Zurich Open Repository and Archive University of Zurich Main Library Strickhofstrasse 39 CH-8057 Zurich www.zora.uzh.ch Year: 2011 Bipolare Störung und Psychose. Ein neues Früherkennungsprogramm im Kanton Zürich Theodoridou, A; Rössler, W Abstract: Unbekannt Posted at the Zurich Open Repository and Archive, University of Zurich ZORA URL: http://doi.org/10.5167/uzh-50003 Veröffentlichte Version Originally published at: Theodoridou, A; Rössler, W (2011). Bipolare Störung und Psychose. Ein neues Früherkennungsprogramm im Kanton Zürich. INFO Neurologie Psychiatrie, 9(1):29-30. Bipolare Störung und Psychose Ein neues Früherkennungsprogramm im Kanton Zürich ANASTASIA THEODORIDOU, WULF RÖSSLER, ZÜRICH • Die Prävention mentaler Störungen ist eines der Zusammenfassung primären Ziele der Weltgesundheitsorganisation. Seit April 2010 wird im Kanton Zürich im Rahmen In ihrem Bericht aus dem Jahr 2004 «Prevention of des Zürcher Impulsprogramms zur nachhaltigen Ent­ Mental Disorders -Effective Interventions and Po� wicklung der Psychiatrie (ZlnEP) flächendeckend licy Options)� werden neben sechs weiteren Stö­ ein standardisiertes Früherkennungsprogramm an­ rungsgruppen, für die sich erfolgsversprechende geboten. Das umfassende Untersuchungsangebot Präventionsprogramme umreissen lassen, die psy­ kann kostenlos angeboten werden, da es durch eine chotischen Störungen aufgelistet Stiftung finanziert wird. Personen, die sich für das Psychotische Störungen beginnen in der Regel Angebot interessieren. kommen somit ohne die sonst im jüngeren Erwachsenenalter. Die Lebenserwar­ übliche konsekutive Institutionalisierung zu einer tung der Betroffenen ist um rund zehn Jahre ver­ professionellen Risikoeinschätzung und Beratung Dr. med. kürzt; ein Grund dafür sind die gehäuften Suizide. bezüglich etwaiger Präventionsmassnahmen. Anastasia Theodorldou Die Last der Erkrankung betrifft nicht nur die er­ krankte Person, sondern auch das engere soziale anastasia.theodoridou@ puk.zh.ch Resume Umfeld. Schizophrene Psychosen verursachen ca. Dans le canlOn de Zurich, un programme de depislage 2% aller Gesundheitskosten in industrialisierten precoce standardise a ete generalise depuis avri12010, Ländern und gehören zu den teuersten psychia­ dans le cadre du programme zurichois de mesures trischen Erkrankungen [I]. incitatives pour le developpement durable de la Die meisten Patienten, die an einer Schizophre­ psychiatrie (ZlnEP). L'o[[re compl<te d'examens nie oder einer schizophrenieformen Psychose er­ peut etre proposee gratuitement car elle est finan­ kranken, machen eine Prodromalphase durch, in cee par une fondation. Les personnes interessees par der unspezifische Symptome auftreten. Der Zeit­ cette raum vom Auftreten erster Positivsymptome bis l'institutionnalisation consecutive habituelle, pour offre viennent par consequent sans zur antipsychotischen Behandlung wird auch als une evaluation professionnelle du risque et des Dauerder unbehandelten Psychose (DUP) bezeich­ conseils sur d'eventuelles mesures preventives. net. Mehrere Untersuchungen haben ergeben, dass Prof. Dr. med. Dlpl.-Psych. durch die Verkürzung der DUP die Prognose der Wulf Rössler Schizophrenie verbessert werden kann. In den mei­ [email protected] sten Studien korrelierte die Dauer der unbehandel­ ten Psychose mit Indikatoren eines ungünstigen Krankheitsverlaufs. Ein früher Behandlungsbeginn hat viele Vorteile: • Geringere Gefährdung des Patienten und/oder seiner Umgebung durch das irrationale oder un­ angepasste Verhalten des Patienten • Besseres Ansprechen auf die Behandlung • Geringere Neuroleptikadosen • Verhinderung einer Behandlungsresistenz • Verringerung des sozialen Abstiegs durch weni­ ger ausgeprägten Verlust von sozialen Fertig­ keiten • Weniger Rückfälle • Höhere Lebensqualität [2,31. Information der Bevölkerung Ein frühes Erkennen und Behandeln ist nur dann möglich, wenn die betroffenen Personen einen Zu­ gang zu Präventions-Angeboten finden. Erst durch eine Wissensverbesserung in der Allgemeinbevöl- INIFOINEUROLOCIE & PSYCHIATRIE 2011: Val. 9. Nr. 1 29 probt, die vielversprechend zu sein scheinen, aber kerung kann die flächendeckende Versorgung nach­ haltig verbessert werden. Beeindruckend ist das bisher noch nicht in die Standarddiagnostik einge­ Beispiel aus Norwegen: Dort lag in 'der Region Ro­ führt worden sind. galand County die durchschnittliche DUP bei ca. Bipolare Störung oder Psychose? 114 Wochen, nach Einführung eines Früherken­ Früherkennung und -behandlung erleben gegen­ nungsprogramms sank sie auf ca. 25 Wochen [4]. In Kombination mit dem Angebot niederschwelliger wärtig eine diagnostische Ausweitung hin zu bipo­ AnlaufsteIlen liess sich die DUP sogar auf fünf Wo­ laren Störungen. Das hat damit zu tun, dass in den chen reduzieren [5]. Frühstadien einer psychotischen Erkrankung sehr Intensive Ö ffentlichkeitsarbeit ist ein notwen­ häufig unspezifische affektive Symptome vorhan­ diger Teil eines Angebots für Früherkennung von Psychosen. Als in Norwegen die Öffentlichkeits­ den sind, die keine Schlussfolgerungen auf den wei­ kampagne ausgesetzt wurde, stieg die DUP wieder dieser Stelle setzt das ZinEP-Projekt zur Früh­ auf 15 Wochen an, und weniger Patienten karnen erkennung an. teren symptomatischen Verlauf erlauben [8, 9]. An zu den AnlaufsteIlen [5]. Neben der Information Das Spektrum der bipolaren Störungen hat hängt der Erfolg auch von den Versorgungsstruk­ gemäss Experten eine Lebenszeitprävalenz von turen ab. Es gibt Befunde, die auf einen Bedarf nach mindestens 3% der Gesamtbevölkerung, die Schi­ alternativen Behandlungsangeboten hinweisen. zophrenie hat eine Lebenszeitprävalenz von min­ destens 1 %. Im Kanton Zürich leben momentan Ausschliesslich präventive Behandlungen gibt es bisher nicht. Eine universale Prävention, ohne rund 1,3 Millionen Menschen. Fasst man die Ein­ Selektion an die Allgemeinbevölkerung gerichtet, Jahres-Inzidenz der beiden Erkrankungen zusam­ zum Beispiel durch Verbesserung der Schwanger­ men, so müsste man im Kanton Zürich mit ca. 580 schaftsvorsorge,kommt wegen der geringen Spezi­ Neuerkrankten pro Jahr rechnen. fität nicht in Betracht. Da die Vorhersagekraft ein­ Die Bemühungen im Rahmen des ZinEP-Pro­ zelner Risikofaktoren bisher noch zu gering ist, jekts Früherkennung richten sich darauf, möglichst empfiehlt es sich im Sinn der indizierten Prävention viele Risikopersonen im Alter von 13-35 Jahren zu heute, zusätzlich zu den bekannten Risikofaktoren erreichen. Diese können sich im Zentrum anmel­ auch bestimmte Prodromalsymptome zu beachten den. Danach erfolgt ein eingehendes Gespräch mit und damit eine höhere Sicherheit in der Risikoaus­ Erfassung der Anamnese und Psychopathologie sage zu bekommen. durch speziell geschultes Personal, gefolgt von neu­ ropsychologischen, sozio- und elektrophysiolo­ gischen Untersuchungen sowie Bildgebung (MRT). Interventionsformen Nach Abschluss der Untersuchungsphase erhalten Eine Intervention in der Prodromalphase ist der­ zeit trolz einer Nutzen-Risiko-Abwägung noch mit die Ratsuchenden eine Rückmeldung und indivi­ dem Risiko behaftet, Menschen zu behandeln, die duelle Beratung. Das gesamt Projekt ist zunächst keine Erkrankung entwickeln würden. Neben der auf eine Laufzeit von fünf Jahren ausgelegt. Inzidenzreduktion (indizierte Prävention) wird heutzutage auch eine Reduktion der aktuellen Be­ Dr. med. Anastasla Theodorldou schwerden und Symptome angestrebt. Die Inter­ Oberärztin Psychiatrische Universitätsklinik ventionsmöglichkeiten werden von den bisher für Klinik für Soziale Psychiatrie manifeste Psychosen üblichen Interventionen ab­ Lenggstrasse 31, 8032 Zürich geleitet. Daneben werden alternative und neben­ [email protected] wirkungsarme Interventionsmöglichkeiten unter­ sucht. Die psychotherapeutische Frühintervention Prof. Dr. med. Dlpl.-Psych. Wulf Rössler zeigte in wissenschaftlichen Untersuchungen eine gute Akzeptanz und eine Reduktion der Übergangs­ Klinikdirektor Psychiatrische Universitätsklinik rate [6,7]. Wegen der hohen Relevanz der Thema­ Klinik für Soziale Psychiatrie tik erscheinen weitere wissenschaftliche Untersu­ Lenggstrasse 31, 8032 Zürich chungen notwendig. Im Bereich der Forschung LIteratur: werden verschiedene diagnostische Ansätze er- RösslerW,et al : Eur Neuropsychopharmacol2005;15: 399409· 2. McGlashan TH. et a1.: Schizophr Bu1l1996; 22: 201-222 . l McGorry PD. et al.: Australian and New Zealand Journal of Psychiatry 2000; 34:145-149. Weitere Informationen Weitere Informationen bei den Autoren oder über www.zinep.ch/fez. Anmeldungen per E-Mail an fe z@zinep. ch oder über die Helpline 0848 48 48 48. i �_J ______ 30 4. Lafsen T. et al.: Am J Psychiatry 2001; 158: 1917-1919 5. Joa I. et al.: 5chizophr Bull2008; 34: 466-472. 6. Morrison F.et al.: Schizophr Bu112007; 3 3:682-687- J. Bechdolf A. et al.: 5chizophr Res 2008; 102: s3 l 8. Salokangas R.et al.: Nord J Psychiatry 2007;61: 393-402. 9. Yung AR. et al.: Schizophr Res 2007;91: 246-25l INIFOINEUROlOGIE & PSYCHIATRIE 2011; Vol. 9. Nr.l