Grammatikalisierung Hauptseminar WS 2004/05 Prof. Karin Pittner Die Grammatikalisierungsparameter am Beispiel der Modalverben Modalverben • • • • • • dürfen können mögen müssen sollen Wollen 2 verschiedene Modalverbsysteme Verben, die in Verbindung mit einem Infinitiv modale Bedeutungsaspekte ausdrücken Sprachhistorische Aspekte Prozess: Nicht- epistemische Variante -------- > a) epistemische Variante b) nicht- epistemische Variante • Dieser Prozess beginnt im Althochdeutschen zunächst isoliert beim Verb „mögen“ • Um 1500 setzt dieser Prozess auch bei anderen Verben ein • 1700 kann man von einer (vorerst) vollzogenen Grammatikalisierung sprechen (stimmt mit den heutigen Grundzügen überein) 1 1. Die historisch ältere Variante Modalverben als autosemantische Zeichen + 3. breites Feld von Verwendungen 2. Neuere Variante Modalverben als grammatische Markierung Gebrauchsweisen Die 2 Hauptgebrauchsweisen sind: Modalverben, die sich keinem der beiden Systeme eindeutig zuordnen lassen Æ Lässt auf kontinuierlichen, synchronen Übergang zwischen beiden Systemen schließen 1. nicht- epistemischen Gebrauch (= das historisch ältere System) 2. epistemischen Gebrauch (= das neuere System) Was bedeutet „epistemisch“? 2 • nicht- inferentiell Nicht- epistemisch epistemisch • objektiv a) Sie darf ins Kino gehen. • deontisch • agensorientiert • nicht- modal b) Sie kann Auto fahren. b) Sie kann mit dem Auto gefahren sein. c) Sie mag nicht tanzen. c) Sie mag Recht haben. d) Sie muss zu Hause bleiben. d) Sie muss in der Stadt sein. e) Sie soll den Abwasch machen. e) Sie soll Sängerin gewesen sein. f) Sie will surfen lernen. f) Sie will geschlafen haben. 1. Die nicht- epistemische Gebrauchsweise - Das MV ist Bestandteil des im Satz dargestellten Sachverhalts. - Der Zustand des Subjekts wird zum Ausdruck gebracht - Das Verb regiert den Satz - Spezifiziert semantische Aspekte (Erlaubnis, Notwendigkeit etc.) 2. Die epistemische Gebrauchsweise Es gibt keine semantische a) Sie dürfte inzwischen fertig sein. a) Sie darf ins Kino gehen. Beziehung zwischen MV und b) Sie kann mit dem Auto gefahren b) Sie kann Auto fahren. Satzsubjekt - c) Sie mag nicht tanzen. - Die Aussage des Sprechers d) Sie muss in der Stadt sein. rückt in den Vordergrund, e) Sie soll Sängerin gewesen sein. e) Sie soll den Abwasch machen. seine subjektive Einschätzung f) Sie will geschlafen haben. f) Sie will surfen lernen. Im heutigen Deutsch sind der Konjunktiv II. (inkl. Der Konstruktion würde + Inf.) und ein epistemisches Modalverb nicht gegenseitig substituierbar: sein. c) Sie mag Recht haben. d) Sie muss zu Hause bleiben. Zusammenhang der neueren grammatischen Funktion (epistemische Gebrauch) der Modalverben und der diachronen Veränderung des Konjunktivs II. • a) Sie dürfte inzwischen fertig sein. wird ausgedrückt Zusammenhang der neueren grammatischen Funktion (epistemische Gebrauch) der Modalverben und der diachronen Veränderung des Konjunktivs II. • Im heutigen Deutsch sind der Konjunktiv II. (inkl. Der Konstruktion würde + Inf.) und ein epistemisches Modalverb nicht gegenseitig substituierbar: Bsp.: 1) Sie kann in ihrem Zimmer sein. (epistemischer Gebrauch von Modalverben) 2) Sie wäre in ihrem Zimmer. (Konjunktiv II.) 3 Zusammenhang der neueren grammatischen Funktion (epistemische Gebrauch) der Modalverben und der diachronen Veränderung des Konjunktivs II. • Zusammenhang der neueren grammatischen Funktion (epistemische Gebrauch) der Modalverben und der diachronen Veränderung des Konjunktivs II. • Im heutigen Deutsch sind der Konjunktiv II. (inkl. Der Konstruktion würde + Inf.) und ein epistemisches Modalverb nicht gegenseitig substituierbar: • Bsp.: 1) Sie kann in ihrem Zimmer sein. (epistemischer Gebrauch von Modalverben) 2) Sie wäre in ihrem Zimmer. (Konjunktiv II.) • • • Unterschied: Epistemische Modalverben drücken unsichere, unbekannte Faktizität aus. Der Konjunktiv II. dagegen, signalisiert Nicht-Faktizität. Im heutigen Deutsch sind der Konjunktiv II. (inkl. Der Konstruktion würde + Inf.) und ein epistemisches Modalverb nicht gegenseitig substituierbar: Bsp.: 1) Sie kann in ihrem Zimmer sein. (epistemischer Gebrauch von Modalverben) 2) Sie wäre in ihrem Zimmer. (Konjunktiv II.) Unterschied: • Epistemische Modalverben drücken unsichere, unbekannte Faktizität aus. • Der Konjunktiv II. dagegen, signalisiert Nicht-Faktizität. Der Konjunktiv II. hatte im Althochdeutschen eine doppelte Funktion inne: • 1. Markierung des Irrealis (bis heute) • 2. Ausdruck der Vergangenheit des Konjunktiv I. (heute abgebaut) → Diese Funktion haben die epistemischen Modalverben übernommen. Die gemeinsame Struktur der Modalverbvariante These: Bestimmte linguistische Kontexte favorisieren die epistemische und andere die nicht epistemische Lesart. Die gemeinsame Struktur der Modalverbvariante These: Bestimmte linguistische Kontexte favorisieren die epistemische und andere die nicht epistemische Lesart. Nicht- epistemische Lesart: • Ein nicht- epistemischer Sinn stellt sich dann ein, wenn das Hauptverb ein terminatives Verb ist, • oder wenn das Modalverb im Perfekt verwendet wird. Bsp.: 1. Sie muss kommen. 2. Sie hat kommen müssen. Die gemeinsame Struktur der Modalverbvariante These: Bestimmte linguistische Kontexte favorisieren die epistemische und andere die nicht epistemische Lesart. Nicht- epistemische Lesart: • Ein nicht- epistemischer Sinn stellt sich dann ein, wenn das Hauptverb ein terminatives Verb ist, • oder wenn das Modalverb im Perfekt verwendet wird. Bsp.: 1. Sie muss kommen. 2. Sie hat kommen müssen. Epistemische Lesart: Ein epistemischer Sinn stellt sich dann ein, wenn das Hauptverb in einer - Progressiven Konstruktion steht, oder aber im Infinitiv II. (Inf. Perfekt) steht. Bsp.: 1. Ich muss am Schreiben sein. 2. Ich muss den Termin vergessen haben. Die gemeinsame Struktur der Modalverbvariante These: Bestimmte linguistische Kontexte favorisieren die epistemische und andere die nicht epistemische Lesart. Nicht- epistemische Lesart: • Ein nicht- epistemischer Sinn stellt sich dann ein, wenn das Hauptverb ein terminatives Verb ist, • oder wenn das Modalverb im Perfekt verwendet wird. Bsp.: 1. Sie muss kommen. 2. Sie hat kommen müssen. Epistemische Lesart: Ein epistemischer Sinn stellt sich dann ein, wenn das Hauptverb in einer - Progressiven Konstruktion steht, oder aber im Infinitiv II. (Inf. Perfekt) steht. Bsp.: 1. Ich muss am Schreiben sein. 2. Ich muss den Termin vergessen haben. Auch ein duratives bzw. statisches Hauptverb begünstigt die epistemische Lesart. Bsp.: 1. Sie muss ihn aus der Schule kennen. 2. Sie muss krank sein. • 4 Die gemeinsame Struktur beider Varianten des Modalverbgebrauchs ist die Kombination zweier gerichteter Relationen: • • 1. übergeordnete modale Relation 2. eingebettete Verbalrelation Die gemeinsame Struktur beider Varianten des Modalverbgebrauchs ist die Kombination zweier gerichteter Relationen: • 1. übergeordnete modale Relation • 2. eingebettete Verbalrelation Nicht- epistemische Variante: - Der Ausgangspunkt der modalen Relation ist eine intentionsfähige Entität. Bsp.: Sie muss den Abwasch machen. - Der Zielpunkt ist der Vollzug, das Tatsache- Sein der Verbalrelation. Bsp.: Sie muss den Abwasch machen. - Dabei ist er Ausgangspunkt der Verbalrelation das Subjekt. Bsp.: Sie macht den Abwasch. Die gemeinsame Struktur beider Varianten des Modalverbgebrauchs ist die Kombination zweier gerichteter Relationen: • 1. übergeordnete modale Relation • 2. eingebettete Verbalrelation Nicht- epistemische Variante: - Der Ausgangspunkt der modalen Relation ist eine intentionsfähige Entität. Bsp.: Sie muss den Abwasch machen. - Der Zielpunkt ist der Vollzug, das Tatsache- Sein der Verbalrelation. Bsp.: Sie muss den Abwasch machen. - Dabei ist er Ausgangspunkt der Verbalrelation das Subjekt. Bsp.: Sie macht den Abwasch. Ergebnis der gerichteten Relation bei nicht- epistemischen Varianten: • Die Verbalrelation ist also nicht- faktisch. • Die modale Relation ist faktisch. Die gemeinsame Struktur beider Varianten des Modalverbgebrauchs ist die Kombination zweier gerichteter Relationen: • 1. übergeordnete modale Relation • 2. eingebettete Verbalrelation Nicht- epistemische Variante: - Der Ausgangspunkt der modalen Relation ist eine intentionsfähige Entität. Bsp.: Sie muss den Abwasch machen. - Der Zielpunkt ist der Vollzug, das Tatsache- Sein der Verbalrelation. Bsp.: Sie muss den Abwasch machen. - Dabei ist er Ausgangspunkt der Verbalrelation das Subjekt. Bsp.: Sie macht den Abwasch. Ergebnis der gerichteten Relation bei nicht- epistemischen Varianten: • Die Verbalrelation ist also nicht- faktisch. • Die modale Relation ist faktisch. Epistemische Variante: - Die Verbalrelation bleibt mit ihrem Ausgangspunkt und Zielpunkt erhalten. - In der Modalrelation findet ein Transfer, eine Verschiebung, der Origo statt. Sie liegt gegenüber der nicht- epistemischen Lesart nicht mehr in einer genannten oder nicht genannten Entität, die den Vollzug der Verbalrelation intendiert, sondern im Sprecher. Bsp.: Sie muss den Abwasch machen. (-dem Lärm nach) Das Ergebnis des Vergleichs: • Die Verbalrelation nicht- epistemischer Modalität wird als nicht- faktisch vorausgesetzt. • Die Verbalrelation der epistemischen Modalität ist bezüglich ihrer Faktizität noch nicht bewertet, d.h. +/ - faktisch. Denn das Ziel der epistemischen Lesart ist damit nicht der Vollzug der Verbalrelation, sondern die Zuweisbarkeit eines Faktizitätswertes vom Sprecher aus. 5