Technische Universität München Zentrum Mathematik PD Dr. Christian Karpfinger http://www.ma.tum.de/Mathematik/G8Vorkurs 1. Übung zum G8-Vorkurs Mathematik (WiSe 2011/12) Aufgabe 1.1: Gehen Sie die Inhalte der heutigen Vorlesung in kleinen Gruppen durch und fertigen Sie eine Zusammenfassung bzw. ein Formelblatt an. Aufgabe 1.2: Es gibt drei Verdächtige für den Raub eines Lutschers im Süßwarenladen: a,b, und c. Genau einer von ihnen hat den Lutscher gestohlen. Beim Verhör sagen Sie folgendes aus: (a) Ich war es nicht. Außerdem war ich gar nicht am Tatort. (b) Ich war es nicht. Außer mir war auch noch c am Tatort. (c) Ich war es nicht. Der Dieb ist a. b war nicht am Tatort. Finden Sie unter der Annahme, dass die Unschuldigen die Wahrheit gesagt haben, den Dieb! Wer war am Tatort, wer nicht? Hat der Dieb gelogen? Lösung: Lösung mit Alltags(?)logik: Da b und c sich widersprechen (was die Anwesenheit von b am Tatort angeht) lügt einer von beiden und ist somit der Täter. Dann ist a unschuldig. Also lügt c, der behauptet, a sei der Dieb. Da c lügt ist c nicht unschuldig, also ist c der Täter. Jetzt formallogisch: Es sei T x mit x ∈ {a, b, c} die Aussage “x war der Täter” und Ox die Aussage “x war am Tatort”. Dann sind die Äußerungen der Verdächtigen wie folgt darstellbar: (a) ¬T a ∧ ¬Oa (b) ¬T b ∧ Ob ∧ Oc (c) ¬T c ∧ T a ∧ ¬Ob ∧ Oc Der eingeklammerte Teil bei c bringt zum Ausdruck, dass c offensichtlich am Tatort war, wenn er/sie es auch nicht direkt zugibt. Dies wird im folgenden aber nicht benötigt. Die folgenden Aussagen werden laut Aufgabenstellung wahr angenommen. Erstens: Wenn x ∈ {a, b, c} unschuldig ist, sagt x die Wahrheit. Das bedeutet ¬T a ⇒ ¬T a ∧ ¬Oa (1) ¬T b ⇒ ¬T b ∧ Ob ∧ Oc (2) ¬T c ⇒ ¬T c ∧ T a ∧ ¬Ob (3) Zweitens: Es gibt genau einen Täter. Das ist (T a ∧ ¬T b ∧ ¬T c) ∨ (¬T a ∧ T b ∧ ¬T c) ∨ (¬T a ∧ ¬T b ∧ T c) (4) Dies bedeutet insbesondere, dass a unschuldig ist, wenn b oder c schuldig ist: T b ∨ T c ⇒ ¬T a (5) Bevor die obige Argumentation in Logikschreibweise übertragen wird noch eine Anmerkung: Für eine beliebige Aussage A ist (A ⇒ ¬A) ⇐⇒ ¬A eine Tautologie. Also ist A ⇒ ¬A äquivalent zu ¬A. Beweis hierzu: A ¬A A ⇒ ¬A (A ⇒ ¬A) ⇐⇒ ¬A w f f w f w w w Dies entspricht dem umgangssprachlichen Argument: Wenn man A annimmt und einen Widerspruch folgert, dann war die Annahme A falsch, welches beim indirekten Beweis verwendet wird. Zur formallogischen Lösung der Aufgabe: Aus (2) und (3) ersieht man die folgende wahre Implikationskette1 ¬T b ∧ ¬T c ⇒ ¬T b ∧ Ob ∧ Oc ∧ ¬T c ∧ T a ∧ ¬Ob ⇒ Ob ∧ ¬Ob (falsch) ⇒ T b ∨ T c. Der letzte Schritt ist gültig, weil eine Implikation mit falscher Prämisse immer wahr ist. Wichtig: Dass dies eine wahre Implikationskette ist, bedeutet nicht, dass die Prämisse ¬T b ∧ ¬T c wahr ist oder als wahr angenommen wurde, sondern nur, dass hier korrekt gefolgert wurde (möglicherweise aus etwas falschem). Setzt man A als ¬T b ∧ ¬T c fest, so hat man damit A ⇒ ¬A gezeigt. Dies ist äquivalent zu ¬A. Damit ist gezeigt, dass ¬A ⇐⇒ T b ∨ T c wahr ist. Wegen (5) ist dann auch ¬T a wahr. Weiter hat man mit (1) und (3) die wahre Implikationskette ¬T a ∧ ¬T c ⇒ ¬T a ∧ ¬Oa ∧ ¬T c ∧ T a ∧ ¬Ob ⇒ ¬T a ∧ T a (falsch) ⇒ T a ∨ T c. Setzt man B als ¬T a ∧ ¬T c fest, so hat man damit B ⇒ ¬B und somit ¬B bewiesen. Also ist ¬B ⇐⇒ Ta ∨ Tc wahr, und da man ¬T a schon gezeigt hat impliziert dies Tc. Also ist c der Dieb. Insgesamt wirkt die formallogische Lösung hier deutlich umständlicher als die zuerst angegebene alltags(?)logische. Wenn man allerdings den formallogischen Kalkül wirklich beherrscht, ist es durchaus auch möglich, die Lösung bestimmter Logikrätsel einfach “auszurechnen” und die Rechnung dann in die Alltagssprache zu übersetzen. Das ist insbesondere bei solchen Rätseln hilfreich, deren Formulierung absichtlich verwirrend gewählt wurde. Aufgabe 1.3: Die Einwohner von Radersi sind strikt in zwei Gruppen getrennt: Solche, die sich stets selbst rasieren und solche, die sich nur von Roberto dem Barbier rasieren lassen. Roberto rasiert 1 Eine Implikationskette hat die Form A1 ⇒ A2 ⇒ . . . ⇒ AN , wobei die Aj Ausagen sind. Dies ist eine Kurzschreibweise für (A1 ⇒ A2 ) ∧ (A2 ⇒ A3 ) ∧ . . . ∧ (AN −1 ⇒ AN ). Ist eine Implikationskette wahr, so ist auch die resultierende Implikation, das ist A1 ⇒ AN wahr. also genau diejenigen Dorfbewohner, die sich nicht selbst rasieren. Begründen Sie, daß Roberto nicht in Radersi wohnt. Lösung: Roberto wohnt nicht in Radersi, da er zu keiner der beiden Gruppen gehören kann. Wenn er zur ersten Gruppe gehörte, müßte er sich selbst rasieren. Er rasiert aber nur Einwohner, die sich nicht selbst rasieren. Also kann er sich nicht selbst rasieren und folglich nicht der ersten Gruppe angehören. Wenn er zur zweiten Gruppe gehörte, müßte er von Roberto, also von sich selbst rasiert werden. Dann würde er allerdings jemanden rasieren, der sich selbst rasiert. Dies ist ein Widerspruch nach Voraussetzung und folglich kann er auch der zweiten Gruppe nicht angehören. Aufgabe 1.4: Vertauschen Sie in den folgenden Aussagen jeweils die Reihenfolge der Quantoren ∀ und ∃ und überprüfen Sie Sinn und Richtigkeit der entstehenden Aussagen: (a) ∀ n ∈ / P ∪ {1} ∃ k ∈ / {1, n} : k | n (P bezeichnet dabei die Menge aller Primzahlen), (b) ∃ N ∈ N ∀ n ≥ N : 1 n ≤ 0, 001. Lösung: (a) Wir vertauschen die Quantoren und erhalten: ∃n ∈ / P ∀k ∈ / {1, n} : k | n . Diese Aussage ist falsch: Die Zahl 4 ist keine Primzahl, und 4 wird nicht von allen Zahlen ungleich 1 und 4 geteilt. Und allgemein gilt für jede weitere Nichtprimzahl n, daß n nicht von n + 1 6∈ {1, n} geteilt wird. (b) Wir erhalten nach Vertauschen der Quantoren: ∀N ∈ N ∃n ≥ N : 1 ≤ 0, 001 . n Diese Aussage ist nicht identisch zu der in der Aufgabenstellung, jedoch ebenso richtig. Aufgabe 1.5: Es sei f : D → R eine Funktion, D ein Intervall. Man definiert: Die Funktion f ist: stetig auf D :⇔ ∀ ε > 0 ∀ x ∈ D ∃ δ > 0 : ∀ x0 ∈ D : |x − x0 | < δ ⇒ |f (x) − f (x0 )| < ε . gleichmäßig stetig auf D :⇔ ∀ ε > 0 ∃ δ > 0 : ∀ x ∈ D ∀ x0 ∈ D : |x − x0 | < δ ⇒ |f (x) − f (x0 )| < ε . Wodurch unterscheidet sich die gleichmäßige Stetigkeit von der Stetigkeit? – machen Sie Bilder! Können Sie eine Funktion angeben, die stetig und nicht gleichmäßig stetig ist? Lösung: Bei der gleichmäßigen Stetigkeit hängt das δ nicht von x ab, es gibt hier ein universelles δ, das für ganz D taugt. Beispiel für eine stetige und nicht gleichmäßig stetige Funktion: f : (0, 1) → R, f (x) = x1 . Aufgabe 1.6: (a) j Q j P n=1 k=1 Schreiben Sie folgende Ausdrücke aus: ! n·k (b) 5 Q n P n=1 Lösung: i=1 3 P k3 k=1 5i (a) j Q j P n=1 k=1 ! = (1 · 1 + 1 · 2 + 1 · 3 + . . . + 1 · j)·(2 · 1 + 2 · 2 + 2 · 3 + . . . + 2 · j)·(3 · 1 + 3 · 2 + 3 · 3 + . . . + n·k . . . · (j · 1 + j · 2 + j · 3 + . . . + j · j) (b) 3 P 5 Q n P n=1 (b) 3 1 2 3 + + = 36 + 36 · 362 + . . . + 36 · 362 · . . . · 365 5 5 5 5 5 5 k=1 5i i=1 Aufgabe 1.7: (a) k3 5 4 4 9 + + 9 17 1073741825 9 + 16 + . . . + 900 6 8 18 27 + 81 + . . . + 19683 5 4 + 9 9 4 9 + · 12 3 (c) (d) k P an bzw. k Q an : n=1 n=1 6 9 12 300 1 · 2 · 3 · . . . · 99 1·2·3 1·2·3·...·13 1 + 1·2 1·3 + 1·3·5 + · · · + 1·3·5·...·25 Schreiben Sie folgende Ausdrücke in der Form Lösung: (a) (b) (c) 3 1 + 2 3 + 6 1 · 9 2 (d) 1 + 1·2 1·3 + 6 27 17 16 + 8 81 · ... · + Aufgabe 1.8: 1·2·3 1·3·5 + ... + 1073741825 900 + ... + 300 99 = 100 Q n=2 + ... + 18 19683 3n n−1 = = n=1 n2 9 P 2n n=1 3n 99 Q 3(n+1) = 1·2·3·...·13 1·3·5·...·25 30 n P 2 +1 n=1 = n n 13 P Q n=1 i=1 i 2i−1 Gegeben seien die folgenden Teilmengen der Menge der reellen Zahlen R: A := { x ∈ R | 5 > x > −2 } , B := { x ∈ R | 1 > x } , C := { x ∈ R | −1 < x ≤ 1 } Bestimmen Sie folgende Mengen und skizzieren Sie diese auf der Zahlengeraden: (a) A ∩ C (b) B \ A (c) (R \ C) ∪ B Lösung: (a) A ∩ C = {x ∈ R | x ∈ A ∧ x ∈ C} = {x ∈ R | 5 > x > −2 ∧ − 1 < x ≤ 1} = {x ∈ R | −2 < x < 5 ∧ − 1 < x ≤ 1} = {x ∈ R | −1 < x ≤ 1} = C (b) B \ A = {x ∈ R | x ∈ B ∧ x ∈ / A} = {x ∈ R | 1 > x ∧ (x ≤ −2 ∨ x ≥ 5)} = {x ∈ R | x < 1 ∧ (x ≤ −2 ∨ x ≥ 5)} = {x ∈ R | x ≤ −2} (c) (R \ C) ∪ B = {x ∈ R | x ∈ / C ∨ x ∈ B} = {x ∈ R | x ≤ −1 ∨ x > 1 ∨ 1 > x} = {x ∈ R | x 6= 1} Aufgabe 1.9: Gegeben seien die folgenden Teilmengen der Menge der reellen Zahlen R: A := { x ∈ R | −3 < x < 4 } , B := { x ∈ R | 2 ≤ x } , C := { x ∈ R | −1 ≤ x < 1 } Bestimmen Sie folgende Mengen und skizzieren Sie diese auf der Zahlengeraden: (a) A ∪ B (b) C ∪ (R \ B) (c) (R ∩ B) ∪ A (d) ((A ∪ B) ∩ C) \ A Lösung: (a) A ∪ B = {x ∈ R | −3 < x < 4 ∨ 2 ≤ x} = {x ∈ R | x > −3} (b) C ∪ (R \ B) = {x ∈ R | −1 ≤ x < 1 ∨ 2 > x} = {x ∈ R | x < 2} (c) (R ∩ B) ∪ A = {x ∈ R | x ∈ B ∨ x ∈ A} = {x ∈ R | x > −3} (d) ((A ∪ B) ∩ C) \ A = {x ∈ R | (x ∈ A ∨ x ∈ B) ∧ x ∈ C ∧ x ∈ / A} = {x ∈ R | x > −3 ∧ − 1 ≤ x < 1 ∧ (x ≤ −3 ∨ x ≥ 4)} =∅ Aufgabe 1.10: Gegeben seien die folgenden Teilmengen der reellen Zahlen: A := { x ∈ R | −2 < x < 5 } B := { x ∈ R | 1 ≥ x } C := { x ∈ R | x2 ≤ 4 } D := { x ∈ R | x2 > 1 } Bestimmen Sie jeweils die folgenden Mengen und skizzieren Sie diese auf der Zahlengerade: (a) A ∩ B (c) B \ C (e) C ∩ (A ∪ B) (b) A ∪ D (d) D \ (A ∩ B) (f) (R \ (A ∩ B)) ∪ (C ∩ D) Lösung: (a) A ∩ B = {x ∈ R | −2 < x < 5 ∧ 1 ≥ x} = {x ∈ R | −2 < x ≤ 1} A ∪ D = {x ∈ R | −2 < x < 5 ∨ x2 > 1} (b) = {x ∈ R | −2 < x < 5 ∨ x < −1 ∨ x > 1} =R B \ C = {x ∈ R | 1 ≥ x ∧ x2 > 4} (c) = {x ∈ R | x ≤ 1 ∧ (x < −2 ∨ x > 2)} = {x ∈ R | x < −2} D \ (A ∩ B) = {x ∈ R | x2 > 1 ∧ ¬(−2 < x < 5 ∧ 1 ≥ x)} (d) = {x ∈ R | (x < −1 ∨ x > 1) ∧ ¬(−2 < x ≤ 1)} = {x ∈ R | (x < −1 ∨ x > 1) ∧ (x ≤ −2 ∨ x > 1)} = {x ∈ R | x ≤ −2 ∨ x > 1} C ∩ (A ∪ B) = {x ∈ R | x2 ≤ 4 ∧ (−2 < x < 5 ∨ 1 ≥ x)} (e) = {x ∈ R | −2 ≤ x ≤ 2 ∧ x < 5} = {x ∈ R | −2 ≤ x ≤ 2} (f) R \ (A ∩ B) ∪ (C ∩ D) = {x ∈ R | ¬(−2 < x < 5 ∧ 1 ≥ x) ∨ (x2 ≤ 4 ∧ x2 > 1} = {x ∈ R | ¬(−2 < x ≤ 1) ∨ − 2 ≤ x ≤ 2 ∧ (x < −1 ∨ x > 1) } = {x ∈ R | x ≤ −2 ∨ x > 1 ∨ − 2 ≤ x < −1 ∨ 1 < x ≤ 2} = {x ∈ R | x < −1 ∨ x > 1} Aufgabe 1.11: Es seien A = { a, b, c, d } und B = { M | M ⊆ A }. Entscheiden und begründen Sie, welche der folgenden Aussagen wahr und welche falsch sind: (a) a ∈ B (d) A ∈ B (g) ∅ ∈ B (b) { b } ∈ B (e) A ⊆ B (h) ∅ ⊆ B (c) { a } ∈ A (f) { a } ⊆ A (i) { ∅ } ⊆ B Lösung: (a) a ∈ B ⇒ a ⊆ A a ∈ A ⇒ falsch (b) b ∈ A ⇒ {b} ⊆ A ⇒ {b} ∈ B X ⇒ richtig (c) falsch (d) richtig (e) a ∈ A, aber a ∈ / B ⇒ falsch (f) richtig (g) richtig, da ∅ ⊆ A (h) richtig, da ∅ ⊆ M für alle Mengen M (i) richtig, da ∅ ∈ B ⇒ {∅} ⊆ B