l, von Null verschieden ist.
Es ergibt sich dann für das effektive Potential die folgende, qualitative Form, s.
Abbildung 1.18. Für kleine ρ überwiegt der positive Term im effektiven Potential, d.h. man kann schreiben,
Vef f ≈
l2
,
2µρ2
(ρ → 0).
(1.236)
Man nennt diesen Term auch Zentrifugal-/Drehimpulsbarriere. Im Sinne der Abbildung 1.18 bemerken wir, dass die Funktion ein (globales) Minimum an der
Stelle ρ = ρ0 aufweist. An dieser Stelle vollführt die sich im effektiven Potential
befindliche Punktmasse eine Kreisbahn mit Radius ρ0 und Winkelgeschwindigkeit,
φ̇ =
l
.
µρ20
(1.237)
Um ρ0 zu bestimmen, benutzen wir, dass notwendigerweise gelten muss,
dVef f !
= 0.
(1.238)
dρ ρ=ρ0
Hieraus ermittelt man ρ0 zu,
ρ0 =
l2
.
GM µ2
(1.239)
Wir wollen noch kurz auf die in Abbildung 1.18 eingezeichneten Gesamtenergien
eingehen. Man kann zeigen, dass für verschiedene Energien E die Bahnen des
Massenpunkts die folgende qualitative Form annehmen,
• E > 0: Ist die Gesamtenergie E größer als 0, so liegt eine ungebundene
Bewegung vor und der Massenpunkt folgt einer Trajektorie, die die Form
einer Hyperbel aufweist.
42
• E = 0: Ist die Gesamtenergie E identisch 0, so spricht man von einer marginal ungebundenen Bewegung. Der Massenpunkt folgt dann einer Bahn,
die eine Parabel darstellt.
• 0 > E > E0 : Ist die Gesamtenergie E kleiner als 0 aber immer noch
größer als diejenige Energie E0 , für die Vef f = E0 die Lösung ρ = ρ0
aufweist, liegt eine gebundene Bewegung vor. Diese findet zwischen zwei
Radien ρmin < ρmax statt, wobei die Ungleichheit tatsächlich strikt ist.
Die Bahnkurve ist in diesem Fall eine Ellipse.
• E = E0 : In diesem Fall liegt eine kreisförmige Bewegung vor. Der Radius
der Bahn ist durch die Formel (1.239) gegeben. Die Winkelgeschwindigkeit
ist durch (1.237) gegeben, also insbesondere konstant.
Bemerkung: Wir haben im obigen Beispiel den Fall ausgeschlossen, dass l = 0.
In diesem Fall folgt allerdings sofort aus den Bewegungsgleichungen für das ZweiKörper-Problem, dass auch φ̇ = 0 ⇔ φ = const.. Dies bedeutet, dass sich die
beiden Massen m1 , m2 entweder radial aufeinander zu, oder radial von einander
weg bewegen.
Lösung der Bewegungsgleichungen: Wir wollen nun die Bewegungsgleichungen für die Relativbewegung der beiden Massen lösen, d.h. Gleichungen
(1.227),(1.228). Prinzipiell erhält man, ausgehend von unseren bisherigen Überlegungen, für ρ = ρ(t), φ = φ(t) eine Lösung der Bewegungsgleichung durch
Separation der Variablen. Allerdings gibt es ein mathematisches Hindernis: Das
sich ergebende Integral lässt sich nicht in einer analytisch geschlossenen Form
lösen! Dies bedeutet, dass eine Stammfunktion nur numerisch bestimmt werden
kann. Aus diesem Grund wollen wir eine Lösung der Form,
ρ = ρ(φ),
(1.240)
finden.
Einschub: Im Folgenden werden wir ein Potential der Form (1.235) annehmen mit α = GµM , d.h. das Gravitationspotential.
Wir benutzen die Kettenregel,
ρ̇ =
dρ dφ
.
dφ dt
(1.241)
Definiere nun,
s := ρ−1 ,
(1.242)
um zu erhalten,
ρ̇ =
l 0
l −1
l
ρ = s2 2 s0 = − s0 ,
2
µρ
µ s
µ
(1.243)
wobei wir (1.230) und die Definitionen
ρ0 :=
dρ
dφ
,
43
s0 :=
ds
dφ
(1.244)
benutzt haben. Für die Energie E erhalten wir dann,
E=
l2 02
l2 2
s +
s − GM µs.
2µ
2µ
(1.245)
Wir leiten diesen Ausdruck nun ab und multiplizieren auf beiden Seiten mit
2 −1
l
s0
,
(1.246)
µ
so dass sich ergibt,
0 = s00 + s −
GM µ2
.
l2
(1.247)
Hierbei wurde ausgenutzt, dass die Gesamtenergie E erhalten sein muss, also
insbesondere die Ableitung nach φ verschwindet. Es handelt sich bei der obigen
Gleichungen um eine lineare inhomogene Differentialgleichung zweiter Ordnung
mit konstanten Koeffizienten. Wir haben ihre Lösung bereits im Abschnitt über
Schwingungen ermittelt.
• Homogene DGL: Das homogene Problem lautet,
s00 + s = 0,
(1.248)
wozu wir die Lösung in der folgenden Form schreiben,
s=
GM µ2
cos(φ − φ0 ).
l2
(1.249)
Hierbei sind ≥ 0, φ0 Integrationskonstanten. Der Vorfaktor des Cosinus wurde schlichtweg so gewählt, weil es sich für spätere Rechnungen als nützlich erweisen wird. Ihm kommt noch keine Interpretation zu.
Tatsächlich ist es ausreichend, ≥ 0 anzunehmen, denn ein Vorzeichenwechsel von kann durch die Transformation φ0 → φ0 +π behoben werden.
Dies bestätigt man, indem man das Additionstheorem für den Cosinus
bemüht,
cos(x − π) = cos x cos π + sin x cos π
(1.250)
= (−1) cos x + 0
(1.251)
= − cos x.
(1.252)
• Inhomogene DGL: Wir müssen nun, um eine allgemeine Lösung der
untersuchten Differentialgleichung zu erhalten, noch eine spezielle Lösung
des inhomogenen Problems finden. Eine mögliche Lösung ist
s=
GM µ2
.
l2
(1.253)
• Allgemeine Lösung: Die allgemeine Lösung der inhomogenen Differentialgleichung ist also gegeben durch,
s=
GM µ2
(1 + cos(φ − φ0 )).
l2
44
(1.254)
Setze nun,
p :=
l2
,
GM µ2
(1.255)
so dass die Gleichung (1.254) übergeht in,
p
= 1 + cos(φ − φ0 ).
ρ
(1.256)
Hierbei haben wir die Definition von s, Gleichung (1.242), benutzt. (1.256) ist
aber genau die Gleichung eines Kegelschnitts, wie in der analytischen Geometrie
gezeigt wird (für den wichtigen Fall der Ellipse s. den Anhang). Man bezeichnet
p als den Parameter des Kegelschnitts und als die Exzentrizität. Für die Energie
E erhalten wir nun,
l2 02
(s + s2 ) − GM µs
2µ
α 2
= ... =
( − 1).
2p
E=
(1.257)
(1.258)
Wir sind nun in der Lage, ausgehend von den qualitativen Potentialüberlegungen
zu Abbildung 1.18, dieselben Ergebnisse herzuleiten:
• > 1: Es handelt sich um eine hyperbelförmige Bahn. Die Gesamtenergie
E ist nach (1.258) positiv.
• = 1: Es handelt sich um eine parabelförmige Bahn. Die Gesamtenergie
ist nach (1.258) gleich Null.
• 0 < < 1: Es handelt sich um eine elliptische Bahn. Die Gesamtenergie
ist nach Gleichung (1.258),
E=
α 2
( − 1) < 0.
2p
(1.259)
• = 0: Es handelt sich um eine kreisförmige Bahn. Die Gesamtenergie ist
negativ und kleiner als die Energie für elliptische Bahnen (1.259),
E=−
α
< 0.
2p
(1.260)
Bemerkung: Wir interessieren uns in diesem Text nur für elliptische und
kreisförmige Bahnen, wobei wir kreisförmige Bahnen weitestgehend als Spezialfall von elliptischen Bahnen behandeln werden. Wähle nun ein Koordinatensystem so daß φ0 = 0. Also ist bei φ = 0 auch der Radius-Vektor ρ(φ)
minimal. Dies wird in der Abbildung 1.19 graphisch dargestellt. Man berechnet
die eingezeichneten Größen wie folgt:
p
1+
p
=
1 − 2
ρP =
a=
ρA + ρP
2
45
,
,
p
,
1−
p
b= √
.
1 − 2
ρA =
(1.261)
(1.262)
Abbildung 1.19: Zu wichtigen geometrischen Kenngrößen für Ellipsen.
Hieraus folgt dann,
b2 = ap.
(1.263)
Man nennt a auch die große Halbachse, und b die kleine Halbachse.
Beispiel: Für die Erde ist ≈ 0.0167, für den Merkur ist ≈ 0.2056.
Bemerkung: Für das Coulomb-Potential müssen wir zwei Fälle unterscheiden.
Im Falle zweier un-gleichnamig geladener Ladungen ist die Rechnung komplett
analog zu der, die wir für das Gravitationspotential angestellt haben. Für gleichnamige Ladungen hingegen ergibt sich qualitativ das effektive Potential Vef f
aus Abbildung 1.20. Wir sehen, dass die einzigen möglichen Bahnen Hyperbelbahnen sind. Gestreute geladene Teilchen (an einem gleichnamig geladenen
Teilchen) folgen also hyperbelförmigen Bahnen.
1.4.5
Keplersche Gesetze
Einführung: Ausgehend von den Überlegungen der vorangegangenen UnterSektion wollen wir nun die Keplerschen Gesetze herleiten, als Anwendung der
eher theoretischen Überlegungen weiter oben.
Keplersche Gesetze: Der Astronom Kepler erschloss empirisch (d.h. anhand
von Messdaten) die folgenden drei Gesetze, die als Keplersche Gesetze bekannt
sind.
• Kepler 1 (K1): Die Planeten bewegen sich auf Ellipsen, in deren einem
Brennpunkt die Sonne ist.
• Kepler 2 (K2): Ein von der Sonne zum Planeten gezogener Fahrstrahl
überstreicht in gleichen Zeiten gleiche Flächen.
46
Abbildung 1.20: Effektives Potential für zwei gleichnamig geladene Teilchen im
Coulomb-Potential (repulsiv).
• Kepler 3 (K3): Die Quadrate der Umlaufzeiten zweier Planeten verhalten sich zueinander wie die dritten Potenzen der großen Halbachsen.
Herleitung: Ein erster Test der Newtonschen Gravitationstheorie bestand darin, die Keplerschen Gesetze ausgehend vom Gravitationsgesetz theoretisch herzuleiten. Wir wollen Rechnungen anstellen, die von der Methodik her bereits
auf Newton selbst zurückgehen.
• Zu K1: Das erste Keplersche Gesetz ist, ausgehend von den Überlegungen
der Unter-Sektion 1.4.4 klar, denn die Planeten beschreiben Bahnkurven,
die gebundene Bahnen, ergo Ellipsen, sind.
• Zu K2: Betrachte die Abbildung 1.21. Dargestellt ist qualitativ eine Planetenbahn und der Fahrstrahl-Vektor. Die Behauptung ist nun, dass die
beiden mit dA bezeichneten Flächen gleich groß sind, wenn der Fahrstrahl
gleiche Zeiten zum Überstreichen benötigt. Hierzu berechnen wir dA für
einen der beiden dargestellten Ellipsen-Sektoren.
dA =
1 2
ρ dφ.
2
(1.264)
Also gilt für die zeitliche Ableitung der Fläche dA,
dA
1
1
l2
l
= ρ2 φ̇ = ρ2 2 =
= const.,
dt
2
2 µρ
2µ
(1.265)
wegen der Drehimpulserhaltung. Die vorangehende Gleichung ist äquivalent
zu,
dA = const. × dt,
was gerade die Behauptung des zweiten Keplerschen Gesetzes ist.
47
(1.266)
• Zu K3: Für die Gesamtfläche der Ellipse gilt wegen K2,
A = T Ȧ = T
l
,
2µ
(1.267)
wobei T die Umlaufzeit ist. Andererseits ist aus der Geometrie bekannt,
dass sich die Fläche A auch berechnen lässt als,
A = πab,
(1.268)
so dass,
T2 =
4π 2 µ2 2 2
a b .
l2
(1.269)
Indem wir nun Gleichung (1.263), b2 = ap, anwenden, erhalten wir mit
(1.255),
p=
l2
GM µ
(1.270)
4π 2 3
a .
GM
(1.271)
dass
T2 =
Für zwei Planeten gilt demzufolge,
T12
a31 M2
a31 ms + m2
=
=
.
T22
a32 M1
a32 ms + m1
(1.272)
Hierbei ist ms die Masse der Sonne und m1 , m2 die Masse des Planeten
1, 2. Durch Kürzen von ms erhalten wir aus dem obigen Ausdruck
T12
a31 1 +
=
T22
a32 1 +
m2
ms
m1
ms
.
(1.273)
Indem wir nun beachten, dass die Masse der Sonne viel größer ist als die
Masse der beiden Planeten (jeweils), erhalten wir, mit,
m1
m2
≈0≈
,
ms
ms
(1.274)
sofort das dritte Keplersche Gesetz,
T12
a31
=
.
T22
a32
48
(1.275)
Abbildung 1.21: Zum zweiten Keplerschen Gesetz.
1.5
Bezugssysteme
1.5.1
Inertialsysteme
Aus dem ersten Newtonschen Axiom folgt für die kräftefreie Bewegung in einem
Inertialsystem IS,
mẍi = 0.
(1.276)
Frage: Was ist die allgemeinste Transformation, die die obige Gleichung forminvariant lässt?
Translationen: Für eine translatorische Koordinatentransformation,
~
~r(t) = ~r0 (t) + d(t),
(1.277)
!
mẍi = 0 = mẍ0i + d¨i ⇔ mẍ0i = −d¨i = 0.
(1.278)
gilt
Damit eine kräftefreie Bewegung auch in den gestrichenen Koordinaten durch
~
eine gleichtörmige und geradlinige Bewegung beschrieben wird, kann also d(t)
keine beliebige Funktion der Zeit sein. Vielmehr muß gelten
x0i (t) = xi (t) − vi t − bi .
(1.279)
Rotationen: Nachdem wir nun die Translation abgehandelt haben, wollen wir
eine zeitlich konstante Drehung des Inertialsystem vermittels einer orthogonalen
Drehmatrix R = (Rij )i,j=1,2,3 betrachten.
x0i =
3
X
Rij xj − vi t − bi ,
(1.280)
Rij ẋj − vi ,
(1.281)
Rij ẍj .
(1.282)
j=1
⇒ ẋ0i =
3
X
j=1
⇒ ẍ0i =
3
X
j=1
49
Da alle orthogonalen Matrizen invertierbar sind, mit,
RT = R−1 ,
(1.283)
folgt,
mẍ0i = 0
(1.284)
⇔ mẍi = 0.
(1.285)
Zeitliche Translation: Schließlich können wir noch verschiedene Zeitnullpunkte zulassen.
Galilei’sches Relativitätsprinzip
Galilei: Das Galileische Relativitätsprinzip besagt, dass alle Inertialsysteme
untereinander gleichberechtigt sind. Dies bedeutet, dass die grundlegenden Naturgesetze in allen Inertialsystemen dieselbe Form haben. Man sagt dann, sie
sind kovariant.
Bemerkung: (i) Das zweite Newtonsche Axiom ist kovariant.
(ii) Die Maxwell-Gleichungen (s. E-Dynamik-Vorlesung) sind hingegen nicht forminvariant. Dies fürte zur Einführung der Lorentztransformationen, die wir in
Kapitel 4 noch genauer besprechen werden.
1.5.2
Rotierende Bezugssysteme
Konstante Rotation: Betrachte zunächst ein Koordinatensystem KS’, das gegenüber einem Inertialsystem IS konstant um den Winkel φ die z-Achse rotiert
ist. Aus den Überlegungen aus Unter-Sektion 1.5.1 folgt, dass die Newtonschen
Gleichungen kovariant sind, insbesondere also die Bewegungsgleichungen in KS’
dieselbe Form annehmen, wie in IS. Wir wollen dies aber noch durch eine explizite Rechnung nachvollziehen.
x0 = x cos φ + y sin φ
(1.286)
y 0 = −x sin φ + y cos φ
(1.287)
0
z = z,
(1.288)
so dass,


mẍ0
ẍ cos φ + ÿ sin φ
 mÿ 0  = m  −ẍ sin φ + ÿ cos φ
mz̈ 0
z̈

Fx cos φ + Fy sin φ
=  −Fx sin φ + Fy cos φ
Fz



(1.289)

.
(1.290)
Dies sind aber gerade die gedrehten Komponenten der Kraft, was die Kovarianz
bestätigt.
50
Konstante Winkelgeschwindigkeit: Wir betrachten nun eine Drehung um
den Winkel φ = φ(t) := ωt, wobei 0 < ω die Winkelgeschwindigkeit der Rotation angibt. Wir erhalten nach einer mühevolleren (aber analogen) Rechnung das
folgende Ergebnis,
 0  

ẍ
Fx cos(ωt) + Fy sin(ωt)
m  ÿ 0  =  −Fx sin(ωt) + Fy cos(ωt) 
(1.291)
z̈ 0
Fz
~zf
=:F
~c
=:F
z  }|
{ z  }|2 0 {
2ω ẏ 0
ω x
+ m  −2ω ẋ0  + m  ω 2 y 0  .
0
0
(1.292)
Terminologie: Man nennt F~c die Coriolis-Kraft und F~zf die Zentrifugalkraft.
Die Zentrifugalkraft zeigt im rotierenden System radial nach außen. Die Corioliskraft steht senkrecht zum Geschwindigkeitsvektor ~x˙ 0 des Teilchens im rotierenden System.
Bemerkung: Zentrifugal- und Corioliskraft sind Scheinkräfte. Sie sind keine
Kräfte im eigentlichen, Newtonschen, Sinne, sondern treten lediglich aus geometrischen Gründen (Rotationen) auf.
Allgemeiner: Allgemeiner gilt das folgende Kraftgesetz (mit der oben eingeführten Terminologie) in rotierenden Systemen,
~c
=F
~
=F
zf
z
}|
{ z
}|
{
0
0
0
0
0
¨
˙
~
m~x = F − 2m(~
ω × (~
ω 0 × ~x0 ) .
ω × ~x ) − m~
(1.293)
Hierbei bedeuten die gestrichenen Größen, dass der Vektor in der Basis des rotierenden Koordinatensystems KS’ ausgedrückt ist. Wir wollen dieses Gesetz
nun herleiten.
Herleitung: In den Übungen wurde gezeigt, dass für jeden rotierenden Vektor
~ (der fest in KS’ ist) gilt, dass,
G
~×G
~ rot = dφ
~ = (~
~
(dG)
ω dt) × G
~ IS = (dG)
~ KS 0 + (dG)
~ rot = (dG)
~ KS 0 + (~
~
⇒ (dG)
ω dt × G),
(1.294)
(1.295)
~ IS der Vektor G
~ im IS
wobei die rechte Seite angibt, um welchen Vektor (dG)
~ zeigt hierbei die Rotationsrichtung und hat einen Betrag,
rotiert worden ist. dφ
der dem Drehwinkel dφ entspricht. (1.295) geht nach Ableitung bzgl. der Zeit t
über in,
!
!
~
~
dG
dG
~
=
+ω
~ × G.
(1.296)
dt
dt
0
IS
KS
Wir wenden (1.296) nun zwei mal auf den Ortsvektor ~r an. Dabei treffen wir
die Einschränkung, dass in IS und KS’ für die Zeiten t = t0 gelten soll, die
51
Winkelgeschwindigkeit ω
~ konstant ist und IS und KS’ denselben Ursprung haben
sollen. Dann gilt zunächst,
=~
r 0 (t)
=~
r (t)
z }| { z
}|
{
3
3
X
X
~r(t) = ~r0 (t) ⇔
xi (t)ei =
x0i (t)e0i (t) .
i=1
(1.297)
i=1
(1.296) liefert zunächst,
=~
r˙ (t)
=~
r˙ 0 (t)
z }|
z }| { {
d~r
d~r
=
+~
ω × ~r0 (t).
dt IS
dt KS 0
(1.298)
Indem wir nun nochmal (1.296) anwenden, erhalten wir,
~r¨(t) = ~r¨0 (t) + 2(~
ω × ~r˙ 0 (t)) + ω
~ × (~
ω × ~r0 ),
(1.299)
wobei
~r¨0 (t) =
d2~r
dt2
.
(1.300)
KS 0
Indem wir nun beide Seiten mit der Masse des der Bahnkurve ~r = ~r0 folgenden
Teilchens auf beiden Seiten multiplizieren und die linke Seite (IS!) durch das
zweite Newtonsche Axiom als Kraft F~ ausdrücken, erhalten wir das Kraftgesetz
m~r¨0 = F~ − 2m(~
ω × ~r˙ 0 ) − m~
ω × (~
ω × ~r0 ).
(1.301)
Drücken wir hier nun alle auftretenden Vektoren durch die Basis des rotierenden
Koordinatensystems KS’ aus, so erhalten wir genau (1.293)! Dies beendet die
Herleitung.
Bemerkung: Man erhält aus der Coriolis-/Zentrifugal-Kraft die zugehörige
Coriolis-/Zentrifugal-Beschleunigung, indem man die entsprechenden Ausdrücke
für Kräfte durch die Masse m dividiert. Dies sollte aber an sich klar sein und
wird im Text auch nicht weiter verwendet werden.
Anwendung: Die Coriolis-Kraft hat in der Beschreibung von Wetterphänomenen auf der Erdoberfläche ihre Anwendung. In der Abbildung 1.22 ist dargestellt, dass sich die Richtung der Coriolis-Kraft mit dem Übergang von Nordzu Südhalbkugel ändert. Insbesondere tritt am Äquator keine Coriolis-Kraft
auf, wenn sich das Teilchen genau nach Norden oder Süden bewegt! In der
Abbildung 1.23 ist dargestellt, dass die Coriolis-Kraft die Wirbelsturm-Bildung
beeinflusst. Auf der Nordhalbkugel wirkt sie nämlich, siehe Abbildung 1.22, entgegengesetzt zum Uhrzeiger-Sinn. Dass die Luftströme sich nicht weiter verwirbeln, sondern tatsächlich einen Wirbelsturm mit Zentrum aufbauen, d.h. dass
sich ’schlingernde’ Stromlinien wie in Abbildung 1.23 ausbilden, liegt daran,
dass neben der Coriolis-Kraft noch der Druck-Gradient wirkt: Für die Bildung
von Wirbelstürmen muss nämlich Luft entlang eines Druck-Gefälles von einem
Hochdruck- zu einem Tiefdruckgebiet strömen. Die Kombination aus CoriolisKraft und Druckgradient ruft also erst die Wirbelstürme hervor! Es sei angemerkt, dass sich am Äquator kein Wirbelsturm ausprägen kann, weil hier die
Projektion der Coriolis-Kraft in die Erdoberfläche verschwindet.
52
Abbildung 1.22: Zur Coriolis-Kraft auf der Erdoberfläche.
Abbildung 1.23: Zur Coriolis-Kraft und der Entstehung von Wirbelstürmen.
53
Abbildung 1.24: Zur Definition des starren Körpers.
1.6
Dynamik eines starren Körpers
Starrer Körper: Unter einem starren Körper versteht man eine Anordnung
von Teilchen, deren Abstände festgehalten werden. Wir treffen im vorliegenden
Text die zusätzliche Annahme, dass ein Punkt von den anderen gesondert dadurch ausgezeichnet ist, dass er bei der Beschreibung der Dynamik des starren
Körpers festgehalten werden kann, sich also nicht bewegt. Wir bezeichnen diesen Punkt in Analogie mit der Bezeichnung für den Koordinatenursprung mit ~0.
Folge: Dadurch, dass wir einen Punkt ~0 festhalten, reduziert sich die Beschreibung der Bewegung auf eine Rotation des Körpers um eine durch ~0 verlaufende
Drehachse (s. Abbildung 1.24) zu jedem Zeitpunkt t. Wir bemerken, dass in einem Inertial-System, dessen Ursprung wir der Einfachheit halber als ~0 wählen,
die Geschwindigkeit ~v gegeben ist durch,
d~r
~v =
=ω
~ × ~r.
(1.302)
dt IS
Folglich gilt auch,
v = |~v | = ωr sin θ =: ωρ⊥ ,
(1.303)
ρ⊥ := r sin θ,
(1.304)
wobei,
der Abstand des Punktes P senkrecht zur Drehachse ist!
Bewegungsgleichung: Wir wissen bereits aus der Sektion über Massenpunkte, dass im Inertialsystem die Bewegungsgleichung für den starren Körper, der
ja nichts anderes als ein großes System von Massenpunkten ist, die folgende
54
Form annimmt,
~
dL
~ a.
=M
dt
(1.305)
Wir berechnen zunächst den Gesamtdrehimpuls des starren Körpers,
X
~ =
L
~ri × p~i
(1.306)
i
=
X
mi~ri × ~vi
(1.307)
mi~ri × (~
ω × ~ri ).
(1.308)
i
=
X
i
Die gesamte kinetische Energie T berechnet sich analog mittels Summation,
X mi
T =
vi2
(1.309)
2
i
X mi
|~
ω × ~ri |2 .
(1.310)
=
2
i
1.6.1
Drehung um feste Drehachse
Trägheitsmoment: Wir spezialisieren uns nun auf den Fall einer Drehung um
eine feste Drehachse. Wähle ein Koordinatensystem also dergestalt, dass ω
~ k ~ez ,
d.h. dass,


0
ω
~ =  0  ; ω = φ̇.
(1.311)
ω
Dann gilt für ~vi ,
~vi = ω
~ × ~ri

 

0
xi
=  0  ×  yi 
ω
zi


−yi
= ω  xi  .
0
(1.312)
(1.313)
(1.314)
Diesen Ausdruck setzen wir in die obige Formel für die kinetische Energie ein,
T =
:=
1X
mi ω 2 (x2i + yi2 )
2 i
(1.315)
ω2
Jω~ .
2
(1.316)
Hierbei wurde definiert,
Jω~ :=
X
mi (x2i + yi2 ) =
i
X
i
55
mi ρ2⊥ .
(1.317)
Man nennt Jω~ das Trägheitsmoment bzgl. der Achse ω
~ , wie das Subskript anzeigt.
Bemerkung: (i)Im Allgemeinen hängt das Trägheitsmoment von Lage und
Richtung der Drehachse ab.
(ii)Man beachte die Analogie zwischen der kinetischen Energie für die Rotation
eines starren Körpers um eine feste Drehachse ω
~,
Jω~ 2
ω ,
2
T =
(1.318)
und der kinetischen Energie für die Translation eines Massenpunkts,
T =
m 2
v .
2
(1.319)
(iii)Für einen um eine fest Drehachse rotierenden starren Körper nimmt die
Gesamtenergie E also nach den obigen Überlegungen die folgende Form an,
E =T +V
Jω~ 2
φ̇ + V (φ),
=
2
(1.320)
(1.321)
wobei V = V (φ) ein winkelabhängiges Potential ist.
(iv)Für konkrete Berechnung verwendet man anstatt der Summe in der Definitionsgleichung für das Trägheitsmoment eher die folgende, integrale Schreibweise
für das Trägheitsmoment,
Z
Jω~ = d3 rρm (~r)ρ2⊥ .
(1.322)
Hierbei ist ρm die Massendichte des Körpers, die durchaus ortsabhängig sein
kann, und ρ⊥ bezeichne wieder den Abstand eines Massenpunktes von der Drehachse (deswegen auch das Subskript ’⊥’ !).
Beispiel: Exemplarisch wollen wir nun das Trägheitsmoment einer homogenen
Kugel um eine durch ihren Mittelpunkt verlaufende Drehachse berechnen. Die
Situation ist in Abbildung 1.25 dargestellt. Da die Kugel als homogen angenommen wird, ist überall im Inneren der Kugel die Massendichte ρm = ρ0 = const.
und überall außerhalb der Kugel gleich 0. In Kugelkoordinaten lässt sich dies
wie folgt ausdrücken,
ρ0
für r ≤ R
ρm =
(1.323)
0 sonst
Die Gesamtmasse M der Kugel ist gegeben durch
M = ρm V =
56
4π
ρ0 R 3 ,
3
(1.324)
Abbildung 1.25: Zur Berechnung des Trägheitsmoments einer homogenen Kugel
bzgl. eines durch den Mittelpunkt verlaufenden Drehachse.
wobei V hier das Gesamtvolumen der Kugel darstellt. Nun haben wir alle Informationen, die wir für die Berechnung des Trägheitsmoments J := Jω~ benötigen.
Z
J = d3 rρm (~r)r2 sin2 θ
(1.325)
Z R Z 2π
Z π
= ρ0
dr
dφ
dθ r4 sin3 θ
(1.326)
0
0
Z
R
= 2πρ0
drr
0
5
4
Z
0
+1
d(cos θ)(1 − cos2 θ)
(1.327)
−1
2πρ0 R
(2 − 2/3)
5
2
= M R2 .
5
=
(1.328)
(1.329)
Steinerscher Satz: Das Trägheitsmoment um eine beliebige Drehachse ist
gleich der Summe aus dem Trägheitsmoment um eine parallele, durch den Schwerpunkt verlaufende Drehachse und dem Trägheitsmoment der im Schwerpunkt
vereinigten Gesamtmasse bezüglich der ursprünglichen Drehachse:
Jω~ = Jω~ s + M s2 ,
(1.330)
wobei s den Abstand vom Schwerpunkt zur ursprünglichen Drehachse angibt.
Beweis: Die Situation des Steinerschen Satzes ist in Abbildung 1.26 dargestellt. Wir führen also die folgende Koordinatentransformation durch,
xi = x̄i + sx
(1.331)
yi = ȳi + sy .
(1.332)
57
Abbildung 1.26: Zum Steinerschen Satz
Für die Trägheitsmomente aus dem Steinerschen Satz gilt also,
X
Jω,s =
mi (x̄2i + ȳi2 )
(1.333)
i
Jω =
X
mi (x2i + yi2 )
(1.334)
mi [(x̄i + sx )2 + (ȳi + sy )2 ]
(1.335)
i
=
X
i
=Jω,s
=
z
X
2
=M
}|
{ z =s
z }| {
}| {X
2
2
2
2
mi (x̄i + ȳi ) + (sx + sy )
mi
i
(1.336)
i
=0
=0
z X
}|
{ z X
}|
{
+ 2sx
mi x̄i + 2sy
mi ȳi
i
(1.337)
i
= Jω,s + M s2 .
(1.338)
Dies beendet den Beweis.
Damit: Wir können nun die kinetische Energie der Rotation eines starren
Körpers um eine feste Drehachse physikalisch intuitiver ausdrücken,
=Ttrans
z }| {
=Trot,s
2
=vs
z }| {
{
Jω,s 2
M z }|
ω +
ω 2 s2 .
T =
2
2
(1.339)
Hierbei ist der erste Term die Rotationsenerge um den Schwerpunkt, der zweite
die Translationsenergie des Schwerpunkts. Wir gehen nun wieder zur Bewegungsgleichung (1.305) zurück und machen die folgende Bemerkung.
~ nicht parallel zu ω
Bemerkung: Im Allgemeinen ist L
~ . Dies illustriert das
nachfolgende Beispiel.
58
Abbildung 1.27: Beispiel.
Beispiel: Betrachte die dargestellte Hantel (Abbildung 1.27). Die beiden Massenpunkte mit den Massen m1 und m2 sind durch eine masselose starre Stange
der Länge 2a auf gleichem Abstand gehalten. Dargestellt wird ferner nur die
xy-Ebene - die Bewegung findet selbstredend auch in der z-Richtung statt! Man
findet nun,
~r1 = a cos θ~ex + a sin θ~ey
(1.340)
~r2 = −a cos θ~ex − a sin θ~ey
(1.341)
ω
~ = ω~ex
~ = m1~r1 × ~v1 + m2~r2 × ~v2
⇒L
(1.342)
2
= 2mωa sin θ(− cos θ~ey + sin θ~ex ) ∦ ω
~.
(1.343)
(1.344)
Bemerkung: Falls ω
~ entlang der Symmetrieachse des starren Körpers zeigt,
~ kω
dann ist L
~!
Behauptung: Zur Bestimmung von ω̇ genügt die Betrachtung der Kompo~ die parallel zu ω
nente von L,
~ ist, d.h.
~
~·ω
Lω~ := L
ω
"
#
1 X
=
~ri × mi (~
ω × ~ri ) · ω
~
ω i
1X
=
mi |~
ω × ~ri |2
ω i
X
=
mi ρ2⊥,i ω
(1.345)
(1.346)
(1.347)
(1.348)
i
= Jω~ ω.
(1.349)
59
Abbildung 1.28: Zum Beispiel.
In (1.347) wurde (~a × ~b) · ~c = (~c × ~a) · ~b benutzt. Für das Dehmoment muss man
nun natürlich auch nur die Komponente in Richtung von ω
~ betrachten,
~
~a·ω
Mω~a := M
.
ω
(1.350)
Damit erhalten wir die folgende Bewegungsgleichung,
~
dL
~ a ⇒ dLω~ = M a ⇔ Jω~ ω̇ = M a ,
=M
ω
~
ω
~
dt
dt
(1.351)
wobei angenommen wurde, dass das Trägheitsmoment Jω~ zeitunabhängig ist.
Kommentar: Im Folgenden sei nun das Subskript ’a’ weggelassen.
Beispiel: Sei ω
~ k ~ez . Betrachte die Abbildung 1.28. Wir wollen nun einen
alternativen Ausdruck für das Drehmoment aus (1.351) finden, der physikalisch
intuitiver ist. Es sei an die Definition der Leistung P erinnert,
P := F~ · ~v
= F~ · (~
ω × ~r)
(1.352)
=ω
~ · (~r × F~ )
~
=ω
~ ·M
(1.354)
P
ω
F~ · ~v
=
ω
Ft v
=
ω
Ft ωr
=
ω
= Ft r
⇒ Mω~ =
= F rH ,
(1.353)
(1.355)
(1.356)
(1.357)
(1.358)
(1.359)
(1.360)
(1.361)
wobei rH der sogenannte Radius des Hebelarms ist, s. Abbildung 1.28 und Ft
der Anteil der Kraft, der senkrecht ist auf der Verbindungslinie zwischen der
Drehachse und dem Punkt, auf den die Kraft wirkt (d.h. es handelt sich um die
Tangentialkomponente der Kraft). Im letzten Schritt wurde der Strahlensatz auf
60
Abbildung 1.29: Zum physikalischen Pendel: Versuchsaufbau.
die beiden in Abbildung 1.28 eingezeichneten Dreiecke mit Winkel α angewandt,
Ft
rH
=
.
F
r
(1.362)
Beispiel: Wir wollen die in dieser Unter-Sektion bereitgestellte Methodik auf
ein wichtiges Beispiel aus der Theorie starrer Körper anwenden, das sogenannte
Physikalische Pendel. Die Situation ist in Abbildung 1.29 dargestellt. Gegeben
sei ein starrer Körper, der an einem Punkt drehbar gelagert sei, seine Drehachse
sei also zeitlich konstant. Ferner besitze der Körper einen Schwerpunkt S, mit
~ |R|
~ =: l, bezogen auf das Koordinatensystem, welches wie in
Ortsvektor R,
Abbildung 1.29 durch den Aufhängepunkt definiert sei. Wir wenden nun den
61
Satz von Steiner (1.330) auf das Problem an.
Jω~ = Jω~ ,s + M l2
dφ
⇒ Lω~ = (Jω~ ,s + M l2 ) ,
dt
X
a
~
M =
~ri × (−mi g~ey )
(1.363)
(1.364)
(1.365)
i
~
MR
z
=−
}| !{
X
mi~ri ×g~ey
(1.366)
i
~ × (−M g~ey )
=R
~ × (−M g~ey )) · ~ez
⇒ Mω~a = (R
(1.367)
(1.368)
=~
ex
z }| {
~
= −M g (~ey × ~ez ) ·R
(1.369)
= −M gRx
(1.370)
= −M gl sin φ.
(1.371)
Der letzte Term ist gerade die im Schwerpunkt angreifende Gravitationskraft
multipliziert mit dem Hebelarm, s. oben. Die Differentialgleichung, die die Dynamik des physikalischen Pendels beschreibt, nimmt also die folgende Form an,
(Jω~ ,s + M l2 )φ̈ = −M gl sin φ.
(1.372)
Diese Differentialgleichung ist nicht-linear. Man kann zeigen, dass sie analytisch
nicht lösbar ist. Man kann sie jedoch analytisch für kleine Auslenkungen lösen.
Wir betrachten daher nun die Kleinwinkel-Näherung, d.h. wir benutzen, dass
für kleine Winkel φ gilt,
sin φ ≈ φ.
(1.373)
Damit geht die obige Differentialgleichung über in die bekannte Form einer
Differentialgleichung für einen harmonischen Oszillator,
φ̈ +
g
1
φ = 0.
l 1 + Jω~ ,s2
(1.374)
Ml
Die Schwingungsfrequenz ω0 ist nach den Überlegungen aus Unter-Sektion 1.3.1
gegeben durch,
s
g
1
ω0 =
.
(1.375)
l 1 + Jω~ ,s2
Ml
Wir wollen dies mit dem Fadenpendel vergleichen, was die analoge Fragestellung des physikalischen Pendels bei Punkt-Massen aufgreift. Betrachte dazu die
Abbildung 1.30. Nach dem zweiten Newtonschen Axiom gilt,
ma = mv̇ = mlω̇ = mlφ̈ = −mg sin φ.
62
(1.376)
Abbildung 1.30: Fadenpendel: Versuchsaufbau.
Indem wir wieder die Kleinwinkel-Näherung (1.373) vornehmen, geht dies über
in die Differentialgleichung für einen harmonischen Oszillator,
mlφ̈ = −mgφ.
(1.377)
Die Schwingungsfrequenz ω0 des Fadenpendels ist also nach den Überlegungen
aus Unter-Sektion 1.3.1 gegeben durch,
r
g
ω0 =
.
(1.378)
l
1.6.2
Drehungen im Raum
Motivation: Die Situation ist in Abbildung 1.31 dargestellt. Wir wollen einen
symmetrischen Kreisel untersuchen, der um seine Symmetrie-Achse rotiert. Nach
einer Bemerkung in der vorangegangenen Unter-Sektion ist dann insbesondere
~ Wir berechnen zur Beschreibung der Bewegung wieder, gemäß der Beω
~ k L!
~ a,
wegungsgleichung (1.351) das äußere Drehmoment M
~a=R
~ × F~ .
M
(1.379)
~ |R|
~ = l bzgl. des
Die angreifende Kraft (im Schwerpunkt S, mit Ortsvektor R,
Ursprungs aus der Abbildung 1.31) ist die Schwerkraft. Das Drehmoment ist so
gerichtet, dass es im Sinne der Abbildung 1.31 aus der Bildebene hinaus zeigt!
Wir setzen nun die Bewegungsgleichung an,
~
dL
~ a.
=M
dt
(1.380)
Präzessionfrequenz: Wir würden nun gerne aus der obigen Bewegungsgleichung die Präzessionsfrequenz Ω ermitteln. Dazu stellen wir auf Basis der Ab-
63
Abbildung 1.31: Motivation für die Untersuchung der Präzession einer Kreisels.
Abbildung 1.32: Geometrische Überlegungen zur Herleitung der PräzessionsFrequenz Ω.
64
Abbildung 1.33: Anschauliche Deutung der Präzession des Kreisels I: Trotz Gravitationskraft bleibt der Kreisel in der Horizontalen.
bildung 1.32 die folgende Rechnung an,
~ = L sin θdφ~eφ
dL
~
dL
⇒
= L sin θΩ~eφ
dt
~ × L.
~
=Ω
(1.381)
(1.382)
(1.383)
Andererseits gilt aber aufgrund unserer Bewegungsgleichung von oben,
~
dL
~a
=M
dt
~ × (−M g~ez )
=R
= M gl sin θ~eφ .
(1.384)
(1.385)
(1.386)
Durch Gleichsetzen der beiden Ausdrücke für die zeitliche Änderung des Drehimpuls-Vektors erhalten wir nach elementarer Umformung sofort einen Ausdruck
für die Präzessionsfrequenz Ω,
Ω=
M gl
M gl
=
.
L
Jω~ ω
(1.387)
Dieser Ausdruck ist unabhängig vom Neigungswinkel θ!
Intuitive Deutung: Was bedeutet die Präzession eines Kreisels nun also intuitiv? Betrachte dazu die Abbildungen 1.33 und 1.34. Ein symmetrischer (Scheibenförmiger) Kreisel präzediert entlang der Horizontalen. Dies widerspricht der
Intuition, man könnte nämlich argumentieren, dass der Kreisel aufgrund der
Schwerkraft nach unten gezogen wird, also eine Auslenkung in vertikale Richtung
stattfindet. Allerdings haben wir es hier mit rotierenden Bezugssystemen zu tun.
Im Bezugssystem des rotierenden Kreisels, welches mit der Präzessionsfrequenz
65
Abbildung 1.34: Anschauliche Deutung der Präzession des Kreisels II: Der
Grund dafür, dass der Kreisel nicht einfach nach unten absackt, ist ein alter
Bekannter: die Coriolis-Kraft!
Ω präzediert um die Horizontale, würde ein Beobachter nämlich noch eine
Scheinkraft feststellen, die Coriolis-Kraft,
~ × ~r˙.
F~c = −2mΩ
(1.388)
Man bestimmt die Richtung der Coriolis-Kraft vermittels der Rechte-HandRegel und erhält somit die in Abbildung 1.34 dargestellte Situation.
Anwendung: Die Erde besitzt eine ellipsoide - axialsymmetrische Form. Aus
diesem Grund kann sie als (symmetrischer) Kreisel angesehen werden. Ferner
ist klar, daß sowohl die Sonne als auch der Mond Kräfte auf die Erde ausüben.
Berücksichtigt man nun, dass die Erdachse nicht normal zur Ebene ihrer Bahnkurve (um die Sonne) ist, sondern einen Neigungswinkel von ca. 23.5◦ aufweist,
so gelangt man zu dem Schluss, dass ein Drehmoment wirkt, welches versucht,
die Drehachse der Erde wieder aufzurichten (Man beachte: Durch die ellipsoide
Form ist der Erdradius am Äquator größer als an den Polen!). Alle Überlegungen
zusammengefasst führen darauf, dass die Erde um die Erdachse präzediert, wobei die Periode einer Präzession in etwa. 25.000 Jahre beträgt!
66
Abbildung 1.35: Die Erde als ellipsoider Kreisel und ihre Präzession um die
geneigte Drehachse gegenüber der Normalen ihrer Bahnfläche.
67
Kapitel 2
Lagrange-Formalismus
Einführung: Die Newtonschen Bewegungsgleichungen sind für die Beschreibung von komplexen Phänomenen mit Zwangsbedingungen oft unhandlich. In
diesem Kapitel wollen wir einen Formalismus vorstellen, der die Beschreibung
von (komplizierten) mechanischen Systemen ermöglicht und dabei ein Lösungsschema für die Herleitung von Bewegungsgleichungen an die Hand gibt. Dieser
Formalismus heißt Lagrange-Formalismus.1
Grundidee: Betrachte die Abbildung 2.1 Dargestellt sind zwei Pfade im z − tDiagramm, die die Bahnkurve eines Massenpunktes beschreiben sollen, unter
Einwirkung der Gravitationskraft nahe der Erdoberfläche. Es ist intuitiv klar,
dass der untere Pfad wohl kaum eine tatsächlich ablaufende Bewegung beschreiben kann. Nichtsdestominder ist er (mathematisch) eine zulässige Verbindung
von ~r1 , t1 und ~r2 , t2 . Wir wollen nun zu Anfang dieses Kapitels unsere Vorstellung von physikalisch sinnvollen Trajektorien etwas präzisieren.
Warum Parabel?: Definiere nun die sogenannte Lagrange-Funktion L vermöge,
L :=
m ˙2
m
~r − Vpot = ~r˙ 2 − mgz.
2
2
(2.1)
Berechne nun das Wirkungsintegral S,
Z
t2
S=
dtL.
(2.2)
t1
Behauptung: Der Wert von S ist für jede fiktive Bewegung größer als für die
tatsächlich stattfindende Bewegung!
In Formeln ausgedrückt bedeute das:
S = min! ⇔ ~r¨ = −g~ez .
(2.3)
Dies wollen wir nun für unsere eindimensionale Bewegung bestätigen. Betrachte
dazu die Abbildung 2.2. Wir fassen das Wirkungsintegral S wie folgt auf,
1 Tatsächlich verwendet man den Lagrange-Formalismus in der ganzen theoretischen Physik
sehr oft. Es wird hoffentlich am Ende dieses Kapitel klar werden, warum dem so ist.
68
Abbildung 2.1: Pfade, Pfade, Pfade,...
Abbildung 2.2: Tatsächliche ablaufende Bewegung, z(t) = −g/2t2 + ż(0)t + z(0).
69
z0 (t)
Abbildung 2.3: Vergleich des tatsächlichen Wegs z0 und des Vergleichswegs z.
S : Weg z(t) 7→ S[z(t)] ∈ R.
(2.4)
Nach unserer obigen Behauptung soll dies gerade minimal bei der tatsächlichen
Bewegung werden! Dies müssen wir also nachprüfen.
Analogie: Sei f = f (x) eine reelle Funktion, die minimal an der Stelle x = x0
wird. Dann muss gelten, f 0 (x0 ) = 0, d.h. eine Taylor-Entwicklung um die Stelle
x = x0 liefert,
1
f (x) = f (x0 ) + f 0 (x0 )(x − x0 ) + f 00 (x0 )(x − x0 )2 + O((x − x0 )3 )
2
= f (x0 ) + O((x − x0 )2 ).
(2.5)
(2.6)
Dies bedeutet, dass wenn wir um eine Größe ∆x = x−x0 << 1 von x0 weggehen,
dann ist die Abweichung des Funktionswerts an der neuen Stelle x = x0 + ∆x
vom Funktionswert f (x0 ) nur von zweiter Ordnung in ∆x. Diese Überlegung
wollen wir nun auf das Wirkungsintegral übertragen.
Vergleichspfade: Definiere einen Vergleichsweg z(t) = z0 (t) + η(t). Hierbei
ist z0 (t) der Pfad, für den das Wirkungsintegral S minimal werde, || << 1
eine Konstante und η(t) eine beliebige Funktion, die den Randbedingungen
η(t1 ) = η(t2 ) = 0 gehorche. Diese Überlegung ist in Abbildung 2.3 graphisch
dargestellt. Vermittels unserer Analogie von oben können wir nun die Bedingung
dafür, dass S ein Minimum bei z0 hat, umformen zu,
S[z(t)] − S[z0 (t)] ist O(2 ).
70
(2.7)
Wir berechnen also zuerst S[z(t)].
!
2
Z t2
m dz
dt
S[z(t)] =
− mgz
2 dt
t1
!
2
Z t2
m dz0
dη
dt
=
+
− mg(z0 + η)
2
dt
dt
t1
!
2
Z t2
m dz0
− mgz0
=
dt
2
dt
t1
Z t2 dz0 dη
+
dt m
− mgη
dt dt
t1
2
Z t2
m dη
.
+ 2
dt
t1 2
(2.8)
(2.9)
(2.10)
(2.11)
(2.12)
!
=0.
z
Z
}|
{
t2
dz0 dη
− mgη +O(2 ) .
⇒ S[z(t)] − S[z0 (t)] = dt m
dt dt
t1
Wir wissen aber, dass ein Ausdruck der Form
Z t2
dtF (t)η(t) = 0
(2.13)
(2.14)
t1
genau dann wahr ist für eine beliebige Funktion η(t) (mit η(t1 ) = η(t2 ) = 0),
wenn
F (t) = 0.
(2.15)
Indem wir also für den integralen Ausdruck aus (2.13), der verschwinden soll,
eine partielle Integration ausführen, erhalten wir
=0
Z
t2
t1
z }| { Z
t
dt(z˙0 η̇ − gη) = ż0 η|t21 −
p.I.
t2
dt(z̈0 + g)η,
(2.16)
t1
was für eine beliebige Funktion η(t) mit η(t1 ) = η(t2 ) = 0 gelten soll. In Verbindung mit dem oben genannten Satz ergibt uns das also,
S[z(t)] − S[z0 (t)] von O(2 ) ⇔ z̈0 = −g.
(2.17)
Letzteres ist aber gerade die Newtonsche Bewegungsgleichung für die Bewegung
aus Abbildung 2.2!
Bemerkung: (i) Für Teilchen im homogenen Gravitationsfeld gilt nach (2.12)
2
Z t2
m dη
S[z] − S[z0 ] = 2
dt
> 0,
(2.18)
2 dt
t1
so dass S für z0 tatsächlich minimal wird.
(ii) Für ein beliebiges Potential V lautet die Lagrange-Funktion nun,
L=
m ˙2
~ (~r).
~r + V (~r) ⇔ m~r¨ = −∇V
2
71
(2.19)
(iii) Die Bezeichnung ‘S[z] − S[z0 ] ist von zweiter Ordnung in ’ wird manchmal
auch anders geschrieben. Eine in der Physik gebräuchliche Notation ist δS = 0,
und man sagt, dass die erste Variation von S verschwindet. In der Mathematik
hingegen spricht man lieber davon, dass das Funktional S stationär bei z = z0
ist.
(iv) (δS = 0 ⇔ Newtonsche Bewegungsgleichungen erfüllt) wird auch als ’Prinzip der kleinsten Wirkung’ oder als Hamilton’sches Wirkungsprinzip bezeichnet.
Man beachte, dass das Wort ’kleinste’ nicht immer korrekt ist und historisch bedingt ist. Vielmehr hat man es häufig mit einem Sattelpunkt zu tun (für manche
Vergleichswege ist die Wirkung größer und für andere kleiner als für den Weg,
der der Newtonschen Bewegungsgleichung genügt, s. die Übungen für Beispiele). Dass es sich bei der Bewegung im homogenen Gravitationsfeld tatsächlich
um ein Minimum handelt, liegt daran, dass das Potential linear in z ist. In
jedem Fall ist die Wirkung jedoch extremal für die Lösung der Newtonschen
Bewegungsgleichung.2
Verallgemeinerungen
Bisher haben wir nur die Lagrange-Funktion,
L=
m 2
ż − V (z),
2
(2.20)
betrachtet. Wir wollen nun einige Verallgemeinerungen vornehmen.
Verallgemeinerungen: Man kann leicht zeigen, dass die folgenden Verallgemeinerungen für die Lagrange-Funktion gelten,
• 3D: In drei Dimensionen nimmt die Lgarange-Funktion die folgende Form
an,
L=
m 2
(ẋ + ẏ 2 + ż 2 ) − V (x, y, z).
2
(2.21)
• Krummlinige Koordinaten: Es ist besonders einfach, die LagrangeFunktion in krummlinigen Koordinaten anzugeben. Man beachte hierbei,
dass lediglich erste Ableitungen in Lagrange-Funktion vorkommen - in
Newton’s Bewegungsgleichungen waren es Ableitungen zweiter Ordnung.
Da bei krummlinigen Koordinaten im Allgemeinen die Basis-Vektoren
nicht zeitunabhängig sind, muss man diese beim Differenzieren auch berücksichtigen (Produktregel!). Zweimaliges Ableiten führt also zu einer
technisch eher aufwändigen Rechnung. Wir geben zuerst das Wegelement
in Kugelkoordinaten an,
d~r = dr~er + rdθ~eθ + r sin θdφ~eφ
d~r
⇒ ~r˙ =
= ṙ~er + rθ̇~eθ + r sin θφ̇~eφ .
dt
(2.22)
(2.23)
Indem wir dies nun in die übliche Form der Lagrange-Funktion L = T −V ,
also als Differenz aus kinetischer Energie und Potential, einsetzen, erhalten
2 Das Hamilton’sche Prinzip ist in der ganzen Physik fundamental! Es ist der Ausgangspunkt dafür, die Bewegungsgleichungen der Physik vermittels Variationsprinzipien herzuleiten.
72
wir,
L=
m 2
(ṙ + r2 (θ̇2 + sin2 (θ)φ̇2 )) − V (r, θ, φ),
2
(2.24)
wobei wir berücksichtigt haben, dass wir nunmehr auch das Potential V
entsprechend in Kugelkoordinaten transformieren müssen.
• N-Teilchen: Wir sind bei der Lagrange-Funktion nicht zwingendermaßen
auf die Betrachtung eines Ein-Teilchen-Systems limitiert. Vielmehr können
wir auch N Teilchen betrachten. Wir machen die Idee am Beispiel von
N = 2 Teilchen klar,
L = T1 + T2 − V1+2
(2.25)
m1
m
2
(x˙1 2 + y˙1 2 + z˙1 2 ) +
(x˙2 2 + y˙2 2 + z˙2 2 ) − V (x1 , y1 , z1 ; x2 , y2 , z2 ).
=
2
2
(2.26)
• Warnung: In der Physik stößt man z.B. im Rahmen der Elektrodynamik
schnell auf Systeme deren Lagrange-Funktion L nicht die Form einer Differenz aus kinetischer Energie T und potentieller Energie V annimmt. Wir
betrachten ein Beispiel aus der Elektrodynamik, die Bewegung eines geladenen Teilchens im elektromagnetischen Feld. Wir akzeptieren zunächst,
dass
m
~ r, t),
(2.27)
LEM = ~r˙ 2 − qφ(~r, t) + ~r˙ · A(~
2
~ das sogenannte Vekwobei φ das sogenannte Skalar-Potential ist, und A
~
~ lassen
torpotential. Das elektrische Feld E und das magnetische Feld B
~
sich wie folgt aus den beiden Potentialen φ, A berechnen,
~
~ = −∇φ
~ − ∂A
E
∂t
~
~
~
B = ∇ × A.
(2.28)
(2.29)
Wir sehen also, dass die Lagrange-Funktion nicht die Form einer Differenz aus kinetischer und potentieller Energie annimmt. Ein Leser, der
mit der Elektrodynamik vertraut ist, mag die weiter unten stehenden
Euler-Lagrange-Gleichungen (in allgemeiner Form) dazu verwenden, aus
der oben angegebenen Lagrange-Funktion LEM die Bewegungsgleichungen
herzuleiten. Es werden sich die Newton’schen Bewegungsgleichungen ergeben, wobei die Kraft diesmal die Lorentz-Kraft im elektromagnetischen
Feld ist.
Euler-Lagrange: Allgemein geben wir uns n Koordinaten {qi }, i = 1, ..., n vor,
dazu n Geschwindigkeiten {q̇i }, i = 1, ..., n. Wir definieren nun die LagrangeFunktion L,
L = L({qi }, {q̇i }, t).
(2.30)
Die Wirkung S sei definiert als
Z
t2
S=
dtL.
t1
73
(2.31)
Für die {qi } gelte qi (t1 ) = qi1 , qi (t2 ) = qi2 , i = 1, ..., n.
Frage: Wie lauten die Bewegungsgleichungen, die aus der Stationarität des
Wirkungsfunktionals, δS = 0, folgen?
Antwort: Dies sind die sogenannten Euler-Lagrange-Gleichungen,
d ∂L
∂L
=
;
dt ∂ q̇i
∂qi
i = 1, ..., n.
(2.32)
Bemerkung: Man beachte, dass auf der linken Seite von (2.32) eine totale
Ableitung nach der Zeit steht. Für den Fall einer Funktion,
F = F({qi }i=1,...,n , {q̇i }i=1,...,n , t),
(2.33)
berechnet sich diese gemäß,
n
n
X ∂F dqi X ∂F dq̇i
∂F
dF
=
+
+
.
dt
dqi dt
∂ q̇i dt
∂t
i=1
i=1
(2.34)
Bezogen auf die Euler-Lagrange-Gleichungen bedeutet das nichts anderes, als
dass die Euler Lagrange-Gleichungen Differentialgleichungen zweiter Ordnung
in der Zeit sind, genau wie die Newton’schen Bewegungsgleichungen, zu denen
die Euler-Lagrange-Gleichungen ja schließlich äquivalent sein sollen!
Beispiel: Wir wollen nun zeigen, dass sich für den Fall unserer klassischen,
drei-dimensionalen Lagrange-Funktion L, die gegeben ist durch,
L=T −V =
m 2
(ẋ + ẏ 2 + ż 2 ) − V (x, y, z),
2
(2.35)
tatsächlich wieder die Newton’schen Bewegungsgleichungen gewinnen lassen.
Aus der Invarianz der Lagrange-Funktion bzgl. Reparametrisierung wird dann
folgen, dass dies nicht nur für den drei-dimensionalen kartesischen Fall, sondern sogar allgemein gilt. Durch Anwendung von (2.32) auf die obige LagrangeFunktion erhalten wir


d
∂V 



(mẋ) = −



dt
∂x 






∂V
d
(2.36)
(mẏ) = −

dt
∂y 




 d


∂V 




(mż) = −
dt
∂z


∂V 



mẍ
=
−



∂x 






∂V
m=const.
⇐⇒
mÿ = −

∂y 








∂V




mz̈ = −
∂z
74
(2.37)
~
m~r¨ = −∇V.
(2.38)
Letzteres sind aber gerade die Newton’schen Bewegungsgleichungen.
Beweis von (2.32): Wir wollen nun die allgemeinen Euler-Lagrange-Gleichung
(2.32) beweisen. Dazu nehmen wir an, dass das Wirkungsfunktional S bei {qi }
stationär werde. Es sei noch bzgl. der Notation angemerkt, dass die i’s von 1
bis n laufen, auch wenn dies nicht immer explizit angegeben wird. Ferner gelten
die Randbedingungen, die nach der Gleichung (2.31) genannt werden. Analog
zum Fall der Herleitung der Euler-Lagrange-Gleichungen für eine Bewegung in
z-Richtung, definieren wir einen Vergleichsweg,
q,i = qi + ηi (t),
(2.39)
wobei eine betragsmäßig hinreichend kleine reelle Zahl sei, und die ηi , i =
1, ..., n die ’Störfunktionen’ sind, die den folgenden Randbedingungen gehorchen,
ηi (t1 ) = 0 = ηi (t2 ),
i = 1, ..., n.
(2.40)
Für eine Funktion von 2 Variablen, F (x, y), lässt sich die Taylor-Entwicklung
wie folgt angeben (x = x0 + ηx , y = y0 + ηy ),
∂F
∂F
(x0 , y0 )(x − x0 ) +
(x0 , y0 )(y − y0 ) + O(2 )
∂x
∂y
(2.41)
∂F
∂F
= F (x0 , y0 ) + ηx +
ηy + O(2 ).
(2.42)
∂x
∂y
F (x, y) = F (x0 , y0 ) +
Für unser Wirkungsfunktional ergibt sich dann,
Z t2
S[{q,i }] =
dtL({qi + ηi }, {q̇i + η̇i }, t)
(2.43)
t1
Z t2
=
L({qi }, {q̇i }, t)
(2.44)
t1
Z
t2
+
dt
t1
n X
∂L
i=1
∂qi
({qi }, {q̇i }, t)ηi +
∂L
({qi }, {q̇i }, t)η̇i
∂ q̇i
+ O(2 ).
(2.45)
(2.46)
Nun,
Z
t2
δS = 0 ⇔
dt
t1
n X
∂L
i=1
∂L
({qi }, {q̇i }, t)ηi +
({qi }, {q̇i }, t)η̇i .
∂qi
∂ q̇i
(2.47)
Durch Anwenden von partieller Integration auf die Terme, die η˙i (t) beinhalten,
können wir die Ableitung nach t auf die Ableitungen der Lagrange-Funktion
nach q˙i umwälzen,
=0
z
}| {
t2
Z t2 X
Z t2 X
n
n
n
X
∂L
∂L d ∂
dt
η̇i =
ηi −
ηi .
∂
q̇
∂
q̇
dt
∂ q̇i
i
i
t1
t1 i=1
i=1
i=1
t1
75
(2.48)
Eingesetzt in die Gleichung (2.47) ergibt dies,
Z
t2
dt
t1
n
X
ηi
i=1
∂L
d ∂L
−
∂qi
dt dq̇i
= 0.
(2.49)
Wir wenden nun eine zu der Herleitung der Lagrange-Gleichungen im Falle einer
Bewegung in z-Richtung analoge Argumentation an. Da {ηi }i=1,...,n beliebig
sind, mit ηi (t1 ) = 0 = ηi (t2 ), i = 1, ..., n, muss gelten
d ∂L
∂L
=
;
dt ∂ q̇i
∂qi
i = 1, ..., n,
(2.50)
was genau die Euler-Lagrange-Gleichungen aus (2.32) sind. Das beendet den
Beweis.
Wichtig: Die Euler-Lagrange-Gleichungen (2.32) haben immer dieselbe Form,
unabhängig von der Wahl der Koordinaten.
Beispiel: Wir betrachten ein zwei-dimensionales Beispiel. Wir gehen dabei von
den Newton-Gleichungen aus,
~
m~r¨ = −∇V.
(2.51)
In kartesischen Koordinaten schreibt sich dies wie folgt,
∂V
,
∂x
∂V
mÿ = −
.
∂y
(2.52)
mẍ = −
(2.53)
In Polarkoordinaten dagegen gilt,
m(ρ̈ − ρφ̇2 )~eρ + m(ρφ̈ + 2ρ̇φ̇)~eφ = −
∂V
1 ∂V
~eρ −
~eφ ,
∂ρ
ρ ∂φ
(2.54)
d.h.
∂V
,
∂ρ
1 ∂V
m(ρφ̈ + 2ρ̇φ̇) = −
.
ρ ∂φ
m(ρ̈ − ρφ̇2 ) = −
(2.55)
(2.56)
Die Newton’schen Bewegungsgleichungen nehmen also eine komplett andere
(und kompliziertere) Form in Polarkoordinaten an. Wir führen nun das gleiche Spiel für die Lagrange-Funktion L durch,
m 2
(ẋ + ẏ 2 ) − V (x, y)
2
m
= (ρ̇2 + ρ2 φ̇2 ) − V (ρ, φ).
2
L=
(2.57)
(2.58)
Wir bilden nun die Euler-Lagrange-Gleichungen gemäß (2.32) und schauen, ob
sich in beiden Fällen, d.h. sowohl für kartesische als auch polare Koordinaten,
76
jeweils die Newton’schen Bewegungsgleichungen ergeben, die wir gerade eben
hergeleitet haben. Die Rechnung im kartesischen Fall ist vollkommen analog
zum dreidimensionalen Fall, den wir bereits oben betrachtet haben, s. (2.38).
Der interessante Fall ist also die Rechnung mit Polarkoordinaten.
d ∂L ∂L
−
dt ∂ φ̇
∂φ
∂V
d 2
⇔ 0 = m (ρ φ̇) +
dt
∂φ
0=
∂V
∂φ
1 ∂V
⇔ m(ρφ̈ + 2ρ̇φ̇) = −
ρ ∂φ
⇔ 0 = m(ρ2 φ̈ + 2ρρ̇φ̇) +
(2.59)
(2.60)
(2.61)
(2.62)
und
0=
d ∂L ∂L
−
dt ∂ ρ̇
∂ρ
⇔ mρ̈ − mρφ̇2 = −
(2.63)
∂V
.
∂ρ
(2.64)
In beiden Fällen ergeben sich also dieselben komplizierten Bewegungsgleichungen. Allerdings ging es über die Lagrange-Gleichungen wesentlich einfacher, die
entsprechenden Gleichungen herzuleiten!
2.1
Zwangsbedingungen
Problem: Falls das zu beschreibende System sogenannten Zwangsbedingungen
unterworfen ist, sind die Newton’schen Axiome nicht unmittelbar anwendbar,
da man i.a. die Zwangskräfte nicht kennt, die die Zwangsbedingungen erzwingen.
Beispiel: Wir betrachten als Beispiel das ebene Fadenpendel aus Abbildung
~ Wir haben es im vorliegenden Fall
2.4. Die Zwangskraft bezeichnen wir mit Z.
mit zwei Zwangsbedingungen zu tun,
0 = z,
(2.65)
2
2
2
0=x +y −l .
(2.66)
Die erste Zwangsbedingung besagt, dass die Bewegung effektiv zwei-dimensional
ist, d.h. in der xy-Ebene verläuft (s. Abbildung oben!). Das zweite Newton’sche
Axiom würde nun an sich besagen, dass,
x
¨
~
~
m~r = F + Z, ~r =
= ρ~eρ .
(2.67)
y
~ a priori unbekannt, denn wir kennen nur die zweite ZwangsbeAllerdings ist Z
dingung,
0 = x2 + y 2 − l 2 .
77
(2.68)
Abbildung 2.4: Ebenes Fadenpendel I
Abbildung 2.5: Ebenes Fadenpendel II
78
Diese Bedingung sagt uns, dass die Bewegung effektiv entlang eines Kreises
~ erzwingt also die Zwangsbedingung.
vom Radius l verläuft. Die Zwangskraft Z
Ferner erkennen wir, dass trotz der Zwangsbedingung keine Einschränkung für
die Bewegung entlang des Kreises vorliegt. Dies wiederum impliziert, dass die
~ orthogonal zum Kreis ist. Die Kreisgleichung wird aber gerade
Zwangskraft Z
durch die obige Zwangsbedingung,
0 = x2 + y 2 − l2 =: b(x, y)
(2.69)
gegeben. Wir wissen, dass der Gradient einer Funktion normal zu den Hyperflächen ist, auf denen die Funktion einen konstanten Wert annimmt (im vorliegenden Fall den Wert Null), d.h.
~ k ∇b.
~
Z
(2.70)
In unserem Fall ergibt sich, wenn wir die Proportionalitätsfunktion als λ bezeichnen,
~ = λ(~r, ~r˙, t)∇b
~ = 2λ~r.
Z
(2.71)
Damit nun dem zweiten Newton’schen Axiom,
m~r¨ = −mg~ey + 2λ~r,
(2.72)
Genüge getan wird, müssen wir λ bestimmen. Dazu leiten wir b = b(~r) zweimal
nach t ab.
ḃ = 2~r · ~r˙ = 0
b̈ = 2~r˙ 2 + 2~r · ~r¨ = 0.
(2.73)
(2.74)
Die letzte Identität, eingesetzt in die Newton’schen Bewegungsgleichungen (2.72),
multipliziert mit ~r, ergibt,
−m~r˙ 2 = −mgy + 2λ~r2 .
(2.75)
Einsetzen der Zwangsbedingung ~r2 = l2 liefert,
−m~r˙ 2 = −mgy + 2l2 λ ⇔ 2λ = −
m ˙2
(~r − gy).
l2
(2.76)
Also ergibt sich,
1
~r¨ = −g~ey − 2 (~r˙ 2 − gy)~r.
l
(2.77)
Wir formulieren nun die Bewegungsgleichungen in Polarkoordinaten. Betrachte
dazu die Abbildung 2.5. Es gilt,
~r = ρ~eρ
(2.78)
y = −ρ cos φ
(2.79)
~ey = sin φ~eφ − cos φ~eρ .
79
(2.80)
Wir leiten nun den Ortsvektor ~r(t) zweimal nach der Zeit t ab, wobei wir
berücksichtigen müssen, dass nunmehr die Basisvektoren nicht mehr zeitunabhängig sind, sondern nachdifferenziert werden müssen (Produktregel!).
~r˙ = ρ̇~eρ + ρφ̇~eφ
~r¨ = (ρ̈ − ρφ̇2 )~eρ + (ρφ̈ + 2ρ̇φ̇)~eφ
!
= −g sin φ~eφ + g cos φ~eρ −
1 2
(ρ̇ + ρ2 φ̇2 + gρ cos φ)ρ~eρ .
l2
(2.81)
(2.82)
(2.83)
Die Zwangsbedingung lautet in Polarkoordinaten,
ρ = l ⇒ ρ̇ = 0 = ρ̈.
(2.84)
Indem wir nun die Koeffizienten von ~eρ vergleichen, erhalten wir
−lφ̇2 = g cos φ −
1 2 2
(l φ̇ + gl cos φ)l.
l2
(2.85)
Diese Gleichung ist aber immer automatisch erfüllt. Durch Koeffizientenvergleich von ~eφ in (2.82) und (2.83) ergibt sich noch die folgende Gleichung, die
die komplette Dynamik des Problems erfasst,
g
lφ̈ = −g sin φ ⇔ φ̈ = − sin φ.
l
(2.86)
Bemerkung: Eine einfachere Herleitung der Bewegungsgleichung von φ̈ ist
dann möglich, wenn man nicht an den Zwangskräften interessiert ist. Wegen
ρ = l ist die Bewegung effektiv eindimensional. Die Koordinaten
x = l sin φ,
(2.87)
y = −l cos φ,
(2.88)
erfüllen für beliebige φ die Zwangsbedingung und legen die Position (x, y) eindeutig fest.
Verallgemeinerung
Zwangsbedingungen: Man unterscheidet verschiedene Arten von Zwangsbedingungen,
• Holonom: Man nennt eine Zwangsbedingung b({~ri }i=1,...,n , t) = 0 holonom.
• Anholonom: Man nennt eine Zwangsbedingung anholonom, genau dann
wenn sie nicht holonom ist.
• Skleronom: Man nennt eine Zwangsbedingung genau dann skleronom,
wenn sie zeitunabhängig ist.
• Rheonom: Man nennt eine Zwangsbedingung genau dann rheonom, wenn
sie zeitabhängig ist.
80
Konvention: Im Folgenden haben wir es nur mit holonomen Zwangsbedingungen zu tun.
Newton und Zwänge: Wir betrachten N Teilchen in kartesischen Koordinaten,
{x1 , y1 , z1 ; x2 , y2 , z3 ; ...; xN , yN , zN } =: {x1 , x2 , x3 ; ...; x3N −2 , x3N −1 , x3N }.
(2.89)
Ferner seien k Zwangsbedingungen gegeben,
bα (x1 , ..., x3N , t) = 0,
α = 1, ..., k.
(2.90)
Dann,
k
X
mn ẍn = Fn +
λα
α=1
∂bα
,
∂xn
(2.91)
wobei m1 = m2 = m3 ; ...; m3N −2 = m3N −1 = m3N die Massen der Teilchen sind. Die Bewegung verläuft aufgrund der k Zwangsbedingungen effektiv (3N − k)-dimensional. Eine Vereinfachung ist möglich, wenn wir nicht an
Zwangskräften interessiert sind.
Entscheidender Schritt
Wähle f = 3N − k verallgemeinerte Koordinaten q1 , ..., qf dergestalt, dass die
qi ’s die Lage aller Massenpunkte allgemein beschreibt,
xn = xn (q1 , ..., qf ),
n = 1, ..., 3N,
(2.92)
und dass die Zwangsbedingungen automatisch erfüllt sind,
bα = bα (x1 (q1 , ..., qf ; t), ..., xN (q1 , ..., qf ; t)) = 0.
(2.93)
Beispiel: (i) Ein Beispiel für die vorangegangenen Überlegungen wird durch
das ebene Pendel mit variabler Länge l = l(t) gestellt.
q := φ
(2.94)
x = l(t) sin φ
(2.95)
y = −l(t) cos φ
(2.96)
z = 0.
(2.97)
Die Zwangsbedingung lautet in unserem Beispiel,
b(x, y) = x2 + x2 − l2 (t) = 0.
(2.98)
Man verifiziert leicht, dass durch die oben angegebene verallgemeinerte Koordinate die Zwangsbedingung trivialerweise erfüllt ist.
(ii) Wir betrachten nun noch das ebene Doppelpendel, welches in Abbildung
2.6 graphisch dargestellt ist. Als verallgemeinerte Koordinaten wählen wir die
81
Abbildung 2.6: Ebenes Doppelpendel
Winkel φ1 , φ2 wie in Abbildung 2.6. Dann können wir insgesamt die Bewegung
vollständig wie folgt charakterisieren,
x1 = l1 sin φ1 ,
(2.99)
y1 = −l1 cos φ1 ,
(2.100)
z1 = 0;
(2.101)
x2 = l1 sin φ1 + l2 sin φ2 ,
(2.102)
y2 = −l1 cos φ1 − l2 cos φ2 ,
(2.103)
z2 = 0 .
(2.104)
Euler-Lagrange-Gleichungen 2. Art: Ist man nicht an den Zwangsbedingungen interessiert, kann man die Bewegung des Systems von Massenpunkten
vermittels der generalisierten Koordinaten {qi } über die sogenannten EulerLagrange-Gleichungen 2. Art charakterisieren,
d ∂L
∂L
({qi }, {q̇i }, t) =
({qi }, {q̇i }, t).
dt ∂ q̇j
∂qj
(2.105)
Man beachte, dass die Euler-Lagrange-Gleichungen 2. Art formal äquivalent
sind zu den Euler-Lagrange-Gleichungen für Systeme von Massenpunkten, die
keiner Zwangsbedingung unterworfen sind.
Beweis: Wir wollen nun die Euler-Lagrange-Gleichungen 2. Art beweisen. Der
entscheidende Unterschied im Beweis der obigen Gleichungen zu den bereits
bekannten Euler-Lagrange-Gleichungen liegt darin, dass wir nun Zwangsbedingungen berücksichtigen müssen. In einem N Teilchen System gäbe es ohne k Zwangsbedingungen 3N =: f Freiheitsgrade. Durch die Einführung der
82
Abbildung 2.7: Sphärisches Pendel: Der Massenpunkt m kann in zwei Raumrichtungen schwingen. Die Zwangsbedingung lautet in diesem Fall, dass er sich
auf einer Kugelschale bewegen muss.
Zwangsbedingungen allerdings reduziert sich die Zahl f der Freiheitsgrade gerade um die Anzahl der Zwangsbedingungen k, so dass f = 3N − k. Die generalisierten Koordinaten haben nun - wie bereits weiter oben angesprochen - den
Sinn, die Zwangsbedingungen automatisch zu erfüllen, so dass wir die Zwangsbedingungen beim Aufstellen der Lagrange-Gleichungen 2. Art nicht mehr zu
berücksichtigen brauchen.
Der vorliegende Beweis soll nur für N = 1, k = 1 und L = T − V ausgeführt
werden. Die Beweise der allgemeineren Fälle gehen komplett analog.
Als Beispiel möge der Leser das sphärische Pendel im Hinterkopf behalten,
welches in der Abbildung 2.7 dargestellt ist. Die Zwangsbedingung b lässt sich
wie folgt formalisieren (für das sphärische Pendel),
b = ~r2 − l2 = 0.
(2.106)
Die generalisierten Koordinaten wählen wir zu,
q1 = θ
,
q2 = φ.
(2.107)
Wir nehmen nun allgemein (nicht nur für das sphärische Pendel) an, dass der
Massenpunkt m die Newton’schen Bewegungsgleichungen erfüllt,
~
m~r¨ = F~ + Z
~ + Z,
~
= −∇V
(2.108)
(2.109)
~ im Rahmen des Newton’schen Formalismus expliwobei wir die Zwangskraft Z
~ steht denkrecht auf der durch
zit berücksichtigen müssen! Die Zwangskraft Z
b = 0 definierten Fläche F.
Wir gehen nun wie folgt vor: Zuerst zeigen wir, dass die Wirkung S stationär
ist bei der Lösung ~r(t) der Newtonschen Bewegungsgleichungen, wobei wir S als
83
Funktional aller Wege auffassen, die die Zwangsbedingung b = 0 erfüllen. Wir
definieren hierzu Vergleichswege ~r (t),
~r (t) := ~r(t) + ~η (t),
(2.110)
wobei || << 1 und ~η erfüllen muss, dass erstens,
~η (t1 ) = ~0 = ~η (t2 ),
(2.111)
und dass zweitens, ~η (t) stets tangential an der Fläche F ist, die durch die Zwangsbedingung b = 0 definiert wird. Dadurch garantieren wir, dass mit ~r(t) auch der
Weg ~r (t) auf der Fläche F liegt.
Nun machen wir wieder für die Wirkung S, ausgewertet am Vergleichsweg ~r ,
eine Taylorentwicklung um den Weg ~r,
Z t2 ~
dt m~r˙ · ~η˙ − ~η · ∇V
+ O(2 )
(2.112)
S[~r ] = S[~r] + t1
t2
Z
= S[~r] − t1
Z t2
= S[~r] − ~ ) + O(2 )
dt~η · (m~r¨ + ∇V
(2.113)
~ + O(2 )
dt~η · Z
(2.114)
t1
= S[~r],
(2.115)
wobei wir im ersten Schritt eine Taylor-Entwicklung des Wirkunsfunktionals
vorgenommen haben, im zweiten Schritt den Term von linearer Ordnung in
partiell integriert und die Randbedingungen, denen ~η genügen muss, ausgenutzt haben, und im dritten Schritt haben wir benutzt, dass nach Annahme für
~r (um das wir ja Taylor-entwickelt haben!) die Gleichung (2.109) gelten muss.
Im vierten Schritt haben wir nun ausgenutzt, dass wir zusätzlich von ~η verlangt
~ als
haben, dass es zu jedem Zeitpunkt tangential zu F sein muss, wohingegen Z
~
Zwangskraft proportional zum Gradienten ∇b der Zwangsbedingung ist, und
somit senkrecht auf der Fläche F steht, die ja durch b = 0 definiert wird. Also
~ und ~η orthogonal zueinander sein. Dann verschwindet aber ihr Skamüssen Z
~ η = 0.
larprodukt, Z~
Seien nun q1 , q2 generalisierte Koordinaten in dem Sinne, dass sie uneingeschränkt die Fläche F parametrisieren. Das bedeutet, daß q1 und q2 keinen
Zwangsbedingungen unterliegen bzw., anders gesagt, für jeden Wert von q1 und
q2 die Zwangsbedingung erfüllt ist. Außerdem kann man die Position eines jeden Punktes, der der Zwangsbedingung genügt, eindeutig durch q1 und q2 ausdrücken. Dann lässt sich schreiben,




x(q1 (t), q2 (t))
x(q1 (t) + η1 (t), q2 (t) + η2 (t))
~r(t) =  y(q1 (t), q2 (t))  , ~r (t) =  y(q1 (t) + η1 (t), q2 (t) + η2 (t))  .
z(q1 (t), q2 (t))
z(q1 (t) + η1 (t), q2 (t) + η2 (t))
(2.116)
Die Wirkung S,
Z
t2
S=
dtL(q1 , q̇1 , q2 , q̇2 , t),
t1
84
(2.117)
wird nun also stationär bei (q1 (t), q2 (t)) für beliebige η1 (t), η2 (t) mit ηi (t1 ) =
0 = ηi (t2 ), i = 1, 2.
Damit können wir den Beweis der Lagrange-Gleichungen auf den Beweis der
’normalen’ Lagrange-Gleichungen zurückführen, d.h. der Lagrange-Gleichungen
ohne Zwangsbedingungen. Dieselbe Rechnung wie im Falle der normalen EulerLagrange-Gleichungen liefert nun die behaupteten Formeln.
Damit ist der Beweis beendet.
Bemerkung: (i) Man bezeichnet,
pqj :=
∂L
,
q̇j
(2.118)
als verallgemeinerten Impuls, oder auch als kanonisch zu qj konjugierten Impuls.
Die verallgemeinerten Impulse sind eine Verallgemeinerung der gewöhnlichen
Impulse, die sich für die Lagrange-Funktion in kartesischen Koordinaten ergeben,
px =
∂L
= mẋ,
∂ ẋ
(2.119)
z.B. für die Komponente des Impulses in x-Richtung.
(ii) Ebenso wie in (i) bezeichnet man
Kqj :=
∂L
∂qj
(2.120)
als verallgemeinerte Kraft. Diese ist - wie aus ihrer Definition unmittelbar folgt
- konservativ für die {qi }!
(iii) Mit (i) und (ii) kann man die Lagrange-Gleichungen in die folgende Form
bringen,
dpqj
= Kqj ,
dt
(2.121)
was die Äquivalenz der Bewegungsgleichungen, die man entweder über die Newton’schen Gleichungen oder über den Lagrange-Formalismus erhält, für ein mechanisches System unterstreichen soll.
Lösungsweg: Wir stellen nun ein ’Kochrezept’ zusammen, mit dem man eigentlich alle Aufgaben, die im Rahmen des Lagrange-Formalismus gestellt werden,
lösen kann.
1. Wähle geeignete generalisierte Koordinaten {qi }.
2. Bestimme die Lagrange-Funktion L in Abhängigkeit der generalisierten
Koordinaten. Die Lagrange-Funktion ist in der Mechanik immer gegeben
durch,
L = L({qi }, {q̇i }, t) = T − V.
85
(2.122)
3. Stelle nun die Bewegungsgleichungen für das betrachtete System über die
Lagrange-Gleichungen auf.
4. Löse die Bewegungsgleichungen, unter Umständen unter Zuhilfenahme von
Erhaltungsgrößen. (Wir gehen weiter unten noch ausführlich auf Erhaltungsgrößen im Rahmen des Lagrange-Formalismus ein.)
Beispiele: Wir wollen nun das gerade vorgestellte Kochrezept an zwei Beispielen anwenden.
• Fadenpendel: Wir kennen dieses Beispiel bereits aus der Theorie der eindimensionalen Bewegungen (Kapitel 1). Die vier Schritte lauten, bezogen
auf das Fadenpendel, wie folgt:
1. Als verallgemeinerte Koordinaten wählen wir q = φ.
2. Die kinetische Energie des Massenpunkts ist gegeben durch,
m
(2.123)
T = l2 φ̇2 ,
2
die potentielle Energie des Massenpunktes hingegen berechnet sich
im Einfluss des Erdfeldes zu,
V = mgy = −mgl cos φ.
(2.124)
Damit können wir die Lagrange-Funktion aufstellen,
L=T −V
(2.125)
m 2 2
= l φ̇ + mgl cos φ.
(2.126)
2
3. Die Bewegungsgleichungen ergeben sich gemäß den Lagrange-Gleichungen zweiter Art zu,
∂L
d ∂L
=
(2.127)
dt ∂ φ̇
∂φ
g
⇔ φ̈ = − sin φ.
(2.128)
l
4. Die Integration der Bewegungsgleichung für das Fadenpendel ist analytisch nicht möglich, so dass man die in Kapitel 1 vorgestellte Kleinwinkelnäherung vornimmt.
• Rollpendel: Das Rollpendel ist ein Fadenpendel, wie in Beispiel 1, bei
dem allerdings der Aufhängepunkt nicht mehr statisch ist, sondern, wie
in Abbildung 2.8 dargestellt, entlang der x-Achse rollen kann. Der Aufhängepunkt habe ferner die Masse m1 , der eigentliche Pendel-Körper die
Masse m2 . Im Übrigen gelten die Bezeichnungen wie in Abbildung 2.8
dargestellt.
Wir analysieren als ersten Schritt zuerst die Zwangsbedingungen. Wir haben im vorliegenden Fall 4 Zwangsbedingungen gegeben.
2
(x2 − x1 ) +
86
y22
z1 = 0
(2.129)
z2 = 0
(2.130)
y1 = 0
(2.131)
2
− l = 0.
(2.132)
Abbildung 2.8: Zum Rollpendel.
Da wir ein System von 2 Teilchen betrachten, folgt, dass sich die Anzahl
der Freiheitsgrade f von f = 3 · N = 6 auf f = 6 − 4 = 2 verringert. Wir
haben also zwei generalisierte Koordinaten zu wählen.
1. Wähle die verallgemeinerten Koordinaten,
q1 = x1
(2.133)
q2 = φ.
(2.134)
Man kann all kartesischen Koordinaten eindeutig durch q1 und q2
ausdrücken und zwar gemäß
x1 = q1 ,
(2.135)
y1 = 0,
(2.136)
z1 = 0,
(2.137)
x2 = q1 + l sin q2 ,
(2.138)
y2 = −l cos q2 ,
(2.139)
z2 = 0.
(2.140)
2. Die kinetische Energie berechnet sich zu,
m2 2
m1 2
(ẋ + ẏ12 + ż12 ) +
(ẋ + ẏ22 + ż22 )
2 1
2 2
m1 2 m2 2
=
ẋ +
(ẋ + ẏ22 )
2 1
2 2
1
m2 2 2
= (m1 + m2 )ẋ21 +
(l φ̇ + 2lẋ1 φ̇ cos φ).
2
2
T =
87
(2.141)
(2.142)
(2.143)
Wähle den Nullpunkt der potentiellen Energie bei y = 0, so dass das
Potential V die folgende Form annimmt,
V = −m2 gl cos φ.
(2.144)
Die Lagrange-Funktion L lautet dann,
L=
1
m2 2 2
(m1 + m2 )ẋ21 +
(l φ̇ + 2lẋ1 φ̇ cos φ) + m2 gl cos φ. (2.145)
2
2
3. Da wir zwei verallgemeinerte Koordinaten vorliegen haben, ergeben
sich auch 2 Bewegungsgleichungen.
(a) Für q1 = x1 erhalten wir über die Euler-Lagrange-Gleichungen
∂L !
d ∂L
−
= 0.
dt ∂ ẋ1
∂x1
i
d h
(m1 + m2 )ẋ1 + m2 lφ̇ cos φ = 0
⇔
dt
⇔ (m1 + m2 )ẋ1 + m2 lφ̇ cos φ = const. =: p1 .
(2.146)
(2.147)
(2.148)
Wir erhalten also eine Erhaltungsgröße. Die anschauliche Interpretation dieses doch einigermaßen komplizierten Ausdrucks ist
die Erhaltung des Impulses in x-Richtung. Dies sieht man intuitiv auch sofort ein, denn es wirkt keine Kraft in x-Richtung.
(b) Für q2 = φ erhalten wir,
d ∂L ∂L !
−
= 0.
dt ∂ φ̇
∂φ
(2.149)
⇔ lφ̈ + ẍ1 cos φ + g sin φ = 0.
(2.150)
4. Die Lösung der vorliegenden Bewegungsgleichung erhalten wir vermöge der Gleichung (2.148). Wir bemerken zuerst, dass wir (2.148)
umstellen können zu,
p1
m2
−
lφ̇ cos φ
m1 + m2
m1 + m2
p1
m2
d
=
−
l sin φ
m1 + m2
m1 + m2 dt
p1
m2
⇒ x1 =
t−
l sin(φ(t)) + const.
m1 + m2
m1 + m2
ẋ1 =
(2.151)
(2.152)
(2.153)
Gesucht ist nun φ = φ(t). Dazu nähern wir die Gleichungen (2.150)
und (2.151), indem wir das Linearisierungsprinzip anwenden.3 Konkret bedeutet das, dass man sin φ und cos φ für kleine Winkel nähert
und zwar gemäß
sin φ ≈ φ
,
cos φ ≈ 1 .
(2.154)
3 In der Physik hat man es oft mit Beispielen zu tun, die auf nichtlineare Bewegungsgleichungen führen, die i.A. analytisch nicht mehr oder nur unter großem Aufwand zu lösen sind.
Häufig kann man die Bewegungsgleichungen aber noch analytisch lösen, wenn man sich auf
kleine Fluktuationen um die Gleichgewichtslage bescheränkt. Im vorliegenden Fall entwickelt
man zur linearen Ordnung im Auslenkungswinkel φ (und dessen Ableitungen) um die Gleichgewichtslage φ = 0.
88
Führt man diese Näherung in (2.151) durch und leitet nach der Zeit
ab, so erhält man
ẍ1 ≈ −
m2
lφ̈,
m1 + m2
(2.155)
Dies ergibt beim Einsetzen in (2.150)
m2
lφ̈ + gφ = 0
m1 + m2
m1
⇔
lφ̈ + gφ = 0
m1 + m2
g m1 + m2
⇔ φ̈ +
φ = 0.
l
m1
lφ̈ −
(2.156)
(2.157)
(2.158)
Man beachte, dass wir das Beispiel 1 aus diesem (vereinfachten) Fall
für das Rollpendel wiederherstellen können, wenn wir annehmen, dass
m1 → ∞. Dann konvergiert der zweite Bruch gegen 1. Die physikalische Interpretation ist, dass eine endliche Kraft eine unendlich
große Masse m1 nicht bewegen kann. Analog zum Fadenpendel sehen
wir aber auf jeden Fall, dass es sich bei unserer Differentialgleichung
(2.158) um eine lineare homogene Differentialgleichung 2. Ordnung
handelt, die wir bereits im Rahmen des Kapitels 1 zu Genüge diskutiert haben. Ihre Lösung sei deswegen nur angegeben und der Leser
auf die Darstellung des Kapitels 1 verwiesen,
r
φ(t) = A sin
g m1 + m2
t + φ0 ,
l
m1
(2.159)
wobei A, φ0 aus den Anfangsbedingungen zu gewinnende Konstanten
sind. Die Lösung für x1 = x1 (t) findet man, indem man den Ausdruck
(2.159) in (2.153) einsetzt.
2.2
Noether-Theorem
Motivation: Der Lagrange-Formalismus erlaubt einen sehr systematischen Zugang zum Auffinden von Erhaltungsgrößen. Außerdem stellt er einen Zusammenhang her zwischen Erhaltungsgrößen und Symmetrien der Lagrange-Funktion.
Konkret wird dieser Zusammenhang durch den Satz von Noether hergestellt,
der zu einer der Perlen der mathematischen Physik gehört.
Transformationen I: Sei L unabhängig von qj für ein j ∈ {1, ..., f }, d.h.
∂L
= 0,
∂qj
(2.160)
bzw., L ist ’translationsinvaraint’ unter der Ersetzung qj = qj0 − α, α ∈ R. Dies
bedeutet, dass
L(qj , q̇j ) = L(qj0 , q̇j0 ).
89
(2.161)
Aus den Euler-Lagrange-Gleichungen folgt nun, dass
∂L
= const.,
∂ q̇j
(2.162)
d ∂L
∂L
=
= 0,
dt ∂ q̇j
∂qj
(2.163)
pj :=
denn,
nach Voraussetzung.
Bemerkungen: (i) Man nennt qj , für die der zugehörige generalisierte Impuls eine Erhaltungsgröße ist, d.h. diejenigen qj , die (2.160) erfüllen, zyklische
Koordinaten.
(ii) Einen allgemeinen Zusammenhang zwischen Symmetrien und Erhaltungsgrößen liefert nun der Satz von Noether. Dieser ist benannt nach der deutschen
Mathematikerin Emmy Noether (1883-1935). Noether war eine der erste Frauen
in Europa, die eine Professur erhielten. Noether ist vor allem bekannt durch das
nach ihr benannte Theorem, das Gegenstand dieses Abschnitts ist und durch
ihre Arbeiten auf dem Gebiet der Algebra (Ring-Theorie).
Transformationen II: Wir verallgemeinern unsere Darstellung nun wie folgt:
Betrachte eine allgemeine Koordinatentransformation,
qj0 = qj0 ({qi }, t, α) ,
j = 1, ..., f,
(2.164)
j = 1, ..., f,
(2.165)
die invertierbar sei, d.h.
qj = qj ({qi0 }, t, α) ,
und die im Parameter α, den wir als kontinuierlich betrachten, differenzierbar
sei. Ferner gelte,
qj0 ({qi }, t, α = 0) = qj
,
j = 1, ..., f.
(2.166)
Wir geben für diese Definition zwei Beispiele an.
Beispiele: (i)Translation:
x0j = xj + αbj
,
j = 1, ..., f,
(2.167)
wobei bj ∈ R für alle j = 1, ..., f konstant sei und α ∈ R den kontinuierlichen
Parameter bezeichne. Die Inversion der genannten Transformation ist gegeben
durch
xj = x0j − αbj
,
j = 1, ..., f.
(2.168)
Wir bestätigen zum Schluss noch, dass für α = 0 gilt,
x0j = xj
,
j = 1, ..., f.
(2.169)
Dass die angegebene Transformation in α differenzierbar ist, ist offensichtlich.
90
(ii)Rotation: Der Einfachheit halber arbeiten wir im zweidimensionalen Euklidischen Raum R2 . Die aktive Rotation um den Ursprung ist dann gegeben
durch
x01 = x1 cos α − x2 sin α
(2.170)
x02
(2.171)
= x1 sin α + x2 cos α.
Man bestätigt, z.B. durch Einsetzen, dass die Inversion gegeben ist durch
x1 = x01 cos α + x02 sin α
(2.172)
x2 = −x01 sin α + x02 cos α.
(2.173)
Es ist offensichtlich, dass die Transformation in α differenzierbar ist. Ebenso ist
klar, dass die Transformation, ausgewertet an der Stelle α = 0,
x01 = x1
(2.174)
x02
(2.175)
= x2
liefert.
Abbkürzung: Wir werden im folgenden, um die Notation zu vereinfachen, q anstelle von {qj ; j = 1, ...f } schreiben und ebenso q̇ anstelle von {q̇j ; j = 1, ...f }.
Damit können wir für das Verhalten unserer Lagrange-Funktion L unter den
oben eingeführten Transformationen schreiben,
L(q, q̇, t) = L(q(q 0 , t, α), q̇(q 0 , t, α), t) ≡ L0 (q 0 , q˙0 , t, α).
(2.176)
Beispiel: Betrachte die Lagrange-Funktion für den eindimensionalen freien Fall
einer Punktmasse m,
m
L(x, ẋ) = (ẋ)2 − mgx
(2.177)
2
0
x = x − αt
(2.178)
⇒ ẋ = ẋ0 − α
m
⇒ L0 (x0 , ẋ0 , t, α) = (ẋ0 − α)2 − mg(x0 − αt)
2
m
m
= ẋ02 − mgx0 − mẋ0 α + α2 + mgαt
2
2
m 2
0
0
0
= L(x , ẋ ) − mẋ α + α + mgαt.
2
(2.179)
(2.180)
(2.181)
(2.182)
Satz von Noether: Falls
L0 (q 0 , q̇ 0 , t, α) = L(q 0 , q˙0 , t),
(2.183)
d.h. falls die Lagrange-Funktion invariant ist unter der Transformation
q = q(q 0 , t, α),
(2.184)
dann ist der folgenden Ausdruck eine Erhaltungsgröße für alle q, die Lösungen
der Euler-Lagrange-Bewegungsgleichungen sind:
f
X
∂L ∂qi (q 0 , t, α) I(q, q̇) =
.
∂ q̇i
∂α
α=0
i=1
91
(2.185)
Beispiel: Sei
qj0 = qj0 0 + α
(2.186)
für ein j0 . Sei ferner die Lagrange-Funktion L invariant unter der obigen Transformation. Dann impliziert der Satz von Noether, dass
f
X
∂L ∂qi I(q, q̇) =
∂ q̇i ∂α α=0
i=1
(2.187)
∂L qj0
(α = 0)
∂ q̇j0 dα
∂L
=
∂ q̇j0
=
(2.188)
(2.189)
=: pj0
(2.190)
eine Erhaltungsgröße ist. Dies ist aber gerade der Fall, dass qj0 eine zyklische
Koordinate ist. pj0 ist also gerade der verallgemeinerte Impuls für qj0 .
Beweis: Wir beweisen nun den Satz von Noether. Wegen,
L0 (q 0 , q̇ 0 , t, α) ≡ L(q 0 , q̇ 0 , t),
(2.191)
gilt (da L0 tatsächlich unabhängig von α ist!),
0=
∂L0
∂α
(2.176)
=
E.L.
=
(2.192)
f
X

f

X ∂L ∂ q̇j
 ∂L ∂qj +

∂q
∂α
∂
q̇
∂α
j
j
j=1
j=1
f X
d ∂L ∂qj
∂L d ∂qj
+
dt ∂ q̇j ∂α
∂ q̇j dt ∂α
j=1
f
X
d ∂L ∂qj
=
dt ∂ q̇j ∂α
j=1
(2.193)
(2.194)
(2.195)
f
=
d X ∂L ∂qj
,
dt j=1 ∂ q̇j ∂α
(2.196)
mit q = q(q 0 , t, α), q̇ = q̇(q 0 , t, α). Um nun eine Erhaltungsgröße zu erhalten, die
nur von q, nicht aber von q 0 , abhängt, muss man α = 0 setzen, da dann q = q 0 .
Wir schließen daher
0=
⇔ I(q, q̇) :=
f
d X ∂L ∂qj dt j=1 ∂ q̇j ∂α α=0
(2.197)
f
X
∂L ∂qj = const..
∂ q̇j ∂α α=0
j=1
(2.198)
92
Damit ist der Satz von Noether bewiesen! Man beachte noch, dass in (2.194)
von den Euler-Lagrange Gleichungen Gebrauch gemacht wurde. Daher ist I nur
eine Erhaltungsgröße, sofern q eine Lösung der Euler-Lagrange Gleichungen ist.
Beispiel: Betrachte ein abgeschlossenes System von N Teilchen, mit der Lagrange-Funktion,
L=
N
X
m
i=1
2
~r˙i2 −
X
V (|~ri − ~rj |).
(2.199)
i<j
Die angegebene Lagrange-Funktion ist invariant unter der gleichzeitigen Verschiebungen aller N Teilchen,
~ri = ~ri0 − α~b
,
α ∈ R; ~b ∈ R3 ,
(2.200)
wobei ~b fest gewählt und α ein kontinuierlicher Parameter ist. Nach dem Satz
von Noether haben wir die folgende Erhaltungsgröße,
N X
∂~ri mi~r˙i ·
∂α α=0
i=1
!
N
X
= −~b ·
p~i
I=
(2.201)
(2.202)
i=1
= −~b · p~ges .
(2.203)
Dies ist zu interpretieren - bis auf Vorzeichen - als der Gesamtimpuls p~ges in die
Richtung des Verschiebevektors ~b multipliziert mit dem Betrag des Verschiebevektors, |~b| =: b. Da aber ~b beliebig gewählt werden kann, können wir die
Einheitsvektoren ~ex , ~ey , ~ez sukzessive für ~b verwenden und erhalten somit die
Erhaltung des Gesamtimpulses in x, y, z-Richtung (jeweils). Daraus folgt nun,
dass der Gesamtimpuls vollständig erhalten ist. Es sei darauf hingewiesen, dass
wir maßgeblich benutzt haben, dass der Verschiebevektor beliebig gewählt werden kann. Falls man ~b nicht beliebig wählen kann, gilt nur die ’schwächere’
Erhaltungsgröße (2.203).
Merksatz: Aus der Translationsinvarianz eines Systems folgt die Erhaltung
des Gesamtimpulses!
Beispiel: Wir betrachten dieselbe Lagrange-Funktion wie oben, setzen aber
N = 1. Somit erhalten wir für die auf das N = 1-Problem reduzierte LagrangeFunktion den folgenden Ausdruck,
L=
m ˙2
~r − V (|~r|).
2
(2.204)
L ist offensichtlich invariant unter Rotationen um eine beliebige Drehachse. Die
Beschränkung auf N = 1 dient nur der Einfachheit. Man könnte genauso gut die
Lagrange-Funktion (2.199) benutzen, die ebenfalls invariant unter Drehungen
93
ist. Wir wollen exemplarisch den Fall einer Rotation um die z-Achse besprechen.


x
~r =  y 
(2.205)
z
 0

x cos α + y 0 sin α
=  −x0 sin α + y 0 cos α 
(2.206)
z0
≡ R~r0 .
(2.207)
Da R eine zeitlich konstante Drehmatrix ist, können wir für die Geschwindigkeit
des Teilchens, ~r˙ , schreiben,
~r˙ = R~r˙ 0 .
(2.208)
Es ist aus der Linearen Algebra wohlbekannt, dass Rotationsmatrizen, d.h. orthogonale Matrizen, Isometrien darstellen, d.h. längenerhaltend sind. Insbesondere lassen sie neben den Beträgen von Vektoren auch das Skalarprodukt zweier
Vektoren invariant. Formelhaft ausgedrückt, bedeuten die obigen Beobachtungen das Folgende,
|~r0 | = |~r|
(2.209)
~r1 · ~r2 = ~r10 · ~r20 .
(2.210)
Es ist nun klar, dass in der Tat die Lagrange-Funktion L invariant unter Rotationen im Allgemeinen und unter der angegebenen Drehung um die z-Achse im
Speziellen ist,
L(~r0 , ~r˙ 0 ) = L(~r, ~r˙ )
p
m
= (ẋ2 + ẏ 2 + ż 2 ) − V ( x2 + y 2 + z 2 ).
2
(2.211)
(2.212)
Wir bestimmen nun gemäß des Satzes von Noether eine Erhaltungsgröße für die
Lösungen der sich aus der Lagrange-Funktion ergebenden Bewegungsgleichung.
Hierbei beachten wir, dass nur diejenigen Koordinaten in die Rechnung eingehen
können, die vom kontinuierlichen Parameter α abhängen, d.h. diejenigen Terme,
die z enthalten, fallen bereits a priori weg.
∂x
= −x0 sin α + y 0 cos α
∂α
= y;
∂y
= −x0 cos α − y 0 sin α
∂α
= −x.
(2.213)
(2.214)
(2.215)
(2.216)
Wir bemerken sofort, dass die beiden angegebenen Ausdrücke von α unabhängig
sind. Die durch das Noether-Theorem gegebene Erhaltungsgröße lautet in un-
94
serem Fall,
∂L ∂x ∂L ∂y
+
∂ ẋ ∂α
∂ ẏ ∂α
∂L
∂L
=
y−
x
∂ ẋ
∂ ẏ
= m(ẋy − ẏx)
I=
= −Lz ,
(2.217)
(2.218)
(2.219)
(2.220)
~ in z-Richtung darstellt.
wobei Lz die Komponente des Drehimpulsvektors L
Einfacher: Die obige Rechnung wäre viel einfacher gewesen, wenn man gleich
die augenfällige Symmetrie für die Wahl der Koordinaten verwendet hätte. Wir
schreiben die Lagrange-Funktion aus (2.204) in Kugelkoordinaten um:
L=
m 2
(ṙ + r2 θ̇2 + r2 sin2 θφ̇2 ) − V (r).
2
(2.221)
Die Lagrange-Funktion ist nun offensichtlich zyklisch in der generalisierten Variable φ! Eine äquivalente Formulierung ist, dass L unter der Translation des
Azimutwinkels φ = φ0 − α invariant ist. Diese Transformation korrespondiert
aber gerade zu einer Drehung um die z-Achse um den Winkel α! Die Erhaltungsgröße berechnet sich nun, wieder nach dem Noether-Theorem, zu,
∂L ∂(φ0 − α) I=
(2.222)
∂α
∂ φ̇
α=0
∂L
=−
(2.223)
∂ φ̇
= −mr2 sin2 θφ̇
(2.224)
= −Lz ,
(2.225)
d.h. das Noether-Theorem liefert uns als Erhaltungsgröße wieder die z-Komponente des Drehimpulsvektors4 .
Bemerkung: (i)Das Minus-Zeichen in (2.220), (2.225) ist physikalisch nicht
relevant.
(ii)Die z-Achse im vorherigen Beispiel konnte beliebig gewählt werden. Deswe~ als Ganzes erhalten.
gen ist der Drehimpulsvektor L
Merksatz: Aus der Rotationsinvarianz eines Systems folgt die Erhaltung des
Gesamtdrehimpulses.
Bemerkung: Unsere bisherigen Betrachtungen haben sich auf Translationen
und Rotationen beschränkt. Diese beschreiben beide Transformation, die lediglich auf die räumlichen Koordinaten wirken, nicht auf die Zeit. Man kann den
Satz von Noether auch verallgemeinern und Transformationen der Zeit zulassen (und auch die Transformationen der räumlichen Koordinaten zeitabängig
machen). Das wollen wir hier nicht machen, sondern einfachen den Fall einer
4 Quod
erat expectandum!
95
Symmetrie der Lagrange-Funktion unter Zeittranslationen gesondert behandeln.
Dies wird uns auf die Energieerhaltung führen, womit wir dann alle Erhaltungsgrößen, die wir aus der Newtonschen Mechanik her kennen, auf Symmetrien der
Lagrange-Funktion unter Raum-Zeit-Transformationen zurückgeführt haben.
Energie-Erhaltung
Um den Zusammenhang zwischen Symmetrien unter Zeittranslationen und Energieerhaltung explizit zu machen, berechnen wir zuerst die totale Zeitableitung
der Lagrange-Funktion L nach der Zeit,
f ∂L
∂L
dL X ∂L
=
q̇i +
q̈i +
(2.226)
dt
∂qi
∂ q̇i
∂t
i=1
f X
∂L d
∂L
d ∂L
E.L.
=
q̇i +
(q̇i ) +
(2.227)
dt ∂ q̇i
∂ q̇i dt
∂t
i=1
f
X
d ∂L
∂L
(2.228)
=
q̇i +
dt
∂
q̇
∂t
i
i=1
" f
#
d X ∂L
∂L
.
(2.229)
=
q̇i +
dt i=1 ∂ q̇i
∂t
Hamilton-Funktion: Wir definieren nun die sogenannte Hamilton-Funktion
H durch,
H :=
f
X
∂L
q̇i − L,
∂
q̇i
i=1
(2.230)
und führen die obige Rechnung fort,
∂L
dH
=−
.
(2.231)
dt
∂t
Für ein zeitlich homogenes System, d.h. für ein System, dessen Lagrange-Funktion
invariant ist unter der Ersetzung t → t + α, α ∈ R, gilt,
∂L
= 0,
∂t
(2.232)
und somit auch,
dH
= 0 ⇔ H = const.
(2.233)
dt
Also: Für eine bzgl. Zeit-Translationen invariante Lagrange-Funktion folgt also
die Erhaltung der Hamilton-Funktion!
Interpretation: Wie können wir die Hamilton-Funktion H interpretieren? Es
wird sich zeigen, dass unter bestimmten Annahmen, die häufig, aber nicht immer, erfüllt sind, die Hamilton-Funktion die Gesamtenergie E eines Systems ist.
Hamilton und Energie: Wir machen die folgenden Annahmen für ein (mechanisches) System,
96
• Lagrange-Funktion: Die Lagrange-Funktion L sei gegeben durch die Differenz aus kinetischer Energie T und potentieller Energie V , d.h.
L = T − V.
(2.234)
• Potential: Das Potential V sei nur abhängig von den verallgemeinerten
Koordinaten {qi } und möglicherweise von der Zeit t, aber unabhängig von
den verallgemeinerten Geschwindigkeiten, d.h.
V = V ({qi }, t).
(2.235)
• Kinetische Energie: Die kinetische Energie T des Systems werde ausgedrückt durch eine Funktion, die nur von den verallgemeinerten Geschwindigkeiten {q̇i } abhängt und in diesen quadratisch ist, d.h.
T (λq̇1 , ..., λq̇f ) = λ2 T (q̇1 , ..., q̇f ).
(2.236)
Falls die drei Annahmen erfüllt sind, dann ist die Hamilton-Funktion H des
Systems gleich der Gesamtenergie E des Systems, d.h. gleich der Summe aus
kinetischer Energie T und potentieller Energie V ,
H = T + V = E.
(2.237)
Bemerkung: Die Annahme über die kinetische Energie ist immer dann erfüllt,
wenn die Transformationen von kartesischen Koordinaten xj zu verallgemeinerten Koordinaten qj nicht von der Zeit t abhängen.
Beispiel: Bevor wir das obige Resultat beweisen, behandeln wir kurz ein Beispiel, das zeigt, dass die gemachten Annahmen nicht für jedes System erfüllt sein
müssen. Folglich stellt die Hamilton-Funktion nicht zwingendermaßen immer die
Gesamtenergie eines mechanischen Systems dar. Wir wollen das Fadenpendel
mit variabler Länge l(t) betrachten. Bezogen auf die generalisierte Koordinate
φ drücken sich die kartesischen Koordinaten wie folgt aus,
x = l(t) sin φ(t),
(2.238)
y = −l(t) cos φ(t),
ẋ = l˙ sin φ + lφ̇ cos φ,
(2.239)
ẏ = −l˙ cos φ + lφ̇ sin φ.
(2.241)
(2.240)
Die kinetische Energie T nimmt dabei die folgende Form an,
m 2
(ẋ + ẏ 2 )
2
m
m
= l2 φ̇2 + l˙2 .
2
2
T =
(2.242)
(2.243)
Hieraus können wir sehen, dass die dritte Annahme für die Gleichheit von
Hamilton-Funktion und Gesamtenergie nicht erfüllt ist. Denn, obwohl der erste
Term der kinetischen Energie quadratisch in der verallgemeinerten Geschwindigkeit φ̇ ist, hängt der zweite Term nicht von der verallgemeinerten Geschwindigkeit ab, so dass die kinetische Energie - aufgefasst als Funktion der verallgemeinerten Geschwindigkeiten - nicht quadratisch ist. Sollte allerdings die Länge
97
Symmetrie
Translationsinvarianz
Rotationsinvarianz
Zeit-Translationsinvarianz
Physikalische Interpretation
Homogenität des Raumes
Isotropie des Raumes
Homogenität der Zeit
Erhaltungsgröße
Impulserhaltung
Drehimpulserhaltung
Energieerhaltung
Tabelle 2.1: Zusammenfassung der Implikationen des Noether-Theorems.
l = l(t) = const. sein, d.h. unabhängig von t, dann verschwindet der zweite
Term und die kinetische Energie T = T (φ̇) ist quadratisch.
Beweis: Wir wollen nun noch die Aussage über die Gleichheit von HamiltonFunktion und Gesamtenergie beweisen. Aus der dritten Annahme über das System folgern wir durch Ableiten nach dem Parameter λ zunächst,
∂
∂ 2
=
(2.244)
T (λq̇1 , ..., λq̇f )
λ T (q̇1 , ..., q̇2 ) ∂λ
∂λ
λ=1
λ=1
f
X
∂T
⇒
q̇j = 2T.
∂
q̇j
j=1
(2.245)
Damit erhalten wir,
H=
f
X
∂L
q̇j − L
∂
q̇j
j=1
(2.246)
f
X
∂
=
(T − V )q̇j − (T − V )
∂
q̇j
j=1
(2.247)
= 2T − T + V
(2.248)
=T +V
(2.249)
= E.
(2.250)
Dies beendet den Beweis.
98
Kapitel 3
Hamilton-Formalismus
Hinweis: Obschon der Hamilton-Formalismus für den Übergang von der klassischen Mechanik zur Quantenmechanik wichtig ist, werden wir leider keine
detaillierte Darstellung des Hamilton-Formalismus geben können. Stattdessen
beschränken wir uns darauf, die wesentlichen Punkte klar zu machen, um später
noch genügend Zeit für eine (ausführlichere) Darstellung der Speziellen Relativitätstheorie zu haben.
Einführung: Der Hamilton-Formalismus ist, ähnlich wie der Lagrange-Formalismus, eine Formulierung der Mechanik. Entscheidend ist aber, dass der
Hamilton-Formalismus auf der Hamilton-Funktion H,
H=
=
f
X
∂L
q̇j − L
∂ q̇j
j=1
f
X
pj q̇j − L,
(3.1)
(3.2)
j=1
basiert, anstelle der Lagrange-Funktion. Allerdings wird aus der bereits in Kapitel 2 gegebenen Definition der Hamilton-Funktion H ersichtlich, dass ein enger
Zusammenhang zwischen Lagrange- und Hamilton-Funktion besteht. Tatsächlich
sind die beiden Funktionen vermöge einer Transformation miteinander verwoben, die man allgemein als Legendre-Transformation bezeichnet. Ohne näher auf
die zugrundeliegende Mathematik eingehen zu wollen, sei darauf hingewiesen,
dass das Konzept der Legendre-Transformation auch in der Thermodynamik
eine große Rolle spielt. Dort definiert man die innere Energie E eines Systems
als,
E = E(S, V, N ),
(3.3)
wobei S die sogenannte Entropie, V das Volumen und N die Teilchenzahl ist.
Indem man nun eine Legendre-Transformation nach der Entropie S durchführt,
erhält man die sogenannte Helmholtz’sche Freie Energie F ,
≡T
z}|{
∂E
S,
F := E−
∂S
99
(3.4)
wobei T als Temperatur des Systems bezeichnet wird. Es gilt,
F = F (T, V, N ).
(3.5)
Variablen: Im Lagrange-Formalismus waren die unabhängigen Variablen {qi },
{q̇i }. Im Hamilton-Formalismus hingegen sind die unabhängigen Variablen {qi },
{pi }, d.h.
H = H(q, p, t).
(3.6)
Um auf diese Form der Hamilton-Funktion zu kommen, lösen wir die Definitionsgleichung der generalisierten Impulse (aus dem Lagrange-Formalismus),
pj =
∂L
,
∂ q̇j
(3.7)
nach den generalisierten Geschwindigkeiten q̇j auf, d.h. wir erhalten Ausdrücke
der Form,
q̇j = q̇j (q, p, t).
(3.8)
Das setzen wir in die Definitionsgleichung der Hamilton-Funktion H, die aus
der Lagrange-Funktion L über Legendre-Transformation nach den Geschwindigkeiten q̇j entsteht, d.h. (3.2), ein, und erhalten somit die gewünschte Form
der Hamilton-Funktion (3.6) als Funktion der verallgemeinerten Koordinaten
und Impulse.
Beispiel: (i)Gegeben sei die Lagrange-Funktion eines Massenpunkts in einem
Potential,
L=
m ˙2
~x − V (~x, t).
2
(3.9)
Wir sehen sofort, dass die Impulse gegeben sind vermöge
p~ = m~x˙ .
(3.10)
Somit können wir die Legendre-Transformation von L durchführen, um die
Hamilton-Funktion H zu erhalten,
H=
p~2
+ V (~x, t).
2m
(3.11)
(ii) Wir betrachten ein etwas komplizierteres Beispiel aus der Elektrodynamik,
nämlich die Lagrange-Funktion L einer Punktladung q (mit Masse m) in einem elektromagnetischen Feld. Aus Kapitel 2 ist bekannt, dass diese LagrangeFunktion die folgende Form aufweist,
L=
m ˙2
~ x, t),
~x − qΦ(~x, t) + q~x˙ · A(~
2
(3.12)
~ das Skalar- bzw. Vektor-Potential des Elektromagnetischen Feldes
wobei Φ, A
darstellen. Wir sehen, dass der (verallgemeinerte) Impuls im Falle der vorliegenden Lagrange-Funktion nicht mehr mit dem Newton’schen Impuls zusammenfällt,
~
p~ = m~x˙ + q A,
100
(3.13)
so dass,
1
~
~x˙ = (~
p − q A).
m
(3.14)
Damit lässt sich gemäß des oben geschilderten Kochrezeptes die HamiltonFunktion H aufstellen,
H=
1
~ 2 + qΦ.
(~
p − q A)
2m
(3.15)
Dieses Beispiel sollte illustrieren, dass man sich, trotz der Ähnlichkeit von Newton’schen und generalisierten Impulsen, nicht dazu verleiten lassen darf, die
beiden pauschal als äquivalent anzusehen.
(iii) Wir betrachten nun wieder eine Lagrange-Funktion für ein Teilchen in einem
(rotationssymmetrischen, d.h. sphärisch symmetrischen) Potential. Die Symmetrie legt es nahe, die Lagrange-Funktion L in Kugel-Koordinaten auszudrücken,
L=
m 2
(ṙ + r2 (θ̇2 + sin2 (θ)φ̇2 )) − V (r).
2
(3.16)
Wir berechnen nun wieder die (drei) verallgemeinerten Impulse,
∂L
∂ ṙ
= mṙ
∂L
pθ =
∂ θ̇
= mr2 θ̇
∂L
pφ =
∂ φ̇
(3.17)
pr =
(3.18)
(3.19)
(3.20)
(3.21)
= mr2 sin2 θφ̇
(3.22)
(= Lz ).
(3.23)
Damit stellen wir die Hamilton-Funktion auf,
1
H=
2m
1
p2r + 2
r
p2θ +
p2φ
sin2 θ
!!
+ V (r).
(3.24)
Beobachtung: Wir stellen in Beispiel (iii) fest, dass für die Lagrange-Funktion
zu Beginn dieses Beispiels die Koordinate φ zyklisch ist, d.h. nach der Darstellung in Kapitel 2, dass die Größe pφ eine Erhaltungsgröße ist, die im vorliegenden
Fall gerade die z-Komponente des Drehimpuls-Vektors ist. Wir stellen ebenfalls
fest, dass die Hamilton-Funktion H nicht von der Koordinaten φ abhängt. Hier
gibt es einen Zusammenhang den wir später noch präzisieren wollen.
Frage: Wir wollen nun untersuchen, wie im Hamilton-Formalismus die Dynamik eines Systems beschrieben wird.
Erinnerung: Im Newton’schen und Lagrange’schen Formalismus haben wir
die Dynamik eines Systems durch Bewegungsgleichungen beschrieben, die Differentialgleichungen der Ordnung 2 waren. Genau hier liegt aber die Stärke
101
des Hamilton-Formalismus. Während Differentialgleichungen zweiter Ordnung
in bestimmten Fällen nicht mehr leicht oder überhaupt nur noch numerisch zu
lösen sind, kann man Differentialgleichungen erster Ordnung sehr effizient, ggf.
auch numerisch lösen.
Hamilton’sche Bewegungsgleichungen: Die Hamilton’schen Bewegungsgleichungen (H.G.), die wir jetzt einführen und beweisen wollen, stellen Differentialgleichungen erster Ordnung für die 2f (!) Variablen {qi } und (!) {pi } dar1 ,
q̇i =
∂H
,
∂pi
(3.25)
und
∂H
.
∂qi
(3.26)
dH
∂H
=
,
dt
∂t
(3.27)
ṗi = −
Ferner gilt,
so dass die Hamilton-Funktion H genau dann eine Erhaltungsgröße ist, wenn
sie nicht explizit von der Zeit abhängt (dann verschwindet die rechte Seite der
vorangehenden Gleichung nämlich!).
Beweis: Wir beweisen nun die Hamilton’schen Bewegungsgleichungen (3.25)
und (3.26) sowie die Gleichung (3.27). Dazu schreiben wir die Definition der
Hamilton-Funktion H ein wenig um und benutzen insbesondere die aus Kapitel
2 bekannten Euler-Lagrange-Gleichungen.
H(q, p, t) =
f
X
q̇i (q, p, t)pi − L(q, q̇(q, p, t), t).
(3.28)
i=1
Gleichung (3.26) lässt sich nun wie folgt beweisen,
f
f
X
∂L ∂ q̇i
∂
q̇i ∂pj
i=1
f f X
X
∂ q̇i
∂ q̇i
=
pi + q̇j −
pi
∂pj
∂pj
i=1
i=1
X
∂H
=
∂pj
i=1
∂ q̇i
pi
∂pj
+ q̇j −
= q̇j .
1 Man
(3.29)
(3.30)
(3.31)
kann sich also vorstellen, dass Impulse und Koordinaten gleichberechtigt behandelt
werden.
102
Ähnlich beweisen wir Gleichung (3.27), wobei wir nun neben der Definition der
Hamilton-Funktion auch die Euler-Lagrange-Gleichungen benötigen werden,
f
f
X ∂ q̇i
∂H
∂L X ∂L ∂ q̇i
=
pi −
−
∂qj
∂qj
∂qj
∂ q̇i ∂qj
i=1
i=1
E.L.
=
=−
(3.32)
f
f
X
d ∂L X ∂ q̇i
∂ q̇i
pi −
−
pi
∂qj
dt ∂ q̇j
∂qj
i=1
i=1
(3.33)
d
pj .
dt
(3.34)
Zum Schluss beweisen wir noch Gleichung (3.27). (Wir werden im zweiten
Schritt die Hamilton’schen Bewegungsgleichungen (H.G.) benutzen!),
f X
dH
∂H
∂H
∂H
=
q̇i +
ṗi +
dt
∂qi
∂pi
∂t
i=1
H.G.
=
f
X
(−ṗi q̇i + q̇i ṗi ) +
i=1
=
∂H
∂t
∂H
.
∂t
(3.35)
(3.36)
(3.37)
Damit sind die drei Gleichung (3.25), (3.26), und (3.27)bewiesen und der Beweis
ist somit komplettiert.
Bemerkung: (i) Wir sehen aus den Bewegungsgleichungen, dass, falls H unabhängig von einer Koordinate qi ist, der zugehörige Impuls erhalten ist, denn,
0=−
∂H
= ṗi ⇒ pi = const..
∂qi
(3.38)
(ii) Die Menge aller
z ≡ (q, p) = (q1 , ..., qf , p1 , ..., pf ) ∈ R2f
(3.39)
heißt Phasenraum. Dem Phasenraum kommt in der Thermodynamik eine wichtige Rolle zu, denn viele Resultate für Viel-Teilchen-Systeme lassen sich mit
Hilfe des Begriffs des Phasenraumes beschreiben.
(iii) Die Hamilton’schen Gleichungen (3.25) und (3.26) haben eine mathematisch einfache Form. Sie sind insbesondere sehr gut für numerische Rechnungen
geeignet. Für eine Darstellung der numerischen Methoden für den HamiltonFormalismus sei auf eine Numerik-Vorlesung oder eine Computational PhysicsVorlesung verwiesen.
103
3.1
Poisson-Klammer
Einführung: Sei eine (zeitabhängige) Funktion F = F (q, p; t) auf dem Phasenraum gegeben. Wir bilden von der Funktion F die totale Zeitableitung,
f X
dF
∂F
∂F
∂F
=
q̇i +
ṗi +
(3.40)
dt
∂qi
∂pi
∂t
i=1
f X
∂F ∂H
∂F
∂F ∂H
H.G.
−
+
(3.41)
=
∂qi ∂pi
∂pi ∂qi
∂t
i=1
∂F
.
(3.42)
∂t
Dabei bezeichnet die geschweifte Klammer die sogenannte Poisson-Klammer,
die wir nun allgemein definieren wollen.
≡ {F, H} +
Poisson-Klammer: Seien F = F (q, p; t), G = G(q, p; t) zwei (zeitabhängige)
Funktionen auf dem Phasenraum. Dann ist die Poisson-Klammer {F, G} wie
folgt definiert,
f X
∂F ∂G
∂F ∂G
−
{F, G} :=
.
∂qi ∂pi
∂pi ∂qi
i=1
(3.43)
Damit: Man kann nun vermittels der Definition der Poisson-Klammer leicht
die folgenden Gleichungen beweisen,
q̇i = {qi , H}
,
ṗi = {pi , H},
{qi , qk } = 0 = {pi , pk }
,
{qi , pj } = δij :=
1
0
(3.44)
⇔
⇔
i=j
.
i 6= j
(3.45)
Ausblick: Die Formulierung der Mechanik mittels Poisson-Klammern erleichtert den Übergang zur Quantenmechanik. In der Quantenmechanik werden q
und p durch Operatoren ersetzt, die auf Wellenfunktionen wirken. Diese Operatoren genügen ebenfalls Differentialgleichungen und häufig kann man die entsprechenden quantenmechanischen Gleichungen bekommen, indem man in den
(durch die Poisson-Klammern ausgedrückten) Gleichungen der klassischen Mechanik die Poisson-Klammer durch den sogenannten Kommutator ersetzt. Wir
werden hier nicht weiter auf die Details eingehen.
Bemerkung: Eine Stärke des Lagrange-Formalismus war die Flexibilität unter Koordinaten-Transformationen Q = Q(q), so dass die Euler-Lagrange-Gleichungen forminvariant blieben. Der Hamilton-Formalismus ist sogar noch flexibler, denn er erlaubt Transformationen der Form Q = Q(q, p), P = P (q, p).
Allerdings sind nicht alle Transformationen automatisch zulässig in dem Sinne, dass sie die Hamilton’schen Bewegungsgleichungen forminvariant lassen.
Ein notwendiges und hinreichendes Kriterium, wann die o.g. Transformationen
die Hamilton’schen Bewegungsgleichungen forminvariant lassen, macht von der
Poisson-Klammer Gebrauch,
{Qi (q, p), Qj (q, p)} = 0 = {Pi (q, p), Pj (q, p)}, {Qi (q, p), Pj (q, p)} = δij . (3.46)
104
Falls die obigen Gleichungen erfüllt sind, dann gelten für die neuen Koordinaten
die Hamilton’schen Bewegungsgleichungen,
∂H
(q(Q, P ), p(Q, P )),
∂Pj
∂H
Ṗj = −
(q(Q, P ), p(Q, P )),
∂Qj
Q̇j =
(3.47)
(3.48)
die in ihrer Form identisch sind mit den ursprünglichen Hamilton’schen Gleichungen. Da Transformationen, die die Hamilton’schen Bewegungsgleichungen
invariant lassen, sehr interessant zu studieren sind2 , haben sie einen eigenen
Namen erhalten: kanonische (Physik) oder symplektische (Mathematik) Transformationen.
2 ...was
wir leider hier nicht machen können...
105
Kapitel 4
Spezielle Relativitätstheorie
Einführung: Die spezielle Relativitätstheorie wurde im Jahre 1905 von Albert Einstein in seinem in den Annalen der Physik veröffentlichten Artikel ’Zur
Elektrodynamik bewegter Körper’ begründet. Anstatt gleich die wesentlichen
Kernaussagen der Speziellen Relativitätstheorie (SRT) aufzustellen, wollen wir
uns die Situation der Physik des angehenden 20. Jahrhunderts deutlich machen.
Erinnerung: Das Galilei’sche Relativitätsprinzip, welches wir zu Beginn dieses Texts bereits kennen gelernt hatten, besagt, dass die Newton’schen Gleichungen forminvariant sind unter dem Wechsel von einem Inertialsystem in
ein anderes. Die dazugehörige Koordinatentransformation ist dabei eine GalileiTransformation. Ein Beispiel wird in Abbildung 4.1 veranschaulicht. Die dazugehörige Koordinatentransformation (zu Abbildung 4.1) ist gegeben durch,
~r0 = ~r − ~v t
,
t0 = t.
(4.1)
Problem: Problematisch war allerdings, dass die zweite große Theorie, die neben der Newton’schen Mechanik im angehenden 20. Jahrhundert bekannt war,
nämlich die Maxwell-Theorie des Elektromagnetismus, eben nicht forminvariant
unter Galilei-Transformationen schien. Es ergaben sich unter anderem die folgenden zwei Probleme, die den Physikern jener Zeit Kopfzerbrechen bereiteten:
• Die Maxwell-Gleichungen sagen die Existenz von elektromagnetischen Wellen voraus, die sich mit einer Geschwindigkeit von c ≈ 3 · 108 m
s ausbreiten.
Nun stellte sich die Frage nach einem ausgezeichneten Bezugssystem, welches sich aus den Galilei’schen Transformationen ergeben sollte. Dieses
Bezugssystem wurde als für die Ausbreitung der Lichtwellen als Medium
fungierend angesehen und Äther genannt.
• Betrachte die Abbildung 4.2. Im ruhenden Bezugssystem bewegt sich der
Zug, auf dem die Leiterschleife sitzt, mit einer Geschwindigkeit ~v fort. Die
~ Dann wirkt auf die Ladungen im Draht die
Stärke des Magnetfeldes sei B.
Lorentzkraft F~L ,
~
F~L = q~v × B,
(4.2)
die zu einer Beschleunigung der Ladungen im Draht führt. Dies wiederum bedeutet nichts anderes, als dass man einen Strom messen kann, der
106
Abbildung 4.1: Zu den Galilei-Transformationen zwischen zwei Inertialsystem
IS und IS’.
Abbildung 4.2: Eine auf einem beweglich gelagerten Zug sitzende Leiterschleife,
durch die senkrecht ein Magnetfeld hindurchtritt, das vermöge der Lorentzkraft
Ladungen im Draht beschleunigt.
107
ja gerade die Bewegung von Leiterelektronen ist. In einem bewegten Bezugssystem, um bei unserem Beispiel zu bleiben, im System des Zuges,
hingegen, sind die Ladungen in Ruhe, d.h. ~v 0 = ~0. Folglich kann auch keine Lorentzkraft wirken. Allerdings ist aufgrund der durchgeführten Koordinatentransformation das Magnetfeld nun nicht mehr zeitlich konstant.
Das impliziert, dass man das sogenannte Faraday’sche Induktionsgesetz
anwenden muss (eine der Maxwell’schen Gleichungen, auf die wir im Rahmen der Elektrodynamik zu sprechen kommen werden!). Dieses Induktionsgesetz impliziert, dass eine Induktionsspannung am Draht anliegt, die
gegeben ist durch,
Uind = −
dΦ
,
dt
(4.3)
wobei Φ hier den magnetischen Fluss durch die Leiterschleife bezeichnet,
Z
~
Φ=
df~ · B,
(4.4)
Schleife
wobei das Flächenelement df~ in Richtung der Flächennormalen zeigt. Man
kann nun bestätigen, dass der Induktionsstrom genau mit dem Strom
übereinstimmt, den ein Beobachter im ruhenden Bezugssystem misst.
• Als letzten Punkt wollen wir noch kurz auf eine experimentelle Beobachtung zu sprechen kommen, die dem erstgenannten Punkt - der Existenz
eines Äthers als ausgezeichnetem Bezugssystem für die Ausbreitung von
elektromagnetischen Wellen - scharf widerspricht. Zu Zeiten der Entstehung der SRT stellte man sich den Äther als eine Substanz vor, die den
ganzen Raum durchziehen sollte. In den 1880er Jahren führten Michelson und Morley ein berühmtes Experiment durch, das bewies, dass sich
Licht in allen Richtungen mit gleicher Geschwindigkeit ausbreitet. Diese
Beobachtung ist vor dem Hintergrund zu würdigen, dass die Erde selbst
ein relativ zum Äther bewegtes Bezugssystem darstellt, und daher ein
Beobachter gemäß der Galileitransformationen z.B. eine unterschiedliche
Geschwindigkeit messen sollte, je nachdem ob sich die Erde in die selbe
Richtung bewegt wie das Licht oder in die entgegengesetzte Richtung.
Einstein’s Postulate: Um den beschriebenen Phänomenen gerecht zu werden,
stellte Einstein die beiden folgenden Postulate auf, aus denen sich die komplette
spezielle Relativitätstheorie ableiten lässt:
• Relativitätsprinzip: Bezüglich aller physikalischen Phänomene, die nicht
nur mechanischer Natur zu sein brauchen, sind alle Inertialsysteme äquivalent.
• Universalität der Lichtgeschwindigkeit: Die Lichtgeschwindigkeit besitzt in allen Inertialsystemen den gleichen Wert c.
4.1
Zeitdilatation und Längenkontraktion
Zunächst: Einstein machte Gebrauch von einer geometrisch angehauchten Konstruktion, um die Phänomene der Zeitdilatation bzw. Längenkontraktion herzuleiten. Diese Phänomene wurden zuerst theoretisch erschlossen, später aber
108
durch Experimente belegt. Zunächst müssen wir dafür den Begriff der Uhrensynchronisation klären. Wir starten unsere Synchronisation zum Zeitpunkt
t(1) = τ1 . Ein Beobachter mit der Uhr 1 sendet zu diesem Zeitpunkt einen Lichtblitz direkt zu einem Beobachter 2 aus, der ebenfalls eine Uhr trägt. Aufgrund
der Endlichkeit und Konstanz der Lichtgeschwindigkeit, trifft der Lichtblitz nach
endlicher (von Null verschiedener Zeit) bei Beobachter 2 ein. Dieser reflektiert
nun instantan den Lichtblitz wieder zu Beobachter 1 zurück, der auf seiner Uhr
die Zeit t(3) = τ2 abliest. Die Uhr des Beobachters 2 werde nun so gestellt, dass
die Reflexion zum Zeitpunkt,
1
1
t(2) = τ1 + (τ2 − τ1 ) = (τ1 + τ2 ),
2
2
(4.5)
passiere.
Zeitdilatation: Einstein leitete über die Uhren-Synchronisation an zwei Punkten in einem Inertialsystem die Zeitdilatation aus der Betrachtung zweier sich
relativ zueinander bewegender Inertialsysteme her. Es ergibt sich die folgende
Formel
1
∆t = ∆t0 q
1−
v2
c2
,
(4.6)
wobei ∆t0 die Zeit zwischen zwei Ereignissen in einem Inertialsystem darstellt,
in dem die beiden Ereignisse am selben Ort stattfinden und ∆t entsprechend
die Zeit in einem dazu gleichförmig bewegten Inertialsystem. In diesem zweiten Inertialsystem finden die beiden Ereignisse dann nicht am selben Ort statt.
Man erkennt übrigens an (4.6), dass c eine obere Grenze für die relative Bewegung zwischen zwei Inertialsystemen darstellt (da sonst der Ausdruck unter
der Wurzel negativ wird). Damit stellt c aber auch eine obere Grenze für die
Geschwindigkeit der Bewegung eines Körpers in einem Inertialsystem dar, da
man immer das mit dem Körper mitbewegte Inertialsystem betrachten kann.
Lorentzfaktor: Etwas plakativer kann man dies mithilfe des Lorentzfaktors
γ schreiben,
γ := q
1
1−
v2
c2
,
(4.7)
indem man bemerkt, dass γ ≥ 1 für alle Geschwindigkeiten v mit 0 ≤ v := |~v | <
c. Dann lässt sich die Formel für die Zeitdilatation wie folgt schreiben,
∆t = γ∆t0 > ∆t0 .
(4.8)
In Worten ausgedrückt, bedeutet dies nichts anderes, als:
Merksatz: Bewegte Uhren gehen langsamer!
Längenkontraktion: In dieselbe Richtung wie die Zeitdilatation spielt die
Längenkontraktion. Sie ist eine direkte Folge aus der Zeitdilatation. Es sei hier
109
wieder nur das Ergebnis angegeben.
l=
l0
≤ l0 .
γ
(4.9)
Hierbei ist γ wieder der Lorentz-Faktor, l0 die Länge im Inertialsystem, in dem
das zu messende Objekt ruht und l die Länge im relativ dazu bewegten Inertialsystem.
Merksatz: Bewegte Maßstäbe verkürzen sich.
Bemerkung: Die Längenkontraktion gilt nur und ausschließlich in die Richtung, in die die Bewegung der beiden Inertialsysteme relativ zueinander abläuft.
Eine sehr schöne Begründung dieses Sachverhalts findet man in John Taylor’s
Buch ’Classical Mechanics’ in Kapitel 15.
4.2
Lorentz-Transformationen
Motivation: Vor Einstein waren die Transformationen, die es erlaubten, von
einem Inertialsystem in ein anderes überzugehen, gegeben durch die GalileiTransformationen, die wir bereits in Kapitel 1 kennen gelernt haben. In der
Speziellen Relativitätstheorie nehmen die Transformationen aufgrund des weiter
oben beschriebenen Phänomens der Längen-Kontraktion nicht mehr die Form
der Galilei-Transformationen an. Vielmehr muss man, aufgrund der Längenkontraktion, die Galilei-Transformationen für den Ort umschreiben zu,
x0 = γ(x − vt).
(4.10)
Analog erhält man für die Umkehrtransformation, unter Ausnutzung der Tatsache, dass sich das Vorzeichen der Relativgeschwindigkeit der beiden Systeme
umkehrt,
x = γ(x0 + vt0 ).
(4.11)
Man beachte hierbei, dass wir die Zeiten t, t0 als a priori unterschiedlich annehmen müssen, da in der speziellen Relativitätstheorie nicht mehr der Newtonsche
Grundsatz der absoluten Zeit gilt. Wir formen die letzte Gleichung nun nach t0
um und setzen statt x0 die erste Gleichung ein, um zu erhalten
vx (4.12)
t0 = γ t − 2 .
c
Damit erhalten wir die folgenden Transformationen, die Lorentz-Transformationen
genannt werden, für eine ein-dimensionale Bewegung,
x0 = γ(x − vt) ,
y0 = y
,
z0 = z
,
vx t0 = γ t − 2 .
c
(4.13)
Geschwindigkeitsaddition: Wir erhalten aus den Lorentz-Transformationen
nun direkt das Verhalten von Geschwindigkeiten bei der Addition. Hierfür betrachten wir zwei Inertialsysteme IS und IS’, von denen sich IS’ gegenüber
dem (ruhenden) IS mit der Geschwindigkeit v in x-Richtung bewege. Für einen
110
Probekörper, der in IS die Geschwindigkeit u besitzt, würden die Galilei’schen
Transformationen die Geschwindigkeit u0 = u−v liefern (in IS’). Indem wir aber
nun die Lorentz-Transformationen (4.13) ausnutzen, erhalten wir zunächst,
dx0 = x02 − x01 = γ(dx − vdt),
(4.14)
dt0 = t02 − t01 = γ(dt − v 2 /c2 · dx).
(4.15)
sowie,
Aus der Definition der Geschwindigkeit als,
u :=
dx
dx0
in IS, u0 := 0 in IS’,
dt
dt
(4.16)
erhalten wir nach einer kurzen Rechnung,
u−v
.
1 − uv
c2
u0 =
(4.17)
Im nicht-relativistischen Grenzfall (u, v << c) ergibt sich also die klassische
Formel von Galieli. Wir wollen noch überprüfen, ob die genannte Formel (4.17)
konsistent mit dem zweiten Einstein’schen Postulat (d.h. mit der Universalität
der Lichtgeschwindigkeit) ist. Dazu setzen wir u = c und rechnen mit (4.17),
c−v
1 − vc
c2
c−v
=
1 − vc
c−v
=c
c−v
= c.
u0 =
(4.18)
(4.19)
(4.20)
(4.21)
Damit ist die Konsistenz von (4.17) mit den Einstein’schen Postulaten bewiesen.
4.3
Zwei Paradoxa
Motivation: Die spezielle Relativitätstheorie wirft unsere bisherigen Vorstellungen von Raum und Zeit über den Haufen. Es ergeben sich sogenannte ’Paradoxa’, die zwar der Intuition widersprechen, sich aber im Rahmen der speziellen
Relativitätstheorie erklären lassen. Wir wollen hier zwei wichtige behandeln.
• Zwillingsparadoxon: Betrachte zwei Zwilling A und B, die auf der Erde
zum Zeitpunkt 1 beide exakt 21 Jahre alt sind. Beide Zwillings sollen
synchronisierte Uhren (Synchronisation hat auf der Erde stattgefunden)
besitzen. Zwilling B beschließt nun spontan für 5 Jahre (gemessen auf
seiner Uhr) eine Reise durch das Weltall mit v = 12/13 · c anzutreten.
Nach Ablauf der fünf Jahre auf der Uhr von B, will B wieder umkehren
und mit derselben Geschwindigkeit zurück zur Erde fliegen, um seinen
Zwillingsbruder wieder zu begrüßen. Insgesamt war B 10 Jahre unterwegs,
so dass er bei der Begrüßung 31 Jahre alt sein muss. Wie alt ist nun A?
111
A meint, dass die Uhr des B langsamer läuft und ermittelt so für die Zeit,
die seit dem Abflug seines Bruders vergangen ist gemäß der Formel für die
Zeitdilatation ∆t = 26 Jahre. Folglich ist A nun 21 + 26 = 47 Jahre alt.
Das Paradoxe ist nun, dass aus der Sicht von B der Zwilling A sich bewegt,
d.h. intuitiv würde man meinen, B wäre in seinem System 47 Jahre alt,
A hingegen 31 Jahre. Dieser scheinbare Widerspruch ist gar keiner, denn
dadurch, dass B auf seiner Reise umkehrt, wechselt er das Inertialsystem.
(Die instantane Änderung der Geschwindigkeit beim Umkehren entspricht
einer Beschleunigung.) Hingegen befindet sich A, der auf der Erde bleibt,
immer im selben Inertialsystem. Insgesamt sehen wir also, dass zwischen
A und B keine Symmetrie herrscht. Folglich wäre die Argumentation des
B, dass sich in Wirklichkeit A bewegt hätte, nicht zulässig!
• Schlangenparadoxon: Wir stellen uns einen Tisch vor, auf dem eine
Schlange mit einer Geschwindigkeit von v = 0.6c kriecht. Die Schlange
sei genau 100 cm lang. Im tischfesten Inertialsystem fallen zu einem Zeitpunkt t = 0 im Abstand von 100 cm zwei Beile runter, eines davon direkt
hinter der Schlange. Aus der Sicht des tischfesten Systems, in dem ein
Physikstudent die Beile fallen lässt, ist die Schlange aufgrund ihrer relativistischen Geschwindigkeit längenkontrahiert auf nur noch 80 cm Länge.
Der Physikstudent weiß also, dass er die Schlange gegebenenfalls erschrecken, nicht aber zerstückeln kann. Aus der Sicht der Schlange hingegen,
erscheinen die beiden Beile näher zusammen, nämlich, statt im Abstand
von 100 cm, nur noch im Abstand von 80 cm, wie man mit der Formel für
die Längenkontraktion überprüft. Die Schlange befürchtet nun, zerhackt
zu werden. Dieses Paradoxon löst sich auf, wenn man den Fehler, den die
Schlange in ihren Überlegungen macht, aufdeckt: Indem man die kompletten Lorentz-Transformationen vom tischfesten System ins schlangenfeste
System durchführt, stellt man fest, dass die Schlange ein Beil früher fallen
sieht als das andere. Insgesamt stellt die Schlange fest, dass die LorentzTransformationen in ihrem Inertialsystem einen Beil-Abstand von 125 cm
liefern (Lorentz-Transformationen anwenden!). Die Schlange wird also bei
korrekter Anwendung der Methoden der speziellen Relativitätstheorie zu
dem Ergebnis kommen, auch in ihrem Inertialsystem nicht von den Beilen zerhackt zu werden. Dies ist ein Beispiel dafür, dass der Begriff der
Gleichzeitig relativ ist und vom Beobachter abhängt.
4.4
Relativistische Dynamik
Motivation: Das zweite Newton’sche Axiom besagt, dass,
d~
p
,
F~ =
dt
(4.22)
p~ = m~v .
(4.23)
wobei
Dies ist aber nicht mit der speziellen Relativitätstheorie vereinbar, denn im Fall
einer eindimensionalen Bewegung würde daraus z.B. folgen
F = const. ⇒ v =
F
t→∞
t + v0 −→ ∞ .
m
112
(4.24)
Abbildung 4.3: Zur relativistischen Dynamik
Relativistische Kraft: Wir wissen, dass v < c sein muss. Einstein berücksichtigte nun in seinen Überlegungen die relativistische Massenzunahme, d.h. er
ging davon aus, dass sich die Masse in Abhängigkeit von der Geschwindigkeit v
wie folgt verändert,
m(v) = γ(v) · m0 ,
(4.25)
wobei m0 die sogenannte Ruhemasse des Teilchens bezeichnet und wir in der
Notation die Abhängigkeit des Lorentzfaktors von der Geschwindigkeit angegeben haben. Insbesondere sehen wir für den Fall, dass v → c, die Masse
m(v → c) → ∞, wegen des Lorentz-Faktors. Anschaulich bedeutet dies, dass
die Trägheit des Teilchens gegenüber einer Änderung seiner Geschwindigkeit unendlich groß wird. Wir erhalten das in der Abbildung 4.3 dargestellt Diagramm
für eine konstante Kraft.
Bemerkung: Einen ’Beweis’ für die relativistische Massenzunahme findet man
in den Feynman-Lectures in Band 1 (Kapitel 16 - 4).
Konsequenzen: Aus der relativistischen Kraft können wir folgern, dass die
Energie für ein Teilchen der Masse m(v) wie folgt geschrieben werden muss,
E = m(v)c2 .
(4.26)
Dies sieht man wie folgt ein: Die Arbeit, die verrichtet werde muss, um ein
Teilchen der Masse m(v) von 0 auf v zu beschleunigen (auf der x-Achse), ist
113
gegeben durch,
Z
W =
F dx
(4.27)
ZC
dp
dx
C dt
Z t2
dp
=
vdt
t1 dt
Z m(v)v
dp v
=
=
(4.28)
(4.29)
(4.30)
0
m(v)v 2
Z v
dv p
d(pv) −
0
Z v 0
m v
q 0
= γ(v)m0 v 2 −
dv
2
0
1 − vc2
v
r
2
m0 v 2
v
=q
+ m0 c2 1 − 2 2
c
1 − vc2
0
Z
=
m0 c2
= −m0 c2 + q
.
2
1 − vc2
(4.31)
(4.32)
(4.33)
(4.34)
Es gilt nun,
W = Ekin ,
(4.35)
da das Teilchen zu Beginn in Ruhe war. Wir können also schreiben,
Ekin + m0 c2 = m(v)c2 .
(4.36)
Hierbei interpretieren wir m0 c2 als Ruheenergie des Teilchens, m(v)c2 als Gesamtenergie des Teilchens bei der Geschwindigkeit v.
Bemerkung: (i) Es ist möglich, dass die Ruhe-Energie eines Teilchens zumindest teilweise in mechanisch nutzbare Energie umgewandelt wird. Dies passiert
z.B. bei der Kernfusion im Inneren der Sonne.
(ii) Zum Schluss sie noch auf die interessante Internetseite
www.tempolimit-Lichtgeschwindigkeit.de
hingewiesen, auf der Subtilitäten bei der Beobachtung sehr schneller Objekte
diskutiert werden.
114
Anhang
Ellipse
Die Ellipse ist die Menge aller Punkte P = (x, y), für die die Summe der Entfernungen zu zwei gegebenen festen Punkten B1 = (e, 0) und B2 = (−e, 0)
konstant ist, d.h.
L1 + L2 = 2a ,
(4.37)
wobei a die Länge der großen Halbachse ist, s. Skizze. Die Punkte B1 und B2
werden Brennpunkte genannt.
Die Position der Brennpunkte ist nicht unabhängig von den Längen der
großen und kleinen Halbachsen a und b. Es gilt vielmehr
b2 = a 2 − e 2 .
(4.38)
Dies kann man leicht sehen, wenn man P = (0, b) betrachtet (d.h. L1 = L2 = a)
und den Satz von Pythagoras anwendet.
Mit Hilfe von (4.38) kann man die Ellipsengleichung in kartesischen Koordinaten herleiten. Der Satz von Pythagoras liefert
L21 = y 2 + (x − e)2
,
L22 = y 2 + (x + e)2 .
(4.39)
Setzt man dies ein in
L21 + L22 + 2L1 L2 = 4a2 ,
(4.40)
was aus der definierenden Gleichung (4.37) durch Quadrieren folgt, so folgt nach
einfachen Umformungen, unter Benutzung von (4.38),
x2
y2
+ 2 =1.
2
a
b
115
(4.41)
Wir wollen nun noch die Ellipsengleichung in Polarkoordinaten herleiten.
Unser Startpunkt ist
L22 − L21 = (L2 + L1 )(L2 − L1 ) = 2a(L2 − L1 ) ,
(4.42)
wobei wir (4.37) benutzt haben. Auf der anderen Seite gilt aber wegen (4.39)
auch
2ex
L22 − L21 = 4ex = 2a
= 2a 2εx ,
(4.43)
a
wobei wir die Exzentrizität
ε = e/a
(4.44)
definiert haben. Durch Vergleich von (4.42) und (4.43) erhalten wir
L2 − L1 = 2εx .
(4.45)
Kombinieren wir dies mit L1 + L2 = 2a, so folgt
L1 = a − εx .
(4.46)
Hierin drücken wir nun x aus durch
x = e + L1 cos ϕ ,
(4.47)
s. Skizze, und sammeln die Terme proportional zu L1 . Dies ergibt
L1 (1 + ε cos ϕ) = a − εe = a −
b2
e2
=
≡p,
a
a
(4.48)
wobei wir im vorletzten Schritt (4.38) benutzt haben und im letzten Schritt den
Parameter p definiert haben. Nun müssen wir nur noch L1 = ρ setzen (s. Skizze)
und erhalten die Darstellung der Ellipse in Polarkoordinaten
ρ=
p
.
1 + ε cos ϕ
116
(4.49)
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