Deutsches Ärzteblatt 1985: A-3601

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
Dünndarmtumoren
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D
ie Häufigkeit bösartiger
Neubildungen des Dünndarms wird mit ein bis drei
Prozent aller malignen Tumoren
des Gastrointestinaltraktes angegeben. Männer und Frauen sind
gleich häufig betroffen. Der Altersgipfel liegt im siebten Dezennium. Folgende Tumoren sind zu
unterscheiden: das Adenokarzinom, Sarkome, davon in über 90
Prozent ein Leiomyosarkom, maligne Lymphome, das Karzinoid
und Metastasen. Tabelle 1 enthält
eine Synopsis ihrer Häufigkeit,
Lokalisation, der hervorstechenden Merkmale und klinischen
Leitsymptome.
Die anfängliche Symptomatologie
ist ausnahmslos uncharakteristisch. Die diagnostische Verschleppungszeit dauert dementsprechend 10 bis 12 Monate. In 40
Prozent wird die Diagnose erst intraoperativ gestellt. Leitsymptome
sind Schmerzen, Ileus und Subileus, gelegentlich mit Invagination oder Tumorperforation. Ein
Viertel der Kranken weist eine,
meist okkulte, intestinale Blutung
auf. Bei 40 Prozent findet sich
anamnestisch ein Gewichtsverlust. Bei den häufig periampullären Duodenalkarzinomen ist differentialdiagnostisch an ein primäres Papillenkarzinom zu denken.
Tumoren des eigentlichen Dünndarms können jede andere Ursache einer mechanischen Behinderung der Darmpassage vortäuschen. Das für das Karzinoid typische Syndrom tritt erst bei Lebermetastasierung auf.
Bösartige Tumoren des Dünndarms
Albrecht Encke und Dieter Kurt Hossfeld
Aus der Abteilung für Allgemeinchirurgie
im Zentrum Chirurgie der
Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main;
aus der Abteilung für Hämatologie und Onkologie
der Universität Hamburg
Tabelle 1: Eigenschaften der malignen Tumoren des Dünndarms
Typ
Häufigkeit/Lokalisation
Hervorstechende
Merkmale
Leitsymptome
Adenokarzinom
Stenose: 25-35%
Palpabler
Rezidivierender
Subileus
> 50% — Duodenum 40%
Jejunum
35%
Ileum
25%
Tumor: 25-35%
(Duodenum:
Ikterus 75%)
Karzinoid
Kleiner Tumor,
LK-Befall, langsames Wachstum,
70% asymptomatisch; wenn symptomatisch, in
90% Metastasen
Karzinoidsyndrom
(nur bei Lebermetastasen):
Flush, Diarrhö,
paroxysmale
Dyspnoe
Großer Tumor,
Lungen- und
Lebermetastasen
Schmerzen,
palpabler Tumor,
intestinale
Blutung
Exulzeration,
häufigster gastrointestinaler
Tumor bei
Kindern <10 Jahre
Schmerzen,
Subileus,
Fieber,
Diarrhö,
okkulte Blutung
Zervix,
malignes Melanom,
Kolon, direkte
Infiltration
Subileus
20-25% — vorwiegend
Ileum,
Appendix
Sarkom
— 25% — Duodenum 10%
40%
Jejunum
Ileum
50%
Malignes Lymphom
1% — vorwiegend
1 Prätherapeutische
Untersuchungen
1.1 Anamnese und allgemeine Untersuchung.
1.2 Laboruntersuchungen:
Routinediagno• präoperative
stik
Ileum
Metastasen
10% — keine
Prädilektion
Ausgabe A 82. Jahrgang Heft 48 vom 27. November 1985 (39)
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Dünndarmtumoren
• Serotonin- oder 5-Hydroxyindolessigsäure im 24-Stunden-Urin
(bei Karzinoidverdacht).
1.3 Röntgenuntersuchungen:
• Doppelkontrastdarstellung mittels Enteroklysma nach Sellink
• Lunge in zwei Ebenen
• bei stärkeren Blutungen abdominelle Angiographie.
1.4 Endoskopische Untersuchungen:
• bei Verdacht auf Duodenaltumor Duodenoskopie.
1.5 Sonographie zum intraabdominellen Tumornachweis und
Ausschluß von Lebermetastasen.
Gegebenenfalls zur weiteren Abklärung Computertomographie.
2 Pathologisch-anatomische
Diagnostik
2.1 Prätherapeutisch:
Sicherung der Malignitätsdiagnose und histologischen Artdiagnose allenfalls bei Duodenaltumoren
möglich. In der Regel Abklärung
erst durch intraoperative Schnellschnittuntersuchung.
2.2 Postoperativ:
Erfassung der makroskopischen
und mikroskopischen Tumorausdehnung (pT, pN, ggf. M Leber)•
2.3 Das histologische Grading ist
bisher ohne therapeutische Konsequenz.
3 Therapeutische Empfehlungen
3.1 Chirurgische Therapie
3.1.1 Potentiell kurativ operable
Tumoren (mit und ohne Befall der
regionalen Lymphknoten)
a) Ausgedehnte Darmresektion
unter keilförmiger Mitnahme des
Mesenteriums bis an den Haupt-
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stamm der Mesenterialgefäße.
Isolierte Entfernung der Lymphknoten im Bereich des Hauptstammes der A. mesenterica superior. Keine paraaortale Lymphadenektomie.
b) Bei Duodenaltumoren Duodenopankreatektomie (Whipple).
Bei hohem Operationsrisiko und
keinem, papillennahem Tumor
gegebenenfalls lokale Tumorexzision und Papillenplastik.
3.1.2 Nur palliativ operable Tumoren: Wenn immer möglich, Resektion des Primärtumors (Heusprophylaxe). Dies gilt auch für Patienten mit Peritonealkarzinose, wenn
die Anastomose in einem tumorfreien Darmabschnitt hergestellt
werden kann.
3.1.3 Lokal inoperable Tumoren:
Prinzip: Umgehungsanastomose
Duodenum: Gastroenterostomie
Jejunum-Ileum: Entero-Enterostomie
distales Ileum: Ileotransversostomie
Verschlußikterus:
Biliodigestive
Anastomose (Cholezysto-/Choledocho-Jejunostomie).
3.1.4 Lokal regionales Rezidiv:
Behandlung entsprechend 3.1.1
bis 3.1.3. Wenn möglich erneute
Darmresektion, andernfalls Wiederherstellung der Darmpassage
durch Umgehungsoperation. Eine
Ileostomie sollte stets vermieden
werden.
3.1.5 Synchrone und metachrone
Leber- oder Lungenmetastasierung: Es liegen bisher keine Befunde vor, die eine chirurgische Entfernung von Leber- oder Lungenmetastasen bei Adenokarzinomen
des Dünndarms rechtfertigen. Bei
isolierten Sarkommetastasen in
Lunge und Leber mag eine Resektion indiziert sein. Bei in die Leber
metastasierten, dann in der Regel
mit systemischen Symptomen
(40) Heft 48 vom 27. November 1985 82. Jahrgang Ausgabe A
(Flush, Durchfälle) einhergehenden Karzinoiden zunächst Erwägung operativer Verfahren: Partielle Hepatektomie bei auf einen Leberlappen beschränkter Metastasierung, Enukleation bei bilateraler Metastasierung. Durch Reduktion von serotoninproduzierendem Gewebe wird damit in Einzelfällen eine beträchtliche Minderung der Symptome erreicht. Bei
Inoperabilität systemische oder
besser intraarterielle Chemotherapie, gegebenenfalls mit temporärer Okklusion oder Embolisierung
der Arteria hepatica (Bengmark). —
Bei malignen Lymphomen ist die
Chemotherapie die Methode der
Wahl.
3.2 Strahlentherapie
Die Ergebnisse der additiven und
palliativen Strahlentherapie beim
Adenokarzinom des Dünndarms
sind bisher enttäuschend. Die
Strahlentherapie befindet sich
hier allenfalls im klinisch experimentellen Stadium. Bei Sarkomen
erreicht man gelegentlich eine
gute Rückbildung, weshalb sie
von einzelnen Autoren als additive
und palliative Maßnahme empfohlen wird. Beim malignen Lymphom ist die Strahlentherapie bei
ausgedehntem, inoperablem Primärtumor als palliative Lokalbehandlung indiziert. Karzinoide
sprechen auf die alleinige Radiotherapie nicht an. Durch die
Kombination mit „radiosensibilisierenden" Zytostatika können
die Resultate möglicherweise verbessert werden.
3.3 Chemotherapie
Eine etablierte, effektive Chemotherapie als palliative Maßnahme bei inoperablem Adenokarzinom gibt es nicht. Daher ist eine
adjuvante Chemotherapie bei in
kurativer Absicht operierten Pa-
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Dünndarmtumoren
tienten nicht indiziert. Beim metastasierten Karzinoid ist eine Chemotherapie gerechtfertigt, wenn
es sich um einen erwiesenermaßen schnell wachsenden, inoperablen und erheblich symptomatischen Prozeß handelt. Vorübergehende partielle Tumorrückbildung mit teils beträchtlicher Milderung der Symptomatik bei 20
bis 50 Prozent der Patienten. Zur
Chemotherapie des inoperablen
Leiomyosarkoms existieren keine
größeren Erfahrungen. Die unvollständig resezierbaren Hodgkinoder Non-Hodgkin-Lymphom-Patienten werden auf der Grundlage
der histopathologischen Klassifikation und der Ausdehnung der
Erkrankung entsprechend den
Richtlinien der primär nodalen
Lymphome behandelt. Der Wert
einer adjuvanten Chemotherapie
bei malignen Lymphomen des
Dünndarms ist derzeit nicht abzuschätzen.
5 Prognose, Risikofaktoren
Angesichts der späten klinischen
Symptomatik und Diagnosestellung ist die Prognose eingeschränkt. Beim Adenokarzinom
von Duodenum, Jejunum und
Ileum werden durchschnittliche
Resektionsraten von 72 Prozent,
76 Prozent und 82 Prozent und
Fünfjahresüberlebensraten bei
Radikaloperation von ca. 20 Prozent für alle drei Darmabschnitte
angegeben. Bei palliativen Eingriffen und Umgehungsanastomosen liegt die durchschnittliche
Überlebenszeit unter sechs Monaten.
Karzinoide treten in 30 Prozent
multipel auf und sind bei Auftreten der klinischen Symptomatik
schon bis zu 90 Prozent metastasiert. Dennoch liegt die Fünfjahresüberlebenszeit aller Erkrankten bei 20 Prozent.
Prozent) ein relativ langsames
Wachstum. Nach Diagnosestellung beträgt die Fünfjahresüberlebensrate dementsprechend etwa 50 Prozent.
Das maligne Lymphom tritt in 20
Prozent als multiple Darmläsion
auf. Beim histologisch nodulären
Typ beträgt die Fünfjahresüberlebensrate aller Patienten etwa 50
Prozent, beim diffusen Typ ca. 25
Prozent. Bei chirurgischer oder
radiologischer Behandlung des
lokalisierten Non-Hodgkin-Lymphoms (Stadium I) werden Heilungsraten von 70 bis 80 Prozent
erreicht.
Als allerdings sehr seltene Risikoerkrankungen für einen malignen
Dünndarmtumor gelten die Zöliakie, der Morbus Crohn, das PeutzJeghers-Syndrom.
Literatur
Unter den Sarkomen zeigt das
häufigste Leiomyosarkom (ca. 90
4 Nachuntersuchungen
I Untersuchungstermine nach
Radikaloperation
(Monate)
Intervallanamnese
Klinische
Untersuchung
Labor: BSG, Hb,
Leukozyten,
Gesamteiweiß, alkalische Phosphatase,
CEA, GPT, GammaGT,
Haemoccu lt.
1. Jahr
2. Jahr
3 6 9 12 15 18 21 24
X X
X
X
4. Jahr
5. Jahr
36
48
60
x
x
x
x
x
x
X
X X X X
X X
3. Jahr
X
x
x
Bei Karzinoid 5-Hydroxyindolessigsäure im Urin
(Malignes Lymphom
siehe speziellen
Beitrag)
Lebersonogramm
Abdominelle CT
x x x x
x x x x
x
x
x
x
x
x
x
x
«NJ
3604 (42) Heft 48 vom 27. November 1985 82. Jahrgang Ausgabe A
x
x
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World J. Surg. 6 (1982) 46-53 — (3) Hollender,
L. F.; Meyer, Ch.: Tumoren des Dünndarms in:
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Springer Berlin/Heidelberg/New York (1981)
640-643 — (4) Sindeler, W. F.: Cancer of the
small intestine. In: V. de Vita, S. Hellmann, S.
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in: Gastrointestinal Disease (Hrsg. M. H. Slesinger, J. S. Fordtran) Saunders Philadelphia
(1983) 1235-1247 — (7) Winkler, R.: Die malignen Tumoren des Dünndarms. (Empfehlungen der Dt. Ges. f. Chirurgie) — Beilage zu Mitteilungen d. Dt. Ges. f. Chir. Heft 5 (1980)
Anschrift für die Verfasser:
Professor Dr. med.
Albrecht Encke
Abteilung für
Allgemeinchirurgie
der Universität Frankfurt
Theodor-Stern-Kai 7
6000 Frankfurt am Main
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