Empfehlungen Übelkeit und Erbrechen bei palliativen

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Klinik für Allgemeine Innere Medizin – Palliative Care
Empfehlungen
Übelkeit und Erbrechen bei palliativen Patienten
Übelkeit (Nausea) und Erbrechen sind zwei eigenständige, oft gemeinsam auftretende Symptome bei
Patienten mit fortgeschrittener Erkrankung: 40 bis 70% der Patienten mit fortgeschrittenem Karzinom
leiden an diesen Symptomen, sie treten auch bei terminalen Lungenkrankheiten, Herzversagen und
AIDS auf. Übelkeit wird häufiger beklagt als Erbrechen [1, 2].
Definition [1, 3]
- Übelkeit: Unangenehmes subjektives Gefühl bis hin zum Gefühl von drohendem Erbrechen.
Chronische Übelkeit bei Dauer von über ein bis zwei Wochen.
Erbrechen: reflektorische Entleerung von Mageninhalt durch den Mund. Dem unmittelbaren
Erbrechen geht meistens ein tiefer Atemzug voraus, die Glottis schließt sich;
Erbrechen entsteht durch Relaxation von distalem Oesophagusspincter, Magen und
Pylorus, vermehrte duodenale Motilität, kräftige Bauchpresse und Zwerchfelldruck
Häufig begleitet von vegetativen Begleitsymptomen wie Blässe, Tachykardie,
Blutdruckabfall, kalter Schweiss, Speichelfluss, unwillkürlichem Stuhl- und/ oder
Urinabgang.
Ätiologie [3-5]
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-
Häufig liegen mehrere Ursachen für Übelkeit und Erbrechen vor, dennoch kann oft eine
Hauptursache identifiziert werden:
· gastrointestinal bedingt (mangelnde Mundhygiene, Pilzinfektion, gastrale Stase, gastrale
Irritation, Magen-/Duodenalulcus, Motilitätsstörung, Obstipation, Obstruktion)
· biochemische Veränderungen (Medikamente, Toxine, metabolische Veränderungen,
Infektionen)
· erhöhter intrakranieller Druck
· vestibuläre Veränderungen
· psychisch bedingt (Angst, antizipatorisch, Aufregung, Schmerzen, Erschöpfung, Ekel).
Übelkeit und Erbrechen werden über zwei Zentren im Hirnstamm geregelt: die
Chemorezeptortriggerzone (CTZ) und das Brechzentrum.
· Die CTZ wird durch biochemische Veränderungen erregt.
· Das Brechzentrum wird aktiviert durch die CTZ, durch höhere Zentren in der Hirnrinde,
durch gastrointestinale Veränderungen über den N. vagus oder durch den
Vestibularapparat.
· Vom Brechzentrum aus wird der Brechreflex ausgelöst.
Klinik/ Symptome/ Auswirkungen [1, 3, 4, 6]
Je nach Ursache typische klinische Merkmale:
- gastrointestinal bedingt: Bei gastraler Stase und Irritation vorwiegende intermittierende Übelkeit,
Verstärkung durch Essen,verbunden mit Völlegefühl. Erleichterung durch Erbrechen. Erbrochenes
enthält Unverdautes. Bei inkompletter Obstruktion intermittierend Übelkeit und Erbrechen, u. U.
Kolikschmerz. Bei kompletter Obstruktion permanent Übelkeit und Erbrechen, Koliken und
Schmerzen.
- biochemische Veränderungen:Vorwiegend konstante, oft schlimme Übelkeit, Verstärkung beim
Anblick oder Geruch von Speisen. Wenig Linderung durch Erbrechen.
- erhöhter intracranieller Druck: konstant Übelkeit und Erbrechen, morgens schlimmer.
- vestibuläre Veränderungen: intermittierend Übelkeit und Erbrechen, Verstärkung bei
Kopfbewegungen und Bewegung.
psychisch bedingt: intermittierend Übelkeit und Erbrechen.
Auswirkungen:
- Bei Übelkeit häufig Appetitlosigkeit und Gewichtsverlust.
- Bei wiederholtem Erbrechen erschwerte bis unmögliche Nahrungsaufnahme.
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- Schmerzen durch Würgen
- Erschöpfung
- Häufig Mundgeruch als Begleitsymptom.
Komplikationen:
- Mangelernährung, Anorexie/Kachexie (siehe Empfehlung AKS)
- Bei rezidivierendem Erbrechen Dehydratation, Elektrolytentgleisungen, unsichere
Medikamentenwirkung, Ösophagitis, Mallory-Weiss-Syndrom.
- Aspiration
- Sinkende Compliance, Therapieablehnung, Therapieabbruch
Übelkeit und Erbrechen erzeugen Stress für Patienten und Familien, sie haben erheblichen Einfluss auf
die Lebensqualität: erlebter Kontrollverlust, Peinlichkeit, Verzweiflung, Angst zu Verhungern,
Ekelgefühle, sozialer Rückzug.
Diagnostik [1-3]
Anamnese:
- Was liegt vor: Übelkeit und/oder Erbrechen? (Differentialdiagnose Regurgitation)
- Zeitpunkt des Beginns? Wann, zu welchen Tages-/Nachtzeiten? Wie oft in 24 Stunden?
Dauer?
- Messung der Intensität der Übelkeit mit VAS
- Aussehen, Art, Farbe, Geruch und Menge des Erbrochenen (Galle, Unverdautes, Schleim,
Blut, Stuhl)?
- Ursächliche, verstärkende, lindernde Faktoren?
- Begleitende Symptome, z. B. Durst, Schläfrigkeit (Hyperkalzämie?), Obstipation,
Kopfschmerzen (Hirndruck?), Angst, Schmerzen
- Starkes Husten als Auslöser von Erbrechen?
- Medikamente
- Welche Bedeutung haben Übelkeit und Erbrechen für den Patienten und für die Angehörigen?
Klinische Untersuchung:
- Mundhöhle (Soor?), Abdomen (Darmgeräusche? Aszites?), Neurologie
- Fieber
- Labor: je nach Situation Na, Ca, Harnstoff, Krea, Leberenzyme, CRP, Urinbakteriologie
Apparative Diagnostik je nach Situation, z. B. bei Verdacht auf Ileus
Therapeutische Massnahmen [2, 3, 5, 6]
Ziel ist die deutliche Linderung der Übelkeit und der Frequenz des Erbrechens.
Kausale Behandlung
- Wenn möglich, kausale Behandlung der Übelkeit und Erbrechen auslösenden Ursachen: Ulcus,
Obstipation (siehe Empfehlung Obstipation), Obstruktion (siehe Empfehlung Obstruktion),
Schmerzen (siehe Empfehlung Schmerztherapie), Elektrolytstörungen, Infektion, erhöhter
Hirndruck, Husten, Angst.
- Absetzen verzichtbarer Medikamente.
- Wenn eine kausale Behandlung nicht möglich ist, Dauertherapie mit Antiemetikum.
- Prophylaxe vor Massnahmen und bei Medikamenten, die Übelkeit verursachen könnten.
Zu Beginn einer Opioidtherapie klagen ca. 30% der Patienten über Übelkeit, diese hält ungefähr 2
Wochen an, so dass dann die Antiemetika abgesetzt werden können.
Symptomatische medikamentöse Behandlung [4-8]
- Regelmässige Gabe eines Antiemetikums plus Bedarfsmedikation.
Engmaschige Evaluation.
- Orale Gabe ist nur sinnvoll zur Vorbeugung von Übelkeit oder bei leichter Übelkeit.
Die subkutane Applikation ist zu bevorzugen. Eine intravenöse Verabreichung wird nur gewählt,
wenn die subkutane kontraindiziert ist (z. B. generalisierte Ödeme, schwere
Gerinnungsstörungen), oder wenn aus anderen Gründen ein intravenöser Zugang besteht.
- Die Wahl des Antiemetikums richtet sich nach der Ursache von Übelkeit und Erbrechen und dem
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Wirkmechanismus des Antiemetikums. Die meisten Medikamente wirken über die Blockade von
Neurotransmittern an verschiedenen Rezeptoren im Gastrointestinaltrakt, in der CTZ und im
Brechzentrum.
Die Kombination von Antiemetika, die den gleichen Rezeptor blockieren, sollte vermieden
werden wegen Verstärkung der Nebenwirkungen. Wird mehr als ein Antiemetikum benötigt, sollte
eine Kombination von Medikamenten mit unterschiedlichen Wirkungen verwendet werden.
Antiemetika Wirkgruppe
Wirkstoff (Handelsname) [3, 6-8]
Indikation, NW
Empfohlene Dosierung für Erwachsene
Kontraindikationen und Nebenwirkungen beachten
Anpassung der Dosierung nach Wirkung
Prokinetika: verminderte Peristaltik (motilitätsfördernde Wirkung). Cave: Keine Prokinetika bei
kompletter Obstruktion! Alternative: Haldol®.
Metoclopramid (Paspertin®,
Primperan®) 1
10 mg po oder sc alle 4-6h, Reserve 10 mg
(max. stündl.)
40-120 mg sc/24h als Dauerinfusion
opioidinduzierte Übelkeit (zentrale Wirkung auf
CTZ)
NW: extrapyramidale Störungen
Domperidon (Motilium®)
10-20 mg po 3-4 x tgl.vor Mahlzeiten
motilitätsfördernde Wirkung auf Ösophagus, Magen
und Duodenum beschränkt!
wirkt nicht bei opioidinduzierter Übelkeit (keine
zentrale Wirkung auf CTZ)
keine parenterale Applikationsform
Neuroleptika: biochemische Ursachen (Wirkung auf CTZ, keine prokinetische Wirkung)
Haloperidol (Haldol®)
0.5-1 mg po oder sc alle 8h
3-10 mg sc/24h als Dauerinfusion
Alternative zu Metoclopramid bei opioidinduzierter
Übelkeit
NW: extrapyramidale Störungen
Chlorpromazin (Chlorazin®)
6.25-12.5 mg po oder iv, max. alle 8h
wirkt anxiolytisch
NW: stark sedierend
Levomepromazin (Nozinan®)
1-5 mg po (Tropfen) alle 12h
5-10 mg sc/24h als Dauerinfusion
breite antiemetische Wirkung, Blockade an mehreren
Rezeptoren, wirkt zusätzlich im Brechzentrum
NW: sedierend
Antihistaminika: vestibuläre Ursachen, erhöhter intrakranieller Druck (Wirkung am
Brechzentrum)
Dimenhydrinat (Antemin®, Trawell®) 2
50 mg po alle 6-8h
keine parenterale Applikationsform
NW: leicht sedierend
Steroide: zentrale antiemetische Wirkung im zerebralen Kortex, anti-ödematöse Wirkung
Dexamethason (Fortecortin®)
2-8 mg po, sc oder iv, max. alle 8h
1
2
gut in Kombination mit anderen Antiemetika
chemotherapie-induzierte Übelkeit
abschwellende Wirkung bei erhöhtem intrakranieller
Druck, Ödemreduktion bei Darmobstruktion
Im Inselspital nur Primperan® erhältlich.
Muss mit dem Formular „Arzneimittel ausserhalb der Arzneimittelliste“bestellt werden.
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Benzodiazepine: Co-Therapeutika, keine direkte antiemetische Wirkung
Lorazepam (Temesta®)
0.5-2 mg po, max. alle 8h
Midazolam (Dormicum®)
3.75-7.5 mg po oder 0.5-1 mg sc/iv
bei Angst, Stress als Auslöser von Übelkeit und
Erbrechen
Prophylaxe von antizipatorischem Erbrechen
anxiolytische, distanzierende, sedierende Wirkung
5-HT3-Blocker: Übelkeit und Erbrechen bei Chemotherapie und abdomineller Radiotherapie
Ondansetron (Zofran®)
evtl. wirksam bei nicht beherrschbarer Übelkeit und
Tropisetron (Navoban®)
Erbrechen, keine generelle Indikation in palliativer
Situation!
NW: Obstipation, Kopfschmerzen. Teuer
Neurokinin-1-Rezeptorantagonist: Übelkeit und Erbrechen bei hoch emetogener Chemotherapie
Aprepitant (Emend®)
derzeit keine Indikation in palliativer Situation
Massnahmen gegen Übelkeit und Erbrechen bei Darmobstruktion: (siehe Empfehlung Obstruktion).
Symptomatische nicht-medikamentöse Behandlung, Aspekte der Betreuung und Pflege [3-6]
-
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Bei starkem therapierefraktärem Erbrechen kann eine nasale Magensonde kurzfristig sinnvoll sein.
Bei längerfristiger Entlastung PEG-Einlage überprüfen. Vor- und Nachteile für Patienten
sorgfältig abwägen [4, 6].
Patient und Angehörige bei der Ursachenabklärung von Übelkeit und Erbrechen einbeziehen.
Sicherstellen, dass Patient verordnete Antiemetika in der richtigen Applikationsform erhält.
Nahrungsaufnahme der Situation und den Wünschen des Patienten anpassen, häufig kleinere
Mahlzeiten, häufig Bevorzugung kalter Speisen, süsse, fette, stark gewürzte und salzige Speisen
werden häufig schlecht vertragen, Wunschkost, kohlensäurearme Getränke, Essen ohne
Erfolgsdruck in für Patienten angenehmer Atmosphäre.
Ernährungsberatung einschalten (siehe KET)
Gut gelüftetes Patientenzimmer, Düfte und Gerüche reduzieren bzw. ausschalten (z. B. Blumen,
Parfum, Zigarettenrauch, Essensgeruch), evtl. ist ein Einzelzimmer notwendig.
Aromadüfte nur nach individueller Patientenpräferenz einsetzen (siehe Standard Aetherische Öle
in der Pflege).
Ablenkung anbieten, z. B. Musik, Lesen, Malen, TV
Nierenschale, Zellstoff in Reichweite, aber nicht ständig im Blickfeld des Patienten.
Gefühle, Befindlichkeit und Sorgen des Patienten und der Angehörigen ernst nehmen und darauf
eingehen, Gespräch anbieten.
Eigene Ekelgefühle akzeptieren und im Team ansprechen.
Hilfestellung beim Erbrechen:
- Dasein, beruhigen, akzeptieren, wenn Patient allein sein will.
- Kopfteil höher stellen, Seitenlage bei somnolenten Patienten, sofern keine Kontraindikation
- Nach dem Erbrechen: Erbrochenes rasch entfernen, sorgfältige Mundpflege (siehe Pflegestandard
Mundpflege), Hände und Gesicht erfrischen, b. Bed. Wäschewechsel, lüften
- Für Ruhe sorgen, nach dem Erbrechen folgt oft eine Phase der Erschöpfung.
Komplementäre Massnahmen:
- Die wissenschaftliche Evidence für verhaltenstherpeutische und komplementäre Massnahmen ist
limitiert, Erfahrungen liegen vorwiegend für chemotherapie-induzierte Übelkeit und Erbrechen
vor, nicht jedoch für palliative Situationen.
Entspannungsübungen, z. B. progressive Muskelentspannung, Imaginationsübungen, Massagen,
Fussmassage, Akupunktur und Akupressur können wirksam sein [4].
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Mögliche Pflegediagnosen [9]
Übelkeit
Machtlosigkeit
Gefahr eines Flüssigkeitsdefizits
Mangelernährung
Aspirationsgefahr
Angst
Erschöpfung
Soziale Isolation
Literatur
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
8.
9.
Gudat, H., et al., Bigorio 2003 Nausea. palliative-ch, 2006(3): p. 45-48.
Wood, G.J., et al., Management of intractable nausea and vomiting in patients at the end of life - " I
was feeling nauseous all of the time ... nothing was working". Jama-Journal Of The American Medical
Association, 2007. 298(10): p. 1196-1207.
Bausewein, C., S. Roller, and R. Voltz, Leitfaden Palliativmedizin - Palliative Care. 3 ed. 2007,
München: Elsevier. 392-393.
Glare, P.A., et al., Treatment of Nausea and Vomiting in Terminally Ill Cancer Patients. Drugs, 2008.
68(18): p. 2575-2590.
Mannix, K., Palliation of nausea and vomiting in malignancy. Clinical Medicine, 2006. 6(2): p. 144147.
Neuenschwander, H., Palliativmedizin. 2 ed. 2006, Bern: Krebsliga Schweiz. 43-48.
Bausewein, C., et al., eds. Arzneimitteltherapie in der Palliativmedizin. 2005, Urban & Fischer:
München.
Documed AG, Arzneimittel-Kompendium der Schweiz® 2009, Documed AG: Basel.
NANDA-International, NANDA-Pflegediagnosen. 2005, Bern: Huber.
Anmerkungen
Alle Personenbezeichnungen gelten sowohl für männliche wie auch weibliche Personen. Diese Übersicht wurde mit aller Sorgfalt
zusammengestellt. Für die Vollständigkeit und Richtigkeit der Angaben können die Autoren trotzdem keine Gewähr übernehmen. In der
Palliative Care weichen Indikation, Dosierung und Applikationsform gegebenenfalls von der Zulassung (siehe Fachinformation) ab.
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