Sozialpsychologie Personenwahrnehmung 27 Sozialpsychologie 2 Personenwahrnehmung (2. Teil) Man handelt und urteilt nicht gedankenlos: •! In neuen Situationen •! Bei negativen oder positiven Konsequenzen die stark von der Erwartung abweichen •! Bei Behinderung oder Unterbrechung •! Bei wichtigen Situationen •! Bei Interaktionen mit Personen, von denen man abhängig ist. Langer (1978). Sozialpsychologie Sozialpsychologie Personenwahrnehmung 28 Personenwahrnehmung 29 Der falsche Konsensus-Effekt (Ross, 1977): Man neigt dazu, die eigenen Meinungen, Verhaltensweisen und Einstellungen für verbreiteter zu halten als sie tatsächlich sind. Auch wenn man weiß, dass man eine ziemlich seltene Meinung vertritt, überschätzt man dennoch ihre Verbreitung. Ross, Greene & House (1977): Vpn wurden ersucht, 30 Minuten lang mit einem Plakat auf dem Universitätsgelände herumzugehen. Entscheidung: Bereit oder nicht bereit, dies zu tun. Danach wurden sie gefragt, welcher Prozentsatz der Vpn zustimmen würde, oder nicht. Vpn mit Bereitschaft: 62% der Kollegen werden es tun. Vpn ohne Bereitschaft: 67% der Kollegen werden sich weigern. Fundamentaler Attributionsfehler (Ross, 1977): Man neigt dazu, Persönlichkeitsfaktoren zu überschätzen und Situationsfaktoren zu unterschätzen. Zusammenhang zwischen fundamentalen Attributionsfehler und falscher Konsensus: Da man das eigene Verhalten und die eigenen Ansichten für weitverbreitet, normgerecht und adäquat hält, erscheint jedes andere Verhalten, das sich vom eigenen Verhalten unterscheidet, selten und den Normen widersprechend zu sein. Sozialpsychologie Sozialpsychologie Personenwahrnehmung 30 Personenwahrnehmung 31 Attributionen haben den Zweck, die Welt besser kontrollierbar und vorhersagbar zu machen. Berscheid et al. (1976): ausführliche Attributionsprozesse vor allem bei Personen, von denen man abhängig ist. Mit steigernder Wichtigkeit werden der Stimulusperson extremere Dispositionen zu geschrieben und sie wird als sympathischer erlebt. Erber & Fiske (1984): Inkonsistente Informationen werden bei wichtigen Personen genauer betrachtet. McArthur & Post (1977): Auffälligkeiten (z.B. Beleuchtung, Kleidung, Bewegung) führen zu Dispositionszuschreibungen. Arkin & Duval (1975): Verhalten in ständig wechselnden Umgebungen wird auf die Situation zurückgeführt. Sozialpsychologie Sozialpsychologie Personenwahrnehmung 32 Personenwahrnehmung 33 Attributionen sind häufig selbstgefällig: Eigene Erfolge werden in höherem Maße auf eigene Fähigkeiten zurückgeführt, als die Erfolge anderer Personen. Die eigenen Misserfolge hält man in höherem Maß für zufallsbedingt als die Misserfolge anderer Personen. ! Diese selbstwertsteigernden Attributions-verzerrungen treten nur bei Personen mit positiver Selbstwertschätzung auf. Self-Handicapping (Jones & Berglas, 1978): Selbstbenachteiligung hat den Zweck, durch Herbeiführen oder Aufsuchen ungünstiger Bedingungen die Möglichkeit zu schaffen, eventuell schlechte Leistungen auf diese ungünstigen Bedingungen zurückzuführen. 1.! Strategie bei Mißlingen: Attribution des Mißlingens auf die äußeren Umstände; man trägt selbst keine Schuld (discounting) 2.! Strategie bei Erfolg: Man erreichte (oft wider Erwarten) das Ziel, trotz der widrigen Umstände (augmenting) Personen mit niedrigem Selbstwert: discounting-Strategie häufiger eingesetzt Personen mit hohem Selbstwert: augmenting-Strategie (Rhodewalt et al., 1991; Tice, 1991) Self-handicapping ist aber sozial geächtet; Self-handicapper werden von der Umwelt abgewertet (Rhodewalt et al., 1995) Sozialpsychologie Sozialpsychologie Personenwahrnehmung 35 Personenwahrnehmung 34 Implizite Persönlichkeitstheorien: Innerhalb bestimmter Gruppen, Schichten und Kulturen gibt es weitverbreitete und ziemlich einheitliche Meinungen darüber, welche Persönlichkeitseigenschaften gemeinsam auftreten. Experiment (Asch, 1946): Asch´s Konfigurations-Modell (1946): Danach sollten Vpn aus einer Liste von 18 Adjektiven auswählen, welche die fiktive Person noch besaß. Dimensionen, die die Inferenzprozesse stark beeinflussen, werden zentrale Merkmale genannt (wie z.B. warmherzig und kalt). Periphere Traits (Eigenschaften) haben kaum Einfluss auf die Bewertung anderer Personen Vpn erhielten Adjektivlisten als Beschreibung einer fiktiven Person. VG1: intelligent, geschickt, fleißig, warmherzig, bestimmt, praktisch, vorsichtig. VG2: intelligent, geschickt, fleißig, kalt, bestimmt, praktisch, vorsichtig. VG3: intelligent, geschickt, fleißig, freundlich, bestimmt, praktisch, vorsichtig. VG4: intelligent, geschickt, fleißig, rüde, bestimmt, praktisch, vorsichtig. Sozialpsychologie Sozialpsychologie Personenwahrnehmung 36 Personenwahrnehmung 37 Zuschreibung weiterer Eigenschaften (in Prozent): warmherzig! kalt! freundlich! rüde! großzügig! 91! 8! 56! 58! weise! 65! 25! 30! 50! glücklich! 90! 34! 75! 65! gutmütig! 94! 17! 87! 56! gewissenhaft! 94! 99! 95! 100! Kelley (1950): Feldexperiment; Auswirkung der Vorstellung eines Gastreferenten auf die Evaluation des Referenten und Interaktionen während des Vortrages Vorstellung: „People who know him consider him to be a rather cold (or warm) person, industrious, critical, practical, and determined“ Der Vortragende hielt idente Vorträge vor verschiedenen Klassen. •! Nach dem Vortrag mussten die Zuhörer den Referenten evaluieren. •! Außerdem wurden die Zuhörer während des Vortrages beobachtet. Sozialpsychologie Sozialpsychologie Personenwahrnehmung 38 Personenwahrnehmung 39 Ergebnis: In der „kalten“ Vorstellung: Evaluation: Vortragender wurde als eher unsozial, selbstzentriert, unpopulär, formal, reizbar, humorlos und harsch beschrieben. Behaviorale Auswirkungen: Die Studenten stellten weniger Fragen und interagierten auch weniger mit dem Gastprofessor. Re-Analyse der Daten von Asch: Rosenberg, Nelson & Vivekananthan (1968): Zwei Bewertungsdimensionen: (1)! Soziale Bewertungsdimension: verlässlich, ehrlich, tolerant, hilfsbereit, warmherzig, gesellig vs. ungesellig, kalt, humorlos, pessimistisch (2)! Intellektuelle Bewertungsdimension: intelligent, fleißig, beharrlich, phantasievoll, bestimmt vs. unintelligent, naiv, ungeschickt. Sozialpsychologie Sozialpsychologie Personenwahrnehmung 40 Personenwahrnehmung 41 Halo-Effekt (Thorndike, 1920): Tendenz zur konsistenten Bewertung. Dion, Berscheid & Walster (1972): Physisch attraktiven Personen werden eher positive soziale Eigenschaften zugeschrieben als unattraktiven. Luchins (1957): Reihenfolge der Einzelinformationen determiniert die Inferenzprozesse (Starker Anfangseffekt vorhanden). Luchins (1957): fiktive Stimulusperson Jim soll bewertet werden. VB-EI: zuerst extravertierte Verhaltensweisen (Jim spricht ein Mädchen an, etc.), dann introvertierte (weicht einer Bekannten aus, setzt sich allein an einem Tisch) VB-IE: zuerst introvertierte, dann extravertierte VB-E: nur extravertiert VB-I: nur introvertiert Sozialpsychologie Sozialpsychologie Personenwahrnehmung 42 Personenwahrnehmung 43 Soziale Informationsverarbeitung: Kontrollierte Informationsverarbeitung: Prozentsatz der Vpn, die der Stimulusperson die angeführten Eigenschaften zuschreiben E EI IE I E EI IE I Freundlich 90 71 54 25 Unfreundlich 0 19 31 55 Gesellig 85 60 46 5 Ungesellig 0 30 41 85 Automatische Informationsverarbeitung: Aggressiv 55 26 18 5 Passiv 45 55 62 75 direkt 50 33 17 0 schüchtern 0 51 67 95 •! •! •! •! •! Erfordert ein gewisses Maß an Aufmerksamkeit und Anstrengung •! Benötigt relativ viel Zeit •! Wird bewusst gesteuert Läuft schnell ab Verlangt nur wenig Aufmerksamkeit Ist nicht anstrengend Wird nicht bewusst kontrolliert. Sozialpsychologie Sozialpsychologie Personenwahrnehmung 44 Personenwahrnehmung 45 Aufsteigende Informationsverarbeitung: •! Kontrollierter Prozess, •! viele Informationen werden berücksichtigt. Aus zahlreichen •! Verhaltensweisen und deren situativen Kontexten wird zunächst auf Merkmale geschlossen. •! Diese werden zusammengefasst und einer Kategorie oder einem Schema zugeordnet. Absteigende Informationsverarbeitung: •! Es wird von Erwartungen (Hypothesen) bezüglich einer Person ausgegangen. •! Jede Information wird daraufhin überprüft, ob sie den Erwartungen entspricht. •! Oder man kann aus der bloßen Kategoriezugehörigkeit ganz automatisch Urteile über die Stimulusperson ableiten. Sozialpsychologie Sozialpsychologie Personenwahrnehmung 46 Personenwahrnehmung 47 •! Kategorie: Eine Menge von Objekten, die ein oder mehrere Charakteristika gemeinsam haben (z.B. Aussehen, Physiognomie, Funktion) •! Schema: Wissen über ein bestimmtes Objekt, ein Ereignis oder Handlung. Verwandte Begriffe: •! Skript: Wissen über standardisierte Abläufe •! Stereotyp: Wissen (bzw. subjektive Meinung) über Persönlichkeitsmerkmale und Verhaltensweisen von Mitgliedern einer sozialen Kategorie). Funktionen von Schemata: 1. Schemata bestimmen, ob und wie gut wir etwas verstehen 2. Schemata beeinflussen unsere Gedächtnisleistung 3. Schemata bewirken, dass wir „automatisch“ Schlussfolgerungen ziehen und damit über die gegebene Information hinausgehen 4. Schemata wecken bestimmte Erwartungen, und beeinflussen die Aufmerksamkeit 5. Schemata steuern unser Verhalten Sozialpsychologie Sozialpsychologie Personenwahrnehmung 48 Personenwahrnehmung 49 Beispiel: Der Vorgang ist eigentlich ganz einfach. Zuerst teilen Sie die Dinge in mehrere Gruppen. Natürlich kann auch ein Stapel genügen – das kommt darauf an, wieviel zu tun ist. Wenn Sie wegen fehlender Möglichkeiten woanders hingehen müssen, dann ist das der nächste Schritt, ansonsten kann es losgehen. Es ist wichtig, nicht zu übertreiben. Das heißt, es ist besser zu wenige Dinge auf einmal zu tun, als zu viele. Das mag zunächst nicht besonders wichtig erscheinen, aber es können leicht Komplikationen entstehen. Ein Fehler kann viel Geld kosten. Am Anfang erscheint der ganze Vorgang kompliziert. Aber bald ist er einfach ein Teil des Lebens. Es ist schwer vorauszusehen, ob diese Aufgabe in der nächsten Zukunft überflüssig sein wird. Wenn der Vorgang zu Ende ist, muss man das Material wieder in verschiedenen Gruppen anordnen. Dann kann man sie auf ihre Plätze legen. Später werden sie wieder verwendet und der ganze Kreislauf muss wiederholt werden. Das ist eben ein Teil des Lebens. Ein Modell der Personenwahrnehmung von Fiske & Neuberg (1987): Kategoriegeleitete Wahrnehmungsprozesse sind besonders wahrscheinlich, wenn (1)! Nur die Kategoriezugehörigkeit bekannt ist (2)! Detailinformationen bekannt sind, die mit der Kategorie übereinstimmen. (3)! Wenn sonst nur belanglose Information vorhanden ist Sozialpsychologie Sozialpsychologie Personenwahrnehmung 50 Personenwahrnehmung 51 Aufsteigende Wahrnehmungsprozesse treten auf, wenn (1)! Detailinformation mit der Kategorie inkonsistent ist (2)! Detailinformationen gegeben sind, für die keine passende Kategorie verfügbar ist. (3)! Erhöhte Motivation zur genauen Informationsanalyse gegeben ist. Wichtigkeit der wahrgenommenen Person ist ausschlaggebend: •! Mittlere Wichtigkeit (kurzfristige, aufgabenbezogene Ergebnisabhängigkeit) ! genaue (accuracy-driven), realistische Informationsverarbeitung •! Sehr große Wichtigkeit (langfristige, partnerschaftliche Ergebnisabhängigkeit) ! ausführliche, aber oft wunschhaft verzerrte Informationsverarbeitung Sozialpsychologie Sozialpsychologie Personenwahrnehmung 52 Personenwahrnehmung 53 Personengedächtnis: Cantor & Mischel (1979): Vpn mussten Beschreibungen von Stimuluspersonen lernen. (a)! Konsistente Beschreibungen: Stimulusperson war extravertiert oder introvertiert (b)! Inkonsistente Beschreibung: Stimulusperson war extravertiert und introvertiert (c)! Gemischte Beschreibung: Stimulusperson wurde mit Eigenschaften versehen, die sich nicht widersprachen. Ergebnis: Personen merkten sich am leichtesten die konsistenten Beschreibungen, „ergänzten“ diese aber mit weiteren Informationen, die der betreffenden Kategorie angehörten. Hastie (1981): Schemainkonsistente Information wird aber genauso gut gelernt. (1)! Man möchte einen konsistenten Gesamteindruck erzeugen (2)! Personen, die nicht ins Schema passen, stellen ein Kontrollproblem dar. ! Man bemüht sich ein tieferes Verständnis für die Verhaltensweisen zu erlangen. Sozialpsychologie Sozialpsychologie Personenwahrnehmung 54 Personenwahrnehmung 55 Während der Verhaltenswahrnehmung werden bereits Rückschlüsse auf die zugrundeliegenden Dispositionen geschlossen. Dies geschieht spontan bzw. automatisch (Winter & Uleman, 1984). Es werden eher auffällige und unerwartete Handlungen gespeichert als unauffällige und schemakonsistente. Es wird mehr erinnert, wenn man sich ein Bild über die Person zu machen versucht (impression formation), als wenn man sich alles über die Person merken möchte. Die Zugänglichkeit eines Dispositionskonzept spielt in der Personenwahrnehmung eine entscheidende Rolle. Ein Dispositionskonzept ist chronisch zugänglich, wenn es sich um eine persönlich wichtige Disposition handelt (weil man über wichtige Dinge oft nachdenkt). Zugänglichkeit wird durch Primingreize erhöht. Sozialpsychologie Sozialpsychologie Personenwahrnehmung 56 Personenwahrnehmung 57 Higgins, Rholes & Jones (1977): Vpn mussten in einer „ersten“ Untersuchung Wörter lernen. VG-1: positive Wörter (z.B. unternehmungslustig, selbstsicher, unabhängig, beständig) VG-2: negative Wörter (z.B. leichtsinnig, eitel, verschlossen, starrköpfig) Danach: „zweites“ Experiment: Beschreibung einer fiktiven Stimulusperson Donald. Donald betreibt gefährliche Sportarten, wobei er Verletzungen und sogar den Tod riskiert. Außerhalb seines Berufes hat er kaum Kontakte. Er braucht niemand, auf dem er sich verlassen kann. Aus seinem Verhalten sieht man, dass er sich seiner zahlreichen Fähigkeiten voll bewusst ist. Er ändert nur selten seine Meinung, etc. Zum Schluss: Bewertung von Donald. Ergebnis: VG-1 (positive Wörter): bewerteten Donald positiv. VG-2 (negative Wörter): bewerteten Donald negativ. Zur Bewertung verwendeten die Vpn jene Wörter, die sie im ersten Experiment gelernt hatten. Sozialpsychologie Sozialpsychologie Personenwahrnehmung 58 Personenwahrnehmung 59 Srull & Wyer (1979): Bei negativen Dispositionen ist die Zugänglichkeit leichter zu steigern als bei positiven Dispositionen. !!Positive Handlungen und Dispositionen sind weniger informativ und eindeutig, weil prinzipiell immer äußere und innere Ursachen vorliegen können !!Negative Handlungen, die sozial unerwünscht sind, werden nur selten durch äußere Ursachen veranlasst. Meistens kann aus negativen Handlungen eindeutig auf Dispositionen geschlossen werden. Stimmungen und Gefühle beeinflussen ebenfalls die Zugänglichkeit (Forgas et al., 1984): Wenn man gut gelaunt ist, denkt man eher in positiven Kategorien. Bei negativen Gefühlen sind negative Kategorien vorherrschend. z.B.: Ein Lächeln wirkt freundlich, wenn man selbst glücklich ist. Es kann als höhnisch oder herablassend wahrgenommen werden, wenn man deprimiert ist. Sozialpsychologie Personenwahrnehmung 60 Genauigkeit der Personenwahrnehmung: Cronbach (1955): vier Fehlerkomponenten Stimuluspersonen Kriterium Beurteiler A Beurteiler B Beurteiler C Beurteiler D I 85 105 70 100 115 J 90 110 80 100 110 K 100 120 100 100 100 L 110 130 120 100 90 M 115 135 130 100 85 Konstanter Fehler Variabilität Stereotype Genauigkeit Differentielle Genauigkeit