Franz Liszt und die

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Musik als große Literatur Franz Liszt und die „Neudeutschen“
Musikstunde mit Wolfgang Sandberger
Freitag 25. Februar 2011, Teil 5
Wer Franz Liszt am Flügel gehört hat, der hat ihn bewundert, doch
nicht jeder hat seine Bewunderung gleich in so poetische Worte
gefasst wie seine Geliebte Marie d’Agoult: „Wenn Liszt sich an den
Flügel setzt, gewinnt seine Schönheit einen Grad von Hoheit, den nur
seine Hörer ermessen können. Seine Blässe nimmt zu, seine
Nasenflügel weiten sich, ein nervöses Zittern bewegt seine Lippen…“
Musik 1
Track 2
Franz Liszt
Molto vivace, aus
12 Etudes d’exécution transcendante
Alice Sara Ott, Klavier
DG 477 8362 LC
2.18’’
“Molto vivace”: Alice Sara Ott spielte zum Auftakt der SWR 2
Musikstunde heute die Nummer 2 aus den 12 Etüden in aufsteigender
Schwierigkeit von Franz Liszt.
„Sie müssen zuerst lesen, um bis zum Hören, Verstehen, Fühlen und
Empfinden zu gelangen“, so ein Motto von Franz Liszt und gelesen
hat Liszt tatsächlich viel, schon auf den Reisen mit Marie d’Agout
sind es Byron, Goethe, Shakespeare und Schiller - auch der Wilhelm
Tell von Schiller gehört zu dieser Lektüre, Wilhelm Tell, der Liszt
vielfach inspiriert hat: „Durch diese hohle Gasse muss er kommen“,
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oder: der Rütlischwur – der Apfelschuss, seit Schiller verbinden sich
zahlreiche phantastische Bilder mit dem Tell. Auch: die Sehnsucht
nach Natur und Freiheit. Denn Wilhelm Tell ist ein Freiheitskämpfer
wie aus dem Bilderbuch, sprich: wie aus dem ersten Buch von Liszts
Pilgerjahren, das eben der Schweiz gewidmet gewesen ist:
Die Kapelle Wilhelm Tells eröffnet diesen Band, ein Stück, das sich
von der schweizerischen religiösen Andacht gleichsam zu einem
feierlich-hymnischen Freiheitsgesang mit großer revolutionärer Geste
entwickelt – es spielt Alfred Brendel
Musik 2
CD 1 Track 1
Franz Liszt
„La Chapelle de Guillaume Tell“
Alfred Brendel, Klavier
Philips 462 312-2
5.43’’
Die Kapelle Wilhelm Tells – aus den Années de pèlerinage, genauer:
dem ersten, der Schweiz gewidmeten Buch der Pilgerjahre von Franz
Liszt. Wir hörten Alfred Brendel. Mit dem Liszt der Weimarer Jahre,
der großen Sinfonischen Dichtungen also, haben diese
programmatischen Klavierstücke noch nicht viel gemein, es sind eher
Charakterstücke eines romantischen Feuerkopfes – und doch ist schon
diese frühe Klaviermusik von Literatur inspiriert, weit mehr als bei
Chopin, ja sogar als bei Schumann. Immer wieder finden wir in der
Ausgabe der Pilgerjahre von 1842 Zitate über den Noten, Zitate von
Byron, Schiller oder Senancour – als Motto der Musik
gewissermaßen.
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Und Liszt hat seinen kompositorischen Anspruch schon damals klar
formuliert: Seine Musik will „nicht mehr eine einfache
Zusammenstellung von Tönen sein, sondern eine poetische Sprache“
wie es im Vorwort dieser Ausgabe heißt.
Schon damals hatte Liszt zugleich die Forderung erhoben, die Musik
dürfe als „dichtende Kunst“ nicht auf pittoreske Weise einfach nur
nachahmend sein, nein, sie müsse vielmehr „in Beziehung zum
Seelenleben“ treten, also eine innere Verbindung zu einem
dargestellten Sujet eingehen. Im Italien-Band seiner Pilgerjahre hat
Liszt das mustergültig vorgeführt, übrigens nicht nur bei den
literarischen Vorlagen wie der Dante-Sonate oder den Sonetten von
Petrarca, sondern auch bei einem bildhaften Sujet wie dem berühmten
Gemälde „Sposalizio della Vergine“, die Verlobung der Jungfrau
Maria.
Dieses Raffael-Bild in der Pinacoteca di Brera in Mailand hat Liszt
fasziniert und diese Darstellung der Verlobung der Jungfrau Maria mit
Joseph kann ja auch von uns heute nur bewundert werden: die
einzigartige Bildarchitektur und Schönheit. Die Mittelachse des Bildes
teilt den Renaissance-Tempel im Hintergrund exakt in zwei gleiche
Hälften und zieht man diese Mittelachse im Bild weiter, dann führt
diese Achse genau durch jenen Ring, den Joseph im Vordergrund
Maria an den Finger steckt. Sposalizio: Ein Gemälde der italienischen
Renaissance - in romantische Klavier-Farben getaucht von Franz
Liszt:
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Musik 3
Franz Liszt
Sposalizio
Leslie Howard, Klavier
CDA 67107
Track 1
7.25’’
Sposalizio - Leslie Howard spielte dieses Stück von Franz Liszt nach
dem Gemälde „Sposalizio della Vergine“ - „Die Verlobung der
Maria“ von Raffael.
Die poetische Klaviermusik der frühen Jahre ist mit dem Virtuosen,
dem Pianisten Liszt unmittelbar verknüpft und doch hat auch diese
Musik schon etwas zu tun mit den großen Sinfonischen Dichtungen,
die Liszt später in Weimar schreiben sollte. Richard Wagner, der
große Egomane, hat das durchaus richtig erkannt. Als Liszt ihm die
ersten Sinfonischen Dichtungen geschickt hat, da kam Wagner aus
dem Staunen gar nicht mehr heraus: „Was hast Du mir da Alles
geschickt!“ schreibt er und Wagner spannte nun den Bogen vom
virtuosen Pianisten Liszt zum großen Komponisten Liszt: „Magst Du
nun früher als Pianist gespielt haben, was Du wolltest, so war es
immer der Moment der persönlichen Mitteilung Deiner schönen
Individualität, der uns das ganz Neue und Unbekannte brachte. Die
Wunder deiner persönlichen Mitteilung musstest Du dann in einer
Weise zu erhalten suchen, welche vom Leben Deiner Person selbst sie
unabhängig machte –
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somit musstest Du, ohne zu suchen, darauf verfallen, Deine
persönliche Kunst durch das Orchester zu ersetzen. So gelten mir
deine Orchesterwerke jetzt gleichsam als eine Monumentalisierung
Deiner persönlichen Kunst und hierin sind sie so neu und
unvergleichbar, daß die Kritik lange Zeit brauchen wird, um nur
irgendwie zu wissen, wohin damit“:
Musik 4
CD 1 Track 1
Franz Liszt
Sinfonische Dichtung Nr 1
„Was man auf dem Berge hört“ – Bergsinfonie
London Philharmonic Orchestra
Ltg. Bernhard Haitink
Decca 478 2309
ab 9.57’’- 14.00’’
In einem einzigen Beckenschlag von Franz Liszt sei mehr
musikalische Poesie als in allen Sinfonien von Johannes Brahms – so
hat Hugo Wolf einmal gemeint, und man muss sich diesem Urteil
natürlich nicht anschließen und kann doch von der Farbigkeit der
Partituren Liszts auch beeindruckt sein: das war ein Ausschnitt aus der
Bergsinfonie von Liszt mit dem London Philharmonic Orchestra unter
Bernhard Haitink, die erste sinfonische Dichtung also von Liszt nach
einem Gedicht von Victor Hugo.
Literatur hat im Liszt-Kreis in Weimar eine große Rolle gespielt, auch
bei einem jungen Komponisten wie Felix Draeseke, Jahrgang 1835. In
Weimar hat man ihn nur den „Recken“ genannt und vielleicht hatte
Liszt dabei die Ballade op. 1 von Draeseke im Ohr, eine nordische
Ballade nach einem Text von Moritz von Strachwitz: Helges Treue,
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eine düster-schaurige Ballade von Helge und Sigrun, die Liszt ein
„herrlich Ding“ genannt hat – in einem Brief an Wagner übrigens und
dort beschreibt er Draeseke auch als „prächtigen Menschen“. Typisch
Liszt: er hat sich für diese Ballade engagiert, mit Orchesterbegleitung
sogar soll sie in Weimar aufgeführt werden, doch der Notenschreiber
ist vor dem angekündigten Konzert mit den Stimmen nicht fertig
geworden. Immerhin aber hat Liszt die Drucklegung der
Klavierfassung dieser Ballade dann noch protegiert und den jungen
Draeseke noch väterlich-charmant darauf hingewiesen, dieser möge
doch auch die Widmung an Liszt bitteschön nicht vergessen:
Helges Treue – 10 Strophen hat diese Ballade, in der Helge über den
Tod hinaus verführt werden soll – trotz seiner Liebe zu Sigrun:
„Und liebten mich hundert Jungfraun heiß,
wie die Hirschkuh schlank,
wie das Schneehuhn weiß,
ich hübe mein Auge kaum…“
10 Strophen - viel zu lang für die SWR 2 Musikstunde, aber in den
Anfang dieser Ballade wollen wir doch mal hineinhören
Musik 5
Felix Draeseke
Helge’s Treue, op. 1
Roman Trekel, Bariton
Cord Garben, Klavier
Cpo 999 826-2
Track 3
bis 6. 07
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Franz Liszt gewidmet: die Ballade „Helges Treue“ op. 1 von Felix
Draeseke, die ersten Strophen jedenfalls sind das gewesen mit dem
Bariton Roman Trekel, der begleitet worden ist am Klavier von Cord
Garben.
Musik als große Literatur: Liszt hat diese Ballade des jungen Draeseke
bewundert, doch die Verbindung von Musik und Dichtung, von
Dichtung und Musik hat Liszt sich selbst noch konsequenter
vorgestellt: als Ton-Dichtung nämlich mit sinfonischem Zuschnitt.
Mitte der 1850er Jahre sind die ersten sinfonischen Dichtungen von
Liszt erschienen. In Weimar ist Liszt zum Erfinder dieser neuen
Gattung geworden, das heißt: er hat die sinfonische Dichtung aus der
Charakter-Ouvertüre heraus entwickelt, Tondichtungen in einem Satz,
die zugleich aber formale Elemente der mehrsätzigen Sinfonie
aufgegriffen haben: „Neuer Wein erfordere neue Flaschen – so Liszt und Ende 1853 dürfte er das neue Etikett gefunden haben:
„Sinfonische Dichtung“:
Diese Bezeichnung umfasst nun aber keineswegs eine feste
Formgestalt, und auch nicht in jedem Fall ist die Literatur der
Bezugspunkt der Tondichtung. Das verbindende ästhetische Postulat
von Liszt lautet vielmehr: die sinfonische Dichtung hat den Rang von
Poesie. Liszts Orpheus mag das verdeutlichen: Natürlich besteht hier
ein Anschluss an die große Literatur, da Orpheus ja eine Figur der
Weltliteratur ist, eine Literatur, an der Liszt gleichsam in seiner
sinfonischen Dichtung musikalisch selbst weitergedichtet hat. Doch
Liszts Orpheus ist auch auf Musik bezogen, denn ursprünglich ist
Liszts Partitur als Vorspiel zur gleichnamigen Oper von Christoph
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Willibald Gluck geschrieben worden. Vor allem aber steht der
Orpheus ja für die Idee und die Kraft der Musik überhaupt – und diese
Inkarnation der Musik ist die Leitidee dieser Musik gewesen
Musik 6
CD 2 Track 1
Franz Liszt
Sinfonische Dichtung Nr. 4
Orpheus
London Philharmonic Orchestra
Ltg. Bernhard Haitink
Decca 478 2309
10.55’’
Der Maler Wilhelm von Kaulbach hat Franz Liszt gleich zweimal
portraitiert, 1856 hat der 45-jährige dem Maler in München zum
ersten Mal Portrait gesessen, das zweite Bild ist nur ein Jahr später
entstanden und da sehen wir den Komponisten in einer dezidiert
herrschaftlichen Pose mit Zylinder in der Hand. Von dem eigentlichen
Attribut des Musikers, von seinem Flügel sehen wir auf diesem Bild
nur ein Bein, verhüllt auch noch durch eine Decke – es könnte sich
also einfach auch nur um ein Möbelstück handeln. Wie dem auch sei:
Liszt hat sich künstlerisch zuerst dem Maler genähert, nämlich mit
seiner Symphonischen Dichtung „Die Hunnenschlacht“ nach einem
monumentalen, freskoartigen Gemälde von Kaulbach, ein
Historiengemälde, das Liszt im Neuen Museum in Berlin für sich
entdeckt hat. So monumental wie dieses Bild, so monumental, ja
gigantoman sind auch die Pläne gewesen, die aus weiteren
Historiengemälden Kaulbachs in Verbindung mit Dichtungen und
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Kompositionen entstehen sollten, nichts weniger nämlich als eine
„Weltgeschichte in Bildern, Worten und Tönen“. Im Unmaß liegt
zumeist auch der Keim des Scheiterns und so sind diese Pläne letztlich
auch nie fertig geworden. Realisiert hat Liszt immerhin die
Umsetzung der Hunnenschlacht, ein Bild, das die Schlacht zwischen
den christlichen und den heidnischen Truppen Attilas zeigt, vor allem
die zum Himmel aufsteigenden Geister der Gefallenen, die dort sogar
weiterkämpfen.
Uns Hörer hat Franz Liszt die Konstellation dieser Schlacht vor allem
durch seine Instrumentation und durch musikalische Zitate klar
gemacht: So wird das christlich-römische Heer durch den Choral
„Crux fidelis“ charakterisiert, der zunächst von den Tenor- und
Bassposaunen, später dann auch von der „christlichen“ Orgel gespielt
wird. Und über diesen Schluss schriebt Liszt: „Die beiden Themen der
widerstreitenden Mächte kämpfen Seite an Seite, wie zwei Giganten,
bis jenes, das sich mit der wahren Göttlichkeit, der universalen
Barmherzigkeit, dem Fortschritt zur Menschlichkeit, der überirdischen
Hoffnung identifiziert, siegreich ist und über alles sein strahlendes,
verklärendes und ewiges Licht ausbreitet!“
Musik 7
CD 4
Franz Liszt
Die Hunnenschlacht
London Philharmonic Orchestra
Ltg. Bernhard Haitink
Decca 478 2309
Track 1
12.34-14.53’’
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Nach einem Historiengemälde von Wilhelm von Kaulbach.
Zu poetischen Bildern ist Liszt im Alter noch einmal zurückgekehrt,
doch sind seine Klavierstücke jetzt doch von ganz anderen Inhalten
geprägt: Andacht, Askese, Entsagung und Meditation über Tod und
Hoffnung sind die Themen etwa des dritten Bandes der Pilgerjahre,
der größtenteils 1877 komponiert worden ist: Ein fulminantes
Meisterwerk aus diesem Band sind die Wasserspiele der Villa D’este
– in in Tivoli – vor den Toren Roms. Eine herrliche Villa am Hang
mit noch eindrucksvollerem Garten, ein Musterbeispiel der
Gartenkunst der italienischen Renaissance: kaum zu glauben, es gibt
dort mehr als 500 Brunnen, Wasserspiele, Grotten, Wasserbecken und
sogar eine echte Wasserorgel über dem Neptunbrunnen. Und der
Klangmagier Liszt wäre nicht Liszt gewesen, wenn ihn diese bizzare
Geräuschkulisse der Wasserspiele, der plätschernden Fontänen und
quirlenden Brunnen nicht inspiriert hätte: eben zu den Wasserspielen
der Villa D’Este – so der Titel dieser Klaviermusik, in der das
Plätschern der Springbrunnen und Fontänen auf geradezu
impressionistische Weise eingefangen ist, die „Wasserspiele“, „Jeux
d’eau“ von Ravel sind da gar nicht mehr weit. Man kann sich der
Atmosphäre dieser Musik einfach überlassen, doch Liszt ging es
letztlich auch hier um mehr als nur um ein bezauberndes, pittoreskes
Klangspiel wie ein bezeichnendes Zitat in der Partitur aus dem
Johannes-Evangelium beweist. Das Thema Wasser wird dadurch in
ganz andere Dimensionen gerückt: „Wer aber von dem Wasser trinken
wird, das ich ihm gebe, den wird in Ewigkeit nicht dürsten…“
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Musik 8
Franz Liszt
Wasserspiele der Villa D’Este
Eduard Stan, Klavier
Hänssler CD 98.436 LC 06047
Track 1
8.18
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