Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg Institut für Werkstoffwissenschaften 6 / AlN Martensstr. 7, 91058 Erlangen Vorlesung Grundlagen der WET I Dr.-Ing. Matthias Bickermann Prof. Dr. A. Winnacker A. ELEKTRISCHE LEITFÄHIGKEIT UND BEWEGLICHKEIT 1. Elektrische Leitfähigkeit Ohm'sches Gesetz: U = R ⋅ I mit R=ρ l A [Bild 1] R Widerstand, ρ spezifischer Widerstand, l Länge, A Querschnitt des Leiters; E= U I 1 = ρ ⋅ i Elektrisches Feld, i = = σ ⋅ E Stromdichte, σ = spez. Leitfähigkeit A l ρ Einheiten: U [V], R [Ω=V/A], ρ [Ω⋅cm], E [V/m], i [A/mm²], σ [S/m=1/Ωm] Die spezifische Leitfähigkeit von Materialien liegt zwischen 1⋅10–18 S/m (Quarz) und 6⋅107 S/m (Silber)! [Tab 1] Elektronen werden im elektrischen Feld (Kraft Fel. = e⋅E) beschleunigt, stoßen aber immer wieder auf "Hindernisse". Sie bewegen sich effektiv mit der Driftgeschwindige e τ keit v D = τ E , man schreibt: v D = μ E mit μ = m* m* τ [s] ist die mittlere Stoßzeit, e [As] Elektronenladung, m* effektive Elektronenmasse. µ [cm²/Vs] ist die Ladungsträgerbeweglichkeit, eine Materialkonstante. 2. Mittlere Stoßzeit Man kann sich eine "Reibungskraft" FR= k⋅v vorstellen, die dem Feld entgegenwirkt. dv e m* = e E − k v D = 0 , v D = E , damit ist k = die Im Gleichgewicht (v = vD) gilt m * dt k τ "Reibungskraftkonstante". Schaltet man das elektrische Feld E zum Zeitpunkt t=0 −t 1 dv (t ) = − v (t ), v (t ) = v 0 e τ (exponentieller Abfall), d.h. τ gibt an, wie aus, dann gilt τ dt schnell die Teilchen zur Ruhe kommen ("Relaxationszeit"). [Bild 2] In einem Zeitintervall Δt treten diejenigen Ladungen (Elektronen) durch die Querschnittsfläche A, die Δx oder weniger von ihr entfernt sind, mit vD = Δx/Δt: i = n e v D (n: Ladungsträgerkonzentration [cm–3]). [Bild 3] Daraus ergibt sich (i = σ E): σ = n e μ und weiter: τ = σ m* n e² . Zahlenbeispiel Cu: τ ≈ 10–14 s, vD = 3,4 10–4 m/s (gerechnet mit E = 0,1 V/m, sonst schmilzt der Leiterdraht). Aber: Die Ausbreitung von elektrischen Signalen in Leitern erfolgt mit der Geschwindigkeit des elektromagnetischen Felds, d.h. in etwa mit Lichtgeschwindigkeit. 3. Beweglichkeit Die Beweglichkeit µ wird mittels Halleffekt gemessen. Man misst senkrecht zu Stromund Magnetfeldrichtung eine Hallspannung UH aufgrund der sich ausbildenden Lor r r r rentzkraft FL = e v × B ; FL = e (− v D B ) . [Bild 4] ( ) Im stationären Zustand gilt e E + e (− v D B ) = 0 ; E = 1 IB IB I ⋅ = RH ⋅ B ; UH = . ne d d d neb Bei Kenntnis von σ erhält man n direkt aus RH ("Hallwiderstand"), µ aus σ = n e μ ; das Vorzeichen des Halleffektes ergibt den Ladungsträgertyp (p- oder n-Leitung). In Halbleitern haben Elektronen- und Löcherbeweglichkeit verschiedene Werte! [Tab 2] Die Ladungsträgerkonzentration n bestimmt sich aus der Atomkonzentration N durch N n = z ⋅ N mit N = ρ a A Atomkonzentration [cm–3], ρa Dichte [g/cm³], ma Atomgema wicht [g/mol], NA Avogardo-Konstante [6,023⋅1023 1/mol], z Wertigkeit [–]. In Metallschmelzen ist z genau die Zahl der freien Ladungsträger pro Atom, in Festkörpern gibt es Abweichungen durch chemische Bindungen und die daraus entstehende "Bandstruktur". [Tab 3] Manchmal können auch Ladungsträger mit verschiedener effektiver Masse zur Leitfähigkeit bzw. Driftgeschwindigkeit beitragen (z.B. leichte und schwere Löcher), und die Leitfähigkeit wird vom Magnetfeld abhängig ("magnetoresistiver Effekt"). In Halbleitern tragen nur sehr wenige Elektronen zum Stromtransport bei. Deshalb ist die Leitfähigkeit in Metallen in der Regel höher, auch wenn Elektronen im Halbleiter um bis zu drei Größenordnungen höhere Beweglichkeiten erzielen. 4. Sättigungsdriftgeschwindigkeit Halbleiter erzielen wegen der hohen Beweglichkeiten sehr hohe Schaltgeschwindigkeiten; dabei gilt in Halbleitern immer: µ(Elektronen) > µ(Löcher). Beispiel n-Kanal 1 τ Flug wird maximal, wenn innerhalb der GateMOSFET: Die Grenzfrequenz fmax = 2π länge L kein Zusammenstoss erfolgt ("ballistischer Transport"). Aus der Flugzeit μU L L2 τ Flug = = folgt fmax = , Werte liegen typischerw. Im GHz-Bereich. [Bild 5] vD μ U 2 π L² Bei hohen Feldstärken gilt die lineare Abhängigkeit v D = μ E nicht mehr, da die effektive Masse der Elektronen mit steigender Feldstärke E zunimmt (Bandstruktur). Man kommt auf v D = 1+ μ0 E ("Siliziumkurve") mit µ0 als Beweglichkeit bei kleinen μ0 E vS Feldstärken und vS als Sättigungsdriftgeschwindigkeit bei sehr hohen Feldstärken. Werden mehrere Leitungsbänder beteiligt, können bei hohen Feldstärken Elektronen von einem "leichten" in ein "schweres" Band gestreut werden, was zu einer weiteren μ0 1 Abnahme von vD führt: v D = E⋅ ("GaAs-Kurve"); n1, n2 Elektronen im n2 μ0 E 1+ 1+ n1 vS leichten bzw. schweren Band. Das Beweglichkeitsmaximum bei mittleren Feldstärken kann z.B. mit dem Gunn-Effekt ausgenutzt werden. [Bild 6] [Bild 7] 5. Temperaturabhängigkeit der Leitfähigkeit In Metallen ist die Ladungsträgerkonzentration nahezu temperaturunabhängig, da alle Valenzelektronen bei jeder Temperatur zur Verfügung stehen: σ (T ) = n ⋅ e ⋅ μ (T ) . Die Stoßwahrscheinlichkeit τ–1 wird durch jede Erscheinung beeinflusst, die die Periodizität des Gitters stört: Fremdatome/Verunreinigungen, Gitterfehler und thermi1 1 1 1 = + + . Davon ist nur τP sche Gitterschwingungen (Phononen). Es gilt: τ τF τG τP (der Beitrag der Phononen) temperaturabhängig. Damit wird aber auch μ = m m 1 ⋅ temperaturabhängig: ρ = 2 n ⋅ e2 n ⋅e τ die Matthiesen'sche Regel. [Bild 8] und ρ = e τ m* ⎛ 1 1 1⎞ ⋅ ⎜⎜ + + ⎟⎟ = ρ 0 + ρ (T ) . Das ist ⎝τF τG τP ⎠ Man kann den temperaturabhängigen Anteil des spezifischen Widerstands für alle Metalle mit der Grüneisenformel bescheiben: ρ (T ) = T ⋅ G(Tθ ) . Das Grüneisen-Integral 4 θ T x5 ⎛T ⎞ G(T ) = ⎜ ⎟ ⋅ ∫ x dx hängt neben der Temperatur T nur noch von der −x ⎝ θ ⎠ 0 e − 1 1− e Debye-Temperatur θ ab, einer Materialkonstante, auf die im Kapitel über Wärmeleitfähigkeit ausführlich eingegangen wird. [Bild 9] θ ( )( ) In Halbleitern ist nicht nur die Beweglichkeit µ, sondern auch die Ladungsträgerkonzentration n stark (meist exponentiell) temperaturabhängig: σ (T ) = n (T ) ⋅ e ⋅ μ (T ) . Der Einfluss von n(T) dominiert die Temperaturabhängigkeit der Leitfähigkeit und wird erst im Kapitel über Halbleiter ausführlich besprochen. Bei der Beweglichkeit in Halbleitern ist dagegen die im Gegensatz zu Metallen hohe Reinheit dieser Materialien zu berücksichtigen. Damit muss nun bei tiefen Temperaturen (teilweise bis Raumtemperatur) auch die Abhängigkeit der Stoßwahrscheinlichkeit an Verunreinigungen τF–1 und Gitterfehlern τG–1 diskutiert werden. Beide nehmen mit steigender Temperatur ab, da die freien Elektronen aufgrund der Boltzmannstatistik schneller werden und damit Störungen der Gitterperiodizität weniger spüren. 3 3 − − 1 1 Eine genaue Betrachtung führt zu ~ T 2 und ~ T 2 , so dass für tiefe Tempera- τF τG 3 2 turen (bei denen Stöße an Phononen vernachlässigbar sind) insgesamt gilt: μ ~ T . Bei hohen Temperaturen überwiegen dagegen Stöße an akustischen Phononen mit − 3 einer Abhängigkeit von μ ~ T 2 . Die Beweglichkeit hat also ein Maximum, meist zwischen 30 K und 300 K. [Bild 10] Unabhängig von der Temperatur nimmt die Beweglichkeit mit zunehmender Dotierung ab, da die Stoßwahrscheinlichkeit an Dotieratomen steigt. Die Abnahme ist im Allgemeinen nicht linear. [Bild 11] 6. Bilder Bild 1: Definition des spezifischen Widerstands Bild 2: Exponentieller Abfall der Driftgeschwindigkeit nach Ausschalten des Feldes A vD vD Δx Bild 3: Verdeutlichung von i = n e vD σ [S/m] Bild 4: Aufbau einer Halleffektmessung Metall zideal z(Festkörper) z(Schmelze) 7 Li 1 –0,77 –0,98 Cu 7 5,8 10 Na 1 –1,0 –0,98 Al 3,5 107 Ka 1 –1,1 –1,00 7 Cu 1 –1,25 –1,00 6 Material Ag Fe 6,1 10 1,5 10 NiCr ~ 1 10 Ag 1 –1,25 –1,02 Ge 2,2 10–2 Au 1 –1,4 –1,00 Si Glas Glimmer –5 1,6 10 –10 10 –11 10 Cd 2 +2,0 –2,00 –14 Al 3 –2,8 –3,00 –15 Ge 4 –0,002 –4,00 …10 …10 –13 Teflon < 10 Quarz 1,33 10–18 Tab. 1: Leitfähigkeiten Verschiedener Materialien Tab. 3: Wertigkeiten und gemessene freie Ladungen pro Atom im Festkörper und in der Schmelze Material µe [cm²/Vs] µh [cm²/Vs] Eg [eV] Si 0,15 0,045 1,12 GaAs 0,85 0,04 1,42 InP 0,46 0,015 1,35 InAs 3,3 0,046 0,36 InSb 8,8 0,125 0,17 4H-SiC 0,11 0,006 3,2 Tab. 2: Elektronen- und Löcherbeweglichkeiten Sowie die Bandlücke ausgewählter Halbleiter Source Gate L Drain n p Bild 5: p-Kanal MOSFET (Feldeffekttransistor) Bild 6: vD(E)-Verlauf für verschiedene p- und n-dotierte Halbleiter. Eine lineare Abhängigkeit vD = µ E ist nur bei geringen Feldstärken erkennbar. Bild 7: Mit zunehmender Feldstärke werden in GaAs Elektronen in ein höheres Band mit einer geringeren Beweglichkeit gestreut; als Folge nimmt die Driftgeschwindigkeit bei hohen Feldstärken wieder ab. Bild 8: Erhöhung des Restwiderstandes Bild 9: Temperaturabhängiger Anteil des ρ0 durch Verunreinigungen in Cu. Widerstandes ρ(T) für alle Metalle in der Grüneisen-Auftragung. Bild 10: Temperaturabhängigkeit der Beweglichkeit (Doppellogarithmische Auftragung) Bild 11: Abhängigkeit der Beweglichkeit bei Raumtemperatur (300 K) in Silizium und Galliumarsenid von der Dotierstoffkonzentration.