mit besonderer Berücksichtigung der Kyoto

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Philosophie in Japan mit besonderer Berücksichtigung der Kyoto-Schule
Prof. Dr. Johannes Laube
Universität München
149
J. L a u b e
Überblick
Teil 1: Z u m Begriff v o n Philosophie in J a p a n
Philosophie
vereint mit Religion bzw. religiöser Philosophie und b e s t i m m t e r
Theologie
Philosophie getrennt v o n Religion bzw. religiöser Philosophie und b e s t i m m t e r
Theologie
Teil 2: T e n d e n z e n der gegenwärtigen Philosophie in J a p a n
Thematische T e n d e n z e n
Methodische T e n d e n z e n
Teil 3: D i e Philosophie der Kyoto-Schule
— zwei Ansätze der Philosophie des absoluten N i c h t s (zettai m u ) in der KyötoSchule
Kitarö Nishida (1870-1945)
— das Absolute als absolutes Nichts u n d dieses als geschichtliche Welt der U m k e h r Entsprechung (gyaku-taiö no rekishiteki sekai)
T e x t l : Y a g i - L u z S . 97f
Text 2: Yagi-Luz, S. 107
H a i i m e T a n a b e (1885-1962)
— das Absolute als absolutes Nichts und dieses als Existenzgemeinschaft
wechselseitigen Vermittlung (kögö-baikai n o jitsuzon-kyödö)
T e x t l : Yagi-Luz, S. 119
Text 2: Yagi-Luz, S. 122
Teil 4: Philosophie des „ N i c h t s " im europäischen Westen
Teil 5: Schlussbemerkungen
Teil 6: Liste der Termini
150
der
Philosophie in Japan
Teil 1: Zum Begriff von Philosophie in Japan
E s gibt s o viele Begriffe von Philosophie, wie es Philosophen gibt. Nach Karl
Jaspers hat j e d e Philosophie das Recht und die Pflicht, sich selbst zu definieren.
Obgleich es also grundsätzlich offen-unendlich viele Begriffe von Philosophie
geben könnte, haben im Laufe der Geschichte bestimmte Selbstbestimmungen von
bestimmten Philosophien Schule gemacht. Z u diesen schulbildenden Definitionen
von Philosophie gehört - inhaltlich gesehen - auch folgende Definition, die uns hier
als g e m e i n s a m e Grundlage des Denkens und Redens und als Arbeitshypothese
dienen soll:
Philosophie ist die methodische und systematische Suche nach der Erkenntnis der
letzten Gründe des Seins und Sollens, die der Denkende im Denken selber finden
kann (zur Variationsbreite des Selbstverständnisses der Philosophen: abgesehen vom
Artikel „Philosophie" im Historischen Wörterbuch der Philosophie, herausgegeben
von Joachim Ritter und Karlfried Gründer, Schwabe Verlag, Basel, bisher Band 110, 1971-1998 vgl. auch z.B. den Artikel „Philosophie" im Fischer Lexikon
Philosophie, hrg. v. Alwin Diemer und Ivo Frenzel, Frankfurt 1968, S. 251-262).
A u s dieser Definition von Philosophie ergibt sich mindestens eine gedankliche
Unterschiedenheit, wenn nicht sogar eine reale Getrenntheit der Philosophie von
j e d e r Form von Begründung durch Hörensagen, wie es in den Religionen mit
Einschluß ihrer Mythologien und Theologien üblich und aus deren Sicht notwendig
ist. Mit anderen Worten: Die Aufgabe von Philosophie darf nicht mit den Aufgaben
von Religion, Mythologie und Theologie verwechselt werden. Sie m u ß mindestens
unterschiedlich, w e n n nicht sogar getrennt gelöst werden.
Dieses Unterscheidungs- und Trennungsdenken im Bezug auf die Philosophie
gehört in E u r o p a z u m Selbstverständnis der Philosophen seit den Pionieren der
Philosophie in Griechenland, zumindest aber seit Immanuel Kant (1724-1804).
In Europa gibt es einflussreiche Philosophen, die behaupten, die Philosophie sei
überhaupt erst im antiken Griechenland geboren worden, ihre Heimat werde immer
Griechenland, d.h. Europa bleiben. Außerhalb Europas hätte es vor der Begegnung
mit E u r o p a und Beeinflussung durch Europa keine Philosophie gegeben. Diese
Behauptung stimmt nur, w e n n m a n den obigen engen Philosophiebegriff anwendet.
W e n n m a n aber die Aufgaben der Philosophie und der Religion als Einheit sieht,
haben auch Indien und China Philosophien hervorgebracht. In Asien sagt m a n
gewöhnlich: D i e Philosophie hat drei Ursprungskulturen: China, Indien, Europa.
Die Japaner benutzen den Terminus Philosophie kitetsugaku oder tetsugaku zwar
erst nach der Rezeption der europäischen Form von Philosophie am E n d e des 19.
Jahrhunderts und dann im engen Sinn, der Philosophie von Religion trennt. Aber
eine Philosophie im weiten Sinn, der Philosophie, Religion (mit Moral und eventuell
auch Mystik) als Einheit sieht, kennen sie schon in ihrer eigenen Tradition,
insbesondere in ihrer mahäyäna-buddhistischen Überlieferung.
151
J. L a u b e
Teil 2: Tendenzen in der gegenwärtigen Philosophie in Japan
Entsprechend d e m o b e n vorgestellten G e d a n k e n , d a ß j e d e Philosophie m i t R e c h t
sich selber definiert, müsste m a n eigentlich einen Überblick über die Philosophie in
Japan als einen Blick a u f die wichtigsten Philosophen-Persönlichkeiten durchfuhren.
Aber das brächte die Schwierigkeit, uns eine lange Liste v o n fremden N a m e n
m e r k e n z u müssen. A u f dieser Liste, j e vollständiger sie w ä r e , könnte m a n aber auf
keinen Philosophen länger eingehen. M a n könnte keines Philosophen D e n k e n so
darstellen, wie es sich gehört: n ä m l i c h einerseits historisch-evolutiv und anderseits
systematisch-logisch. A u ß e r d e m bieten die einführenden B ü c h e r (z.B. von Gino
Piovesana, R e c e n t J a p a n e s e Philosophical Thought 1868-1962, T o k y o 1963 und
J u n k o H a m a d a , Philosophie in Japan, Brill, Leiden 1980) über die Philosophie in
Japan solche Personen-Überblicke an.
D a r u m konzentriere ich m i c h hier auf zwei Perspektiven der Philosophie in Japan,
die m e h r Z u s a m m e n f a s s u n g und Zuspitzung zulassen: die Perspektive der M e t h o d e n
und die Perspektive der T h e m e n .
Übrigens lasse ich hier die philosophischen T e x t e v o n Journalisten, Literaten und
Politikern außer Acht - obgleich sie als shisö ( „ D e n k e n , G e d a n k e " ) in J a p a n relativ
großen Einfluß ausüben können - und berücksichtige nur die philosophischen Texte
der sogenannten „ a k a d e m i s c h e n P h i l o s o p h i e " o d e r „Universitätsphilosophie"
(bundan tetsugaku).
A. M e t h o d i s c h e T e n d e n z e n der Philosophie im Japan der G e g e n w a r t (nach 1945)
W e n n ich hier v o n der Perspektive der „ M e t h o d e n " der Philosophie rede, m e i n e ich
nicht die M e t h o d e n der Darstellung der j e w e i l i g e n Philosophie, sondern die
M e t h o d e n des D e n k e n s , noch genauer die M e t h o d e n des Begründens, die ein
Philosoph gebraucht, u m zu Erkenntnisergebnissen zu k o m m e n . M a n merkt sofort,
d a ß sich die methodischen T e n d e n z e n der Berufsphilosophen in J a p a n von d e n e n in
E u r o p a nicht unterscheiden:
Geistes- bzw. Ideengeschichtliche M e t h o d e
Existentiale M e t h o d e
Hermeneutische Methodische
Dialektische M e t h o d e
Positiv(istisch)e M e t h o d e
Pragmat(istisch)e M e t h o d e
Sprachanalytische M e t h o d e
Komparativ(istisch)e M e t h o d e
Phänomenologische Methode
Systemtheoretische M e t h o d e
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Philosophie in Japan
Exkurs
T a n a b e Haiime. von d e m unten noch ausfuhrlich die Rede sein wird, ordnet die
philosophischen Methoden so:
Philosophische Methoden
1. mystische Methode, 2. reflexive Methode, 3. dialektische Methode
zu den reflexiven Methoden fNr. 2) gehören:
1.
die ontologische Methode, 2. die erkenntniskritische Methode, 3. die
hermeneutische Methode
zu den erkenntniskritischen Methoden gehören:
die transzendentale Methode Kants
die phänomenologische Methode Husserls
zu den hermeneutischen Methoden gehören:
die lebensphilosophische Methode Diltheys
die fundamental-ontologische bzw. daseins-analytische Methode Heideggers
zu den dialektischen MethodenfNr. 3) gehören:
die Dialektik der Idee (von Hegel)
die Dialektik der Materie (von M a r x und Engels)
die absolute Dialektik von Nishida und Tanabe (Dialektik der Tat)
B. Thematische Tendenzen der Philosophie im Japan der Gegenwart (nach 1945)
Die Perspektive der „ T h e m e n " könnte auch Perspektive der „inhaltlichen Fragen"
genannt werden, die a m meisten diskutiert wurden bzw. werden. Dabei kommt es
nicht nur auf die sogenannten Materialobjekte an (also die Inhaltsbereiche als
solche), sondern auch auf die Formalobjekte (d.h. auf die besondere Rücksicht unter
der ein Inhalt j e w e i l s betrachtet wird). Am meisten wurden folgende
Fragestellungen behandelt:
Inhaltsbereich politische Philosophie:
Die Kriegsideologie (Propaganda der Großostasiatischen Wohlstandssphäre) als
japanischer Nationalismus bzw. Faschismus
153
J. L a u b e
D e r Dualismus U S A und U D S S R bzw. U S A und R o t c h i n a als Krisis der J a p a n e r
sich zu entscheiden
D i e Atombomben-Gefahr
Menschheit
als
endzeitliche
Gefahr
der
Selbstzerstörung
der
D e r Wiederaufbau v o n Gesellschaft und Staat als D e m o k r a t i e : nach w e l c h e m
Muster? ( U S A , England, Frankreich?)
Die Vorteile u n d Nachteile v o n
Individualismus-Liberalismus-Kapitalismus
einerseits und Kollektivismus-Sozialismus-Staatskapitalismus (nach Stalin oder
nach M a o ? ) anderseits
D a s Tenno-System: Abschaffung oder Beibehaltung?
Inhaltsbereich Kulturphilosophie:
Nihonjinron: W a s ist d a s unterscheidende, besondere W e s e n der Japaner?
W e l c h e sind die zu b e w a h r e n d e n traditionellen E i g e n w e r t e der j a p a n i s c h e n Kultur?
Worin bestehen die Wertideale der n e u e n j a p a n i s c h e n demokratischen Ethik, der
neuen j a p a n i s c h e n Erziehung zu demokratischen W e r t e n ? W a s ist das ideale
„ M e n s c h e n b i l d " (ningenzö), auf das hin die J u g e n d erzogen w e r d e n soll?
D e r dritte H u m a n i s m u s (Mutai Risaku)
W a c h s e n d e Kritik an der Vernunft, a n der spekulativ-systematischen Vernunft, an
der positiv-wissenschaftlichen Vernunft von der Seite der Sinne, des Leibes und der
Spontaneität des Lebens her
Phänomenologie der Sinne, des Leibes, der virtuellen Welt der M e d i e n
P h ä n o m e n o l o g i e des (ursprünglich taoistischen) Ki, m a n c h m a l verstanden
intersubjektives kosmisches M e d i u m „ Ä t h e r " o d e r „ E n e r g i e " , m a n c h m a l
intersubjektive emotionale „ A t m o s p h ä r e " )
als
als
Ästhetischer, ethischer, religiöser Pluralismus
Internationalismus - Interkulturalismus - Globalismus
Hat J a p a n als Kulturnation eine Aufgabe für die gobale M e n s c h h e i t s e n t w i c k l u n g
und welche ist das?
A u f wessen Seite steht Japan als kulturelle, politische u n d wirtschaftliche M a c h t im
k o m m e n d e n K a m p f u m die globale H e g e m o n i e - a u f der Seite der U S A oder
Chinas? (vgl. die T h e s e n von Samuel P. Huntington über d e n k o m m e n d e n „Clash of
Civilizations")
154
Philosophie in Japan
Teil 3: Die Philosophie der Kyoto-Schule
Die Philosophie der Kyoto-Schule behandelt die Frage nach dem Verhältnis des
Absoluten u n d des Relativen als legitime und zentrale Frage der Philosophie.
Sie verschiebt sie nicht auf die Theologie. Sie bestimmt das Absolute aber
nicht wie die scholastische Philosophie als „absolutes Seiendes" oder
„absolutes Sein", sondern als „absolutes Nichts". Was heißt aber nun
„absolutes N i c h t s " angewandt auf das Absolute? U m das zu erklären, gehe
ich von Texten der beiden Gründerväter der Kyöto-Schule aus, nämlich von
Nishida und Tanabe.
Kitard Nishida (1870-1945)
bestimmt
— das Absolute als absolutes Nichts und dieses als geschichtliche Welt der UmkehrEntsprechung (gyaku-taiö no rekishiteki sekai)
„Unser Selbst berührt Gott nur durch den Tod, d.h. in widersprechender
Entsprechung. Nur durch den T o d kann unser Selbst mit Gott verbunden werden.
D a s objektivierende Denken m a g sagen: ,Wenn der Relative stürbe und zu nichts
würde, so gäbe es nichts mehr, was Gott gegenüberstehen könnte.' Aber der Tod
meint nicht ein bloßes Nichts. D a s Absolute ist freilich das, was j e d e s Gegenüber
transzendiert. Aber was j e d e s Gegenüber bloß transzendiert, ist einfach nichts, das
bloße Nichts. Der Gott der nichts schüfe, wäre ein ohnmächtiger Gott, also kein
Gott. W e n n etwas in irgendeinem Sinne d e m gegenübersteht, was objektiv da ist, ist
es freilich ein Relatives, kein Absolutes. Aber andrerseits ist das, was jedes
Gegenüber bloß transzendiert, wie oben gesagt, kein Absolutes. Hier liegt der
Selbstwiderspruch des Absoluten selbst. In welchem Sinne denn ist das Absolute das
echt Absolute? D a s Absolute ist wirklich absolut, w e n n es dem Nichts [d.h. der
Negation des Absoluten] gegenübersteht. Es ist das absolute Sein, wenn es dem
absoluten Nichts gegenübersteht. D a ß es dem absoluten Nichts derart
gegenübersteht, d a ß es außerhalb seiner selbst überhaupt nichts gibt, was ihm
objektiv gegenüberstünde, das bedeutet, daß das Selbst fGottesl im Selbst­
widerspruch sich selbst gegenübersteht. D a n n m u ß das Selbst [Gottes] mit sich
selbst im Widerspruch identisch sein. [Das heißt aber, daß Gott mit dem Nichts, dem
Relativen, im Widerspruch identisch ist.]" (Seiichi Yagi und Ulrich Luz, Gott in
Japan, Chr. Kaiser Verlag, München 1973, Text Nishida von Yagi übersetzt: Was
liegt d e m Selbstsein zugrunde?, S. 97f).
„...durch solche Selbstnegation des Absoluten entsteht die Welt unseres Selbst, die
Welt der Menschen. Diese absolute Selbstposition durch Selbstnegation heißt die
Schöpfung Gottes. Deshalb gilt, buddhistisch gesagt, daß es (unerleuchtete)
Lebewesen gibt, weil es Buddha gibt, aber auch umgekehrt, daß Buddha ist, weil es
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J. Laube
(unerleuchtete) Lebewesen gibt. D a ß das Relative d e m Absoluten gegenübersteht,
m u ß nicht nur seine Unvollkommenheit, sondern a u c h seine N e g a t i o n bedeuten. D a s
Verhältnis zwischen Gott und M e n s c h ist das der p a r a d o x e n Selbstidentität v o n Gott
und Mensch... D i e Welt als Selbstidentität der sich absolut Widersprechenden, in
der die Negation mit der Position paradox identisch i s t m u ß wirklich die Welt der
paradoxen Selbstbestimmung, n ä m l i c h der widersprechenden Entsprechung sein.
D e r Gegensatz von Gott und M e n s c h bedeutet wirklich die »widersprechende
E n t s p r e c h u n g ' " (ebenda, S. 107). (Übrigens geht die Übersetzung zu frei mit
Nishidas Originaltext u m . )
Kommentar
zu
zettai-mujunteki
jiko-döitsu
(„absolut-widersprüchliche
Selbstidentität") u n d gyaku-taiö („Umkehrentsprechung"):
Dieser Text von Nishida w u r d e ausgewählt, weil Nishida in ihm sich deutlich
b e m ü h t , einerseits das Absolute (also das, w a s die Theologie „Gott" nennt) von
allem „ G e g e n ü b e r " freizudenken, auch frei v o m G e g e n ü b e r eines N i c h t s , und alles
Nichtabsolute als Selbstdifferenzierungen des Absoluten innerhalb seiner selbst zu
verstehen. S o steht das Absolute nicht d e m N i c h t s gegenüber, sondern umschließt in
sich selbst den Gegensatz von Sein u n d Nichts. D a s Absolute ist sowohl d e m Sein
als d e m Nichts gegenüber noch einmal „transzendent" („übersteigend"). Weil das
Absolute deshalb w e d e r mit d e m (einem Partner gegenüberstehenden, also) relativen
Sein noch mit d e m relativen Nichts identisch ist, heißt es ..absolutes N i c h t s " , könnte
aber auch ..absolutes S e i n " heißen. Ä h n l i c h verhält es sich mit allen anderen
Gegensätzen, sie w e r d e n alle v o m Absoluten als Perspektiven seiner selbst in sich
selbst umschlossen, z. B . die Gegensätze d e s Subjekt-Aspekts und des ObjektAspekts, des Erkenntnis-Aspekts und des Willens-Aspekts usw. W e n n im Text
häufig von „ W i d e r s p r u c h " geredet wird, s o sind solche „ G e g e n s ä t z e " gemeint. D a s
j a p a n i s c h e Wort mujun, das hier im Originaltext wiederholt v o r k o m m t , wird zwar
gewöhnlich mit „ W i d e r s p r u c h " übersetzt und klingt nach „logischem Widerspruch",
aber bei Nishida sind hier wie meistens nicht logische W i d e r s p r ü c h e (also
Selbstwidersprüche des philosophischen D e n k e n s o d e r Sprechens), sondern reale
Gegensatzpartner gemeint. N u n k o m m t d a s anderseits: D a s Absolute („Gott") steht
also stets allein sich selbst gegenüber. Alle Differenzierung findet innerhalb seiner
selbst statt. So gesehen, erscheint das N i s h i d a ' s e h e Absolute wie die eine
monistische, autarke Selbstursache=Substanz des Spinoza ( D e u s sive natura) und
alle relativen Seienden erscheinen innerhalb dieser Substanz w i e deren eigene
pantheistisch gedachte Seinsweisen (modi). A b e r N i s h i d a so zu verstehen, w ä r e ein
Missverständnis. E r denkt nicht monistisch, sondern pluralistisch. D a s A b s o l u t e
kann nach Nishida nicht als Substanz verstanden werden. E s stellt nicht d e n einen
substantiellen Träger der vielen Relativen dar. E s bildet vielmehr d a s nicht
substantiell gedachte M e d i u m der Einheit der Vielheit der Relativen. G e g e g e b e n ist
nur die Pluralität der Relativen. O h n e die realen Relativen hätte das Absolute selber
keine Realität. D a s Gleiche gilt a u c h umgekehrt: o h n e d a s kreative Absolute hätten
die Relativen keine R e a l i t ä t . D a r u m kann Nishida behaupten: Diese absolute
Selbstposition d u r c h Selbstnegation heißt Schöpfung. I n d e m N i s h i d a d e n christlich­
theologischen Begriff d e r „Schöpfung" benutzt, bejaht er selbverständlich nicht die
156
Philosophie in Japan
christliche Theologie eines einmaligen transeunten „Weltschöpfungsaktes" Gottes,
sondern Nishida denkt an eine j e neue autopoietische Selbstschöpfung von
Augenblick zu Augenblick. Aus der Perspektive der Selbstschöpfung als
Selbstformung kann das Absolute nach Nishida auch als „formlose Form" (katachi
naki katachi) bezeichnet werden, während die Relativen gerade durch „Form"
definiert sind. - Einige christliche Theologen vertreten die Konzeption der creatio
continua(ta) der Welt durch Gott (also keinen einmaligen, sondern einen j e neuen
Wehschöpfungsakt von Augenblick zu Augenblick). Diese Konzeption lässt die
N i s h i d a ' s e h e Konzeption besser verstehen, weil sie auch den Gedanken der
diskontinuierlichen Kontinuität hat. Wenn Nishida gleichzeitig erklärt: „Daß das
Relative d e m Absoluten ((innerhalb des Absoluten!)) gegenübersteht, muß nicht
bloß seine Unvollkommenheit, sondern seine Negation bedeuten. Das Verhältnis
von Gott und M e n s c h ist das der paradoxen Selbstidentität von Gott und Mensch...",
drückt er den Gedanken aus, daß die Selbstverneinung des Absoluten als
überseiender, übermächtiger, absoluter Substanz die Bejahung der relativen
Seienden in ihrer relativen Selbständigkeit bedeutet. Umgekehrt bedeutet die
Selbstverneinung der Relativen als Möchte-gern-Absolute (z.B. im religiösen Akt)
die Bejahung des Absoluten. Dieses Verhältnis der „Umkehrentsprechung" könnte
m a n mit einer Sanduhr vergleichen, die sich ständig umkehrt: j e mehr der obere Teil
sich entleert, desto voller wird der untere Teil -und wieder umgekehrt.
W e n n Nishida das gleiche Verhältnis wie zwischen dem Absoluten und den
Relativen auch zwischen Buddha und den unerleuchteten Lebewesen sieht (vgl. den
Nishida-Text gegen Schluß!), so hat er einerseits recht. Denn Buddha, der
Erleuchtete, und die Unerleuchteten sind stets aufeinander bezogen, nur und gerade
für die Unerleuchteten ist der Erleuchtete ein Erleuchteter usw. Anderseits zeigt
sich,
daß
Nishida
die
freien
Beziehungen
der
Erleuchtungs-bzw.
Erlösungsdimension wie notwendige Seinsbeziehungen behandelt. Dies entspricht
erstens allgemein dem Beziehungs-Denken im Mahayäna-Buddhismus, zweitens
speziell aber d e m mahäyänistischen Hongaku-Denken (Urerleuchtungsdenken: jeder
ist schon vor seiner eigenen B e m ü h u n g u m eine hic-et-nunc-Erleuchtungserfahrung
mit d e m gemeinsamen erfahrungsvorgängigen Apriori der Urerleuchtung begabt).
Von diesem D e n k r a h m e n her, ist verständlich, daß Nishida das eine Absolute und
die vielen Relativen als die zwei Perspektiven (Perspektiven für uns!) ein und
derselben vollkommenen und in diesem Sinn göttlichen Wirklichkeit denkt.
Anderseits also hat Nishida unrecht. D e n n die Behandlung der sowohl vom
Absoluten wie a u c h von den Relativen her gesehen freien Erleuchtungs- bzw.
Erlösungsbeziehung als notwendige Seinsbeziehung k o m m t von der Nicht-Trennung
des die Gesetzmäßigkeiten liebenden philosophischen Denkens vom theologischen
D e n k e n , das die Beziehnung des Absoluten z u m Relativen gern als freie
Sebstmitteilung, als Gnadengeschenk
sieht. Nishidas Nichttrennung
von
philosophischem und theologischem Denken geschieht bewußt, um die
widersprüchliche Selbstidentität von Gesetzmäßigkeit und Freiheit auszudrücken.
Sie irritiert aber nicht nur die christlichen Theologen (die von der gnadenhaften
Selbstmitteilung Gottes her denken), sondern auch die zen-buddhistischen Meister
157
J. Laube
(die von der unableitbaren, unberechenbaren, j a undenkbaren Selbsterfahrung der
Relativen als Erfahrung des „ v o n selbst" d e s absoluten D h a r m a her denken).
Haiime T a n a b e (1885-1962)
bestimmt
— das Absolute als absolutes N i c h t s und dieses als Existenzgemeinschaft
wechselseitigen Vermittlung (kögö-baikai n o jitsuzon-kyödö)
der
„ N u n ist es aber so, d a ß durch die V e r w a n d l u n g des T o d e s in die Auferstehung, die
durch die ,Liebe des Absoluten N i c h t s ' bewirkt wird, lediglich eine Erleuchtung des
jeweiligen Augenblicks, das sogenannte ,ewige H e u t e ' zustande k o m m t - das
Auferstehungsleben b e k o m m t dadurch n o c h keinen konkreten Inhalt,
keine
Kontinuität, keine Erfüllung. A u c h w e n n die B e d r o h u n g des Lebens durch d e n T o d
beseitigt ist, so ist d a m i t noch nicht das W e s e n des Lebens positiv wieder hergestellt
oder die Freude an e i n e m L e b e n inmitten von T o d e s s c h m e r z e n wiedergewonnen.
Mit anderen Worten: Allein dadurch, d a ß m a n mitten im Leben stirbt, ist kein
ausreichender G r u n d vorhanden, zu sagen, d a ß m a n mitten im Sterben L e b e n
verwirklicht. W i e kann diese Schwierigkeit ü b e r w u n d e n w e r d e n ? D a s Absolute,
auch w e n n es die .Liebe des Absoluten N i c h t s ' genannt wird, kann nicht a u f der
gleichen E b e n e wirken u n d unmittelbar Liebe verschenken wie die relativen D i n g e ,
d a das Absolute wesentlich das relative Sein transzendiert. Dafür ist unbedingt ein
Relatives als Vermittler erforderlich, das bei aller eigenen Aktivität zugleich völlig
passiv ist" (Seiichi Yagi und Ulrich Luz, Gott in J a p a n , Chr. Kaiser Verlag,
M ü n c h e n 1973, Text Tanabe: M e m e n t o M o r i , S. 119, Übersetzer: G. Dressler).
(Das Absolut bleibt das absolut Andere, d a r u m braucht es absolut-relative Mittler.)
, J ) e r Gott der christlichen Religion ist nach d e n B e s t i m m u n g e n d e s Alten
Testaments in seinem W e s e n absolutes Sein (der sogenannte ,Ich bin, der ich b i n ' )
und nicht das »Absolute N i c h t s ' . Z w a r kann nicht bestritten werden, d a ß die
christliche Theologie, in d e m M a ß w i e sie z u m philosophischen System w u r d e und
philosophische Dialektik anstelle von M y t h e n und Legenden zu ihrem Inhalt w u r d e ,
die T e n d e n z zeigte, Gott von e i n e m absoluten Sein in ein absolutes N i c h t s z u
verwandeln. Aber die Fälle, in denen Gott ganz k o n s e q u e n t als absolutes Nichts
verstanden w u r d e , sind außerordentlich selten, und selbst d a n n g a b es so gut wie
keine schriftliche Formulierung dieser Vorstellung. D e r B u d d h i s m u s , und vor allem
Zen, die die absolute Leere verkündigen und sich z u m Nichts b e k e n n e n , stellen das
genaue Gegenteil dar"(ebenda. S. 122).
K o m m e n t a r zu kögö-baikai („wechselseitige Vermittlung") und
(„absolute Vermittlung"), jitsuzon-kyödö („Existenzgemeinschaft"):
zettai-baikai
T a n a b e erklärt: „ D a s Absolute...kann nicht a u f der gleichen E b e n e wirken und
unmittelbar Liebe verschenken w i e die Relativen..." D i e V e r n e i n u n g der
Unmittelbarkeit d e r Beziehung zwischen d e m Absoluten und d e m einzelnen
158
Philosophie in Japan
Relativen m a c h t einen entscheidenden Unterschied des Denkens Tanabes gegenüber
d e m D e n k e n Nishidas aus. M a n könnte auch sagen: Tanabe hat Nishida konsequent
weitergedacht. D i e Selbstverneinung des Absoluten als des Absoluten (einer der
Gründe, w a r u m es „absolutes N i c h t s " heißt) ist so absolut zu denken, daß es sich in
die Vielheit der Relativen hinein „entleert", in sie hinein „verliert", „vernichtet" und
als solches liebendes Absolutes nur als geglückte Beziehung der Liebe (d.h. als
Beziehung
der
wechselseitigen
Selbstverneinung)
zwischen
Relativen
augenblickhaft aufblitzt. Mit anderen Worten: Das Absolute wird von den Relativen
nicht unmittelbar „berührt", sondern nur „absolut vermittelt" (zettai baikai), d.h.
vermittelt durch die Berührung mit anderen Relativen , also vermittelt nur durch
„geglückte Gemeinschaft", „Gemeinschaft von Liebenden", „Existenzgemeinschaft"
(jitsuzon kyödö), wobei allerdings das Nichtglücken durch die Tendenz zum
radikalen Bösen als der Tendenz zur Selbstverabsolutierung jedes Einzelnen stets
mitgegeben ist und die überwundene Rückseite des Glückens darstellt, überwunden
durch die sich v o m Anderen her aufdrängende Metanoia (d.h. j e neue „Umkehr" im
D e n k e n und Handeln, j e neue Hinkehr zum Anderen als dem Anderen - weg von
sich selbst). (Übrigens geht die Übersetzung mit d e m Urtext Tanabes zu frei um.)
Teil 4: Philosophie des „Nichts" im europäischen Westen
O b e n wurde die „Philosophie des Absoluten als des absoluten Nichts" von Nishida
und T a n a b e vorgestellt. Mit Hilfe einiger Texte von Nishida und Tanabe wurde
gezeigt, dass und wie diese beiden Philosophen ihre jeweilige Philosophie des
Nichts als philosophische Verallgemeinerung der mahäyäna-buddhistischen
religiösen Einzelerfahrung darstellen, einmal als Philosophie des absoluten Selbst
und ein andermal als Philosophie des absoluten Anderen, in beiden Philosophien
spielt die Selbstverneinung und in diesem Sinn das „Nichts" die Hauptrolle. Die
Frage liegt nun nahe, ob das unterscheidend Östliche, das „Japanische" der
Philosophien Nishidas und Tanabes allein schon in ihrer Konzentration auf das
„ N i c h t s " liegt, oder vielleicht erst in ihrer besonderen Weise des Umgangs mit dem
„Nichts". Gibt es im europäischen Westen auch eine Philosophie des „Nichts"?
Die Antwort auf diese Frage m u ß zuerst einige Unterscheidungen klarstellen: Man
m u ß in der europäischen Philosophie unterscheiden mindestens eine Philosophie des
„ N e i n ! " (Urteilslehre), eine Philosophie des „nicht" (Logik), eine Philosophie des
„privativen wertneutralen ,nichts'als ,nicht-etwas'" (universelle Ontologie), eine
Philosophie des „privativen werthaften Nichts als der Urmaterie oder
Urpotentialität" (spezielle Ontologie), eine Philosophie des „privativen unwerthaften
Nichts als des B ö s e n " (Theodizee), eine Philosophie des „aggressiven
wertnihilistischen
Nichts"
(Nietzsche
als
Beispiel
einer
dialektischen
Wertphilosophie), eine Philosophie des „mystischen N i c h t s " (aus unergründlicher
mystischer Erfahrung und ekstatischer mystischer Sprache sich entwickelnde
Philosophie des Nichts als des Unerkennbaren und Unaussprechlichen), eine
159
J. Laube
Philosophie des „theologischen N i c h t s " (die d i e absolute T r a n s z e n d e n z
„Höchsten", der Gottheit, b e t o n e n d e sogenannte „Negative Theologie").
des
Obgleich die europäischen Philosophen sich a u f die Fragen n a c h d e m Sein und d e n
Seienden konzentrierten (wobei Heidegger behauptet, sie hätten die Frage nach d e m
Sein selbst vergessen und nur n a c h d e m Sein der Seienden gefragt), haben sie die
Frage nach nein, nichts und d e m N i c h t s (Nicht-Sein und Nichts-Sein) nicht völlig
übersehen. Kahl-Furthmann schreibt in seinem philosophiegeschichtlichen o p u s
m a g n u m „ D a s P r o b l e m des Nicht": „Der allgemeinste aller Begriffe, der Begriff des
Seins, ist schon bald nach d e m E r w a c h e n der philosophischen Besinnung im
Abendland in den Kreis der Betrachtungen gezogen worden. D u r c h Aristoteles
w u r d e ihm eine eigene Wissenschaft, die Lehre v o m Seienden als S e i e n d e m ,
gewidmet, die durch die Jahrhunderte als Ontologie einen i m m e r exakteren A u s b a u
erfahren hat. W ä h r e n d so d e m Begriff des Seins in der Geschichte der Philosophie
eine ausfuhrliche B e h a n d l u n g zuteil g e w o r d e n ist, ist sein Gegenbegriff, der des
Nichtseins, fast ganz vernachlässigt worden. G e w i ß wird er in einer umfassenden
Ontologie mit gestreift, aber seine B e h a n d l u n g ist d u r c h w e g keine erschöpfende.
D a s Nichtsein als Nichtsein ist nicht eigentliches Problem, und doch sollte es als
Untersuchungsgegenstand neben d e m Seienden als S e i e n d e m a m Anfang aller
Philosophie stehen, d e n n sein Begriff wirkt konstitutiv in den ersten Prinzipien alles
Erkennens überhaupt, besonders im W i d e r s p r u c h s p r i n z i p " ( D a s P r o b l e m d e s Nicht.
Kritisch-Historische und Systematische Untersuchungen, Verlag A n t o n Hain,
Meisenheim a m Glan, 2. Auflage, S. 1).
Im Folgenden übergehen wir die B e h a n d l u n g der logischen, epistemologischen und
formal ontologischen Fragen im Bezug a u f nein, nicht und nichts und w i d m e n u n s
den Fragen im B e z u g a u f „das N i c h t s " im Sinn der Negativen T h e o l o g i e des
christlichen Altertums und Mittelalters.
D i e Negative Theologie (apophatische Theologie) ist eine N e b e n l i n i e der
christlichen Theologie, die einerseits i m m e r v o n der affirmativen T h e o l o g i e
(kataphatische Theologie) in d e n Hintergrund gedrängt w u r d e , anderseits a b e r einen
so einflussreichen Theologen w i e T h o m a s von Aquin (13.Jh.) zu ihren Befürwortern
zählen durfte.
Die Negative Theologie des C h r i s t e n t u m s speist sich a u s drei Quellen: aus der
gläubigen A n n a h m e der in den Schriften des N e u e n und Alten T e s t a m e n t e s sich
ausdrückenden Selbstmitteilung (Selbstoffenbarung) Gottes, aus ihrer praktischen
A n w e n d u n g im eigenen Leben des G e b e t s und der T u g e n d und a u s d e m eigenen
systematisierenden D e n k e n d e r menschlichen Vernunft. A u s s a g e n christlicher
Mystiker und T h e o l o g e n über das N i c h t s Gottes finden wir a m meisten im
Z u s a m m e n h a n g mit seiner Unerkennbarkeit, m i t seiner Oberseiendheit, m i t seiner
Überwesenheit und mit seiner Überunterschiedlichkeit.
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Philosophie in Japan
Grund 1: Gott heißt Nichts wegen seiner Unerkennbarkeit (Augustinus u.a. erklären,
d a ß die Kategorien, mit denen die endlichen Seienden definiert und klassifiziert
werden, nicht auf Gott anwendbar sind)
Grund 2: Gott heißt Nichts wegen seiner Überseiendheit (Basilides, PseudoDionysios, Nicolaus Cusanus u.a. erklären, daß Gott noch über dem gesamten
Bereich des Seins steht ähnlich wie das „ E i n e " bei Plotin)
Grund 3: Gott heißt Nichts wegen seiner Oberwesenheit (Scotus Eriugena u.s.
Schule erklären, d a ß Gott kein „ W a s " ist, keine „Wesenheit" hat wie die endlichen
Seienden; auf die Frage „ w a s " er ist, kann es nur die Antwort geben „nichts",
„nichts Seiendes"; nach Scotus Eriugena kann wegen dieser Überwesenheit Gottes
nicht nur der Mensch Gott als ein W a s nicht erkennen, sondern Gott selbst kann sich
nicht als W a s erkennen. Er ist als Was absolut nicht erkennbar und in diesem Sinn
absolut nichts. N a c h Scotus Eriugena gilt: Insofern Gott keine Washeit/Wesenheit
wie die endlichen Seienden besitzt, kann er auch nicht als ein Was erkannt werden,
j a kann sich selber nicht als ein Was erkennen.)
Übrigens darf Johannes Scotus Eriugena (9. Jh.) nicht mit Johannes Duns Scotus
(13./14. Jh.) verwechselt werden. Johannes dun Scotus ist das Schulhaupt der gegen
die Dominikaner-Theologie kritischen sogenannten Franziskaner-Theologie, die die
Begriffstheorie der affirmativen Theologie verficht: Begriffe sind auf die Relativen
und auf Gott nicht analog wie bei Thomas von Aquin, sondern univok anzuwenden.
Grund 4: Gott heißt Nichts wegen seiner Überunterschiedlichkeit (Meister Eckhart,
Nicolaus Cusanus, Jakob B ö h m e u.a. erklären, d a ß Gott über allen Unterschieden
steht, alle Gegensätze in sich versöhnt usw.)
W e n n wir uns nun wieder zu Nishida und Tanabe zurückwenden und uns fragen,
welche Gründe für sie ausschlaggebend waren, das Absolute als absolutes Nichts zu
bezeichnen, so finden wir die Begründungen 1 bis 4, aber zusätzlich eine andere.
(Grund 5.)
nämlich die der Selbstverneinung des Absoluten zugunsten des Relativen. Die
Selbstbejahung
des einen Absoluten
vollzieht sich als Kreislauf
der
Selbstverneinung des Absoluten als des Einen zugunsten der vielen Relativen und
als deren Selbstverneinung als die vielen Relativen zugunsten des einen Absoluten.
Bei Nishida handelt es sich um vertikale elliptischen Kreislaufbewegungen der
Umkehr-Entsprechung von absolutem Gott und relativen Selbsten, und zwar im
Absoluten selbst als d e m „Ort" des absoluten Nichts; bei Tanabe handelt es sich um
horizontale elliptische Kreisläufe der wechselseitigen Vermittlung der Relativen
untereinander. T a n a b e weigert sich, von einem als integrale Ganzheit verstandenen
„Ort" des Nichts zu sprechen, in d e m sich alles vollzieht, sondern alles vollzieht sich
als „wechselseitige Vermittlung der Relativen", und zwar nicht in einem
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J. Laube
g e m e i n s a m e n M e d i u m , sondern j e an ihnen selber. E s ist eine Frage der
Interpretation der T e r m i n i „ O r t " der Selbstvermittlung des Absoluten N i c h t s bei
Nishida und „absolute V e r m i t t l u n g " bei T a n a b e , o b sie sich wesentlich
unterscheiden o d e r nicht. T a n a b e w ü r d e höchstens zugestehen, dass m a n von einer
infinitesimal-differential verstandenen Grenze bzw. Grenzerfahrung im B e z u g auf
das Absolute sprechen kann.
In Nishidas vertikalem Kreislauf fehlt nicht die horizontale Perspektive zu den
anderen relativen Selbsten, ist aber im existentiellen Sichwissen der Relativen nicht
die erste. D i e Berührung mit d e m Absoluten vollzieht sich nach N i s h i d a vor allem
im Selbstwiderspruch des physischen M a c h e n s . In T a n a b e s horizontalem Kreislauf
fehlt nicht die vertikale Perspektive z u m Absoluten, ist aber im existentiellen
Sichwissen der Relativen nicht die erste. D i e Berührung des Absoluten vollzieht sich
nach T a n a b e vor a l l e m im Selbstwiderspruch des moralischen Handelns.
Bei Nishida vollzieht sich die elliptischen Kreisläufe als Einheit von actionintuition, bei T a n a b e in action-faith (nach der T e r m i n o l o g i e von Yoshinori
Takeuchi). M i t action ist bei N i s h i d a die aristotelische poiesis, d.h. das physische
Gestalten der Welt als Natur in Kultur gemeint, und mit intuition meint Nishida das
Sichwissen dieses Gestaltens (das Beisichsein als b e i m relativen A n d e r e n sein). D i e
Formel action-faith bei T a n a b e meint die aristotelische praxis, d.h. das moralische
Handeln als das Gestalten der Welt als Gesellschaft in Gemeinschaft, u n d faith
bedeutet das Sichwissen dieses moralischen H a n d e l n s (Beisichsein als b e i m
absoluten Anderen sein), das T a n a b e als metanoetisches H a n d e l n beschreibt. E s
heißt metanoetisches Handeln, weil es stets selbstkritisch die verkehrende W i r k u n g
des radikalen Bösen im moralischen Handeln erkennt, bekennt, bereut und sich be­
kehren, d.h. um-kehren, neu-anfangen lässt. D a s Sichwissen heißt bei T a n a b e faith
„Glaube", u m die Transzendenz seiner Herkunft deutlich zu m a c h e n : die absolute
Fremdkraft.
W ä h r e n d T a n a b e das H a n d e l n bzw. Gestalten seit 1944 stets ausdrücklich a parte
potiori als Fremdkraft-Wirksamkeit bezeichnet, aber eine Dialektik von Eigenkraft
und Fremdkraft meint, spricht Nishida a b 1945 meist v o m H a n d e l n als H a n d e l n des
Selbst und b e m e r k t nur nebenbei, dass selbstverständlich in keiner Religion das
Handeln anders als in einer Dialektik von Eigenkraft und Fremdkraft vollzogen
w e r d e n kann.
Der von Nishida
und
Tanabe
hervorgehobene
Aspekt
der
absoluten
sichselbstverneinenden „ L i e b e " d e s Absoluten zu d e n Relativen k o m m t in
christlichen Texten nicht so häufig in systematisch-theologisch als v i e l m e h r in
biblisch-exegetischen Schriften vor, n ä m l i c h dort w o d e r paulinische G e d a n k e von
der Kenosis Gottes behandelt wird, von d e r Selbstentleerung Gottes, v o n der
Aufgabe der Gottesform und A n n a h m e d e r M e n s c h e n f o r m in J e s u s v o n N a z a r e t h ,
v o n der Identifizierung Gottes m i t d e n M e n s c h e n in Jesus Christus.
Vgl. die deutsche Übersetzung d e s Briefs an die Philipper 2. Kapitel, Vers 6-9:
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Philosophie in Japan
..6 Er war Gott gleich, /hielt aber nicht daran fest, Gott zu sein
7 sondern er entäußerte sich / und wurde wie ein Sklave / und den Menschen gleich.
/ Sein Leben war das eines Menschen;
8 er erniedrigte sich/ und war gehorsam bis zum Tod,/ bis zum Tod am Kreuz.
9 D a r u m hat Gott ihn über alle erhöht..." (Die Bibel. Einheitsübersetzung Herder
Freiburg, 1980)
'oq s v nopxfrr) Geou 'urcapxcov o u x 'ap7iaYuov TiyrjaaTO TO e i v a i i a a Geou, aXX
a ' e a u t o v SKSVOOSV uop<t>riv ö o u X o u A.aßcov, s v o u o i c o u a u avGpcö7iov YSVOUS
vo<;... ( N o v u m Testamentum Graece, hrg. v. D. Nestle, 18. A., Stuttgart 1948)
Mit diesem Kenosis-Gedanken kann das Verständnis des absoluten Nichts von
Nishida und T a n a b e verglichen werden. Nur mit dem Unterschied, daß das Absolute
als das absolute Nichts kenotisch sich mit jedem Relativen identifiziert, während
nach Paulus diese kenotische Identifikation Gottes einzig und allein mit Jesus
Christus statthat und die Übrigen nur vermittelt durch Jesus Christus daran
teilhaben. Diese Vermittlung der Teilhabe am Leben Gottes durch den Mittler Jesus
Christus ist zwar ähnlich der Vermittlung der Teilhabe am Dharma-Leben durch
einen Bodhisattva, aber nicht gleich. Der Unterschied liegt wiederum zuerst in der
Einzigkeit des Mittlers im Christentum gegenüber den vielen Mittlern im MahäyänaBuddhismus.
Teil 5: Schlussbemerkungen
W e n n auch die Philosophie der Kyoto-Schule nicht stellvertretend fur alle
philosophischen Strömungen in Japan stehen kann, so ist sie doch die im
j a p a n i s c h e n Inland und im europäischen und amerikanischen Ausland am meisten
beachtete j a p a n i s c h e philosophische Schule. Sie gilt als diejenige Schule, in der die
eigenen Denktraditionen Japans, besonders des buddhistischen Teils Japans, die
europäische M o d e r n e nicht nur rezipiert, sondern auch kritisiert und transzendiert
hat und in ihren Vertretern heute immer weiter transzendiert. Nishida und Tanabe
haben die zwei Denkmöglichkeiten innerhalb der vom Mahäyana-Buddhismus
beeinflussten Philosophien sich kritisierend und sich komplettierend „aus-gedacht"
N i s h i d a dachte die Wirklichkeit nach d e m Modell der Integral-Rechnung
(Ganzheiten-Rechnung), Tanabe nach dem Modell der Differential-Rechnung
(Grenzwerte-Rechnung).
Dabei zeigte sich, daß ihre Lösungen denen der europäischen Negativen Theologie
ähnlich, aber nicht gleich s i n d Die Auseinandersetzung mit den Systemen Nishidas
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J. L a u b e
und Tanabes haben j e d o c h den theologischen und philosophischen Dialog zwischen
E u r o p a und U S A einerseits und J a p a n anderseits über die zentralen Fragen der
Religionsphilosophie v o n der E b e n e der speziellen Religionsgeschichte(n) des
j a p a n i s c h e n B u d d h i s m u s bzw. d e s Christentums a u f die E b e n e d e r g e m e i n s a m e n
universalen Religionsgeschichte der Menschheit verlagert.
Teil 6: Liste der Termini
Termini Nishidas
Zettai m u , zettai no m u , zettaiteki m u absolutes Nichts, bei N i s h i d a k o m m t oft die
Kurzformel zettai m u vor (zettai heißt wörlih: „das Band/die V e r b i n d u n g
durchschneiden", also das Bezogensein, Bedingtsein usw. negieren; Nishida weist
aber häufig darauf hin, das d a s wahre Absolute gerade nicht alle Beziehungen
negiert, sondern Beziehung als solche darstellt, n ä m l i c h die Beziehung der U m k e h r Entsprechung: gyaku-taiö)
Gyaku-taiö Umkehr-Entsprechung,
Entsprechung
Gegen-Entsprechung,
sich
widersprechende
Rekishiteki sekai geschichtliche Welt, bei Nishida nicht die v o m Selbst getrennte
Außenwelt, sondern die Welten der relativen Selbste, die sich wechselseitig
enthalten (als Selbstausdruck und Selbstgestaltung des absoluten Selbst (die
geschichtliche Welt ist als die Welt des sich wissenden und
sichbestimmenden
Handelns die konkreteste aller Welten; sie schließt die biologische und die
physikalische Welt als einseitige abstrahierte Aspekte ihrer selbst ein)
Basho Ort, Platz, Feld (Nishida nennt einerseits den T o p o s in Piatons „ T i m a i o s "
anderseits den T o p o s der m a t h e m a t i s c h e n Topologie als A n r e g u n g für diesen seinen
eigenen Terminus, der aber w e d e r naturphilosophisch noch m a t h e m a t i s c h ­
quantitativ verstanden werden darf, sondern als M e d i u m der Selbstvermittlung des
Absoluten logisch verstanden w e r d e n m u ß ; Selbstvermittlung in m e h r f a c h e m Sinne)
Ronri im Lexikon steht als Ü b e r s t e z u n g meist „Logik", ronri wird bei N i s h i d a u n d
T a n a b e aber
erstens nicht im Sinne der analytischen Logik, sondern der
dialektischen Logik gebraucht ( w e l c h e nach ihnen die analytische Logik als einen
Teil ihres Kreislaufs enthält) und zweitens k a n n bei ihnen ronri a u c h allgemeiner
soviel w i e Philosophie b e d e u t e n
Bashoteki ronri Topos-Logik, T o p i s c h e Logik, T o p i s c h e Philosophie
Sokuhi n o ronri Logik des Ist-Istnicht
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Philosophie in Japan
Termini Tanabes
M e m e n t o mori G e d e n k e des Sterbens, Bedenke den Tod
Philosophie des Lebens Tanabe meint im Text „Lebensphilosophie im weitesten
Sinn"; zu dieser Zeit zielte Tanabe besonders auf Heideggers Philosophie
Zettai baikai absolute Vermittlung; „Vermittlung" impliziert in der Sprache der
Dialektik stets „Verneinung/Negation"; die Verneinung (auch Selbstverneinung) ist
das weitertreibennde M o m e n t der dialektischen Bewegung; die dialektische
B e w e g u n g kann als Bewegung der Realität gedacht werden (Realdialektik) oder als
B e w e g u n g des D e n k e n s (des Begriffs, der Idee, der Vernunft: Idealdialektik)
Metanoia U m d e n k e n (in der Theorie) und Umkehren (in der Praxis)
Metanoetik Philosophie der Metanoia
Radikales Böses: ein Terminus der Religionsphilosophie von Kant und seiner
Nachfolger, gemeint ist keine individuelle böse Tat, sondern der im Menschen
beobachtbare H a n g zum Bösen (Neigung, Tendenz, Gravitation zum Bösen hin, zur
Selbstverabsolutierung), der zwar nicht zum abtsrakten natürlichen Wesen des
Menschen gehört, aber zum konkreten geschichtlich
gewordenen Wesen des
Menschen
Jitsuzon-kyödö Existenzgemeinschaft, entweder Anspielung auf Kierkegaard oder
Jaspers oder ausnahmsweise: im vorliegenden Tanabe-Text - auf die Monadologie
von Leibniz
Bodhisattva (jap Bosatsu) wörtlich „Kämpfer u m (die eigene) Erleuchtung" oder
„Erleuchtungswesen" (Theraväda und Mahäyäna-Buddhismus); der MahayänaBodhisattva wird charakterisiert als „Kämpfer um die Erleuchtung (der Anderen)",
einer, der die Vollendung der eigenen Erleuchtung hintanstellt, bis er alle Anderen
auf den W e g der Erleuchtung gefuhrt hat (bei Tanabe der spirituelle „Lehrer",
„Meister", „Vorgänger", „Pionier" oder ähnlich)
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